Ernst Constantin
Das warme Polarland
Ernst Constantin

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V. Kapitel.

Eine wissenschaftliche Unterhaltung

»Höre 'mal Wonström, erzähle mir doch ein wenig, was wir von der Zukunft zu erwarten haben; denn wir können doch nicht immerfort auf der Scholle sitzen bleiben.«

»Bin ich ein Prophet? Kann ich die Zukunft ergründen?« sprach Wonström mit gehobener Brust; »da mußt du unsern Herrgott fragen, der weiß es jedenfalls am besten. Doch willst du hören, was ich von der Zukunft denke, so öffne Mund und Ohren!

Den Winter über müssen wir wenigstens auf dieser Eisscholle bleiben, während der Zeit wird sie vielleicht irgendwo angetrieben, wahrscheinlich am Franz Josephsland. Von Franz Josephsland müssen wir uns im Frühjahr dann nach Nowaja Semlja über's Eis zu retten suchen, wo uns schon irgend ein Robbenschläger oder Waler aufnehmen wird.

So das war Numero eins und zwar die günstigste Nummer, nun kommt Numero zwei.

Wir treiben so lange herum, bis unsere Eisscholle zerbricht und sind gezwungen, wenn wir unser Leben retten wollen, das Eismeer auszutrinken, oder wir treiben so lange herum ohne an's Land zu kommen, bis wir verhungern. Es dauert zwar eine Weile, bis so ein Walfisch verzehrt ist, aber wie gesagt, alles hat ein Ende mit Ausnahme der Wurst, die hat zwei.

Jetzt Numero drei.

Wir kommen oder sind schon in der großen Meeresströmung, die nach Norden treibt. Jetzt nimm an, wir treiben immer weiter, an Franz Josephsland vorbei, durch die um dieses gelagerte Eisschranke bis an das offene Polarmeer hinein; das Polarmeer wird ebenfalls durchschifft, bis wir an dem warmen Polarlande vor Anker gehen und dort Ackerbau treiben.«

»Was für dummes Zeug schwatzest du da von einem warmen Polarlande? Es ist nicht recht von dir, Wonström, in so ernster Lage solche Scherze mit mir zu treiben.«

Da lachte Wonström Eduard gerade ins Gesicht. »Nicht wahr, davon hast du noch nichts gehört; aber spare deine Jammermiene für eine passendere Zeit auf. Wenn man an einem warmen Theekessel sitzt und Zwieback ißt, muß man sich mit dem Schicksal aussöhnen. Uebrigens sage ich die reine Wahrheit. Hinter diesen Schranken von ewigen Eis soll ein gelobtes Land liegen. Zwar hat es noch niemand gesehen, oder die hinkamen, sind nicht wieder gekommen, aber es sind so viele Anzeichen vorhanden, daß ein solches existiert, daß ein Zweifel fast ausgeschlossen ist.«

Diese Mitteilung interessirte Eduard ganz ungeheuer, und er wähnte sich schon als Entdecker diese Wunderlandes.

»Wonström,« rief er, »das habe ich noch nicht gewußt; überhaupt glaube ich, bist du der erste, der mit Bestimmtheit so etwas voraussetzt. Zwar habe ich auch schon davon gehört, doch wurde dann immer hinzugestzt, daß es ein alter Seemannsaberglaube sei.«

»Nein, nein! der alte Seemannsaberglaube hat sich nach den neuesten Forschungen als Wahrheit herausgestellt. Die Anzeichen und Voraussetzungen sind untrüglich. Ich will dir dieselben mitteilen, worauf aus dem ungläubigen Thomas ein gläubiger werden wird.

Der größte warme Meerstrom, der den vielen kalten, von Norden herkommenden entgegentritt, ist der Golfstrom. Sein größter Arm geht an der Küste von Norwegen entlang, wo er sich teilt und dann die Westküste von Spitzbergen und Nowaja Semlja bespült. Die Folge davon ist, daß diese Küsten im Sommer fast stets eisfrei sind, während die meisten anderen Länder in diesen Breiten fast immer vom ewigen Eise umlagert werden. Ein sicherer Beweis von dem Vorhandensein des Golfstroms in diesen Breiten liefern die Kastanien- oder Golfstrominseln östlich von Cap Nassau. Man fand auf diesen angeschwemmt die kastanienartigen Früchte des westindischen Schotengewächses 'Entada gigalobium'. Wo kommen diese her? Sie hat der Golfstrom, der im Busen von Mexiko seinen Ursprung hat, mitgebracht.

Weiter nördlich verliert sich der Golfstrom an der Oberfläche und die kalten Strömungen gehen darüber weg. So eine mächtige Naturerscheinung kann aber nicht so mir nichts dir nichts verschwinden. Durch Temperaturmessungen in der Tiefe ist bewiesen worden, daß der Golfstrom sich unterseeisch weiter nach Norden fortsetzt.

Jetzt ist die Frage, wo geht er hin? Irgend wo muß er wieder an die Meeresoberfläche treten und zuverlässig wird er dies dort thun, wo sich ihm ein Hindernis, also Land entgegenstellt und dieses von einer warmen Strömung bespültes Land muß ein mildes Klima haben. Durch das milde Klima wird eine reiche und hohe Vegetation bedingt und wo eine reiche und hohe Vegetation sich vorfindet, da muß großer Wildreichtum sein und dort können auch Menschen leben.

Der Beweis, daß im hohen Norden sich Land befindet, ist ebensfalls da. Von der Nordküste Spitzbergens aus sind oft ganze Schwärme von Enten, Gänsen, Möven, überhaupt von solchen Vögeln, welche die polare Zone bevölkern, beobachtet worden, wie sie nach Norden ziehen und von Norden kommen. Diese Tiere müssen aber auf dem Lande leben, können also unmöglich auf ewigem Eise oder auf blanken Wasser existieren.

Der Instinkt dieser Vögel zieht sie nun nach anderen Ländern hin, niemals aber nach Eis- oder Wasseröden.

Daß es nach dem äußersten Norden zu nicht kälter, sondern wärmer wird, geht daraus hervor, daß das Wasser unter dem 82. Grad nördlicher Breite 4-6 Grad warm gefunden wurde. Uebereinstimmend mit dieser Temperatur fand man in diesen Breiten Gras und eine große Anzahl pflanzenfressender Tiere und unbekannte Vögel. Dieselben waren ohne alle Furcht, weil sie ihren größten Feind, den Menschen, noch nicht kennen gelernt hatten.

Bisamochsen, Renntiere, Hasen, Lemminge, Wasservögel u.s.w. leben in viel größerer Menge im Norden der Melvilleinsel, an den Küsten des nördlichen Teils des Wellington Kanals, in Nordgrönland und Grinnelland, als weiter südlich von diesen Strichen. Nach genau darüber angestellten Untersuchungen steht überhaupt fest, daß der Reichtum an Pflanzen und Tieren im höchsten Norden im Winter nicht nach Süden wandernd gefunden worden sind. Dadurch wird offenbar bewiesen, daß die Kälte gegen den Pol nicht stetig zunimmt.

Der Kältepol ist ebensowenig wie der südliche Magnetpol bei der nördlichen Erdaxe zu suchen. Ersterer mußte nach wissenschaftlichen Ergebnissen nach dem Norden Amerika's verlegt werden, bei den Parry-Inseln etwa unter dem 78.° nördlicher Breite und bei dem großen Fischfluß auf dem amerikanischen Kontinent unter dem 67.° nördlicher Breite. Diesem gegenüber liegt der asiatische Kältepol in der Umgegend von Werchojansk in Sibirien.

Der Magnetpol wurde im Jahre 1833 von James Roß ebenfalls im Norden von Amerika auf der Halbinsel Boothia Felix unter dem 70° 5' 17" nördlicher Breite gefunden. Daher die Abweichung oder Deklination der Magnetnadel.«

Eduard hatte aufmerksam zugehört, nicht das kleinste Wörtchen war ihm entgangen.

Voll Begeisterung rief er aus: »O wenn es doch uns beschert wäre, dieses warme Polarland zu entdecken, wir würden die berühmtesten Männer von der Welt!«

»Wenn wir dann Gelegenheit hätten, jemand unsere großartige Entdeckung zu erzählen,« fiel Wonström ein, »bedenke wohl, das Wiederkommen von dem Lande ist nicht minder schwierig als das Hinkommen.

Aber jetzt wollen wir wieder die Baumeister spielen und unseren Palast seiner Vollendung näher führen; wenn wir später drinnen sitzen und uns langweilen, ist es noch Zeit genug zum Schwatzen.«


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