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Wir hatten am 5. November 1817 Ligiep, die letzte Inselgruppe von Radack, aus dem Gesichte verloren. Der Kapitän hatte auf Guajan, Marianen-Inseln, anzulegen beschlossen. Wir hatten Ansicht erst von Sarpane oder Rota und sodann von Guajan am 23. November. (Ich behalte die spanische Rechtschreibung »Guajan« bei; man findet sonst den Namen Guaham, Guam und anders geschrieben.) Das bloß verneinende Resultat dieser Fahrt, auf welcher wir die Kette Ralick und den Meerstrich durchfahren haben, den die Karolinen-Inseln auf einigen Karten einnehmen, ist in hydrographischer Hinsicht nicht ohne Wichtigkeit. Der Seefahrer, der dieses Meer auf Entdeckung befahren soll, ist auf die Tabelle »Aerometerbeobachtungen«, »Reise«, III, Seite 226, zu verweisen, auf daß er den Kurs, den wir gehalten, vermeide.
Herr von Kotzebue bemerkt, daß das Meer im Westen von Radack und in dem Striche, wo die Karolinen-Inseln gesucht wurden – zwischen dem neunten und zehnten und in den letzten drei Tagen bis zu dem elften Grad nördlicher Breite –, blasser blaulich gefärbt war, einen größeren Salzgehalt und in der Tiefe eine auffallend niedrigere Temperatur hatte als sonst unter gleicher Breite im Großen Ozean, und schließt daraus, daß es da weniger tief sein möchte. Als wir, Guajan zu erreichen, nördlicher steuerten (am 20. November 11°42' nördlicher Breite, 209°51' westlicher Länge), nahm das Meer seine gewöhnliche dunkelblaue Farbe, seinen gewöhnlichen Salzgehalt und in der Tiefe seine gewöhnliche Temperatur wieder an.
Wir hatten bis dahin häufige Windstillen gehabt und einmal ein Nachtgewitter mit heftigen Windstößen. Ein Delphin wurde harpuniert. Ein fabelhafter Vorfall ergötzte ungemein unsere Mannschaft.
Einer unserer Matrosen trug eine alte Mütze von Seehundsfell, die, vor Teer, Tran und Alter schier unkenntlich, ein Gegenstand der Verhöhnung geworden war. Überdrüssig warf er sie eines Morgens in die See. Ein Haifisch ward am selbigen Tage gefangen, in dessen Magen sich die Schicksalsmütze noch wohlbehalten vorfand.
Wir hatten uns am Nachmittag des 23. November der Nordspitze von Guajan genähert. Wir konnten uns nach keiner Karte richten, und die Stadt Agaña war uns nur aus unzulänglichen Beschreibungen bekannt. Wir entfernten uns vom Lande. Am 24. suchten wir das Land wieder auf und verfolgten dessen Westküste nach Süden, um Stadt und Ankerplatz aufzusuchen.
Der Passat blies mit ausnehmender Stärke. Nachdem wir die Nordspitze der Insel umfahren hatten, fanden wir unter dem Winde derselben ein ruhiges Meer, und ein leichter Windzug, der noch unsere Segel schwellte, wehte uns vom schön bewaldeten Ufer Wohlgerüche zu, wie ich sie in der Nähe keines anderen Landes empfunden habe. Ein Garten der Wollust schien diese grüne, duftende Insel zu sein, aber sie war die Wüste. Kein freudiges Volk belebte den Strand, kein Fahrzeug kam von der Isla de las velas latinas uns entgegen. Die römischen Missionare haben hier ihr Kreuz aufgepflanzt; dem sind 44 000 Menschen geopfert worden, und deren Reste, vermischt mit den Tagalen, die man von Luzon herübergesiedelt hat, sind ein stilles, trauriges, unterwürfiges Völklein geworden, das die Mutter Erde sonder Mühe ernährt und sich zu vermehren einladet. Darüber habe ich in meinen »Bemerkungen und Ansichten« die Spanier selbst berichten lassen.
Wir waren bemerkt worden. Als wir uns eben in den reizend umgrünten Buchten nach einem Ankerplatz umsahen, kam uns der Pilot des Gouverneurs, Herr Robert Wilson, in einem europäischen Boote entgegen, um uns in den Hafen zu führen. Im Angesichte der Stadt kam der Artillerieleutnant Don Ignacio Martinez, uns zu rekognoszieren. Er fuhr in einer Proa heran, einem den Fahrzeugen der Radacker gleichen Boote, wie sie, ehedem auf diesen Inseln üblich, ihnen den ersten Namen erwarben, bei welchem sie die Europäer benannt haben. Für die Spanier auf Guajan bauen jetzt die südlicheren Karoliner diese Fahrzeuge und bringen sie ihnen her zu Kauf
Der Hafen La caldera de Apra, von einem Korallenriffe gebildet, ist ausnehmend sicher, aber von schwerem Zugange. Wir hatten die Anker noch nicht geworfen, als wir eine Botschaft des Gouverneurs erhielten, der uns nach Agaña einlud und uns für den beiläufig vier Meilen langen Landweg Pferde und Maultiere entgegengeschickt hatte. Das Schiff ward unter den Befehl des Leutnant Schischmarew gestellt, und wir fuhren mit Herrn Wilson ans Land. Im Hafen lag nur die kleine Brigg des Gouverneurs, die Herr Wilson zu fahren den Auftrag hat. Wir hatten bis zu dem Dorfe Massu, wo uns die Pferde erwarteten und auf das wir, der Untiefen wegen, nicht in grader Richtung steuern konnten, beiläufig zwei Meilen zu rudern. Die Nacht brach ein, als wir landeten. Die Tagalen haben die Bauart der Philippinen hierherüber gebracht. Die Häuser des Volkes sind auf Pfosten getragene, niedliche Käfige von Bambusrohr mit einer Bedachung von Palmenblättern.
Der Weg, auf welchem uns der Mond leuchtete, führte uns durch die anmutigste Gegend: Palmengebüsche und Wälder, die Hügel zu unserer Rechten, das Meer zu unserer Linken. Wir stiegen in Agaña bei Herrn Wilson ab und stellten uns sodann dem Kapitän-General der Marianen-Inseln vor. Don José de Medinilla y Pineda empfing uns in voller Montierung mit aller Förmlichkeit, aber auch auf das gastlichste. Der Kapitän und ich wohnten bei ihm, die anderen Herren wurden bei andern Spaniern untergebracht. Seine Tafel war zu mehreren Mahlzeiten des Tages mit einer Unzahl von Fleischgerichten verschwenderisch besetzt; aber von den Früchten, den grünen Erzeugnissen der Erde, nach denen der Seemann, der ans Land tritt, besonders begierig ist, ward nichts aufgetragen, und nur ein Apfelsinentrank, der eine Zwischenmahlzeit bildete, erinnerte an das duftig grüne Land. Brot ward nur dem Wirte und den fremden Gästen gereicht; die Spanier erhielten an dessen Statt Maistorten.
An Früchten, woran ich in Agaña Mangel litt, herrschte indes auf dem »Rurik« der größte Überfluß. Der Gouverneur ließ das Schiff mit frischem Fleische und mit allem, was die Erde an Wurzeln und Früchten hervorbringt, verschwenderisch versorgen. Außerdem durften die Matrosen, die einmal ans Land geschickt wurden, so viele Apfelsinen und Limonen aus dem Walde heimbringen, als sie zu pflücken und mit sich zu schleppen vermochten. – Dieser Boden, diese Fruchtbäume haben ja sonst ein starkes, blühendes Volk ernährt; die geringe Anzahl der jetzigen Bewohner steht in keinem Verhältnis zu den reichen Gaben der willigen Erde.
Man möchte fragen, wie diese Kost unsern nordischen Ichthyophagen mundete. Die Apfelsinen schmeckten ihnen besser als Walfischspeck. Wahrlich, es ist eine solche Lust, Aleuten Apfelsinen essen zu sehen, daß wir auf der Überfahrt nach Manila die letzten, die uns vom Vorrat übrigblieben, lieber von ihnen verschlucken sahen, als daß wir sie selber gegessen hätten. Wenigstens überließ Eschscholtz die ihm zugeteilten seinem aleutischen Sprachlehrer.
Ich habe in meinen »Bemerkungen und Ansichten« von Don Luis de Torres gesprochen, mit dem eine gleiche Gesinnung mich schnell und innig verband. Ich gedenke seiner mit herzlicher Liebe und aufrichtiger Dankbarkeit. Don Luis de Torres, der auf Ulea selbst Sitten und Bräuche, Geschichte und Sagen dieser lieblichen Menschen kennengelernt, sich von ihren erfahrensten Seefahrern, mit denen er in vertrautem Umgange gelebt, die Karte ihrer neptunischen Welt vorzeichnen lassen und der durch die Handelsflotte von Lamureck, die jährlich nach Guajan kommt, in ununterbrochener Verbindung mit seinen dortigen Freunden geblieben war – Don Luis de Torres eröffnete mir die Schätze seiner Kenntnisse, legte mir jene Karte vor und sprach gerne und mit Liebe zu mir von seinen Gastfreunden und jenem Volke, zu dem ich durch meinen Freund Kadu eine große Vorliebe gefaßt hatte. Alle meine Momente auf Agaña waren dem lehrreichen und herzlichen Umgange des liebenswerten Don Luis de Torres gewidmet, aus dessen Munde ich die Nachrichten niederschrieb, die ich in den »Bemerkungen und Ansichten« aufbewahrt habe. Herr von Kotzebue, dem ich die Ergebnisse meiner Studien mitteilte, kam meinem Wunsche zuvor und gab zu den zwei Tagen, die er auf Guajan zu bleiben sich vorgesetzt hatte, einen dritten Tag hinzu, ein Opfer, wofür ich ihm dankbarlichst verpflichtet bin. Während er selbst zwischen dem Hafen und der Stadt seine Zeit teilte, blieb ich in Agaña und verfolgte mein Ziel.
Ich habe von einem Paare rüstiger Eheleute auf Guajan gesprochen, Stammeltern der sechsten gleichzeitig lebenden Generation. Von ihnen war Don Luis de Torres ein Enkel, selber Großvater; zu dem sechsten Gliede stieg eine andere Linie herab.
Don José de Medinilla y Pineda hatte in Peru, von wo er auf diese Inseln gekommen, Alexander von Humboldt gekannt und war stolz darauf, ihm einmal seinen eigenen Hut geliehen zu haben, als jener einen gesucht, um an dem Hof des Vizekönigs zu erscheinen. Wir haben später zu Manila, welche Hauptstadt der Philippinen von jeher mit der Neuen Welt in lebendigem Verkehr gestanden hat, oft den weltberühmten Namen unseres Landsmanns mit Verehrung nennen hören und mehrere, besonders geistliche Herren angetroffen, die ihn gesehen oder gekannt zu haben sich rühmten.
Ich habe beiläufig erzählt, daß Don José de Medinilla y Pineda unserm Kapitän, der Verlangen trug, die volkstümlichen Tänze und Festspiele der Eingebornen zu sehen, ein Opernballett bei Fackelschein aufführen ließ. – Ich hörte ihn in diesem schwierigen Falle, wo von ihm verlangt wurde, daß er zeigen sollte, was nicht da war, sich mit andern beraten und ihrem Gutachten wiederholt die Worte entgegnen: »Aber er will einen Tanz sehen!« – So ward uns denn ein Tanz gezeigt.
Choris, der ein besonderes Talent hatte, schnell und leicht ein wohlgetroffenes Porträt mit Wasserfarben hinzuwerfen, erbot sich eines Morgens, das Porträt des Gouverneurs zu machen. Dieser ging sogleich, sich in vollen Anzug zu werfen, und kam in Gala zurück mit seidenen Strümpfen, Schuhen und Schnallen. Choris machte ein bloßes Brustbild, worauf nur die Epauletten aufgenommen werden konnten. Ebendiese Epauletten waren die Zielscheibe böser Zungen, die zu verstehen gaben, Don José werde das damit verzierte Bild seinen Angehörigen, für die es bestimmt war, nicht schicken dürfen, da er dieselben zu tragen nur von sich selber die Berechtigung habe.
Der 28. November, wo wir uns wieder einschiffen sollten, war herangekommen. Dem Spanier, der mich im Hause des Gouverneurs bedient hatte, wollte ich beim Abschied etliche Piaster darreichen, fand aber einen Mann, der, in unsern Sitten fremd, gar nicht zu verstehen schien, was mir in den Sinn gekommen sein möchte. – In der Furcht, ihn beleidigt zu haben, sagte ich ihm, es sei para los muchachos, für die niedere Dienerschaft, und so nahm er das Geld an. Weder der Kapitän noch ein anderer von den Herren hatte ein Trinkgeld anbringen können. Irgendeine Ware, ein buntes Tuch, wie sie welche um den Kopf tragen, oder ähnliches würde mit großem Danke angenommen worden sein. Für Piaster kann man hier nur das bekommen, was der alleinige Handelsmann, der Gouverneur, dafür geben mag.
Ich war Zeuge eines peinlich-komischen Auftritts zwischen dem Gouverneur und unserm Kapitän. Der erstere hatte großartig gastfrei für die Verproviantierung des »Ruriks« Zahlung anzunehmen sich geweigert. Der Kapitän hatte zu Geschenken etliche Exemplare einer russischen Medaille mitgenommen, die er auszugeben pflegte, als sei dieselbe auf die gegenwärtige Expedition des »Ruriks« geprägt. Man liest zu Agaña und an manchen andern Orten das Russische nicht geläufig. Diese Medaille wollte er unserm edeln Wirte mit der bräuchlichen Redensart »des alleinigen Wertes der Erinnerung« usw. verehren. Don José de Medinilla y Pineda mißverstand die Sache auf das vollständigste; was er sich aber einbilden mochte, weiß ich nicht; kurz, er schob die dargehaltene Medaille zurück und setzte eine hartnäckige Weigerung, dieselbe anzunehmen, dem entrüsteten Kapitän entgegen. Ich bewog ihn endlich mit vieler Mühe, das Ding, das er für ein gefährliches anzusehen schien, anzunehmen, und die Schlacht wurde noch unsererseits gewonnen.
Ich hatte hier zuerst den Trepang kennengelernt. Der Gouverneur, der für den Markt von Kanton diese kostbare Ware sammeln und bereiten läßt, hatte mir über die verschiedenen Arten Holothurien, die in den Handel kommen, ihr Vorkommen, ihre Bereitung und über den wichtigen Handel selbst, dessen Gegenstand sie sind, die Notizen mitgeteilt, die ich teils in meinen »Bemerkungen«, teils in den »Verhandlungen der Akademie der Naturforscher« (T. X, P II, 1821, p. 353) niedergelegt habe. Er hatte mir einige dieser Tiere verschafft; die abzureichen waren, lebendig, andere geräuchert und in dem Zustande, worin sie zu Markt gebracht werden. (Sie sind nun sämtlich in dem Berliner Zoologischen Museum zu sehen.) Er hatte die ausnehmende Artigkeit, auch meinem Wunsche zu willfahren und diese von den chinesischen Lüstlingen so sehr begehrte Speise für uns bereiten zu lassen. Es ging mir aber damit wie jenem deutschen Gelehrten, der in einer Bildergalerie gelehrte Notizen aus dem Munde des Cicerone sammelte und emsig niederschrieb, zu Hause aber sein Notatenbuch überlas und sich von seinem Reisegefährten nachträglich sagen ließ, wie die Bilder eigentlich ausgesehen hätten.
Der Trepang muß zweimal vierundzwanzig Stunden bei gelindem Feuer langsam kochen; demnach ward der Genuß desselben auf die letzte Mahlzeit aufgespart, die Don José de Medinilla y Pineda uns vor dem Scheiden aus Agaña gab. Aber ich hatte bei Tagesschein den grünen, duftigen Wald von Guajan noch nur von weitem gesehen und wollte doch wenigstens einen flüchtigen Blick auf diese Flora werfen. Ich verzichtete auf das Mittagsmahl und benutzte die Zeit, den Weg nach dem Hafen zu Fuß botanisierend zurückzulegen, wobei mich noch Don Luis begleitete. – Was das Sammeln von Pflanzen anbetrifft, konnte sich wohl Eschscholtz auf mich verlassen, ich aber nicht auf ihn.
Mit unserer Schiffsgesellschaft trafen am Abend des 28. November die mehrsten spanischen Offiziere am Bord des »Ruriks« ein. Wir verlebten noch frohe Stunden zusammen, und sie blieben zu Nacht bei uns. Was ich von kurzer Ware, Glasperlen und ähnlichem noch übrig hatte, übergab ich Don Luis de Torres und ließ ihn, den Freund der Indianer, meinen Erben sein. Ich kaufte noch von Choris große Messer, die er abzusetzen keine Gelegenheit gehabt, und bestimmte sie, als Geschenke von Kadu seinen Freunden und Angehörigen auf Ulea verteilt zu werden.
Am Morgen des 29. November 1817 kam Don José de Medinilla y Pineda und übergab unserm Kapitän Depeschen für den Gouverneur von Manila. Wir nahmen Abschied von unsern Freunden, salutierten den Kapitän-General, als er unsern Bord verließ, mit fünf Kanonenschüssen und dreimaligem »Hurra!« und entfalteten die Segel dem Winde.