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Entlasset uns, Sir Thurio, eine Weile;
Wir haben ein Geheimniß zu verhandeln.
Die beiden Veroneser.
So endete die oben erzählte Scene des Aufruhrs und der Entartung auf dem Dock Square; ganz anders dagegen standen die Sachen unter dem Dache eines stolzen Gebäudes in einer benachbarten Straße. Wie gewöhnlich zu dieser Stunde der Nacht, erglänzten, gleichsam zum Spott über die nackte Düsterheit der nahen Kirche, die Fenster des Provinzhauses von zahlreichen Lichtern, und jeder Zugang zu diesem privilegirten Sitze des Stellvertreters der Krone war streng von Bewaffneten bewacht. In diese begünstigte Wohnung müssen wir nun die Scene verlegen, um den Faden unserer anspruchlosen Erzählung zu verfolgen.
Bediente in reichen militärischen Livreen sah man mit der Hast, wie sie bei einem Bankette gewöhnlich ist, von Zimmer zu Zimmer rennen; einige trugen Flaschen des edelsten Weins in das Gemach, wo Howe die Führer der königlichen Armee bewirthete, andere trugen die Ueberbleibsel eines Festmahls zurück, das, obwohl kostbar aufgetischt, dennoch den Mangel der Zeiten hatte fühlen lassen und mehr für das Auge als für den Appetit der Gäste berechnet war. Müßige Zuschauer schlenderten in dem losen Negligee ihres militärischen Standes in den Hallen umher, und mancher ernste Wink, mancher verlangende Blick folgte den würzigen Gerüchen, so wie die niederen Diener die abgetragenen Speisen empfingen und in die verborgneren Zimmer des Hauses beförderten. Trotz des munteren Lebens und der allgemeinen Rührigkeit geschah dennoch jede Bewegung in schweigsamer Regelmäßigkeit und das Ganze der lebendigen Scene bot das freundliche Bild schöner, übereinstimmender Ordnung.
Innerhalb der Wände des Zimmers, auf welches als den Mittelpunkt die Augen aller Zuschauer gerichtet schienen, um jeden, auch den leisesten Wunsch Derer, welche dort tafelten, im Voraus zu ahnen, war Alles glänzend und heiter. Der Heerd kannte keinen Mangel an Holz; die gröbere Zimmermannsarbeit des Bodens war unter reichen, großen Fußteppichen versteckt, während die Fenster vor den herabfließenden Falten der Vorhänge von beblümtem Damast kaum zu sehen waren. Jedes Ding hatte einen Anstrich ausgesuchten Comforts und dabei einer Art sorgloser Eleganz. Selbst die kleinsten Stücke des Hausgeräths waren aus jenem entfernten Lande herbeigeschafft worden, welches damals als der alleinige Sammelplatz der Kunst in Handarbeiten angesehen wurde und mit dessen Luxus selbst Männer, welche in Augenblicken der Entscheidung sich selbst nicht beachteten, in den Stunden der Ruhe gleichwohl die verschwenderischsten Liebhabereien trieben.
In der Mitte dieses heiteren Gemachs breitete sich die gastliche Tafel des Hauswirths aus. Sie war mit Männern von hohem, militärischem Range besetzt; hin und wieder waren wohl auch einzelne Gäste in schlichterer Kleidung zu sehen, deren trübe Miene einige jener irregeleiteten Kolonisten in ihnen erkennen ließ, deren Vertrauen in die unwiderstehliche Macht der Krone bereits zu wanken anfing. Der Stellvertreter des Königs behauptete seinen gewohnten Platz beim Banket; sein dunkles Gesicht drückte die Herzlichkeit eines soldatischen Willkomms aus, wenn er von Zeit zu Zeit unter einer überreichen Sammlung von Weinen, welche die ausgesuchtesten Getränke Europa's in sich schloß, auf diesen oder jenen Liebling aufmerksam machte.
»Für Leute, welche an der Tafel eines brittischen Generals speisen, haben Sie heute eine schlechte Bewirthung gefunden, meine Herrn,« rief der General; »doch bei alle Dem ist sie so, daß ein brittischer Soldat in dem Dienste seines Herrn dabei fett zu werden vermag. Füllt, Gentlemen, füllt die rechten Humpen: denn wir haben bis jetzt unserer Huldigung vergessen.«
Jedes Glas stand funkelnd bis zum Rande gefüllt, worauf nach kurzer, feierlicher Pause der Wirth die magischen Worte sprach – ›Der König‹. – Jede Stimme wiedertönte diesen Namen, und diesem Rufe folgte buchstäblich eine athemlose Pause, welche zuerst durch einen alten Herrn in der Uniform eines Offiziers der Flotte unterbrochen wurde, der, nachdem er zuerst seine Ergebenheit dadurch bewiesen, daß er sein umgekehrtes Glas hoch empor hob, mit herzlichem Tone die Worte: ›Gott segne ihn!‹ hinzufügte.
»Gott segne ihn!« wiederholte der anmuthsvolle Führer, der schon mehr als einmal auf diesen Blättern genannt wurde; »und schenke ihm eine lange und glorreiche Regierung! und – wenn kein Verrath in dem Wunsche liegt – ein Grab gleich Ihnen, würdiger Admiral – Sepulcrum sine sordibus extrue.›Ein Grab ohne Schmach.‹ Sordibus (von sordes) bedeutet übrigens wörtlich ›Schmutz‹ und sollte wohl eine Anspielung auf die nachlässige Toilette des alten Seeoffiziers seyn. Anm. d. Uebers.
»Gleich mir!« wiederholte der plumpe Seemann, dessen Gelehrsamkeit durch langen und harten Dienst etwas gelitten hatte – »Ich bin freilich keiner von Eurem Kabinetsadel; aber Seine Majestät dürfte wohl noch tiefer herabsteigen, als Sie thun würde, wenn Sie einen treuen Diener wie mich mit Ihrer gnädigen Gegenwart beehrte.«
»Verzeihen Sie, Sir; ich hätte beifügen sollen: permissum arbitrio.«›Mit gütiger Erlaubniß‹ Anm. d. Uebers.
Die ZweideutigkeitDer Admiral hieß nämlich Graves (Grab). Anm. d. Uebers. hatte kaum ein Lächeln hervorgebracht, als die ernste Miene des kommandirenden Generals andeutete, daß der Gegenstand für einen Scherz zu ernst sey. Auch schien dem Flottenführer die unbekannte Sprache nicht zu behagen, denn ebenso sehr, wenn nicht ein wenig mehr, durch die Freiheit beleidigt, die man sich mit seinem Namen erlaubt hatte, und noch dazu durch die Worte gereizt, welche einer über die geheiligte Person des Königs fallen zu lassen gewagt hatte, antwortete er etwas beißend:
»Erlaubt oder nicht erlaubt, ich kommandire Seiner Majestät Flotte in diesen Gewässern, und es soll als ein fröhlicher Tag in unseren Logbüchern aufgezeichnet werden, wenn ihr Herrn von der Armee uns wieder unserem Dienst auf hoher See überlassen werdet. Ein Seemann bekommt das Nichtsthun eben so satt, als dem Soldaten nur immer die Arbeit entleiden kann und ich liebe ›Ellbogenraum‹›Ellbogenraum‹ war der Spitzname, welchen die Amerikaner dem General Bourgoyne gegeben hatten, und eben deßhalb die Anspielung des Admirals nicht eben eine feine. selbst in meinem Sarge; – ha, ha, ha! – was haltet Ihr davon, Meister Witzbold? – ha, ha, ha! – was sagt Ihr nun darüber?«
»Ganz in der Ordnung, wohl verdient und gehörig scharf, Admiral,« erwiederte sein Gegner ruhig, ohne seinen Aerger im Mindesten blicken zu lassen, und lächelte mit vollkommener Selbstbeherrschung zu ihm hinüber, während er behaglich seinen Wein schlürfte. »Aber da Sie Beengung und Muße so lästig finden, möchte ich Ihnen fast einen Rath geben – fassen Sie einmal einige jener unverschämten Yankees, welche so oft in den Hafen sehen und uns nicht allein unserer Vorräthe berauben, sondern auch so viele königlich gesinnte Augen durch ihre verräterische Gegenwart beleidigen.«
»Ich befehle, zum Waffenstillstand zu schlagen,« fiel der General en Chef ein, »und alle ferneren Feindseligkeiten ruhen zu lassen. Wo Alle ihre Pflicht gethan haben und so wohl gethan haben, da muß sogar der Witz ihr Benehmen respektiren. Hören Sie meinen Rath, Mr. Graves, und sondiren Sie einmal den Inhalt jener staubigen Flasche dort drüben; ich denke, Sie werden den Ort als einen guten Ankerplatz für die Nacht anerkennen.«
Der ehrliche alte Seemann ertränkte alsbald seinen Aerger in einem Glas von dem edlen Wein; wirklich schien er ihm zu munden, denn dem ersten Zuge folgte augenblicklich ein zweiter und dritter, und jedesmal mit den Lippen schmatzend, rief er endlich:
»O! Sie sitzen viel zu fest an einem Ort, um die Seele Ihrer Getränke so recht aufrütteln zu können. Der Wein sollte nie auf seinem Lager ruhen, bis er vorher einige Monate tüchtig auf der See herumgeworfen worden; dann allerdings dürft ihr ihn schlafen legen und euch selbst auch daneben, wenn ihr ein festes Schläfchen liebt.«
»Ein eben so orthodoxer Rath, den Wein zu zeitigen, als je ein Bischof seinem Kellermeister einen gegeben!« rief sein Widerpart. Ein zweiter bedeutungsvoller Blick seines finster schauenden Oberen hemmte abermals seine muthwillige Scherzhaftigkeit, worauf Howe das Stillschweigen benützte und mit der offenen Miene eines freigebigen Wirths bemerkte:
»Da Bewegung uns gerade jetzt versagt ist, so kann ich als einziges Mittel, um zu verhindern, daß mein Wein auf seiner Hefe nicht einschlafe, nur den einen Rath geben – ihn wacker zu trinken.«
»Ueberdem sind wir von einem Besuche Mr. Washington's und seiner durstigen Begleiter bedroht, die uns wohl jeder weiteren Mühe in der Sache überheben würden, wenn wir selbst uns nicht eifrig zeigen. In einem solchen Dilemma wird Mr. Graves nicht zaudern, mir mit einem Glase Bescheid zu thun, und wär's auch nur, um den Rebellen einen Streich zu spielen!« setzte Bourgoyne mit einer höflichen Verbeugung gegen den halbbeleidigten Seemann hinzu.
»Ja, ja, ich würde noch viel Unangenehmeres thun, um den Schurken ihren Raub abzujagen,« antwortete der besänftigte Admiral und nickte gutmüthig mit dem Kopfe, ehe er seinen Tummler hinunterstürzte. – »Wenn irgend einmal wirkliche Gefahr einträte, daß solch ein flüchtiger Ambra wie dieser verloren gehen könnte, so wäre es wohl am Besten, ihn an den Bord meines Schiffes zu schicken: ich wollte ihn einhissen und ihm ein Nest auffinden, und müßte ich meine eigene Kajüte mit ihm theilen. Ich denke, ich befehlige eine Feste, welche weder Yankee noch Franzose und eben so wenig ein Don zu belagern lüstern seyn wird.«
Die Offiziere rund um ihn zeigten außerordentlich ernste Mienen und wechselten höchst bedeutungsvolle Blicke; doch blieben alle still, als wäre der gemeinsame Gegenstand ihrer Betrachtungen zu zart, um laut in solcher Gegenwart ausgesprochen zu werden. Zuletzt bemerkte der Zweite im Kommando, der noch immer die Kälte seines Oberen fühlte, und während des gleichgültigen Gesprächs bis jetzt geschwiegen hatte, – mit dem Ernst und dem Rückhalte eines Mannes, der eines Willkomms nicht gewiß ist –:
»Unsere Feinde werden kühner, je weiter die Jahreszeit vorrückt, und es ist kein Zweifel, daß sie uns im kommenden Sommer gehörige Beschäftigung geben werden. Man kann nicht läugnen, daß sie in allen ihren Scharmützeln, besonders bei diesem letzten auf der Wasserseite, große Standhaftigkeit zeigten, und ich bin nicht ohne Besorgniß, daß sie nicht gar am Ende auf die Inseln losgehen und die Lage der Flotte gefährlich machen könnten.«
»Auf die Inseln losgehen! die Flotte von ihrem Ankerplatze vertreiben!« rief der alte Seemann mit unverstelltem Erstaunen. »Ich werde es einen glücklichen Tag für England nennen, wenn Washington mit seinem Gesindel sich einmal auf Schußweite zu uns heranwagt!«
»Gott schenke uns gegen die Schurken einen ehrlichen Kampf mit dem Bajonet und in offenem Feld,« rief Howe, »und mache diesen Winterquartieren ein Ende! Ich sage Winterquartiere, denn ich hoffe, Keiner der Herren wird behaupten, diese Armee werde durch einen Haufen von bewaffneten Bauern belagert! Wir halten die Stadt und sie das Land; aber wann die rechte Zeit kommen wird – Nun, Sir, was beliebt?« fuhr er, sich selbst unterbrechend fort, indem er zu einem seiner höheren Diener neben ihm sich wandte.
Der Mann, der seit länger als einer Minute in der Stellung ehrerbietiger Aufmerksamkeit dagestanden und sich dem Blicke seines Herrn bemerkbar zu machen gesucht hatte, murmelte seine Botschaft mit leiser, eiliger Stimme, als ob er von Anderen nicht gehört zu werden wünschte und sich zugleich der Unschicklichkeit des Wisperns bewußt wäre. Die Meisten aus der nächsten Umgebung drehten in höflicher Gleichgültigkeit die Köpfe weg; der alte Seemann aber, der zu nahe saß, um gänzlich taub zu seyn, hatte die Worte ›eine Dame‹ aufgeschnappt, und dieß war für ihn völlig genug, um jetzt, nachdem er sich so frei der Flasche hingegeben hatte, seiner ganzen Fröhlichkeit den Lauf zu lassen. Herzhaft mit der Hand auf den Tisch schlagend, rief er mit einer Freiheit, die kein Anderer sich hätte herausnehmen dürfen:
»Ein Segel, ein Segel! Beim heiligen Georg, ein Segel! Unter welcher Flagge, Freund? vom König oder den Rebellen? Hier ist ein Versehen in der Sache, und die Strafe bleibt nicht aus! Entweder ist der Koch zu spät daran oder die Dame kommt zu früh! ha, ha, ha! – O, ihr seyd arge Lebemänner, ihr Herren in der Armee!«
Die steife alte Theerjacke freute sich unmäßig über ihren Witz und lachte aus vollem Halse in der Freude über diese Entdeckung. Er genoß übrigens seine Fröhlichkeit allein, denn keiner der Herren wagte es, seine Anspielungen zu verstehen, und nur verstohlene Blicke voll ungewöhnlicher Schlauheit wurden hier und da gewechselt. Howe biß sich im offenbaren Aerger in die Lippen und gab dem Sprechenden den strengen Befehl, seinen Auftrag mit lauterer Stimme zu wiederholen.
»Eine Dame, Sir,« sagte der zitternde Diener, »wünscht Euer Excellenz zu sprechen, und erwartet Ihre Befehle in der Bibliothek.«
»Unter seinen Büchern auch noch!« schrie der Admiral – »das würde besser für Sie passen, mein scherzhafter Freund! Ei, junger Mann, ist das Mädchen jung und hübsch?«
»Nach ihrem leichten Schritte zu urtheilen, sollte ich sie für jung halten, Sir, doch ihr Gesicht war unter einem Hut versteckt.«
»Ha! ha! die Person kommt mit dem Hut in des Königs Haus! Verdammt auch, Howe, aber Bescheidenheit ist eine rare Tugend unter euch Herrn am Land geworden!«
»Das ist offenbar ein Fall gegen Sie, Sir; denn selbst der Diener, wie Sie finden, hat entdeckt, daß sie von leichtem Kaliber ist,« sagte der lächelnde Bourgoyne, indem er halb und halb eine Bewegung zum Aufstehen machte. »Es ist wahrscheinlich Jemand, der um Unterstützung oder um die Erlaubniß bittet, den Platz zu verlassen. Gestatten Sie mir, sie zu sehen und ersparen Sie sich die Mühe einer abschlägigen Antwort.«
»Nicht im Mindesten,« erwiederte Howe und stand mit einer Schnelligkeit auf, welche der bedächtigeren Bewegung des Andern zuvorkam – »Ich wäre des Zutrauens, das ich besitze, unwerth, wenn ich nicht gelegentlich einer Bitte Gehör schenken könnte. Da es eine Dame betrifft, Gentlemen, so darf ich wohl um Ihre Nachsicht bitten. Admiral, ich empfehle Sie meinem Mundschenk, der ein tüchtiger Bursche ist, und Ihnen alle Kreuzzüge erzählen kann, welche die Flasche vor Ihnen bestanden hat, seit sie die Insel Madera verließ.«
Er verbeugte sich gegen seine Gäste und verließ das Zimmer mit eiligem Schritte, ohne sich weiter um Förmlichkeiten zu kümmern. Während er durch die Halle hineilte, vernahm sein Ohr den zweiten Ausbruch des herzlichen Gelächters, welches der alte Seemann nicht zurückhalten konnte, der sich aber immer noch allein in seiner Laune vergnügte, da die Uebrigen von der Gesellschaft mit wohlanständigem Schweigen zu anderen Gegenständen übergingen. Als Howe in das schon bezeichnete Zimmer trat, fand er sich vor einer Dame, die trotz dem Anschein allgemeiner Gleichgültigkeit, in diesem Augenblicke die Gedanken und den Scharfsinn Aller Derer beschäftigte, welche er hinter sich gelassen hatte. Mit der Leichtigkeit und der Ungezwungenheit eines Soldaten, der keinen Oberen über sich fühlt, bis in die Mitte des Zimmers vortretend, fragte er mit etwas zweideutiger Höflichkeit:
»Welchem Umstand verdanke ich die Ehre dieses Besuchs? und warum hat eine Dame, deren Aeußeres mir zeigt, daß sie zu jeder Zeit über Freunde gebieten kann, sich selbst diese Mühe genommen?«
»Weil ich um eine Gnade bitte, die einer solchen, welche kalt bittet, vielleicht abgeschlagen würde,« antwortete eine sanfte, zitternde Stimme, tief unter der Verhüllung eines seidenen Kalashes. »Da mir die Zeit gebricht, die gewöhnlichen Formen bei Gesuchen zu beobachten, so habe ich gewagt, in Person zu kommen, um jeden Aufschub zu vermeiden.«
»Und gewiß kann Jemand, wie Sie, wenig Ursache haben, eine Weigerung zu fürchten,« sagte Howe, mit einem Versuche von Galanterie, welche für jenen Anderen, der sich ihm als Stellvertreter angeboten hatte, wohl etwas besser gepaßt haben würde. Indem er sprach, ging er der Dame einen Schritt näher und, auf ihren Hut deutend, fuhr er fort: »Würde es nicht wohl gethan seyn, Ihr Gesuch durch den Anblick eines Gesichtes zu unterstützen, das gewiß besser als alle Worte sprechen kann? – wen habe ich die Ehre zu empfangen? und worin mag wohl Ihr Anliegen bestehen?«
»Sie sehen eine Frau vor sich, Herr General, die ihren Gemahl sucht,« antwortete die Dame, und schlug die Falten ihres Kalashes zurück – seine starren Augen ruhten auf Cäcilien's reinem Antlitz. Die plötzliche Enthüllung ihres Charakters war den Lippen der schüchternen Braut durch die ihr ungewohnte Kühnheit in dem Blicke des Andern abgenöthigt worden; sobald sie aber gesprochen hatte, schlug sie die Augen verwirrt zu Boden und stand da, tief erröthend über die Stärke ihrer eigenen Sprache, obwohl sie anscheinend die Ruhe und Würde weiblichen Stolzes behauptete. Der englische General betrachtete ihre Schönheit einen Augenblick mit freudigem, obwohl zweifelndem Blick, ehe er fortfuhr:
»Ist Der, den Sie suchen, inner- oder außerhalb der Stadt?«
»Ich fürchte sehr, außerhalb.«
»Und Sie wollten ihm in's Lager der Rebellen folgen? Das ist ein Fall, der wohl einige Ueberlegung fordert. Ich weiß zwar gewiß, ich rede mit einer Dame von großer Schönheit; darf ich auch wissen, wie ich sie anreden darf?«
»Ich kann keine Ursache haben, wegen meines Namens zu erröthen,« antwortete Cäcilie – »er gehört unter die Namen der Edlen in dem Lande unserer gemeinsamen Vorfahren und ist wohl auch bis zu Mr. Howe's Ohren gedrungen – ich bin die Tochter des verstorbenen Obrist Dynevor!«
»Die Nichte von Lord Cardonnel!« rief ihr Zuhörer erstaunt und vertauschte augenblicklich die zweideutige Ungezwungenheit seines Benehmens gegen eine Miene tiefer Achtung. – »Ich habe schon lange gewußt, daß Boston eine solche Dame beherberge; auch erinnere ich mich wohl, daß man sich über dieselbe beklagte, weil sie sich, gleich den Hartnäckigsten unserer Feinde, den Aufmerksamkeiten der Armee entzieht, während doch Jeder unter den Herrn, von mir selbst abwärts bis zum untersten Fähnrich, sich glücklich schätzen würde, ihr solche erweisen zu dürfen. – Haben Sie die Güte, Platz zu nehmen.«
Cäcilie machte eine dankende Verbeugung, indem sie gleichwohl stehen blieb.
»Ich habe weder Zeit noch Lust, mich selbst gegen eine solche Anklage zu vertheidigen,« antwortete sie – »obwohl, wenn mein eigener Name sich nicht als einen Schlüssel zu Ihrer Gunst erweisen sollte, ich zum Besten Dessen, den ich suche, darauf Anspruch machen müßte.«
»Und wäre er auch der schlimmste Rebell in Washington's Heer – er hat viele Ursache, auf sein Glück stolz zu seyn!«
»Weit entfernt, zu den Feinden des Königs zu gehören, hat er sogar schon sein Blut im Dienste der Krone vergossen,« erwiederte Cäcilie und zog unwillkührlich den Kalash wieder mit mädchenhafter Verschämtheit herab, als sie den Augenblick herannahen fühlte, wo sie den Namen des Mannes aussprechen mußte, dessen Einfluß auf ihre Gefühle sie bereits zugestanden hatte.
»Und sein Name?«
Die Antwort auf diese direkte Frage erfolgte mit leiser, aber deutlicher Stimme. Howe erschrack, als er den wohlbekannten Namen eines Offiziers von so bedeutendem Ansehen hörte; gleichwohl war ein beziehungsvolles Lächeln auf seinen finstern Zügen bemerkbar, während er erstaunt ihre Worte wiederholte:
»Major Lincoln! jetzt erst kann ich mir erklären, warum er zur Herstellung seiner Gesundheit nicht nach Europa zurückkehren wollte. Außerhalb der Stadt sagten Sie? da muß ein Irrthum obwalten.«
»Ich fürchte, es ist nur zu wahr!«
Die rauhen Züge des Führers hatten wieder ihren finstersten Ausdruck angenommen, und offenbar war er durch die Nachricht auf's Höchste beunruhigt.
»Das heißt, sich zu viel auf sein Privilegium herausnehmen,« murmelte er vor sich hin. – »Den Platz hätte er verlassen, ohne mein Wissen und Gutheißen – sagten Sie nicht so, meine junge Dame?«
»Aber zu keinem unwürdigen Zwecke!« rief die fast athemlose Cäcilie, indem sie mit einem Male in der Angst um Lionel sich selbst vergaß – »geheime Sorgen haben ihn zu einem Schritte getrieben, welchen er als Soldat zu anderer Zeit als der Erste verdammt haben würde!«
Howe verharrte in einem kalten, drohenden Stillschweigen, das viel erschreckender war, als alle Worte seyn konnten. Die junge Frau blickte in ihrer Unruhe eine Minute lang in sein niedergesenktes Gesicht, als wollte sie seine geheimsten Gedanken durchdringen; dann aber mit der Empfindsamkeit eines Weibes ihren schlimmsten Befürchtungen Raum gebend, rief sie:
»O! gewiß werden Sie dieß Bekenntniß nicht dazu benützen, um ihm ein Leid zuzufügen! Hat er nicht für Sie geblutet? Monden lang am Rande des Grabes geschmachtet, um der Vertheidigung Ihrer Sache willen? und wollen Sie jetzt an ihm zweifeln? Nein, Sir, wenn auch Zufall und Jahre ihn eine Zeit lang Ihrer Aufsicht unterworfen haben, so ist er doch in jeder Beziehung Ihres Gleichen, und wird jeder Anklage vor seinem königlichen Herrn sich stellen, die, und sey es auch von wem es wolle, gegen seinen fleckenlosen Namen erhoben werden mag!«
»Es wird nöthig seyn!« antwortete der Andere kalt.
»Nein, hören Sie nicht auf meine schwachen, unverständigen Worte,« fuhr Cäcilie fort und rang die Hände in Verzweiflung; »ich weiß nicht, was ich sage. Er hat Ihre Erlaubniß, mit dem Lande wöchentlich zu verkehren?«
»Um die Lebensmittel zu erhalten, deren er nach seiner letzten Krankheit bedarf.«
»Und kann er nicht in solcher Absicht und unter dem Schutze der Flagge, die Sie selbst ihm bereitwillig bewilligt haben, den Ort verlassen haben?«
»Würde ich in diesem Fall dieser Unterredung nicht überhoben gewesen seyn?«
Cäcilie schwieg einen Augenblick und schien ihre Gedanken zu sammeln und ihren Geist zu einem ernsten Schritte vorzubereiten. Nach einiger Zeit versuchte sie zu lächeln und sagte ruhiger:
»Ich hatte zu viel von militärischer Nachsicht verlangt und war selbst schwach genug, zu glauben, die Bitte würde meinem Namen und meinem Stande gewährt werden.«
»Kein Name, kein Stand, keine Verhältnisse können je – –«
»Sprechen Sie's nicht aus, das grausame Wort, damit es mich nicht noch einmal um meine Besinnung bringe,« unterbrach ihn Cäcilie. »Erst hören Sie mich, Sir – hören Sie eine Frau und Tochter und Sie werden ihren strengen Ausspruch zurücknehmen.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, näherte sie sich der Thüre des Zimmers und ging mit Ruhe und Würde an ihrem erstaunten Gefährten vorüber. Auf dem äußeren Gang winkte sie unter den Wartenden in der Halle dem Fremden, der sie bei ihrem Besuche im Waarenhause begleitet hatte, und als er sich genähert und ins Zimmer getreten war, schloß sich die Thüre nochmals und ließ die Zuschauer draußen voll Verwunderung, wie wohl eine so reine Erscheinung ihren Weg in die befleckten Hallen des Provinzhauses gefunden haben könnte.
Manche lange ungeduldige Minute war den Gästen in dem Banketsaal während der Dauer dieser geheimnißvollen Zusammenkunft verflossen. Die Scherze des Admirals begannen, eben als seine Kameraden zu dem Glauben sich hinneigten, daß sie wohl sehr viel Grund haben möchten, in ihrer Munterkeit zu ermatten, und die Unterhaltung nahm den unterbrochenen, unzusammenhängenden Charakter an, welcher stets ein Umherschweifen in den Gedanken der Sprechenden verräth.
Endlich tönte eine Glocke und es kam der Befehl vom Kommandirenden, die Halle von den neugierigen Müssiggängern zu säubern. Als Niemand mehr außer den gewöhnlichen Bedienten des Hauses da war, erschien Howe mit Cäcilie am Arm und führte diese, die tief verhüllt war, zu dem Wagen, welcher am Eingang ihrer wartete. Die Miene des Herrn flößte dem Benehmen der aufmerksamen Diener tiefe Ehrfurcht ein, und sie flogen mit geschäftigem Eifer, um das Weggehen zu erleichtern. Die Wachen salutirten mit gewohnter Pünktlichkeit vor ihrem General, als er seinem unbekannten Gaste zu Ehren unter das äußere Portal trat. Allenthalben begegnete man neugierigen, ausdrucksvollen Blicken, indem Alle diejenigen, welche die Beendigung dieses Besuchs mitangesehen hatten, in den Gesichtern der Umstehenden eine Erklärung über deren Gegenstand zu finden hofften.
Als Howe seinen Sitz an der Tafel wieder einnahm, erneuerte der Admiral seinen Versuch, wieder auf den früheren Gegenstand seiner Anspielungen zurückzukommen; aber dieser wurde mit so kalter Miene und so stechend scharfem Blick aufgenommen, daß selbst der sorglose Sohn des Oceans seine Laune beim Anblick einer so finstern Stirne verlor.