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Biographien großer Männer – mögen sich diese nun im Felde der Wissenschaften, oder in dem der Waffen ausgezeichnet haben – werden, so wie dies zu allen Zeiten geschehen ist, auch fernerhin die Aufmerksamkeit des denkenden Menschen auf sich ziehen; denn immer ist es interessant, von dem Charakter, Leben, und den Gewohnheiten desjenigen so genau, als möglich, unterrichtet zu seyn, der entweder durch erhabene Thaten unsere Bewunderung erregt, oder uns die feinern Genüsse des Geistes verschafft. Je gegründeter nun diese Behauptung ist, desto schmerzlicher empfindet es auch der Beobachter, der Forscher, wenn die nähern Lebensumstände eines ausgezeichneten Mannes in ein geheimnisvolles Dunkel gehüllt sind, und ausgemacht ist es wohl, daß unser Jahrhundert gegen solche Männer sich – wenigstens in dieser Hinsicht – dankbarer bezeigt, als die frühern. Auch Cervantes gehört unter diejenigen, von denen uns nicht viel Bestimmtes aufbewahrt worden ist, und dies Wenige wollen wir, so viel, als möglich, zusammenhängend an einander reihen, um dem Leser einige Uebersicht von Cervantes Schicksalen zu geben und ihm anschaulich zu machen, wie der kühne, starke Geist dieses Mannes dem Unglück eines dürftigen Lebens, den Verfolgungen seiner Feinde, kurz, allen, auf ihn hereinbrechenden Leiden, trotzte, und dabei noch immer Kraft genug behielt, launige Werke zu schreiben und die treffenden Pfeile eines attischen Witzes auf die physischen und moralischen Gebrechen seines Zeitalters zu schleudern.
Miguel de Cervantes Saavedra ist geboren am 7. October 1547 zu Alcala de Henarez, denn obgleich auch Madrid, Sevilla, Lucena, und Esquivias, auf dem Vorzuge bestehen, daß der geniale Dichter in ihnen zuerst das Licht der Welt erblickt habe, so läßt doch folgendes Taufzeugniß, welches man vorgefunden hat, und welches auch zugleich über die Namen seiner Eltern hinreichende Auskunft gibt, keinen Zweifel mehr übrig.
»Sonntags, am 9. October 1547 wurde in der Parochialkirche Santa Maria la mayor zu Alcala de Henarez getauft: Miguel, der Sohn des Rodrigo de Cervantes und der Donna Leonor. Pathe war Juan Pardo, und Seine Ehrwürden, der Herr Baccalaureus Serrano, Prediger zu unserer lieben Frauen, taufte ihn. Dies bezeugt Balthasar Vasques, Sakristan, und ich, der ihn getauft, bezeuge es mit meinem Namen: Baccalaureus Serrano.«
Die ersten sieben Jahre seines Lebens brachte er in seiner Vaterstadt zu, hierauf zogen aber seine Eltern von da nach Madrid. Schon in der unreifern Kindheit wehte der Genius der Dichtung den Knaben mit seinen goldenen Schwingen an; Alles was ihn umgab, wußte seine reiche, blühende Phantasie zu den lieblichsten Bildern umzugestalten, und dieses muthige Streben, auch auf dem dürren Felsen der kargen, ehernen Wirklichkeit die lieblich duftenden Blumen der Poesie zu pflanzen und mit liebender Hand zu pflegen, ist ihm bis an das Ende seines Lebens geblieben.
Die reifern Jünglingsjahre widmete er, unter der Leitung des vortrefflichen Juan Lopez, dem Studium der schönen Wissenschaften; denn obgleich seine unbemittelten Eltern wünschten, daß er Medizin, oder Theologie studiren sollte, so erlaubte doch sein Feuergeist ihm nicht, sich an ein kaltes Brotstudium zu fesseln, sondern er schwebte empor zu den Regionen eines reinern, höheren Lichtes, in welchem Streben er durch den Umstand noch mehr bestärkt wurde, daß er in Madrid Gelegenheit hatte, die Schauspiele des, eben so guten dramatischen Dichters, als geschätzten Schauspielers Lope de Rueda zu sehen. In seinem 21. Jahre, also 1568, hatte er schon eine Menge kleinerer Gedichte, als Romanzen, Elegien und Sonette geliefert und auch ein Schäfergedicht, Filena, geschrieben, doch leider wurden diese, seine ersten Versuche nur lau aufgenommen.
Schwer fiel nun die eherne Hand eines unglücklichen Schicksals auf seinen Nacken, denn seine Neigung zu den schönen Wissenschaften zog ihn von allen Beschäftigungen ab, welche ihm Unterhalt und Nahrung hätten sichern können, und er sah sich der größten Dürftigkeit Preis gegeben. Freilich wird mancher kaltsinnige Beurtheiler, der an der Stelle des Herzens etwa ein Lexikon, eine Grammatik, ein Theorema Pythagoricum oder etwas dergleichen im Busen trägt, behaupten, Cervantes hätte seine Leidenschaften zügeln, hätte das Nützliche dem Angenehmen vorziehen sollen, und diese Behauptung mag auch so ganz unrecht nicht seyn; indeß, wer vermag es, dem aufstrebenden Genius Fesseln anzulegen, oder ihn durch die Bleigewichte der gewöhnlichen Lebensverhältnisse zur niedern Erde herabzuziehen?
Kurz, der größte Mangel drückte unsern Cervantes danieder, und wie er sah, daß ihm sein Vaterland auch nicht die geringsten Hülfsmittel darbot, entschloß er sich, dasselbe zu verlassen, und ging 1569 nach Italien, wo er Kammerdiener beim Cardinal Giuglio Aquaviva wurde. Freilich war ein großer Abstand zwischen einem freien Priester der Pierinnen und dem Diener eines geistlichen Herrn – indeß, was thut nicht die Nothwendigkeit, wenn sie mit rauhen Händen eingreift in das Leben des Menschen? Gewiß fühlte Cervantes in seinem edeln, für das höhere Schöne, für ein idealisches Leben gestimmten Herzen das Traurige seiner Lage, und mancher Seufzer über dieselbe mag in einsamen Nächten seiner Brust entstiegen seyn; denn nicht leicht ist wohl etwas drückender, als wenn der denkende, feinfühlende Mensch sich in einer, seiner unwürdigen, Abhängigkeit befindet.
Indes brach 1570 der Krieg gegen die Türken aus, und Cervantes fand dabei Gelegenheit, die unrühmlichen Fesseln zu zerbrechen, die ihn belasteten, denn er folgte den Fahnen des Herzogs von Pagliano, Marco Antonio Colonna, welchen der Papst Pius V. zum Befehlshaber der Truppen und Galeeren ernannt hatte, die er abschickte, um Cypern zu schützen und das, von den Türken schon belagerte Nicosia zu entsetzen, welches Letztere indeß nicht gelang, denn diese Stadt fiel noch in demselben Jahre durch Sturm in die Hände der Türken. Cervantes zeichnete sich bei jeder Gelegenheit aus, denn nothwendig mußte das Imposante des Krieges und der, in der Ferne winkende Lorbeer auf einen Geist, wie der seinige war, die erhabensten Wirkungen hervorbringen und ihn zu den herrlichsten Thaten anfeuern.
Im folgenden Jahre, 1571, wurde die siegreiche, aber blutige Schlacht bei Lepanto geschlagen, wo Cervantes den unerschrockensten Muth und die größte Kaltblütigkeit in Gefahren zeigte, aber auch bei dieser Gelegenheit sein Blut vergoß, denn er verlor die linke Hand. Demungeachtet war sein Geist viel zu sehr entflammt, als daß er auf den Ruhm, die Waffen zu tragen, hätte Verzicht leisten sollen, vielmehr begab er sich 1572, nachdem seine Wunde im Hospital zu Messina war geheilt worden, nach Neapel, und diente daselbst unter den Truppen Philipps II., bis zum Jahre 1575.
Wahrscheinlich erwachte aber doch in ihm die Lust, sein Vaterland wieder zu sehen, und da eben die Galeere el Sol nach Spanien unter Segel ging, so benutzte er diese Gelegenheit, um ebenfalls dorthin zurück zu kehren. Wer vermag es aber, zu sagen: Das will ich thun! Das unerbittliche Fatum streckt die eherne Rechte aus, und – zertrümmert sind die Anschläge der Sterblichen. Frohen Muthes schaute Cervantes dahin auf der Spiegelfläche des Meeres und sehnte sich nach dem Anblicke der heimischen Gestade, da kam daher gesegelt auf den grünlichen Fluthen der stolze Arnaute Mami, ein albanesischer Renegat und berühmter algierischer Seeräuber – die schwache Galeere wurde genommen und Cervantes und Alle seine Reisegefährten kamen in Gefangenschaft.
Leiden, welche gewöhnliche Begleiter der Christensklaven in der Barbarei sind, mußte der unglückliche Cervantes erdulden, denn Mami war im höchsten Grade unmenschlich, und bezeigte sich, wie die meisten Renegaten, wenn auch nicht aus Neigung, aber doch aus Politik, höchst feindselig gegen die Christen. An dem kühnen Muth unseres Helden aber zersplitterte sich die Macht des Augenblickes, und vergeblich bemühte sich das Schicksal, seinen stolzen Nacken zu beugen, denn anstatt niedergedrückt zu werden durch die harte Behandlung seines Tyrannen, strengte die Federkraft seines Geistes sich nur immer mehr zu den verwegensten Versuchen zur Wiedererlangung seiner Freiheit an, welche leider alle mißlangen, aber auch bei seinen Feinden Bewunderung erregten.
Ein griechischer Renegat, Namens Hassan, besaß in der Gegend von Algier, nicht weit vom Ufer des Meeres, einen Garten, dessen Besorgung er einem Christensklaven aus Navarra anvertraut hatte, Zu diesem floh Cervantes im Februar 1577 und verbarg sich in einer, von demselben schon früher mit vieler Anstrengung gegrabenen Höhle, um daselbst den Augenblick einer möglichen Befreiung abzuwarten. Ihm war es aber nicht genug, sich selbst zu befreien – auch Andern wollte er die Freiheit verschaffen, und sammelte daher, bis zum August desselben Jahres in seinem Schlupfwinkel noch funfzehn andere Christensklaven, deren Anführer, deren Seele er war.
Nach und nach hatten sie, der Himmel weiß, auf welche Art, so viel Geld zusammengebracht, daß ein Mallorkaner, Namens Viana, sich loskaufen konnte; dieser versprach, in Mallorka ein Fahrzeug zu kaufen, mit demselben zurück zu kommen und sie nach dem christlichen Lande zu führen. Er reiste ab, und nun war Cervantes allein derjenige, der die schwankenden Gemüther seiner Gefährten aufrecht erhielt, ihnen Muth einsprach und, oft mit augenscheinlicher Lebensgefahr Nahrungsmittel herbei schaffte.
Der edle Mallorkaner hielt Wort. Kaum in seinem Vaterlande angelangt, gestattete er sich nicht die geringste Ruhe, sondern bot augenblicklich alles Mögliche auf, seinen gefangenen Brüdern Hülfe zu schaffen. Er stellte dem Vicekönige vor, in welchem Elend seine unglücklichen Gefährten schmachteten, wie sie mit Sehnsucht über das Meer hinblickten, nach der Gegend zu, von wannen Rettung kommen sollte; er berührte den Umstand, daß sie ihn selbst für einen treulosen Verräther halten müßten, wenn er nicht zu ihrer Befreiung zurück eilte, und siehe, die beredsame Sprache der Wahrheit siegte. Der edle Viana wurde in den Stand gesetzt, ein schnell segelndes Fahrzeug zu kaufen und auszurüsten; mit diesem steuerte er voll Hoffnung, sein edles Unternehmen durch einen glücklichen Erfolg gekrönt zu sehen, nach den Küsten von Afrika.
Auch die, von der immerwährenden Furcht vor Entdeckung Gequälten, wurden durch den Schimmer der Hoffnung getäuscht, denn der kühne Viana näherte sich in der Nacht vom 28. September dem Ufer gänzlich, und wurde von dem Navarrer entdeckt, welcher voller Freude diese frohe Nachricht seinen, in der Höhle weilenden Gefährten hinterbrachte. Aber nichts ist trügerischer, als die Hoffnung! Leichtgläubig folgt der arme Sterbliche ihren reizenden, mit magischem Rosenschimmer umflossenen Bildern, er glaubt ihr Anker habe festen Grund gefaßt – da reißt ein Sturmwind denselben los aus dem lockern Flugsande, und die täuschenden Bilder verschwinden in Nacht und Grauen.
So ging es auch den armen, auf Erlösung Harrenden, denn eben wollte der Befreier den verrätherischen Strand betreten, da bemerkten ihn und seine Begleiter einige dort lustwandelnde Mohren, erkannten sie für Christen und riefen nach Hülfe, indem sie wohl einen feindlichen Ueberfall befürchten mochten, wodurch der arme Viana genöthigt wurde, sich so schnell, als möglich wieder zu entfernen, um nicht auch seine Freiheit wieder einzubüßen, ohne daß er seinen Freunden helfen konnte.
Nun waren denn die Gefangenen wieder verlassen, allein noch hatte ihr Unglück seinen höchsten Gipfel nicht erreicht, noch war das Schicksal nicht müde, sie mit seinen Streichen zu verfolgen, denn noch harrten sie auf Viana's Wiederkunft, da traf sie der Blitz des Unglücks von einer Seite, wo sie es am wenigsten erwartet hatten. Cervantes hatte nämlich schon früher einem andern Christensklaven, den sie nur den Vergolder nannten, in Hoffnung auf eine thätige Beihülfe desselben, ihren Plan mitgetheilt; dieser Mensch verbarg aber, wie die Schlange unter der goldschimmernden Haut, unter einem gleißnerischen Aeußern eine schwarze Seele. Schon früher hatte er, bloß vom Eigennutz angetrieben, den christlichen Glauben verlassen, zum Coran geschworen, und war dann, wahrscheinlich aus gleichen Gründen, wieder zum Christenthum übergetreten; auch jetzt verleitete ihn Eigennutz nicht allein zu einer wiederholten Abtrünnigkeit von dem Glauben seiner Väter, sondern auch zu noch einem zweiten, fast eben so schändlichen Verbrechen, zur Verrätherei.
Er begab sich am letzten Tage des Decembers zum Dey von Algier, Hassan Aga, erklärte sich bereit, Muhameds Lehre wieder anzunehmen, verrieth das Vorhaben des Cervantes und der übrigen bei demselben befindlichen Christen, und zugleich auch den Ort, wo dieselben sich verborgen hatten. Von Wuth entbrannt, sandte der Dey die Vollstrecker seines Zorns, ließ den Gärtner nebst den verborgenen Christen aus dem Schlupfwinkel reißen und vor sich bringen und fragte mit Strenge und unter fürchterlichen Drohungen: wer der Rädelsführer bei dem Unternehmen gewesen sey?
»Ich war es,« antwortete Cervantes; »verzeihe meinen Brüdern, mich aber laß umbringen.«
Der unerschütterliche Muth unseres Cervantes imponirte dem Dey; er begnadigte die Gefangenen, ließ nur den Gärtner spießen und behielt den Cervantes in seinem Hause, denn weil er wußte, daß der Comthur von Valencia, Jorge Olivar Mercenario, der in Algier für die Provinz Arragon mit dem Auslösungsgeschäft beauftragt war, zu Cervantes Freunden gehörte, so hoffte er durch denselben ein bedeutendes Lösegeld zu erhalten; indeß reklamirte Mami seinen Sklaven, und so kam Cervantes wieder in die Hände seines ersten Gebieters, der, ungeachtet seiner Unmenschlichkeit, doch die standhafte Entschlossenheit des edeln Spaniers bewundern mußte, und ihm das Leben ließ.
Durch einen unglücklichen Zufall, durch die Verrätherei eines treulosen Freundes, war dem unglücklichen Cervantes nun freilich der erste Versuch, die verlorne Freiheit wieder zu erringen, vereitelt worden; allein der Muthige, läge er auch in den härtesten Ketten, erzittert keinem wechselnden Geschick, und wenn Fortuna ihm den Rücken wendet, strebt er desto eifriger, sie zu erreichen und am Saum ihres flatternden Gewandes zu fassen. Auch Cervantes wurde durch das Mißlingen dieses ersten Planes nicht muthlos gemacht, sondern er versuchte es noch viermal, und zwar mit der größten Lebensgefahr, die ersehnte Freiheit zu erringen; aber jedesmal war es vergebens. Und doch wurde sein felsenfester Muth durch dieses ununterbrochene Fehlschlagen seiner süßesten Hoffnungen nicht gebeugt, sondern nur beharrlicher und vorsichtiger gemacht; der Unglückliche strengte alle Kräfte seines Geistes an, um ein Mittel zu ersinnen, wodurch er sich unfehlbar befreien würde, und da er wohl einsah, daß er durch bloße List nicht leicht zu seinem Zwecke gelangen würde, so entschloß er sich zur offenbaren Gewalt.
Wahrlich, ein kühner Geist mußte es seyn, der unter solchen Umständen einen solchen Entschluß fassen, ja, wirklich zur Ausführung desselben schreiten konnte, und wenn der Plan auch nicht gelang, so verdient doch gewiß der erhabene Muth, womit er entworfen war, allgemeine Achtung, denn Cervantes hatte nichts Geringeres im Sinne, als unter sämmtlichen Sklaven eine Empörung zu bewirken und Algier auf diese Art in seine Gewalt zu bekommen. Auch dieses Unternehmen, wohl werth eines glücklichern Erfolgs, scheiterte an dem Unglücke des edeln Saavedra – die Verschwörung wurde entdeckt, allein der Dey konnte sowohl dem Muthe, als auch der Klugheit des Empörers seine Achtung und Bewunderung nicht versagen, und begnadigte denselben.
Indeß fürchtete er ihn auch und er soll geäußert haben: er hielte sich selbst, seine Stadt, seine Sklaven und seine Flotte nur dann für sicher, wenn der einhändige Spanier in der strengsten Verwahrung wäre; weshalb er ihn auch dem Arnauten Mami für den hohen Preis von 500 Piastern abkaufte und ihn in Fesseln legen ließ, ob er ?gleich den Heldenmuth des edeln Sklaven nothgedrungen ehren mußte, wovon auch im Don Quixote, in der Erzählung des befreiten Christensklaven, ein Anklang befindlich ist, denn diesem legt Cervantes die Worte in den Mund: ›Der Dey habe nur gegen einen spanischen Soldaten, Namens Saavedra, Nachsicht gezeigt, ob dieser gleich zu seiner Befreiung mehrere Versuche gemacht hätte, an welche die Ungläubigen noch viele Jahre denken würden.‹
Indeß hatte Cervantes sich auch wiederholt schriftlich nach seinem Vaterlande gewendet und um seine Auslösung nachgesucht, worauf seine Mutter, ob sie gleich Wittwe und nichts weniger als reich war, und seine Schwester, Donna Andrea de Cervantes, sich 1579 nach Madrid begaben und den Trinitariern, welche das Geschäft der Auslösung zu besorgen hatten, 300 Dukaten einhändigten. Diese beiden Trinitarier, Juan Gil und Antonio de la Vella, kamen im Mai 1580 nach Algier, fanden aber wegen der Auslösung des Cervantes große Schwierigkeiten, indem der Dey eine weit bedeutendere Summe verlangte, als die, welche sie ihm bieten konnten. Lange dauerten deshalb die Unterhandlungen, und würden wahrscheinlich noch länger gedauert haben, wenn es nicht das Glück, welches dem unglücklichen Cervantes jetzt lächeln zu wollen schien, gefügt hätte, daß Hassan Aga seine Stelle hätte niederlegen und sich nach Constantinopel begeben müssen; weshalb er seine Forderung auf 500 Piaster herabsetzte, welche Summe der unermüdliche Juan Gil auch endlich zusammen brachte, und dem unglücklichen Gefangenen am 19ten, oder nach Andern, am 15ten September 1580 die längst ersehnte Freiheit erkaufte.
Im Jahre 1581 kehrte Cervantes, 34 Jahre alt, nach Spanien zurück. Kräftig an Geist und Körper, nicht gebeugt, weder durch seine Jahre lange Sklaverei, noch durch namenloses, erlittenes Elend, begann er auf's neue, den Musen zu huldigen, und das Erste, was er nach seiner Zurückkunft, und zwar im Jahre 1584, herausgab, war der Schäferroman Galatea, durch welchen er auf eine glänzende Art die Bahn der Dichtkunst von neuem betrat. Dieser, theils in Versen, theils in Prosa geschriebene Roman machte, da er mit vieler Eleganz und warmer Phantasie die dem südlichen Klima entsprießenden und unter jenem Himmel beliebten, glänzenden und zuweilen etwas wollüstigen Bilder darstellte, von seinem Entstehen an große Epoche, und Spanien zollte dem Verfasser einen allgemeinen Beifall; denn ungeachtet mancher Mängel hat diese Dichtung viel Anziehendes und vorzüglich ergreifen die darin befindlichen, über alle Beschreibung reizenden Lieder das zärtliche, sinnige Gemüth des Spaniers.
Schon krönte also der Lorbeer der Schlachten, so wie der der Poesie die Stirn des heldenmüthigen Dichters, da schlang auch die Myrthe der Liebe ihr edles Reis durch den rühmlichen Doppelkranz. Catalina Palacios de Salazar – den letzten Namen bekam sie von ihrem Oheim, Don Francisca de Salazor zu Esquivias, welcher sie erzogen hatte – gewann sein Herz, und die Kirche sprach ihren Segen über diesen Bund der Liebe. Cervantes junge Gattin hatte aber, ob sie gleich aus einem alten, edeln Geschlecht entsprossen war, eben so wenig Vermögen, als er selbst, weshalb er zur Feder greifen mußte, um seinen Unterhalt zu erwerben.
Wahrscheinlich hielt er das dramatische Fach für das Einträglichste, denn er schrieb bis um das Jahr 1594 gegen dreißig Schauspiele, die alle in Madrid mit Beifall gegeben wurden, unter denen aber das Trauerspiel Numancia wie ein Coloß hervorragt. Auch in einer andern Gattung von Dramen, einem Gemisch von Intriguen, Abentheuern und Wundern, welches damals eine beliebte Olla podrida der Spanier war, versuchte sich Cervantes, wurde aber von dem in diesem Fache glücklichern Lope de Vega verdrängt, und ließ, wahrscheinlich aus dieser Ursache, von jener Zeit an, alle theatralischen Arbeiten liegen.
Wahrscheinlich erhielt er damals ein kleines, wenig einträgliches Amt in Sevilla, und lebte dort still und beschränkt. Erst nach einiger Zeit trat er wieder als Schriftsteller auf, und zwar ganz in dem Fache, welches seinem Geiste am angemessensten war, nämlich in dem der Satyre. Die abgeschmackten Ritterromane waren damals in Spanien unter allen Ständen zur Lieblingslektüre geworden, und alle Köpfe waren schwindlich von den schlecht ersonnenen, und noch schlechter erzählten Abentheuern mit Riesen, Drachen, bezauberten Fräulein, Zwergen, Feen u. dgl., kurz der Geschmack war in Spanien verkrüppelt und die gesunde Vernunft der Lesewelt war im Begriffe, den letzten Seufzer auszuhauchen.
Mehrere Schriftsteller eiferten zwar alles Ernstes wider diesen Unfug, allein ihre sämmtlichen Bemühungen waren fruchtlos, denn sie sprachen, wenn auch mit vollem Rechte, nur unmittelbar gegen die Sache selbst, verstanden aber nicht die große Kunst, welche Cervantes verstand, nämlich die, die Lacher auf ihre Seite zu bringen. Dies gelang dem genialen Dichter ganz vortrefflich durch seinen Don Quixote, von welchem 1605 zu Madrid der erste Theil erschien, den der Verfasser dem Herzoge von Bejar zueignete.
Anfangs wurde dieses Meisterwerk des Cervantes, durch welches er sich bei allen gebildeten Völkern ein bleibendes Denkmal gesetzt hatte, sehr kühl aufgenommen, und das war sehr natürlich, denn vernünftige, denkende Männer glaubten eine gewöhnliche Rittergeschichte darin zu finden und ließen es ungelesen, und der gemeine Haufe, welcher eine Rittergeschichte suchte und nicht fand, verschmähte es ebenfalls. Selbst der Herzog von Bejar konnte sich anfangs nicht entschließen, seinen Namen einem solchen Buche vordrucken zu lassen; als er es aber auf Cervantes Vorstellungen doch versucht hatte, sich nur ein Kapitel daraus vorlesen zu lassen, fand er Geschmack an dem Werke, ließ fortfahren, und als er vollends die eigentliche Tendenz des Ganzen einsah, gab er, hingerissen von der darin herrschenden, feinen und beißenden Satyre, gern seine Erlaubniß, daß es ihm zugeeignet würde.
Noch immer wurde indeß das herrlichste Erzeugniß der spanischen Literatur nicht gehörig und nach Verdienst gewürdigt, und Cervantes, welcher deutlich sah, daß meistens nur solche Leute sein Buch lasen, welche es nicht verstanden und verstehen konnten, gab über sein eigenes Werk eine anonyme, kritische Flugschrift ( el Buscapié) heraus, worin er der Lesewelt zu verstehen gab, daß in seinem Buche Anspielungen auf mehrere angesehene Zeitgenossen zu finden wären. Einen glücklichern Einfall hätte er gar nicht haben können, um seinem Don Quixote den Weg in alle Hände zu bahnen, denn die allgemeine Neugier war erregt, und Alles, was nur Hände hatte, griff nach dem Don Quixote, von welchem in kurzer Zeit, die Lissaboner, Valenzier und Antwerpener Nachdrücke ungerechnet, von der Madrider Originalausgabe allein 12000 Exemplare verkauft wurden.
Natürlich kam das Werk nun immer mehr in die Hände wahrer Kenner und richtiger Beurtheiler. Alles las den Don Quixote, Alles war davon begeistert, und als einst Philipp III. auf einem Balcon seines Pallastes zu Madrid stand und einen Studenten sah, welcher las und von Zeit zu Zeit mit seiner Lektüre inne hielt und sich mit außerordentlichen Zeichen des Vergnügens an die Stirn schlug, sagte der König zu den ihn umgebenden Höflingen: »Dieser Mensch ist verrückt oder er liest den Don Quixote!« – Und die zweite Hälfte der Behauptung des Königs war gegründet.
Im Jahre 1613 gab Cervantes seine Novelas exemplares heraus, zwölf Erzählungen, durch welche er, im Fache der Novellen, den Schriftstellern seines Volkes eine neue Bahn eröffnete, denn bis dorthin kannte man in Spanien nur die französische und die italienische Novelle, welche er aber bei weitem übertraf; denn seine Erzählungen hatten einen höhern moralischen Zweck, als bloß den der Unterhaltung, indem sie durch beißenden Witz die verderbten Sitten seiner Zeitgenossen rügten. Uebrigens sind die Begebenheiten, welche den Stoff zu denselben liefern, mit eben so viel edler Einfachheit, als Anmuth erzählt und auch in ihnen zeigt der Verfasser eine außerordentlich reiche Phantasie.
Im Jahr 1614 erschien sein Viage del Parnaso (Reise auf den Parnaß); dieses Werk, welches den Stempel der Originalität an der Stirn trägt, hatte den Zweck, den erbärmlichen Dichterlingen, welche damals in Spanien ihr Unwesen trieben, Schweigen aufzulegen und zugleich des Verfassers eigenen Dichterberuf in ein helles Licht zu stellen, wobei derselbe einen edeln Unwillen über die Vernachlässigung zeigt, die er von seinen Landsleuten erfahren mußte. Als Fortsetzung des Viage del Parnaso erschien die Adjunta al Parnaso (Zusammenkunft auf dem Parnaß), worin er vorzüglich seinen neuern Schauspielen, welche auch 1615 erschienen, eine günstige Aufnahme zu verschaffen suchte, welches ihm aber nicht gelang.
Doch jetzt erlaube man uns einen Rückblick auf den Don Quixote! Vielleicht hatte Cervantes bei der Herausgabe desselben noch den besondern Zweck, den Herzog von Lerma, ersten Minister Philipps III., einen ahnenstolzen Mann und Feind aller Gelehrten, zu persiffliren, oder gar demselben andere, für geistvolle Schriftsteller günstigere Gesinnungen beizubringen; dem sey indeß, wie ihm wolle, so ist es doch gewiß, daß er sich diesen gewaltigen Mann zum Feinde machte, und es scheint sogar, als wenn man ihm bei der Fortsetzung des Don Quixote Hindernisse in den Weg gelegt hatte, wenigstens stockte dieselbe einige Jahre lang. Nun erschien 1614 zu Tarragona ein sogenannter zweiter Theil des Don Quixote, dessen Verfasser sich den Namen Alonso Fernandez de Avellaneda gab, aber weiter nichts war, als ein heimlicher Feind des Cervantes, welchen er in seinem elenden Machwerke (vorzüglich in der hämischen Vorrede desselben) auf alle mögliche Art zu beschimpfen suchte, und dies erregte Cervantes Zorn.
Alle Hindernisse, welche sich etwa vorfinden mochten, über den Haufen werfend, gab er 1615 zu Madrid den wahren zweiten Theil des Don Quixote heraus, und zeigte sich auch hier als edeln, über jede Verläumdung erhabenen Mann; denn er erwiederte die Schmähungen seines Widersachers bloß mit seinem kaustischen Witze, brachte auch hier wieder die Lacher auf deine Seite, und hatte den Triumph, zu sehen, daß der Don Quixote des Avellaneda (der übrigens bald gänzlich verscholl) seiner eigenen Meisterarbeit nur als Folie dienen konnte.
Dieser zweite Theil des Don Quixote war die letzte seiner Arbeiten, welche noch vor seinem Tode herauskam; denn seine Gesundheit war zu jener Zeit schon untergraben und nahm immer mehr und mehr ab. Den nordischen Roman, Persiles und Sigismunda, an welchem er einige Jahre gearbeitet hatte, vollendete er 1616, und schrieb die Dedication desselben an den Grafen von Lemos noch wenige Stunden vor seinem Tode Leider war der Uebersetzer nicht im Stande, eine Ausgabe des Originals zu bekommen, wo die oben erwähnte Dedication und die launige Vorrede des Verfassers befindlich gewesen wäre, sondern er mußte sich mit der Madrider Ausgabe von 1799 (bei D. Firmin Villalpando) begnügen., welcher am 23sten April 1616 erfolgte. Trotz seiner vielen, sowohl körperlichen als geistigen Anstrengungen, trotz des vielen Abganges, dessen seine meisten Schriften sich zu erfreuen hatten, war doch bis an sein Ende Dürftigkeit, ja oft drückender Mangel, sein Loos. Ein Franzose machte auf ihn folgende, sehr bezeichnende Grabschrift:
Toujours plaisant, quoique moral,
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