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Siebenunddreißigstes Kapitel

»Ich hätte nicht erwartet, Sie je wiederzusehen!« rief Fernandez, als er mit einer Serviette über dem Arm und einer Lampe in der Hand dem jungen Manne entgegenkam, der mit etwas steifen Knieen von seinem Pony abstieg.

»Und warum nicht?« fragte Mark.

»Warum? Nun, weil Sie mich, wenn ich an Ihrer Stelle gewesen wäre, gewiß nicht wiedergesehen hätten. Aber Sie sind eine Ausnahme unter Tausenden,« fuhr er fort, indem er Jervis freundlich auf die Schulter klopfte.

»Keineswegs, ich halte nur Wort,« entgegnete der andre, der inzwischen die Treppe zur Veranda hinaufgestiegen war. »Aber wie geht es meinem Vater?«

»Vortrefflich, ich meine, was seinen Kopf anbetrifft. Er hat den ganzen Tag mit dem Fernrohre nach Ihnen ausgeschaut, dann wurde er müde und legte sich nieder, denn er meinte, Sie würden nun erst morgen früh eintreffen. Wie es hier mit ihm geworden wäre, wenn Sie ihn im Stiche gelassen hätten, weiß ich freilich nicht,« setzte der Sprecher hinzu, indem er mit dem Finger auf seine Stirn deutete.

Dann fiel Fernandez dem Sohne des Hauses gegenüber in die Rolle des aufmerksamen Wirtes, bat ihn, an dem Tische, der die Reste einer vorzüglichen Mahlzeit trug, Platz zu nehmen, nötigte ihn, zuzulangen, auch ein Glas Champagner zu trinken, und zeigte sich außerordentlich gesprächig und zutraulich. Der bleiche, müde aussehende Ankömmling schien indessen nur geringen Appetit zu haben und trug zu den Kosten der Unterhaltung wenig oder nichts bei. Endlich kam Cardozo auch auf seine verstorbene Cousine zu sprechen.

»Ja,« sagte er, »Mercedes war eine freigebige, gastfreie und auch gar nicht unschöne Frau. Wenn sie sich nicht durch eine dicke Auflage von Perlpuder entstellte, sah sie durchaus nicht häßlich aus; aber sie war ebenso toll und närrisch, wie ihre Mutter, und eifersüchtig wie der Teufel. Der arme Major hatte seine Not mit ihr. Er durfte mit keiner andern sprechen, wenn er nicht die schrecklichsten Scenen erleben wollte. Zuweilen kam es zu einem öffentlichen Skandal, zu Krampfanfällen bei Festlichkeiten, zum Ohrfeigen einer andern Dame und was dergleichen Scherze mehr waren, und ihr Gatte hatte sich oft vor seinen Kameraden zu schämen. Daneben trat sie aber höchst großartig auf, mietete in jeder Station den größten Bangalo, ließ ihn auswendig nach ihrem Geschmack, meist rot und weiß, tünchen, hielt offenes Haus, nie weniger als fünfzig Diener, fuhr mit Vieren, die der Major, der ein vortrefflicher Kutscher war, vom Bocke lenkte, und behängte sich über und über mit Diamanten. Diese Diamanten vermachte sie dann, nur zum Hohn und Spott, auf Lebenszeit dem Major, für den sie, da er nichts davon verkaufen darf, von keinerlei Nutzen sind. Ich dagegen habe nach seinem Tode das Recht, sie zu veräußern, und gedenke das auch nach und nach zu thun. Die meisten dieser Kostbarkeiten befinden sich im Gewahrsam der Bank von Kalkutta, einige aber, darunter mit Edelsteinen besetzte Pistolen und Betelbüchsen, goldene Streitäxte und dergleichen liegen auch hier in feuerfesten Schränken. Ferner befindet sich dabei ein Halsband von Rubinen und Smaragden mit Quasten von Perlen, das allein fünfzigtausend Rupien wert ist, sowie ein Stirnband, das mit riesigen Rubinen besetzt ist und von Ahmed, dem letzten eingeborenen Eroberer Indiens, herrührt.«

Fernandez gab die Beschreibung mit der ganzen Geläufigkeit seiner Zunge und unter lebhaften Gestikulationen seiner kleinen, fetten, aber schöngeformten und wohlgepflegten, mit kostbaren Ringen geschmückten Hände und wurde erst nach und nach gewahr, daß sein Zuhörer sehr zerstreut dreinschaute.

»Die Juwelen interessieren Sie, wie ich sehe, nicht besonders, und so will ich Ihnen lieber einiges über die pekuniären Verhältnisse Ihres Vaters mitteilen,« sagte er einlenkend. »Mercedes machte ihr letztes Testament in einer Anwandlung schlechter Laune, wie sie vorher schon ein Dutzend letztwilliger Verfügungen getroffen und wieder zurückgenommen hatte. Bei ihrem plötzlichen Ende blieb nun dies Testament, das mich zum Universalerben einsetzte, in Kraft. Vorläufig genieße ich demnach ein sehr reiches Einkommen, und nach dem Tode Ihres Vaters geht alles in meine Hände über. Er bezieht bis zu seinem Ableben oder seiner Wiederverheiratung eine jährliche Rente von tausend Pfund, eine Summe, die ihm aber nur zum kleinsten Teile zu gute kommt. Das meiste geht in die Hände der Blutsauger über, die sich an ihn gehängt haben. Hat er einen seiner bösen Anfälle, so unterschreibt er Anweisungen auf jede Summe, die man von ihm fordert. Gewissenlose Händler und Geschäftsleute schicken ihm Rechnungen über Waren, die sie nie geliefert haben, und verkaufen ihm Dinge, die er im Leben nicht braucht. So lagern zum Beispiel auf dem Hausboden vierhundert Militärsättel und neunhundert Paar lange Reitstiefel. Außerdem geht ein guter Teil des Einkommens in Hassans schmutzige Hände über.«

»Das dachte ich mir, aber diese Wirtschaft nimmt jetzt ein Ende.«

»Ferner ist da eine Kolonie von Aussätzigen, die fast ganz von dem Major erhalten wird.«

»Jedenfalls ist dies Geld besser angewendet, als wenn Hassan es einsteckt,« gab der junge Mann mit einem mechanischen Lächeln zur Antwort.

Cardozo schwieg eine Weile.

»Sie wissen, daß ich morgen fort muß; meine Frau erwartet mich,« sagte er dann.

»Sie sind verheiratet?« rief Jervis in höchstem Erstaunen.

»Ja, aber das geniert mich nicht. Ich verheiratete mich mit achtzehn Jahren, also im Stadium der schönsten Jugendduselei. Marie war damals schlank und leicht wie eine Binse, jetzt wiegt sie ihre sechzehn Stein, erfreut sich natürlich nicht der besten Gesundheit und verläßt, obwohl ich ihr Wagen und Pferde halte, selten das Haus, Wenn sie ihren Priester, ihren Doktor, ihren Kaffee und ihre Klatschbasen hat, die ihr alle Neuigkeiten zutragen, verlangt sie weiter nichts. Aus Kleidern, Schmuck, Festlichkeiten und Gesellschaften macht sie sich nicht viel, ist auch zu schwerfällig, um sich gern anzuziehen und auszugehen, während ich, der Lebemann, überall ein gern gesehener Gast bin, viele Freunde habe, oft kleine Reisen mache, Karten und Würfel nicht verachte, gut Billard spiele und ein leidenschaftlicher Tänzer bin. Ich weiß gutes Essen und schöne Frauen zu schätzen, und die schönen Frauen mögen auch mich gern!« Hier lehnte sich Fernandez selbstgefällig und mit überlegenem Lächeln in seinem Stuhle zurück. Nach kurzer Pause begann er dann wieder: »Ja, ich versichere Ihnen, ich bin ein großer Liebling der Frauen. Ich könnte Ihnen Briefe zeigen, könnte Ihnen Dinge erzählen,« hier streckte er seinen Arm aus und betrachtete ein daran befindliches dünnes goldenes Armband mit sichtlichem Vergnügen. »Sie tragen wohl so was nicht?« fragte er dann wohlgefällig.

»Nein, allerdings nicht!«

»Na ja, es ist nun einmal mein Grundsatz, das Leben zu genießen,« fuhr der andre fort. »Sie brauchen deshalb nicht uneben von mir zu denken. Ich werde Marie, so lange sie lebt, gut halten; aber wenn sie mal stirbt, werde ich wieder heiraten, wahrscheinlich ein ganz junges Mädchen.«

Mark nahm diese Mitteilung, da er nicht um seine Ansicht befragt wurde, schweigend entgegen.

»Ja, ich genieße das Leben! Aber Sie, was wollen Sie hier anfangen? Nein, warten Sie,« fügte er mit einer dramatischen Gebärde hinzu, »ich werde Ihnen gleich selbst die Antwort geben. Sie werden entweder zum Glase greifen, oder das thun,« dabei fuhr er mit dem Zeigefinger über seine Kehle, »müßige Hände geben dem Teufel immer Gelegenheit, Unheil anzurichten.«

»Aber meine Hände werden nicht müßig sein,« entgegnete Mark entschlossen. »Ich habe hier große Reformen vor und werde Hassan nebst Familie und Anhängerschaft fortschicken.«

»Na, da will ich Ihnen Glück wünschen. Der Mensch hat hier einmal Wurzel geschlagen; den und seine Vetterschaft, die sich hier überall eingenistet hat, bringen Sie nicht fort. Ich wette fünfzig Rupien gegen zwanzig, daß, wenn ich in zwei Monaten wiederkomme, hier noch alles beim alten ist. Ich werde Freund Hassan und seine Familie, alle alten Weiber, Kinder, Hühner und Gänse noch genau an derselben Stelle finden.«

Jervis schüttelte den Kopf. Ihm war nicht nach Wetten und Scherzen zu Mute.

»Nun wollen wir aber zu Bett gehen,« fuhr Cardozo gähnend fort. »Ich muß morgen früh aufbrechen. Gute Nacht!« Dabei winkte er dem jungen Manne mit der reich beringten Hand ein Lebewohl zu und schob sich aus dem Zimmer.

*

Zum Glück war Mark Jervis aus härterem Stoff geformt, als der fette, genußsüchtige Fernandez, und so gelang es ihm, nach allerdings hartem Kampfe, seine Pläne durchzusetzen. Als er Hassan in kurzen Worten die Mitteilung machte, daß man seiner Dienste hier nicht mehr bedürfe, machte dieser anfänglich ein Gesicht, als könne er seinen Ohren nicht trauen, schlug dann die Arme übereinander und sagte trotzig: »Sie sind nicht mein Herr, Sie haben mir nichts zu befehlen.«

»Ich bin jetzt dein Herr. Du hast dich hier sehr gut gestanden und hast dich nicht gescheut, die Gelegenheit zu benutzen; aber deine Zeit ist um, und du wirst morgen mit allem, was zu dir gehört, deiner Wege gehen!«

Hassan schäumte vor Wut, fluchte und schwur, Rache zu nehmen, konnte aber nicht hindern, daß, als Marks Dienerschaft von Shirani eintraf, der große Umsturz begann. Er und die zahlreichen Glieder seiner Familie hatten das Feld zu räumen, und das neue Regiment trat in Thätigkeit. Das Haus wurde gründlich gereinigt, man ließ Sonne und Luft in die staubigen, modrigen Gemächer, und das, was dabei zu Tage kam, bereitete Mark manche Ueberraschung. Da lagen und standen Dinge aus den verschiedensten Gegenden des Landes: Handahs (Sitzkasten, die, besonders zum Gebrauch reisender Damen, auf den Rücken der Elefanten befestigt werden und für mehrere Personen Platz bieten), silbernes Pferdegeschirr, rostige Schwerter, Speere, Heiligenbilder, Weihwasserbecken, Kruzifixe, Hüte, Betelnußbüchsen, Hukas, genug, es war eine Zusammenhäufung von Gegenständen, die eine Reihe echt indischer »Posha-Khanas« (Garderobenzimmer), Bethäuser und Trödelläden gefüllt haben würden.

Staub, Schmutz und Spinnweben wurden ausgefegt, Ziegen, Zicklein und Federvieh hinausgejagt, Hauswäsche, Glas, Porzellan und Teppiche ergänzt und an die gehörigen Plätze gebracht, die Wände gereinigt, die Fenster gewaschen, Gestrüpp niedergehauen, und nach verhältnismäßig kurzer Zeit war Pela-Kothi in ein, wenn auch nicht elegantes, so doch reinliches und wohnliches Haus verwandelt. Die Mahlzeiten waren gut bereitet und wurden durch schneeweiß gekleidete Diener aufgetragen; auf dem Tische standen stets Blumen und Früchte. Eine tägliche Postverbindung war eingerichtet, man empfing Bücher, Tagesblätter und Zeitschriften, und für den Major war ein zuverlässiges Gebirgspony angeschafft worden, das er freilich nicht viel benutzte; denn er zog es noch immer vor, am Arme seines Sohnes hundertmal die Terrasse entlang zu wandeln, wobei er jede vollendete Tour durch eine Bohne bezeichnete; aber im ganzen war er jetzt doch ein andrer Mensch. Der frühere Stumpfsinn war von ihm gewichen; er zeigte Teilnahme für die Ereignisse des Tages, den Garten und vor allem seine Pensionäre, die Aussätzigen.

Der junge Reformator, dem alle diese Veränderungen zu verdanken waren, hatte hart gearbeitet und arbeitete noch immer vom Morgen bis zum Abend. Er fühlte, daß die ununterbrochene Thätigkeit seine einzige Rettung sei, daß er sich keine Zeit lassen dürfe, an andres zu denken. Gegen Abend, wenn die Arbeit des Tages gethan war, lief oder ritt er hinaus in die Berge und kehrte nicht eher heim, bis er todmüde und sicher war, die ganze Nacht zu schlafen wie ein Toter, und vor allen Dingen nicht von Träumen, die er am meisten fürchtete, heimgesucht zu werden.


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