James Fenimore Cooper
Lionel Lincoln oder die Belagerung von Boston
James Fenimore Cooper

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechszehntes Kapitel.

Der stolze Britt' im wohlverfochtnen Land
Nicht Grund zur Freud noch eitlem Rühmen fand;
Er sah mit Schmerz des Sieges Traum entschwunden,
Beklagt der Seinen Tod und fühlte tiefe Wunden.

Humphreys.    

 

Im Laufe dieses schreckenvollen Morgens hatten die Amerikaner Miene gemacht, das Feuer ihrer Feinde durch einige wenige Schüsse aus ihren leichten Feldstücken zu erwiedern, gleichsam zum Hohne über die furchtbare Kanonade, die sie ausstanden.Die Amerikaner gebrauchten keine Artillerie während der Schlacht, da die Zufuhr von Munition durch ein Mißverständniß unterblieben war. Als aber der Augenblick der ernstesten Entscheidung herannahte, schwebte dieselbe ahnungsvolle Stille, welche sich bereits über die verlassenen Straßen von Charlestown gelagert hatte, nun auch rings um die Redoute. Auf der Wiese zu ihrer Linken bildeten die frisch angekommenen Haufen in aller Eile aus dem Flechtwerk zweier Hecken eine Einfassung und postirten sich, nachdem sie das Ganze mit dem umherliegenden Heu bedeckt hatten, hinter diese gebrechliche Schutzwehr, welche eigentlich keinen andern Vortheil gewährte, als etwa den, ihre eigene Schwäche vor ihren Gegnern zu verbergen. Hinter diesem eigenthümlichen Wall lagen mehre Abtheilungen der Landleute aus den benachbarten Provinzen New-Hampshire und Connecticut, die Waffen unterm Arm, in düsterer Erwartung. Ihre Linie erstreckte sich vom Ufer bis zu dem Fuße des Kammes, wo sie einige hundert Fuß hinter den Werken endigte, indem sie einen weiten Raum in diagonaler Richtung zwischen dem Zaun und einer Erdbrustwehr offen ließ, welche von dem nordöstlichen Winkel der Redoute aus eine kurze Strecke den Hügel hinablief. Wenige hundert Ruthen im Rücken dieses rohen und ungeregelten Werks erhob sich der nackte Kamm von Bunker-Hill, unbesetzt und unvertheidigt; die Ströme Charles und Mystick, die seinen Fuß bespülten, kamen sich so nahe, daß das Rauschen ihrer Strömung zusammenfloß. Ueber diesen schmalen und niederen Isthmus ergossen die königlichen Fregatten einen Strom von Feuer, der nie aufhörte, während die zahlreichen Haufen der undisciplinirten Amerikaner gerade hier umherschwärmten, und manche derselben zauderten, ob sie den gefährlichen Durchgang versuchen sollten.

Auf diese Art hatte Gage die dem Verderben geweihte Halbinsel zum größten Theil mit seiner Macht umzingelt und die trotzigen Männer, die sich mit so viel Kühnheit unter die Mündung seiner Kanonen gestellt hatten, waren, wie schon bemerkt, ohne Hülfe, ohne Nahrung, ohne hinreichende Waffen, ganz sich selbst überlassen, und dieses Alles nur, um die Ehre ihrer Nation aufrecht zu erhalten. Leute jedes Alters und Standes mit eingerechnet, mochte ihre Zahl etwa zweitausend betragen; im Verlaufe des Tages geschah es jedoch, daß einzelne kleine Abtheilungen ihrer Landsleute, ihrem Gefühl gehorchend und in rühmlichem Wetteifer mit dem alten Partheigänger der Wälder, der laut über die Gefahr spottend, die Enge hin und her passirte – durch das Feuer der Flotte gerade noch zu rechter Zeit hindurchbrachen, um an der herannahenden blutigen Arbeit dieser Stunde ihren Antheil zu nehmen.

Auf der andern Seite führte Howe mehr als die gleiche Zahl auserlesener Truppen seines Fürsten; diese Ungleichheit bestand den ganzen Nachmittag fort, da die Boote unausgesetzt bis zu dem Ende des Kampfes zwischen den beiden Halbinseln hin und herfuhren. Nunmehr, da die Vorbereitungen bis zu dem Punkte gediehen waren, zu dem wir in unserer Erzählung gelangt sind, und der brittische Führer sich jetzt hinlänglich stark fühlte, um die Vertheidigungslinie seines verachteten Gegners forciren zu können, gab er das Zeichen, daß die unmittelbar nöthigen Anstalten getroffen werden sollten, um nun in vollem Angesicht der gespannten Zuschauer seinen Gang zu beginnen. Trotz der Sicherheit und Ruhe, mit welcher der englische General seine Krieger kommandirte, fühlte er doch, daß der nahende Kampf eine Schlacht von nicht gewöhnlicher Wichtigkeit werden würde. Die Augen von Zehntausenden waren auf seine Bewegungen geheftet und die Gelegenheit verlangte die reichste Entfaltung des gesammten Kriegsgepränges.

Die Truppen formirten sich mit schöner Präcision, die Kolonnen zogen stolz das Ufer entlang und erreichten ihre angewiesenen Plätze unter dem Schutze des Höhenkammes über ihnen. Ihre Streitkräfte waren gewissermaßen getheilt; die eine Hälfte erstieg den mühsamen Pfad den Hügel hinauf, während die andere längs der Bai oder in den Obstgärten des tiefer gelegenen Grundes zum Angriff gegen die Landleute auf den Wiesen hinzog. Dieses letztere Corps verschwand bald hinter Obstbäumen und den obenerwähnten Ziegelhütten. Das Vorrücken der königlichen Kolonnen den Hügel aufwärts war langsam und abgemessen, wodurch ihren Feldstücken Zeit gelassen wurde, durch ihre Mitwirkung den Lärm der Kanonade zu verstärken, welche mit neuer Wuth ausbrach, als die Bataillone zum Vormarschiren sich anschickten. Eine jede Kolonne war nunmehr auf dem bezeichneten Punkte angekommen und der Glanz ihrer strahlenden Krieger schimmerte weithin unter der hellleuchtenden Sonne.

»Es ist ein prächtiger Anblick,« murmelte der graziöse Führer an Lionel's Seite, voll lebendigen Gefühls für den poetischen Reiz seines verführerischen Standes. »Wie ausnehmend kriegerisch und mit welcher Genauigkeit sein ›erster Arm‹ wider den Feind den Hügel hinansteigt!«

Die Macht seiner Gefühle hinderte Major Lincoln an einer Erwiederung, und der Andere vergaß bald in der überwältigenden Angst des Augenblicks, daß er gesprochen. Das Vorrücken der brittischen Linie, so schön und stät, glich eher der geordneten Festigkeit eines Exerziermanövers, als dem Marsche in einen tödtlichen Kampf. Ihre Fahnen flatterten über ihnen, und es gab Augenblicke, wo man die wilden Klänge ihrer Musikbanden durch die Luft herübertönen hörte, wie sie die rauheren Töne des Geschützes milderten. Die Jungen und Unerfahrenen in den Reihen schauten rückwärts und lächelten voll stolzer Freude, als sie Kirchthürme, Dächer, Masten und Höhen, Alles mit Tausenden von Augen überdeckt, nach dem stolzen Glanze ihrer Waffen herüberschauen sahen. Als die brittischen Linien auf dem freien Raume vor der kleinen Redoute sichtbar waren, und sich langsam rings um ihre verschiedenen Seiten zu postiren anfingen, verstummte Kanone auf Kanone, und der neugierige Artillerist oder der ermüdete Seemann lag ausgestreckt neben seinem heißen Geschütz und schaute auf die Scene vor ihm. Es war damals gerade ein Augenblick, wo der Lärm der Kanonade, wie das Rollen des fernen Donners hinwegzuschwinden schien.

»Sie werden nicht fechten, Lincoln!« sagte der aufgeregte Führer an Lionel's Seite. »Howe's kriegerische Front hat den Burschen das Herz erkaltet und der Sieg wird blutlos seyn.«

»Wollen sehen, Sir – wollen sehen!«

Diese Worte waren kaum gesprochen, als Peloton nach Peloton bei den Britten sein Feuer abgab; rasch auf einander leuchtete das Blitzen des Musketenfeuers rings um den Gipfel des Hügels, und ihm folgten augenblicklich schwere Rauchwolken, die aus den Obstgärten aufstiegen. Noch war bei den Amerikanern nicht ein Laut als Antwort zu hören, und die königlichen Truppen verloren sich dem Blick, während sie langsam in der weißen Wolke vorrückten, in die ihr eigenes Feuer sie eingehüllt hatte.

»Sie sind erschreckt, beim Himmel! – Die Hunde sind eingeschüchtert!« rief noch einmal Lionel's fröhlicher Gefährte; »Howe steht auf 200  Fuß vor ihnen und ist unverletzt!«

In diesem Augenblick brach ein Feuerstrom, ähnlich dem Blitze, wenn er in einer Wolke leuchtet, durch die Rauchwolke, und mehr als tausend Musketen hörte man mit einem Schlage ihr Feuer abgeben. Es war nicht blos Einbildung von Lionel, wenn es ihm vorkam, er sehe die rauchige Hülle des Hügels sich bewegen, als ob die kampfgeübten Krieger, welche sie einschloß, vor dieser nahen und furchtbaren Salve zurückwichen; im nächsten Augenblick jedoch klang der ermuthigende Kriegsruf und das laute Geschrei der Kämpfenden wieder über die Enge herüber in seine Ohren, und übertönte sogar den fürchterlichen Lärm des Kampfes. Zehn athemlose Minuten flogen wie ein einziger Augenblick an ihm vorüber, und die bestürzten Zuschauer auf Copp's starrten noch angestrengt nach der Scene, als eine Stimme sich unter ihnen erhob und rief:

»Hurrah! laßt die höllischen Lärmer nach Breeds hinaufgehen; das Volk wird sie das Gesetz lehren!«

»Werft den Schuft den Hügel hinunter! Schießt ihn aus dem Rachen einer Kanone!« schrieen zwanzig Soldaten in einem Athem.

»Halt!« rief Lionel: »'s ist ein Simpel, ein Geistesschwacher – ein Narr!«

Doch das zornige Gemurmel erlosch wieder ebenso schnell unter dem Einflusse anderer Gefühle, als man die glänzenden rothen Linien der königlichen Truppen aus dem Rauch hervorkommen sah, wankend und vor dem lebhaften Feuer ihrer Feinde zurückweichend.

»Ha!« sagte Bourgoyne; »das ist eine Finte, um die Rebellen aus ihrer Position herauszulocken.«

»Es ist ein handgreiflicher, schändlicher Rückzug!« murmelte der ernste Krieger neben ihm, dessen sicheres Auge mit einem Blick den Unstern der Angreifenden entdeckte: »Das ist der zweite niederträchtige Rückzug vor den Rebellen!«

»Hurrah!« rief der rastlose Job von Neuem; »da kommen die Regulären auch aus dem Obstgarten hervor! Seht einmal die Grenadiere, wie sie sich hinter den Brennöfen verstecken! Laßt sie nach Breeds hinaufgehen, das Volk wird sie das Gesetz lehren!«

Kein Rachegeschrei ging dießmal der Handlung voraus, aber fünfzig aus dem Soldatenhaufen stürzten wie auf gemeinsamen Antrieb auf ihre Beute los. Lionel hatte nicht Zeit, ein einziges begütigendes Wort zu sprechen, als Job, von einem Dutzend Burschen mit ausgestreckten Armen getragen, schon hoch oben in der Luft erschien; im nächsten Augenblick sah man ihn mit einer Schnelligkeit den Hügel hinabrollen, welche ihn an den Rand des Wassers führte. Auf seine Füße springend, schwang der unerschrockene Simpel seinen Hut noch einmal im Triumph und stieß wiederholt seine beleidigende Ausforderung aus. Dann sich umwendend, zog er unter einem Hagel von Steinen seinen Kahn aus dem Versteck unter dem umherliegenden Holze hervor und glitt mit seinem kleinen Boote über die Meerenge hin, unbeachtet unter der Menge von Booten, welche nach allen Richtungen hin und her ruderten. Doch wurde seine Fahrt von dem besorgten Auge Lionel's bewacht, der ihn landen und mit hastigen Schritten in den öden Gassen des Dorfes verschwinden sah.

Während dieses unbedeutende Zwischenspiel vor sich ging, war auch das große Drama des Tags nicht still gestanden. Der Schleier von Rauch, der rings um den Gipfel der Anhöhe hing, wurde durch den Wind gelüftet und strich in schwerfälligem Zuge gegen Südwest, wodurch der Schauplatz des blutigen Streites von Neuem dem Blicke sich öffnete. Lioneln entgingen die ernsten und bedeutungsvollen Blicke nicht, welche die beiden Lieutenants des Königs mit einander wechselten, als sie gleichzeitig ihre Gläser von der verhängnißvollen Stelle abwandten, und als Bourgoyne ihm das seinige anbot, konnte er in der Unzahl von Todten, die in Schaaren vor der Redoute zerstreut lagen, die deutliche Erklärung ihrer Bestürzung lesen. In diesem Augenblick hielt ein Offizier vom Schlachtfeld eine ernste Unterredung mit den beiden Führern und eilte, nachdem er sich seiner Aufträge entledigt, mit einer Hast in sein Boot zurück, woraus man schließen konnte, daß er wichtige Befehle zu überbringen habe, von deren Erfüllung Leben und Tod abhänge.

»Es soll geschehen, Sir,« wiederholte Clinton, seine hohe Stirne in feuriger Kampflust wild gerunzelt. – »Die Artillerie hat ihre Befehle und das Geschäft soll ohne Aufschub vollzogen werden.«

»Dieß, Major Lincoln,« rief sein nun ernster gestimmter Gefährte, – »ist eine der schweren Pflichten des Kriegers! Für seinen Fürsten zu fechten, zu bluten oder selbst zu sterben, das ist sein glückliches Vorrecht; aber zuweilen ist es auch sein unglückliches Loos, ein Werkzeug der Rache abzugeben.«

Lionel wartete nur einen Augenblick auf eine Erklärung dieser Worte: bald sah man glühende Kugeln ihren weiten Bogen in der Luft beschreiben und Verwüstung unter den enggebauten und leicht entzündlichen Dächern des gegenüberliegenden Dorfes verbreiten. Wenige Minuten nachher stieg ein dicker schwarzer Rauch aus den verlassenen Wohnungen empor und züngelnde Flammen spielten emsig an den erhitzten Dachschindeln hin, über deren ungestörte Besitznahme sie gleichsam zu triumphiren schienen. Er betrachtete die um sich greifende Zerstörung in peinlichem Schweigen und indem er seine Blicke auf die Gefährten neben ihm richtete, glaubte er trotz der Sprache des Andern das tiefste Bedauern in dem abgewendeten Auge Desjenigen zu lesen, der mit so schneller Bereitwilligkeit den traurigen Befehl zur Zerstörung ausgesprochen hatte.

Bei Scenen, wie die, welche wir zu beschreiben versuchen, werden Stunden zu Minuten und die Zeit fliegt so unbemerkt vorbei, wie das Leben vor den Blicken des Alters dahingleitet. Die unordentlichen Reihen der Britten wurden am Fuße des Hügels zum Stehen gebracht und formirten sich wieder unter den Augen ihrer Führer mit bewundernswerther Ordnung und außerordentlicher Sorgfalt. Frische Bataillone aus Boston rückten mit militärischem Stolze in die Linie ein und Alles verkündete, daß ein zweiter Angriff bevorstand. Als der Augenblick des dumpfen Staunens, der auf den Rückzug der königlichen Truppen folgte, vorüber war, ergossen Truppen und Batterien ihren Zorn mit zehnfacher Wuth über ihre Feinde. Schuß auf Schuß wurde unablässig gegen die leichte Anhöhe geschleudert, wüthend durchfurchten die Kugeln ihre grasige Oberfläche, während schwarze, drohende Bomben wie Ungeheuer der Luft über deren Werken zu hängen schienen, jeden Augenblick bereit, auf ihre Beute herabzustürzen.

Noch lag Alles ruhig und unbeweglich hinter den niederen Erdwällen, als ob dort Niemand an dem Ausgange des blutigen Tages betheiligt wäre. Nur auf einige Augenblicke sah man die hohe Gestalt eines alten Mannes sich sachte längs dem Rande der Brustwehr hinbewegen, ruhig die Dispositionen des englischen Generals in den entfernteren Theilen seiner Linie betrachten und nachdem mit einem andern Herrn, der sich dieser gefährlichen Rekognoscirung angeschlossen hatte, wenige Worte gewechselt waren, Beide wieder hinter dem Erdwalle verschwinden. Lionel hörte bald den Namen Prescott von Pepperel in leisem Gemurmel durch die Menge hinlaufen, und sein Glas täuschte ihn nicht, als er meinte, in der kleineren der beiden Gestalten den anmuthsvollen Umriß des unbekannten Lenkers des ›Caucus‹ entdeckt zu haben.

Alle Augen bewachten nun das Vorrücken der Bataillone, welche noch einmal auf den bestrittenen Punkt zu marschirten. Die Spitzen der Kolonnen waren schon im Angesicht ihrer Feinde, als man von dem brennenden Dorfe her einen Menschen rasch den Hügel hinansteigen sah: er hielt auf dem natürlichen Glacis, schwang, der augenblicklichen Gefahr trotzend, seinen Hut im Triumph und Lionel glaubte sogar das Hohngeschrei des Simpels zu vernehmen, dessen unförmliche Gestalt er, ehe sie in das Werk hinabsprang, deutlich erkannt hatte.

Der rechte Flügel der Britten verschwand noch einmal in dem Baumgarten und die Kolonnen vor der Front der Schanze öffneten sich noch einmal mit der imponirenden Genauigkeit vollkommener Kriegszucht. Schon glänzten ihre Waffen in gleicher Linie mit den Facen des Erdwalls und Lionel hörte den erfahrenen Krieger an seiner Seite vor sich hinmurmeln:

»Er soll nur mit dem Feuer an sich halten und er wird mit der Spitze des Bajonets eindringen!«

Aber die Versuchung war selbst für den erprobten Muth der königlichen Truppen zu groß. Ladung auf Ladung folgte und in wenigen Minuten hatten sie wieder ihre Reihen hinter dem nebligen Vorhang verschleiert, den ihr eigenes Feuer um sie gezogen hatte. Dann kam wieder der furchtbare Blitz aus der Schanze und die fluthenden Massen der beiden sich gegenüberstehenden Feinde rollten in eine Wolke zusammen, welche die Kämpfer in ihr Gewand einhüllte, als ob sie gleichsam ihr blutiges Werk dem Auge des Zuschauers entziehen wollte. Zwanzig Mal in dem kurzen Zeitraum von eben so viel Minuten glaubte Major Lincoln, er höre das ununterbrochene Rollen des amerikanischen Musketenfeuers vor den schweren und regelmäßigen Salven der Truppen ersterben, und dann däuchte ihn wieder, der Schall der letzteren werde schwächer und folge sich in längeren Zwischenräumen.

Das Resultat ward übrigens bald bekannt. Die schwere Rauchschichte, die jetzt noch an dem Boden festhing, wurde an fünfzig Stellen durchbrochen, und man sah die unordentlichen Massen der Britten in wilder Verwirrung vor ihren bedachtsamen Feinden hergetrieben. Die blitzenden Degen der Offiziere versuchten umsonst den Strom zu hemmen, und die Flucht endete bei manchen Regimentern nicht eher, als bis sie ihre Boote erreicht hatten. In diesem Augenblick hörte man in Boston ein Gemurmel gleich dem plötzlichen Rauschen des Windes, und die Leute sahen sich mit unverhehltem Erstaunen ins Gesicht. Hier und dort entschlüpfte ein leiser Ton des Frohlockens einer unbewachten Lippe und manches Auge strahlte von einem Triumph, der nicht länger unterdrückt werden konnte. Bis zu diesem Augenblick hatten Lionel's Gefühle zwischen der Theilnahme für sein Vaterland und seinem kriegerischen Geiste geschwankt; jetzt aber, jede andere Empfindung in dem letzteren Gefühle vergessend, blickte er stolz um sich, gleichsam als suche er den Mann, der über das Zurückdrängen seiner Kameraden zu frohlocken wage. Der poetische Anführer war noch an seiner Seite und biß sich im Aerger auf die Lippen; sein erprobterer Gefährte aber war plötzlich verschwunden. Ein zweiter rascher Blick zeigte Lioneln seine scheidende Gestalt, wie er eben am Fuße des Hügels in ein Boot steigen wollte. Schneller als ein Gedanke war Lionel am Ufer und rief, während er nach dem Rande des Wassers hinabflog:

»Halt, um Gotteswillen, halt! Bedenken Sie, das Siebenundvierzigste ist im Feld und ich bin sein Major!«

»Nehmt ihn ein,« sagte Clinton mit jener grimmigen Freude, womit Männer in Augenblicken der Prüfung einen geschätzten Freund anerkennen; »und dann rudert drauf los, so lieb Euch Euer Leben, oder was noch kostbarer, die Ehre des brittischen Namens ist.«

Lionel's Gehirn kreiste, als das Boot seinen Pfad über die Wasserfläche hinschoß: aber ehe es noch die Mitte des Stroms erreicht hatte, gewann er Zeit, die ganze schauervolle Scene zu betrachten. Das Feuer hatte sich von Haus zu Haus verbreitet und das ganze Dorf Charlestown mit seinen vierhundert Gebäuden stand gerade in vollen Flammen. Die Luft schien mit zischenden Kugeln erfüllt, die über seinem Haupte hinsausten und die schwarzen Seiten der Linienschiffe spieen ihre Flammenschichten mit unermüdlichem Eifer von sich. Mitten unter diesem Tumult sprang der englische General und sein Begleiter an's Land. Der Erstere stürzte sich in die verwirrten Glieder und es gelang ihm, durch seine Gegenwart und seine gewaltige Stimme die Mannschaft eines Regiments zu ihrer Pflicht zurückzurufen. Aber lange und laute Aufforderungen an ihren Muth und an ihren alten Ruhm waren nöthig, um die Hälfte ihres frühern Zutrauens bei Leuten wieder herzustellen, die so rauh zurückgetrieben worden und die jetzt, an den gelichteten und erschöpften Reihen hinabsehend, in vielen Fällen mehr als die Hälfte von den wohlbekannten Gesichtern ihrer Kameraden vermißten. Mitten unter den wankenden Truppen stand ihr ernster, ungebeugter Führer; aber von all' den freudigen glänzenden Jünglingen, die in seiner Suite gefolgt waren, als er diesen Morgen das Provinzhaus verließ, war nicht Einer mehr am Leben oder lag er wenigstens verwundet am Boden. Er allein schien unerschüttert in dieser wildverwirrten Menge, und seine Befehle ergingen, wie gewöhnlich, ruhig und bestimmt. Zuletzt legte sich einigermaßen der panische Schrecken und die Ordnung wurde noch einmal hergestellt, sowie die hochherzigen und beschämten Führer der Abtheilungen ihr verlorenes Ansehen wieder erlangten.

Die Generale hielten auf der Seite der Kolonnen gemeinsame Berathung und die Vorkehrungen zum Sturm wurden augenblicklich erneuert. Kriegerischer Glanz wurde nicht länger entfaltet, die Soldaten legten vielmehr all' die nutzlose Zubehör ihres Standes ab, manche von ihnen warfen sogar die Oberkleider von sich, um sich unter der Glut einer kochenden Sonne zu erleichtern, da diese noch durch die Hitze des Brandes vermehrt wurde, der sich nun auch längs dem Rande der Halbinsel auszubreiten anfing. Frische Kompagnien stießen zu den Kolonnen: der größte Theil der Truppen wurde aus den Wiesen zurückgezogen und dort nur wenige Plänklerrotten zurückgelassen, um die hinter der Hecke liegenden Amerikaner zu beschäftigen. Als die ganze Aufstellung vollendet war, wurde endlich das letzte Zeichen zum Vorrücken gegeben.

Lionel hatte seine Stelle im Regiment eingenommen, konnte aber, da er auf der Flanke der Kolonne marschirte, den größten Theil des Schlachtfeldes im Auge behalten. Vor ihm zog ein Bataillon, das durch die vorangegangenen Stürme auf eine Hand voll Leute zusammengeschmolzen war. Hinter diesen kam eine Abtheilung Seesoldaten der Flotte, von ihrem eigenen ergrauten Major geführt, und ihnen zunächst folgte der niedergeschlagene Nesbitt mit seinem Corps, unter welchem sich Lionel umsonst nach dem gutmüthigen Gesichte Polwarth's umsah. Aehnliche Kolonnen marschirten ihnen zur Rechten und Linken und umschlossen mit den Bataillonen die Redoute von drei Seiten.

Wenige Minuten brachten Lionel in die unmittelbare Nähe des niederen und unvollendeten Erdwalls, um dessen Besitz schon so viel vergebliches Blut verspritzt worden war. Still, wie zuvor, lag er da, als ob keine Seele in seinem Innern athmete; nur eine furchtbare Reihe schwarzer Röhren starrte ihnen drohend entgegen und folgte den Bewegungen der anrückenden Kolonnen, etwa wie man die eingebildeten Zauberthiere unserer eigenen Wildnisse schildert, wenn sie auf ihre Schlachtopfer lauern sollen. Als der Lärm des Geschützes abermals schwächer wurde, konnte man das Krachen der zusammenstürzenden Straßen zu ihrer Linken und das furchtbare Knistern des Brandes um so deutlicher hören. Ungeheure Massen schwarzen Rauchs stiegen aus den einstürzenden Trümmern empor und nach Außen zusammengeballt, Schichte über Schichte, überhingen sie das Ganze als Eine furchtbare Wolke, die ihren düsteren Schatten über das blutige Feld des Todes warf.

Eine starke Kolonne sah man jetzt gleichsam aus dem brennenden Dorfe selbst heraufsteigen und das Vorrücken des Ganzen ward jetzt rasch und belebt. Ein leiser Ruf lief durch die Pelotons, die bloßen Gewehre ihrer Gegner im Auge zu behalten, und ihm folgte der Befehl: »Zum Bajonet! zum Bajonet!«

»Hurrah! die königlichen Irländer!« rief M'Fuse an der Spitze der dunklen Kolonne, die aus dem Brande heraufstieg.

»Hurrah!« so tönte es wieder von einer wohlbekannten Stimme aus der schweigenden Schanze; »laßt sie nach Breeds heraufkommen; das Volk wird sie das Gesetz lehren!«

In solchen Momenten eilen die Gedanken mit der Schnelligkeit des Blitzes, und Lionel hatte schon seine Kameraden im Besitze des Werkes geglaubt, als der furchtbare Feuerstrom den Leuten in der Front von neuem ins Gesicht schlug.

»Vorwärts mit dem –en!« schrie der alte Marinemajor – »vorwärts, oder das achtzehnte wird sich die Ehre des Tags nehmen!«

»Wir können nicht,« murmelten die Soldaten vom –en; »ihr Feuer ist zu heftig!«

»Dann gebt Raum und laßt die Seeleute durch!«Dieses Faktum, sowie die meisten andern, gilt in der That für vollkommen wahr.

Das schwache Bataillon zog ab und die Krieger der Tiefe, versucht im Kampfe Mann gegen Mann, sprangen unter lautem Geschrei vorwärts an ihre Stelle. Die Amerikaner, die ihre Munition erschöpft hatten, sanken allmälig in düsterem Schweigen zurück; einige Wenige warfen noch im letzten Grimm Steine auf ihre Feinde herab. Das brittische Geschütz war nun der Redoute in die Flanke gekommen und enfilirte die kurze Brustwehr, die nicht länger zu halten war, und als die Kolonnen näher gegen den niedrigen Wall anrückten, wurde dieser eine gemeinschaftliche Schutzmauer für beide feindliche Parteien.

»Hurrah! die königlichen Irländer!« rief abermals M'Fuse, indem er sich auf den unbedeutenden Aufwurf emporschwang, der nur wenig höher als seine eigene Person war.

»Hurrah!« wiederholte Pitcairn und schwang seinen Säbel an dem andern Ende der Verschanzung – »der Tag ist unser!«

Noch ein Feuerstrom brach aus dem Innern des Werks und all' jene Braven, die wetteifernd dem Beispiel ihrer Offiziere gefolgt waren, wurden herabgefegt, wie wenn ein Wirbelwind sie mit sich fortgerissen hätte. Der Grenadier stieß noch einmal seinen Schlachtruf aus und stürzte dann kopfüber unter seine Feinde, während Pitcairn rückwärts in die Arme seines eigenen Kindes sank. Der Ruf: »Vorwärts, Siebenundvierzigstes!« lief durch die Reihen und alsbald erstieg dieses langgediente Bataillon die Wälle. In dem seichten Graben schritt Lionel an dem sterbenden Seemann vorüber und erhaschte noch den verzweifelten Blick seines brechenden Auges; im nächsten Augenblick stand er selbst dem Feinde gegenüber. Als Kompagnie auf Kompagnie in die unvertheidigte Schanze stürmte, zogen sich die Amerikaner langsam zu dem hinteren Ausgange zurück, indem sie die Bajonete der Soldaten mit ihren plumpen Musketen und nervigen Fäusten von sich fern hielten. Sowie ihr ganzer Haufe in das offene Terrain gelangte, empfing die Landleute ein nahes mörderisches Feuer der Bataillone, die nun von drei Seiten dieselben umzingelten. Eine Scene wilder schrecklicher Verwirrung trat jetzt an die Stelle des geordneten Kampfes, mancher tödtliche Schlag wurde ausgetheilt und empfangen: das Handgemeng machte für mehre Minuten den Gebrauch der Feuerwaffen fast unmöglich.

Lionel drang immer weiter vorwärts; dicht an den Fersen des zurückweichenden Feindes stieg er auf seinem Marsche über manchen leblosen Körper. Trotz der hastigen, ungeheuren Verwirrung des Kampfes fiel sein Auge auf die Gestalt des edlen Fremden, welcher leblos auf dem zertretenen Rasen ausgestreckt lag, der reichlich sein Blut getrunken hatte. Mitten unter dem wüthenden Geschrei und den tobenden Leidenschaften des Augenblicks hielt der junge Mann inne; er wünschte sehnlich, – so sagte wenigstens der Blick seines sprechenden Auges, daß nunmehr das Werk des Todes ein Ende nehmen möchte. In diesem Augenblick zog der glänzende Schmuck seiner Uniform die wildumherrollenden Augen eines sterbenden Pächters auf sich, der seine dahin schwindende Kraft noch zum letzten Male aufbot, um den Manen seiner Landsleute ein weiteres würdiges Opfer zu bringen. Die ganze lärmende Scene verschwand vor Lionel's Sinnen bei dem Blitze der plötzlich aus dem Gewehr dieses Menschen hervorbrach und er sank zu den Füßen der Streitenden nieder, unempfindlich für ferneren Triumph wie für weitere Gefahr.

Der Fall eines einzelnen Offiziers in einem solchen Kampfe war ein Umstand, der keine Beachtung verdiente, und Regimenter schritten über ihn hin, ohne daß ein Einziger es der Mühe werth gehalten hätte, seinem Schicksale nachzuforschen. Nachdem die Amerikaner sich von den Truppen los gemacht hatten, warfen sie sich schnell und wie ein in Unordnung gebrachter Haufe in den engen Hohlweg zwischen den beiden Hügeln; die Meisten ihrer Verwundeten wurden auf dem Marsche mitgeschleppt und nur wenige Gefangene in den Händen des Feindes zurückgelassen. Die Beschaffenheit des Terrains begünstigte ihren Rückzug, indem Hunderte von Kugeln unschädlich über ihren Häuptern hinpfiffen, und als sie erst einmal die Höhe des Bunker erstiegen hatten, gewährte ihnen die Entfernung noch größere Sicherheit. Die Mannschaft hinter der Hecke verließ, als sie das Schlachtfeld verloren sah, die frühere Stellung und räumte, einen einzigen Haufen bildend, die vorher besetzten Wiesen. Das Ganze bewegte sich in wirren Massen hinter den Kamm der anliegenden Höhe, die Soldaten folgten ihnen feuernd und sandten entfernte und darum fruchtlose Salven hinterdrein; doch auf der Höhe von Bunkerhill machten ihre ermüdeten Pelotons Halt und sahen den unerschrockenen Haufen, wie er durch das furchtbare Feuer, welches die Niederung bestrich, mit so geringem Verlust sich Bahn brach, daß es schien, als ob das Leben der Meisten von einem Zauber geschützt würde.

Der Tag war bereits seinem Ende nahe. Mit dem Verschwinden ihrer Feinde stellten Schiffe und Batterien ihr Feuer ein und kurze Zeit nachher war auf der Stelle, wo so lange der heftigste Kampf gewüthet hatte, nicht eine einzige Flinte mehr zu hören. Die Truppen fingen an, die äußere Anhöhe, auf der sie lagerten, zu verschanzen, um ihre unfruchtbare Eroberung zu behaupten und Nichts blieb den königlichen Feldherrn weiter zu thun übrig, als hinzugehen und ihren Sieg zu betrauern.

 


 << zurück weiter >>