Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neunundzwanzigstes Kapitel

Um neun Uhr – in Indien beginnen die Bälle zu früher Stunde – eilten von allen Seiten Lichter auf das Klubhaus zu, das selbst die ältesten Bewohner von Shirani kaum wieder erkannten, so verändert und verschönert war alles. Der allgemeine Eindruck war denn auch ein erstaunlicher. Chinesische Laternen, japanische Schirme überall, mächtige Palmenwedel in den Veranden und ein Strom von Licht in dem mit Musselin ausgeschlagenen, mit Spiegeln reich ausgestatteten Ballsaale. Die Empfangsräume wimmelten von jungen Mädchen und jungen Herren, die mit Tanzkarten und Bleistift eifrig beschäftigt waren.

Von den jungen Damen war keine mehr belagert als Honor Gordon. Sie sah in einem neuen weißen Ballkleide und mit einem Diamantstern (Geburtstagsgeschenk von Onkel Pelham) im dunklen Haar, reizend aus. Tante Sally trug ein schwarzes Sammetkleid und prachtvolle Diamanten und erschien, ebenso schön wie würdig, als eine ganz andre Persönlichkeit, als in den bis jetzt von ihr beliebten grellbunten Toiletten. Honor hatte diesmal den Anzug der Tante gewählt und zusammengestellt, und er machte ihrem Geschmack alle Ehre.

Der Tanz begann mit dem ganzen stürmischen Feuereifer eines Balles in den Bergstationen, wo es weder blasierte, in den Thüren umherstehende junge Männer noch »Mauerblümchen« zu geben pflegt. Man sah viele neue Gesichter, viele reizende Toiletten, und alles ließ sich zu einem glänzenden Erfolge an.

»Ich komme nun seit sechs Jahren nach Shirani und habe so etwas noch nie gesehen,« sagte Mama Brande zu Mark, der, einen Tanz überschlagend, neben ihr saß, um sich mit ihr zu unterhalten. »Wo haben Sie nur alle diese großartigen Ideen und hübschen Einfälle hergenommen? Denn man sagt mir, daß Sie der eigentliche Leiter und Veranstalter der ganzen Sache sind.«

Mark lachte ein wenig verlegen, gab aber keine Antwort.

»Ich höre, Ihr Cousin hat sich mit Fräulein Potter verlobt?« fuhr die alte Dame fort.

»Habe ich auch gehört; er selbst hat es mir aber noch nicht angezeigt. Ich hatte ihn eigentlich heute hier erwartet.«

»Na, bei dieser Partie kommt wieder einmal Geld zu Geld. Die Armen heiraten immer wieder Arme. Da sehen Sie zum Beispiel Honor. Sie hat Angst, auch nur höflich gegen einen jungen Mann zu sein, der einen Groschen mehr hat, als sein Gehalt oder seinen Sold, aus Furcht, die Leute möchten darüber reden. Sir Gloster und Hauptmann Waring sind von ihr förmlich schlecht behandelt worden. Sie will, wenn sie überhaupt heiratet, nur einen mittellosen Mann nehmen und stolz und arm dermaleinst in ihr kühles Grab sinken!«

Marks Augen folgten dem Blicke seiner Gönnerin und blieben auf der reizenden Erscheinung Honors haften, die mit glänzenden, lachenden Augen eben einen Streit zwischen zwei Partnern zu schlichten suchte und in diesem Moment weder stolz noch arm aussah.

Inzwischen nahm der Ball seinen glänzenden Fortgang. Die Neuankommenden hatten alle noch Tänzer und Tänzerinnen gefunden, die Erfrischungen waren tadellos, im Eise war weder zu viel Salz, noch in den Theetassen zu viel Zucker, die Außenplätze waren sehr geschätzt und gesucht und die Kapelle spielte gut.

Einer der Fremden, der zum Besuch seines Bruders nach Shirani gekommen war, hatte eben mit Honor Gordon getanzt und begann jetzt in der Ruhepause ein Gespräch.

»Der junge Jervis ist also jetzt hier,« sagte er, Mark, der ihm gegenüberstand, einen Gruß zunickend. »Sie wissen natürlich, daß er Millionär ist?«

»O, nein, das ist sein Cousin. Man nennt Hauptmann Waring hier nur den Millionär.«

»In der Rolle ist er auch in Simla aufgetreten, und wahrscheinlich wäre es ihm auch geglückt, eine Erbin zu kapern, wenn ich ihm nicht das Spiel verdorben hätte,« sagte der junge Mann voll Selbstzufriedenheit.

»Das haben Sie gethan! Und darf ich fragen, warum?« fragte Honor erstaunt.

»Warum? Nun, warum sollte ich denn einen Betrüger nicht entlarven?«

»Ich glaube, wir sprechen von ganz verschiedenen Personen,« lautete die verwunderte und etwas kühl gegebene Antwort.

»Ich glaube nicht, aber wir können später noch darüber reden. Jetzt lassen Sie uns deshalb diesen köstlichen Walzer nicht versäumen.«

In der folgenden Ruhepause nahm der junge Mann das Gespräch sofort wieder auf: »Waring besitzt keinen Heller eigenes Vermögen. Nur Schulden genug hat er. Er quittierte den Dienst, weil er vollständig ruiniert war, ruiniert durch seine eigene Thorheit.«

»Und der junge Jervis?«

»Ist der Millionär,« versetzte der Sprecher und fügte, als er das ungläubige Gesicht des jungen Mädchens bemerkte, erläuternd hinzu: »Was ich sage, ist die volle Wahrheit. Ich kam mit Jervis, der da drüben in der Nähe der Thür steht und mit dem jungen Mädchen in Rosa spricht, im Oktober vorigen Jahres aus England herüber. Er und Waring wollten eine Tour durch Indien machen, das heißt, Waring als sein Begleiter, oder wenn man so sagen soll, als eine Art vornehmer Kurier. Auf dem Schiffe war eine Menge gemeines Volk, das Jervis für einen zweiten Grafen Monte Christo hielt und sich ihm in der schamlosesten Weise aufdrängte. Er ist in der That der Adoptivsohn eines sehr reichen Mannes, Namens Pollitt, – Sie kennen wohl Pollitts Perlgraupen? – und wird einmal dessen ganzes ungeheures Vermögen erben. Aber der junge Mann liebt die Einfachheit, das Zurschautragen des Reichtums ist ihm verhaßt. Von den jungen Damen wurde er förmlich verfolgt. Sie gingen ihm nicht von der Seite und zwangen ihn, fast den ganzen Tag im Rauchzimmer zu bleiben, um sich ihrer zu erwehren. Man muß ja auch gestehen, daß er ein sehr hübscher Mensch ist, auf den das patentierte Geflügelfutter seines Adoptivvaters nicht im mindesten abgefärbt hat.«

Honor glaubte, zu träumen, ihr schwindelte, die Nachrichten, die sie da empfing, waren ja eine ganze Offenbarung!

»Ich bezweifle nicht, daß Sie im Ernste sprechen,« sagte sie endlich. »Aber wissen Sie wohl, daß die beiden Herren hier wochenlang miteinander gelebt haben, ohne daß wir eine Ahnung von dem Stande der Dinge hatten, wie Sie sie darstellen? Hauptmann Waring war der, welcher alles bestimmte und unternahm und das Geld mit vollen Händen ausstreute.«

»Darin war er immer Meister. Aber ich gebe Ihnen die Versicherung, daß es das Geld des jungen Jervis war, das er unter die Leute brachte. Jervis wollte Ruhe haben, wollte in Zurückgezogenheit leben, und so machten sie sich den Spaß, die Rollen zu vertauschen.«

»Wenn das, was Sie mir da sagen, wahr ist, woran ich nicht zweifle, so erlaubten sich die Herren einen sehr unfeinen Scherz,« entgegnete das junge Mädchen, in deren Gedächtnis allerlei unangenehme Erinnerungen auftauchten. »Wie konnte uns Jervis so täuschen!«

»Hat er denn je gesagt, daß er ein armer Mensch sei?«

»Nein,« gab sie nach einigem Besinnen zu. »Nein, gesagt hat er das nicht geradezu, aber er hat die Rolle des armen Verwandten gespielt, und das läuft auf dasselbe hinaus.«

»Da haben Sie wieder einmal erfahren, wie oft der Schein trügt, mein gnädiges Fräulein. Es scheint Ihnen übrigens ziemlich unangenehm, zu hören, daß Jervis ein reicher Mann ist.«

»Ja, es ist mir unangenehm,« versetzte sie mit unbeschreiblicher Würde.

»Damit stehen Sie wohl ziemlich einzig da! Was würden Sie erst gesagt haben, wenn er sich für reich ausgegeben und dann als armer Teufel entpuppt hätte?«

»Er hat uns alle zu Narren gehabt, und das war abscheulich von ihm. Und wenn er so reich ist, was fesselte ihn dann an Shirani? Er ist schon länger als zwei Monate hier, hat den Ort nicht auf einen Tag verlassen, und man glaubte allgemein, er sitze nur fest, weil es ihm an den Mitteln zu weiteren Reisen fehle. Was hat das alles zu bedeuten?«

»Ja, das Rätsel kann ich auch nicht lösen, glaube aber, daß vielleicht eine junge Dame in Shirani im Spiele ist. Vielleicht die in Rosa, mit der er eben tanzt.«


 << zurück weiter >>