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Beim Aussteigen sah ich, daß es leicht zu schneien begonnen hatte, was etliche von den vielen Neugierigen, die Spalier standen, zu dem Ausruf veranlaßte: »So viel Schnee und Regen, so viel Glück und Segen! Natürli, dö Großkopfatn habn allweil no's meiste Glück aa, an Goldhaufa habn s' ja a so scho!«
Die Kinder der Nachbarschaft drängten sich um mich und schrien: »Schenkn S' uns was, Frau Leni! Bitt schö, schenkn S' uns was!«
Da schickte ich eine der Kranzljungfern hinein zum Vater und ließ mir für drei Mark Zehnerln geben, die ich dann unter die Kleinen verteilte.
Inzwischen war die Festmusik, für die der alte Knoflinger, seines Zeichens ein Schuhmacher, mit noch sieben Genossen sorgte, vor die Tür getreten und empfing uns mit dreimaligem Tusch, und unter den festlichen Klängen des Pariser Einzugsmarsches zogen wir in die Gaststube ein.
Voran ging Meister Knoflinger mit der Geige und hinter ihm sein fünfzehnjähriger Sohn Eusebius, der die zweite spielte. Ihnen folgten zwei Flöten und zwei Klarinetten, darauf der weißköpfige Hundshändler Schniepp mit weithinschallendem Bandoneonspiel, und den Schluß bildete der alte, bucklige Baßgeigenmichel, ein gewesener Kaminkehrer.
So zogen wir hinein und nahmen an der schön gezierten Tafel Platz. Mit allen Geladenen waren unser siebenundzwanzig an derselben zum Mahl. Auch andere Gäste waren so viel erschienen, daß die Stube sie kaum fassen konnte, und immer kamen noch neue hinzu und wollten Platz haben.
Während des Essens spielte die Musik lauter feierliche, vaterländische Weisen; doch als der letzte Gang verzehrt war und nur noch einzelne Tellerchen mit Kuchen auf dem Tische standen, da vertauschten die beiden Flötisten ihre zarttönenden Instrumente mit ein paar Trompeten, und der Baßgeigenmichel holte einen blanken Bombardon aus dem schwarzen Ledersack, und nicht lange darauf ertönte ein zünftiger Landler.
Das war das Zeichen zum Beginn des Tanzes, und als gleich darauf ein Ziehrerscher Walzer erklang, stand der Hochzeiter auf und tanzte mit mir ein paarmal auf dem winzigen Flecklein, das ausgeräumt und mit geschabten Kerzen bestreut worden war. Wir tanzten nicht gut zusammen, da der Benno in seinen Stiefeln auf dem Wachs immer rutschte und weil, wie er zu seiner Entschuldigung sagte, ihm die Landler besser ins Geblüt gingen, wie die schleifenden Walzer.
Indessen kamen immer noch mehr Leute herbei und schon füllte sich die Schenke und die Küche mit Gästen, worüber die Eltern nicht gar erfreut waren, da sie sich so kaum umdrehen konnten vor Arbeit. Und als am Abend die Handwerks- und Geschäftsleute Feierabend hatten, kamen sie auch noch und wollten dabei sein.
Da bat ich den Vater, er möge auf den Tanzplatz etliche kleine Tische stellen, daß sich die Gäste setzen könnten; wir hätten nun genug getanzt. Er war sehr froh darüber, und bald waren auch die drei Tische, die er nebst fünfzehn Stühlen herbeischaffen ließ, voll besetzt.
Als es nun mit dem Tanzen aus war, begannen alle die, welche Geschenke gebracht hatten, ihre Reden, Widmungen und Glückwünsche.
Da kam zuerst der Vorstand der Tischgesellschaft Eichenlaub: er sagte viel schöne Worte und überreichte uns einen großen, gerahmten Stahlstich »Andreas Hofers letzter Gang«. Darauf folgte eine launige Ansprache des Vorstandes der Arbeitsscheuen, und er ließ eine reiche Waschgarnitur hereinbringen. Ich nahm sie dankend in Empfang und wollte sie zu dem Bild auf das breite Fensterbrett stellen; da sah ich, daß überall, in der Waschschüssel sowohl als auch im Krug und Nachtgeschirr Spiegel angebracht waren, was mich in nicht geringe Verlegenheit setzte. Ein kleines Mägdlein, als Rotkäppchen gekleidet, entriß mich daraus und sagte sein Verslein mit viel Pathos und lebhafter Bewegung der Arme. Und zum Schluß reichte es mir sein Körblein, dem der neugierige Hochzeiter zur großen Belustigung der Anwesenden eine Säuglingsflasche und allerlei Wickelzeug, mit blauen Bändlein verziert, entnahm. Ganz unten lag ein silbernes Schepperl mit einem Zettelchen daran: Für unsern Liebling. Rasch entriß ich ihm die Dinge und warf sie wieder in das Körblein, während es ringsum launige und anzügliche Bemerkungen regnete.
Da erhob sich ein Bräumeister der Löwenbrauerei, von der die Eltern das Bier hatten, beglückwünschte uns in einer kurzen, stotternden Ansprache und überreichte uns im Auftrage der Brauerei einen großen Lederkasten mit feinem Silberzeug.
Ihm folgten noch viele, und es war schon zehn Uhr, als das Schenken ein Ende nahm, und die Musiker waren froh, endlich mit ihrem Tusch- und Hochblasen fertig zu sein, und mit viel Behagen verzehrten sie das Freimahl, das ihnen gespendet worden.
Mein Schwiegervater hatte ein Schwein und ein Kalb gestiftet, das als Braten, Suppe und Ragout an die Arbeiter unserer Fabriken sowie an die Musiker verteilt wurde. Mein Vater schenkte ihnen dazu einen Hektoliter Bier, und so gab es an diesem Tag viel Lust und Freud und manchen Dank und warmen Glückwunsch.
Gegen halb elf Uhr wurde ich in die Küche gerufen, und als ich hinaus kam, stand ein Bruder meines Schwiegervaters, der Jörg Hasler, welcher eigens zur Hochzeit von Augsburg hergefahren war, da und bedeutete mir, es sei nun Zeit, daß ich entführt werde. Die Mutter meinte, er solle mich zu meinem Onkel, der etliche Straßen weiter eine gute Wirtschaft habe, führen, sie lasse gleich einen Wagen holen.
Fast auf allen bürgerlichen, altbayerischen Hochzeiten herrscht noch die Sitte des Brautausführens: Der Hochzeiter soll gut achthaben auf seine Braut. Wird sie ihm dennoch von ihren Freunden entführt, so muß er mit seinen Freunden sie suchen gehen und zur Strafe für seine Unachtsamkeit alles bezahlen, was die andern mit der Braut inzwischen verzehrt haben.
Also fuhren wir fort, und meine Verwandten, vor allem der Onkel, hatten große Freude, als wir kamen. Der Vetter Hasler bestellte sofort Champagner, und wir waren sehr lustig; denn die Frau Bas spielte recht gut auf der Zither, während der Onkel sie auf der Gitarre begleitete. Da nur wenige Gäste in der Wirtsstube waren, gab es viel Platz, und die Dienstboten räumten Stühle und Tische beiseite, damit wir, wenn man sich gefunden hätte, gut tanzen könnten. Auch streuten sie Federweiß auf den Boden und tanzten etliche Male, damit er glatt wurde.
Mit einem Male ertönte draußen auf der Straße lautes Juchzen und Musik, und herein kam der Bräutigam, die Beiständer, die Kranzljungfern und viele der Gäste, und es begann nun ein ausgelassenes Treiben, während der Bräutigam mich mit hellem Juchschrei begrüßte und mit mir tanzte.
Wir blieben noch etwa eine Stunde dort und machten uns dann wieder auf den Weg zu den Eltern. Der Onkel sperrte seine Wirtschaft zu und begleitete uns mit allen seinen Leuten und blieb bis zum Morgen auf der Hochzeit.
Inzwischen waren immer noch mehr Gäste gekommen und der Andrang so groß geworden, daß die Leute in dem großen Hausgang Tische und Stühle aufstellten und etliche sogar auf der Stiege sich niederließen. Es war fürchterlich heiß und ein solcher Lärm im Lokal, daß ich es kaum mehr aushielt. Ich trank in die Hitze viel Champagner und nickte nur mechanisch denen zu, die kamen, mich zu begrüßen und zu beglückwünschen. Dabei ward mir immer elender zumut und mit einem Male drehte sich alles vor meinen Augen, und ich fiel unter den Stuhl. Man brachte mich hinaus in den Hof, wo ich alles, was man mir zu Hilfe reichen wollte, von mir warf: ein Glas mit Magenbitter, eine Tasse voll schwarzen Kaffees und ein Stück Zucker mit Hofmannstropfen. Dann entledigte ich mich noch alles dessen, was meinem Magen zu viel schien und verlangte schließlich unter furchtbarem Weinen ins Bett.
Also führte meine Schwiegermutter mich wieder in die Gaststube und sagte meinem Gatten, der mit großem Rausch und starker Rührung dasaß und tränenden Auges auf das horchte, was sein Vater ihm eben mit viel Eifer erzählte, daß ich nach Hause möchte.
»Ja, Herrgott, i bin ja verheirat!« rief der Benno da aus. »Was, hoam möcht mei Weiberl? Geh, Muatter, führ's derweil naus in d' Küch, daß ihr d' Zirngiblmuatta was Warms oziagt. I laß derweil an Wagn holn.«
Ich packte nun meine Hochzeitsgeschenke alle auf einen Haufen zusammen und deckte etliche Tischtücher darüber. Dann nahm ich alle Blumen, die man mir am Morgen gegeben hatte und sagte den Verwandten und Bekannten Dank für ihr Kommen und verabschiedete mich von allen.
Als ich nun gehen wollte, erhob sich ein furchtbarer Lärm, und man wollte mich mit Gewalt zurückhalten, doch machte ich ein so jämmerliches Gesicht, daß die Gäste glaubten, ich sei ernstlich krank, und sie ließen mich ziehen. Mein Gatte war, noch ehe jemand etwas ahnte, fortgegangen und holte selbst einen Wagen; denn nicht weit von unserer Wirtschaft pflegten immer etliche Fiaker zu stehen.
Meine Mutter war den ganzen Tag keinen Augenblick zur Ruhe gekommen, doch schien sie heiter und guter Laune zu sein, und als ich nun Gute Nacht und Pfüat Gott sagte, erwiderte sie lachend: »So, gehst scho! I wünsch dir halt an guatn Ei'stand und a g'ruhsame Nacht! Feier dein goldnen Tag recht schö und laß di bald wieder sehgn!«
Ich dankte ihr nochmals, und auf einmal überkam mich eine große Sehnsucht nach ihrer Liebe; ich fiel ihr um den Hals, drückte meinen Kopf an ihre Brust und weinte. Da zog sie langsam meine Arme von ihrem Hals, schob mich sanft von sich und sagte: »Geh, sei doch g'scheit, Leni! Du machst ja dei ganz Gwand voll Fettn! Jatz brauchst do nimma nach mir z'jammern, hast do an Mann!«
Die Frau Hasler war gerührt dabei gestanden, als sie aber sah, daß meine Mutter mich weggeschoben hatte, faßte sie plötzlich meinen Arm, zog mich an sich und sagte: »Hast scho no a Muatter aa, Leni; und wenn was is, komm nur zu mir. Dei Muatter hat so allweil so viel z'tuan!«
Meine Mutter merkte den Hieb gar nicht und meinte, zu mir gewendet: »Sigst, wia's dei Schwiegermuatta guat mit dir moant! Da war manche froh, wenn s' so oane dawischn tät!«
Derweilen kam der Benno mit dem Wagen, und nach nochmaligem, umständlichen Abschied von meinen Eltern, besonders von meinem Stiefvater, der mir noch ein Goldstück zusteckte und mir viel Glück wünschte, fuhren wir drei fort.
In unserer Wohnung angekommen, gab es sogleich eine kleine Auseinandersetzung der Frau Hasler mit ihrem Sohn; denn während er alle Lichter anzündete, die er fand, schürte sie rasch den Ofen des Wohnzimmers an und begann dann mir den Schleier und Kranz abzunehmen. Sie war fast damit fertig und ich mittlerweile auf dem Stuhl beinah eingeschlafen, während sie mit halblauter Stimme mir allerhand freundliche, gütige Worte sagte, als mein Mann dazukam und rief. »Was fallt dir denn ei, Muatta! Dös is mei Arbat, mei Frau ausz'ziagn!«
»Schrei net so grob, du Wüaster! Dei alte Muatta werd wohl so viel Ehr wert sei, daß s' ihrana Schwiegertochter beim Ausziagn helfn derf!«
»Naa, sag i, dös leid i net!« schrie da der Benno und entriß ihr den Brautkranz, den sie mir eben vom Kopf genommen hatte. »I ziag mei Frau scho selber aus, und überhaupts hast du jatz nix mehr z'tuan da herobn; i brauch di nimma!«
Da begann die alte Frau bitter zu weinen über die Grobheit ihres Sohnes und sank fassungslos auf einen Sessel. Ich empfand tiefes Mitleid mit ihr und nahm ihren Kopf in meine Hände und sagte: »Sei do stad, Muatterl! Der Benno moant's net a so; der hat halt heunt an Rausch!«
Aber sie war nicht zu trösten: »Wie werd's dir geh, arms Kind, bei dem Rüapel!« rief sie aus und sprang dann plötzlich auf und stellte sich mit funkelnden Augen vor meinen Gatten: »Dös sag i dir; daß d'ma s' schonst, dei Frau; sonst, bei Gott, is g'fehlt, wannst es machst wia...!«
Mitten im Satz brach sie ab und trat zur Seite, doch hatte das Ganze einen tiefen Eindruck auf mich gemacht, und ich ging nochmals zu ihr hin und sagte: »Muatterl, reg di net auf! Mach mir mein Rock auf, und nachher tuast schlaffa geh. I komm morgn früah scho nunter zu dir, gel!« Dann gab ich ihr noch einen Kuß, und nachdem sie mir das Kleid geöffnet hatte, ging sie, ohne dem Benno noch eine gute Nacht zu wünschen.
Ich zog mich schnell vollends aus und schlüpfte, während mein Mann überall herumlief und sich an unserm Eigentum erfreute, ins Bett.
Und ich war schon eingeschlafen, als er kam, und am andern Morgen, als ich aufstand, war ich nicht mehr das frische, sorglose Mädchen, und der Spiegel zeigte mir ein müdes, fremdes Gesicht.
So hatte ich denn den ersten Schritt in das Leben getan, das mir noch so übel geraten sollte.
Den Tag nach der Hochzeit nennt man bei uns gemeiniglich den »goldenen«, wie überhaupt die erste Zeit der Ehe gar viel belobt und besungen wird. Ein jedes Mädchen kennt die Flitterwochen, und manche Braut träumt von der Zeit des Honigmonds.
So lebte auch ich in der Erwartung einer goldenen Zeit und hoffte von einem Tag zum andern auf den Beginn derselben; und als es inzwischen Weihnachten geworden war, da begann ich mich zu bedenken, warum nicht auch in meiner Ehe Flitterwochen gewesen waren. Und ich ging zu einer alten Frau, die für Geld den Leuten ihre Zukunft und ihr Schicksal aus Karten und Planeten prophezeite; doch als die mir weiter keine Erklärung gab, als daß ich immer noch im Honigmonde lebe, da wußte ich, daß auch diese Zeit ganz anders sei, als ich geglaubt; wie denn vieles in meinem Leben anders kam, als ich es erhofft.
Ich konnte nicht begreifen, warum man diese Wochen als Flitterwochen besingt; ich sah nichts Herrliches und kein Glück darin, der nimmersatten Willkür und den schrankenlosen Wünschen des Gatten zu dienen, jeden Morgen mit umränderten Augen meinen müden Leib zu erheben und nicht einmal wenigstens die eine Befriedigung zu haben, sich Mutter zu fühlen.
So erkrankte denn mein Gemüt, und es währte nicht lange, da empfand ich tiefe Angst vor der Fortsetzung dieser Ehe, und die Zärtlichkeiten meines Mannes verursachten mir körperlichen Schmerz; dazu litt ich an quälendem Herzweh und hatte nur noch den einen brennenden Wunsch: ein Kind.
Dieses Verlangen allein bewog mich immer wieder, zu gehorchen, mich hinzugeben, zu leiden und zu schweigen.
Nun erst erkannte ich, daß es nicht die rechte Liebe war, die mich mit Benno verband. Wohl war ich ihm dankbar für das, was mir die erste Zeit hindurch als Leidenschaft und Liebe schien. Dazu kam die Hoffnung, daß bald Stille auf den Sturm eintrete und mit der angenehmen Ruhe der Gemüter auch das Glück zu mir käme. Auch hatte ich viel religiöses Empfinden und hielt es mit den Gattenpflichten im Gefühl meiner erhabenen Berufung zur Mutterschaft genau.
Nun aber drang Zweifel um Zweifel an dieser Berufung auf mich ein, und ich begann mir einzureden, daß meine Heirat nicht von Gott gewollt und gesegnet sei. Und ich suchte durch ein frommes Leben den Himmel zu versöhnen und hielt neuntägige Andachten zur Mutter Gottes und verlobte mich zu unserer lieben Frau von Birkenstein, wenn sie mir die Gnade erwirke, daß ich Mutter würde.
Besonders am Feste Mariä Lichtmeß betete ich mit großer Andacht und empfing auch die Sakramente in der Meinung, daß Gott mir meinen Herzenswunsch erfülle.