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Sie ist in der Taktik wie in der Strategie das allgemeinste Prinzip des Sieges und soll von uns zuerst in dieser Allgemeinheit betrachtet werden, wozu wir uns folgende Entwicklung erlauben.
Die Strategie bestimmt den Punkt, auf welchem, die Zeit, in welcher, und die Streitkräfte, mit welchen gefochten werden soll; sie hat also durch diese dreifache Bestimmung einen sehr wesentlichen Einfluß auf den Ausgang des Gefechts. Hat die Taktik das Gefecht geliefert, ist der Erfolg da, er mag nun Sieg oder Niederlage sein, so macht die Strategie denjenigen Gebrauch davon, welcher sich nach dem Zweck des Krieges davon machen läßt. Dieser Zweck des Krieges ist natürlich oft ein sehr entfernter und in den seltensten Fällen ein ganz naheliegender. Eine Reihe von anderen Zwecken ordnen sich ihm als Mittel unter. Diese Zwecke, die zugleich Mittel für höhere Zwecke sind, können in der Anwendung mancherlei sein, selbst der letzte Zweck, das Ziel des ganzen Krieges, ist fast in jedem Kriege ein anderes. Wir werden mit diesen Dingen uns bekanntmachen in dem Maße, als wir die einzelnen Gegenstände kennenlernen, die dadurch berührt werden, und es kann nicht unsere Absicht sein, hier durch eine vollständige Aufzählung derselben, wenn sie auch möglich wäre, den ganzen Gegenstand zu umfassen. Wir lassen also die Verwendung des Gefechts vorderhand liegen.
Auch diejenigen Dinge, wodurch die Strategie Einfluß auf den Ausgang des Gefechts hat, indem es dasselbe festsetzt (gewissermaßen dekretiert), sind nicht so einfach, daß man sie mit einer einzigen Betrachtung umfassen könnte. Indem die Strategie Zeit, Ort und Stärke bestimmt, kann sie dies in der Anwendung auf mancherlei Weise tun, wovon jede das Gefecht sowohl seinem Ausgang als seinem Erfolg nach anders bedingt. Also werden wir auch dies erst nach und nach kennenlernen, nämlich bei den Gegenständen, welche die Anwendung näher bestimmen.
Entkleiden wir so das Gefecht von allen Modifikationen, die es nach seiner Bestimmung und den Umständen, aus welchen es hervorgeht, bekommen kann, abstrahieren wir endlich von dem Wert der Truppen, weil dieser ein Gegebenes ist, so bleibt nur der nackte Begriff des Gefechts, d. h. ein formloser Kampf übrig, an dem wir nichts als die Zahl der Kämpfenden unterscheiden.
Diese Zahl wird also den Sieg bestimmen. Schon aus der Menge von Abstraktionen, welche wir haben machen müssen, um auf diesen Punkt zu kommen, ergibt sich, daß die Überlegenheit der Zahl in einem Gefecht nur einer der Faktoren ist, aus welchem der Sieg gebildet wird, daß also, weit entfernt, mit der Überlegenheit der Zahl alles oder auch nur die Hauptsache gewonnen zu haben, vielleicht noch sehr wenig damit erreicht ist, je nachdem die mitwirkenden Umstände so oder anders sind.
Aber die Überlegenheit hat Grade, sie kann doppelt, drei-, viermal so groß gedacht werden usw., und jedermann begreift, daß sie bei dieser Steigerung alles übrige überwältigen muß.
In dieser Beziehung muß man einräumen, daß die Überlegenheit der Zahl der wichtigste Faktor in dem Resultat eines Gefechts ist, nur muß sie groß genug sein, um den übrigen mitwirkenden Umständen das Gleichgewicht zu halten. Die unmittelbare Folge davon ist, daß man die möglichst größte Zahl von Truppen auf den entscheidenden Punkt ins Gefecht bringen müsse.
Mögen diese Truppen dann hinreichen oder nicht, so hat man von dieser Seite alles getan, was die Mittel zuließen. Dies ist der erste Grundsatz in der Strategie. So allgemein wie er hier ausgesprochen ist, würde er ebenso gut für Griechen und Perser oder für Engländer und Mahratten als für Franzosen und Deutsche passen. Aber wir wollen den Blick auf unsere europäischen Kriegsverhältnisse richten, um uns etwas Bestimmteres dabei denken zu können.
Hier sind die Heere in Bewaffung, Einrichtung und Kunstfertigkeit jeder Art einander viel ähnlicher, es besteht nur abwechselnd noch ein Unterschied in kriegerischer Tugend des Heeres und Talent des Feldherrn. Gehen wir die Kriegsgeschichte des neueren Europa durch, so finden wir keine Beispiele von Marathon.
Friedrich der Große schlug bei Leuthen mit etwa 30000 Mann 80000 Österreicher, bei Roßbach mit 25000 Mann einige 50000 Mann Verbündete; das sind aber auch die einzigen Beispiele eines gegen den doppelt und mehr als doppelt so starken Feind errungenen Sieges. Karl XII. in der Schlacht bei Narwa können wir füglich nicht anführen. Die Russen waren damals kaum als Europäer zu betrachten, auch sind selbst die Hauptumstände dieser Schlacht zu wenig bekannt. Bonaparte bei Dresden hatte 120000 gegen 220000, es war also noch nicht das Doppelte. Bei Kolin wollte es Friedrich dem Großen mit 30000 Mann gegen 50000 Österreicher nicht gelingen, und ebenso Bonaparte in der verzweiflungsvollen Leipziger Schlacht, wo er 160000 Mann gegen 280000 stark, die Überlegenheit also lange nicht das Doppelte war.
Es geht hieraus wohl hervor, daß im heutigen Europa es dem talentvollsten Feldherrn sehr schwer ist, einer feindlichen Macht von doppelter Stärke den Sieg abzugewinnen; sehen wir die doppelte Streitkraft gegen die größten Feldherren ein solches Gewicht in die Waagschale legen, so dürfen wir nicht zweifeln, daß in gewöhnlichen Fällen bei großen und kleinen Gefechten eine bedeutende Überlegenheit, die aber doch das Doppelte nicht zu übersteigen braucht, hinreichen wird, den Sieg zu verleihen, wie nachteilig auch die anderen Umstände sein mögen. Freilich kann man sich einen Paß denken, wo auch das Zehnfache zur Überwältigung nicht hinreichen würde; aber in solchem Falle kann von Gefecht überhaupt nicht mehr die Rede sein. Wir glauben also, daß gerade in unseren Verhältnissen sowie in allen ähnlichen die Stärke auf dem entscheidenden Punkt eine große Hauptsache, und daß dieser Gegenstand in der Allgemeinheit der Fälle geradezu unter allen der wichtigste sei. Die Stärke auf dem entscheidenden Punkte hängt von der absoluten Stärke des Heeres und von der Geschicklichkeit der Verwendung ab.
Die erste Regel würde also sein: mit einem Heere so stark als möglich ins Feld zu ziehen. Das klingt sehr nach einem Gemeinspruch und ist doch wirklich keiner.
Um zu beweisen, wie man lange Zeit hindurch die Stärke der Streitkräfte keineswegs für eine Hauptsache angesehen hat, dürfen wir nur bemerken, daß in den meisten, selbst in den ausführlicheren Kriegsgeschichten des achtzehnten Jahrhunderts die Stärke der Heere entweder gar nicht oder nur nebenher angegeben und niemals ein besonderer Wert darauf gelegt wird, Tempelhoff in seiner Geschichte des Siebenjährigen Krieges ist der früheste von den Schriftstellern, der sie regelmäßig, aber dennoch nur sehr oberflächlich angibt.
Selbst Massenbach in seinen mancherlei kritischen Betrachtungen über die preußischen Feldzüge von 1793 und 1794 in den Vogesen spricht viel von Bergen, Tälern, Wegen und Fußstegen, sagt aber nie eine Silbe von der gegenseitigen Stärke.
Ein anderer Beweis liegt in einer wunderbaren Idee, welche in den Köpfen mancher kritischen Schriftsteller spukte, nach der es eine gewisse Größe eines Heeres gab, welches die beste war, eine Normalgröße, über die hinaus die überschießenden Streitkräfte mehr lästig als nützlich wären. Tempelhoff und Montalembert fallen uns zunächst dabei ein; jener in einer Stelle seines ersten Teiles, Seite 148, dieser in seiner Korrespondenz bei Gelegenheit des russischen Operationsplanes für 1759.
Endlich gibt es eine Menge von Beispielen, wo nicht alle verwendbaren Streitkräfte in der Schlacht oder im Kriege wirklich verwendet wurden, weil man die Überlegenheit der Zahl nicht von der Wichtigkeit glaubte, die ihr nach der Natur der Sache gebührt.
Ist man von der Überzeugung, daß mit einer beträchtlichen Übermacht alles mögliche zu erzwingen ist, recht durchdrungen, so kann es nicht fehlen, daß diese klare Überzeugung auf die Anstalten zum Kriege zurückwirkt, um mit so viel Kräften, als nur immer möglich, aufzutreten und entweder selbst das Übergewicht zu bekommen, oder sich wenigstens vor einem feindlichen zu verwahren. So viel was die absolute Macht betrifft, mit welcher der Krieg geführt werden soll.
Das Maß dieser absoluten Macht wird von der Regierung bestimmt, und obgleich mit dieser Bestimmung schon die eigentliche kriegerische Tätigkeit beginnt und dieselbe ein ganz wesentlicher, strategischer Teil derselben ist, so muß doch in den meisten Fällen der Feldherr, welcher diese Streitkraft im Kriege führen soll, ihre absolute Stärke als ein Gegebenes betrachten, sei es, daß er keinen Teil an ihrer Bestimmung hatte, oder daß die Umstände verhinderten, ihr eine genügende Ausdehnung zu geben.
Es bleibt also nur übrig, durch eine geschickte Verwendung auch da, wo das absolute Übergewicht nicht zu erreichen war, sich ein relatives auf dem entscheidenden Punkt zu verschaffen.
Als das Wesentlichste hierbei erscheint die Berechnung von Raum und Zeit, und dies hat veranlaßt, daß man in der Strategie diesen Gegenstand als einen den ganzen Gebrauch der Streitkräfte ziemlich umfassenden betrachtet hat. Ja, man ist so weit gegangen, in der Strategie und Taktik großen Feldherren ein eigens dafür geschaffenes inneres Organ beizulegen.
Aber diese Vergleichung von Raum und Zeit, wenn sie auch überall zum Grunde liegt und gewissermaßen das tägliche Brot der Strategie ist, ist doch weder das Schwierigste noch das Entscheidende.
Wenn wir die Kriegsgeschichte mit unbefangenem Blick durchlaufen, so werden wir finden, daß die Fälle, wo wirklich die Fehler in solcher Rechnung die Ursache bedeutender Verluste geworden wären, wenigstens in der Strategie höchst selten sind. Soll aber der Begriff einer geschickten Kombination von Raum und Zeit alle die Fälle repräsentieren, wo ein entschlossener und tätiger Feldherr durch schnelle Märsche mit ein und demselben Heer mehrere seiner Gegner schlug (Friedrich der Große, Bonaparte), so verwirren wir uns unnützerweise in eine konventionelle Sprache. Für die Klarheit und Fruchtbarkeit der Vorstellungen ist es nötig, die Dinge immer bei ihrem rechten Namen zu nennen.
Die richtige Beurteilung ihrer Gegner (Daun, Schwarzenberg), das Wagnis, ihnen eine Zeitlang nur geringe Streitkräfte gegenüberstehen zu lassen, die Energie verstärkter Märsche, die Dreistigkeit schneller Anfälle, die erhöhte Tätigkeit, welche große Seelen im Augenblick der Gefahr gewinnen: das sind die Gründe solcher Siege - und was haben diese mit der Fähigkeit zu tun, zwei so einfache Dinge, wie Raum und Zeit sind, richtig zu vergleichen!
Aber selbst jenes rikoschettierende Spiel der Kräfte, wo die Siege von Roßbach und Montmirail den Schwung geben zu den Siegen von Leuthen und Montereau, und welchen die großen Feldherren in der Verteidigung sich öfter vertraut haben, ist doch, wenn wir klar und genau sein wollen, nur ein seltenes Vorkommen in der Geschichte.
Viel häufiger hat die relative Überlegenheit, d. h. die geschickte Führung überlegener Streitkräfte auf den entscheidenden Punkt, ihren Grund in der richtigen Würdigung dieser Punkte und der treffenden Richtung, welche die Kräfte von Hause aus dadurch erhalten; in der Entschlossenheit, welche erforderlich ist, um das Unwichtige zum Besten des Wichtigen fallen zu lassen, d. h. seine Kräfte in einem überwiegenden Maße vereinigt zu halten. Darin sind namentlich Friedrich der Große und Bonaparte charakteristisch.
Hiermit glauben wir der Überlegenheit in der Zahl die Wichtigkeit wiedergegeben zu haben, die ihr zukommt; sie soll als die Grundidee betrachtet, überall zuerst und nach Möglichkeit gesucht werden.
Sie darum für eine notwendige Bedingung des Sieges zu halten, würde ein völliges Mißverstehen unserer Entwicklung sein; vielmehr liegt in dem Resultat derselben nichts als der Wert, welchen man auf die Stärke der Streitkräfte im Gefecht legen soll. Wird diese Stärke so groß als möglich gemacht, so ist dem Grundsatz genug geschehen, und nur der Blick auf die Gesamtheit der Verhältnisse entscheidet, ob das Gefecht wegen fehlender Streitkräfte vermieden werden darf oder nicht.