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Es war am Abend vor der Abreise Doktor Bauers und der beiden Knaben. Da sie eine kurze Strecke denselben Zug benützen konnten, hatte der Arzt seine Rückkehr nach Berlin um einige Tage hinausgeschoben, zur Freude seiner jugendlichen Freunde.
Aber noch ein vierter fuhr mit ihnen, und zwar der kranke Christoph.
Doktor Bauer war Arzt an einer Klinik in Berlin, und der Brief, den er nach dem ersten Besuch des Patienten geschrieben, war an den Institutsvorstand gerichtet gewesen, mit dem er eng befreundet war. Er hatte dem Professor den beklagenswerten Zustand Christophs geschildert und um seine unentgeltliche Aufnahme gebeten, da nach seiner Meinung der Mann zu retten sei, jedoch nur dann, wenn er aus den alten Verhältnissen der Not und der Sorge herauskäme. Der Professor war bereitwillig auf die Bitte seines Kollegen eingegangen, und der Doktor, ein Mann raschen Entschlusses, wollte nun den Kranken gleich mit sich nach der Hauptstadt nehmen.
Ueber diese günstige Wendung im Schicksale des armen Christoph herrschte nicht allein große Freude in der armseligen Kate, sondern auch unter den Mitgliedern des silbernen Kreuzbundes. Die jungen Mädchen waren außer sich vor Entzücken, und hätten den menschenfreundlichen alten Herrn wohl schier erdrückt mit ihren Liebkosungen, wenn er sich nicht schließlich zur Wehre gesetzt hätte; die Knaben trugen die Freude gefaßter, wie es Männern zukam, und waren stolz, daß der Doktor die Reise mit seinem Schützling auf ihren eigenen Reisetag verschoben hatte.
Die Geheimrätin blieb auf ihren Wunsch und auf Anraten ihres Vetters bis zum Herbst in Wildemann, und damit Else nicht so lange die Schule versäume, hatten Fräulein Reuter und auch Pastor Winter, der den Unterricht der Mädchen mit dieser leitete, sich bereit erklärt, Else an demselben teilnehmen zu lassen.
Die jungen Mädchen freuten sich alle lebhaft darüber, sie hatten ihre Schulbücher verglichen und gefunden, daß sie ziemlich gleich weit waren; morgen sollte der Unterricht anfangen und sie plauderten soeben lebhaft darüber. Alfred sollte nun auch mit dem Orgelspiel beginnen; er blieb noch einige Monate zu Hause, um erst etwas kräftiger zu werden. So traten wieder alle in Thätigkeit, nur Gerhard hatte noch Ferien und beschwor die jungen Mädchen, sich nicht gänzlich der Gelehrsamkeit zu widmen, sondern sich seiner zu erbarmen und hin und wieder mit ihm über Berg und Thal zu streifen; natürlich nur unter sicherer Bedeckung von Vater, Mutter oder Tante, wie er Else schelmisch zuraunte.
Nun war der letzte Abend vor der Abreise des Doktors herangekommen und alle waren in Fräulein Reuters kleinem Saale versammelt, um ihn gemeinschaftlich zu verleben. Auch Pastor Winter wurde gebeten, mit seiner Frau, Suse und den beiden ältesten Söhnen zu kommen, und es war ein gar fröhlicher Kreis, der die Tafelrunde ausfüllte.
Nach dem Essen begab man sich in Fräulein Reuters gemütliches Wohnzimmer, wo Alfred und Maria auf Wunsch musizierten.
Als das Musikstück verklungen war, trat das Stubenmädchen ein und überreichte Wally ein Paket mit den Worten: »Es ist eben angekommen, Komteßchen.«
Kaum hatte Wally einen Blick auf die Aufschrift geworfen, als sie einen Freudenruf ausstieß. »Von Papa, hurra, das sind unsre Kreuze. Kinder, einen schöneren Moment konnten sie zu ihrem Erscheinen nicht wählen.«
Unter allgemeinem Jubel wurde ausgepackt, und es kamen nun sechs reizende Kreuze für Mädchen und sechs kleinere für Knaben zum Vorschein, ganz nach Wallys Vorschrift angefertigt: auf der einen Seite Glaube, Liebe, Hoffnung, auf der andern die Inschrift: »Liebe Gott über alles und deinen Nächsten wie dich selbst.«
»Ich habe gleich ein halbes Dutzend von jeder Art anfertigen lassen,« schrieb der Graf, »da ich hoffe, daß mein Töchterchen noch weitere Mitglieder für ihren hübschen Bund finden wird.«
Wally jubelte. »Der gute Papa, er ist immer einzig lieb, aber nun wollen wir uns dekorieren; Eva, schaffe schmales Sammetband, wenn du kannst.«
Nach wenigen Augenblicken war das Gewünschte zur Stelle, und die jungen Mädchen schmückten sich mit den zierlichen Kreuzen; mit strahlenden Augen sahen sie sich an, umarmten und küßten sich und fanden ihren Bund ganz wundervoll.
»Jetzt auf zur Dekoration der Herren!« rief Wally und marschierte feierlich auf Gerd zu. »Herr Student,« sagte sie mit zierlicher Verbeugung, Sie sind das älteste Mitglied unsres herrlichen Bundes, ich hoffe, Sie werden uns immer mit leuchtendem Beispiel vorangehen –«
»In der Liebe, Komteßchen?« fragte Gerd unschuldsvoll.
»Natürlich, in der christlichen Nächstenliebe. Wir erwarten Großes von Ihnen, Herr Gerd. Wir wissen ja alle, welche Versuchungen einen Studenten täglich umgarnen, als da sind: Wein, Bier, Karten und wie die schlimmen Dinge sonst noch heißen mögen. Sie, Herr Gerd, dürfen diesen Versuchungen nicht zum Opfer fallen, wenn Sie der Ehre teilhaftig bleiben wollen, Ritter des silbernen Kreuzbundes zu bleiben. Sie haben die hohe Aufgabe, allen Notleidenden nach besten Kräften beizustehen, wenn auch nur durch Freundlichkeit und liebreiches Wesen, denn ich weiß wohl, daß bei einem Studenten die Kasse oft leerer ist als das Herz. Und nun,« – sie ergriff ein Lineal von der Tante Schreibtisch, Gerd ließ sich schnell auf ein Knie nieder, und sie schlug ihn mit dem Lineal dreimal leicht auf die Schulter, – »weihe ich Sie zum Ritter des silbernen Kreuzbundes und überreiche Ihnen hiermit das Kreuz als Sinnbild Ihrer hohen Aufgabe. Möchten Sie es stets, Ihnen zur Ehre und unsrem Bunde zum Segen tragen.« Sie sprang zurück und Gerd stand auf.
»Bravo, Wally, bravo!« riefen die Anwesenden im Kreise.
»Du bist wirklich eine vorzügliche Rednerin,« sagte Eva aufrichtig bewundernd.
»Ich bin auch nicht einmal abgeschweift«, entgegnete die Kleine stolz.
»Ist ein Wettermädel, das Komteßchen,« sagte Doktor Bauer zu Pastor Winter, der lächelnd der heiteren Scene zugeschaut hatte.
Gerd dankte nun mit schwungvollen Worten, versicherte, daß er sich wohl der hohen Ehre bewußt sei, in dem Bunde aufgenommen zu sein, ebenso wie es sein stetes Bestreben sein werde, sich desselben würdig zu bezeigen, denn die Schmach, ausgestoßen zu werden, könne er nicht überleben.
Die Mädchen waren sehr befriedigt von dieser Rede. Wally ergriff zwei andre Kreuze und winkte Fritz und Konrad heran. »Euch brauche ich keine Rede zu halten, denn ihr versteht doch noch nicht, was die christliche Nächstenliebe eigentlich von euch fordert; Jungen sind darin stets hinter den Mädchen zurück, und namentlich in eurem Alter sind sie in der Regel ganz hartgesottene Sünder. In der Hoffnung indessen, daß ihr mit den Jahren eure hohe Aufgabe würdigen lernt, überreiche ich euch diese Kreuze.«
Die Jungen tauschten verständnisinnige Blicke miteinander, Kon schien reden zu wollen, Fritz bedeutete ihm jedoch zu schweigen, und so befestigten sie stumm, doch mit stillem Wohlgefallen die glänzenden Kreuzchen an ihren Uhrketten.
»Wally,« flüsterte Maria und legte den Arm um die Freundin, »wollen wir nicht auch Alfred in unsern Bund aufnehmen? Sieh nur, wie traurig er aussieht, daß er allein ausgeschlossen ist.«
Maria hatte recht, es lag ein wehmütiger Ausdruck auf dem blassen Gesicht, und Wally, der es unmöglich war, einen Menschen traurig zu sehen, ergriff schnell ein viertes Kreuz und huschte zu dem Jüngling hinüber, der gedankenvoll am Kamin lehnte.
»Alfred, lieber Alfred,« sagte sie mit der scheuen Ehrfurcht, die sie stets vor dem Blinden empfand, »es würde uns allen eine große Freude sein, wenn Sie als Ehrenmitglied in unsern Bund treten möchten. Wollen Sie?«
Ein helles Lächeln flog über das blasse Gesicht und er tastete nach ihrer Hand. »Wie gern will ich, liebe Wally, dann darf ich doch teil an Ihrem edlen Streben nehmen.«
»Kommen Sie, Herr Gerd, und dekorieren Sie unser Ehrenmitglied, dem ich in aller Namen unsern Dank für die Ehre ausspreche, die er uns mit seiner freundlichen Bereitwilligkeit erwiesen hat.« Sie ließ sich in einen Stuhl fallen. »Ach, Kinder, so ein Rednerposten ist furchtbar angreifend.«
»Da wird dir eine kleine Stärkung gut thun,« sagte Fräulein Reuter und strich liebevoll über das dunkle Lockenköpfchen. »Wollen meine lieben Gäste mir ins Nebenzimmer folgen? Ich habe dort eine kleine Erfrischung auftragen lassen.«
Der Aufforderung wurde gern Folge geleistet, und die jungen Mädchen ließen sich die kühle Limonade, die für sie bereitet war, und die kleinen Kuchen trefflich schmecken; auch die Knaben verschmähten beides nicht, während die Erwachsenen sich an einem Glase Wein gütlich thaten.
Gegen zehn Uhr trennte man sich, nachdem die jungen Mädchen sich verschiedentlich versichert hatten, daß sie lange nicht einen so »himmlischen« Abend verlebt hätten.
Am nächsten Morgen gab es nicht so vergnügte Gesichter. Allen that es leid, daß Doktor Bauer schied, ebenso wie die beiden Knaben. Alle, die Pastorin ausgenommen, selbst Alfred, gaben den Reisenden das Geleit zum Bahnhofe, wo Trine mit ihrem kranken Manne und den beiden ältesten Kindern schon auf den Doktor warteten. Zwei Träger hatten ihn auf einer Bahre zur Station geschafft, und die Jugend war bewegt, als sie das blasse Leidensgesicht sah.
Trine brach in Thränen aus, als sie des Doktors ansichtig wurde. »Ach lieber Gott, Herr Doktor, hier sind wir, ich und der Christoph, wenn's nu man was helfen thät, daß Sie ihn so weit wegschleppen. Glauben Sie denn, daß ich ihn lebendig wiederseh'?«
»Na, natürlich, und mit zwei gesunden Beinen obendrein. Glauben Sie denn, daß ich ihn zum Spaß mitnehme?« polterte Doktor Bauer gutmütig und befahl den Trägern, den Kranken in das Coupee zu schaffen.
Trine zerfloß nun in Thränen und Herzeleid, Christel aber streichelte die abgemagerten Hände des Kranken und sagte: »Adieu, lieber Vater, die Großmutter sagt, der liebe Gott geht mit dir, da sei nur nicht bange.«
Friedel nahm die Sache am leichtesten, er gab dem Vater die Hand und sagte: »Na adjes, Vater, mach, daß du bald gesund wiederkehrst.«
Nachdem der Kranke bequem im Wagen gebettet lag, stieg auch der Doktor nach herzlichem Abschied mit den beiden Knaben ein. Die übrige Gesellschaft trat herzu und jedes sagte der Trine etwas Tröstendes und Ermunterndes, bis man endlich schied.
Trotzdem Wally sich nach der Abschiedsscene mühte, die etwas bedrückten Geister zum Frohsinn zu erwecken, wollte doch keine rechte Heiterkeit aufkommen, und es war ganz weise von Fräulein Reuter, daß sie an diesem Tage mit dem Unterricht begann. Dieser hatte nun einen besonderen Reiz dadurch, daß Else zum erstenmal teil an demselben nahm, und alle fünf Mädchen – denn auch Suse teilte die Unterrichtsstunden – gaben sich mit größtem Eifer den einzelnen Fächern hin, ihr Bestes zu leisten.
Else hatte eine ausgezeichnete Schule besucht, war begabt und ehrgeizig, und es zeigte sich bald, daß sie nur wenig hinter Eva, der begabtesten unter den Freundinnen, zurückstand. Else beschloß sofort, alles aufzubieten, um diese wenn möglich zu überflügeln, auch nahm sie sich vor, sich nicht wie die andern von ihr beherrschen zu lassen.
Wally war ebenfalls begabt, aber zu lebhaft und unruhig, um viel Weisheit in ihr Köpfchen aufzunehmen. Maria fiel das Lernen etwas schwer, sie war aber ungemein fleißig und pflichtgetreu.
Suse war wohl am wenigsten begabt, hatte überhaupt kein einziges Talent aufzuweisen, nach eigener Aussage; die Ihren behaupteten freilich, sie hätte das größte Talent, alle Dinge beim rechten Ende anzufassen und es allen urgemütlich zu machen. Sie hatte einen scharfen Blick in allen praktischen Lebensfragen und war ihrer Mutter eine ganz unentbehrliche Beraterin bei allen kleineren und größeren Vorkommnissen des täglichen Lebens, ja, sie rechnete ein schwieriges Exempel ohne Mühe aus, aber vor einem deutschen Aufsatz konnte sie hilflos wie ein kleines Kind sitzen, wie Wally sich ausdrückte.
Else hatte noch immer keine Zuneigung für Suse gefaßt, sie war ihr zu prosaisch und materiell, auch Eva liebte sie nicht besonders, für Wally hingegen schwärmte sie förmlich, und die sanfte, liebliche Marie konnte sie nicht anders als lieben.
Der erste Schultag war beendet, und noch ganz heiß von der gelieferten hitzigen Schlacht saßen die fünf Mädchen im Garten und plauderten. Von ihren Wissenschaften kamen sie auf die Reisenden zu sprechen und bedauerten lebhaft, daß die schöne Ferienzeit verflossen sei.
»Seht nur, da kommt der Pilzfriedel, was er wohl will? Zu verkaufen hat er nichts,« rief mit einemmale Eva. »Hier, Friedel komm einmal her.«
Der Junge trat näher, nahm die Mütze ab und sagte: »Großmutter und Mutter lassen für die Glucke und die Küken schön danken und« – er stockte in höchster Verlegenheit und drehte die Mütze hin und her.
Die jungen Mädchen sahen sich erstaunt an. »Eine Glucke mit Küken?« fragte Eva kopfschüttelnd, »davon wissen wir wirklich nichts, Friedel.«
»Ist sie bei euch angeflogen gekommen?« fragte Wally lachend.
»Nein, der alte Pohl hat sie gebracht.«
»Was, Pohl? Dann muß er zu einem Geständnis gezwungen werden,« und fort stürmte die lustige Gesellschaft, während Friedel langsam folgte.
Der Alte harkte die Wege und hielt in seiner Beschäftigung inne, als die jungen Mädchen herbeigeeilt kamen. In aller Seelenruhe ließ er eine Flut von Fragen über sich ergehen, dann entgegnete er gemächlich: »Ich weiß nicht, ob ich's verraten darf.«
»Guter, einziger Pohl, uns werden Sie es doch sagen können,« bat Wally, und nach einigem Bedenken erzählte der Alte wirklich, was er wußte.
Die Mädchen waren einfach starr vor Verwunderung, und Eva sagte energisch: »Das ist sicher ein Irrtum, Pohl, meine Brüder können es nicht gewesen sein.«
»I, Fräulein, ich werd' doch unsre jungen Herren kennen,« entgegnete der Alte empfindlich, »sie sind ja vier Wochen bei uns zum Besuch gewesen,« und er lieferte nun eine Personalbeschreibung, die allerdings keinen Zweifel mehr zuließ.
Maries liebliches Gesicht strahlte vor Entzücken, und Eva sagte anerkennend: »Wirklich nett von den Jungen, wer hätte das von ihnen gedacht.«
»Und ich Unglückliche habe sie gestern abend so tief mit meiner Rede gekränkt,« klagte Wally, »sie haben sich aber wie ein paar Helden betragen und unsre Verachtung schweigend hingenommen. Wißt ihr was, wir schreiben ihnen heute noch einen Brief en compagnie, das sind wir ihnen schuldig.«
Die andern stimmten eifrig bei, und sie wollten sich dem Hause zuwenden, als sie Friedel erblickten, der noch immer höchst verlegen und betreten aussah.
»Komm her, Friedel,« rief Wally ihm zu, »und beschreibe uns die kleine Familie; wie viel Küchlein sind es?«
Friedel befriedigte nun die Wißbegierde der Mädchen, stand aber noch immer zögernd und verwirrt.
Schon wollten sich diese von ihm verabschieden, als die praktische Suse plötzlich fragte: »Habt ihr auch Futter für die Tierchen?«
Eine heiße Röte flog über Friedels Gesicht, er atmete aber doch erleichtert auf. »Nein, Mutter sagt, sie fressen so viel.«
Das wußte Suse aus Erfahrung, und sie sah die Freundinnen ratlos an. »Was thun?«
Eva begriff zuerst und lachte hellauf. »O, über diese großmütigen Jungen, die nicht bedacht haben, daß die Tierfamilie nicht geneigt ist, Hungers zu sterben, und doch nicht von der Luft leben kann.«
»Ja, so füttert sie doch, Friedel,« sagte Else verwundert.
Suse strich lächelnd über ihre blühende Wange. »Das ist leicht gesagt, Prinzeßchen, aber wenn das Futter fehlt und das Geld ebenfalls, so ist das Füttern eine schwere Sache.«
Else war ärgerlich zurückgetreten; wie kam die dumme Suse dazu, sie zu liebkosen und zu belehren?
»Aber Kinder, was fangen wir an,« rief Wally erschrocken, »es ist noch immer nicht der erste September, daß unser Taschengeld erneuert wird.«
»Wir müssen aber doch für die Tiere sorgen,« meinte Maria, »was würden wohl Fritz und Kon sagen, wenn sie verhungerten?«
»Das darf natürlich nicht geschehen,« sagte Suse entschlossen, »ich will euch einen Vorschlag machen. Ich nehme Friedel mit mir, Mutter wird wohl nichts dagegen haben, daß ich ihm ein altes Brot und Grütze für die Tiere gebe; bis das verspeist ist, mögen sich unsre Finanzen schon gebessert haben.«
»Ich schreibe sofort an Papa,« erklärte Wally, »er muß ja einsehen, daß unsre Verpflichtungen riesengroß anwachsen, und wird sicher mein Taschengeld erhöhen. Es ist wahrhaftig keine Kleinigkeit, für eine Menschen- und eine Tierfamilie zu sorgen. Aber Suse, der Brief an Fritz und Kon,« rief sie der forteilenden Freundin nach.
»Schreibt nur in meinem Namen mit, grüßt die Jungen und sagt ihnen, daß ich sie aufrichtig bewundere.« Damit verließ sie mit ihrem Schützlinge den Garten, und die Mädchen gingen ins Haus, der Tante das Neueste zu berichten und dann einen reuevollen Brief an die Jungen zu schreiben, in dem sie ihnen ihre vollste Hochachtung aussprachen.
Am nächsten Nachmittage saß Else eifrig bei ihren Schularbeiten, während die Geheimrätin sich mit einem Buche vergnügte; da ward die Thür geräuschvoll geöffnet, und Dora trat ein mit allen Zeichen des Aergers auf ihrem roten Gesichte. »Sehen Sie nur, Frau Geheimrat,« sagte sie und breitete ein frisch gewaschenes, weißes Kleid vor ihrer Herrin aus, »ist es nicht eine Sünde und Schande, drei Mark dafür zu nehmen? Nur für Waschen und Plätten drei Mark? Es ist das reine Sündengeld für so einen einfachen Lappen.«
»Bitte, Dore, sprich mit etwas mehr Achtung von meinem hübschen Kleide,« rief Else halb lachend, halb ärgerlich.
»Ach was, Kind, was wahr ist, muß wahr bleiben, und eine Sünde und Schande bleibt's, dafür drei ganze Mark bezahlen zu müssen.«
»Nun, über diese Kosten kommen wir auch schon weg, Dore, beruhige dich darüber,« sagte die Geheimrätin seufzend.
»Ja, wenn Sie meinen, Sie müssen es natürlich wissen – ich hatt' man meine eigenen Gedanken über die Sache; na – Elsechen, komm nachher 'mal in meine Stube, Kind, wenn du mit deinen Arbeiten fertig bist, ich will dir etwas sagen.« Sie zwinkerte dem jungen Mädchen geheimnisvoll zu und verschwand mit dem Kleide.
Nach einer halben Stunde war Else fertig und schlüpfte in Dores kleines Stübchen. »So, Dore,« sagte sie und setzte sich zu der Alten ans Fenster, »nun vertrau mir dein großes Geheimnis.«
»Ja, siehst du, Kind, ich bin nur ein altes dummes Frauenzimmer, aber dein kluges Köpfchen wird schon wissen, ob was Gescheites mit meinem Gedanken anzufangen ist.« Else nickte geschmeichelt, und Dore fuhr fort: »Gut waschen und plätten ist ja freilich auch eine Kunst, aber ich meine doch, wenn einer nur Lust hat, lernt er's schon, meinst du nicht auch, Kind?«
»Ja, gewiß,« gab Else zu, die nicht recht begriff, wo hinaus die Alte wollte.
»Sieh, Elsechen, es ist doch ein Sündengeld, was wir für so ein einfaches Kleid geben, wenn Mama es auch nicht wahr haben will, und da dacht' ich – ihr habt ja wohl eine Art von Verein – da wäre es doch schön, wenn wir auch etwas dafür thäten.«
»O, Dore, ich habe kürzlich erst fünf Mark gegeben.«
»Weiß ich, Kind, und ich hatt 'ne unbändige Freude darüber, daß du sogar dem Komteßchen über warst, aber meinst du wohl, daß es gut wär', wenn die Trine waschen und plätten lernte? Da könnt' sie sich zur Sommerszeit ein schön Stück Geld verdienen und braucht' nicht von Almosen zu leben.«
Else riß die Augen weit auf vor Staunen, und die Alte fuhr fort: »Ich wollt ihr's gern zeigen, denn so leicht macht mir's keiner nach, das kann ich sagen, ohne mich zu rühmen. Die Wäscherinnen hier zeigen's ihr nicht, Kind, das kannst du glauben, schon nicht aus Brotneid.«
»Dore, das ist ja ein wundervoller Einfall,« rief Else, »es wäre zu herrlich, wenn wir das ins Werk setzen könnten.«
»Weshalb nicht, wenn wir nur wollen, die Trine muß ja froh sein, wenn ihr ein anständiger Christenmensch was Gescheites beibringt, wodurch sie sich ernähren kann.«
»Weißt du, Dore, ich lauf schnell ins Nachbarhaus, um zu hören, was sie dort zu deinem Gedanken sagen. Glaubst du aber, Dore, daß Mama nichts dagegen haben wird?« setzte sie etwas unsicher hinzu.
»Na, wer hat die Umstände davon, die Frau Mama oder ich, wenn ich's der Trine zeig'? Aber meinetwegen, geh und frag', wenn du meinst, daß es nötig ist.«
Else ging zu der Mutter ins Zimmer und machte sie mit Dores Plänen bekannt. Die Geheimrätin konnte sich zwar im ganzen nicht sehr für den neu gestifteten Bund begeistern, ebensowenig aber ihrem Töchterchen eine Bitte abschlagen. »Ich will euch nicht entgegen sein,« sagte sie, »obgleich ich nicht einsehen kann, weshalb Dore gerade die Lehrmeisterin spielen muß. Denke nur, Kind, welcher ungemütlichen Zeit wir entgegengehen, wenn Dore ewig mit Waschangelegenheiten zu thun hat.«
Else eilte nach erhaltener mütterlicher Einwilligung ins Nachbarhaus, wo sie mit ungeheurer Wichtigkeit Dores Ideen verkündete.
Mit großem Beifall wurden diese aufgenommen, und auch Fräulein Reuter erklärte sie für sehr zweckmäßig und vernünftig. Nun wurde überlegt und hin und her geredet, bis Fräulein Reuter den jungen Mädchen endlich erklärte, so einfach sei die ganze Sache nicht, erstens müsse man doch wissen, ob Trine überhaupt Lust dazu habe, und dann, ob die Wirtin von Elsens Mutter erlaube, daß Dore einen Waschkursus in ihrem Hause eröffne, denn selbstverständlich müsse die Wäsche in ihrem Garten getrocknet werden, und drittens gehörten dazu mancherlei Gerätschaften, wie Waschfässer, Plättbretter und Plätteisen verschiedener Größe, das alles koste aber Geld.
Die jungen Mädchen waren sämtlich sehr niedergeschlagen, und Wally rief: »Ach, Tantchen, was soll dann werden? Wir können diese herrliche Idee doch nicht ohne weiteres verwerfen?«
»Das wollen wir auch nicht, mein Kind, und da wir die erste Frage heute nicht entscheiden können, wollen wir sofort zu der zweiten und dritten übergehen, und da schlage ich euch vor, die Angelegenheit in meine Hände zu legen, mich mit Elses Mama und mit deren Wirtin sprechen zu lassen, dann wollen wir weiter beraten.« Die jungen Mädchen waren mit Freuden bereit, und Fräulein Reuter begab sich in das Nachbarhaus.
Die Jugend blieb in großer Spannung zurück, sprach eifrig über das Vorhaben und sah im Geiste schon den Wohlstand der Familie gesichert.
»Unser Bund ist doch etwas Herrliches,« rief Wally; »Kinder, wenn wir das Glück dieser Familie gegründet haben, fangen wir bei einer andern an; wenn das auch so schnell geht, werden wir noch die reinen Weltbeglücker.«
Bald kehrte Fräulein Reuter zurück und ward mit tausend Fragen bestürmt. »Laßt mich doch zu Worte kommen, Kinder,« wehrte sie lächelnd ab, »ich will euch alles getreulich berichten. Frau Brandt konnte ich zuerst gar nicht für unser Anliegen erwärmen, obgleich sie sich lebhaft für die Familie interessiert und sich freut, daß ihr soviel geholfen wird. Sie konnte aber nicht recht einsehen, weshalb Trine gerade in ihrem Hause waschen lernen sollte, es könnte nach ihrer Meinung ebensogut in Grünberg geschehen; erst als ich ihr erklärte, daß man von der alten Dore nicht täglich die weite Wanderung verlangen könne, gab sie nach, und jetzt habe ich sie vollständig für unsern Plan gewonnen. Nun ging ich zu Elses Mama, die Sache mit ihr zu besprechen, und als Resultat unsrer Unterredung will ich euch kurz mitteilen, Kinder, daß Frau Geheimrat und ich uns geeinigt haben, die vorläufigen Kosten für die anzuschaffenden Gegenstände zu tragen. Nun, seid ihr befriedigt?«
Es war gut, daß sich die alte Dame bei Zeiten gesetzt hatte, sie wäre schwerlich im stande gewesen, dem stürmischen Andrange der Jugend zu widerstehen.
Inzwischen war es Essenszeit, und da Else wußte, daß ihre Mama nicht gern mit dem Thee wartete, nahm sie Abschied. Die Freundinnen ließen es sich jedoch nicht nehmen, sie nach Hause zu begleiten, um der Geheimrätin und Frau Brandt zu danken, sowie Dore ihre volle Anerkennung für ihren großartigen Gedanken auszusprechen.
Die Alte fühlte sich höchst geschmeichelt und befriedigt und äußerte nachher zu Else, daß sie für das Komteßchen noch ganz andre Dinge thäte, als der Trine das Waschen beibringen. »Du mußt aber nicht, denken, Elsechen, daß ich's für dich nicht auch thäte, erst recht, du bist ja unser Kind, aber nach dir ist das Komteßchen doch das reizendste kleine Fräulein, das meine alten Augen je gesehen haben.«
So sprach Dore, und ihr Blick streifte mit zärtlichem Ausdruck den verwelkten Strauß, den Wally ihr zur Versöhnung gebracht hatte und den sie sich nicht entschließen konnte, fortzuwerfen.