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Ja, Sir, Ihr sollt mich vernünftig finden; und wenn das ist, so werd' ich thun, was die Vernunft sagt.
Slender.
Während des Ausgangs der vorigen Scene befand sich Polwarth in einem so wirren Zustande, daß er zu jeder Thätigkeit unfähig war und die bösen Absichten der Soldateska weder verhindern noch unterstützen konnte. Seine Klugheit sowie seine besseren Gefühle waren freilich auf Seiten der Menschlichkeit, doch die eitle Prahlerei des Simpels hatte auf's Neue auch seinen natürlichen Durst nach Rache aufgeregt. Er erkannte auf den ersten Blick in den bleichen aber sprechenden Zügen von Job's Mutter jene verwelkten Ueberreste von Schönheit, welche er noch vor Kurzem an dem schmutzigen Weibe, das er an Mrs. Lechmere's Grabe hatte zögern sehen, entdeckt zu haben glaubte. Während sie sich mit aller Furchtlosigkeit einer Mutter, welche ihr Kind zu vertheidigen kommt, auf die Soldaten stürzte, verlieh der Glanz ihrer Augen, erhöht noch durch die starke Helle, die von den zerstreuten Feuerballen herrührte, und der tiefe Ausdruck mütterlichen Entsetzens, der in jedem Zuge ihres Gesichts sich aussprach, ihrer ganzen Erscheinung eine Würde und eine Hoheit, welche sehr viel dazu beitrug, die ungewöhnlichen und gefährlichen Leidenschaften, von denen er sich getrieben fühlte, zu dämpfen und niederzuhalten. Er war sogar schon auf dem Punkt, ihren Hülferuf durch sein Ansehen und seinen Rath zu unterstützen, als die zweite obenerwähnte Unterbrechung erfolgte. Eine so fremdartige Erscheinung brachte an solchem Orte und zu solcher Zeit nicht nur bei dem Kapitän, sondern auch bei dem gemeinen Haufen, der ihn umringte, eine fast zauberhafte Wirkung hervor und er blieb von nun an ein schweigender, aufmerksamer Zuschauer.
Das erste Gefühl der Dame, als sie sich unerwartet mitten in einem so verwirrten Gedränge fand, war unzweideutig das der Unruhe; doch im nächsten Augenblick ihrer weiblichen Aengstlichkeit vergessend und, wie es schien, durch edle, lobenswerthe Absichten emporgerichtet, sammelte sie die ganze Kraft ihres Geistes und zeigte, indem sie die seidenen Falten ihres Hutes zurückschob, das bleiche aber liebliche Antlitz Cäcilien's vor den Augen der verwunderten Zuschauer. Nach einem Augenblick tiefer Stille fing sie also an:
»Ich weiß nicht, warum ich diese Menge wilder Gesichter um das Krankenbett dieses unglücklichen jungen Menschen versammelt finde; wenn es jedoch in böser Absicht geschieht, so befehle ich euch zurückzuweichen, so wahr ihr die Ehre eures edlen Standes liebt, oder die Gewalt eurer Führer fürchtet. Ich selbst rühme mich, eines Soldaten Weib zu seyn und verspreche euch im Namen eines eurer Offiziere, der Howe sehr nahe steht, Verzeihung für das, was geschehen ist oder auch Strafe für eure Gewaltthat – ganz in dem Maaße, wie ihr euch jetzt benehmen werdet.«
Die rohen Zuhörer starrten einander in unentschlossenem Zögern an und schienen in ihrem Vorsatze allbereits zu wanken, als der alte Grenadier, dessen Wildheit Job beinahe das Leben gekostet hätte, in mürrischem Tone das Wort nahm:
»Wenn Sie eines Offiziers Gattin sind, Madame, so müssen Sie wissen, wie Sie für die Freunde Dessen, der todt und von uns getrennt ist, fühlen sollen. Ich überlasse es Euer Gnaden eignem Verstand, die Frage zu entscheiden, ob das nicht Männern – und noch dazu Männern wie die Achtzehner, zu viel zugemuthet heißt, wenn man verlangt, daß sie ruhig zuhören sollen, wie ein Narr auf den Landstraßen und in den Gassen der Stadt sich rühmt, daß er einen Mann, wie Kapitän M'Fuse von den Grenadieren desselben Regiments war, mit eigener Hand getödtet habe!«
»Ich glaube, ich verstehe Euch, Freund,« erwiederte Cäcilie, »denn ich habe flüstern hören, daß der Junge, wie man glaubt, an dem blutigen Tage, auf den Ihr anspielt, bei den Amerikanern mitgeholfen habe; aber wenn das Tödten in der Schlacht nicht gesetzlich ist, – was seyd dann ihr, deren ganzes Gewerbe der Krieg ist?«
Sie wurde durch ein halbes Dutzend eifriger, obwohl ehrerbietiger Stimmen unterbrochen, welche in der unzusammenhängenden und heftigen Weise ihres Landes murmelten – »das ist ein großer Unterschied, Mylady!« – »Ein rechter Kampf ist nicht ein schlechter Kampf und schlechter Kampf ist Mord!« neben vielen andern halbausgesprochenen und gleich verständlichen Vorstellungen. Als dieser Ausbruch vorüber war, übernahm derselbe Grenadier, der zuvor gesprochen, die nähere Erklärung der Sache.
»Wenn Euer Gnaden auch nie wieder ein Wort sprächen, dießmal haben Sie die Wahrheit gesprochen, obgleich es nicht ganz genau die volle Wahrheit ist. Wenn Einer in offener Schlacht getödtet wird, so ist das Gottes Wille und kein ächter Irländer wird es bestreiten; aber hinter einem Leichname lauern und seinem Mitgeschöpf gerade in's Gesicht zielen – das ist's, worüber wir uns bei diesem blutdürstigen Schurken beklagen. Und überdieß, war der Tag nicht gewonnen? und sein Tod sogar konnte ihnen nicht mehr den Sieg verschaffen.«
»Ich verstehe mich nicht auf alle diese feinen Unterscheidungen in Eurem schrecklichen Berufe, mein Freund,« antwortete Cäcilie; »doch habe ich gehört, daß noch Viele gefallen sind, nachdem die Truppen schon die Werke erstiegen hatten.«
»So ist's auch; gewiß Euer Gnaden weiß das Alles! und um so mehr ist's nöthig, daß einige wegen dieser Mordthaten bestraft werden! Bei Leuten, welche noch fortfechten, nachdem sie schon ganz geschlagen sind, ist's freilich schwer zu sagen, wann wir den Tag gewonnen haben.«
»Daß Andere unter ähnlichen Umständen zu leiden hatten,« fuhr Cäcilie mit bebender Lippe und einem Zittern in ihren Augenliedern fort – »weiß ich selbst nur zu gut; aber ich hatte es nie für mehr als das gewöhnliche Schicksal des Krieges gehalten. Aber selbst wenn dieser Jüngling gefehlt hat – schaut ihn an! – ist er ein Gegenstand für die Rache von Männern, welche stolz darauf sind, ihre Feinde nur unter gleichen Verhältnissen anzugreifen? Er ward schon lange von einem Schlage aus einer mächtigeren Hand, denn die eure, heimgesucht und jetzt gerade leidet er, noch zu allem andern Unglück hin, an der gefährlichen Krankheit, die in ihrer Heftigkeit selten Diejenigen schont, welche sie ergreift. Ja ihr selbst setzt euch in eurer blinden Wuth der Ansteckung aus und könnt, während ihr nur an Rache denkt, ihr selbst wohl noch als Opfer fallen!«
Die Menge wich unmerklich zurück, während Cäcilie sprach; ein weiter Kreis wurde um Job's Bett leer gelassen, und manche von denen im Hintergrund stahlen sich leise und mit einer Hast aus dem Hause, welche verrieth, wie die Furcht über ihre schlimmeren Leidenschaften so ganz die Oberhand gewonnen hatte. Cäcilie schwieg einen Augenblick und verfolgte dann rasch den gewonnenen Vortheil.
»Geht,« sprach sie; »verlaßt diese gefährliche Nachbarschaft. Ich habe mit diesem jungen Menschen über Sachen zu reden, welche vielleicht das Leben eines Mannes betreffen, der der ganzen Armee theuer und verdientermaßen theuer ist; ich möchte deßhalb mit ihm und seiner Mutter allein seyn. Hier ist Geld – kehrt in eure Quartiere zurück und versucht durch Sorgfalt und Mäßigkeit die Gefahr von euch abzuwenden, der ihr so muthwillig getrotzt habt. Geht; Alles sey vergessen und vergeben.«
Der widerstrebende Grenadier nahm ihr Geld und da er bemerkte, daß er bereits von den Meisten seiner Kameraden verlassen war, machte er dem schönen Wesen vor ihm eine linkische Verbeugung und entfernte sich, nicht ohne noch manchen wilden und finstern Blick auf den unglücklichen Elenden zu werfen, der auf so unerwartete Weise vor seiner Rache geschützt worden war. Kein weiterer Soldat war in dem Gebäude zurückgeblieben, und das lärmende und rasche Ineinandersprechen des sich entfernenden Haufens, wo Jeder mit Heftigkeit seine eigenen Thaten erzählte, wurde bald unhörbar und verlor sich in der Entfernung.
Nun wandte sich Cäcilie zu Denen, welche zurückblieben und warf einen raschen Blick auf jedes einzelne von der Gesellschaft. Im Augenblick, als sie den staunenden Augen Polwarth's begegnete, bedeckte abermals eine schnelle Röthe ihre bleichen Züge und ihr Antlitz war eine Zeit lang in Verwirrung zu Boden gesenkt.
»Ich vermuthe, ein und dieselbe Absicht hat uns Beide hieher geführt, Kapitän Polwarth,« redete sie diesen an, als die leichte Verwirrung vorüber war – »nämlich die Wohlfahrt unseres gemeinsamen Freundes?«
»Sie haben mir nicht Unrecht gethan,« antwortete er. »Als das traurige Amt, womit Ihre schöne Cousine mich beauftragt hatte, zu Ende war, eilte ich hieher, um einer Spur zu folgen, welche, wie ich Grund zu glauben habe, uns führen wird zu –«
»Dem, was wir am meisten zu finden wünschen,« fiel Cäcilie ein und warf unwillkührlich ihre Blicke auf die anderen Zuschauer. »Doch unsere erste Pflicht ist Menschlichkeit. Könnte dieser unglückliche junge Mensch nicht auf sein eigenes Zimmer gebracht werden, damit man seine Verletzungen untersuchen kann?«
»Es kann jetzt oder auch nach unserer Ausforschung geschehen,« antwortete der Kapitän mit kalter Gleichgültigkeit, worüber Cäcilie verwundert aufblickte. Als er den ungünstigen Eindruck bemerkte, den seine Indolenz hervorgebracht hatte, wandte sich Polwarth mit vielem Gleichmuth an zwei von den neugierigen Zuschauern, welche an dem Außenthor des Gebäudes standen und rief ihnen zu: »Heda, Shearflint, Meriton, – schafft den Burschen da in jenes Zimmer!«
Die wartenden Diener, welche bis jetzt verwunderte Zeugen all' dieser Vorgänge gewesen waren, empfingen den Befehl mit großem Widerwillen. Meriton äußerte laut seine Unzufriedenheit und trieb seinen Ungehorsam bis auf's Aeußerste, ehe er sich dazu hergab, einen so schmutzigen, erbärmlichen Gegenstand zu berühren. Als übrigens Cäcilie den Befehl durch ihre Wünsche bekräftigte, ward der unangenehme Dienst verrichtet und Job auf sein Bett in dem Thurme zurückgebracht, von wo aus er eine Stunde zuvor von den rohen Soldaten hervorgezogen worden.
Sobald jede Gefahr fernerer Gewaltthat verschwunden war, sank Abigail auf ein Stück von dem Plunder, der in dem Zimmer umherlag, und blieb in stumpfer Gefühllosigkeit daselbst liegen, selbst während ihr Kind von ihr fortgetragen wurde. Als sie aber bemerkte, daß sie jetzt nur von Leuten umgeben waren, welche eher Handlungen der Barmherzigkeit als des Zorns beabsichtigten, folgte sie langsam in das kleine Gemach und blieb eine ängstliche Beobachterin der folgenden Ereignisse.
Polwarth schien mit dem, was für Job gethan worden, zufrieden: er stand nun von Ferne und wartete auf Cäcilien's Wünsche. Die Letztere, welche jede Bewegung mit zarter weiblicher Sorgfalt geleitet hatte, befahl den Dienern, sich in das äußere Zimmer zurückzuziehen und ihre Befehle zu erwarten. Als daher Abigail schweigend ihren Platz nahe an dem Bette ihres Kindes einnahm, blieben außer ihr selbst und dem Kranken nur Cäcilie, der Kapitän und jener Unbekannte zurück, welcher allem Anscheine nach die Erstere nach dem Waarenhause geführt hatte. Neben den erlöschenden Flammen des Hanfs schimmerte jetzt noch das schwache Licht einer Kerze in dem Zimmer, wodurch das Elend seiner Bewohner nur noch deutlicher hervorgehoben wurde.
Trotz der hohen, aber kalten Entschlossenheit, welche Cäcilie in der vorhergegangenen Scene mit den Aufrührern entwickelt hatte, und welche auch jetzt noch in dem ernsten Blick ihres Auges hervortrat, schien sie doch Willens, die Düsterheit des Zimmers zu benützen, um ihre Züge selbst vor dem Blicke des gesunkenen Weibes zu verbergen. Sie setzte sich in einen schattigen Winkel des Gemachs und hüllte sich wieder etwas tiefer in ihren Kalash, während sie sich also an den Simpel wandte:
»Wenn ich auch nicht mit der Absicht hieher gekommen bin, Dich, Job Pray, zu strafen oder auf irgend eine Art durch Drohungen einzuschüchtern, so ist mein Zweck doch der, Dich über Sachen zu befragen, welche zu entstellen und auf irgend eine Weise zu verhehlen, von Dir eben so unrecht als grausam wäre – –«
»Sie haben wenig Ursache zu fürchten, daß etwas Anderes als Wahrheit von meinem Kinde gesprochen werden wird,« fiel Abigail ein. »Dieselbe Macht, welche seine Vernunft zerstörte, hat es doch gut mit seinem Herzen gemeint – der Knabe kennt kein Falsch – wollte Gott, man könnte dasselbe von dem sündigen Weibe sagen, das ihn gebar!«
»Ich hoffe, das Zeugniß, das Ihr Eurem Sohne ertheilt, wird durch sein Benehmen bestätigt werden,« antwortete Cäcilie: »mit dieser Zuversicht auf seine Redlichkeit will ich mich geradezu an ihn wenden. Damit Ihr aber sehen mögt, daß ich mir keine unerlaubte Freiheit mit dem Jungen erlaube, will ich Euch meine Beweggründe erklären!« Sie zauderte einen Augenblick und kehrte unwillkührlich das Gesicht weg, während sie fortfuhr: »Ich sollte meinen, Abigail Pray, meine Person müsse Euch bekannt seyn?«
»Ja – ja,« antwortete das ungeduldige Weib, welches die ächt frauenhafte, so feine Bildung der Andern als einen Vorwurf über ihr eigenes Elend zu empfinden schien, – »Sie sind die glückliche und reiche Erbin Derjenigen, welche ich heute in ihr Grab legen sah. Das Grab wird sich Allen gleichmäßig öffnen! dem Reichen wie dem Armen, dem Glücklichen so gut wie dem Elenden! Ja – ja, ich kenne Sie! Sie sind die Braut von eines reichen Mannes Sohn!«
Cäcilie schüttelte die schwarzen Locken, welche ihr in's Gesicht gefallen waren, zurück und zeigte dadurch ihr Antlitz, das vom dunkelsten Roth übergossen war, worauf sie mit der Würde einer Matrone antwortete:
»Wenn Ihr denn von meiner Vermählung wißt, so werdet Ihr auf Einmal begreifen, daß ich für Major Lincoln auch das Interesse eines Weibes fühle – ich möchte seine seitherigen Schritte von Eurem Sohne erfahren.«
»Von meinem Kinde! von Job! von dem armen, verachteten Kinde des Elends und der Krankheit wollten Sie Nachrichten über Ihren Gemahl einziehen? – nein – nein, junge Dame, Sie spotten über uns; – er ist nicht würdig, in die Geheimnisse eines so großen und glücklichen Mannes eingeweiht zu seyn!«
»Und dennoch müßte ich mich völlig täuschen, wenn er es nicht wäre! Ist nicht einer, Namens Ralph, da gewesen, ein häufiger Besucher Eures Hauses während des letzten Jahres; und hat er sich nicht noch vor ganz wenig Stunden hier im Verstecke gehalten?«
Abigail erschrack bei dieser Frage, antwortete jedoch ohne Zögern und ohne eine Ausflucht zu versuchen:
»Es ist wahr. Wenn ich strafwürdig bin, weil ich ein Wesen beherberge, das kommt, ich weiß nicht woher, und geht, ich weiß nicht wohin, einen Mann, der in den Herzen liest und weiß, was ein Mensch mit seinem beschränkten Vermögen niemals wissen könnte, so muß ich mir's gefallen lassen. Er war gestern hier, er kann heute Nacht wieder hier seyn, denn er kommt und geht nach Belieben. Eure Generale und die Armee mögen dazwischen treten – ich aber wage nicht, es zu verbieten!«
»Wer begleitete ihn, als er Euch das letzte Mal verließ?« fragte Cäcilie mit so leiser Stimme, daß, hätte nicht so tiefe Stille geherrscht, ihre Rede wohl nicht gehört worden wäre.
»Mein Kind – mein schwaches, unverständiges, unglückliches Kind!« erwiederte Abigail mit einer sorglosen Schnelligkeit, welche ihrem Elende den nächsten besten Namen, gleichviel, ob er noch so unüberlegt und unpassend war, beilegen zu wollen schien. »Wenn es Verrath ist, den Fußstapfen dieses namenlosen Wesens zu folgen, so hat Job viel zu verantworten!«
»Ihr mißkennt meine Absicht – Gutes viel eher als Schlimmes wird auf Eure Antworten erfolgen, wenn sie wahr erfunden werden.«
»Wahr!« wiederholte das Weib, und hemmte die wiegende Bewegung ihres Körpers, während sie stolz in Cäcilien's ängstliches Gesicht emporblickte; – »doch, Sie sind groß und mächtig und haben darum das Vorrecht, die Wunden des Unglücklichen zu öffnen!«
»Ich würde es von ganzem Herzen bereuen, wenn ich irgend Etwas gesagt hätte, das die Gefühle eines Kindes verletzen könnte,« sagte Cäcilie mit edler Wärme; – »ich möchte lieber Eure Freundin als Eure Bedrängerin seyn, wie Ihr erfahren sollt, wenn die Gelegenheit sich darbieten wird.«
»Nein – nein! Sie können mir nie Freundin seyn!« rief schaudernd das Weib; »die Gattin Major Lincoln's darf nie das Interesse der Abigail Pray befördern!«
Der Simpel, der allem Anschein nach in dumpfer Gleichgültigkeit gegen das, was vorging, da gelegen hatte, erhob sich nun unter seinen Lumpen hervor und sagte mit dem Stolze eines Narren:
»Major Lincoln's Lady ist gekommen, Job zu besuchen, weil Job eines Gentleman Sohn ist!«
»Du bist das Kind der Sünde und des Elendes!« stöhnte Abigail und begrub das Gesicht in ihren Mantel, – »wollte Gott, Du hättest nie das Licht des Tages erblickt!«
»Sage mir denn, Job, ob Major Lincoln selbst, so gut wie ich, Dir eben diese Aufmerksamkeit erwiesen hat,« sagte Cäcilie, ohne auf das Benehmen der Mutter zu achten; »– wann sahst Du ihn zum letzten Mal?«,
»Vielleicht kann ich ihm diese Fragen verständlicher vorlegen,« sprach der Fremde mit einem bedeutungsvollen Blick auf Cäcilien, den diese augenblicklich zu verstehen schien. Dann wandte er sich zu Job und nachdem er prüfend einige Augenblicke lang dessen Gesicht betrachtet hatte, fuhr er also fort: »Boston muß ein schöner Ort für Paraden und Aufzüge seyn, junger Mann; gehst Du wohl manchmal hin, die Soldaten exerciren zu sehen?«
»Job hält immer Schritt beim Marschiren«, antwortete der Simpel; »'s ist ein großartiger Anblick, die Grenadiere nach dem furchtbaren Klang der Trommeln und Trompeten auftreten zu sehen!«
»Und Ralph,« fragte der Andere in einschmeichelndem Tone, »marschirt er auch in ihrer Gesellschaft?«
»Ralph! er ist ein großer Krieger! er lehrt das Volk die Bewegungen draußen auf den Hügeln – Job sieht ihn dort jedes Mal, so oft er für den Major Lebensmittel holt.«
»Das fordert eine Erklärung,« sagte der Fremde.
»Die leicht zu erhalten ist,« antwortete der aufmerksame Polwarth. »Der Junge hat zu Zeiten während der letzten sechs Monate gewisse Nahrungsartikel unter dem Schutze einer Flagge von dem Land in die Stadt gebracht.«
Der Mann sann einen Augenblick nach, ehe er in der Sache weiter fortfuhr.
»Wann warst Du zuletzt unter den Rebellen, Job?« fragte er endlich.
»Ihr würdet besser thun, das Volk nicht Rebellen zu nennen,« murmelte der Bursche finster; »sie können solche bittere Namen nicht leiden!«
»Ich hatte Unrecht, allerdings. Aber wann gingst Du zum letzten Male aus, um jene Lebensmittel zu holen?«
»Job holte sie am letzten Samstag Morgen und das war erst gestern!«
»Wie kam's, Bursche, daß Du die Gegenstände nicht zu mir brachtest?« fragte Polwarth ziemlich hitzig.
»Er hat unstreitig eine triftige Ursache für die scheinbare Vernachläßigung,« fiel der vorsichtige Fremde besänftigend ein. »Du brachtest sie hieher, vermuth' ich, und das aus gutem Grund?«
»Ja, um seine eigene Gefräßigkeit zu füttern!« murmelte der Kapitän.
Die Mutter des Jungen schlug die Hände krampfhaft zusammen und machte eine Anstrengung, um aufzustehen und zu sprechen; doch bald sank sie wieder in ihre demüthige Stellung zurück, wie wenn sie von zu heftigen Bewegungen erschüttert wäre, als daß sie zu sprechen vermöchte.
Diese kurze aber eindrucksvolle Gebärde blieb von dem Fremden unbemerkt, der mit derselben kalten, ruhigen Weise, wie zuvor, seine Fragen fortsetzte.
»Sind sie noch hier?« sprach er.
»Freilich,« antwortete der arglose Simpel; »Job hat sie versteckt, bis Major Lincoln zurückkommt. Ralph und Major Lincoln vergaßen beide, Job zu sagen, was er mit den Lebensmitteln thun sollte.«
»In diesem Falle wundere ich mich, daß Du ihnen nicht mit Deiner Ladung gefolgt bist.«
»Jedermann glaubt, Job sey ein Narr,« brummte der Junge; »aber er ist zu gescheit, um Lebensmittel unter dem Volk mit sich herumzuschleppen. Ei!« fuhr er fort, indem er sich erhob und mit freudestrahlendem Blicke weiter sprach, so daß man sehen konnte, wie sehr er den beneideten Vortheil schätzte, – »die Baileute kommen mit ganzen Karren voll Lebensmitteln, während die Stadt von Hunger erfüllt ist!«
»Wahr, ich hatte vergessen, daß sie zu den Amerikanern hinausgegangen waren; – natürlich gingen sie unter der Flagge, welche Du bei dir trugst?«
»Job brachte keine Flagge – Fähnriche tragen die Flaggen! Er brachte einen welschen Hahn, einen großen Schinken und eine kleine Wurst – 's war niemals eine Flagge darunter.«
Bei der Erwähnung dieser Eßwaaren spitzte der Kapitän die Ohren und würde sich wahrscheinlich zum zweiten Mal gegen die Regel der strengsten Schicklichkeit vergangen haben, wenn der Fremde nicht mit Fragen fortgefahren wäre.
»Ich sehe, Alles ist wahr, was Du sagst, mein kluger Bursche,« bemerkte er. »Es war für Ralph und Major Lincoln leicht, mit Hülfe desselben Privilegiums hinauszukommen, das Du gewöhnlich beim Hereingehen gebrauchst?«
»Allerdings,« murmelte Job, der durch die Fragen ermüdet, seinen Kopf bereits auf seine Tücher niedergelegt hatte, – »Ralph weiß den Weg – er ist ein geborener Bostoner!«
Der Fremde kehrte sich gegen die aufmerksame Braut und verbeugte sich, als ob er mit dem Resultat seiner Untersuchung zufrieden sey. Cäcilie verstand den Ausdruck seines Gesichts und wandte sich leise gegen die Stelle, wo Abigail Pray auf einer Kiste saß und durch das erneuerte Schütteln ihres Körpers und die leisen Seufzer, die ihr von Zeit zu Zeit entschlüpften, den Kampf verrieth, welcher in ihrer Seele tobte.
»Meine erste Sorge,« so redete sie in sanftem Tone Job's Mutter an, »soll seyn, Euch mit Dem, was Ihr bedürft, zu versehen; dann erst will ich die Nachrichten benützen, welche wir so eben von Eurem Sohn herausgebracht haben.«
»Sorgen Sie nicht für mich und die Meinen!« antwortete Abigail in einem Tone bitterer Entsagung. »Der letzte Schlag ist geschehen, und es ziemt Leuten wie wir, unser Haupt in Demuth zu beugen. Reichthum und Ueberfluß konnten Ihre Großmutter nicht vom Grabe retten, und vielleicht wird sich der Tod bald auch meiner erbarmen. Doch, was spreche ich da wieder, ich arme, elende Sünderin? Kann ich nie mein aufrührerisches Herz dazu bringen, seine Zeit abzuwarten?«
Bestürzt über die trostlose Verzweiflung der Andern, schwieg Cäcilie, als sie sich plötzlich erinnerte, wie auch bei Mrs. Lechmere's Tode die nämlichen Anzeichen eines schuldvollen Lebens sich geoffenbart hatten. Nach einem Augenblicke jedoch, während dessen sie ihre Gedanken gesammelt hatte, wandte sie sich noch einmal an das jammernde Weib, indem sich die ganze Milde einer Christin, und all das besänftigende Zartgefühl ihres Geschlechts in dem Ton ihrer Stimme vereinigte.
»Was auch unsere Vergehen gewesen seyn mögen,« hub sie an, »so viel ist gewiß, daß wir jederzeit für unsere irdischen Bedürfnisse sorgen dürfen. Wenn die Zeit gekommen seyn wird, werdet Ihr Euch wohl nicht mehr meinem Wunsche, Euch zu dienen, entgegensetzen. Laßt uns nun gehen,« fuhr sie fort, und wandte sich an ihren unbekannten Begleiter. Als sie Polwarth bemerkte, der sich anschickte, vorzutreten, um ihr sein Geleite anzubieten, winkte sie ihm freundlich zurück und kam seinem Anerbieten mit den Worten zuvor: »Ich danke Ihnen, Sir – ich habe außer meinem eigenen Mädchen, das draußen steht, noch Meriton und diesen würdigen Mann zur Begleitung, – ich will Sie nicht länger in Ihrer eigenen Absicht stören.«
Während sie sprach, warf sie dem Kapitän ein trauriges, und dabei doch süßes Lächeln zu, und verließ den Thurm und das Gebäude, ehe es ihm möglich gewesen wäre, gegen ihren Willen zu handeln. Cäcilie und ihr Gefährte hatten zwar Alles von Job erfahren, was Polwarth selbst zu hören erwarten konnte oder in der That zu wissen gewünscht hatte; immer aber zögerte er noch in dem Zimmer, während er gleichwohl solche Vorbereitungen traf, die seine Absicht zu gehen anzeigen sollten. Er fand zuletzt, daß seine Anwesenheit von Mutter und Kind gänzlich unbeachtet blieb. Die Eine saß noch, das Haupt auf die Brust gesenkt, in ihren Sorgen vertieft, während der Andere in seine gewöhnliche dumpfe Lethargie verfallen war, und nur noch durch sein mühsames, hörbares Athemholen Zeichen des Lebens von sich gab. Der Kapitän blickte zuerst einen Augenblick auf das Elend, das in dem Zimmer herrschte und das durch den düsteren Schein der armseligen Kerze in noch viel traurigerem Lichte erschien, und dann auf die Krankheit und die Leiden, welche zu deutlich in dem Aeußeren der beiden unglücklichen Bewohner sich aussprachen; doch keine dieser beiden Betrachtungen konnte ihn von seinem Vorhaben abbringen. Die Versuchung hatte den gehorsamen Schüler Epikurs auf eine Art überfallen, welche nie verfehlte, auch seine schönsten philosophischen Entschlüsse zu besiegen, und in diesem Falle war sie sogar stark genug, seine Menschlichkeit zu überwältigen. Er näherte sich dem Bette des Simpels und sprach zu ihm mit rauher Stimme:
»Du mußt mir gestehen, was Du mit den Lebensmitteln angefangen hast, welche Mr. Seth Sage Dir anvertraute, Du Junge – ich kann eine so grasse Pflichtverletzung in einer Sache von so besonderer Wichtigkeit nicht übersehen. Wenn Du nicht willst, daß ich die Grenadiere vom 18ten zurückrufe, so sprich sogleich, und bekenne die Wahrheit.«
Job fuhr in hartnäckigem Stillschweigen fort, doch Abigail erhob das Haupt und übernahm es, für ihr Kind zu antworten:
»Er hat nie unterlassen, die Sachen in's Quartier des Majors zu bringen, so oft er zurück kam. Nein, nein – wenn mein Junge so schlecht wäre, daß er stehlen könnte, so wäre doch Jener gewiß der Letzte, den er berauben würde.«
»Ich hoffe so, – ich hoffe so, gute Frau; doch ist das eine Art der Versuchung, der man in so knappen Zeiten nur zu leicht unterliegt,« antwortete der ungeduldige Kapitän, der wahrscheinlich einige innere Merkmale seiner eigenen Gebrechlichkeit in solchen Dingen in sich fühlte. – »Wären sie überliefert worden, würde nicht ich wegen ihrer Verwendung befragt worden seyn? Der Junge gibt zu, daß er das Lager der Amerikaner gestern bei guter Zeit verließ.«
»Nein, nein,« rief endlich Job; »Ralph hieß ihn am Samstag Abend abgehen. Er verließ das Volk, ohne gegessen zu haben!«
»Und entschädigte sich für den Verlust, indem er die Vorräthe aufspeiste! Ist das Deine Ehrlichkeit, Du Schurke?«
»Ralph war in solcher Eile, daß er nicht anhalten wollte, um zu essen. Ralph ist ein ganzer Krieger, aber er scheint nicht zu wissen, wie süß die Speise dem Menschen ist!«
»Vielfraß! Leckermaul! Du Strauß von einem Menschen!« rief der ärgerliche Polwarth – »ist's nicht genug, daß Du mich meines Eigenthums beraubt hast – mußt Du mir meinen Verlust durch eine so übertriebene Schilderung noch fühlbarer machen?«
»Wenn Sie wirklich den Verdacht hegen, mein Kind habe an seinem Herrn Untreue begangen,« fing Abigail von Neuem an, »so kennen Sie weder seinen Charakter, noch seine Erziehung. Ich will für ihn antworten und mit bitterem Herzen muß ich's bekennen – schon manche lange traurige Stunde ist nichts mehr, was einer Nahrung irgend ähnlich wäre, über den Mund des Armen gekommen. Hören Sie nicht sein erbarmenswerthes Verlangen nach Nahrung? Gott, der alle Herzen kennt, wird sein Geschrei hören und ihm glauben!«
»Was sagt Ihr, Frau?« rief Polwarth, von Entsetzen ergriffen; »nicht gegessen, sagtet Ihr? – Du unnatürliche Mutter! Warum hast Du nicht für seine Bedürfnisse gesorgt? – Warum hat er nicht Dein Mahl getheilt?«
Abigail blickte mit Augen, in deren Glanze die hülfloseste Noth sich abspiegelte, dem Fragenden in's Gesicht und antwortete:
»Werde ich wohl freiwillig das Kind meines Leibes vor Hunger sterben sehen? Die letzte Krume, die er hatte, war Alles, was mir noch übrig geblieben war, und das kam aus der Hand einer Person, die mir mit besserem Rechte Gift statt derselben hätte reichen sollen!«
»Nab weiß nichts von dem Knochen, den Job vor der Kaserne gefunden,« flüsterte der Junge mit schwacher Stimme; »es sollte mich wundern, wenn der König weiß, wie süß die Knochen sind!«
»Und die Lebensmittel, die Vorräthe!« rief Polwarth beinahe erstickend – »thörichter Junge, was hast Du mit den Lebensmitteln angefangen?«
»Job wußte, daß die Grenadiere sie unter dem Tauwerke dort nicht finden konnten,« antwortete der Simpel, und erhob sich, um mit thörichtem Triumph nach dem Orte des Versteckes hinzudeuten – »wenn Major Lincoln zurückkommt, gibt er Nab und Job vielleicht die Knochen zum Abnagen!«
Polwarth war nicht so bald mit der Lage der kostbaren Vorräthe bekannt gemacht, als er sie mit der Wuth eines Rasenden aus dem Versteck hervorzog. Während er die einzelnen Artikel mit unstäter Hand aus einander legte, keuchte er mehr als er athmete, und während des kurzen Geschäfts kämpfte jede Muskel seines ehrlichen Gesichts in außerordentlicher Bewegung. Dann und wann murmelte er vor sich hin: »Keine Nahrung!« – »An Entkräftung leidend!« oder andere ähnliche ausdrucksvolle Worte, die den Gang seiner Gedanken hinlänglich bezeichneten. Nachdem Alles ordentlich zurecht gelegt war, rief er mit furchtbarer Stimme:
»Shearflint! Du Schurke! Shearflint – wo hast Du Dich versteckt?«
Der widerstrebende Diener wußte, wie gefährlich es war, einem solchen Rufe nicht augenblicklich zu antworten, und als sein Herr die Aufforderung noch einmal wiederholte, erschien er mit der gehorsamsten Miene von der Welt an der Thüre des kleinen Gemachs.
»Zünde das Feuer an. Du Fürst aller Müßiggänger!« fuhr Polwarth in demselben rauhen Tone fort: »hier ist Nahrung und dort ist Hunger! Gott sey gelobt, daß ich der Mann bin, der beide mit einander bekannt machen darf! Hier, wirf Hanf drauf – zünd' an, zünd' an!«
Da diese raschen Befehle von einem entsprechenden Ernste der Handlung begleitet waren, begann der Diener, der seines Herrn Laune kannte, mit allem Eifer das befohlene Geschäft zu verrichten. Ein Haufen des betheerten Brennmaterials wurde auf den traurigen, verlassenen Heerd gelegt und gerieth bei der Berührung des Lichts in helle Flamme. Als das Brummen des Kamins und die lustige Helle gehört und gesehen wurde, wandten Beide, Mutter und Kind, ihre verlangenden Blicke auf die geschäftigen Personen der Handlung. Polwarth warf seinen Stock bei Seite und begann den Schinken mit einer Geschicklichkeit zu zerschneiden, welche große Uebung so wie einen Eifer verrieth, der den Glauben an seine Menschlichkeit, welche allerdings einen Augenblick gewankt hatte, aufs Neue befestigte.
»Bring' Holz – reiche mir dieses Eisen zum Bratrost – hol' Kohlen, schnell, Kohlen, Du Schurke,« rief er in kurzen Pausen rasch hinter einander; »Gott verzeihe mir, wenn ich je einem Wesen Uebles zugedacht habe, das unter dem schwersten aller Flüche leidet! – Hörst Du, Shearflint! mehr Holz herbei; ich bin in einer Minute zum Kochen bereit!«
»Das ist unmöglich, Sir,« antwortete der geplagte Diener; »ich habe auch den kleinsten Span gebracht, den ich noch auftreiben konnte – das Holz ist in Boston zu kostbar und liegt nicht auf den Straßen umher.«
»Wo habt Ihr Euer Holz, Frau?« fragte der Kapitän, ohne zu bemerken, daß er sie in demselben rauhen Ton anredete, welchen er gegen seinen Diener angenommen hatte – »ich bin nun fertig zum Anrichten.«
»Sie sehen hier Alles vor sich! mehr habe ich nicht!« antwortete Abigail in dem demüthigen Tone eines betroffenen Gewissens; »das Gericht des Herrn ist nicht blos in dem einen Punkte über mich gekommen!«
»Kein Holz! keine Lebensmittel!« rief Polwarth, der nur mit Schwierigkeit sprechen konnte; dann mit der Hand über die Augen fahrend, wandte er sich an seinen Diener, wobei er durch die Rauhheit seiner Stimme die Rührung seines Innern zu verbergen suchte:
»Shearflint, Du Schuft, komm daher – schnalle mein Bein ab!«
Der Diener blickte ihn verwundert an – doch eine ungeduldige Gebärde beschleunigte seinen Gehorsam.
»Spalte es in zehntausend Splitter; es ist ausgetrocknet und gut für's Feuer. Die besten dieser Gattung, die von Fleisch mein' ich, sind doch im Ganzen nur eine nutzlose Last! Ein Koch braucht Hände, Augen, Nase und Gaumen, aber ich sehe nicht ein, wozu er eines Beins bedürfte!«
Während er sprach, setzte sich der philosophische Kapitän mit großer Gemüthsruhe auf den Heerd und mit Shearflint's Hülfe war die Kocherei bald im besten Gang.
»Es gibt Leute,« fing der emsige Polwarth wieder an, wobei er übrigens während des Sprechens sein Geschäft nicht vernachlässigte, »die nur zweimal und einige gar, die nur einmal des Tags essen; ich für meinen Theil sah noch nie einen Menschen gedeihen, der nicht seiner Natur mit vier kräftigen, regelmäßigen Mahlzeiten zu Hülfe kam. Diese Belagerungen sind verdammungswürdige Heimsuchungen der Menschlichkeit, und man sollte Plane erfinden, um einen Krieg auch ohne sie zu führen. Den Augenblick, wo Ihr einen Soldaten hungern laßt, hängt er den Kopf und wird melancholisch: füttert ihn und Ihr könnt den Teufel mit ihm herausfordern! Nun, wie ist's, mein guter Junge? liebst Du Deinen Schinken schwimmend oder trocken?«
Der liebliche Geruch des Fleisches hatte den leidenden Kranken verführt, seinen fieberischen Körper aufzurichten und er saß da und bewachte mit gierigen Blicken jede Bewegung seines unerwarteten Wohlthäters. Seine ausgedorrten Lippen arbeiteten schon voll Ungeduld und jeder Blick seines starren Auges verrieth die vollkommene Herrschaft seines physischen Bedürfnisses über seinen schwachen Geist. Auf die an ihn ergangene Frage gab er die einfache und rührende Antwort:
»Job ist nicht wählerisch bei seinem Essen.«
»Auch ich nicht,« erwiederte der methodische Feinschmecker, indem er ein Stück Fleisch noch einmal gegen das Feuer drehte, das Job in Gedanken bereits verschlungen hatte, – »doch trotz der Eile möchte man es auch gut machen. Noch einmal gewendet und dann könnte es selbst dem Gaumen eines Prinzen behagen. Bring' mir den Teller dort, Shearflint – es ist eine Unnoth, in einem so dringenden Falle mit dem Geschirr gar zu genau seyn zu wollen. Schmieriger Bursche, möchtest Du wohl gar einen Schinken im vollen Fett auftischen! – Was es doch eine Nasenweide ist! Komm her, hilf mir zu dem Bett.«
»Möge der Herr, der jeden gütigen Gedanken seiner Creaturen sieht und bemerkt, Sie segnen und belohnen für diese Sorgfalt um mein verlorenes Kind!« rief Abigail aus der Fülle ihres Herzens; »aber ist es wohl klug, Einem bei so brennendem Fieber so nahrhafte Speise zu geben?«
»Was sonst wollt Ihr ihm geben, Frau? Ohne allen Zweifel verdankt er seine Krankheit einzig und allein diesem Mangel. Ein leerer Magen ist wie eine leere Tasche, ein Platz für den Teufel, um seine Sprünge drin zu machen. Das ist Euer dürrer Doktor, der Euch von einer mageren Diät vorschwatzt. Hunger ist schon eine Krankheit an sich, und kein vernünftiger Mensch, der sich zu gut dünkt, um der Quacksalberei anzuhängen, wird glauben, daß er ein Heilmittel seyn könne. Nahrung ist die Quelle des Lebens – und Essen, wie die Krücke für einen Verstümmelten. Shearflint, suche in der Asche nach dem Beschlag meines Beins und dann bringe ein Stück von dem Fleisch für die arme Frau. – Iß zu, mein herrlicher Junge, iß nur drauf los!« fuhr er fort und rieb sich die Hände in der Freude seines Herzens, als er sah, mit welcher Gier der verhungernde Job seine Gabe empfing. »Das zweite Vergnügen im Leben ist, einen hungrigen Menschen sein Mahl einnehmen zu sehen; das erste liegt tiefer in der menschlichen Natur. Dieser Schinken hat den ächten virginischen Wohlgeschmack! Hast Du so etwas wie einen übrigen Teller, Shearflint? Es ist so ziemlich meine übliche Stunde, ich kann jetzt ebenso gut auch zu Nacht essen. Es ist in der That selten, daß ein Mann zwei Vergnügen der Art auf einmal genießt!«
Polwarth's Zunge schwieg still, sowie Shearflint ihn mit dem Nöthigen versorgt hatte, und das Waarenhaus, das er noch kurz zuvor mit so grausamen Vorsätzen betreten hatte, bot jetzt das sonderbare Schauspiel dar, wie der Kapitän mit geselliger Vertraulichkeit das bescheidene Mahl seiner schwer heimgesuchten, unglücklichen Bewohner theilte.