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Dr. Moses Wiesen, oder wie sonst sein Name heißen mochte, der wahrscheinlich eine Verkürzung oder Übersetzung des ursprünglichen war, stammte sicherem Vermuten nach aus dem östlichen Teile Deutschlands. Auch seine ersten zwei Bücher waren in deutscher Sprache erschienen, und sie waren auch das beste, was er jemals geschrieben, denn sie schienen von einer echten Begeisterung für die Sache getragen. Sie waren nur etwas untermischt mit einem Haß gegen alles, was ihr Verfasser für Aberglauben hielt, und was viele unter uns für die Grundlagen eines Staates halten. In seinem ersten Buche versuchte er zu beweisen, daß die bemerkenswerte Tatsache, daß beim weiblichen Geschlecht der Backenbart nicht wächst, auf einer Verkümmerung gewisser Gehirnfunktionen beruhe, die mit steigendem Alter immer weiter fortschreitet. In seinem zweiten Buche beackerte er das Gebiet der falschen Vorstellungen, und diejenigen, die mit ihm einer Meinung waren, hielten den Beweis für erbracht, daß der Zeitgeist in der jüngsten Zeit in einem besonders raschen Tempo vorwärtsschreite.
Einige Zeit darnach stieß er unglücklicherweise mit einem heiklen Problem zusammen und versank gänzlich darin: er vermochte nämlich nach den bisherigen Beweisen, welche die Wissenschaft darbot, nicht einzusehen, wie die Menschen in die unselige Gewohnheit verfallen konnten zu sterben, und er nahm an, daß sie damit nur einer stumpfen Überlieferung folgen, die man ausrotten oder der man wenigstens entgegenarbeiten müsse. Die Beschäftigung mit diesem Problem hatte zur Folge, daß alle andern Interessen gänzlich zurücktraten, und es war bedauerlich, daß er damit den Wagemut seiner Jugend einbüßte, wo er am liebsten Selbstmord begangen hätte, nur um des Vergnügens willen, festzustellen, daß es keinen Gott gibt, auch nach dem Tode nicht. Der Idealismus seines späteren Lebens beschränkte sich zumeist darauf, neue Hypothesen aufzustellen und neue Entdeckungen zu machen, welche Nahrungsmittel für den Menschen am zuträglichsten sind. Es gab eine Zeit, wo er dem Öl den Vorzug gab. Mit seiner Seetang-Theorie hatte sich Professor Nym eingehend auseinandergesetzt, und was seine Fischleim-Periode anbelangt, so liegt es heute nicht im Interesse Dr. Wiesens, darüber zu sprechen. Erst als er bereits längere Zeit in England gelebt hatte, kam er beinahe durch einen bloßen Zufall darauf, daß die Milchtrinker am längsten leben, und er baute auf dieser Erkenntnis eine Theorie auf, die, wenigstens zu Anfang, ganz ehrlich und wissenschaftlich war. Unglücklicherweise hatte er in jeder Beziehung Erfolg damit: Dem Erfinder und Besitzer der Gebirgsmilch strömte Geld in Massen zu. Und nun trat er in das letzte und vierte Begeisterungsstadium ein, das sich sonst nur in sehr hohem Alter einstellt, und das eine gewisse Verengung im Gefolge hat.
In seinem Zwiegespräch mit Patrick Dalroy, das ganz natürlich unmittelbar auf das Zusammentreffen der beiden folgen mußte, zeigte sich Dr. Wiesen ziemlich selbstbewußt, aber nicht sehr tolerant, denn er konnte sehr aufgebracht werden, wenn sich in seiner Stadt etwas ohne ihn ereignete, geschweige denn etwas gegen ihn. Zuerst warf er dem Kapitän vor, daß er die Milchkanne gestohlen hätte, und schickte mehrere Arbeiter nach dem Lagerraum, um dort die Zahl der Kannen festzustellen, aber Dalroy klärte ihn über diesen Punkt bald auf.
Ich habe diese Kanne in einem Laden in Wyddington gekauft, und ich habe seitdem keine andere in der Hand gehabt. Sie werden es mir vielleicht nicht glauben, setzte er etwas weniger wahrheitsgetreu hinzu, aber als ich in den Laden hineinging, war ich ein ziemlich kleiner Mann, und ich trank nur ein einziges Glas Milch, und sehen Sie mich jetzt an.
Sie haben kein Recht, hier Milch zu verkaufen, sagte Dr. Wiesen mit einem seltsamen Akzent, ich bezahle Sie nicht dafür, ich lehne jede Verantwortung für Ihr Verhalten ab, Sie sind nicht ein Vertreter meiner Erfindung.
Ich bin eine Reklame, unterbrach ihn der Kapitän, wir machen überall in England für Sie Reklame. Sehen Sie den kleinen kümmerlichen Mann dort, und dabei zeigte er auf den wenig erfreuten Pump, er ist der Zustand vor dem Trinken von Dr. Wiesens Gebirgsmilch und ich – und jetzt sprach Dalroy mit einiger Genugtuung – ich bin der Zustand, der man dadurch werden kann.
Sie werden sich vor den Behörden zu verantworten haben, sagte der Doktor, fast erstickend vor Wut.
Jawohl, gab Patrick zu, ich will ganz reinen Tisch machen, es wird sich dann vielleicht manches herausstellen. Offen gesagt, Ihre Milch hat einen besondern Geschmack, das ist nicht bloße Milch, und die Herren hier werden mir das bestätigen.
Dem Kapitalisten stieg das Blut in den Kopf, er stampfte mit dem Fuß auf die Erde und sagte: Entweder haben Sie die Kanne gestohlen, und Sie sind ein Dieb, oder Sie haben der Milch irgendwelche minderwertige Beimischung gegeben, und dann sind Sie ein Fälscher.
Fälscher? wiederholte Dalroy gütig, Prinz Albert sagte immer, Falschmacher – guter alter Albert, es ist mir, wie wenn es gestern gewesen wäre, nein heute, natürlich – und es ist doch sonnenklar, daß dieses Zeug ganz anders schmeckt als Milch. Ich kann es natürlich nicht feststellen, nach was es schmeckt, (aus der Menge hörte man ein mühsam verhaltenes Kichern) es ist so ein Mittelding zwischen Zucker und Zigarre – es ist so unschuldig wie der Himmel und brennt so heiß wie die Hölle – es ist wie ein Paradox, es schmeckt wie ein vorgeschichtlicher Widerspruch, ich hoffe, ich habe mich klar genug ausgedrückt. Wer von dieser Milch getrunken hat, kehrt zurück zur Einfachheit Gottes und wird zum Salz der Erde, weil sie so süß ist wie Zucker. Kosten Sie auch einmal davon!
Und mit etwas aufdringlicher Gastfreundlichkeit schoß Patricks langer Arm nach vorn, am anderen Ende dem kleinen Mann ein Glas Milch anbietend. Dessen despotische Neugierde siegte über die despotische Würde, er sog langsam an der Milch, und seine Augen traten fast aus seinem Gesicht.
Sie haben etwas in die Milch gemischt, waren die ersten Worte, die der kleine Prophet vorbrachte.
Jawohl, antwortete Dalroy, gerade so wie Sie selbst, oder Sie sind ein Fälscher. Warum zeigen Sie überall an, daß Ihre Milch anders ist wie andrer Leute Milch, wenn Sie nicht selbst diese Verschiedenheit bewirkt haben. Warum kostet ein Glas von Ihrer Milch dreißig Pfennige und ein Glas gewöhnliche Milch nur zehn – Sie haben da für zwanzig Pfennige etwas hineingetan – jawohl, sehen Sie, Doktor Wiesen, ein amtlicher Nahrungsmittelmechaniker könnte das schon feststellen, wenn er ehrlich ist. Ich kenne vielleicht anderthalb Dutzend Chemiker, die staatlich angestellt sind, und ich will Ihnen einen Vorschlag machen: er soll feststellen, was ich in die Milch hineingetan habe, wenn Sie ihm die Möglichkeit geben, festzustellen, was Sie in Ihre Milch hineingetan haben. Sie müssen doch mit der Milch irgend etwas machen, oder was hätten sonst all diese Räder und Pumpen und Flaschenzüge hier zu bedeuten? Wollen Sie mir hier und vor allen diesen öffentlich sagen, was Sie der Milch beimischen, das sie zu einer so ausgezeichneten Gebirgsmilch macht?
Darauf entstand ein längeres Schweigen, das ganz erfüllt war von einem geblähten Vergnügen der Menschenmenge. Aber der Philanthrop geriet in einen Zustand völliger Raserei, er erhob seine Fäuste in die Luft in einer Weise, die allen Engländern, die um ihn herumstanden, ganz fremdartig erschien, und rief laut:
Oh, jetzt weiß ich, was Sie hineingetan haben, ich weiß, was Sie gemacht haben: Alkohol ist es und Sie haben kein Schild und werden sich verantworten müssen vor den Behörden.
Dalroy machte eine kleine Verbeugung und ging zum Wagen zurück und zog dort das wunderbare Wirtsschild hervor, auf dem ein blauer Dreidecker gemalt war und von anderer Hand noch ein rotes St. Georgs-Kreuz. Dieses pflanzte er auf dem kleinen Rasenplatze auf und sah heiter in der Runde herum.
Mit diesem meinem alten Wirtsschild, fügte er dann hinzu, will ich einer Welt von Behörden Trotz bieten. In meinem Wirtshause ist nichts, was unhygienisch ist, überall sind offene Fenster. Und wenn jemand behaupten will, daß alkoholische Getränke nur mit Essen zusammen verabreicht werden dürfen, so habe ich einen sehr guten Käse, lieber Doktor Wiesen, einen Käse, der Sie ganz besonders kräftigen würde, versuchen Sie es einmal mit diesem Käse.
Aber der Doktor Wiesen hörte schon lange nicht mehr zu. Durch die Aufstellung des Schildes erschien ihm die Sache ganz hoffnunglos verwirrt zu sein. Wie die meisten Skeptiker hatte er einen ebenso großen Respekt vor den Gesetzen wie vor seiner Philosophie. Er hatte Angst, schreckliche Angst, daß er bei den Behörden nicht Recht bekommen würde. Und er durchlitt die ganze Tragik aller Menschen, die in diesem neuen England zu leben gezwungen sind und Achtung vor dem Gesetze haben zu müssen glauben, ohne genau zu wissen, was das Gesetz bedeutet. Er wußte nur, daß der Lord Ivywood, als er das Gesetz einbrachte und verteidigte, gerade auf diesen Punkt besonderen Wert gelegt hatte. Und er wollte nicht gegen einen klar zum Ausdruck gebrachten Teil des Gesetzes verstoßen und in ein Gefängnis kommen trotz seines Reichtums. Natürlich hätte er tausend gute Gründe zu seiner Verteidigung gehabt: daß ein Rasenplatz kein Wirtshaus ist, daß noch kein Schild dastand, als der Kapitän Rum ausschänkte, aber ebensogut wußte er, daß es in dem schwarzen Abgrunde der englischen Gesetze nicht auf die Tatsachen ankommt. Er versuchte nur, sich darüber klar zu werden, welchen Standpunkt Lord Ivywood einnehmen würde.
Patrick, rief Humphrey Pump, und das war das erste Wort, das er bei dem ganzen Handel sagte, wir würden besser tun, uns von hier fortzumachen, ich spüre etwas in meinen Knochen.
Ungastlicher Wirt, rief der Kapitän unwillig, du hast mir doch deine Schankgerechtigkeit abgetreten! Auf dieser Stelle siehst du das Anbrechen des Friedens in dieser großen Friedensstadt. Ich habe die Hoffnung, daß der Doktor noch ein zweites Gläschen hinunterlaufen lassen wird, bevor wir von hier fortgehen. Vielleicht hört er auf Bruder Hugby.
Als Hugby von der alten Hugbybrauerei seinen Namen rufen hörte, stürzte er so eilig vor, daß ihm fast sein Cylinderhut herunterfiel. Dann stand er ganz ruhig da, nahm ein Glas von der neuen Gebirgsmilch in die Hand, und sein ganzes Gesicht bekam einen sprechenden Ausdruck, noch ehe er ein Wort gesprochen.
Ein Automobil kommt von jenem Hügel herab, sagte Humphrey ganz ruhig, es wird in zehn Minuten auf der Brücke und dann auf dieser Seite sein.
Du hast von Automobilen geträumt heute nacht, sagte der Kapitän ungeduldig.
Herr Präsident, fing Hugby seine Rede an, wie er ehedem in seinen Glanztagen auf einem Festessen des Brauereisyndikats gesprochen, ich nehme es als selbstverständliche Tatsache an, daß wir alle Achtung vor bestehenden Gesetzen haben, und ich habe nur den einen Wunsch, mit allen in Freundschaft zu leben, insbesondere mit unserm guten Freunde, dem Doktor: mögen ihm niemals Freunde bei einer guten Flasche fehlen, das heißt, wenn er solche dabei zu sehen verlangt. Wir haben den Berg des Glücks erstiegen. Aber nachdem unser Freund hier mit seinem Schilde in seinem Recht zu sein scheint, so erachte ich die Zeit für gekommen, die ganze Sache mit andern Augen, sozusagen von einer breiteren Grundlage aus anzusehen. Wir wissen ja wohl alle zur Genüge, welchen Schaden die schmutzigen kleinen Kneipen unter dem unwissenden Volke anrichten, das sich darin benimmt wie Schweine, und ich behaupte, daß unser guter Freund, der Doktor, sich ein Verdienst erworben hat, als er diese schmutzigen Löcher fortfegte. Aber ein großes, gut geleitetes Unternehmen, hinter dem ein genügendes Kapital steht, ist doch eine ganz andere Sache. Ihr alle wißt, meine Freunde, was für ein Geschäft ich früher betrieben habe, das ich unter den neuen Gesetzen habe aufgeben müssen – bei diesen Worten sahen die Ziegen schuldbewußt auf ihre nackten Hufe, aber ich habe mir etwas erübrigt, und ich würde kein Bedenken tragen, es in dieses neue Geschäft hineinzustecken, wenn mein Freund es in einem größeren Maßstabe betreiben möchte. Und wenn unser guter Freund, der Doktor – – – –
Sie Schuft, sprudelte der kleine Alte hervor, Ihr guter Freund, der Doktor, wird Sie vor Gericht bringen!
Wir wollen bei der Sache bleiben, sagte ärgerlich der Brauer, ich will doch Ihrem Geschäft keine Konkurrenz machen, mein Geschäft soll etwas ganz anderes sein, wir wollen doch rein geschäftlich reden.
Ich bin kein Geschäftsmann, schrie der Gelehrte mit feuersprühenden Augen, ich diene der Menschheit.
Dann frage ich Sie, warf Dalroy dazwischen, warum Sie nicht handeln, wie unser Herr und Meister uns zu handeln empfiehlt.
Das Automobil fährt jetzt über die Brücke, warnte Humphrey.
Sie wollen mein großes Werk zugrunde richten, schrie der Doktor mit ehrlicher Leidenschaft, ich allein habe diese ganze Stadt aufgebaut, ich allein habe sie zu einer Stätte der Gesundheit und Nüchternheit gemacht, ich muß wachen über die Interessen ihrer Bewohner, und dann kommen Sie und wollen alles zugrunde richten mit Ihrem gottverdammten Bier. Und Sie wollen mich Ihren guten Freund nennen, ich bin nicht Ihr guter Freund.
Darüber kann ich nicht urteilen, grollte Hugby, aber wenn es hart auf hart kommen soll, so sage ich nur das eine, versuchen Sie nicht – – –
Ein Automobil hielt vor der Gruppe, ein Automobil mit einem langen Staubschwanz, und sechs sehr staubige Menschen krochen heraus. Auch durch die dichte Autokleidung erkannte Pump in mehreren von den Ankömmlingen an ihrer Körperhaltung und ihrem sonstigen Gehaben Polizeibeamte. Von ihnen stach eine lange Figur in nachlässiger Haltung gänzlich ab, die nach dem Abnehmen der Schutzgläser und der Autobrille das dunkle und welke Gesicht des Privatsekretärs J. Levyson zeigte. Er ging sofort auf den alten kleinen Millionär wie auf einen guten alten Bekannten zu und schüttelte ihm die Hand. Sie sprachen eine Weile etwas für sich und zeigten dann auf ein amtliches Schriftstück, dann sprach der Doktor Wiesen nach einigem überlegenem Räuspern zu der Versammlung:
Ich bin in der angenehmen Lage, Ihnen allen mitteilen zu können, daß dieser heutige Versuch einer Gesetzesumgehung durch eine neue Gesetzesänderung unterbunden worden ist. Lord Ivywood hat mit der unvergleichlichen Raschheit, die er schon so oft bewiesen hat, unverzüglich an alle wichtigen Plätze des Landes, und mithin auch nach dieser Stadt, die Mitteilung von einer höchst gerechten und notwendigen Gesetzesänderung gelangen lassen, die in unserem gegenwärtigen Falle von ganz besonderer Wichtigkeit ist.
Wir werden heute nacht auf der Pritsche schlafen müssen, sagte Pump, ich hatte es schon vorhin in den Knochen gespürt.
Es mag genügen, von dem Inhalt mitzuteilen, fuhr der Abgesandte fort, daß nach dem gegenwärtig geltenden Recht ein jeder Gastwirt, auch wenn er ein Schild aussteckt, einer Gefängnisstrafe verfällt, wenn er Alkohol an einer Stelle verkauft, an der er nicht an drei vorhergehenden Tagen gelagert hat.
Ich hatte mir schon gedacht, daß so etwas kommen würde, murmelte Pump, sollen wir das Rennen aufgeben, Kapitän, oder sollen wir auf alle diese Leute pfeifen?
Auch die Zuversichtlichkeit von Dalroy schien einen Augenblick lang etwas herabgemindert zu sein, und er starrte verloren in den endlosen Himmelsraum über ihm, wie wenn er von den fernsten und weißesten Wolken und von den äußersten Enden des Himmels eine Eingebung erwartete. Endlich sagte er ruhig und mit gedankenschwerer Stimme: Ja – verkauft!
Pump sah mit scharf er Wendung auf ihn und zeigte einen veränderten Ausdruck auf seinem grimmigen Gesicht. Doch der Doktor freute sich allzusehr seines unerwarteten Triumphes, als daß er den Sinn der Bemerkung des Kapitäns begriffen hätte.
– wenn er Alkohol verkauft, lautet der Wortlaut des Gesetzes, las der Doktor vor und verschlang mit seinen glühenden Augen die neue Parlamentsdruckschrift im blauen Folio-Umschlag.
Soweit meine Person in Betracht kommt, so ist die Fassung des Gesetzes nicht ganz klar und trifft auch nicht den vorliegenden Fall – sagte der Kapitän mit überlegener Gleichgültigkeit, ich habe niemals Alkohol verkauft, ich habe ihn immer nur verschenkt. Oder hat einer mir hier einen Pfennig bezahlt? Oder hat hier einer Geld hinlegen sehen? Ich bin ein Philanthrop, ebenso wie Doktor Wiesen. Ich bin sein lebendiges Ebenbild!
Levyson und Wiesen sahen einander an, und auf dem Gesicht des ersteren malte sich Betroffenheit, auf das Gesicht des anderen waren wieder alle Schrecken der Gesetzesauslegung zurückgekehrt. Ich werde einige Wochen hier an diesem Orte bleiben, fuhr der Kapitän fort und lehnte sich nachlässig auf die Milchkanne, ich werde so viel von meinem ausgezeichneten Getränk umsonst ausschänken, als von den Bewohnern dieser Gegend nur gewünscht wird, und ich glaube, niemand unter den hier Anwesenden kann etwas gegen ein solches Angebot haben, das sich streng an die Vorschriften der bestehenden Gesetze hält, und das nur meiner hohen Auffassung von Nächstenliebe entspringt.
Aber was sein Angebot anlangte, so befand er sich augenscheinlich in einem Irrtum, denn einige der Anwesenden waren offensichtlich dagegen. Doch merkwürdig genug widersprach nicht der vertrocknete, fanatische Levyson, dessen Pflicht es eigentlich gewesen wäre, und der ganz aussah, wie ein lebendiger Protest, sondern das Gesicht, das am deutlichsten ausdrückte, daß ihm diese Form von Nächstenliebe sehr wenig zusagte, war das des verflossenen Besitzers der Hugby-Brauerei. Seine gekochten Stachelbeeraugen platzten beinahe aus seinem Gesicht heraus, und sein Mund sagte bereits deutlich, noch ehe er ein Wort gesprochen:
Sie verfluchter Hund, Sie Ochse, glauben Sie, Sie können hergelaufen kommen wie ein Hanswurst und mir mein ganzes Geschäft verderben?
Beweglich wie eine Schlange schoß der alte Wiesen auf ihn zu: Was für ein Geschäft? fragte er.
Der Brauer sprudelte undeutlich etwas aus seiner kochenden Wut heraus. Die Ziegen sahen alle betroffen zu Boden nach der Gewohnheit der niederen Tiere. Dann brüllte Hugby:
Ich kann nur sagen, wenn die Polizei nicht so viel Macht hat, einen solchen hergelaufenen Lumpen, dem die Fetzen herunterhängen, festzunehmen, so zahle ich auch keinen Pfennig mehr von diesen gottverfluchten Steuern und – – –
Nun ists genug, sagte Dalroy und seine Worte fielen wie Axthiebe – solche Brauer wie Sie haben solche stinkenden Gasthäuser in die Welt gesetzt und haben die andern vergiftet, bis endlich die anständigen Menschen die Beseitigung aller verlangten. Sie sind ja schlimmer als die Abstinenzler, denn Sie haben es dahin gebracht, worauf diese Teetrinker nie gekommen wären. – Und nun lassen Sie mich auch Ihnen, großer Menschenfreund, Idealist und Gasthausvertilger, einen kalten Wasserstrahl auf Ihre Belehrung geben: Warum genießen Sie hier so wenig Achtung, warum finden Sie höchstens Gehorsam? Sie sagen, Sie haben diese Stadt aufgebaut und wachen über sie vom frühen Morgen bis zum späten Abend – aber Sie haben an dem Bau der Stadt viel Geld verdient und verdienen noch mehr Geld mit ihrer Verwaltung. Warum soll ich vor einem Mäßigkeitsapostel Achtung haben, der seine schlechte Verdauung auch allen gesunden Menschen anpreisen will? – Sie wollen der Herrgott dieses Tales sein, aber Ihr eigener Herrgott ist Ihr Bauch? Und auch diesen lieben Sie nicht einmal sondern fürchten ihn nur. Lesen Sie doch einmal in der Bibel, wie Ihre Väter es getan haben, und Sie werden darin finden, daß alle Menschen einmal sterben müssen. Aber Sie wollen nicht herauslesen sondern hineinlesen. Ich selber habe nicht viel in der Bibel gelesen, und ich weiß nur wenige Sätze aus der alten irländischen Übersetzung, aber ich will Ihnen einen Satz zum Nachdenken empfehlen – und dabei machte er eine so weitausholende Bewegung, daß in diesem Augenblicke die Stadt in der Tat aussah, wie ein großer Spielzeugkasten zu den Füßen eines Riesen, – in der Bibel steht geschrieben: Wenn Gott nicht mitbaut, dann haben die Werkleute umsonst gebaut, und wenn Gott nicht wacht, dann wachen die Wächter umsonst! Umsonst stehen Sie also frühmorgens auf und essen das Brot der Sorge, denn nur Er gibt den Seinen gesegneten Schlaf! – Geh hin und suche zu verstehen, wenn du kannst, und untersuche nicht, ob es ein elohistischer Spruch ist oder ein jawistischer. – Und jetzt wollen wir fort von hier, weit fort, Pump, diese grünen Dachziegel ekeln mich an.
Und er warf das Tönnchen und die Milchkanne in den kleinen Wagen, daß es hell klang, dazu das Wirtsschild. Und nachdem Dalroy selbst eingestiegen war, fuhr der Wagen davon. Ohne anzuhalten, flog er bis an einen schattigen Platz an demselben frischen Bache, an dem er am Morgen gehalten hatte. Plötzlich sagte Hump: Etwas habe ich nicht verstehen können: warum kriegte der Alte auf einmal solche Angst, als du von dem amtlichen Nahrungsmittelchemiker sprachst? Was für giftige Chemikalien mag er nur in seine Milch tun?
Die Chemiker nennen es H2O, antwortete der Kapitän, ich trinke es aber lieber ohne Beimischung von Milch.
Und er legte sich auf die Erde und trank Wasser aus dem Bache, wie er es am Morgen getan.