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Der Hausl, Balthasar Hauser, wie er eigentlich hieß, war im Übrigen mein guter Freund. Im Dorf war er freilich wenig beliebt, weil er recht barsch war und ein großer Geizhals. Ging er umher, so streckte er die Arme weit hinter sich hinaus; denn er war schon ganz krumm und alt. Er lebte bei den Großeltern im Austrag und bewohnte die an unsere Wohnstube anstoßende Kammer. Darin hatte er aus der Mauer ein paar Ziegelsteine herausgebrochen, das Loch ausgemauert und vor die Öffnung als Tür ein dickes Brettlein gemacht, das in Scharnieren hing und an das der Schlosser ein Schloß hatte anbringen müssen. In diesen Behälter tat er sein Geld und seine Kostbarkeiten, schmierte das Türlein mit Kalk zu und machte mit einem Farbstift einen winzigen Punkt an die Stelle, wo sich das Schlüsselloch befand. So glaubte er seine Habe erst sicher vor den Menschen, denn außer mir wußte niemand um diesen geheimen Ort. Wenn er nun einige Pfennige brauchte, wie an den Sonntagen zum Bier, so ging er in seine Kammer, zog die Vorhänge zu, kratzte mit einem Messer den Kalk vom Schlüsselloch, und sobald er das Wenige, das er jeweils brauchte, herausgenommen hatte, strich er alles wieder zu und machte einen neuen Punkt. Das Häflein mit dem Kalk bewahrte er unter dem Bett auf, das Nachtgeschirr darübergestürzt. Damit nun nicht etwa jemand diese Dinge fände, putzte er selbst seine Kammer und machte sein Bett. Auch wusch er selber seine Wäsche; denn er fürchtete, der Großmutter etwas zahlen zu müssen; und zwar wusch er immer nur ein Stück, hängte es darauf in die Sonne und setzte sich dazu, damit es ihm nicht etwa gestohlen wurde. Kam ich an solchen Tagen und sagte: »Hausl, geh mit mir furt!«, so zeigte er auf sein Sacktüchl und sagte: »Wart a bißl, bis mei Schneuztüchl trucka is.«
Außer ihm waren bei meinen Großeltern noch Kostkinder im Hause, die die Großmutter aufzog.
Sie war eigentlich nicht meine rechte Großmutter, sondern nur die Schwester derselben. Meine leibliche Großmutter habe ich nicht gekannt; sie war schon lange tot. Von ihr hat mir die Großmutter im Winter, wenn sie mit der alten Sailerin und der Huberwirtsmarie am Spinnrad saß, viel erzählt. Sie sei eine sehr böse Frau gewesen, im ganzen Ort gefürchtet, und alle Leute seien froh gewesen, als sie endlich mit achtunddreißig Jahren gestorben sei. Sie hatte lange an Magen- und Leberkrebs gelitten; darum hatte ihre Schwester schon bei ihren Lebzeiten das Hauswesen beim Großvater geführt und die Kinder erzogen. Eigentlich aber war sie eine Näherin.
Als nun der Großvater Witwer war, wollte er die Schwägerin heiraten; da sie aber in ihrer Jugend Mitglied und später Präfektin des weltlichen dritten Ordens des heiligen Franziskus geworden war, mußte er deswegen sich an den Papst wenden, der ihr unter der Bedingung Dispens erteilte, daß sie mit ihrem Manne eine sogenannte Josephsehe führe, das heißt, die gelobte Keuschheit bewahre. Daher kam es wohl auch, daß der Großvater sie immer mit großer Achtung behandelte und ihr niemals ein böses Wort gab. Nur einmal war eine Geschichte:
Von unsern Kühen gab eine, das Bräundl, zu wenig Milch. Da nahm sich der Großvater vor, sie nach Holzkirchen auf den Markt zu führen und gegen eine bessere umzutauschen. Obwohl nun die Großmutter dagegen war, hat er sie doch fortgetrieben und dafür eine wunderschöne, schwarzfleckige Kuh heimgebracht.
Als sie nun das erstemal von der Großmutter gemolken wurde, gab auch sie nur ein paar Liter Milch. Da meinte man, es komme von der Anstrengung; aber es wurde nicht besser. Als sie nach ungefähr einer Woche nicht mehr als fünf Liter Milch gab, während wir sonst von unsern Kühen zehn bis zwölf Liter hatten, ward die Großmutter sehr ärgerlich und fing an, mit dem Großvater zu streiten und sagte: »Da hättst aa nix Bessers toa könna, als wie dös Viech daher bringa; hättst halt's Bräundl g'haltn. Bringst da so an Ranka daher, der oan's Fuada wegfrißt und für nix guat is.«
Da wurde der Großvater zornig: »Sei stad! Was vastehst denn du, du Rindviech! Dös ko i da Kuah net o'sehgn, daß koa Milli gibt bei so an Trumm Euter. Na weis i's halt wieder furt in Gott'snam', daß d' an Ruah gibst, alt's Rindviech.«
Darauf erwiderte die Großmutter nichts, sondern ging in die Kuchl hinaus.
Als sie aber beim Nachtessen das Tischgebet sprach, fing sie plötzlich beim Vaterunser an ganz laut zu schluchzen und lief hinaus. Da sprach ich das Gebet zu Ende und sagte darauf zum Großvater: »Gel, jetz hast es, weilst so grob bist. Warum greinst denn a so, wo's es net braucht! Mei Großmuatta is brav, und balst es no amal schimpfst, nacha mag i di nimma!«
Darauf sagte der Hausl, der auch mit uns aß: »Woaßt, Handschuasta, dös sell muaß i selm sagn; da hast an schlechtn Tausch g'macht. Da hat d' Handschuasterin scho recht, und i moan, dösmal warst du's Rindviech g'wen.«
Diese Rede freute mich, und ich ließ das Essen stehen, lief zur Großmutter in die Küche, setzte mich auf ihren Schoß und sagte: »Großmuatterl, sei stad und woan nimma. Der Großvata is dir scho wieda guat und der Hausl sagt's aa, daß der Großvata 's Rindviech is. Jatz weist er d' Kuah wieder furt und kaaft dir a andere. Und i hab's eahm scho g'sagt, er darf di nimma ausgreina.«
Da nahm sie mich um den Hals und sagte: »Du bist halt mei Brave, gel Lenei.«
Darauf aß ich mit ihr draußen in der Küche zur Nacht, zog sie danach wieder in die Stube und rief: »So Großvata, jatz is dir d'Großmuatta wieda guat und woant nimma; jatz muaßt aba versprecha, daß d' es wieda magst und nimma greinst.«
Da lachte er: »No, in Gottsnam, Hex, na mag i 's halt wieda.«
In der Nacht hab ich zwischen ihnen beiden geschlafen und hab ein jedes bei der Hand genommen und ihnen die Hände gedrückt und sie festgehalten.
Auf einmal fängt die Großmutter aufs neue zu schluchzen an: »Naa, i ko's net vergessn, was d' g'sagt hast, wo i dir g'wiß a bravs, rieglsams Wei' g'wen bin.«
»Stad bist ma!« erwiderte der Großvater. »Bevor i harb wer'. Dös ko an jedn passiern; geh nur und kaaf du ei!«
Jetzt wurde ich wild, stieß den Großvater mit Füßen, schopfte ihn bei den Haaren und schrie: »Jatz werd's ma z'dumm! Jatz laß d' mei Großmuatta steh, sunst steh i auf und laaf furt und geh zu der Münkara Muatta; da is scheena, da werd net g'strittn und g'greint!«
Darauf mußte sich die Großmutter in die Mitte legen und ich legte mich hinaus. Der Großvater aber lachte: »Geh, schlaf, du Nachtei!«
Am andern Tag in der Früh fragte ich gleich die Großmutter: »Is er dir wieda guat, der Vata?«
»Ja«, erwiderte sie, »mir san scho guat.«
Aber beim Beten weinte sie wieder wie den Tag zuvor, und so ging es noch drei oder vier Tage fort.
Die Kuh aber hat der Großvater an den Huberwirt verkauft und dafür vom Schneider zu Balkham eine wunderschöne, trächtige heimgebracht.
Damit war der Streit geschlichtet und ich brauchte nicht mehr zu der Münkara Muatta, das heißt zu meiner Mutter in München, zu gehen, die ich übrigens noch nie gesehen hatte und von der ich nur hatte reden hören. Zu dieser Zeit aber kam ein Brief an meine Großmutter, darin die Mutter schrieb, daß sie bald kommen würde, uns zu besuchen.
Da sagte mein Großvater zu mir: »Dirnei, jatz muaßt brav sei, d'Münkara Muatta kimmt; dö bringt dir ebbas Scheens mit. Bal' s' kimmt, na derfst es von der Bahn abholn.«
Ich glaubte natürlich, meine Münkara Muatta käme schon am selben Tag, an dem der Brief gekommen war; schlich mich also barfuß und ohne Hut oder Tüchl gegen die Sonnenhitze, es war im Spätsommer, fort und lief, so schnell ich konnte, über die Brücke den Berg hinauf durch Felder und Wiesen über Schloß Zinneberg und Westerndorf nach der Waldstraße, die gen Grafing führt. Dies war am Nachmittag nach der Vesperzeit. Ich lief durch den Wald, der anfangs ganz licht ist, bald aber dicht, finster und unheimlich wird, bis an eine Stelle, wo ein Feldkreuz mit einem Bild des Fegfeuers und daneben ein Marterl steht als Wahrzeichen, daß hier ein Bauer erschlagen aufgefunden wurde. Da fürchtete ich mich so sehr, daß ich kaum mehr zu atmen, noch mich vom Fleck zu rühren vermochte.
Derweilen kamen zwei Radfahrer, die mich nach dem kürzesten Weg nach Grafing fragten. Da löste sich meine Angst und indem ich rief. »Ös derfts grad dera Straßn nachfahrn!« stürmte ich schon an den Herren, die von ihren Rädern abgestiegen waren, vorbei und lief so rasch mich meine Füße trugen, bis nach Moosach, dem nächsten größeren Dorfe. Dort bat ich eine Bäuerin um einen Trunk Wasser. Freundlich gab sie mir einen Weidling voll Milch und eine Schmalznudel dazu und fragte mich: »Wo kimmst denn her, Dirndei, und wo gehst denn hin?«
»I geh auf Grafing und geh meiner Münkara Muatta z'gegn.«
Sie mahnte noch: »Gel, tua di fei net volaafa, Kind!« und begleitete mich bis unter die Haustür. Mit einem lauten: »Gelt's Gott!« und »Pfüat Gott, Bäuerin!« lief ich wieder weiter, die Straße über Waldbach, Baumhau, den großen Untersumpf entlang nach Grafing.
Schweißtriefend und keuchend kam ich ungefähr um sieben Uhr abends dort am Bahnhof an und fragte einen Bediensteten: »Bitt schön, wißt's ös net, wenn daß der Zug vo' Münka kimmt?«
Der aber meinte, vor acht Uhr käme keiner mehr; denn der letzte sei um fünf Uhr schon gekommen.
Ich glaubte es ihm nicht und fragte einen andern: »Habt's ös mei Münkara Muatta net kemma sehgn?«
Da fing der Mann an zu schelten und ich stand traurig da und wußte nicht, was anfangen. In diesem Augenblick kam ein Zug. Ich stürmte über den Bahnsteig und lief sofort auf eine vornehm gekleidete Frau zu, die grad ausgestiegen war und fragte sie: »Bist du mei Münkara Muatta?«
Sie aber gab mir keine Antwort. Inzwischen hörte ich rufen: »Personenzug über Kirchseeon, Haar, Trudering nach München!« Da wurde es mir klar, daß es der Zug von Rosenheim war. Ich setzte mich also auf eine Bank und wartete, bis der Achtuhrzug aus München kam. Da stiegen aber nur einige Männer aus und ich mußte mich wieder auf den Heimweg machen, da es schon ziemlich dunkel geworden war.
Ich fing nun wieder an zu laufen, zurück durch den Wald und den Sumpf.
Inzwischen war es fast Nacht geworden und ich sah plötzlich, daß ich mich verirrt hatte.
Nach einem langen Umweg kam ich über Bruck nach Wildenholzen. Es ist das ein kleines, wundernettes Örtlein am Fuß eines schönen, bewaldeten Bergabhanges.
Ganz erschöpft bat ich in dem Wirtshaus, das am Berge stand, ob ich nicht rasten dürfe und wie weit ich wohl noch hätte zu meinem Großvater.
»Ja mei, Dirndei, da kimmst heunt nimma hin! Da is gescheita, wennst bei ins da bleibst; morgen fruah fahrst na mit an Bauern hoam. Aba jatz kimm eina, na kriagst was z'essn.«
Ich konnte vor Müdigkeit und Seitenstechen kaum etwas essen und auch nur schlecht schlafen. Schreckliche Träume verfolgten mich und ich meinte in den Sumpf geraten zu sein und versinken zu müssen.
Am Morgen gab die Frau Wirtin mir noch einen Kaffee und dann setzte mich der Bauer, der nach unserm Dorf fuhr, auf den Wagen.
In Westerndorf stieg ich ab, bedankte mich und ging zu meiner Nanni. Dies war die Schwester meiner Mutter, eine wohlhabende Bäuerin, die auch einen großen Obstgarten hatte. Man nannte sie die Maurerin von Westerndorf, weil der Schwiegervater ein Maurer gewesen war und die Hausnamen fast immer vom Handwerk des Besitzers hergeleitet werden.
Die Nanni führte mich dann auf meine Bitten hin zu meinen Großeltern. Diese hatten mich die ganze Nacht in Ängsten gesucht und beweinten mich schon als tot. Aber kein Wort des Vorwurfs kam aus ihrem Munde.
»Weilst nur grad da bist, Lenei, arms Nachtei, dumms!«
Ohne einen Laut fiel ich dem Großvater in die Arme. Da sah man erst, daß ich ganz heiß und voll Fieber war. Ich bekam Lungenentzündung, von der ich noch nicht genesen war, als etliche Wochen später meine Mutter wirklich kam.
Da trat eine große Frau in die niedere Stube in einem schwarz und weiß karierten Kleide über einem ungeheuern Cul de Paris. Auf dem Kopf trug sie einen weißen Strohhut mit schwarzen Schleifen und einem hohen Strauß von Margeriten. Sie stand da, sah mich kaum an, gab mir auch keine Hand und sagte nur: »Bist auch da!«
Als sie am nächsten Tag wieder fortgefahren war, fragte mich der Großvater: »No, Dirnei, magst nachha eini zu der Münkara Muatta in d' Stadt?«
Da umhalste ich ihn, schüttelte den Kopf und sagte schnell: »Naa, naa!«
So durfte ich denn noch beim Großvater bleiben und wie zuvor mit ihm gehen, wenn er irgendwo zu arbeiten hatte.