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Wir waren am 1. November 1816 kaum aus dem Hafen, so empfing uns auf dem hohen Meer ein mächtiger Wind, der das Schiff dergestalt schaukelte, daß alte Matrosen und selbst der Kapitän seekrank wurden. Ich habe dieses Übel nie bezwungen, bin nie nach dem kürzesten Aufenthalt auf dem Lande wieder auf die See gekommen, ohne daran zu leiden; ich brauche nicht zu sagen, daß ich darniederlag. Die Fliegen wurden vom Winde weggeblasen; am andern Tage war keine mehr auf dem »Rurik« zu sehen. Wir sahen am 2. große Tange, am 3. Delphine, am 4. unter dem einunddreißigsten Grad nördlicher Breite den ersten Tropikvogel.
Das Meer war blau, der Himmel bedeckt, alles lebensleer wie in keinem andern Meerstriche. Keine andern Vögel als Tropikvögel. Ihr Flug ist hoch, ihr Geschrei durchdringend. Man hört sie oft, ohne sie sehen zu können; oft vernimmt man ihre Stimme zu Nacht.
Wir hatten noch zwischen den Wendezirkeln anhaltende Süd- und Südwestwinde. Abends oft Wetterleuchten im Süden. Einige Windstillen unterbrachen den Südwind, der immer aufs neue zu wehen anhub. Am 9. spielten und lärmten Delphine um unsern Kiel. Am 12. begleiteten uns morgens und abends ein paar Walfische (Physeter?).
Am 16. November (22°34' nördlicher Breite, 104°25' westlicher Länge) erreichten wir endlich den Passat.
Am 21. zeigten sich uns einige Berglinien von O-Waihi durch die Wolken.
Herr John Elliot de Castro, aus gemischtem englischen und portugiesischen Blute entsprossen, war so klein, daß ich ihn nur mit dem Jean Paulschen kleinen Kerle vergleichen mag, der sich selber nicht bis an die Knie ging, geschweige denn längeren Personen. Er war ein frommer Katholik und setzte seine Hoffnung in ein Band von der Brüderschaft des heiligen Franziskus, welches er trug und kraft dessen ihm ganz absonderlicher Indult zuteil werden sollte. Er war in Rio Janeiro verheiratet und daselbst als Chirurgus bei einem Hospital angestellt. Aber er war auch verliebt, und unglücklich verliebt, und diese Leidenschaft hatte ihn in die weite Welt und in vieles Unglück getrieben. Er war nämlich in zwanzigtausend Piaster verliebt, zu deren Besitz er nicht gelangen konnte und von denen er sprach mit einer ergreifenden Sehnsucht, mit einer Wahrheit und Tiefe der Empfindung, mit einer Hingerissenheit, die den wenigsten Musenalmanachsgedichten eigen sind. Seine Liebe war wirklich dichterisch; rührend war es, ihn zu sehen, wie er über den Bord des »Ruriks« sich bog und dort in die blaue Ferne ein Segel sich log: »Ein Amerikaner! piasterbeladen vom Schleichhandel mit den Padres der spanischen Küste! Wir haben mehr Kanonen als er! Wir könnten ihn kapern!« – Es war aber nicht einmal das Schiff da. – Wie er einst Tabak in Buenos Aires einzuschmuggeln versucht, war er daselbst in Gefangenschaft geraten. Bevor er das Glück bei Herrn Baranow gesucht, der ihm nur zu einer zweiten Gefangenschaft unter den Spaniern verholfen, hatte er es zwei Jahre lang auf den Sandwich-Inseln erwartet, woselbst er mit den Perlen von Pearl River einen Handel zu treiben versucht, der seiner Hoffnung nicht gelohnt. Er war indes Leibarzt des Königs Tameiameia geworden, der ihn mit Land beliehen hatte, und jetzt, in seine dortige Familie heimkehrend, erwartete er seine Besitzungen in gutem Stande zu finden und vertraute seinem alten Verhältnisse.
Der Umgang mit unserm Gaste während der Tage der Überfahrt war mir unschätzbar lehrreich. Wohl hatte ich, was über die Sandwich-Inseln geschrieben war, gelesen und hatte über deren jetzigen Zustand, besonders in Hinsicht des Handels, dessen Stapelplatz sie geworden sind, manche Notizen gesammelt. Hier aber hatte ich einen O-Waihier (Naja haore, Delphin der weißen Männer) vor mir, der mit und im Volke gelebt, der einer bestimmten Kaste angehört hatte und dem ich die Sprache abhören und die Sitte abmerken konnte. Ich benutzte emsig die Gelegenheit; und wirklich kam ich, gut vorbereitet, zu sehen, und selbst der kindergleichen Sprache nicht ganz fremd, auf den Wohnsitz dieses anziehenden und damals seiner Eigentümlichkeit noch nicht abwendig gemachten Volkes. Gern und herzig stattet seinem wohlwollenden Lehrer, Herrn John Elliot de Castro, der gelehrige Schüler seinen besten Dank ab; aber ich habe ihm auch eine große Freude bereitet; denn ich habe ihm, als zufällig einmal das Gespräch auf die Gabe der Weissagung fiel, mit gehörigem Ernste und Nachdruck geweissagt: er werde als Ordensgeistlicher sein Leben in einem Kloster enden; und bei der Rührung, womit er das Wort auffaßte, sollte es mich keinesweges wundern, wenn die Prophezeiung selber den Grundstein zu deren Verwirklichung gelegt hätte.
Zu mir ist auch auf dieser Überfahrt ein Wort gesprochen worden, worüber ich mich herzig gefreut habe und welches ich, vielleicht ruhmredig, hier verzeichnen will. Gegenstand des Tischgespräches war, wie gewöhnlich, das Land, welches zu sehen, das Volk, mit dem zu verkehren uns bevorstand. Wir hatten die Polynesier noch nur erblickt; hier sollten wir unter ihnen leben. Ich äußerte, wie gespannt dieses Mal meine Neugierde sei und wie erwartungsvoll ich den neuen Eindrücken entgegensehe. Darauf versetzte Herr von Kotzebue, in der nicht verhehlten Absicht, mir etwas Demütigendes zu sagen: ich könne den Zusatz »dieses Mal« sparen; ich sei doch immer der, dessen Neugierde sich am gespanntesten zeige, und so erwartungsvoll sei keiner wie ich. – Ich wurde also, ich, der älteste an Jahren, gescholten, der jüngste zu sein an Sinn und Herz.
Ich fahre in meinem Reisebericht fort. Keine Seevögel hatten uns über dem Winde der Sandwich-Inseln das Land angesagt, und zwischen demselben sahen wir auch keine. Nur hoch in den Lüften der Tropikvogel und nah über dem Spiegel der Wellen der Fliegende Fisch.
Wir richteten unsern Lauf nach der Nordwestspitze von O-Waihi, um diese zu umfahren und, nach dem Rate von Herrn Elliot, Haul-Hanna, Herrn Jung, in der Bai von Tokahai, Gebiet Kochala, zu sprechen, woselbst dieser in der Geschichte der Sandwich-Inseln rühmlichst bekannte Mann seinen Wohnsitz haben sollte. Herr Jung würde uns die nötigen Nachrichten über den jetzigen Zustand der Dinge und den Aufenthalt des Königs mitteilen. Dem Könige aber mußten wir uns vorstellen, bevor wir in den Hafen Hana-ruru der weiter westwärts liegenden Insel O-Wahu einliefen.
In der Nacht zum 22. November und am Morgen dieses Tages enthüllten sich uns die Höhen der großartig in ruhigen Linien sich erhebenden Landmasse, über welche sich mittags und abends die Wolken senken. Noch sahen wir nur Mauna-Kea, den Kleinen Berg, welcher, wenngleich der kleinere, sich höher über das Meer erhebt als der Montblanc über die Täler, von welchen aus er gesehen werden kann. Die Nordküste am Fuße des Mauna-Kea ist die unfruchtbarste der Insel.
Wir umschifften gegen Mittag das nordwestliche Vorgebürge von O-Waihi, fuhren durch den Kanal, der diese Insel von Mauwi trennt, und verloren den Passat unter dem Winde des hohen Landes. Wir hatten längs der Westküste von O-Waihi sehr schwache Land- und Seewinde und gänzliche Windstille.
Zwei Insulaner ruderten in der Gegend des Vorgebürges an das Schiff. Der auf das Verdeck stieg, beantwortete so scheu und zögernd die Fragen des ihm wohlbekannten Najas, daß dieser über das, was auf den Inseln geschehen sein möchte, Besorgnis schöpfte. Wir erfuhren indes, daß Haul-Hanna mit den mehrsten Fürsten auf O-Wahu und Tameiameia zu Karakakoa sich befinde. Das Kanot, welches an das Schiff angebunden war und worin der andere O-Waihier sich befand, schlug um, und wir hatten Gelegenheit, die Kraft und Gewandtheit dieser Fischmenschen zu bewundern.
Wir sahen von der hohen See die europäisch gebauten Häuser von Herrn Jung sich über die Strohdächer der Eingebornen erheben. Der ganze Strand ist von den Ansiedelungen der Menschen bekränzt, aber schattenlos. Erst südlicher längs der Küste untermischen sich Kokospalmen den Häusern. Die Wälder, die an den Bergen eine hohe Zone einnehmen, steigen nicht zu Tale. Rauchsäulen stiegen in verschiedenen Gegenden des Landes empor.
Andere Kanots kamen an das Schiff; wir verkehrten mit mehreren Eingebornen und vermochten einen weitgewanderten Mann, einen Mann des Königs, der in Boston, an der amerikanischen Nordwestküste und in China gewesen war, an unserm Bord zu bleiben und uns nach Karakakoa zu lotsen. Wir erfuhren, daß zwei amerikanische Schiffe in Hana-ruru lägen und vor Karakakoa ein drittes, welches, vom Sturme geschlagen, entmastet nach diesen Inseln gekommen. Wir erfuhren endlich, daß Russen der Amerikanischen Handelskompanie das Reich mit Krieg zu überziehen gedroht und daß man die russischen Kriegsschiffe erwarte, welche die Drohung verwirklichen sollten.
Das waren die Umstände, unter welchen wir vor O-Waihi erschienen und uns glücklich preisen mußten, Herrn Elliot, den Leibarzt des Königs, an Bord zu haben, der Zeugnis von uns ablegen konnte.
Wir lagen die Nacht in vollständiger Windstille. Wir erfuhren am Morgen des 23., daß der König von Karakakoa nordwärts, uns näher, nach Tiutatua am Fuße des Wororai gekommen sei, sich aber daselbst nicht lange aufhalten werde. Herr Elliot ließ ihm Botschaft von uns und sich selber ansagen und den Wunsch des Kapitäns andeuten, Seine Majestät zu Tiutatua nicht zu verfehlen.
Wir kamen sehr langsam vorwärts. Am Abend ward ein Delphin harpuniert. Während der Nacht frischte der Wind; am Morgen des 24. waren wir vor Tiutatua. Das amerikanische Schiff fuhr eben unter allen Segeln in die Bucht. Der Kapitän ließ das kleine Boot aussetzen, worin er Herrn Elliot mit mir, Eschscholtz und Choris an das Land schickte. Wir begegneten einem Europäer, der in seinem Kanot fuhr; er trat in unser Boot über und geleitete uns.
Der Morai des Königs Tameiameia in der Bucht von Tiutatua
Das Dorf liegt unter Palmbäumen anmutig am Seegestade. Hinter demselben steiget der Blick auf einem Lavastrom zu dem Riesenkegel des Wororai hinan. Zwei Morais standen mit ihren häßlichen Idolen auf einem Vorsprung des Lavastrandes.
Empfang der Expeditionsteilnehmer durch König Tameiameia
Am Ufer war ein zahlreiches Volk in Waffen. Der alte König, vor dessen Wohnung wir landeten, saß auf einer erhabenen Terrasse, von seinen Weibern umringt, in seiner volkstümlichen Tracht, dem roten Maro (Schamgürtel) und der schwarzen Tapa (dem weiten, schönfaltigen Mantel von Bastzeuge). Nur Schuhe und einen leichten Strohhut hatte er von den Europäern erborgt. Den schwarzen Mantel tragen nur die Vornehmen; das färbende Harz verleiht dem Zeuge die Eigenschaft, nicht naß zu werden. Vor dem Könige sitzt jeder Untergeordnete niedriger als er, mit entblößten Schultern. Der alte Herr nahm seinen Arzt gern wieder auf, jedoch ohne überströmende Freude, und ließ sich von ihm über den friedlichen Zweck unserer Expedition belehren; dann richtete er an uns den Friedensgruß, drückte uns die Hand und lud uns ein, ein gebackenes Schwein zu verzehren. (Drei der hervorragenden Männer der alten Zeit, ich rühme mich der Ehre, haben mir die Hand gedrückt: Tameiameia, Sir Joseph Banks und Lafayette.) Wir verschoben die Mahlzeit bis zur Ankunft des Kapitäns; Eschscholtz und ich begehrten botanisieren zu gehen, während Choris blieb und den König zu zeichnen sich erbot. Tameiameia gab uns zu unserm Schutz einen Edeln seines Gefolges mit und warnte uns vor der großen Aufregung des Volkes. Dem Maler wollte er nur in europäischen Kleidern sitzen, nämlich in roter Weste und Hemdesärmeln, da er den Zwang des Rockes nicht ertragen mag. Er beauftragte Herrn Elliot, den Kapitän ans Land zu geleiten, und er sandte mit ihm zwei der vornehmsten Häuptlinge, von denen einer gleichsam als Geisel auf dem Schiffe bleiben sollte, bis er, der Kapitän, an seinen Bord zurückgekehrt sei.
Tameiameia, König der Sandwich-Inseln
Ich werde hier mit wenigen Worten über die Ereignisse berichten, die unserer Ankunft auf den Sandwich-Inseln zuvorgegangen waren.
Ein gewisser Doktor Scheffer, im Jahre 1815 als Schiffsarzt am Bord des »Suwarow«, Kapitän: Leutnant Lasarew, zu Sitcha angelangt und daselbst im Dienste der Amerikanischen Kompanie zurückgeblieben, war, vermutlich von Herrn Baranow ausgesandt, anscheinlich zu wissenschaftlichen Zwecken auf die Sandwich-Inseln gekommen, wo er den Schutz des Königs genossen hatte. Der Doktor Scheffer hatte die verschiedenen Inseln bereist. Auf O-Wahu, wo zwei Schiffe der Russisch-Amerikanischen Kompanie (die »Clementia« und die »Entdeckung«) angelegt, war verschiedentlich gegen den König und gegen die Volksreligion gefrevelt worden. Die Russen hatten einen Morai entweiht und die Förmlichkeit der Besitznahme der Insel bei Aufziehung der russischen Flagge auf dem Lande vollzogen. Vermittelnde Europäer hatten das Blutvergießen verhindert, und die übermütigen Fremden hatten, gezwungen, sich einzuschiffen, mit Krieg und Eroberung gedroht. Welch ein Anteil der Schuld jenen Schiffen, welcher dem Doktor zuzuschreiben sei, bleibe unentschieden; die größere Erbitterung war gegen den Doktor. Gegenwärtig war derselbe auf den westlichen Inseln, deren König Tamari er vermocht hatte, sich unter russischer Flagge gegen seinen Lehnsherrn Tameiameia zu empören.
Bekanntlich war zur Zeit der Eroberung Tameiameias der ehedem selbständige König von Atuai und den westlichen Inseln dem Gewaltigen zuvorgekommen, indem er sich ihm freiwillig unterworfen.
Das war der jetzige Stand der Dinge. Als wir im Spätjahre 1817 nach den Sandwich-Inseln zurückkamen, hatte auf diesem Schauplatz der Doktor Scheffer seine Rolle bereits ausgespielt; der König von Atuai, dem er lästig geworden, hatte ihn weggewiesen und hatte aufs neue Tameiameia gehuldigt. Der Doktor Scheffer kam nach Petersburg, wo er mit abenteuerlichen Anschlägen und Ratschlägen kein Gehör gefunden zu haben scheint. Er tritt später als kaiserlich brasilianischer Werboffizier in Hamburg auf.
Wie ich mit Eschscholtz botanisieren ging, umringte uns eine mehr lachende als drohende Menge. Ein Häuptling, an seiner Haltung und seinem fast riesigen Wuchs nicht zu verkennen, schwang, wie wir den Weg gingen, den er kam, lachend seinen Wurfspieß gegen mich und drückte mir dann mit dem Friedensgruße »Arocha!« die Hand. Was er dabei sagte, mochte bedeuten: Habt ihr uns wieder einmal den Spaß verdorben? Wir dachten uns zu schlagen, und nun seid ihr gute Freunde.
Das dürre, ausgebrannte Feld hinter dem Dorfe bot dem Botaniker nur eine karge Ausbeute; und doch war es eine große Freude, hier die ersten Sandwicher Pflanzen zu sammeln. »Eine Cyperacee!« rief ich dem Doktor zu und zeigte ihm die Pflanze von ferne. »Küperake! Küperake!« fing unser Führer zu schreien an, indem er eine Handvoll Gras über den Kopf schwang und wie ein Hampelmann tanzte. So sind diese Menschen, fröhlich wie die Kinder, und man wird es wie sie, wenn man unter ihnen lebt. Nach dem, was ich in meinen »Bemerkungen und Ansichten« über die O-Waihier gesagt, bleibt mir nur übrig, sie selbst in kleinen Anekdoten und Zügen auftreten zu lassen.
Kahu-manu, Lieblingsfrau des Königs Tameiameia
Wir wurden, in Erwartung des Kapitäns, zu den Königinnen eingeführt; große, starke, fast noch schöne Frauen. Kahu-manu tritt schon unter Vancouver in der Geschichte auf. Sie lagen in einem Strohhause zusammen auf dem weich mit feinen Matten gepolsterten Estrich; wir mußten Platz unter ihnen nehmen. Fast unheimlich wurden mir, dem Neulinge, die Blicke, die meine Nachbarkönigin auf mich warf. Ich folgte Eschscholtz, der sich schon früher aus dem Hause geschlichen hatte. Ich erfuhr von ihm, seine Königin habe sich noch handgreiflicher ausgedrückt.
Unser Kapitän war angelangt. Der alte Held empfing ihn mit Herzlichkeit. Er verstand sehr wohl das Verhältnis und wußte es großartig, ehrfurchtgebietend und leicht zu behandeln. Herr Cook, ein Europäer, der sein Vertrauen besaß und der jetzt erst von dem amerikanischen Schiffe, wohin er ihn gesandt hatte, zurückkam, diente ihm zum Dolmetscher. Er verhielt seinen Ingrimm gegen die Russen nicht, die seiner königlichen Gastfreiheit mit so schnödem Undank gelohnt; in uns aber, die wir, auf Entdeckung ausgesandt, mit jenen nichts zu teilen hatten, wolle er keine Russen sehen, sondern nur die Söhne und Nachkommen Cooks und seines Freundes Vancouver. Wir seien keine Kaufleute, er wolle es auch gegen uns nicht sein; er werde für alle unsere Bedürfnisse Sorge tragen, frei, unentgeltlich. Wir brauchten dem Könige nichts zu geben, und wollten wir ihm ein Geschenk machen, so sei es nur nach Belieben. So Tameiameia, König der Sandwich-Inseln.
Unsere Gegengeschenke zeugten von unserer friedlichen Gesinnung. Zwei kleine Mörser mit den dazugehörigen gefüllten Granaten und Pulver. Eisenstangen, die wir als Ballast hatten und die ihm angenehm zu sein schienen, wurden für ihn zu Hana-ruru ausgeschifft. – Er selbst erkundigte sich im Gespräche, ob wir ihm wohl etwas Wein ablassen könnten. Er erhielt ein Fäßlein guten Teneriffa von unserm Vorrat. Der Kapitän hatte zufällig etliche schöne Äpfel aus San Francisco mitgebracht. Er fand sie wohlschmeckend, verteilte sie zum Kosten den Häuptlingen um ihn und ließ die Kerne mit großer Sorgfalt sammeln. Auf den Wunsch, den Herr von Kotzebue aussprach, ließ Tameiameia sogleich einen Federmantel herbeiholen und überreichte ihm solchen für den Kaiser Alexander. Furchtlos und würdevoll schlug er ab, auf das Schiff zu kommen, da die jetzige Stimmung seines Volkes es ihm nicht erlaube. Wir statteten dem Reichserben Lio-lio einen Besuch ab. Ich kann dem, was ich in den »Bemerkungen und Ansichten« gesagt habe, nichts hinzufügen, obgleich die dort, hauptsächlich nach Herrn Marini ausgesprochenen Weissagungen nicht in Erfüllung gegangen sind. Der Tisch war für uns in einem Hause, das im Umfang des königlichen Morai lag, auf europäische Weise gedeckt. Der König geleitete uns dahin mit seinen Häuptlingen, doch nahm weder er noch einer von ihnen Anteil an dem Mahle, das wir allein verzehrten. Unsere Matrosen wurden nach uns auf gleiche Weise bewirtet. Wir erfuhren später, daß mit diesem uns gereichten Mahle ein religiöser Sinn verbunden gewesen. Die wir als Feinde angekündigt, als Freunde gekommen waren, aßen ein geweihtes Schwein an geweihter Stelle in dem Morai des Königs.
Nach uns speiste Tameiameia in seinem Hause allein, wobei wir ihm zuschauten, wie er uns selber zugeschaut hatte. Er aß nach altertümlicher Sitte. Gesottene Fische und ein gebackener Vogel waren die Gerichte, Bananenblätter die Schüssel, und der beliebte Tarobrei vertrat die Stelle des Brotes. – Die Diener brachten die Speisen kriechend herbei, die ein Vornehmerer ihm vorsetzte. Herr von Kotzebue spricht von der sonderbaren Tracht der Höflinge Tameiameias, die alle schwarze Fracks auf dem bloßen Leib getragen. Ich kann mich nur erinnern, ein einziges Mal auf den Sandwich-Inseln dieses Kostüm gesehen zu haben, welches keineswegs so allgemein war und auch dem Auge des Künstlers nicht aufgefallen ist. Vergleiche Choris: »Voyage pittoresque«.
Tameiameia behielt Herrn Elliot um sich, von dem nach O-Wahu begleitet zu werden uns wohl erwünscht gewesen wäre. Er gab uns als Geleitsmann und Überbringer seiner Befehle in unserm Betreff einen Edeln geringeren Ranges mit, der seines völligen Vertrauens genoß. Er ließ diesen Mann, namens Manuja, von zehn Meilen herkommen, weshalb er auch spät eintraf Der »Rurik« war unter Segel geblieben. Wir hatten bereits Signalschüsse abgefeuert, Raketen abgebrannt und Laternen aufgezogen, als Herr Cook unsern Schutzmann abends um acht Uhr an Bord brachte.
Wir nahmen mit einem schwachen Landwind unsern Kurs nach O-Wahu. Die aufgehende Sonne fand uns am 25. in Ansicht von O-Waihi und Mauwi. Der Wind hatte uns verlassen. Es war ein schöner Morgen. Größe, Ruhe und Klarheit. Luft und Meer klar und ruhig; rein und wolkenlos die groß und ruhig gezeichneten Höhen beider Inseln. Herr von Kotzebue benutzte den Moment, die Höhen der Berge beider Inseln zu messen.
Zu Nacht erhob sich der Wind; wir hatten den Passat wiedergewonnen. Wir sahen die Feuer der Insel Tauroa brennen. Wir segelten am 26. schnell längs der Inselkette und südlich von derselben vorwärts. Ein paar Walfische (Physeter) spritzten nicht fern von uns ihre Wasserstrahlen. Manuja lag seekrank auf dem Verdecke, und sein Dienstmann war kaum imstande, ihm Hülfe zu leisten. Auch Manuja hatte die Kerne der Äpfel, die er bei uns gegessen, sorgfältig gesammelt und verwahrt. Wir lavierten die Nacht in Ansicht der Insel O-Wahu.
Der Hafen von Hana-ruru
Wir gelangten am 27. November in den Mittagsstunden vor den Hafen von Hana-ruru. Manuja fuhr mit dem ersten Kanot, welches sich zeigte, ans Land, und bald kam ein königlicher Lotse, ein Engländer, Herr Herbottel, heraus, der uns die Anker außerhalb des Riffes werfen hieß, da jedes einlaufende Schiff während der Windstille, die hier regelmäßig vor Sonnenaufgang eintritt, in den Hafen bugsiert werden muß.
Der Kapitän fuhr, sobald der »Rurik« vor Anker lag, an das Land. – Ein amerikanischer Scunner, der »Traveller« aus Philadelphia, Kapitän Wilcoks, ging eben unter Segel. Wir sahen über die Brandung hinüber zu der anmutigen Stadt, die, von schlanken Kokospalmen beschattet, aus o-waihischen Strohdächern und europäischen Häusern mit weißen Mauern und roten Dächern besteht. Sie unterbricht die sonnige Ebene, die den Fuß des Gebürges umsäumt. Der Wald, der die Höhen bekleidet, senkt sich auf ihren Abhängen tief herab. Zwei Schiffe lagen im Hafen; beide gehörten dem Herrn der Inseln. Ein Dreimaster, der bald den Namen der Frau von Kareimoku erhalten sollte und der am 29. morgens, mit Taro beladen, nach O-Waihi unter Segel ging. Das zweite, nach Tameiameias edelster Gattin die »Kahu-manu« genannt, eine kleine elegante, schnell segelnde Brigg, die, in Frankreich zum Kaperschiff gebaut, ursprünglich »La grande guimbarde« geheißen und, von den Engländern genommen, den Namen »Forester« erhalten hatte. – Die »Kahu-manu« feuerte als Wachtschiff bei Sonnenuntergang den üblichen Retraitenschuß ab.
Der Kapitän kam an Bord zurück, nicht eben erfreut von dem Empfang, der ihm geworden. Noch war das Volk gegen die Russen in Aufregung, und bei dem Gouverneur hatte er dasselbe Vorurteil zu bekämpfen gehabt. Herr Jung war ihm hülfreich gewesen. Der Gouverneur Kareimoku, den die Engländer Pitt nennen, auf den Sandwich-Inseln der nächste nach dem Könige, hatte ihm jedoch versprochen, die Befehle, die er im Betreff seiner von Tameiameia erhalten, pünktlich zu vollziehen.
Am 28. um sechs Uhr des Morgens riefen wir verabredetermaßen durch einen Kanonenschuß die Kanots herbei, die uns in den Hafen bugsieren sollten. Der Lotse und acht Doppelkanots, jeder unter der Führung des Eigners von sechzehn bis zwanzig Mann gerudert, kamen heran. Herr Jung fuhr an ihrer Seite in einem kleinen Kanot. Der Anker ward gelichtet, und spielend, lachend, lärmend führten die Sandwicher in guter Ordnung und mit einer Gewalt, die unsere Seeleute bewunderten, den »Rurik« dahin. Wir fuhren nach dem Log drei Knoten. Wir ließen unter den Mauern der Festung die Anker fallen, und Herr Jung kam an Bord, Bezahlung für den Dienst einzufodern, den nicht Leute des Königs uns geleistet hatten.
Ich kann das erste, was uns wie jedem Fremden auf diesen Inseln entgegentrat, mit Stillschweigen nicht übergehen: die allgemeine, zudringliche, gewinnsüchtige Zuvorkommenheit des andern Geschlechtes; die ringsher uns laut zugeschrienen Anträge aller Weiber, aller Männer namens aller Weiber.
Die Scham scheint mir dem Menschen angeboren zu sein, aber die Keuschheit ist nur nach unsern Satzungen eine Tugend. In einem der Natur näheren Zustande wird das Weib in dieser Hinsicht durch den Willen des Mannes gebunden, dessen Besitztum es geworden ist. Der Mensch lebt von der Jagd. Der Mann sorgt für seine Waffen und für den Fang; er ernährt die Familie. Der Waffenfähige herrscht rücksichtslos im Gebrauche seiner Übermacht; das Weib dient und duldet. Er hat gegen den Fremden keine Pflicht; wo er ihm begegnet, mag er ihn töten und sein Besitztum sich aneignen. Ob er des Getöteten Fleisch zur Speise benutzt oder verwesen läßt, ist unerheblich. Schenkt er aber dem Fremdling das Leben, so schuldet er ihm fürder, was zu dem Leben gehört; das Mahl ist für alle bereitet, und der Mann bedarf eines Weibes.
Auf einer höheren Stufe wird die Gastfreundschaft zu einer Tugend, und der Hausvater erwartet am Wege den Fremdling und zieht ihn unter sein Zelt oder unter sein Dach, daß er in seine Wohnung den Segen des Höchsten bringe. Da macht er sich auch leicht zur Pflicht, ihm sein Weib anzubieten, welches dann zu verschmähen eine Beleidigung sein würde.
Das sind reine, unverderbte Sitten.
Diesem Volke der Lust und der Freude – o könnt ich doch mit einem Atemzuge dieser lauen, würzigen Luft, mit einem Blicke unter diesem licht- und farbreichen Himmel euch lehren, was Wollust des Daseins ist! –, diesem Volke, sage ich, war die Keuschheit als eine Tugend fremd; wir haben Hab- und Gewinnsucht ihm eingeimpft und die Scham von ihm abgestreift. – Schon auf der nördlichen Küste der Insel, durch das Gebürge von der verderbten Hafenstadt abgesondert, wähnte ich mehr patriarchalische, unbescholtenere Sitten zu finden.
Ich machte schon an diesem ersten Tage die Bekanntschaft von Herrn Marini (Don Francisco de Paulo Marini, der von den Eingebornen Manini genannt wird). Er kam mir nicht übereilt entgegen, aber ich fand ihn stets hülf- und lehrreich, wo ich seiner bedurfte; und er hat, mit Geist und Blick den Punkt treffend, den ich suchte, mich das Beste gelehrt, was ich über diese Inseln weiß. Marini war noch sehr jung, als er in einem Hafen der amerikanisch-spanischen Küste, ich glaube zu San Francisco Kaliforniens, mit Früchten und Gemüsen auf ein Schiff geschickt ward, das im Begriff stand auszulaufen. Die Matrosen ließen den Knaben trinken, er schlief ein; sie verbargen ihn. – Das Schiff war auf hoher See, als erwachend er hervorkam. Der Wurf, der sein Schicksal entschied, war geschehen. Auf den Sandwich-Inseln ans Land gesetzt, wurde er auf denselben zu einem Häuptling von Ansehen, der als betriebsamer Landwirt unablässig mit den Arten nutzbarer Tiere und Pflanzen, die er einführte, neue Quellen des Wohlstandes aus dem Boden stampft und als betriebsamer Handelsmann die zahlreichen Schiffe, die hier verkehren, mit allen ihren Bedürfnissen versorgt. Er versteht namentlich unter diesem heißen Himmel das Fleisch auf das dauerhafteste einzusalzen, was die Spanier in der Neuen Welt für unmöglich erklären. Marini schien sich als ein unabhängiger Mann von dem Könige fernzuhalten und nicht in dessen Gunst zu stehen. Er lebte mehr der Handelswelt. Ich war glücklich zu preisen, daß ihn jetzt keine Schiffe beschäftigten. Im ersten Gespräche, das ich mit ihm hatte, fiel mir eine Äußerung von ihm auf. Es war von den neuesten Zeitereignissen die Rede und von Napoleon. »Der«, sagte er, »hätte in unserm spanischen Amerika getaugt.« Solches Wort hatte ich noch aus keines Spaniers Munde gehört.
Ich machte die erste botanische Exkursion, bestieg den ausgebrannten Vulkan hinter der Stadt, drang berghinan in den Wald und kam über das Tal zurück, das durch kunstreiche Bewässerung für die Kultur der Taro gewonnen ist. Ich lernte die Kühlung der Bergtäler kennen und die erhöhte Temperatur, die einen empfängt, sobald man aus denselben auf den sonnigen Saum der Insel hervortritt.
Der ich täglich die Gegend durchschweifte und das Gebürge, werde meine einsamen Spaziergänge nicht weiter beschreiben, aber hier etliche der kleinen Abenteuer, die mir auf denselben zustießen, zusammentragen.
Über Ströme und Flüsse führt keine Brücke; ist man doch froh, die Gelegenheit zu einem Süßwasserbad zu haben, welches von den Anwohnern des Meeres ebenso geschätzt und begehrt wird wie von uns Mittelländern das Seebad. Man wird auch allerorten auf jede sich darbietende Gelegenheit aufmerksam gemacht, und »Willst du baden?« ist eine Frage, die man bald erlernt hat.
Ich hatte mich ausgezogen, um den Strom, der hinter Hana-ruru sich in den Hafen ergießt, zu durchwaten, und das Wasser ging mir kaum über die Knie, als ich ein leichtes Kanot an mich heranrudern hörte und ein großes Gelächter vernahm. Es war eine Dame, anscheinlich von der ersten Kaste, die mich hier zu necken sich ergötzte. Ich war wie ein unschuldiges Mädchen, das ein Flegel sich den Spaß macht im Bade zu beunruhigen.
Bei einer weiteren Exkursion, auf welcher mich ein Führer geleitete, ging der Weg durch ein breites, ruhiges Wasser. Der O-Waihier stieg vor mir hinein und ging hinüber; das Wasser stieg ihm nicht bis an die Brust. Ich geriet auf den Einfall, ich, der ich eigentlich nicht schwimmen kann, hinüberschwimmen zu wollen. Ich versuchte es, und siehe! das Wasser trug mich, und ich kam ordentlich vorwärts.
Ich war außerordentlich mit mir zufrieden und dachte: es ist auch gut, den Leuten zu zeigen, daß, wenn grade kein Meister in ihrer Kunst, man doch derselben nicht ganz fremd ist. Da weckte mich ein unendliches Gelächter, das laut und lauter vom Ufer erscholl, aus meinem Traum. Wie ich mich umsehen konnte, um zu erkunden, was da vorging, gewahrte ich, daß sich das Ufer dicht mit Menschen bekränzt hatte, die herbeigelaufen waren, um über den kuriosen Kanaka haore (den weißen Mann) zu lachen, der, anstatt wie ein vernünftiger Mensch durchs Wasser zu gehen, sich eine ungeheure Mühe gab, seine Ungeschicktheit zur Schau zu geben. Aber das Lachen hat hier nichts Feindseliges. Lachen ist das Recht des Menschen; jeder lacht über den andern, König oder Mann, unbeschadet der sonstigen Verhältnisse. – Andere Anekdoten werden an ihrem Ort den Satz erläutern.
»Arocha!« ist der Friedensgruß, den jeder jedem bietet und der mit gleichem Gegengruß erwidert wird. Auf jedes »Arocha!«, das einem zugerufen wird, antwortet man »Arocha!« und ziehet seines Weges, ohne sich umzusehen. Als ich einst botanisieren ging und von Hana-ruru meinen Weg nach den Taropflanzungen genommen hatte, fiel es mir auf, daß, wo schon die Häuser zu Ende waren, das Grüßen noch kein Ende nahm; und war doch auf dem freien Felde links und rechts niemand zu sehen. »Arocha!« ward mir in allen Tönen unablässig nachgerufen, und ich erwiderte treuherzig jeden Gruß. Ich sah mich unvermerkt um und ward gewahr, daß ich einen Troß Kinder hinter mir her nachzöge, die es belustigte, den Kanaka haore sein »Arocha!« wiederholen zu lassen. Wartet nur! meinte ich; und ich zog mit großer Geduld, begrüßt und gegengrüßend, den Schwarm mir nach bis an die Engpässe der Tarofelder, über Gräben, Gehege, Wasserleitungen und Erdwälle. Da kehrte ich mich unversehens um und lief mit erhobenen Armen und entsetzlichem Geheul auf sie zu; sie, im ersten Schrecken, ergriffen die Flucht und stürzten übereinander und in die Wasserbehälter. Ich lachte sie aus, sie lachten, und wir schieden als Freunde: »Arocha!«
Auf einer Wanderung durch das fruchtreiche Tal hinter Hana-ruru fand ich einst am Rande eines der Wasserbehälter, worin der Taro gezogen wird, ein schönes Gras, welches ich mich nicht erinnerte gesehen zu haben und wovon ich mir gleich Exemplare ausriß. Bei dem Geschäfte traf mich ein O-Waihier an, der darob mich ausschalt und pfändete und den ich nur mit Mühe beschwichtigen konnte. Ich erzählte Herrn Marini das Ereignis und zeigte ihm das Gras. Der Mann war sein Pächter, das Gras war der Reis, der, nachdem manche frühere Versuche mißglückt, endlich in diesem Jahre zuerst auf diesen Inseln gegrünt hatte. Mag mancher Botaniker mich auslachen, dem es vielleicht nicht besser ergangen wäre. Auch ich hätte Oryza sativa im Herbario nicht verkannt.
Bezeichnend mag sein für die hiesige Pflanzenwelt, worin die baumartigen Riesenlianen Brasiliens meist nur durch krautartige Winden- und Bohnenarten vertreten werden, die ihre Netze über das niedre Gebüsch ausspannen, daß ich einmal im Gebürg abseits vom Pfade in so ein Netz geriet und, wie ich weiter vordringen wollte, endlich gewahr wurde, daß ich bereits über den Absturz des Felsen hinaus in einer Hängematte über dem Abgrund schwebte.
Am 29. November wurden wir zuerst nach dem Befehle Tameiameias versorgt. Wurzeln und Früchte, wie sie das Land nur hervorbringen mag, wurden uns in Überfluß gereicht, und die Schweine, die man uns lieferte, waren so groß, daß wir kaum die Hälfte verzehren konnten; die übrigen wurden teils eingesalzen, teils lebendig mitgenommen.
Der Kapitän unternahm an diesem Tage, den Plan des Hafens von Hana-ruru aufzunehmen, und ließ zu dem Behufe Chramtschenko Signalstangen mit Flaggen auf verschiedenen Punkten einpflanzen. Diese Flaggen erinnerten das Volk an jene Flagge, die bei der Besitznahme aufgezogen worden war, und nun griff alles zu den Waffen, sich das Fest einer Schlacht versprechend; denn waffenlustig ist dieses fröhliche Volk, und es entbehrt schon lange dieser Lustbarkeit. Haul-Hanna, der zum Glücke früh genug berichtet ward, schlug sich ins Mittel, beschwichtigte Kareimoku, kam selbst an das Schiff, den Kapitän zu warnen, und ward unser guter Engel. Alles Flaggenartige verschwand sofort, und der Krieg ward abgesagt.
Am 30. November stellten sich auf die Einladung des Kapitäns Kareimoku und die vornehmsten Häuptlinge, Teimotu, Bruder der Königin Kahu-manu, Haul-Hanna und andere zum Mittagessen auf dem »Rurik« ein. Kareimoku war herzlich und brachte dem Kapitän den Friedensgruß. Die Herren waren alle in europäischer Tracht, wenn nicht alle nach der neusten Mode, so doch alle sehr anständig. Man setzte sich zu Tisch, und ihr Benehmen kann für ein Muster der Schicklichkeit und guten Sitte gelten. Wir hingegen, wir waren die Ungeschickten, die Tölpel; denn es ist doch wohl gesellige Pflicht, sich nach den Sitten und Bräuchen derer, die man bewirten will, zu erkundigen und sich in notwendigen Dingen darnach zu richten. Aber das Schwein, das wir den Herren vorsetzten, war nicht im Morai geweiht worden, und so war es nicht (um mich europäisch auszudrücken) kauscher, und nichts von allem war kauscher, was am selben Feuer mit ihm gekocht und gebraten worden. Ein Stück Zwieback und ein Glas Wein war das einzige, was sie genießen durften. Sie mußten nüchtern uns essen sehen, ohne sich einmal mit uns unterhalten zu können; das war unsere Bewirtung. Sie aber benahmen sich dabei besser, als wir uns vielleicht an ihrer Stelle benommen hätten, und ließen den guten Willen für die Tat gelten. Kareimoku trank ein »Arocha!« dem Kaiser von Rußland zu; ein »Arocha!« ward dem Tameiameia dargebracht, und wir waren gute Freunde.
Die Frauen indes, deren einige mitgekommen waren (das Tabu ist auf Schiffen minder streng als auf dem Lande, wo sie unter Todesstrafe das Speisehaus der Männer nicht betreten dürfen), die Frauen, sage ich, tranken indes Wein und betranken sich, was ein O-Waihier von Stand nie tun wird.
Das von Choris gemalte, sehr ähnliche Bild von Tameiameia machte ein ausnehmendes Glück. Alle erkannten es, alle hatten Freude daran. – Ich werde einen Zug nicht vergessen, welchen man vielleicht für die Sitten dieses Volkes bezeichnend finden wird. Der Maler hatte in sein Zeichnenbuch neben den König ein Weib aus der Mittelklasse gezeichnet. Herr Jung, dem zuerst das Blatt gezeigt wurde, fand diese Nachbarschaft dergestalt bedenklich, daß er unserm Freunde riet, die zwei Porträte entweder zu trennen oder gar nicht sehen zu lassen. Demgemäß ward das Blatt durchgeschnitten, bevor das Bild des Königs andern O-Waihiern gezeigt wurde. Von diesem sehr gelungenen Porträt teilte Choris hier etliche Kopien aus. Wie wir im nächsten Jahre nach Manila kamen, hatten sich bereits die amerikanischen Kaufleute dieses Bildes bemächtigt und hatten es in den chinesischen Malerfabriken für den Handel vervielfältigen lassen. Choris hat ein Exemplar der chinesischen Ausgabe nach Europa mitgebracht.
Am 30. November fing mit Sonnenuntergang die Feierlichkeit eines Tabu-pori an, um mit dem Sonnenaufgang des dritten Tages zu endigen. Begierig, den heiligsten Mysterien des o-waihischen Kultus beizuwohnen, wandte ich mich an Kareimoku, der ohne alle Schwierigkeit mich einlud und dessen Gast ich auf die Dauer des Festes im Heiligtume des Morai wurde. Er verließ gegen vier Uhr das Schiff, und ich stellte mich vor Sonnenuntergang bei ihm ein.
Ich habe die Details der Liturgie und der heiligen Bräuche, die man übrigens bei älteren Reisenden genau beschrieben findet, nicht aufgezeichnet; aber eins kann ich sagen: gegen die Lustigkeit, mit der sie vollzogen wurden, könnte die Lustbarkeit eines unserer Maskenbälle für ein Leichenbegängnis angesehen werden. Die religiösen Handlungen füllen nur einzelne Stunden aus. Wie bei der katholischen Liturgie fällt das Volk stellenweise in den Gesang der fungierenden Priester ein. Die Zwischenzeiten gehören der fröhlichsten Unterhaltung, und es werden gute Mahlzeiten abgehalten, wobei ich allein nach europäischer Art bedient wurde und gebackenen Taro anstatt des üblichen Breies bekam. – Zur Mahlzeit wie zur Unterhaltung liegt man in zwei Reihen auf dem mit Matten belegten Estrich, mit dem Kopfe nach dem trennenden Mittelgang, auf den die Türe stößt. Die Gerichte werden auf Bananenblättern aufgetragen, man führt die Speisen mit den Händen zu dem Munde, und der zähe Tarobrei, der das Brot vertritt, wird von den Fingern abgeleckt. Waschwasser wird vor und nach der Mahlzeit gereicht. Zu Nacht geben Fackeln von Kukuinüssen (Aleurites triloba), die auf Stäbchen eingefädelt sind, ein sehr helles Licht. Dieses alles im Morai nicht anders als zu Hause. Wer aus dem heiligen Bezirke sich entfernen will, wird von einem Knaben begleitet, der jeglichem zur Warnung ein kleines weißes Fähnlein führt. – Ein Weib, das man berühren würde, müßte sogleich getötet werden; ein Mann müßte sich nur im Morai der gleichen Absonderung unterwerfen.
Choris hat in seinem »Voyage pittoresque«, T. V-VIII, die Idole eines Morai zu O-Wahu abgebildet. Der Typus, der sich in den Figuren VI, 4; VII, 3 und 4; VIII, 1 und 3 wiederholt, ein gleichsam hieroglyphischer, scheint mir der altertümliche, volkstümliche zu sein. Die mit roten Federn bekleidete Figur von Korbgeflechte, die, im Allerheiligsten des Morai verwahrt, bei den Bräuchen des Tabu-pori zum Vorschein kommt, trägt diesen selben Typus. Der weite Mund ist mit wirklichen, ich glaube Hundezähnen umzäunt. Ein paar Jünglinge brachten mir in einer Zwischenzeit die Figur, damit ich sie näher betrachten könne. Begierig, die Grenze des mir Erlaubten zu erkunden, fühlte ich der Göttergestalt auf den Zahn, worauf mit einer plötzlichen Wendung derjenige, der die Figur trug, sie meine Hand verschlingen ließ. Natürlicherweise zog ich überrascht die Hand schnell zurück, und sie erhoben ein unmäßiges Gelächter.
Die Bräuche, die ich noch gesehen, werden auf diesen Inseln nicht mehr vollführt, und die Sprache der Liturgie soll verhallen. Keiner wohl hat daran gedacht, zu erforschen und der Vergessenheit zu entziehen, was dazu beitragen könnte, das Verständnis der Äußerlichkeiten des Gesetzes dieses Volkes zu eröffnen, Licht in seine Geschichte, vielleicht in die Geschichte der Menschen zu bringen und die großen Rätsel, die uns Polynesien darbietet, aufzulösen. Wahrlich, es hätte durch die Romanzowsche Expedition Preiswürdiges für die Wissenschaft gewonnen werden können, wenn sie einem geradsinnigen, eifrigen Forscher einen Aufenthalt von einem Jahre auf diesen Inseln gegönnt hätte. Aber man fährt wie eine abgeschossene Kanonenkugel über die Erde dahin, und wenn man heimkommt, soll man rings ihre Höhen und Tiefen erkundet haben. – Als ich gegen den Kapitän mich erbot, hier bis zu der Rückkunft des »Ruriks« zu bleiben, erhielt ich zur Antwort: er wolle mich nicht halten; es stehe bei mir, von der Expedition abzutreten, wann es mir gefiele.
Tanz hawaiischer Männer
Am 4. Dezember veranstaltete Kareimoku für uns ein Hurrahurra oder Tanzspiel und ein zweites am 6. Dezember. Wahrlich, seit ich wiederholt die widrigen Verrenkungen anzuschauen mir Gewalt angetan habe, die wir unter dem Namen Ballettanz an unsern Tänzerinnen bewundern, erscheint mir, was ich in meinen »Bemerkungen und Ansichten« von der Herrlichkeit jenes Schauspieles gesagt habe, blaß und dem Gegenstande nicht entsprechend. Wir Barbaren! Wir nennen jene mit Schönheitssinn begabten Menschen »Wilde«, und wir lassen das Ballett den beschämten Dichter und den traurenden Mimen aus den Hallen verdrängen, die wir der Kunst geweiht zu haben uns rühmen. – Ich habe es immer bedauert und muß hier mein Bedauern wiederholt ausdrucken, daß nicht ein guter Genius einmal einen Maler, einen zum Künstler Berufenen, nicht nur so einen Zeichner von Profession, auf diese Inseln geführt. – Es wird nun schon zu spät. Auf O-Taheiti, auf O-Waihi verhüllen Missionshemden die schönen Leiber, alles Kunstspiel verstummt, und der Tabu des Sabbats senkt sich still und traurig über die Kinder der Freude.
Ein Zeichen muß ich geben, daß ich unbestochen rede. Am 4. tanzten drei Männer, am 6. eine Schar von Mädchen, darunter viele von ausnehmender Schönheit. Nicht diese haben auf mich den bleibenden Eindruck gemacht, nein, die Männer, die kunstreicher waren und von denen doch der erste nicht einmal schön unter den Seinen zu nennen war. Man sehe übrigens die zwei schlechten Blätter nicht an, die Choris' Atlas verunzieren. Das Tanzen läßt sich nicht malen, und was er hier gemalt hat, möge ihm der Genius der Kunst verzeihen.
So hingerissen und freudetrunken, wie die O-Waihier von diesem Schauspiel waren, habe ich wohl nie bei einem andern Feste ein anderes Publikum gesehen. Sie warfen den Tänzern Geschenke, Zeuge, Juwelen zu.
Ich werde hier Geringfügiges berichten, doch tritt in dem Kinde der Charakter des Volkes hervor. Bei dem Tanz der Männer unter den Kokospalmen war mir ein Knabe sehr hinderlich, der vor mir stand und mir auf die Füße trat. Ich schob ihn unsanft von mir; er sah sich grimmig nach mir um, und ich las auf seinem verfinsterten Gesichte, daß ich einer Menschenseele weh getan habe. Ich entgegnete ihm mit einem erbosten Gesichte und der Pantomime des Wurfspießschwingens, als habe ich ihn zum Gegner und ziele nach ihm. Da war der Junge versöhnt und lachte mich an; hielt ich ihn für waffenfähig und mir gewachsen, so war es gut; aber sich stoßen und treten lassen, das wollte er nicht.
Ein anderes Schauspiel war uns verheißen – das Schauspiel volkstümlicher Waffenübungen von Fürsten und Edeln, einer Scheinschlacht, die, nicht ohne Gefahr bei der raschen Leidenschaftlichkeit dieses Volkes, leicht zu einer wirklichen werden kann. Die Waffe ist, wie man weiß, der Wurfspieß, der nicht mit erhobenem Arm wie von den Griechen, sondern mit gesenktem, längs der Erde, den Rücken der Hand einwärts, den Daumen nach hinten, geschwungen und von unten auf geschleudert wird. Die Fürsten tragen bei diesem Waffenspiel den Federmantel.
Dieses Schauspiel versäumt zu haben ist in meinem Leben ein unersetzlicher Verlust. Es sollte am 7. stattfinden und ward ausgesetzt. Am 8. unternahm der Kapitän nach der Gegend von Pearl River eine Jagdpartie, auf welcher er zwei Tage zubringen sollte. Ich benutzte diese Zeit zu einer Exkursion quer durch die Insel nach der Nordküste derselben. Kareimoku hatte mir zwei seiner Leute mitgegeben und mir in den Orten, wo ich einkehren sollte, einen gastlichen Empfang bereitet. Ich erstieg durch das Tal, welches hinter Hana-ruru liegt, den Kamm des Gebürges, da, wo er sich zu dem niedrigsten Col senkt. Den steil der Nordküste zugekehrten Absturz kletterte ich, wie man schon in der Schweiz tun lernt, mit nackten Füßen hinab. Ich übernachtete unten und kam über einen westlicheren, viel höheren Bergpaß und durch ein anderes Tal am Abend des 9. nach Hana-ruru zurück. Da war das Waffenspiel, das an diesem Tage stattgefunden, bereits zu Ende.
Manuja hatte eifrig, pünktlich und liebevoll die Aufträge seines Herrn befolgt, das Holzfällen und -heranbringen besorgt usw. Er wurde hinwiederum beauftragt, dem Könige, was noch für ihn bestimmt war, zurückzubringen. Er selber wurde reichlich beschenkt.
Am 13. Dezember waren wir reisefertig. Ich bemerke beiläufig, daß die Europäer auf den Sandwich-Inseln die Zeitrechnung von West in Ost über Kanton erhalten haben, so daß wir, die wir die Zeit von Ost in West mitbrachten, einen Tag gegen sie im Rückstand waren, wie in Kamtschatka und den russischen Ansiedelungen der Fall gewesen war. Derselbe Unterschied fand zwischen Nachbarn, San Francisco und Port Bodega, statt. Wenn man sich mit dem alten und dem neuen Kalender, der Zeitrechnung von Osten her und von Westen her, der Zeit von Greenwich und der von dem Schiffe, der mittleren und der wirklichen Zeit, der Sonnenzeit und der Sternenzeit, dem astronomischen Tag usw. abzufinden hat, so ist es nicht leicht zu sagen, was es an der Zeit ist. Ich rechne bis zur Vollendung des Kreises die Längengrade West von Greenwich und die Tage nach dem neuen Kalender und nach fortlaufender Schiffsrechnung.
Am 14. Dezember 1816, morgens um sechs Uhr, forderten wir durch einen Kanonenschuß den Lotsen, der mit etlichen Doppelkanots herbeikam. Wir wurden aus dem Hafen herausbugsiert. Kareimoku kam an Bord. Wir salutierten die königlich o-waihische Flagge, die über dem Fort wehte, mit sieben Schüssen, die das Fort Schuß für Schuß erwiderte. Sodann salutierte uns das königliche Wachtschiff, die »Kahu-manu«, mit sieben Schüssen, die wir wiederum mit gleicher Anzahl erwiderten. Um acht Uhr waren wir aus dem Hafen; Kareimoku und seine Begleiter nahmen von uns zärtlichen Abschied. Als sie sich in ihre Kanots wieder eingeschifft und von uns abstießen, salutierten sie uns mit einem dreimaligen Hurra, das wir gleicherweise erwiderten.