Adelbert von Chamisso
Reise um die Welt
Adelbert von Chamisso

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Die Bucht, worin wir waren, erhielt den Namen Eschscholtz; die Insel, in deren Schutz der »Rurik« vor Anker lag, den meinen. (Sie ist in meinen »Bemerkungen und Ansichten« ungenannt.) Sowohl auf der sandigen Landzunge, auf welcher wir bivouakierten, als auf der urfelsigen Insel war die Variation der Magnetnadel durchaus unregelmäßig.

Auf Exkursionen wie diese hatte meine Sekundenuhr von Schunigk zu Berlin die Ehre, Chronometerdienst zu tun; selbst ihrer nicht bedürftig, hatte ich sie dem Kapitän zum Gebrauch ganz überlassen. Nach zweitägigem Bivouak, wobei uns das englische Patentfleisch (frisches Fleisch und Brühe in Blechkasten eingefüllt, die ohne leeren Raum zugelötet sind) sehr guten Dienst geleistet hatte, kehrten wir am dritten Tage, am 9. August morgens, zu dem Schiffe zurück. Während unserer Abwesenheit hatten uns die Eingeborenen auf zwei Baidaren einen Besuch zugedacht, der aber nach dem Befehl des Kapitäns nicht angenommen worden war. Der Hintergrund von Kotzebues-Sund ist unbewohnt, und man findet an dessen Ufern nur Landungs- und Bivouakplätze der Eingeborenen. Ein solcher findet sich zum Beispiel auf der Chamissos-Insel und ein anderer bei den Eisbergen der Eschscholtz-Bucht; diesen besuchen sie vielleicht hauptsächlich nur, um Elfenbein zu sammeln.

Es regnete am 10. August; nachmittags klärte sich das Wetter auf, und wir gingen unter Segel. Es blieb uns ein Teil der südlichen Küste zu untersuchen. Wir warfen die Anker, als es dunkelte, und wurden von Eingeborenen besucht. Wir nahten uns am 11. einem hohen Vorgebürge – das Kap »Betrug« der Karte –; von welchem aus etliche Baidaren an uns ruderten. Zwischen diesem Vorgebürge und dem nördlich von ihm liegenden Kap Espenberg fand sich die niedrige Küste von einer weiten Bucht ausgerandet. Die Tiefe des Wassers nahm ab; wir warfen die Anker und trafen sogleich Anstalten, ans Land zu fahren. Dort ließ sich die Mündung eines Flusses erwarten. – Es war schon spät am Nachmittag; ein dichter Nebel überfiel uns und zwang uns, an das Schiff zurückzukehren. Wir bewerkstelligten am 12. früh die beabsichtigte Landung, aber die stark abnehmende Tiefe des Wassers erlaubte uns nur, auf einem sehr entfernten Punkte, beiläufig sechs Meilen vom Schiffe, anzufahren. Ein Kanal, der sich durch die Niederung schlängelt, ins Meer mündet und in welchen der Strom landeinwärts hineinzusetzen scheint, beschäftigte den Kapitän. Ich fand ihn, wie ich von einer botanischen Exkursion zurückkehrte, mit einem Eingeborenen, von dem er einige Auskunft über die Richtung und Beschaffenheit jenes Stromes zu erhalten sich bemühte. Dieser Mann, der mit seiner Familie allein sein Zelt hier aufgeschlagen hatte, war mit seinem Knaben, kampffertig, den Pfeil auf dem Bogen, dem Kapitän entgegengetreten, als sich dieser mit vier Mann Begleitung gezeigt. Er hatte sich entschlossen, mutig und klug benommen, wie einem tapfern Mann gegen Fremde geziemt, die ihm an Kraft überlegen sind und deren Gesinnung er verdächtigen muß. Der Kapitän, indem er seine Begleiter entfernte und allein und ohne Waffen auf ihn zuging, hatte den Mann beschwichtigt, und Geschenke hatten den Frieden besiegelt. Der Eskimo hatte ihn gastlich unter seinem Zelte aufgenommen, wo er sein Weib und zwei Kinder hatte; doch schien ihm nicht heimlich bei den zudringlichen Fremden zu werden. Ich maßte mir auch hier mein altes Dolmetscheramt an; ich stellte mich pantomimisch, als ruderte ich den Strom landeinwärts, und fragte den Freund mit Blick und Hand: wohin? und wann? Er faßte sogleich die Frage und beantwortete sie sehr verständig: »Während neun Sonnen rudern, während neun Nächte schlafen, Land zur Rechten, Land zur Linken; – dann freier Horizont, freies Meer, kein Land in Sicht.« – Ein Blick auf die Karte berechtigt zu der Vermutung, daß dieser Kanal, mit dem sich der Strom der Schischmarew-Bucht vereinigen mag, nach dem Norton-Sound führen kann.

Sobald es unserm Freunde gelang, von uns abzukommen, brach er sein Zelt ab und zog mit seiner Familie an das entgegengesetzte Ufer. Wir aber richteten uns für die Nacht ein, am Fuß eines Hügels zu bivouakieren, der mit Grabmälern der Eingeborenen gekrönt war. Die Toten liegen über der Erde, mit Treibholz überdeckt und vor den Raubtieren geschätzt; etliche Pfosten ragen umher, an denen Ruder und andere Zeichen hangen. Unsere habsüchtige Neugierde hat diese Grabmäler durchwühlt; die Schädel sind daraus entwendet worden. Was der Naturforscher sammelte, wollte der Maler, wollte jeder auch für sich sammeln. Alle Gerätschaften, welche die Hinterbliebenen ihren Toten mitgegeben, sind gesucht und aufgelesen worden; endlich sind unsere Matrosen, um das Feuer unseres Bivouak zu unterhalten, dahin nach Holz gegangen und haben die Monumente zerstört. – Es wurde zu spät bemerkt, was besser unterblieben wäre. Ich klage uns darob nicht an; wahrlich, wir waren alle des menschenfreundlichsten Sinnes, und ich glaube nicht, daß Europäer sich gegen fremde Völker, gegen »Wilde« (Herr von Kotzebue nennt auch die Eskimos »Wilde«) musterhafter betragen können, als wir allerorten getan; namentlich unsere Matrosen verdienen in vollem Maße das Lob, das ihnen der Kapitän auch gibt. – Aber hätte dieses Volk um die geschändeten Gräber seiner Toten zu den Waffen gegriffen: wer mochte da die Schuld des vergossenen Blutes tragen?

Die Ankunft einer zahlreichen Schar Amerikaner, die von der Gegend des Kap Betruges auf acht Baidaren anlangten und ihr Bivouak uns gegenüber aufschlugen, beunruhigte uns während der Nacht. Ihre Übermacht gebot Vorsicht; wir hatten Wachen ausgestellt und die Gewehre geladen. Wir nahmen gegen sie die Stellung an, in der sich kurz zuvor einer von ihnen gegen uns gezeigt hatte. Einem lästigen Besuch auszuweichen, ließ der Kapitän noch bei Nacht das Bivouak abbrechen und zu den Rudern greifen. Aber es war die Zeit der Ebbe, und das Meer brandete über Untiefen, die wir bei hoher Flut nicht bemerkt hatten. Der Kapitän scheint unsere Lage für sehr mißlich gehalten zu haben. »Ich sah keinen Ausweg, dem Tode zu entrinnen«, das sind seine Worte. Ich war freilich auf der Baidare, die nur geringerer Gefahr ausgesetzt gewesen sein mag. Indes setzte der anbrechende Tag unserer Verlegenheit ein Ziel, und wir erreichten, nicht ohne große Anstrengung von seiten der Matrosen, wohlbehalten das Schiff.

Wir lichteten am 13. August die Anker, nachdem wir noch den Besuch von zwei Baidaren der Eingebornen empfangen. Wir näherten uns dem hohen Vorgebirge, das auf der Nordseite den Eingang des Sundes begrenzt. Eine wohlbewohnte Niederung liegt vor dem Hochlande und vereinigt die Bergmassen, die von der See her als Inseln erscheinen mögen.

Der Hauptzweck unserer Sommerkampagne war befriedigend erreicht, und wir setzten hier unsern Entdeckungen ein Ziel. In die Nebel wieder eintauchend, durchkreuzten wir das nördlich der Straße belegene Meerbecken zu der asiatischen Küste hinüber, längs welcher wir hinausfahren wollten, um dann in die Sankt-Laurenz-Bucht im Lande der Tschuktschi einzulaufen. Wir hätten vielleicht die Zeit, die wir in der Sankt-Laurenz-Bucht verbracht, auf eine Rekognoszierung nach Norden anwenden können und sollen, welche Rekognoszierung bei günstigen Umständen erfolgreicher ausfallen konnte als bei ungünstigern die beabsichtigte zweite Kampagne.

Der Südwind blies fortwährend und verzögerte unsere Fahrt; die Tiefe des Wassers nahm zu, die Temperatur nahm ab, und auch das Meer ward in der Nähe der winterlichen asiatischen Küste kälter gefunden. Wir lavierten in der Nacht vom 18. zum 19. gegen Wind und Strom, um zwischen dem Ostkap und der Insel Ratmanow durch die Straße zu kommen; und am Morgen, als wir die Höhe der Sankt-Laurenz-Bucht erreicht zu haben meinten, waren wir noch am Ostkap und nicht vorgeschritten (dreißig Faden ist die größte Wassertiefe, die auf der Karte verzeichnet ist). Da ein Lichtblick durch die Nebel uns das Vorgebürge erblicken ließ, steuerten wir dahin, warfen gegen Mittag die Anker in dessen Nähe und fuhren sogleich in zwei Booten an das Land. Die Tschuktschi empfingen uns am Strande wie einen Staatsbesuch, freundschaftlich, aber mit einer Feierlichkeit, die uns alle Freiheit raubte. Sie ließen uns auf ausgebreitete Felle sitzen, aber luden uns in ihre Wohnungen nicht ein, die weiter zurück auf dem Hügel waren. Nach empfangenen Geschenken folgten uns ihrer etliche, und darunter die zwei Vornehmern, an das Schiff. Diese, bevor sie an Bord stiegen, schenkten dem Kapitän jeder einen Fuchspelz und kamen dann furchtlos mit ihrem Gefolge herauf. Herr von Kotzebue, der sie in seine Kajüte zog, wo ein großer Spiegel sich befand, bemerkt bei dieser Gelegenheit, »daß die nordischen Völker den Spiegel fürchten, die südlichen hingegen sich mit Wohlgefallen darin betrachten«.

Wir benutzten einen Hauch des Nordost, der sich am Nachmittag spüren ließ, um sogleich unter Segel zu gehen. Walrosse, die wir am vorigen Tage einzeln gesehen, bedeckten, wie wir das Ostkap umfuhren, in unzählbaren Herden das Meer und erfüllten die Luft mit ihrem Gebrüll; zahlreiche Walfische spielten umher und spritzten hohe Wasserstrahlen in die Höhe. Wir steuerten bei Regen und Nebel nach der Sankt-Laurenz-Bucht. Am 20. mittags, als wir eben vor dem Eingange derselben waren, klärte das Wetter sich auf, und wir ließen um drei Uhr die Anker hinter der kleinen sandigen Insel fallen, die den Hafen bildet.

Vom nächsten Ufer, auf welchem die Zelte der Tschuktschi den Rücken eines Hügels einnahmen, stießen zwei Baidaren ab, in deren jeder zehn Mann saßen. Sie näherten sich uns mit Gesang, hielten sich aber in einigem Abstande vom Schiffe, bis sie herbeigerufen wurden und dann ohne Furcht das Verdeck bestiegen. Wir trafen Anstalt, selber ans Land zu fahren, und unsere Gäste, mit unserer Freigebigkeit zufrieden, folgten uns. Sie ruderten auf ihren leichten Fahrzeugen viel schneller als unsere Boote und belustigten sich, unsere Matrosen vergeblich mit ihnen wetteifern zu sehen.

Moorgrund und Schneefelder in der Tiefe; wenige seltene Pflanzen, die den alpinischen Charakter im höchsten Maße tragen. Die Hügel und Abhänge zertrümmertes Gestein, worüber Felsenwände und Zinnen sich nackt und kahl erheben, schneebedeckt, wo nur der Schnee liegen kann. – Starres Winterland.


Tschuktschen vor ihren Wohnungen

Es waren zwölf der Zelte von Tierhäuten, groß und geräumig, wie wir noch keine gesehen. Ein alter Mann hatte Auctorität über die Völkerschaft. Er empfing aufs ehrenvollste den Gast, dessen Erscheinung ihm jedoch bedrohlich scheinen mochte. Die Tschuktschi sind in ihren Bergen ein unabhängiges Volk und nicht geknechtet. Sie anerkennen die Oberherrschaft Rußlands nur insofern, daß sie den Tribut auf den Marktplätzen bezahlen, wo sie zu wechselseitigem Vorteil mit den Russen handeln. Einer der aus Kamtschatka mitgenommenen Matrosen, der etwas Kariakisch sprach, machte sich hier notdürftig verständlich. Der Kapitän teilte Geschenke aus und weigerte sich, welche anzunehmen, was diesen Leuten seltsam bedünkte. Er wollte nur frisch Wasser und – etliche Rentiere. Rentiere wurden versprochen, aber sie aus dem Innern zu holen würde ein paar Tage Zeit kosten. Man schied zufrieden auseinander.

Ich kann einen Zug nicht unterschlagen, der mir zu dem Bilde dieser Nordländer bezeichnend zu gehören scheint und aus dem namentlich der Gegensatz hervorgeht, in welchem sie zu den anmutsvollen Polynesiern stehen. Einer der Wortführer bei der vorerwähnten wichtigen Konferenz, während er vor dem Kapitän stehend mit ihm sprach, spreizte, unbeschadet der Ehrfurcht, die Beine auseinander und schlug unter seiner Parka sein Wasser ab.

Alle Anstalten waren getroffen, um am andern Tage eine Fahrt in Booten nach dem Hintergrunde der Bucht zu unternehmen. Das Wetter war am 21. ungünstig, und die Partie ward ausgesetzt. Die Tschuktschi aus Nuniago in der Metschigmenskischen Bucht (wo einst Cook gelandet) kamen auf sechs Baidaren, uns zu besuchen. Sie ruderten singend um das Schiff, an dessen Bord sie dann zutraulich stiegen. Sie stifteten Freundschaft mit den Matrosen, und ein Glas Branntwein erhöhte ihre Fröhlichkeit. Sie bezogen Bivouak am Strande, wo wir sie am Nachmittag besuchten und ihren Tänzen zusahen, die für uns wenig Reiz hatten.

Wir vollführten am 22. und 23. August mit Barkasse und Baidare die beabsichtigte Exkursion, deren Ergebnis in die Karte von Herrn von Kotzebue niedergelegt ist. Das Innere der Bucht ist unbewohnt. Am Ufer, wo wir am ersten Tage Mittagsrast hielten, erhielten wir etliche Wasservögel und zwei frisch getötete Robben von tschuktschischen Jägern, die anfangs die Flucht vor uns ergreifen wollten, aber durch unsere Geschenke uns zu Freunden wurden. Die Vögel versorgten unsern Tisch; die Robben ließen wir liegen, um sie am andern Tage an Bord zu nehmen. Da sie aber während der Nacht, wahrscheinlich von Füchsen, angefressen worden, verschmähten wir sie ganz. Im Hintergrunde der Bucht, wo wir unser Bivouak aufschlugen, hatte sich die Ansicht des Landes und der Vegetation nicht verändert. Die Weiden erhoben sich kaum etliche Zoll über den Boden. Die Felsen um uns waren von weißem, kristallinischem Marmor. Es fror Eis während der Nacht.

Gegen Mittag am Schiff angelangt, ward uns die Nachricht, daß unsere Rentiere angekommen. Wir fuhren ans Land, sie in Empfang zu nehmen. Etliche waren geschlachtet, die andern ließen wir vor unsern Augen schlachten. Das Renfleisch ist wirklich eine ganz vorzügliche Speise; aber wie köstlich schmeckt es nicht, wenn man eine lange Zeit hindurch zur Abwechslung vom alten Salzfleisch nur tranige Wasservögel oder ähnliches gekostet hat! Ich vergaß unsere Robben, die des Bisses eines Fuchses halber verworfen zu haben mir eine vorurteilsvolle, sträfliche Verschwendung geschienen hatte. Die Tschuktschi zerlegten in diesen Tagen einen Walfisch auf der sandigen Insel; sie boten uns Speckstücke an, aber wir begnügten uns mit unserm Renfleische.

Am Abend besuchten uns noch neue Ankömmlinge. Auf einer der Baidaren befand sich ein Knabe, dessen possenhaftes Mienenspiel mit etlichen Tabaksblättern belohnt wurde. Ermutigt durch den Erfolg, war er an Affenstreichen unerschöpflich, die er mit ursprünglicher Lustigkeit aufzuführen nicht ermüdete, immer neuen Lohn begehrend und einerntend. Das Lachen ist auch unter diesem Himmel, wie Rabelais treffend sagt, das Eigentümliche des Menschen, wenn nämlich der Mensch noch unabhängig seiner angebornen Freiheit sich erfreut. Wir werden bald auf Unalaschka die nächsten Verwandten dieser fröhlichen Nordländer antreffen, die das Lachen gänzlich verlernt haben. Ich habe sehr verschiedene Zustände der Gesellschaft kennengelernt und unter verschiedenen Gestaltungen derselben gelebt; ich habe Nachbarvölker gleiches Stammes gesehen, von denen diese frei und jene hörig genannt werden konnten: ich habe nimmer den Despotismus zu loben einen Grund gefunden. Freilich bedingt ein Freibrief, ein Blatt Papier, noch nicht allein die Freiheit und ihren Preis, und das Schwierigste, was ich weiß, ist der Übergang von der anerzogenen Hörigkeit zu dem Genuß der Selbständigkeit und Freiheit.

Wir wollten am 25. August unter Segel gehen; ungünstige Winde, Windstillen und Stürme hielten uns bis zum 29. im Hafen. Es ereignete sich am 28., daß einer der hier bivouakierenden Fremden Gewalt gegen einen unserer Matrosen brauchte und ihm mit gezücktem Messer eine Schere entriß. Einer der ansässigen Tschuktschi sprang schnell hinzu und ergriff den Täter, den, als die Sache zur Sprache kam, sein Chef bereits bestraft hatte. Er wurde dem Kapitän gezeigt, wie er büßend in engem Kreise unablässig in gleicher Richtung gleich einem Manegepferd laufen mußte; und der Vorfall hatte keine anderen Folgen, als uns zu zeigen, daß unter diesem Volke eine gute Polizei gehandhabt werde.

Wir liefen am 29. August 1816 frühmorgens aus der Sankt-Laurenz-Bucht aus und erduldeten am selben Abend einen sehr heftigen Sturm. Wir richteten unsern Lauf nach der Ostseite der Sankt-Laurenz-Insel, die der Kapitän aufnehmen wollte. Die Nebel vereitelten seine Absicht, und wir segelten am 31. vorüber, ohne Ansicht vom Lande zu haben. Untiefen machen die Fahrt auf der amerikanischen Seite dieses Meerbeckens gefährlich. – Wir steuerten nun nach Unalaschka. Am 2. September hatten wir den in diesen Meerstrichen seltenen Anblick der aufgehenden Sonne. Am 3. kam ein kleiner Landvogel (eine Fringilla) auf das Schiff, und ein Wasservogel (ein Colymbus) lieferte sich uns in die Hände und ließ sich greifen. Nachmittags ward vom Mastkorb die Insel Sankt Paul fern im Westen gesehen, und wir fuhren am Morgen des 4. an Sankt George vorüber, die uns ebenfalls im Westen blieb. Uns erfreute unerwartet an diesem Tage der Anblick eines Schiffes. Wir holten es ein und sprachen mit ihm. Es war ein Scunner der Russisch-Amerikanischen Kompanie, der Pelzwerke von Sankt Paul und Sankt George geholt hatte und nach Sitcha bestimmt war. Wir machten den Weg zusammen nach Unalaschka. Die Nacht war stürmisch und dunkel, und dabei leuchtete das Meer, wie ich es kaum schöner zwischen den Wendezirkeln gesehen. An den vom Kamm der Wellen bespritzten Segeln hafteten die Lichtfunken. Am Morgen des 5. waren wir in Nebel gehüllt und das andere Schiff nicht mehr zu sehen. Wir wußten uns in der Nähe des Landes und konnten es nicht sehen und konnten uns auf unsere Schiffrechnung nicht verlassen. Nachmittags wallte der Schleier auf einen Augenblick auf; wir sahen ein hohes Land, und sogleich war es wieder verschwunden. Wir lavierten die Nacht hindurch.

Am Morgen des 6. Septembers hatten wir ein herrliches Schauspiel. Ein dunkler Himmel überhing das Meer, die hohen zerrissenen, schneebedeckten Zinnen von Unalaschka prangten, von der Sonne beschienen, in roter Glut. Wir mußten den ganzen Tag im Angesichte des Landes gegen den widrigen Wind ankämpfen. Unendliche Flüge von Wasservögeln, die niedrig über dem Wasserspiegel schwebten, glichen von fern niedrigen schwimmenden Inseln. Zahlreiche Walfische spielten um unser Schiff und spritzten in allen Richtungen des Gesichtskreises hohe Wasserstrahlen in die Luft.

Diese Walfische rufen mir ins Gedächtnis, was ich einst von einem genialen Naturforscher ins Gespräch werfen hörte. Der nächste Schritt, der getan werden muß, der viel näher liegt und viel weiter führen wird als die Dampfmaschine mit dem Dampfschiffe, diesem ersten warmblütigen Tiere, das aus den Händen der Menschen hervorgegangen ist – der nächste Schritt ist, den Walfisch zu zähmen. Worin liegt denn die Aufgabe? Ihn das Untertauchen verlernen zu lassen! Habt ihr je einen Flug wilder Gänse ziehen sehen; und ein altes Weib gesehen, mit einer Gerte in der zitternden Hand ein halb Tausend dieser Hochsegler der Lüfte auf einem Brachfeld treiben und regieren? Ihr habt es gesehen und euch über das Wunder nicht entsetzt; was stutzt ihr denn bei dem Vorschlag, den Walfisch zu zähmen? Erziehet Junge in einem Fjord, ziehet ihnen einen von Schwimmblasen getragenen Stachelgurt unter die Brustflossen, stellt Versuche an! Wahrlich, beide Meere zu vereinigen und die Entfernung zwischen Archangel und Sankt Peter und Paul auf acht bis vierzehn Tage Zeit zu verringern ist wohl des Versuchens wert. – Ob übrigens der Walfisch ziehen oder tragen soll, ob und wie man ihn anspannt oder belastet, wie man ihn zäumt oder sonst regiert und wer der Kornak des Wasserelefanten sein soll, das alles findet sich von selbst.

Am 7. September 1816 brachte uns ein günstiger, aber schwacher Wind in den Eingang der Bucht, woselbst er uns zwischen den hohen Bergen der Insel plötzlich gebrach, so daß wir uns in einer ziemlich hülflosen Lage befanden, da dort kein Anker den Grund findet. Aber der Agent der Kompanie, Herr Kriukow, kam uns mit fünf zwanzigruderigen Baidaren entgegen und bugsierte uns in den Hafen. Wir ließen um ein Uhr die Anker vor Illiuliuk, der Hauptansiedelung, fallen. Das Dampfbad war vorsorglich für uns geheizt.

Herr Kriukow, verpflichtet durch den Befehl der Direktoren der Kompanie in Sankt Petersburg, die Forderungen des Herrn von Kotzebue zu erfüllen, war in allem gegen ihn von einer unterwürfigen Zuvorkommenheit. Von den wenigen Rindern, die auf der Insel sind, wurde sogleich eines für uns geschlachtet, und unsere Mannschaft ward mit frischem Fleische, Kartoffeln und Rüben versorgt, dem einzigen Gemüse, das hier gebaut wird.

Die Forderungen des Herrn von Kotzebue bestanden in folgendem: eine Baidare von vierundzwanzig Rudern, zwei einsitzige und zwei dreisitzige Baidaren verfertigen zu lassen; fünfzehn gesunde, starke Aleuten mit ihrer ganzen Ammunition für das nächste Frühjahr bereitzuhalten; Kamlaikas von Seelöwenhälsen für die sämtliche Mannschaft bis zu derselben Zeit zu beschaffen und sogleich einen Boten nach Kodiak abzufertigen, um dort durch den Agenten der Amerikanischen Kompanie einen Dolmetscher zu erhalten, der die an der nördlicheren Küste Amerikas gesprochene Sprache verstünde und übersetzen könnte. Die gefahrvolle Sendung zu übernehmen, fanden sich drei entschlossene Aleuten bereit.

Die dreisitzige Baidare ist nach dem Muster der einsitzigen gebaut, nur verhältnismäßig länger und mit drei Sitzlöchern versehen. Darin läßt sich ein Europäer, der in Aleutentracht mit Kamlaika und Augenschirm (gegen das Bespritzen der Wellen) den mittleren Sitz einnimmt, von zwei Aleuten fahren. Ich selber habe mich an einem schönen Sonntagsmorgen im Hafen von Portsmouth zur unendlichen Lust der Engländer auf die Weise in einer solchen Baidare fahren lassen.

Am 8. September morgens lief der »Tschirik«, der Scunner, den wir zur See gesehen, in den Hafen ein. Ein Preuße aus der Gegend von Danzig, Herr Binzemann, war Kapitän desselben.

Ein Preuße, der Kapitän eines zwischen Unalaschka und Sitcha fahrenden Scunners der Russisch-Amerikanischen Kompanie geworden ist, hat in der weiten Welt wohl manches erduldet und erlebt, wovon einer nichts träumt, der in seinem Leben nicht weiter gekommen als etwa von den unteren Bänken der Schule bis auf das Katheder. Herr Binzemann hatte nur ein Bein; das andere war ihm auf einem Schiffe, das er kommandierte, durch das Platzen einer Kanone zerschmettert worden. Er, der als Kapitän auch Schiffsarzt an seinem Borde war, ließ sich das nur noch an einigem Fleische hängende Glied von einem Matrosen mit dem Messer abkappen und verband sich dann den Stummel mit einem Pflaster von – spanischen Fliegen!! Diese improvisierte Kurmethode eines ohne Unterbindung der Arterien amputierten Gliedes ward durch den besten Erfolg gekrönt, und die Heilung ließ nichts zu wünschen übrig. Ich habe diese Geschichte hier aufzuzeichnen mich nicht erwehren können, weil dieselbe nebst den Berichten, die uns Mariner von den chirurgischen Operationen der Tonga-Insulaner mitteilt, die Ehrfurcht, die ich für die Chirurgie als den sehenden Teil der Heilkunde von jeher gehegt, zu erschüttern beigetragen hat.

Es ist uns ein längerer Aufenthalt auf dieser traurigen Insel verhängt. Nach einem flüchtigen Blick auf das Elend der geknechteten, verarmten Aleuten und auf ihre selbst unterdrückten Unterdrücker, die hiesigen Russen, verbrachte ich die Tage auf den Höhen schweifend, welche die Ansiedelung bekränzen, und ließ die anziehenden Gaben der Flora mich von den Menschen ablenken. Eschscholtz herborisierte seinerseits. Wir hatten erprobt, es sei besser, uns auf dem Lande zu trennen, da wir uns ohnehin auf dem Schiffe genugsam hatten.

Am 10. war das Fest des Kaisers, und ich borge zu dessen Beschreibung die Worte des Herrn von Kotzebue, I, Seite 167.

»Den 11. September. Zur Feier des Namenstages des Kaisers gab Herr Kriukow gestern der ganzen Equipage am Lande ein Mittagsmahl, und nachmittags begaben wir uns in eine große unterirdische Wohnung, wo eine Menge Aleuten zum Tanz versammelt waren. Ich glaube gewiß, daß ihre Spiele und Tänze in früherer Zeit, als sie noch im Besitz ihrer Freiheit waren, anders gewesen sind als jetzt, wo die Sklaverei sie beinahe zu Tieren herabgewürdigt hat und wo dieses Schauspiel weder erfreulich noch belustigend ist. Das Orchester bestand aus drei Aleuten mit Tamburins, womit sie eine einfache, traurige, nur drei Töne enthaltende Melodie begleiteten. Es erschien immer nur eine Tänzerin, welche ohne allen Ausdruck ein paar Sprünge machte und dann unter den Zuschauern verschwand. Der Anblick dieser Menschen, welche mit traurigen Gebärden vor mir herumspringen mußten, peinigte mich, und meine Matrosen, welche sich ebenfalls gedrückt fühlten, stimmten, um sich zu erheitern, ein fröhliches Lied an, wobei sich zwei von ihnen in die Mitte des Kreises stellten und einen Nationaltanz aufführten. Dieser rasche Übergang erfreute uns alle, und selbst in den Augen der Aleuten, welche bis jetzt mit gebückten Häuptern dagestanden, blitzte ein Strahl der Freude. Ein Diener der Amerikanischen Kompanie (Promischlenoi), welcher als rüstiger Jüngling sein russisches Vaterland verlassen und in dieser Gegend alt und grau geworden war, stürzte jetzt plötzlich zur Türe herein und rief mit gefalteten, zum Himmel erhobenen Händen: ›Das sind Russen, das sind Russen! O teures, geliebtes Vaterland!‹ Auf seinem ehrwürdigen Gesichte lag in diesem Augenblick der Ausdruck eines seligen Gefühles; Freudentränen benetzten seine bleichen, eingefallenen Wangen, und er verbarg sich, um seiner Wehmut sich zu überlassen. Der Auftritt erschütterte mich; ich versetzte mich lebhaft in die Lage des Alten, dem seine im Vaterlande glücklich verlebte Jugend jetzt in schmerzlicher Erinnerung vor die Seele trat. In der Hoffnung, im Schoße seiner Familie ein sorgenfreies Alter genießen zu können, war er hergekommen und mußte nun wie viele andere in dieser Wüste sein Leben enden.«

Die Russisch-Amerikanische Handelskompanie weiß durch Geldvorschüsse, die sie denen leistet, welche unternehmenden Geistes sich unter solchem Verhältnisse ihrem Dienste widmen, sie unter ihrem Joche zu erhalten. Dafür ist gesorgt, daß sie die Schuld zu tilgen nimmer vermögend werden, und, wie Friedrich vor seinem Militär gesagt haben soll: »Aus der Hölle gibt es keine Erlösung.«

Wir hatten Wasser eingenommen, die Arbeiten waren vollendet, und alles war am 13. September 1816 bereit, am andern Morgen mit Tagesanbruch die Anker zu lichten. Die Nacht brach ein, und Eschscholtz, der in die Berge botanisieren gegangen war, blieb aus und kam an das Schiff nicht zurück. Ich werde, sollte ich auch der Gefahr mich aussetzen, albern zu erscheinen, von der einzigen Begebenheit Meldung tun, wobei ich auf der ganzen Reise in Gefahr geschwebt zu haben mir bewußt bin. Kein Mensch hat Notiz davon genommen, kein Mensch hat es mir gedankt, und hier ist zum ersten Male die Rede davon. Der Kapitän beorderte mich mit etlichen Matrosen und Aleuten, den Doktor im Gebürge zu suchen, wo er sich beim Botanisieren verirrt haben mußte. Ich begehrte, daß uns ein paar Pistolen mitgegeben würden, um Signalschüsse machen zu können; es ward aber nicht beliebt. Ich führte meine Leute zu dem Absturz hin, der in den Bergkessel hinaufführte, den ich durchsuchen wollte. Die Matrosen meinten, man könne da nicht hinaufklettern. Als ich aber, der ich diesen Paß gut kannte, oben war, folgten mir alle, und wir erreichten von der innern Seite auf sanfterem Abhange die Felsenzinnen, deren Kamm ich verfolgen wollte. Da erscholl vom »Rurik« ein Kanonenschuß, der uns zurückrief. Ich überließ es nun meinen Aleuten, uns den richtigsten Weg von der Höhe, die wir erreicht hatten, zum Strande zu führen. Ich ward zu einer Schlucht geführt, die, vom schmelzenden Schneewasser eingerissen, von dem höchsten Felsenkamme, worauf wir standen, steil, fast senkrecht zum Meere abfiel. Ich nahm, wie sich's gebührt, die Vorhut, und einzeln, wie auf einer Leiter, folgten mir die andern nach; daß Steine rollten, war nicht zu vermeiden; wie in pechfinsterer Nacht ich und meine Leute, wir alle mit heiler Haut hinuntergekommen sind, habe ich später nicht begreifen können, wann ich zu dieser Schlucht hinaufgeschaut habe. Als ich mit den Matrosen am Bord anlangte, war der Doktor schon lange da, ich konnte ruhig zu Bette gehen; ich schlief noch, als wir den 14. September 1816 schon unter Segel waren.


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