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Pebblewick rühmte sich eines eigenen rührigen Abendblattes, das die »Pebblewicker Welt« hieß; und es war das große Ereignis in dem Leben ihres Herausgebers, daß er die Sonderausgabe herausbrachte, welche über das geheimnisvolle Wirtsschild fast gleichzeitig mit dessen Verschwinden berichtete. Bei den Straßenaufläufen, welche darauf folgten, hatten die Austräger in den Reklametafeln auf Brust und Rücken einen nicht geringen Schutz gegen die Stöße und Schläge, die sie unterschiedslos von der Menge erhielten. Auf den Tafeln stand:
DAS GEHEIMNISVOLLE WIRTSSCHILD
DAS WUNDER VON PEBBLEWICK
ESTRA-AUSGABE
Das Blatt enthielt einen knappen und in der Hauptsache richtigen Bericht dessen, was geschehen war oder wahrscheinlich geschehen war vor den Augen des übel zugerichteten Jorg und seiner Genossen:
»Georg Burn, ein Zimmermann unserer Stadt, kam mit Samuel Gripes, der als Wagenführer in der Brauerei von Jay und Gubbins beschäftigt ist, und einer Anzahl anderer wohlbekannter Bewohner unserer Stadt an dem neuen Gebäude auf dem westlichen Strande vorbei, das die Volkshalle genannt wird. Als sie vor der Tür eines der früher üblichen Wirtsschilder sahen, die jetzt so selten geworden sind, zogen sie den ziemlich naheliegenden Schluß, daß dort die Schankgerechtigkeit zum Verkauf alkoholischer Getränke noch nicht aufgehoben sei, die so viele Baulichkeiten in unserer Nachbarschaft in letzter Zeit verloren haben. Die darin befindlichen Leute schienen von dieser Tatsache nichts wissen zu wollen, und als die Gesellschaft nach einigen bedauerlichen Auftritten, bei denen indessen kein Menschenleben zu beklagen war, wieder herauskam, fanden sie, daß das Wirtsschild gestohlen oder zerstört worden war. Alle Personen in der Gesellschaft waren gänzlich nüchtern, es wäre auch keine Gelegenheit gewesen, in einen betrunkenen Zustand zu kommen. Über dieses geheimnisvolle Verschwinden werden Nachforschungen angestellt.«
Allein diese verhältnismäßig sachliche Nachricht war ein schnell hingeworfener Lokalbericht und hatte mit einer gelegentlichen Anständigkeit des Herausgebers wenig zu tun. Überdies sind die Abendblätter oft anständiger als die Morgenblätter, weil sie nur in sehr großer Eile geschrieben werden – es gibt für furchtsame Leute keine Zeit mehr, Abschwächungen und Veränderungen anzubringen. Als aber das Morgenblatt am nächsten Tage erschien, war mit der Erzählung von dem Wirtsschilde eine seltsame aber leicht begreifliche Veränderung vor sich gegangen. In der Tageszeitung mit der größten Auflage und dem weitesten Einfluß war die Behandlung des Gegenstandes einem Herrn übertragen worden, der in der sogenannten nichtjournalistischen Welt unter dem bezeichnenden Beinamen Hibbs »Indessen« bekannt war. Dieser Spitzname war ihm beigelegt worden, wegen der beinahe krankhaften Vorsicht, mit der er alle seine öffentlichen kritischen Ausführungen beständig begleitete; fast alles war durch Konjunktionen eingeschränkt, durch ein »Aber«, ein »Doch«, ein »Obgleich« und ähnliche Worte. Als sein Gehalt höher stieg, denn Verleger und Herausgeber waren sehr befriedigt von seiner Schreibweise, und seine Freunde, deren immer weniger wurden, denn selbst die edelmütigsten Freunde haben ein merkwürdig säuerliches Gefühl über einen Erfolg, der nichts von dem ansteckenden Geruche des Ruhmes hat – da fing er an, sich immer mehr als Diplomat zu fühlen, als ein Mensch, der immer das rechte Wort an rechter Stelle sagt. Aber die Nemesis des Geistes erreichte ihn doch: denn zuletzt wurde er ein so vollkommener Diplomat, daß er immer dunkler und unverständlicher wurde. Wer ihn kannte, glaubte unschwer, daß das, was er sagte, das rechte wäre, das taktvollste, was auch den Umständen am meisten gerecht würde – aber es war sehr schwer herauszufinden, was er eigentlich meinte. In seinen früheren Tagen hatte er ein großes Talent für einen der schlimmsten Kniffe des neuzeitlichen Journalismus: nämlich den wichtigen Teil der Frage auszulassen, wie wenn dieser zurückgestellt worden wäre, und sich mit dem Nebensächlichen zu beschäftigen. So würde er zum Beispiel sagen: »Was man auch immer sagen mag über die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit der Vivisektion von armen Kindern, in dem einen dürften wohl alle übereinstimmen, daß es in jedem Falle von diplomierten Ärzten geschehen sollte!« – Aber in seinen späteren und dunkleren diplomatischen Tagen schien er auf die wesentlichen Dinge gänzlich zu verzichten, um sich in völlig fernliegende Gegenstände zu verbeißen und seinen eigenen tastenden und ausweichenden Gedankenverbindungen zu folgen. In diesem letzten Stadium würde er zum Beispiel gesagt haben: »Was man auch über die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit der Vivisektion bei armen Kindern sagen mag, indessen kein fortschrittlich denkender Kopf dürfte darüber im Zweifel sein, daß der Einfluß des Vatikans im Abnehmen begriffen ist«. –
Sein Spottname wurde ihm angehängt, als er über das Attentat eines Wahnsinnigen auf den amerikanischen Präsidenten in New Orleans schrieb: »Der Präsident verbrachte eine gute Nacht und befindet sich auf dem Wege der Besserung, indessen der Attentäter ist nicht, wie zuerst angenommen wurde, ein Deutscher«. – Die Leute starrten zuerst auf diese geheimnisvolle Bemerkung, bis sie zuletzt wahnsinnig wurden und sich gegenseitig anschossen.
Hibbs Indessen war ein langgewachsener, ziemlich schmächtiger Mensch mit aufrechtstehenden gelben Haaren und einem Gehaben, das überirdisch sanft und milde schien, mit einem leisen Stich ins Hochmütige. Auf der Universität zu Cambridge war er ein Freund Levysons gewesen, und beider höchster Ruhmestitel war es, wenn man sie maßvolle Politiker nannte. Aber wenn jemand, der sich eben erst als ein gesetzliebender Staatsbürger vorgestellt hat, einem den Hut bis über die Nase eindrückt, und wenn einer um sein Leben hat laufen müssen in einem halben Rock, und wenn dieser eine zu seinem Lauf noch durch Wellblechstücke angetrieben worden ist, die hinter ihm hergeflogen kamen und ihn manchmal überholten, dann wird er sich in einer Gemütsverfassung befinden, die nicht völlig diejenige eines maßvollen Politikers ist. –
Hibbs Indessen hatte bereits ein Feuilleton über das neue Ereignis geschrieben, das auf den Kern der Sache hinzuweisen schien, insoweit seine Artikel überhaupt auf etwas hinwiesen. Seine Beweggründe, sich etwas unbestimmt zu wenden und zu drehen, waren wie gewöhnlich reichlich weit hergeholt. Er wußte, daß der millionenreiche Zeitungsbesitzer das Steckenpferd hatte, alles im Lichte des Spiritismus zu sehen; und irgend etwas ließe sich vielleicht herausschlagen, wenn er diese merkwürdige Geschichte ins rechte Licht rückte. Er wußte, daß wenigstens zwei unter den Gewährsmännern für die Geschichte, kleine Handwerker oder Gewerbetreibende, Gesinnungsgenossen waren. Er wußte auch, daß Lord Ivywood vorsichtig und keineswegs abfällig behandelt werden durfte, denn er gehörte zu den Gegnern. Und dies konnte nicht vorsichtiger und gefahrloser geschehen, als wenn die Zeitung wenigstens diesmal sich nur auf Berichte aus dem Leserkreis stützte und diese nicht, wie bei anderen Gelegenheiten, in der Redaktion erfinden ließ. Mitten unter all diesen Erwägungen war Hibbs Indessen in seinem Artikel in mehr oder weniger positives Fahrwasser gekommen, als plötzlich der Sekretär J. Levyson mit zerrissenem Kragen und zerbrochenen Augengläsern in dem Arbeitszimmer des Redakteurs erschien, und dieser Umstand veranlaßte Mr. Hibbs zu einer längeren Unterredung mit ihm und zu einem Umstoßen seiner bisherigen Gedankengänge. Selbstverständlich schrieb er keinen neuen Artikel, er gehörte nicht zu jenen Göttern, die alle Dinge neu erschaffen. Er zerstückelte und veränderte seinen ursprünglichen Artikel, so daß dieser an Verwirrung alles überstieg, was er bisher je geschrieben hatte. Und doch wurde er von jenen hochkultivierten Menschen geschätzt, welche die schlechteste Literatur der Welt verschlingen.
Er begann mit der verhältnismäßig bekannten Redewendung:
»Ob wir nun einen mehr konservativen oder fortschrittlichen Standpunkt zu der viel besprochenen Frage, ob hölzerne Wirtshausschilder moralisch oder unmoralisch sind, einnehmen, so werden wir doch alle in dem übereinstimmen, daß die Vorgänge, welche sich in Pebblewick ereignet haben, für die meisten, wenn nicht für alle Beteiligten, recht betrüblich waren« –
In dem folgenden Teile artete alle Zurückhaltung in eine Orgie von Belanglosigkeiten aus, kurz, es war ein wunderlicher Artikel. Der Leser konnte wenigstens einen schwachen Schimmer von jedem anderen Gegenstande bekommen außer demjenigen, den der Artikel behandeln wollte. Die erste Hälfte des nächsten Satzes machte es gänzlich klar, daß Mr. Hibbs, wenn er in der Bartholomäusnacht oder bei den Septembermorden zugegen gewesen wäre, seine tätige Beihilfe nicht geliehen hätte. Allein in der zweiten Hälfte des Satzes deutete er mit derselben Klarheit an, daß, wenn auch diese beiden Blutbäder nicht mehr in Frage kämen und auch alle Versuche, sie zu verhindern, wahrscheinlich ein wenig zu spät kommen würden, er dennoch das wärmste Empfinden für die französische Kultur fühle. Nur lege er darauf Wert, daß diese seine Freundschaft in einer andern Sprache als in der französischen zum Ausdruck kommen dürfte. In der Sprache, welche die Reisenden von den Kellnern lernen, könne sie »Entente« genannt werden, in der Sprache, die das gemeine Volk versteht, dürfe sie aber unter keiner Bedingung »Verständigung« genannt werden. Aus der ersten Hälfte des folgenden Satzes konnte mit einiger Sicherheit geschlossen werden, daß Mr. Hibbs seinen Milton gelesen haben müsse oder zum wenigsten die Stelle über die Söhne des Belial; aus der zweiten Hälfte ging mit ziemlicher Sicherheit hervor, daß er nichts von schlechten Weinen verstand, geschweige denn von guten. Im nächsten Satze begann er mit der Verderbtheit des römischen Kaiserreiches und brachte es fertig, mit einer Streitfrage der englischen Kirche zu schließen. Dann kam eine etwas schwächliche Verteidigung der Schönheitskultur und ein warm gehaltener Protest gegen den Heeresdienst, der sich mit Schönheitskultur nicht vereinen lasse. – Und das Ganze war überschrieben: »Der Aufruhr in Pebblewick«.
Und dennoch würden wir Mr. Hibbs Unrecht tun, wenn wir die Tatsache verheimlichen würden, daß dieser verworrene Leitartikel eine ganz beträchtliche Anzahl von Zuschriften zur Folge hatte. Leute, welche an Zeitungen Zuschriften richten, sind vermutlich ein kleines exzentrisches Völkchen, wie die meisten Leute, die auch in anderen öffentlichen Dingen mitreden. Aber sie sind doch wenigstens nicht geschlossene Gruppen wie die Juristen, die Kapitalisten, die Abgeordneten oder die Männer der Wissenschaft, sondern sie sind über das ganze Land zerstreut und gehören allen Bevölkerungsschichten an, allen Landstrichen, allen religiösen Meinungen, beiden Geschlechtern und allen Stadien der Geistesverwirrung. Es wäre immer noch der Mühe wert, die Briefe, die auf den Artikel von Mr. Hibbs eingesandt wurden, in den alten verstaubten Zeitungsbänden nachzulesen.
Eine freundliche alte Dame im dunkelsten Teile des Binnenlandes schrieb, daß vielleicht während der Versammlung ein Schiffswrack ans Land gekommen sein könnte; es hätte vielleicht der Aufmerksamkeit Mr. Levysons entgangen sein können, oder er könnte es vielleicht in der späten Stunde irrtümlich für ein Wirtsschild gehalten haben, besonders, da er in hohem Grade kurzsichtig sei, und die Dame schloß: Meine Augen fangen seit einiger Zeit auch schon an nachzulassen, aber ich bin noch immer eine fleißige Leserin Ihres geschätzten Blattes. – Wenn Mr. Hibbs nur noch einen einzigen unbetäubten Nerv gehabt hätte, so würde er laut aufgelacht oder geweint haben, würde betrunken geworden oder in ein Kloster gegangen sein über einen solchen Brief. So aber maß er ihn mit seinem Bleistift und kam zu dem Schlusse, daß er doch zu lang sei für den noch verfügbaren Raum in der Spalte.
Ein anderer Brief kam von einem Theoretiker, und zwar von einem Theoretiker schlimmerer Art; denn jene Theoretiker, die eine neue Theorie erfinden, um ein neues Ereignis zu erklären, richten nicht viel Schaden an. Aber ein Theoretiker, der bereits eine falsche Theorie hat und nun jedes Geschehnis in sie hineinzwängt, ist der schlimmste Feind der menschlichen Vernunft. Der Brief begann wie eine abgeschossene Flintenkugel: Ist nicht die ganze Frage bereits im Buche Exodus Kap. 4, Vers 3 angedeutet? Ich lege einige Broschüren bei, in denen ich diesen Punkt bereits ziemlich klar auseinander gelegt habe und auf den bisher kein Bischof und kein Prediger der sogenannten freien Kirche eine Antwort zu geben vermocht hat. Der in der Schrift so klar vorhergesagte Zusammenhang von Rute oder Stange und Schlange wird von den gutbezahlten Mietlingen der Religion, die nur ihre eigenen Zwecke verfolgen, gänzlich unterschlagen. Moses bezeugt ganz klar, daß sich eine Rute – oder eine Stange – in eine Schlange verwandelt habe. Wir wissen, daß alle, welche dem Trunk ergeben sind, leicht zu Lügen neigen und behaupten, daß sie Mäuse oder Schlangen sehen. Es ist darum völlig verständlich, daß diese unglücklichen Leute eine Stange zu sehen glaubten. Sie mögen die Stange vor oder nach einer solchen Verwandlung gesehen haben, welche – – Und in dieser Weise ging der Brief weiter durch neun engbeschriebene Seiten. Und wir werden es in diesem Falle verständlich finden, daß Mr. Hibbs auch diesen Brief etwas zu lang gefunden hat.
Dann hatte auch ein Naturwissenschafter ein Eingesandt geschrieben, der folgendes ausführte: Der Vorfall könnte vielleicht mit der Akustik der Halle zusammenhängen; er selbst habe niemals etwas von Wellblechhallen wissen wollen. Schon das Wort Halle – fügte er wortspielerisch hinzu werde durch das abgebrochene Echo von den unaufhörlichen Blechwindungen so oft verwandelt, daß es fast wie »Hölle« klinge, viel Verwirrung unter den Theologen anrichte und polizeiliche Maßnahmen zur Folge haben könne. Im Lichte dieser Tatsachen möchte er die Aufmerksamkeit der Schriftleitung auf einige merkwürdige Einzelheiten lenken über das vermutliche Vorhandensein eines Wirtsschildes. Es sei auffällig, daß viele Augenzeugen, und besonders die angeseheneren unter ihnen immer betonen, daß etwas sich »vor der Tür« befunden habe. Die Wendung »vor der Tür« komme wenigstens fünfmal in den Bekundungen der Gewährsmänner vor. Nach allen erkenntnistheoretischen Gesetzen aber sei die Ideenverbindung »Wirtsschild« und »vor der Tür« eine zwangsläufige Zusammengehörigkeitsvorstellung, die durch Analogie hinreichend zu erklären sei. Und diese Möglichkeit sei um so wahrscheinlicher, als der Gegenstand des Vortrages in der Halle auf diese Ideenverbindung wie mit einer gewissen zwingenden Gewalt hinlenkte. Dieser Brief war unterschrieben mit »ein Mediziner«, und seine mehr oder weniger lichtvollen Erklärungen wurden teilweise in der Zeitung abgedruckt.
Ein anderer Brief kam von einem wirklichen Spaßvogel. Er schrieb, daß an der ganzen Sache nichts Unerklärliches oder Ungewöhnliches sei; er selbst habe oft ein Wirtsschild vor einem Wirtshause gesehen, wenn er hineingegangen sei, und wäre ziemlich unfähig gewesen eines zu sehen, wenn er wieder herausgekommen sei. – Diesen Brief – es war der einzige, der wirklich einigen literarischen Wert besaß – legte Mr. Hibbs ablehnend beiseite.
Ein Brief kam von einem in der Literatur Bewanderten, der nur eine kleine literarische Miszelle beitragen wollte. Vielleicht habe sich das Geschehnis so abgespielt, wie in einer Erzählung von Wells, in welcher Leute vorkämen, welche die Füße in einem Teile der Welt hätten und die Augen in einem andern. Er stelle aber diese Anregung nur zur Erwägung und überlasse dem Redakteur ihre Bewertung. Der besonders gelegte Haufen von Briefen, auf den Hibbs Indessen diesen Brief legte, zeigte nur zu klar, wie er ihn bewertete.
Dann kam natürlich noch ein Brief von einem, der alles für einen Anschlag von irgend einer ausländischen Macht gegen die englische Küste erklärte, aber da er es nicht ganz klar machen konnte, ob die Ausländer das Schild aufgestellt oder nur fortgenommen hatten, so waren seine Ausführungen nur von geringem Wert; im übrigen war der Brief nichts anderes als die geschwätzige Unverschämtheit eines italienischen Waffelverkäufers, dessen Meinung sich bisher anscheinend nicht genügend hatte durchsetzen können.
Und dann kam eine Menge Briefe von allen denen, die glaubten, man könne ein Problem nicht lösen, wenn man nicht all das abschaffe, was drum und dran ist. Diese Art Leute sind zur Genüge bekannt. Wenn ein Barbier einen Kunden schneidet, weil er gerade hinschielte, wie einer auf einem Esel auf einem freien Platze vorbeiritt, so wird es allezeit Leute geben, welche behaupten, daß ein solches Unglück sich hätte niemals ereignen können, wenn es keine Barbiere gäbe, oder welche verlangen, daß die Rasiermesser verboten würden, oder daß das Reiten auf freien Plätzen oder die Esel abgeschafft werden müßten. Aber ich glaube, es wird nie dahin kommen, daß die Esel abgeschafft werden.
Und solcher Esel gab es in den Niederungen dieses Meinungsstreites genug. Einige schmiedeten aus diesem Vorkommnis eine Waffe gegen die Demokratie, weil Jörg ein gewöhnlicher Zimmermann war, andere gegen die Fremdeneinwanderung, weil Misysra Ammon ein Türke war, andere gaben der Zulassung von Frauen zu öffentlichen Vorträgen die Schuld, wenn auch diesmal auf ihrer Seite nicht die geringste Schuld war. Einige Übereifrige machten den Vorschlag, Badeorte überhaupt abzuschaffen, andere waren in unbestimmten Ausdrücken nur gegen Seebäder, aus noch unbestimmteren Vorschlägen anderer konnte man herauslesen, daß man das Meer noch weiter zurückdrängen sollte, alle aber waren auf die eine oder andere Weise der Ansicht, daß eine starke Hand kommen müsse, welche die Steine, das Meergras und die fremden Badegäste beseitigt, damit dergleichen sich nicht wieder ereignen könnte.
Aber alle diese Einwendungen hatten eine schwache Stelle: niemand hatte auch nur die allergeringste Vorstellung davon, was wirklich geschehen war. Und darin waren sie auch in gewissem Sinne entschuldbar. Niemand konnte natürlich etwas wissen, denn sonst wäre es ganz überflüssig, diese Geschichte zu schreiben. Und niemand konnte auch nur auf die Vermutung der wirklichen Zusammenhänge kommen. Diese Geschichte wurde ja aus einem ganz andern Grunde geschrieben, als um einen nüchternen wahrheitsgetreuen Bericht zu geben.
Die wunderliche verworrene Schlauheit des guten Hibbs Indessen hatte aber einen ziemlich sichtbaren Sieg davongetragen: Wochenschriften schlossen sich seinen Mutmaßungen an, wenn auch mit mehr Geist und weniger Furchtsamkeit, aber sie beschäftigten sich doch mit ihm. Es schien immer klarer zu werden, daß irgendwelches Licht mit irgend einer skeptischen Erklärung über die ganze Sache kommen, oder daß man die ganze Sache auf sich beruhen lassen müsse.
Die Ansichten über das Wirtsschild und die ethische Kapelle aus Wellblech wurden in allen ernsteren und besonders den religiösen Wochenschriften ziemlich abfällig behandelt: die puritanischen Blätter schienen ihren Abscheu hauptsächlich gegen das Wirtsschild zu betätigen, die hochkirchlichen hauptsächlich gegen die Kapellenform der Gotteshäuser. Alle stimmten aber darin überein, daß die Zusammenbringung dieser beiden Dinge ungehörig sei, und den meisten kam die Sache merkwürdig vor. Die einzigen intellektuellen Blätter, die das Geschehnis als solches berührten, waren die spiritualistischen, aber ihre Erklärungen waren nicht so sicher gegründet, um Jorg zu überzeugen.
Noch ein Jahr später hatte man in philosophischen Kreisen das Gefühl, daß in dieser Frage noch nicht das letzte Wort gesprochen sei. Eine Würdigung dieses Vorfalls und seiner weitreichenden Zusammenhänge versuchte Professor Widge in seiner berühmt gewordenen »Entwickelungsgeschichte der Wundererzählungen vom reichen Fischzuge«, die auf das religiöse Denken der Neuzeit von ziemlich einschneidendem Einfluß gewesen ist. Jeder Gebildete weiß, daß nach Professor Widges grundlegender Behauptung der sogenannte wunderbare Fischzug entweder durch eine künstliche Besetzung des Sees mit Fischen zu erklären ist, wie in Weise's »Christlichem Vegetarismus als Weltprinzip« weiter ausgeführt ist, oder daß wir nach Professor Huscher annehmen müssen, die ganze Erzählung entbehre jeglicher geschichtlichen Grundlage, es sei denn, daß es sich nur um einen gewöhnlichen Fischzug gehandelt habe:
»Um zu zeigen, wie Wundererzählungen im Volke entstehen, möchte ich einen Vorgang aus der jüngsten Vergangenheit herbeiziehen, dessen Einzelheiten ich zwar nicht aus eigener Anschauung kenne, den ich aber nach den veröffentlichten Berichten sorgfältig geprüft habe, und der mir eine merkwürdige Parallele zu den Ausweitungen eines Schriftwortes über ein Ereignis, wie wir eines im Altertum finden, zu sein scheint:
Der Vorfall spielte sich zu Pebblewick ab, im Süden von England. Die Stadt befand sich seit langem in einem Zustande gefährlicher religiöser Erregungen. Der große religiöse Genius, der unsere Anschauungen über die Weltreligionen in so gewaltigem Maße beeinflußt hat, Misysra Ammon, hielt am Strande Vorträge vor Tausenden von begeisterten Zuhörern. Die Versammlungen wurden oft unterbrochen von Kindergottesdiensten und von einer gefährlichen atheistisch-anarchistischen Organisation. Und wie wenn das noch nicht genügend gewesen wäre, den Wirbelwind des Fanatismus zu entfachen, brach der alte Streit zwischen den millenaristischen und den reinen Sublapsianern aufs neue aus an jenem Unheilstrande. Es war also nur zu natürlich, daß in dieser stickigen theologischen Atmosphäre zu Pebblewick einer in den Meinungsstreit die Schriftstelle warf: ›Ein boshaftes und verbrecherisches Geschlecht sucht nach einem Zeichen, aber es wird ihm kein Zeichen gegeben werden außer dem Zeichen des Propheten Jonas!‹ Und es scheint, als ob diese Stelle auf die unwissende Landbevölkerung von Südengland die Wirkung hatte, daß sie wirklich sich aufmachten und nach dem Zeichen suchten. Und das Zeichen des Propheten Jonas hatte sich in ihren stumpfen Köpfen in das Abzeichen des Schiffes verwandelt, aus welchem Jonas geworfen wurde, und sie gingen buchstäblich herum und suchten, wo der Name des Schiffes zu lesen wäre. Einige bekamen Halluzinationen und glaubten, ein Brett zu sehen mit dem Namen des alten Schiffes. Der ganze Vorgang ist eine bemerkenswerte Parallele zu der Erzählung im Evangelium und ein glänzender Beleg für Huschers Theorie.«
Lord Ivywood sprach Professor Widge öffentlich seine Anerkennung aus und sagte, der Professor habe ein Meer von Aberglauben aus dem Lande fortgefegt. In Wirklichkeit hatte der arme Hibbs Indessen nur den ersten betäubenden Schlag getan, der die Gehirne aller Zeitgenossen in Unordnung brachte.