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Jede eigentümliche Tätigkeit bedarf, wenn sie mit einer gewissen Virtuosität getrieben werden soll, eigentümlicher Anlagen des Verstandes und Gemüts. Wo diese in einem hohen Grade ausgezeichnet sind und sich durch außerordentliche Leistungen darstellen, wird der Geist, dem sie angehören, mit dem Namen des Genius bezeichnet.
Wir wissen wohl, da dieses Wort nach Ausdehnung und Richtung in sehr verschiedenartigen Bedeutungen vorkommt und daß in manchen dieser Bedeutungen es eine sehr schwere Aufgabe ist, das Wesen des Genius zu bezeichnen; aber da wir uns weder für einen Philosophen noch für einen Grammatiker ausgeben, so wird es uns gestattet sein, bei einer im Sprachgebrauch üblichen Bedeutung stehenzubleiben und unter Genie die für gewisse Tätigkeiten sehr gesteigerte Geisteskraft zu verstehen.
Wir wollen bei dieser Fakultät und Würde des Geistes einige Augenblicke verweilen, um die Berechtigung näher nachzuweisen und den Inhalt des Begriffs näher kennenzulernen. Aber wir können nicht bei dem durch ein sehr gesteigertes Talent graduierten, bei dem eigentlichen Genie stehenbleiben, denn dieser Begriff hat ja keine abgemessenen Grenzen, sondern wir müssen überhaupt jede gemeinschaftliche Richtung der Seelenkräfte zur kriegerischen Tätigkeit in Betrachtung ziehen, die wir dann als das Wesen des kriegerischen Genius ansehen können. Wir sagen die gemeinschaftlichen, denn darin besteht eben der kriegerische Genius, daß er nicht eine einzelne dahin gerichtete Kraft, z. B. der Mut ist, während andere Kräfte des Verstandes und Gemüts fehlen oder eine für den Krieg unbrauchbare Richtung haben, sondern daß er ein harmonischer Verein der Kräfte ist, wobei eine oder die andere vorherrschen, aber keine widerstreben darf.
Wenn jeder Kämpfende vom kriegerischen Genius mehr oder weniger beseelt sein sollte, so würden unsere Heere wohl sehr schwach sein; denn eben weil darunter eine eigentümliche Richtung der Seelenkräfte verstanden wird, so kann sie da nur selten vorkommen, wo in einem Volke die Seelenkräfte nach so vielen Seiten hin in Anspruch genommen und ausgebildet werden. Je weniger verschiedenartige Tätigkeiten ein Volk aber hat, je mehr die kriegerische bei demselben vorherrscht, um so mehr muß sich auch der kriegerische Genius in demselben verbreitet finden. Dies bestimmt aber nur seinen Umfang, keineswegs seine Höhe, denn diese hängt von der allgemeinen geistigen Entwicklung des Volkes ab. Wenn wir ein rohes, kriegerisches Volk betrachten, so ist ein kriegerischer Geist unter den einzelnen viel gewöhnlicher als bei den gebildeten Völkern, denn bei jenen besitzt ihn fast jeder einzelne Krieger, während bei den gebildeten eine ganze Masse nur durch die Notwendigkeit und keineswegs durch inneren Trieb mit fortgerissen wird. Aber unter rohen Völkern findet man nie einen eigentlich großen Feldherrn, und äußerst selten, was man ein kriegerisches Genie nennen kann, weil dazu eine Entwicklung der Verstandeskräfte erforderlich ist, die ein rohes Volk nicht haben kann. Daß auch gebildete Völker eine mehr oder weniger kriegerische Richtung und Entwicklung haben können, versteht sich von selbst, und je mehr dies der Fall ist, um so häufiger wird sich in ihrem Heere der kriegerische Geist auch in dem einzelnen linden. Da dies nun mit dem höheren Grade desselben zusammentrifft, so gehen von solchen Völkern immer die glänzendsten kriegerischen Erscheinungen aus, wie Römer und Franzosen bewiesen haben. Die größten Namen dieser und aller im Kriege einst berühmten Völker fallen aber immer erst in die Zeiten einer höheren Bildung.
Es läßt uns dies schon erraten, wie groß der Anteil ist, welchen die Verstandeskräfte an dem höheren kriegerischen Genius haben. Wir wollen jetzt einen nähern Blick auf ihn werfen.
Der Krieg ist das Gebiet der Gefahr, es ist also Mut vor allen Dingen die erste Eigenschaft des Kriegers.
Der Mut ist doppelter Art: einmal Mut gegen die persönliche Gefahr, und dann Mut gegen die Verantwortlichkeit, sei es vor dem Richterstuhl irgendeiner äußeren Macht oder der inneren, nämlich des Gewissens. Nur von dem ersteren ist hier die Rede.
Der Mut gegen die persönliche Gefahr ist wieder doppelter Art: erstens kann er Gleichgültigkeit gegen die Gefahr sein, sei es, daß sie aus dem Organismus des Individuums oder aus Geringschätzung des Lebens oder aus Gewohnheit hervorgehe, auf jeden Fall aber ist er als ein bleibender Zustand anzusehen.
Zweitens kann der Mut aus positiven Motiven hervorgehen wie Ehrgeiz, Vaterlandsliebe, Begeisterung jeder Art. In diesem Fall ist der Mut nicht sowohl ein Zustand als eine Gemütsbewegung, ein Gefühl.
Es ist begreiflich, daß beide Arten verschiedener Wirkung sind. Die erste Art ist sicherer, weil sie, zur zweiten Natur geworden, den Menschen nie verläßt, die zweite führt oft weiter; der ersten gehört mehr die Standhaftigkeit, der zweiten mehr die Kühnheit an; die erste läßt den Verstand nüchterner, die zweite steigert ihn zuweilen, verblendet ihn aber auch oft. Beide vereinigt geben die vollkommenste Art des Mutes.
Der Krieg ist das Gebiet körperlicher Anstrengungen und Leiden; um dadurch nicht zugrunde gerichtet zu werden, bedarf es einer gewissen Kraft des Körpers und der Seele, die, angeboren oder eingeübt, gleichgültig dagegen macht. Mit diesen Eigenschaften, unter der bloßen Führung des gesunden Verstandes, ist der Mensch schon ein tüchtiges Werkzeug für den Krieg, und diese Eigenschaften sind es, die wir bei rohen und halbkultivierten Völkern so allgemein verbreitet antreffen. Gehen wir in den Forderungen weiter, die der Krieg an seine Genossen macht, so treffen wir auf vorherrschende Verstandeskräfte. Der Krieg ist das Gebiet der Ungewißheit; drei Vierteile derjenigen Dinge, worauf das Handeln im Kriege gebaut wird, liegen im Nebel einer mehr oder weniger großen Ungewißheit. Her ist es also zuerst, wo ein feiner, durchdringender Verstand in Anspruch genommen wird, um mit dem Takte seines Urteils die Wahrheit herauszufühlen.
Es mag ein gewöhnlicher Verstand diese Wahrheit einmal durch Zufall treffen, ein ungewöhnlicher Mut mag das Verfehlen ein andermal ausgleichen, aber die Mehrheit der Fälle, der Durchschnittserfolg, wird den fehlenden Verstand immer an den Tag bringen.
Der Krieg ist das Gebiet des Zufalls. In keiner menschlichen Tätigkeit muß diesem Fremdling ein solcher Spielraum gelassen werden, weil keine so nach allen Seiten hin in beständigem Kontakt mit ihm ist. Er vermehrt die Ungewißheit aller Umstände und stört den Gang der Ereignisse.
Jene Unsicherheit aller Nachrichten und Voraussetzungen, diese beständigen Einmischungen des Zufalls machen, daß der Handelnde im Kriege die Dinge unaufhörlich anders findet, als er sie erwartet hatte, und es kann nicht fehlen, daß dies auf seinen Plan oder wenigstens auf die diesem Plane zugehörigen Vorstellungen Einfluß habe. Ist dieser Einfluß auch so groß, die gefaßten Vorsätze entschieden aufzuheben, so müssen doch in der Regel neue an ihre Stelle treten, für welche es dann oft in dem Augenblicke an Datis fehlt, weil im Lauf des Handelns die Umstände den Entschluß meistens drängen und keine Zeit lassen, sich von neuem umzusehen, oft nicht einmal so viel, um reifliche Überlegungen anzustellen. Aber es ist viel gewöhnlicher, daß die Berichtigung unserer Vorstellungen und die Kenntnis eingetretener Zufälle nicht hinreicht, unseren Vorsatz ganz umzustoßen, sondern ihn nur wankend zu machen. Die Kenntnis der Umstände hat sich in uns vermehrt, aber die Ungewißheit ist dadurch nicht verringert, sondern gesteigert. Die Ursache ist, weil man diese Erfahrungen nicht alle mit einemmal macht, sondern nach und nach, weil unsere Entschließungen nicht aufhören, davon bestürmt zu werden, und der Geist, wenn wir so sagen dürfen, immer unter den Waffen sein muß.
Soll er nun diesen beständigen Streit mit dem Unerwarteten glücklich bestehen, so sind ihm zwei Eigenschaften unentbehrlich: einmal ein Verstand, der auch in dieser gesteigerten Dunkelheit nicht ohne einige Spuren des inneren Lichts ist, die ihn zur Wahrheit führen, und dann Mut, diesem schwachen Lichte zu folgen. Der erstere ist bildlich mit dem französischen Ausdruck coup d'oeil bezeichnet worden, der andere ist die Entschlossenheit.
Weil die Gefechte im Kriege das sind, was zuerst und am meisten den Blick auf sich gezogen hat, in den Gefechten Zeit und Raum wichtige Elemente sind, und es in jener Periode noch mehr waren, wo die Reiterei mit ihren rapiden Entscheidungen die Hauptsache war, so ist der Begriff eines schnellen und treffenden Entschlusses zuerst aus der Schätzung jener beiden Dinge hervorgetreten und hat daher einen Ausdruck zur Bezeichnung bekommen, der nur auf richtiges Augenmaß geht. Viele Lehrer der Kriegskunst haben ihn daher auch mit dieser beschränkten Bedeutung definiert. Aber es ist nicht zu verkennen, daß bald alle im Augenblick der Ausführung gefaßten treffenden Entschlüsse darunter verstanden worden sind, z. B. das Erkennen des wahren Angriffspunktes usw. Es ist also nicht bloß das körperliche, sondern häufiger das geistige Auge, welches in dem coup d'oeil gemeint ist. Natürlich ist der Ausdruck wie die Sache immer mehr im Gebiet der Taktik zu Hause gewesen, doch kann sie auch in der Strategie nicht fehlen, insofern auch in ihr oft schnelle Entscheidungen erforderlich sind. Entkleidet man diesen Begriff von dem, was ihm der Ausdruck zu Bildliches und Beschränktes gegeben hat, so ist er nichts als das schnelle Treffen einer Wahrheit, die einem gewöhnlichen Blick des Geistes gar nicht sichtbar ist oder es erst nach langem Betrachten und Überlegen wird.
Die Entschlossenheit ist ein Akt des Mutes in dem einzelnen Fall, und wenn sie zum Charakterzug wird, eine Gewohnheit der Seele. Aber hier ist nicht der Mut gegen körperliche Gefahr, sondern der gegen die Verantwortung, also gewissermaßen gegen Seelengefahr gemeint. Man hat diesen oft courage d'esprit genannt, weil er aus dem Verstande entspringt, aber er ist darum kein Akt des Verstandes, sondern des Gemüts. Bloßer Verstand ist noch kein Mut, denn wir sehen die gescheitesten Leute oft ohne Entschluß. Der Verstand muß also erst das Gefühl des Mutes erwecken, um von ihm gehalten und getragen zu werden, weil im Drange des Augenblicks Gefühle den Menschen stärker beherrschen als Gedanken.
Wir haben hier der Entschlossenheit diejenige Stelle angewiesen, wo sie bei nicht hinreichenden Motiven die Qualen der Zweifel, die Gefahren des Zauderns heben soll. Der nicht sehr gewissenhafte Sprachgebrauch belegt freilich auch die bloße Neigung zum Wagen, Dreistigkeit, Kühnheit, Verwegenheit mit diesem Namen. Wo aber hinreichende Motive in dem Menschen sind, sie mögen subjektiv oder objektiv, gültig oder falsch sein, ist kein Grund, von seiner Entschlossenheit zu reden, denn, indem wir das tun, setzen wir uns an seine Stelle und legen Zweifel in die Waagschale, die er gar nicht gehabt hat.
Hier kann man nur von Kraft oder Schwäche sprechen. Wir sind nicht pedantisch genug, um mit dem Sprachgebrauch über diesen kleinen Mißgriff zu rechten, sondern unsere Bemerkung soll bloß dienen, falsche Einwürfe zu entfernen.
Diese Entschlossenheit nun, welche einen zweifelhaften Zustand besiegt, kann nur durch Verstand hervorgerufen werden, und zwar durch eine ganz eigentümliche Richtung desselben. Wir behaupten, daß das bloße Beisammensein höherer Einsichten und nötiger Gefühle immer noch nicht die Entschlossenheit macht. Es gibt Leute, die den schönsten Blick des Geistes für die schwierigste Aufgabe besitzen, denen es auch nicht an Mut fehlt, vieles auf sich zu nehmen, und die in schwierigen Fällen doch nicht zum Entschluß kommen können. Ihr Mut und ihre Einsicht stehen jedes einzeln, bieten sich nicht die Hand und bringen darum nicht die Entschlossenheit als ein Drittes hervor. Diese entsteht erst durch den Akt des Verstandes, der die Notwendigkeit des Wagens zum Bewußtsein bringt und durch sie den Willen bestimmt. Diese ganz eigentümliche Richtung des Verstandes, die jede andere Scheu im Menschen niederkämpft mit der Scheu vor dem Schwanken und Zaudern, ist es, welche in kräftigen Gemütern die Entschlossenheit ausbildet; darum können Menschen mit wenig Verstand in unserem Sinne nicht entschlossen sein. Sie können in schwierigen Fällen ohne Zaudern handeln, aber dann tun sie es ohne Überlegung, und es können freilich den, welcher unüberlegt handelt, keine Zweifel mit sich selbst entzweien. Ein solches Handeln kann auch hin und wieder das Rechte treffen, aber wir sagen hier wie oben: es ist der Durchschnittserfolg, welcher auf das Dasein des kriegerischen Genius deutet. Wem unsere Behauptung dennoch wunderlich vorkommt, weil er manchen entschlossenen Husarenoffizier kennt, der kein tiefer Denker ist, den müssen wir erinnern, daß hier von einer eigentümlichen Richtung des Verstandes, nicht von einer großen Meditationskraft die Rede ist.
Wir glauben also, daß die Entschlossenheit einer eigentümlichen Richtung des Verstandes ihr Dasein verdankt, und zwar einer, die mehr kräftigen als glänzenden Köpfen angehört; wir können diese Genealogie der Entschlossenheit noch dadurch belegen, daß es eine so große Zahl von Beispielen gibt, wo Männer, die in niederen Regionen die größte Entschlossenheit gezeigt hatten, diese in den höheren verloren. Obgleich sie das Bedürfnis haben, sich zu entschließen, so sehen sie doch die Gefahren ein, die in einem falschen Entschluß liegen, und da sie mit den Dingen, die ihnen vorliegen, nicht vertraut sind, so verliert ihr Verstand seine ursprüngliche Kraft, und sie werden nur um so zaghafter, je mehr sie die Gefahr der Unentschlossenheit, in die sie gebannt sind, kennen, und je mehr sie gewohnt waren, frisch von der Faust weg zu handeln.
Bei dem coup d'oeil und der Entschlossenheit liegt es uns ganz nahe, von der damit verwandten Geistesgegenwart zu reden, die in einem Gebiete des Unerwarteten, wie der Krieg ist, eine große Rolle spielen muß; denn sie ist ja nichts als eine gesteigerte Besiegung des Unerwarteten. Man bewundert die Geistesgegenwart in einer treffenden Antwort auf eine unerwartete Anrede, wie man sie bewundert in der schnell gefundenen Aushilfe bei plötzlicher Gefahr. Beide, diese Antwort und diese Aushilfe, brauchen nicht ungewöhnlich zu sein, wenn sie nur treffen; denn was nach reiflicher und ruhiger Überlegung nichts Ungewöhnliches, also in seinem Eindruck auf uns etwas Gleichgültiges wäre, kann als ein schneller Akt des Verstandes Vergnügen machen. Der Ausdruck Geistesgegenwart bezeichnet gewiß sehr passend die Nähe und Schnelligkeit der vom Verstande dargereichten Hilfe.
Ob diese herrliche Eigenschaft eines Menschen mehr der Eigentümlichkeit seines Verstandes oder mehr dem Gleichgewicht seines Gemüts zugeschrieben werden muß, hängt von der Natur des Falles ab, wiewohl keines von beiden je ganz fehlen darf. Eine treffende Antwort ist mehr das Werk eines witzigen Kopfes; ein treffendes Mittel in plötzlicher Gefahr setzt vor allen Dingen Gleichgewicht des Gemütes voraus.
Wenn wir nun einen Gesamtblick auf die vier Bestandteile werfen, aus denen die Atmosphäre zusammengesetzt ist, in welcher sich der Krieg bewegt, auf die Gefahr, die körperliche Anstrengung, die Ungewißheit und den Zufall, so wird es leicht begreiflich, daß eine große Kraft des Gemütes und des Verstandes erforderlich ist, um in diesem erschwerenden Element mit Sicherheit und Erfolg vorzuschreiten, eine Kraft, die wir nach den verschiedenen Modifikationen, welche sie von den Umständen annimmt, als Energie, Festigkeit, Standhaftigkeit, Gemüts- und Charakterstärke in dem Munde der Erzähler und Berichterstatter kriegerischer Ereignisse finden. Man könnte alle diese Äußerungen der Heldennatur als eine und dieselbe Kraft des Willens betrachten, die sich nach den Umständen modifiziert; aber so nahe diese Dinge miteinander verwandt sind, so sind sie doch nicht ein und dasselbe, und es ist in unserem Interesse, das Spiel der Seelenkräfte dabei wenigstens um etwas genauer zu unterscheiden.
Zuerst gehört es wesentlich zur Deutlichkeit der Vorstellungen zu sagen, daß das Gewicht, die Last, der Widerstand, wie man es nennen will, welche jene Kraft der Seele in dem Handelnden herausfordert, nur zum kleinsten Teil unmittelbar die feindliche Tätigkeit, der feindliche Widerstand, das feindliche Handeln ist. Unmittelbar hat die feindliche Tätigkeit auf den Handelnden zuerst nur für seine eigene Person Einwirkung, ohne seine Tätigkeit als Führer zu berühren. Wenn der Feind statt zwei Stunden vier Stunden widersteht, so befindet sich der Führer statt zwei Stunden vier Stunden in Gefahr; dies ist offenbar eine Größe, deren Bedeutung abnimmt, je höher der Führer steht; was will das sagen in der Rolle des Feldherrn - es ist nichts!
Zweitens wirkt der feindliche Widerstand unmittelbar auf den Führer durch den Verlust an Mitteln, der ihm bei einem längeren Widerstand entsteht, und die Verantwortlichkeit, die damit verknüpft ist. Hier, durch diese sorgenvollen Betrachtungen, wird zuerst seine Willenskraft geprüft und herausgefordert. Aber wir behaupten, daß dies bei weitem nicht die schwerste Last ist, die er zu tragen hat, denn er hat es nur mit sich selbst abzumachen. Alle übrigen Wirkungen des feindlichen Widerstandes aber sind auf die Kämpfenden gerichtet, die er anführt, und wirken durch diese auf ihn zurück.
Solange eine Truppe voll guten Mutes mit Lust und Leichtigkeit kämpft, ist selten eine Veranlassung da, große Willenskraft in der Verfolgung seiner Zwecke zu zeigen; sowie aber die Umstände schwierig werden, und das kann, wo Außerordentliches geleistet werden soll, nie ausbleiben, so geht die Sache nicht mehr von selbst wie mit einer gut eingeölten Maschine, sondern die Maschine selbst fängt an Widerstand zu leisten, und diesen zu überwinden, dazu gehört die große Willenskraft des Führers. Unter diesem Widerstande wird man sich nicht gerade Ungehorsam und Widerrede denken, wiewohl auch diese bei einzelnen Individuen häufig genug vorkommen, sondern es ist der Gesamteindruck aller ersterbenden physischen und moralischen Kräfte, es ist der herzzerreißende Anblick der blutigen Opfer, den der Führer in sich selbst zu bekämpfen hat und dann in allen anderen, die unmittelbar oder mittelbar ihre Eindrücke, ihre Empfindungen, Besorgnisse und Bestrebungen in ihn übergehen lassen. Sowie die Kräfte in dem einzelnen ersterben, diese nicht mehr vom eigenen Willen angeregt und getragen werden, lastet nach und nach die ganze Inertie der Masse auf dem Willen des Feldherrn; an der Glut in seiner Brust, an dem Lichte seines Geistes soll sich die Glut des Vorsatzes, das Licht der Hoffnung aller anderen von neuem entzünden; nur insoweit er dies vermag, insoweit gebietet er über die Masse und bleibt Herr derselben; sowie das aufhört, sowie sein eigener Mut nicht mehr stark genug ist, den Mut aller anderen wiederzubeleben, so zieht ihn die Masse zu sich hinab in die niedere Region der tierischen Natur, die vor der Gefahr zurückweicht und die Schande nicht kennt. Dies sind die Gewichte, welche der Mut und die Seelenstärke des Führers im Kampfe zu überwinden hat, wenn er Ausgezeichnetes leisten will. Sie wachsen mit den Massen, und so müssen also die Kräfte auch zunehmen mit der Höhe der Stellen, wenn sie den Lasten angemessen bleiben sollen.
Die Energie des Handelns drückt die Stärke des Motivs aus, wodurch das Handeln hervorgerufen wird, das Motiv mag nun in einer Verstandesüberzeugung oder in einer Gemütsregung seinen Grund haben. Die letztere darf aber schwerlich da fehlen, wo sich eine große Kraft zeigen soll.
Von allen großartigen Gefühlen, die die menschliche Brust in dem heißen Drange des Kampfes erfüllen, ist, wir wollen es nur gestehen, keines so mächtig und konstant wie der Seelendurst nach Ruhm und Ehre, den die deutsche Sprache so ungerecht behandelt, indem sie ihn in Ehrgeiz und Ruhmsucht, durch zwei unwürdige Nebenvorstellungen, herabzusetzen strebt. Freilich hat der Mißbrauch dieser stolzen Sehnsucht gerade im Kriege die empörendsten Ungerechtigkeiten gegen das menschliche Geschlecht hervorbringen müssen; aber ihrem Ursprunge nach sind diese Empfindungen gewiß zu den edelsten der menschlichen Natur zu zählen, und im Kriege sind sie der eigentliche Lebenshauch, der dem ungeheuren Körper eine Seele gibt. Alle anderen Gefühle, wieviel allgemeiner sie auch werden können, oder wieviel höher manche auch zu stehen scheinen, Vaterlandsliebe, Ideenfanatismus, Rache, Begeisterung jeder Art, sie machen den Ehrgeiz und die Ruhmbegierde nicht entbehrlich. Jene Gefühle können den ganzen Haufen im allgemeinen erregen und höherstimmen, aber geben dem Führer nicht das Verlangen, mehr zu wollen als die Gefährten, welches ein wesentliches Bedürfnis seiner Stelle ist, wenn er Vorzügliches darin leisten soll; sie machen nicht, wie der Ehrgeiz tut, den einzelnen kriegerischen Akt zum Eigentum des Anführers, welches er dann auf die beste Weise zu nutzen strebt, wo er mit Anstrengung pflügt, mit Sorgfalt sät, um reichlich zu ernten. Diese Bestrebungen aller Anführer aber, von dem höchsten bis zum geringsten, diese Art von Industrie, dieser Wetteifer, dieser Sporn sind es vorzüglich, welche die Wirksamkeit eines Heeres beleben und erfolgreich machen. Und was nun ganz besonders den höchsten betrifft, so fragen wir: hat es je einen großen Feldherrn ohne Ehrgeiz gegeben, oder ist eine solche Erscheinung auch nur denkbar?
Die Festigkeit bezeichnet den Widerstand des Willens in bezug auf die Stärke eines einzelnen Stoßes, die Standhaftigkeit in bezug auf die Dauer.
So nahe beide beieinanderliegen, und sooft der eine Ausdruck für den anderen gebraucht wird, so ist doch eine merkliche Verschiedenheit ihres Wesens nicht zu verkennen, insofern die Festigkeit gegen einen einzelnen heftigen Eindruck ihren Grund in der bloßen Stärke eines Gefühls haben kann, die Standhaftigkeit aber schon mehr von dem Verstande unterstützt sein will; denn mit der Dauer eine Tätigkeit nimmt die Planmäßigkeit derselben zu, und aus dieser schöpft die Standhaftigkeit zum Teil ihre Kraft.
Wenden wir uns zur Gemüts- oder Seelenstärke, so ist die erste Frage: was wir darunter verstehen sollen.
Offenbar nicht die Heftigkeit der Gemütsäußerungen, die Leidenschaftlichkeit, denn das wäre gegen allen Sprachgebrauch, sondern das Vermögen, auch bei den stärksten Anregungen, im Sturm der heftigsten Leidenschaft, noch dem Verstande zu gehorchen. Sollte dies Vermögen bloß von der Kraft des Verstandes herrühren? Wir bezweifeln es. Zwar würde die Erscheinung, daß es Menschen von ausgezeichnetem Verstande gibt, die sich nicht in ihrer Gewalt haben, noch nichts dagegen beweisen, denn man könnte sagen, daß es einer eigentümlichen, vielleicht einer mehr kräftigen als umfassenden Natur des Verstandes bedürfte. Aber wir glauben der Wahrheit doch näher zu sein, wenn wir annehmen, daß die Kraft, sich auch in den Augenblicken der heftigsten Gemütsbewegung dem Verstande noch zu unterwerfen, welche wir die Selbstbeherrschung nennen, in dem Gemüte selbst ihren Sitz hat. Es ist nämlich ein anderes Gefühl, was in starken Gemütern der aufgeregten Leidenschaft das Gleichgewicht hält, ohne sie zu vernichten, und durch dieses Gleichgewicht wird dem Verstande erst die Herrschaft gesichert. Dieses Gegengewicht ist nichts anderes als das Gefühl der Menschenwürde, dieser edelste Stolz, dieses innerste Seelenbedürfnis, überall als ein mit Einsicht und Verstand begabtes Wesen zu wirken. Wir würden darum sagen: ein starkes Gemüt ist ein solches, welches auch bei den heftigsten Regungen nicht aus dem Gleichgewicht kommt.
Werfen wir einen Blick auf die Verschiedenartigkeit der Menschen in Beziehung auf das Gemüt, so finden wir erstens solche, die sehr wenig Regsamkeit besitzen, und die wir phlegmatisch oder indolent nennen.
Zweitens sehr Regsame, deren Gefühle aber nie eine gewisse Stärke überschreiten, und die wir als gefühlvolle, aber ruhige Menschen kennen.
Drittens sehr Reizbare, deren Gefühle sich schnell und heftig wie Pulver entzünden, aber nicht dauernd sind; endlich viertens solche, die durch kleine Veranlassungen nicht in Bewegung zu bringen sind und die überhaupt nicht schnell, sondern nach und nach in Bewegung kommen, deren Gefühle aber eine große Gewalt annehmen und viel dauernder sind. Dies sind die Menschen mit energischen, tief und versteckt liegenden Leidenschaften.
Dieser Unterschied der Gemütskonstitution liegt wahrscheinlich dicht an der Grenze der körperlichen Kräfte, die sich in dem menschlichen Organismus regen, und gehört jener Amphibiennatur an, die wir Nervensystem nennen, die mit der einen Seite der Materie, mit der anderen dem Geiste zugewendet scheint. Wir mit unserer schwachen Philosophie haben in diesem dunklen Felde nichts weiter zu suchen. Wichtig ist es uns aber, bei der Wirkung einen Augenblick zu verweilen, welche diese verschiedenen Naturen in der kriegerischen Tätigkeit haben, und inwiefern eine große Seelenstärke von ihnen zu erwarten ist.
Die indolenten Menschen können nicht leicht aus dem Gleichgewicht gebracht werden, aber freilich kann man das nicht Seelenstärke nennen, wo es an aller Kraftäußerung fehlt. Es ist aber nicht zu verkennen, daß solche Menschen eben wegen ihres beständigen Gleichgewichts im Kriege von einer gewissen einseitigen Tüchtigkeit sind. Es fehlt ihnen oft das positive Motiv des Handelns, der Antrieb, und als Folge davon die Tätigkeit, aber sie verderben nicht leicht etwas.
Die Eigentümlichkeit der zweiten Klasse ist, daß sie von kleinen Gegenständen leicht zum Handeln angeregt, von großen aber leicht erdrückt wird. Menschen dieser Art werden eine lebhafte Tätigkeit zeigen, einem einzelnen Unglücklichen zu helfen, aber von dem Unglück eines ganzen Volkes nur traurig gestimmt, nicht zum Handeln angeregt werden.
Im Kriege wird es solchen Männern weder an Tätigkeit noch an Gleichgewicht fehlen, aber etwas Großes werden sie nicht vollbringen, es müßte denn sein, daß in einem sehr kräftigen Verstande die Motive dazu vorhanden wären. Es ist aber selten, daß sich mit solchen Gemütern ein sehr starker, unabhängiger Verstand verbände.
Die aufbrausenden, aufflammenden Gefühle sind an sich für das praktische Leben und also auch für den Krieg nicht sehr geeignet. Sie haben zwar das Verdienst starker Antriebe, aber diese halten nicht vor. Wenn indessen in solchen Menschen die Regsamkeit die Richtung des Mutes und des Ehrgeizes hat, so wird sie im Kriege auf niedrigen Stellen oft sehr brauchbar aus dem bloßen Grunde, weil der kriegerische Akt, über den ein Führer der niederen Stufen zu gebieten hat, von viel kürzerer Dauer ist. Hier reicht oft ein einzelner mutiger Entschluß, eine Aufwallung der Seelenkräfte hin. Ein kühner Anfall, ein kräftiges Hurra ist das Werk weniger Minuten, ein kühner Schlachtenkampf ist das Werk eines ganzen Tages und ein Feldzug das Werk eines Jahres.
Bei der reißenden Schnelligkeit ihrer Gefühle ist es solchen Menschen doppelt schwer, das Gleichgewicht des Gemüts zu behaupten, daher verlieren sie häufig den Kopf, und dies ist für die Kriegführung die schlimmste ihrer Seiten. Aber es würde gegen die Erfahrung sein, zu behaupten, daß sehr reizbare Gemüter niemals stark, d. h. auch in ihren stärksten Regungen im Gleichgewicht sein könnten. Warum sollte auch das Gefühl für die eigene Würde in ihnen nicht vorhanden sein, da sie in der Regel den edleren Naturen angehören! Dies Gefühl fehlt ihnen selten, es hat aber nicht Zeit, wirksam zu werden. Hinterher sind sie meist von Selbstbeschämung durchdrungen. Wenn Erziehung, Selbstbeobachtung und Lebenserfahrung sie früh oder spät das Mittel gelehrt haben, gegen sich selbst auf der Hut zu sein, um in Augenblicken lebhafter Anregung sich des in ihrer eigenen Brust ruhenden Gegengewichts noch bei Zeiten bewußt zu werden, so können auch sie einer großen Seelenstärke fähig sein.
Endlich sind die wenig beweglichen, aber darum tief bewegten Menschen, die sich zu den vorigen wie die Glut zur Flamme verhalten, am meisten geeignet, mit ihrer Titanenkraft die ungeheuren Massen wegzuwälzen, unter welchen wir uns bildlich die Schwierigkeiten des kriegerischen Handelns vorstellen können. Die Wirkung ihrer Gefühle gleicht der Bewegung großer Massen, die, wenn auch langsamer, doch überwältigender ist.
Obgleich solche Menschen nicht so von ihren Gefühlen überfallen und zu ihrer eigenen Beschämung fortgerissen werden wie die vorigen, so wäre es doch wieder gegen die Erfahrung, zu glauben, daß sie das Gleichgewicht nicht verlieren und blinder Leidenschaft nicht unterwürfig werden könnten; dies wird vielmehr immer geschehen, sobald ihnen der edle Stolz der Selbstbeherrschung fehlt oder sooft er nicht stark genug ist. Wir sehen diese Erfahrung am häufigsten bei großartigen Männern roher Völker, wo die geringe Verstandesausbildung immer ein Vorherrschen der Leidenschaft begünstigt. Aber auch unter den gebildeten Völkern und in den gebildetsten Ständen derselben ist ja das Leben voll solcher Erscheinungen, wo Menschen durch gewaltsame Leidenschaften fortgerissen werden wie im Mittelalter die auf Hirschen angeschmiedeten Wilddiebe durchs Gehölz.
Wir sagen es also noch einmal: ein starkes Gemüt ist nicht ein solches, welches bloß starker Regungen fähig ist, sondern dasjenige, welches bei den stärksten Regungen im Gleichgewicht bleibt, so daß trotz den Stürmen in der Brust der Einsicht und Überzeugung wie der Nadel des Kompasses auf dem sturmbewegten Schiff das feinste Spiel gestattet ist.
Mit dem Namen der Charakterstärke oder überhaupt des Charakters bezeichnet man das feste Halten an seiner Überzeugung, sie mag nun das Resultat fremder oder eigner Einsicht sein, und mag sie Grundsätzen, Ansichten, augenblicklichen Eingebungen oder was immer für Ergebnissen des Verstandes angehören. Aber diese Festigkeit kann sich freilich nicht kundtun, wenn die Einsichten selbst häufigem Wechsel unterliegen. Dieser häufige Wechsel braucht nicht die Folge fremden Einflusses zu sein, sondern er kann aus der eigenen fortwirkenden Tätigkeit des Verstandes hervorgehen, deutet dann aber freilich auf eine eigentümliche Unsicherheit desselben. Offenbar wird man von einem Menschen, der seine Ansicht alle Augenblicke ändert, wie sehr dies auch aus ihm selbst hervorgehen mag, nicht sagen: er hat Charakter. Man bezeichnet also nur solche Menschen mit dieser Eigenschaft, deren Überzeugung sehr konstant ist, entweder weil sie tief begründet und klar, an sich zu einer Veränderung wenig geeignet ist, oder weil es, wie bei indolenten Menschen, an Verstandestätigkeit und damit an dem Grund zur Veränderung fehlt, oder endlich, weil ein ausdrücklicher Akt des Willens, aus einem gesetzgebenden Grundsatz des Verstandes entsprungen, den Wechsel der Meinungen bis auf einen gewissen Grad zurückweist.
Nun liegen im Kriege in den zahlreichen und starken Eindrücken, welche das Gemüt erhält, und in der Unsicherheit alles Wissens und aller Einsicht mehr Veranlassungen, den Menschen von seiner angefangenen Bahn abzudrängen, ihn an sich und anderen irrezumachen, als dies in irgendeiner anderen menschlichen Tätigkeit vorkommt.
Der herzzerreißende Anblick von Gefahren und Leiden läßt das Gefühl leicht ein Übergewicht über die Verstandesüberzeugung gewinnen, und in dem Dämmerlicht aller Erscheinungen ist eine tiefe, klare Einsicht so schwer, daß der Wechsel derselben begreiflicher und verzeihlicher wird. Es ist immer nur ein Ahnen und Herausfühlen der Wahrheit, nach welcher gehandelt werden muß. Darum ist nirgends die Meinungsverschiedenheit so groß als im Kriege, und der Strom der Eindrücke gegen die eigene Überzeugung hört nie auf. Selbst das größte Phlegma des Verstandes kann kaum dagegen schützen, weil die Eindrücke zu stark und lebhaft und immer zugleich gegen das Gemüt mit gerichtet sind.
Nur die allgemeinen Grundsätze und Ansichten, welche das Handeln von einem höheren Standpunkt aus leiten, können die Frucht einer klaren und tiefen Einsicht sein, und an ihnen liegt sozusagen die Meinung über den vorliegenden individuellen Fall gewissermaßen vor Anker. Aber das Halten an diesen Resultaten eines früheren Nachdenkens gegen den Strom der Meinungen und Erscheinungen, welchen die Gegenwart herbeiführt, ist eben die Schwierigkeit. Zwischen dem individuellen Fall und dem Grundsatz ist oft ein weiter Raum, der sich nicht immer an einer sichtbaren Kette von Schlüssen durchziehen läßt, und wo ein gewisser Glaube an sich selbst notwendig ist und ein gewisser Skeptizismus wohltätig. Hier hilft oft nichts anderes als ein gesetzgebender Grundsatz, der, außer das Denken selbst gestellt, dasselbe beherrscht; es ist der Grundsatz, bei allen zweifelhaften Fällen bei seiner ersten Meinung zu beharren und nicht eher zu weichen, bis eine klare Überzeugung dazu zwingt. Man muß stark sein in dem Glauben an die bessere Wahrheit wohlgeprüfter Grundsätze und bei der Lebhaftigkeit der augenblicklichen Erscheinungen nicht vergessen, daß ihre Wahrheit von einem geringeren Gepräge ist. Durch dieses Vorrecht, welches wir in zweifelhaften Fällen unserer früheren Überzeugung geben, durch dieses Beharren bei derselben gewinnt das Handeln diejenige Stätigkeit und Folge, die man Charakter nennt.
Wie sehr das Gleichgewicht des Gemütes die Charakterstärke befördert, ist leicht einzusehen, daher auch Menschen von großer Seelenstärke meistens viel Charakter haben.
Die Charakterstärke führt uns zu einer Abart derselben, dem Eigensinn.
Sehr schwer ist es oft, im konkreten Falle zu sagen, wo die eine aufhört und der andere anfängt, dagegen scheint es nicht schwer, den Unterschied im Begriffe festzustellen.
Eigensinn ist kein Fehler des Verstandes; wir bezeichnen damit das Widerstreben gegen bessere Einsicht, und dieses kann nicht ohne Widerspruch in den Verstand als dem Vermögen der Einsicht gesetzt werden. Der Eigensinn ist ein Fehler des Gemütes. Die Unbeugsamkeit des Willens, diese Reizbarkeit gegen fremde Einrede haben ihren Grund nur in einer besonderen Art von Selbstsucht, welche höher als alles andere das Vergnügen stellt, über sich und andere nur mit eigener Geistestätigkeit zu gebieten. Wir würden es eine Art Eitelkeit nennen, wenn es nicht allerdings etwas Besseres wäre; der Eitelkeit genügt der Schein, der Eigensinn aber beruht auf dem Vergnügen an der Sache.
Wir sagen also: die Charakterstärke wird zum Eigensinn, sobald das Widerstreben gegen fremde Einsicht nicht aus besserer Überzeugung, nicht aus Vertrauen auf einen höheren Grundsatz, sondern aus einem widerstrebenden Gefühl entsteht. Wenn diese Definition uns auch, wie wir schon eingeräumt haben, praktisch wenig hilft, so wird sie doch verhindern, den Eigensinn für eine bloße Steigerung der Charakterstärke zu halten, während er etwas wesentlich Verschiedenes davon ist, was derselben zwar zur Seite liegt und mit ihr grenzt, aber so wenig ihre Steigerung ist, daß es sogar sehr eigensinnige Menschen gibt, die wegen Mangel an Verstand wenig Charakterstärke haben.
Nachdem wir in diesen Virtuositäten eines ausgezeichneten Führers im Kriege diejenigen Eigenschaften kennengelernt haben, in welchen Gemüt und Verstand zusammen wirken, kommen wir jetzt zu einer Eigentümlichkeit der kriegerischen Tätigkeit, welche vielleicht als die stärkste betrachtet werden kann, wenn es auch nicht die wichtigste ist, und die ohne Beziehung auf die Gemütskräfte bloß das Geistesvermögen in Anspruch nimmt. Es ist die Beziehung, in welcher der Krieg zu Gegend und Boden steht.
Diese Beziehung ist erstens ganz unausgesetzt vorhanden, so daß man sich einen kriegerischen Akt unserer gebildeten Heere gar nicht anders als in einem bestimmten Raum vorgehend denken kann; sie ist zweitens von der entscheidendsten Wichtigkeit, weil sie die Wirkungen aller Kräfte modifiziert, zuweilen total verändert; drittens führt sie auf der einen Seite oft zu den kleinsten Zügen der Örtlichkeit, während sie auf der anderen die weitesten Räume umfaßt.
Auf diese Weise ist es, daß die Beziehung, welche der Krieg zu Gegend und Boden hat, seiner Tätigkeit eine hohe Eigentümlichkeit gibt. Wenn wir an die anderen menschlichen Tätigkeiten denken, die eine Beziehung zu jenem Gegenstande haben, an Garten- und Landbau, an Häuser- und Wasserbauten, an Bergbau, an Jägerei und Forstbetrieb, so sind alle auf sehr mäßige Räume beschränkt, welche sie bald mit genügender Genauigkeit erforschen können. Der Führer im Kriege aber muß das Werk seiner Tätigkeit einem mitwirkenden Raume übergeben, den seine Augen nicht überblicken, den der regste Eifer nicht immer erforschen kann, und mit dem er bei dem beständigen Wechsel auch selten in eigentliche Bekanntschaft kommt. Zwar ist der Gegner im allgemeinen in demselben Fall; aber erstlich ist die gemeinschaftliche Schwierigkeit doch immer eine solche, und es wird der, welcher ihrer durch Talent und Übung Herr wird, einen großen Vorteil auf seiner Seite haben, zweitens findet diese Gleichheit der Schwierigkeit nur im allgemeinen statt, keineswegs in dem einzelnen Fall, wo gewöhnlich einer der beiden Kämpfenden (der Verteidiger) viel mehr von der Örtlichkeit weiß als der andere.
Diese höchst eigentümliche Schwierigkeit muß eine eigentümliche Geistesanlage besiegen, welche mit einem zu beschränkten Ausdruck der Ortssinn genannt wird. Es ist das Vermögen, sich von jeder Gegend schnell eine richtige geometrische Vorstellung zu machen und als Folge davon sich in ihr jedesmal leicht zurechtzufinden. Offenbar ist dies ein Akt der Phantasie. Zwar geschieht das Auffassen dabei teils durch das körperliche Auge, teils durch den Verstand, der mit seinen aus Wissenschaft und Erfahrung geschöpften Einsichten das Fehlende ergänzt und aus den Bruchstücken des körperlichen Blicks ein Ganzes macht; aber daß dies Ganze nun lebhaft vor die Seele trete, ein Bild, eine innerlich gezeichnete Karte werde, daß dies Bild bleibend sei, die einzelnen Züge nicht immer wieder auseinanderfallen, das vermag nur die Geisteskraft zu bewirken, die wir Phantasie nennen. Wenn ein genialer Dichter oder Maler sich verletzt fühlt, daß wir seiner Göttin eine solche Wirksamkeit zumuten, wenn er die Achseln zuckt, daß ein findiger Jägerbursche darum eine ausgezeichnete Phantasie haben solle, so wollen wir gern einräumen, daß nur von einer sehr beschränkten Anwendung, von einem wahren Sklavendienst derselben die Rede ist. Aber wie weniges dies auch sei, es muß doch von dieser Naturkraft entnommen werden, denn wenn sie ganz abgeht, dann wird es schwer werden, sich die Dinge in ihrem Formenzusammenhange bis zur Anschauung deutlich vorzustellen. Daß ein gutes Gedächtnis dabei sehr zu Hilfe komme, räumen wir gern ein; ob aber das Gedächtnis dann als eine eigene Seelenkraft anzunehmen ist, oder ob es eben in jenem Vorstellungsvermögen liegt, das Gedächtnis für diese Dinge besser zu fixieren, müssen wir um so mehr unausgemacht lassen, als es überhaupt schwer scheint, diese beiden Seelenkräfte in manchen Beziehungen getrennt zu denken.
Daß Übung und Verstandeseinsicht dabei sehr viel tun, ist nicht zu leugnen. Puységur, der berühmte Generalquartiermeister des berühmten Luxemburg, sagt, daß er sich anfangs in diesem Punkt wenig zugetraut, weil er bemerkt, daß wenn er die Parole weit zu holen gehabt, er jedesmal den Weg verfehlt habe.
Es ist natürlich, daß auch die Anwendungen dieses Talents sich nach oben hin erweitern. Müssen der Husar und Jäger bei Führung einer Patrouille in Weg und Steg sich leicht finden, und bedarf es dafür immer nur weniger Kennzeichen einer beschränkten Auffassung und Vorstellungsgabe, so muß der Feldherr sich bis zu den allgemeinen geographischen Gegenständen einer Provinz und eines Landes erheben, den Zug der Straßen, Ströme und Gebirge immer lebhaft vor Augen haben, ohne darum den beschränkten Ortssinn entbehren zu können. Zwar sind ihm für die allgemeinen Gegenstände Nachrichten aller Art, Karten, Bücher, Memoiren, und für die Einzelheiten der Beistand seiner Umgebungen eine große Hilfe, aber gewiß ist es dennoch, daß ein großes Talent in schneller und klarer Auffassung der Gegend seinem ganzen Handeln einen leichteren und festeren Schritt verleiht, ihn vor einer gewissen inneren Unbehilflichkeit schützt und weniger abhängig von anderen macht.
Ist diese Fähigkeit der Phantasie zuzuschreiben, so ist dies auch fast der einzige Dienst, welchen die kriegerische Tätigkeit von dieser ausgelassenen Göttin fordert, die ihr übrigens eher verderblich als nützlich ist. -
Wir glauben hiermit diejenigen Äußerungen der Geistes- und Seelenkräfte in Betracht gezogen zu haben, welche durch die kriegerische Tätigkeit der menschlichen Natur abgefordert werden. Überall erscheint der Verstand als eine wesentlich mitwirkende Kraft, und so wird es denn begreiflich, wie das in seinen Erscheinungen so einfache, wenig zusammengesetzte kriegerische Wirken von Leuten ohne ausgezeichnete Verstandeskräfte nicht auf eine ausgezeichnete Art geleistet werden kann.
Hat man diese Ansicht gewonnen, so ist man nicht mehr genötigt, das Umgehen einer feindlichen Stellung, eine an sich so natürliche, tausendmal dagewesene Sache, und hundert ähnliche für das Werk großer Geistesanstrengung zu halten.
Freilich ist man gewohnt, den einfachen tüchtigen Soldaten als einen Gegensatz zu denken zu den meditativen oder erfindungs- oder ideenreichen Köpfen und den in Bildungsschmuck aller Art glänzenden Geistern; auch ist dieser Gegensatz keineswegs ohne Realität, aber er beweist nur nicht, daß die Tüchtigkeit des Soldaten bloß in seinem Mute bestände, und daß es nicht auch einer gewissen eigentümlichen Tätigkeit und Tüchtigkeit des Kopfes bedürfte, um nur das zu sein, was man einen guten Degen nennt. Wir müssen immer wieder darauf zurückkommen, daß nichts gewöhnlicher ist als Beispiele von Männern, die ihre Tätigkeit verlieren, sobald sie zu höheren Stellen gelangen, denen ihre Einsichten nicht mehr gewachsen sind; wir müssen aber auch immer wieder daran erinnern, daß wir von vorzüglichen Leistungen reden, von solchen, die Ruf in der Art von Tätigkeit geben, der sie angehören. Es bildet daher jede Stufe des Befehls im Kriege ihre eigene Schicht von erforderlichen Geisteskräften, von Ruhm und Ehre.
Eine sehr große Kluft liegt zwischen einem Feldherrn, d. h. einem entweder an der Spitze eines ganzen Krieges oder eines Kriegstheaters stehenden General, und der nächsten Befehlshaberstufe unter ihm, aus dem einfachen Grunde, weil dieser einer viel näheren Leitung und Aufsicht unterworfen ist, folglich der eigenen Geistestätigkeit einen viel kleineren Kreis läßt. Dies hat denn veranlaßt, daß die gewöhnliche Meinung eine ausgezeichnete Verstandestätigkeit nur in dieser höchsten Stelle sieht und bis dahin mit dem gemeinen Verstande auszureichen glaubt; ja, man ist nicht abgeneigt, in einem unter den Waffen ergrauten Unterfeldherrn, den seine einseitige Tätigkeit zu einer unverkennbaren Geistesarmut geführt hat, ein gewisses Verdummen zu erblicken und bei aller Verehrung für seinen Mut über seine Einfalt zu lächeln. Es ist nicht unser Vorsatz, diesen braven Leuten ein besseres Los zu erkämpfen; dies würde nichts zu ihrer Wirksamkeit und wenig zu ihrem Glück beitragen, sondern wir wollen nur die Sachen zeigen wie sie sind, und vor dem Irrtum warnen, daß im Kriege ein bloßer Bravo ohne Verstand Vorzügliches leisten könne.
Wenn wir schon in den niedrigsten Führerstellen für den, welcher ausgezeichnet sein soll, auch ausgezeichnete Geisteskräfte fordern und diese mit jeder Stufe steigern, so folgt daraus von selbst, daß wir eine ganz andere Ansicht von den Leuten haben, welche die zweiten Stellen in einem Heere mit Ruhm bekleiden, und ihre scheinbare Einfalt neben dem Polyhistor, dem federtätigen Geschäftsmann, dem konferierenden Staatsmann soll uns nicht irremachen an der ausgezeichneten Natur ihres werktätigen Verstandes. Freilich geschieht es zuweilen, daß Männer den Ruhm, welchen sie sich in niedrigen Stellen erworben haben, in die höheren mit hinüberbringen, ohne ihn wirklich dort zu verdienen; werden sie nun in diesen nicht viel gebraucht, kommen sie also nicht in die Gefahr, sich Blößen zu geben, so unterscheidet das Urteil nicht so genau, welche Art von Ruf ihnen zukommt, und so tragen solche Männer oft bei, daß man einen geringen Begriff faßt von der Persönlichkeit, die in gewissen Stellen noch zu glänzen vermag.
Es gehört also von unten herauf zu den ausgezeichneten Leistungen im Kriege ein eigentümlicher Genius. Mit dem Namen des eigentlichen Genius pflegt aber die Geschichte und das Urteil der Nachwelt nur diejenigen Geister zu belegen, die in den ersten, d. h. in den Feldherrnstellen geglänzt haben. Die Ursache ist, weil hier allerdings mit einemmal die Forderungen an Verstand und Geist sehr gesteigert werden.
Um einen ganzen Krieg oder seine größten Akte, die wir Feldzüge nennen, zu einem glänzenden Ziel zu führen, dazu gehört eine große Einsicht in die höheren Staatsverhältnisse. Kriegführung und Politik fallen hier zusammen, und aus dem Feldherrn wird zugleich der Staatsmann.
Man gibt Karl XII. nicht den Namen eines großen Genies, weil er die Wirksamkeit seiner Waffen nicht einer höheren Einsicht und Weisheit zu unterwerfen, nicht damit zu einem glänzenden Ziel zu gelangen wußte; man gibt ihn nicht Heinrich IV., weil er nicht lange genug gelebt hat, um mit seiner kriegerischen Wirksamkeit die Verhältnisse mehrerer Staaten zu berühren und in dieser höheren Region sich zu versuchen, wo ein edles Gefühl und ritterliches Wesen nicht soviel über den Gegner vermögen wie bei der Besiegung eines inneren Geistes.
Um fühlen zu lassen, was hier alles mit einem Blick umfaßt und richtig getroffen sein will, verweisen wir auf unser erstes Kapitel. Wir sagen: der Feldherr wird zum Staatsmann, aber er darf nicht aufhören, das erstere zu sein; er umfaßt mit seinem Blick auf der einen Seite alle Staatsverhältnisse, auf der anderen ist er sich genau bewußt, was er mit den Mitteln leisten kann, die in seiner Hand liegen.
Da hier die Mannigfaltigkeit und die unbestimmte Grenze aller Beziehungen eine große Menge von Größen in die Betrachtung bringen, da die meisten dieser Größen nur nach Wahrscheinlichkeitsgesetzen geschätzt werden können, so würde, wenn der Handelnde dies alles nicht mit dem Blick eines die Wahrheit überall ahnenden Geistes träfe, eine Verwicklung von Betrachtungen und Rücksichten entstehen, aus denen sich das Urteil gar nicht mehr herausfinden könnte. In diesem Sinne hat Bonaparte ganz richtig gesagt, daß viele dem Feldherrn vorliegende Entscheidungen eine Aufgabe mathematischer Kalküls bilden würden, der Kräfte eines Newton und Euler nicht unwürdig.
Was hier von höheren Geisteskräften gefordert wird, ist Einheit und Urteil, zu einem wunderbaren Geistesblick gesteigert, der in seinem Fluge tausend halbdunkle Vorstellungen berührt und beseitigt, welche ein gewöhnlicher Verstand erst mühsam ans Licht ziehen und an denen er sich erschöpfen würde. Aber diese höhere Geistestätigkeit, dieser Blick des Genies würde doch nicht zur historischen Erscheinung werden, wenn die Gemüts- und Charaktereigenschaften, von denen wir gehandelt haben, ihn nicht unterstützten.
Das bloße Motiv der Wahrheit ist in dem Menschen nur äußerst schwach, und darum immer ein großer Unterschied zwischen dem Erkennen und Wollen, zwischen dem Wissen und Können. Den stärksten Anlaß zum Handeln bekommt der Mensch immer durch Gefühle und den kräftigsten Nachhalt, wenn man uns den Ausdruck gestatten will, durch jene Legierung von Gemüt und Verstand, die wir in der Entschlossenheit, Festigkeit, Standhaftigkeit und Charakterstärke kennengelernt haben.
Wenn übrigens diese erhöhte Geistes- und Gemütstätigkeit des Feldherrn sich nicht in dem Totalerfolg seines Wirkens kundtäte und nur auf Treue und Glauben angenommen würde, so würde sie nur selten zur historischen Erscheinung werden.
Was von dem Gange der kriegerischen Ereignisse bekannt wird, ist gewöhnlich sehr einfach, sieht sich einander sehr ähnlich, und niemand, der sich an die bloße Erzählung hält, sieht von den Schwierigkeiten, die dabei überwunden wurden, etwas ein. Nur hin und wieder kommt in den Memoiren der Feldherren oder ihrer Vertrauten oder bei Gelegenheit einer besonderen historischen Forschung, die sich auf ein Ereignis verbissen hat, ein Teil der vielen Fäden an das Tageslicht, die das ganze Gewebe bilden. Die meisten Überlegungen und Geisteskämpfe, welche einer bedeutenden Ausführung vorhergehen, werden absichtlich verborgen, weil sie politische Interessen berühren, oder geraten zufällig in Vergessenheit, weil sie als bloße Gerüste betrachtet werden, die nach Vollendung des Baues weggenommen werden müssen.
Wollen wir nun endlich noch, ohne uns an eine nähere Bestimmung der höheren Seelenkräfte zu wagen, einen Unterschied in der Verstandeskraft selbst gelten lassen nach gewohnten Vorstellungen, wie sie sich in der Sprache fixiert haben, und uns dann fragen, welcher Art von Verstand dem kriegerischen Genius am nächsten angehört, so wird uns sowohl der Blick auf den Gegenstand als auf die Erfahrung sagen, daß es mehr die prüfenden als schaffenden, mehr die umfassenden als einseitig verfolgenden, mehr die kühlen als die heißen Köpfe Bind, denen wir im Kriege das Heil unserer Brüder und Kinder, die Ehre und Sicherheit unseres Vaterlandes anvertrauen möchten.