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Fräulein Hayes mußte eines Nachmittags einen Bandkasten herbeiholen, um eine Dame zu bedienen. Als sie damit zurückkam und ihn auf den Ladentisch setzte, sah sie, daß mittlerweile zwei andre Käuferinnen gekommen waren, die sich Spitzenfächer zeigen ließen und wovon eine – Kathleen Hesketh war. Ihr Blick streifte zufällig das »Ladenfräulein«, dann sah sie noch einmal aufmerksamer nach ihr hin und rief mit gedämpfter Stimme: »Frau Goring! Peggy!«
Peggy war kreideweiß geworden, verzog aber keine Miene und erledigte ihr Geschäft tadellos. Frau Hesketh hatte mittlerweile auch ihre Wahl getroffen, beugte sich über den Tisch und flüsterte ihr zu: »Ich muß Sie ein paar Minuten allein sprechen.«
Peggy gab ihre Willigkeit durch ein Senken der Augenlider zu erkennen.
Jetzt wandte sich Frau Hesketh zu der Dame, mit der sie gekommen war, und sagte: »Ich will in die Glas- und Porzellanabteilung hinauf, bitte, besorgen Sie einstweilen das Uebrige. Die junge Dame zeigt mir wohl den Weg?«
In einem durch Wasserkrüge und Waschschüsseln eingeengten Durchgang des zweiten Stocks blieb sie stehen.
»Und nun sagen Sie mir ums Himmels willen, wie Sie hierherkommen, Frau Goring?«
»Ich habe Ihnen ja geschrieben, daß ich mein Brot verdiene.«
»Heraus mit der Sprache! Ich weiß, daß Hauptmann Goring den Abschied bekommen hat – sind Sie geschieden?«
»Ich war ja gar nie seine Frau!«
» Was?« Frau Hesketh erschrak derart, daß sich die Waschgeschirre in Lebensgefahr befanden.
»Ich hatte ja keine Ahnung, daß er schon eine Frau hatte, und er selbst glaubte sie tot – eine Lokomotivführerstochter, die er in Indien geheiratet hatte. Sie lebte aber noch, und er teilte mir das zugleich mit seinem Bankerott mit.«
Frau Hesketh fand keine Worte; sie mußte nach Atem ringen.
»Ihm war's ja willkommen, daß die Andre lebte,« fuhr Peggy mit zitternder Stimme fort, »denn er war meiner sehr überdrüssig. Anfangs glaubte ich sterben zu müssen vor Scham, aber jetzt – ach, es wird Sie entsetzen! – bin ich meiner Freiheit so froh, so dankbar dafür!«
»Und er erbot sich nicht, für Sie zu sorgen?«
»Doch, er wollte mir zehn Schilling die Woche geben und ich sollte zum Theater gehen, aber ich verließ noch am selben Tag sein Haus. Eine Kindheitsfreundin von mir ist in diesem Geschäft – ein wenig Geld hatte ich noch und jetzt bringe ich mich ganz gut durch.«
»Und nur ein einziges Mal haben Sie mir geschrieben und ohne eine Adresse anzugeben. – O Peggy, ist das Freundschaft?«
»Es ist so am besten, meine liebe, liebe Frau Hesketh. Unsre Lebenswege liegen und führen zu weit auseinander.«
»Und soll das der Ihrige sein?« fragte Frau Hesketh auf das Getriebe deutend, indem sie der jungen Frau, die ihre leuchtenden Farben wiedergewonnen hatte, fest ins Gesicht sah.
»Ja, und ich kann Ihnen nur sagen, er ist besser als der frühere. Solang ich meinen Gatten in ihm sah, waren meine Lippen natürlich versiegelt, aber Sie wissen nicht, wie ich gelitten habe unter seiner Gleichgültigkeit, unter dem Elend der Geldnot, unter der Schande und dem Bewußtsein, daß er mich verachtete und ich« – sie dämpfte ihre Stimme noch mehr – »mich seiner zu schämen hatte.«
»Gewiß hat er sich die Geschichte mit der ersten Frau rein aus den Fingern gesogen. Ich bin ganz fest überzeugt, sie ist nur ein Phantasiegebilde.«
»O bitte, bitte, sagen Sie das nicht. Ich hoffe von Herzen, daß er das nicht gethan hat. Frau Hesketh, Sie müssen diese Begegnung vergessen – ich bin keine passende Bekanntschaft für Sie.«
»Reden Sie keinen Unsinn, Peggy! Als ob ich Sie je vergessen könnte! Wie seltsam, daß ich Sie treffen mußte. Wir waren fünf Minuten vorher noch unentschlossen, ob wir unsre Einkäufe nicht bei Smarter machen sollten – so etwas ist kein Zufall! Ich wohne augenblicklich bei den Eltern meines Mannes, um in zehn Tagen nach Indien abzugehen.«
»Ich lasse Sie nicht gehen, ehe Sie mir eins versprochen, mir Ihr Ehrenwort darauf gegeben haben ...«
»Und das wäre?«
»Daß Sie keiner Menschenseele je sagen, daß, wie und wo Sie mich entdeckt haben. Es ist ja eine kleine Bitte, aber die müssen Sie mir erfüllen.«
Die schönen, sprechenden Augen sahen Kathleen innig flehend an.
»Aber, mein liebes Kind, meinem Mann sag' ich's doch ganz gewiß, und daß es eine bescheidene Forderung von Ihnen wäre, könnte ich nicht behaupten.«
»Doch, doch! Niemand braucht zu wissen, wo ich bin – Freunde habe ich ja nicht.«
»Und die Vallancys und mein Vetter Kinloch?«
»Er gerade soll's nicht erfahren, das wäre mir schrecklich.«
»Das Regiment steht in Bogalpore. Von dort werde ich Ihnen schreiben, doch, müssen Sie mir auch antworten!«
»Gewiß, wenn Sie mir versprechen, mein Geheimnis zu wahren. O, Frau Hesketh, von allem, was Sie mir Liebes erwiesen haben, wird mir dies das Liebste sein! Ich möchte, daß alle in Ihrem Lebenskreis mich für tot halten, und jene Peggy ist ja auch tot.«
»Wirklich? Die Lebende sieht ihr aber außerordentlich ähnlich, und jetzt« – Frau Hesketh nestelte eilig eine kleine Türkisennadel von ihrem Kleid los – »nehmen Sie dies zum Abschied und tragen Sie's als eine Art Bundeszeichen zwischen uns. Vielleicht kann ich Ihnen doch nützlich sein, jedenfalls will ich nicht, daß Sie hier bleiben.«
»Es ist doch eine Zufluchtsstätte, die mich der Nahrungssorgen enthebt. Aber nun hab' ich die ganze Zeit von mir gesprochen, ohne nach Hans und Robert zu fragen. Abscheulich!«
»Die Jungen sind jetzt bei meinem Onkel, zehn Meilen von hier. Natürlich muß ich sie in England lassen, wenn mir das Herz auch noch so weh thut; das ist das Schlimmste an Indien! Von Goring haben Sie wohl nichts mehr gehört?«
»Nein,« sagte Peggy mit Widerstreben.
»Er verduftete in einer Wolke von Schulden nach Amerika.«
»Fräulein Hayes, bedienen Sie die Dame?« fragte da plötzlich eine harte Stimme.
Beide schreckten zusammen; Sharples, der Gefürchtetste unter den Ladenaufsehern, stand vor ihnen.
»Ich wünsche Waschgeschirre ...« stammelte Frau Hesketh, »das heißt ... ein Kaffeeservice.«
»Hier, bitte, gnädige Frau – diese Seite.«
»Leben Sie wohl, Liebste. Halten Sie den Kopf hoch und schreiben Sie mir oft – Bogalpore, Nordwestprovinzen.« Und sie küßte Peggy wieder und wieder, was Herr Sharples mit Staunen und – Neid mit ansehen mußte.
Als Fräulein Hayes auf ihren Posten und zu der wohlverdienten Strafpredigt zurückkehrte, bemerkte man, daß sie Thränen in den Augen hatte und eine wertvolle Türkisennadel trug, die bisher niemand an ihr gesehen hatte. Die ganze Blumenabteilung steckte die Köpfe zusammen, um über diesen Vorfall, der so entzückend geheimnisvoll war, zu tuscheln und zu wispern. Die Dame, die den weißen Spitzenfächer gekauft hatte, sollte Fräulein Hayes als » Frau Irgendwie« angeredet haben.