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Bellino

Ich war im glücklichsten Schwunge meines Lebens: beliebt bei Seiner Eminenz, beliebt bei den Damen und Herren der hohen römischen Gesellschaft; es konnte mir jedermann die sicherste Laufbahn zu allen Würden voraussagen. Aber leider ist das Geschick unerbittlich. Die Tochter meines Lehrers, bei dem ich Französisch lernte, hatte mich gebeten, einige Nachrichten an ihren Geliebten zu übermitteln, von dem sie durch ihren überaus strengen Vater ferngehalten wurde. Ich tat's einige Male, wenn auch ungern, und dieser kleine Liebesdienst ließ das Mädchen in mir einen wohlwollenden Freund sehen. Das wurde verhängnisvoll für mich. Die beiden Liebenden hatten sich zur Flucht verabredet. In der Nacht aber, als sie zur Ausführung schritten, lauerten Sbirren dem Pärchen auf; sie faßten aber nur die alte Magd, während das Mädchen, in der Kleidung eines Abbés, sich in den spanischen Palast, in mein Zimmer rettete. Sie blieb die Nacht bei mir, und obwohl wir zusammen in einem Bett schliefen, erfuhr ich hier: das Mitleid vermag auch die ungestümste Begierde zum Schweigen zu bringen, trotz des Anblicks aller Reize, welche sie zum höchsten Grade der Erregung steigern können. Es gelang mir. das Mädchen am andern Morgen, auf die listigste Weise, ohne daß jemand etwas merkte, unter den Schutz des Kardinals zu bringen, der sich ihrer aufs freundlichste annahm und sie in ein Kloster bringen ließ. Aber es war bekannt geworden, daß ich mit ihr und dem Entführer, einem jungen Doktor, in Verbindung stand, und so vermutete jeder, ich habe an der Intrige teilgenommen. Es war eine Verleumdung, und so sichere Beweise ich dagegen brachte: man will nicht das wissen, was die Verleumdung zerstört, sondern das vielmehr, was sie befestigt, denn man liebt sie in der heiligen Stadt. Kurz, dadurch wurde mein weiterer Aufenthalt in Rom unmöglich, bei allem Wohlwollen mußte mir der Kardinal eröffnen, daß ich ihn und Rom verlassen müsse, als Zeichen seiner Achtung aber verspreche er mir, zu jedermann zu sagen, ich sei in einem wichtigen Auftrage verreist; ich konnte mir das Land aussuchen, wohin ich wollte, überallhin könne er mir die besten Empfehlungen mitgeben. Ich war so verärgert, daß ich Seiner Eminenz am andern Tag Konstantinopel angab, wohin ich geschickt sein wollte. Der Kardinal lächelte fein und ließ mir bei meiner Abreise einen Paß nach Venedig übergeben und einen versiegelten Brief an Osman Bonneval, Pascha von Karamanien, in Konstantinopel. Wenn ich auch allen die Adresse zeigte, es glaubte mir niemand, daß ich nach Konstantinopel ginge. Außerdem erhielt ich noch siebenhundert Zechinen, so daß ich mit etwa tausend im ganzen aufbrach, um meiner Vaterstadt zuzueilen. Als ich in Ankona anlangte, müde in einem Gasthause abstieg, wurde ich durch einen Disput mit dem Wirte mit einem Kastilianer Sancio Pico bekannt. Im Laufe des Gesprächs sagte er mir, wenn ich gute Musik hören wolle, möchte ich ihm ins benachbarte Zimmer folgen, wo die erste Sängerin wohne. Das Wort Sängerin interessiert mich, und ich folge ihm. Ich sehe an einem Tische eine Frau von einem gewissen Alter mit zwei jungen Mädchen und zwei Knaben sitzen, aber ich suche vergeblich die Sängerin, welche Don Sancio Pico mir vorstellt, indem er mir einen der beiden Knaben zeigt, der von entzückender Schönheit war und höchstens siebzehn Jahre alt sein konnte. Ich glaubte, es wäre ein Kastrat, der, wie in Rom, alle Funktionen einer ersten Sängerin versähe. Die Mutter stellte mir ihren anderen, ebenfalls sehr niedlichen Sohn vor, der männlicher war als der Kastrat, obwohl er jünger war, er hieß Petron. Dieser stellte in weiterer Fortsetzung der Umwandlung die erste Tänzerin vor. Das älteste der beiden Mädchen, welche mir die Mutter ebenfalls vorstellte, hieß Cäcilie und lernte die Musik, sie war noch sehr jung; ihre jüngere Schwester, namens Marina, war aber kräftiger als sie, und war wie ihr Bruder dem Dienste Terpsichorens geweiht; beide waren sehr hübsch. Diese Familie war aus Bologna und lebte von den Früchten ihrer Talente; die Gefälligkeit und die Heiterkeit ersetzten ihnen den Reichtum. Bellino, so hieß der Kastrat, gab den dringenden Bitten Don Sancios nach, stand vom Tische auf, setzte sich an sein Klavier und sang mit einer Engelsstimme und mit bezaubernder Grazie. Der Kastilianer hörte mit geschlossenen Augen und in einer Art Exstase zu; aber ich war weit entfernt, die Augen zu schließen, sondern bewunderte vielmehr die Bellinos, welche schwarz und feurig Funken zu schleudern schienen, von denen ich mich entzündet fühlte. Ich entdeckte an ihm mehrere Züge Lucrezias und alles an ihm ließ mich auf ein schönes Weib schließen, denn sein Mannesanzug verbarg sehr schlecht die schöne Brust; trotz der mir gemachten Mitteilung setzte ich mir daher auch in den Kopf, daß der angebliche Bellino eine verkleidete Schönheit wäre und da meine Phantasie den höchsten Schwung nahm, wurde ich ganz in ihn verliebt. Nachdem ich zwei köstliche Stunden verlebt, entfernte ich mich mit dem Kastilianer, welcher mich in mein Zimmer begleitete und mir beim Abschied sagte, er reise in der Früh, komme aber übermorgen zum Abendessen wieder zurück. Ich wünschte ihm eine glückliche Reise und sagte, wir würden uns wohl unterwegs begegnen, denn ich würde wohl übermorgen abreisen, sobald ich meinem Bankier einen Besuch abgestattet. Ich legte mich nieder, erfüllt von dem Eindrucke, den Billino auf mich gemacht; ich bedauerte, abreisen zu müssen, ohne ihm den Beweis liefern zu können, daß ich mich nicht durch eine Erdichtung habe täuschen lassen. Bei dieser Stimmung mußte ich mich sehr angenehm überrascht finden, als ich ihn am Morgen, sobald ich meine Tür geöffnet, bei mir eintreten sah. Er bot mir seinen jungen Bruder zur Bedienung während meines Aufenthaltes an. Ich willigte gern ein und schickte den Knaben sogleich Kaffee für die ganze Familie holen. Ich lasse Bellino sich auf mein Bett setzen, um ihm Schmeicheleien zu sagen und ihn als Mädchen zu behandeln, aber da kommen die beiden Schwestern und stürzen auf mich zu: das störte meine Pläne. Indes bildete das Trio vor meinen Augen ein Tableau, welches mir nicht mißfallen konnte; es war die Schönheit ohne Schminke und die naive natürliche Fröhlichkeit in drei verschiedenen Formen; sanfte Vertraulichkeit, theatralischer Charakter, hübsche Scherze und die kleinen Bologneser Grimassen, welche ich noch nicht kannte. Dies war alles reizend und geeignet, in gute Laune zu versetzen, wenn das für mich nötig gewesen wäre. Cäcilie und Marina waren zwei niedliche Rosenknöspchen, welche, um sich zu öffnen, nur den Hauch, nicht des Zephirs, sondern Amors erwarteten, und gewiß würde ich ihnen den Vorzug vor Bellino gegeben haben, wenn ich in diesem nur einen elenden Auswurf der Menschheit oder vielmehr nur ein beklagenswertes Opfer priesterlicher Grausamkeit gesehen hätte; denn trotz ihrer Jugend trugen diese beiden liebenswürdigen Mädchen auf ihrem entstehenden hübschen Busen das Bild früher Reife. Bald kam auch Petron zurück, ich gab ihm eine Zechine, um den Kaffee zu bezahlen, den Rest schenkte ich ihm, wofür er mir mit einem Kuß dankte, woran ich sofort den Buhlknaben erkannte. Ich enttäuschte ihn aber in seiner Erwartung, ohne daß er gedemütigt schien. Sobald ich imstande war, mich zu zeigen, glaubte ich der gefälligen Mutter einen guten Morgen wünschen zu müssen. Ich ging in ihr Zimmer und machte ihr Komplimente über ihre Kinder. Sie dankte mir für das Geschenk, welches ich ihrem Sohne gemacht, und begann mir ihre Not zu klagen. »Der Theaterunternehmer«, sagte sie, »ist ein Barbar, welcher mir für den ganzen Karneval nur fünfzig römische Taler hat geben wollen. Wir haben sie für unseren Lebensunterhalt aufgebraucht und können nun zu Fuße und bettelnd nach Bologna zurückkehren.« Diese Mitteilung rührte mich; ich zog aus meiner Börse einen goldenen Quadrupel und gab ihn ihr, worüber sie Tränen der Dankbarkeit weinte. »Ich verspreche Ihnen einen andern, Madame, für eine Mitteilung,« sagte ich; »gestehen Sie, daß Bellino ein verkleidetes hübsches Weib ist.« »Seien Sie überzeugt, daß er es nicht ist, aber er sieht so aus.« »Er hat das Aussehen und den Ton, Madame, denn ich verstehe mich darauf.« »Er ist so wahr ein Knabe, daß er sich hat untersuchen lassen müssen, um auf dem Theater spielen zu dürfen.« »Und durch wen?« »Durch Seine Ehrwürden den Beichtvater Monsignores des Erzbischofs.« »Durch einen Beichtvater?« »Und Sie können sich davon überzeugen, wenn Sie ihn fragen wollen.« »Ich werde mich nur für überzeugt halten, wenn ich ihn selbst untersucht habe.« »Tun Sie das, wenn er einwilligt; aber mein Gewissen gestattet mir nicht, mich dareinzumischen, denn ich kenne Ihre Absichten nicht.« »Es sind ganz natürliche.« Ich gehe auf mein Zimmer und lasse durch Petron eine Flasche Cyperwein holen. Er richtete den Auftrag aus und brachte mir von einer Dublone, welche ich ihm gegeben, sieben Zechinen zurück. Ich verteilte diese unter Bellino, Cäcilie und Marina, und bat die beiden jungen Mädchen, mich mit ihrem Bruder allein zu lassen. »Bellino, ich bin sicher, daß Ihre Körperbildung von der meinigen verschieden ist; meine Teure, Sie sind ein Mädchen.« »Ich bin ein Mann, aber ein Kastrat; man hat mich untersucht.« »Erlauben Sie mir, Sie zu untersuchen, und ich schenke Ihnen eine Dublone.« »Ich darf es nicht, denn es ist klar, daß Sie mich lieben, und die Religion verbietet mir es.« »Mit dem Beichtvater des Bischofs haben Sie solche Umstände nicht gemacht.« »Dieser war ein alter Priester, und er hat auch nur im Vorbeigehen einen Blick darauf geworfen.« Mit Gewalt wollte ich mich überzeugen, aber er stößt mich zurück und steht auf. Diese Hartnäckigkeit ärgert mich, denn ich hatte schon fünfzehn oder sechzehn Zechinen ausgegeben, um meine Neugier zu befriedigen. Ich setzte mich mit verdrießlicher Miene zu Tisch; aber der vortreffliche Appetit meiner jungen Gäste gab mir meine gute Laune wieder, und ich war der Ansicht, daß, genau besehen, Fröhlichkeit besser wäre als Schmollen, und in dieser Stimmung beschloß ich, mich an den beiden reizenden jüngern Schwestern schadlos zu halten, welche Spaß zu verstehen schienen. Wir saßen, Maronen essend, welche wir mit Cyperwein befeuchteten, vor einem gutem Feuer, und ich fing an, einige unschuldige Küsse zur Rechten und zur Linken zu verteilen und trieb mein Spiel, woran Cäcilie und Marina Gefallen fanden. Da Bellino lächelt, so umarme ich ihn ebenfalls, und da sein halbgeöffnetes Jabot meine Hand herauszufordern scheint, so gehe ich drauf los und dringe ohne Widerstand ein. »Nie hat der Meißel des Praxiteles einen so schönen Busen geschaffen! Dieses Zeichen, sage ich nun, läßt mich nicht zweifeln, daß Sie ein vollendetes Weib sind.« »Diesen Mangel«, sagte sie, »haben alle meinesgleichen.« »Nein, es ist die Vollkommenheit aller Ihresgleichen. Bellino, glaube mir, ich bin hinlänglich unterrichtet, um den unförmlichen Busen eines Kastraten von dem eines schönen Weibes unterscheiden zu können; und dieser Alabasterbusen gehört einer jungen siebzehnjährigen Schönheit.« Wer wüßte nicht, daß die Liebe, entflammt durch alles, was sie reizen kann, nicht eher innehält, als bis sie befriedigt ist, und daß eine errungene Gunst nur reizt, nach einer größern Gunst zu streben? Ich war auf gutem Wege, ich wollte weiter gehen und was meine Hand verzehrte, mit glühenden Küssen bedecken; aber der falsche Bellino steht auf und entflieht, als wäre er erst in diesem Augenblick das unerlaubte Vergnügen, welches ich genoß, gewahr geworden. Der Zorn verbindet sich mit der Liebe, und da ich ihn unmöglich verachten konnte, sonst hätte ich zuerst mich selbst verachten müssen, da ich das Bedürfnis fühlte, mich zu beruhigen, indem ich meine Glut befriedigte oder sie verdampfen ließ, bat ich Cäcilie, welche seine Schülerin war, mir einige neapolitanische Arien vorzusingen. Ich ging hierauf zum Bankier, wo ich meinen Wechsel auf ihn mit einem Wechsel auf Bologna vertauschte. Nach meiner Rückkehr nahm ich mit diesen beiden jungen Mädchen ein leichtes Abendessen ein und schickte mich hierauf an, zu Bett zu gehen, nachdem ich Petron befohlen, mir mit Tagesanbruch einen Wagen zu besorgen. Als ich die Tür schließen wollte, erschien Cäcilie halb entkleidet und sagte mir, Bellino lasse mich fragen, ob ich ihn nach Rimini mitnehmen wolle, wo er für die nach Ostern aufzuführende Oper engagiert sei. »Sage ihm, mein kleiner Engel, daß ich ihm sehr gern diese Gefälligkeit erweisen werde, wenn er in deiner Gegenwart tun will, was ich wünsche; ich will bestimmt wissen, ob er ein Mädchen oder ein Knabe ist.« Sie entfernt sich und kehrt einen Augenblick darauf zurück, um mir zu sagen, daß er im Bett liege, daß, wenn ich aber meine Abreise um einen einzigen Tag aufschieben wolle, er verspreche, meine Neugier am folgenden Tage zu befriedigen. »Sage mir die Wahrheit, Cäcilie, und ich schenke dir sechs Zechinen.« »Ich kann sie nicht verdienen, denn ich habe ihn nie ganz nackt gesehen und kann nicht beschwören, ob er ein Mädchen ist. Aber er muß wohl ein Knabe sein, sonst hätte er hier nicht auf dem Theater auftreten können.« »Wohl, ich werde erst übermorgen abreisen, wenn du mir diese Nacht Gesellschaft leisten willst.« »Sie lieben mich also sehr?« »Sehr, wenn du mir gut sein willst.« »Sehr gut, denn ich liebe Sie sehr. Ich will es meiner Mutter sagen.« »Du hast gewiß einen Liebhaber?« »Ich habe nie einen gehabt.« Sie ging weg und kehrte einen Augenblick darauf sehr fröhlich zurück, indem sie sagte, ihre Mutter halte mich für einen ehrenwerten Mann. Ohne Zweifel hielt sie mich nur für großmütig. Cäcilie schloß die Tür und warf sich in meine Arme, indem sie mich umarmte. Sie war niedlich, reizend; aber ich war nicht in sie verliebt und konnte nicht zu ihr wie zu Lucrezia sagen: du hast mich glücklich gemacht; aber sie sagte es zu mir, ohne daß ich mich dadurch sehr geschmeichelt fühlte, obwohl ich so tat, als ob ich es glaube. Als ich erwachte, wünschte ich ihr einen zärtlichen guten Morgen, und nachdem ich ihr drei Dublonen geschenkt, welche die Mutter ohne Zweifel erfreuten, schickte ich sie weg. Nachdem ich gefrühstückt, ließ ich den Wirt kommen und bestellte ein sehr gutes Abendessen für fünf Personen, da ich überzeugt war, daß Don Sancio, der am Abend zurückkommen wollte, mir die Ehre, mit mir zu speisen, nicht abschlagen würde. Nachdem ich Bellino hatte rufen lassen, forderte ich ihn auf, sein Versprechen zu erfüllen, aber er antwortete mir lachend, der Tag wäre noch nicht vorüber, und er wäre sicher, mit mir zu reisen. »Ich sage Ihnen, daß das nicht der Fall sein wird, wenn Sie mich nicht vollständig befriedigen.« »Ich werde es tun.« »Wollen Sie, daß wir zusammen einen Spaziergang machen?« »Recht gern; ich werde mich ankleiden.« Während ich auf ihn wartete, kam Marina und fragte mich mit kummervoller Miene, wodurch sie meine Verachtung verdiene. »Cäcilie hat bei Ihnen die Nacht geschlafen, morgen reisen Sie mit Bellino; ich bin am allerunglücklichsten.« »Willst du Geld haben?« »Nein, denn ich liebe Sie.« »Aber, Marina, du bist zu jung.« »Ich bin stärker als meine Schwester.« »Aber es ist auch möglich, daß du einen Liebhaber hast.« »Oh, durchaus nicht.« »Sehr wohl, wir wollen heute abend sehen.« Ich spazierte mit Bellino nach dem Hafen, wo ich auf einem türkischen Schiff eine griechische Sklavin wiedersah, mit der ich aus meiner Reise von Venedig nach Martorano ein reizendes Liebesspiel von Balkon zu Balkon hatte, ohne daß wir zum höchsten Genuß gekommen wären. Sie erkennt mich sofort, weiß durch eine List ihren Herrn auf einen Augenblick zu entfernen, den wir benutzen, um alle Wonnen der Liebe auszutauschen, in Gegenwart Bellinos, der starr vor Staunen dastand und wie Espenlaub zitterte. Ich kaufte eine Kleinigkeit, als der Türke zurückkam, und begab mich mit Bellino wieder ans Land. Dieser sprach mit mir über das Geschehene, welches meinen Charakter in einem eigentümlichen Lichte zeige. Die Griechin verstehe er nun vollends gar nicht, er nannte sie sehr unglücklich. »Glauben Sie denn, fragte ich, daß die Koketten glücklicher sind?« »Nein, aber ich will, daß eine Frau, wenn sie sich aufrichtig der Liebe hingibt, sich erst nach einem Kampfe mit sich selbst hingibt; und ich will nicht, daß sie der ersten Regung einer schlüpfrigen Begierde weicht, sich dem ersten besten Gegenstand, der ihr gefällt, preisgibt, wie ein Tier, welches nur der Macht der Sinne gehorcht. Gestehen Sie, diese Griechin gab Ihnen ein sicheres Zeichen, daß Sie ihr gefallen; aber sie hat Ihnen ein ebenso sicheres Zeichen ihrer Roheit und einer Schamlosigkeit gegeben, welches sie der Schande, zurückgewiesen zu werden, aussetzte, denn sie konnte nicht wissen, ob Sie zu ihr ebenso galant sein würden, wie sie zu Ihnen. Mich hat die Sache in eine Verwirrung gestürzt, von welcher ich mich noch nicht erholt habe.« Ich hätte die Zweifel Bellinos aufklären und ihr falsches Räsonnement berichtigen können; aber eine derartige Mitteilung würde nicht zum Vorteile meiner Eigenliebe ausgefallen sein, und ich schwieg deshalb. Wir kehrten nach Hause zurück, und als ich abends den Wagen Don Sancios in den Hof fahren hörte, ging ich ihm entgegen: ich hätte darauf gerechnet, daß er mir die Ehre erweisen würde, mit mir und Bellino zu speisen. Der Spanier hob mit Würde und Höflichkeit das Vergnügen hervor, das ihm zu bereiten ich die Aufmerksamkeit gehabt, und nahm meine Einladung an. Die ausgesuchtesten Gerichte, die besten spanischen Weine und mehr als das alles, die Fröhlichkeit und die entzückenden Stimmen Bellinos und Cäciliens, bereiteten dem Kastilianer fünf köstliche Stunden. Er verließ mich um Mitternacht mit der Erklärung, daß er sie erst dann wahrhaft zufrieden erklären könne, wenn ich ihm verspräche, mit derselben Gesellschaft am folgenden Abend auf seinem Zimmer zu speisen. Ich mußte also meine Abreise noch um einen Tag verschieben; ich nahm die Einladung an. Sobald Sancio weggegangen war, forderte ich Bellino auf, sein Versprechen zu erfüllen; er aber sagte mir, Marina warte auf mich, und da ich noch den folgenden Tag bliebe, würde er Gelegenheit finden, mich zu befriedigen. Damit wünschte er mir eine gute Nacht und entfernte sich. Marinette kam, und obschon ein Jahr jünger als Cäcilie, fand ich sie doch ausgebildeter, und sie bewies mir, daß sie keine Novize mehr in dem Mysterium. Am andern Morgen ging ich aus, um Geld bei meinem Bankier zu holen, da ich nicht wissen konnte, was mir unterwegs begegnen würde; denn ich hatte genossen, aber zu viel ausgegeben, auch blieb mir noch Bellino, gegen den ich nicht weniger großmütig sein konnte als gegen seine Schwestern, wenn er ein Mädchen war. Das mußte sich im Laufe des Tages entscheiden, und ich glaubte des Resultates sicher sein zu können. Zur Zeit des Abendessens begab ich mich zu Don Sancio, welcher eine prächtige Wohnung hatte. Seine Tafel war mit massivem Tafelgeschirr gedeckt, und seine Bedienten waren in großer Livree. Er war allein; aber bald nach ihm kamen Cäcilie, Marina und Bellino, welcher aus Lust oder Laune weibliche Kleidung angezogen hatte. Die beiden Schwestern, welche gut angezogen waren, waren reizend; aber Bellino stach sie in seiner Frauenkleidung so sehr aus, daß mir nicht mehr der geringste Zweifel blieb. »Sind Sie«, sagte sie zu Don Sancio, »überzeugt, daß Bellino kein Mädchen ist?« »Mag er Knabe oder Mädchen sein, mir ist nichts daran gelegen. Ich halte ihn für einen hübschen Kastraten und ich habe schon ebenso hübsche gesehn.« »Sind Sie aber Ihrer Sache sicher?« »Valgame Dios!« erwiderte der ernste Kastilianer, »ich habe keine Lust, mir Sicherheit zu verschaffen.« Wie verschieden dachten wir! Da ich aber in ihm die Weisheit achtete, welche mir fehlte, so gestattete ich mir keine indiskrete Frage mehr. Aber bei Tische konnten sich meine Augen nicht von diesem entzückenden Wesen losmachen, meine lasterhafte Natur fand eine süße Wollust darin, ihm ein Geschlecht beizulegen, dessen es für mich bedurfte. Nach einem lukullischen Mahle sang Bellino mit einer Stimme, welche geeignet war, uns um das bißchen Vernunft zu bringen, welches die vortrefflichen Weine uns noch gelassen hatten. Ihre Gesten, der Ausdruck ihres Blickes, ihre Manieren, ihr Auftreten, ihre Haltung, ihre Physiognomie, ihre Stimme und besonders mein Instinkt, der mir für einen Kastraten nicht das Gefühl eingeben konnte, welches ich für sie empfand, alles dies bestätigte meine Hoffnung; aber ich wollte mich doch mit meinen Augen vergewissern. Nach tausend Komplimenten und tausend Danksagungen verließen wir den prachtliebenden Spanier und begaben uns auf mein Zimmer, wo das Mysterium endlich enthüllt werden sollte. Ich forderte Bellino auf, sein Wort zu halten, oder ich würde am nächsten Tage allein abreisen. Ich nehme Bellino bei der Hand und wir setzen uns zusammen am Kamine nieder. Ich schicke Cäcilie und Marina weg und sage: »Bellino, alles hat ein Ende; Sie haben mir Ihr Versprechen gegeben: die Sache wird bald abgemacht sein. Sind Sie das, was Sie sagen, so werde ich Sie bitten, auf Ihr Zimmer zu gehen; sind Sie das, was ich glaube, und wollen Sie bei mir bleiben, so gebe ich Ihnen morgen hundert Zechinen und wir reisen zusammen.« »Sie werden allein reisen und meiner Schwäche verzeihen, wenn ich Ihnen nicht Wort halten kann. Ich bin, was ich Ihnen gesagt, und kann mich nicht entschließen, Sie zum Zeugen meiner Schande zu machen, noch mich den schrecklichen Folgen aussetzen, welche diese Aufklärung haben könnte.« »Sie kann durchaus keine haben, denn sobald ich mich überzeugt, daß Sie das Unglück haben, das zu sein, was ich von Ihnen glaube, ist alles abgemacht, es wird keine Rede mehr davon sein, wir reisen morgen zusammen, und ich setze Sie in Rimini ab.« »Nein, ich bin fest entschlossen; ich kann Ihre Neugierde nicht befriedigen.« Als ich diese Antwort vernahm, wollte ich wieder Gewalt anwenden; im entscheidenden Augenblick stößt er mich weg, aber doch glaubte ich einen Mann erkannt zu haben. Voller Ekel und Bestürzung und beinahe über mich selbst errötend, schicke ich ihn weg. Seine Schwestern kommen zu mir, ich schicke sie weg mit dem Auftrage, ihrem Bruder zu sagen, daß er mit mir reisen könne und daß er meine Zudringlichkeit nicht mehr zu fürchten habe. Trotz der Überzeugung, welche ich erlangt zu haben glaubte, beschäftigte Bellino, wie ich ihn mir gedacht, noch immer meine Gedanken; ich wußte nicht, was ich denken sollte. Am folgenden Morgen reiste ich mit ihm ab, betrübt durch die Tränen der beiden reizenden Schwestern, und überschüttet mit den Segnungen der Mutter, welche mit dem Rosenkranze in der Hand das Paternoster betete. So war ich also unterwegs mit Bellino, der mich für enttäuscht hielt und nicht glauben konnte, daß ich noch neugierig auf ihn wäre; aber es dauerte nicht eine Viertelstunde, bis er sich überzeugte, daß er sich getäuscht; denn ich konnte meine Blicke nicht auf seinen schönen Augen ruhen lassen, ohne mich von einer Glut entzündet zu fühlen, welche der Anblick eines Mannes bei mir nicht hätte hervorbringen können. »Bellino,« sagte ich, »der Eindruck, den Sie auf mich machen, eine Art Magnetismus, der Venusbusen, welchen Sie meiner gierigen Hand preisgegeben haben, bekräftigen mich in der Überzeugung, daß Sie von anderem Geschlechte sind als ich. Erlauben Sie mir, mich davon zu überzeugen, und wenn ich mich nicht täusche, so rechnen Sie auf meine Liebe; wenn ich dagegen des Irrtums überführt werde, so rechnen Sie auf meine Freundschaft. Wenn Sie sich noch länger sträuben, so muß ich glauben, daß Sie ein grausames Studium daraus machen, mich zu quälen, und daß Sie ein ausgezeichneter Naturforscher sind und in den vermaledeitesten alten Schulen gelernt haben, daß das wahre Mittel, einem jungen Manne die Heilung von einer verliebten Leidenschaft unmöglich zu machen, darin besteht, ihn unaufhörlich zu reizen; Sie werden aber zugeben, daß Sie diese Tyrannei nur dann ausüben können, wenn Sie die Person, auf welche diese wirkt, hassen: und da die Sache sich so verhält, so müßte ich meine Vernunft zusammennehmen, um Sie ebenfalls zu hassen.« Ich sprach lang in diesem Tone weiter, ohne daß er ein Wort erwiderte, aber er sah sehr bewegt aus. Als ich ihm zuletzt sagte, daß ich in dem Zustande, in welchen mich sein Widerstreben gesetzt, genötigt sein würde, ihn ohne Schonung zu behandeln, um mir eine Gewißheit zu verschaffen, welche ich nur durch Gewalt erlangen könnte, erwiderte er mit Nachdruck: »Bedenken Sie, daß Sie nicht mein Herr sind, daß ich auf Treu und Glauben in Ihren Händen bin, und daß Sie sich eines Meuchelmordes schuldig machen würden, wenn Sie mir Gewalt antun wollten. Sagen Sie dem Postillon, daß er anhalte; ich werde absteigen und mich gegen niemand beklagen.« Auf diese kurze Rede folgte ein Strom von Tränen, und diesem Mittel habe ich nie zu widerstehen vermocht. Ich fühlte mich bis auf den Grund der Seele erschüttert und war beinahe davon überzeugt, daß ich im Unrecht. Ich sage beinahe, denn wäre ich überzeugt gewesen, so würde ich mich ihm zu Füßen geworfen haben, um ihn um Verzeihung zu bitten, so aber verschanzte ich mich hinter einem finstern Schweigen und war ausdauernd genug, bis eine halbe Station vor Sinigaglia, wo ich essen und schlafen wollte, kein Wort zu sprechen. Nachdem ich lange mit mir gekämpft, sagte ich endlich: »Hätten Sie für mich einige Freundschaft gehabt, so hätten wir in Rimini als gute Freunde ausruhen können, denn mit einiger Freundschaft hätten Sie mich von meiner Leidenschaft geheilt.« »Sie würden nicht geheilt worden sein,« antwortete Bellino mutig, aber mit einem Tone der Milde, welcher mich überraschte; »nein, Sie würden nicht geheilt worden sein, mag ich nun Mädchen oder Knabe sein, denn Sie sind in mich, unabhängig von meinem Geschlechte, verliebt, und die Gewißheit, die Sie erlangten, würde Sie wütend machen. Wenn Sie mich in diesem Zustande unbarmherzig gefunden hätten, so hätten Sie gewiß Ausschweifungen begangen, über welche Sie später vergeblich Tränen vergossen haben würden.« »Sie hoffen mich durch diese schöne Auseinandersetzung zu dem Geständnisse zu bringen, daß Ihre Hartnäckigkeit vernünftig ist; aber Sie sind in völligem Irrtum, denn ich fühle, daß ich durchaus ruhig bleiben, und daß Ihre Gefälligkeit Ihnen meine Freundschaft erwerben würde.« »Sie wurden wütend werden, sage ich Ihnen.« »Bellino, was mich wütend gemacht hat, das ist die Zurschaustellung Ihrer zu wirklichen oder zu trügerischen Reize, deren Wirkung Ihnen gewiß nicht unbekannt sein kann. Damals haben Sie meine verliebte Wut nicht gefürchtet; wie soll ich also glauben, daß Sie sie jetzt fürchten, da ich Sie nur bitte, mich eine Sache berühren zu lassen, die geeignet, mir Ekel einzuflößen.« »Ach, Ihnen Ekel einzuflößen! Ich bin vom Gegenteil überzeugt. Hören Sie mich. Wäre ich ein Mädchen, so würde es nicht in meiner Macht stehen, Sie nicht zu lieben, das fühle ich, da ich aber ein Knabe bin, so ist es meine Pflicht, nicht die Gefälligkeit zu haben, welche Sie wünschen.« Als wir bei finstrer Nacht in Sinigaglia ankamen, stieg ich im besten Gasthofe ab. Nachdem ich mir ein gutes Zimmer gemietet, bestellte ich ein Abendessen. Da in dem Zimmer nur ein Bett war, so fragte ich Bellino mit der ruhigsten Miene, ob er sich in einem andern Zimmer heizen lassen wolle; aber man denke sich mein Erstaunen, als er mir sehr milde antwortete, er trage kein Bedenken, in demselben Bett zu schlafen. Ich bedurfte dieser Antwort, auf welche ich nichts weniger als gefaßt war, um die trübe Laune, welche mich störte, zu zerstreuen. Ich sah, daß ich der Lösung des Knotens entgegenging, aber in der Ungewißheit, ob sie eine günstige oder ungünstige sein würde, hütete ich mich wohl, mir schon Glück zu wünschen; ich empfand aber doch ein wirkliches Vergnügen über meinen Sieg, da ich sicher war, einen vollständigen über mich davonzutragen, wenn meine Sinne und mein Instinkt mich getäuscht haben sollten, das heißt ihn zu achten, wenn er Mann wäre. Im entgegengesetzten Falle glaubte ich die süßesten Gunstbewilligungen erwarten zu dürfen. Wir setzten uns einander gegenüber bei Tische, und während des Essens ließen mich seine Reden, seine Mienen, der Ausdruck seiner schönen Augen, ein süßes und wollüstiges Lächeln ahnen, daß er müde sei, eine Rolle zu spielen, welche ihm ebenso lästig hatte werden müssen, wie mir selbst. Ich fühlte mich von einer großen Last erleichtert und kürzte das Essen soviel wie möglich ab. Sobald wir vom Tisch ausgestanden, ließ mein liebenswürdiger Gefährte eine Nachtlampe bringen, und nachdem er sich entkleidet, legte er sich ins Bett. Ich folgte ihm sogleich, und ein Weib war es, welches sich mir näherte, als ich mich niedergelegt hatte. Wir sprachen nicht, aber unsere Küsse verschmolzen, und ich gelangte auf den Gipfel des Genusses, ehe ich noch Zeit gehabt, ihn zu suchen. Was hätte es auch wohl, nachdem ich den vollständigen Sieg errungen, meinen Augen und meinen Fingern genutzt, Untersuchungen anzustellen, welche mir doch keine größere Gewißheit mehr verschaffen konnten, als ich schon hatte. Ich ließ meine Blicke auf diesem schönen Gesichte schweifen, welches die zärtlichste Liebe mit dem lebhaftesten und natürlichsten Feuer beseelte. Nach einem Augenblicke der Ekstase entzündete ein neues Feuer eine neue Feuersbrunst unsrer Sinne und wir löschten auch diese in einem Meere neuer Entzückungen. Als unsre Sinne der Ruhe bedurften, wir still nebeneinander lagen und ich das reizende Wesen bat, mir doch zu sagen, wodurch sie denn veranlaßt worden, jene schreckliche Mißbildung zu tragen, die ich doch bei ihr gemerkt, vernahm ich eine seltsame Geschichte von Therese, denn dies war ihr richtiger Name. Der berühmte Musiker, der Kastrat Salimberi, hatte sie zu sich genommen, um ihre Stimme, von der er das höchste hoffte, auszubilden. Hatte dieser Mann auch durch seine Verstümmelung lange nicht die Überlegenheit andrer Männer, so entfesselte doch seine Schönheit, sein Geist und sein Benehmen ihre Liebe, daß sie ihm ganz zu Willen war. Nach einiger Zeit starb ihr Vater, und da Salimberi nach Rom mußte, brachte er Therese nach Rimini in dieselbe Pension, in welcher von ihm auch ein Knabe unterhalten wurde, den sein Vater, ein armer Musiklehrer, als er sich dem Tode nahefühlte, zum Kastraten bestimmte, damit er so seine zahlreichen Geschwister ernähren könne. Als Salimberi in diese Pension kam, war der Knabe, Bellino geheißen, gerade gestorben. Da er den Schmerz bedachte, welcher die arme Witwe befallen mußte, kam er auf den Gedanken, sie, Therese, sollte sich als den jungen Kastraten ausgeben, als solchen wolle er sie bei dessen Mutter in Pension bringen, die für das Geld, das sie sich dadurch erwürbe, sicher Schweigen bewahren würde. Wäre sie dann vollends ausgebildet, so würde er sie an das Hoftheater nach Dresden bringen, wo auch er weilte, und dort könnten sie dann ohne Hindernis zusammen leben. Ihr Busen würde ihr, wenn er sich entwickelte, nichts schaden, denn auch Kastraten zeigten öfters einen solchen. Da aber Untersuchungen zu erwarten waren, so hatte er ihr ein Instrument gegeben, welches sie an ihrem Körper befestigen mußte, um äußerlich einen männlichen Eindruck hervorzurufen. Leider starb Salimberi vor einem Jahre, und nun mußte sie ihr Talent nutzbar machen. Ihre sogenannte Mutter riet ihr, sich auch weiterhin als Kastraten auszugeben. Sie tat es wohl, aber sie litt darunter und nicht zum wenigsten durch die Nachstellungen, denen sie ausgesetzt; und in die bittenden Worte brach sie aus: »Nach Salimberi bist du der einzige Mann, den ich gekannt. Aus Mitleiden, mein Engel, sei großmütig, wenn du mich liebst, entziehe mich diesem Zustande der Schmach und Verworfenheit. Nimm mich mit dir. Ich mache keinen Anspruch darauf, deine Frau zu werden, das möchte zu viel Glück sein; laß mich nur deine Freundin sein, wie ich die Salimberis gewesen sein würde: mein Herz ist rein, ich fühle, daß ich gemacht bin, um mein Leben durch Treue gegen meinen Liebhaber zu ehren. Verlaß mich nicht. Die Zärtlichkeit, die du mir eingeflößt, ist eine wahrhafte; die, die ich für Salimberi hegte, war unschuldig und entsprang aus meiner Jugend und Dankbarkeit, und ich halte mich erst für ein Weib, seitdem ich es durch dich geworden bin.« Ihre rührenden Worte, die mit Überzeugung von ihren Lippen strömten, waren wie ein Zauber und ließen mich Tränen zärtlicher Teilnahme vergießen. Ich vermischte sie mit denen, die ihren schönen Augen entflossen, und, lebhaft ergriffen, versprach ich ihr aufrichtig, sie nicht zu verlassen. Nachdem ich midi überzeugt, daß ich wirklich in Ankona ihre wahrhafte Neigung wachgerufen, daß sie qualvoll gelitten unter den Beleidigungen, die ich ihrem Herzen durch mein Verhältnis zu ihren Schwestern zufügen mußte, faßte ich den Entschluß, sie mit meinem Schicksale zu verknüpfen, wie dieses sich auch gestalten mochte, oder mich mit dem ihrigen, denn unsere Lage war so ziemlich dieselbe, dieser Verbindung aber auch die Weihe der Gesetze und der Religion zu geben, sie förmlich zu heiraten; denn nach meinen damaligen Ideen konnte eine Heirat unsere Zärtlichkeit nur inniger machen, unsere gegenseitige Achtung nur vermehren. Da ich mir aber sagte, daß es bei meinen damaligen Verhältnissen dahin kommen könnte, daß ihr Talent mich ernähren müsse, und sie mir dann die größten Demütigungen zufügen könnte, beschloß ich, sie zu prüfen. Ich gestand ihr, nachdem ich sie gehörig auf meine Wahrhaftigkeit vorbereitet, ein, daß ich nicht reich, daß ich, wenn meine Börse geleert, nichts mehr mein eigen nennen könne, daß ich nicht von Adel, sondern von gleicher Geburt wie sie; daß kein einträgliches Talent und keine Stellung mir sichere Existenz gäbe, kurz, daß meine ganze Habe bestehe aus: Jugend, Gesundheit, Mut, etwas Geist, Ehr- und Rechtlichkeitsgefühl, und in einiger Kenntnis der guten Literatur. Außerdem sei ich der Verschwendung sehr zugeneigt. Sie antwortete darauf, daß sie mir buchstäblich glauben müsse, denn eine Ahnung habe ihr das schon vorhergesagt. Aber sie freue sich, denn nun könne sie gewiß sein, daß ich ihr Geschenk annehmen würde. »Dies Geschenk besteht in mir, wie ich bin und mit allen meinen Fähigkeiten. Ich gebe mich dir ohne jede Bedingung hin; ich gehöre dir und werde für dich sorgen. Denke in Zukunft nur daran, mich zu lieben, aber liebe mich allein. Von diesem Augenblicke bin ich nicht mehr Bellino. Gehen wir nach Venedig, wo mein Talent uns beide ernähren wird, oder wohin du willst.« »Ich muß nach Konstantinopel reisen.« »Gehen wir dorthin. Wenn du mich durch Unbeständigkeit zu verlieren fürchtest, so heirate mich, und deine Anrechte an mich werden durch die Gesetze befestigt. Ich werde dich darum nicht zärtlicher lieben; aber der Name deiner Gattin wird mir angenehm sein.« »Ich habe diese Absicht und freue mich, daß du meine Ansicht teilst. Übermorgen, und keinen Tag später, sollst du mein Gelübde in Bologna am Fuße des Altars empfangen, wie ich es hier in den Armen der Liebe ablege. Ich will, daß du mein seiest und daß wir beide durch alle nur erdenkbaren Bande vereinigt werden.« Wir waren auf dem Gipfel des Glücks. Am folgenden Tage machten wir uns auf den Weg, und blieben zum Frühstück in Pesaro. Als wir im Begriff sind, in den Wagen zu steigen, erscheint ein Unteroffizier mit zwei Füsilieren und fragt uns nach unsern Namen und unsern Pässen. Bellino gibt den seinigen, aber ich suche vergeblich den meinigen, ich finde ihn nicht. Der Korporal befiehlt dem Postillon zu warten und stattet seinen Bericht ab. Eine Stunde darauf kehrt er mit dem Passe Bellinos und der Meldung zurück, er könne Weiterreisen, während ich zum Kommandanten geführt wurde, wo ich mich auswies, soweit ich konnte, aber zugestehen mußte, daß mein Paß verloren gegangen sei. Ich wurde nun festgehalten, bis ein Paß aus Rom wieder für mich ankäme. Ich war untröstlich, besonders Theresens wegen, welche weiterreisen mußte, und es blieb uns nur die Hoffnung, daß wir uns in zehn Tagen wiedersehn würden, um uns nicht mehr zu verlassen. Das Schicksal hat es anders gewollt. Ich war auf Sankt Maria untergebracht, wo ich bald bekannt war und frei herumspazieren konnte. Da begegnete mir eines Tags der sonderbarste Zufall meines Lebens. Es war sechs Uhr morgens. Ich ging etwa hundert Schritt von der Schildwache spazieren, als ein Offizier in meiner Nähe vom Pferde stieg, ihm den Zügel über den Hals warf und sich entfernte, um ein Bedürfnis zu verrichten. Ich bewundere die Gelehrigkeit des Pferdes, welches wie ein getreuer Diener, dem sein Herr zu warten befohlen, dastand, nähere mich ihm, ergreife ohne alle Absicht die Zügel, setze den Fuß in den Bügel und sitze nun im Sattel. Zum erstenmal in meinem Leben hatte ich ein Pferd bestiegen. Ich weiß nicht, ob ich es mit meinem Stocke oder meinem Absatze berührte, plötzlich geht das Tier mit mir durch; ich drücke es mit meinen Absätzen, und nachdem mein rechter Fuß den Steigbügel verloren und da das Pferd sich fortwährend gedrückt fühlt, so läuft es immer schneller und schneller. Der letzte vorgeschobene Posten ruft mir Halt zu; ich kann dem Befehle nicht willfahren, da das Pferd immer schneller läuft: ich höre Kugeln um mich herum pfeifen, welche meinem unfreiwilligen Gehorsam nachgeschickt werden. Endlich beim ersten vorgeschobenen Posten der Österreicher hält man mein Pferd an, und ich danke Gott, daß ich absteigen darf. Ein Husarenoffizier fragt mich, wo ich so schnell hin will, und mein Wort, welches meinen Gedanken voranläuft, antwortet ohne mein Wissen, daß ich es nur dem Fürsten Lobkowitz sagen könne, welcher die Armee befehligte und dessen Hauptquartier in Rimini war. Nachdem ich dies gesagt, befiehlt der Offizier zwei Husaren, zu Pferde zu steigen, und nachdem man mich auf ein drittes gesetzt, führt man mich im Galopp nach Rimini, wo der wachthabende Offizier mich sogleich zum Fürsten bringen läßt. Ich fand Seine Hoheit allein und erzählte ihm einfach, was mir begegnet. Meine Erzählung brachte ihn zum Lachen, doch äußerte er, daß sie nicht glaublich wäre. Aber er gab den Auftrag, mich vor das Tor nach Cesena zu bringen, von wo ich mich überall hin wenden könnte, nur dürfte ich mich nicht wieder ohne Paß unter seiner Armee zeigen. Ein Offizier begleitete mich; auf dem Wege begegnete uns Petron, dem ich befahl, so zu tun, als kenne er mich nicht. Vor dem Tor verließ mich der Offizier. Da es regnete, stellte ich mich unter einen Torweg, und um nicht als Abbé erkannt zu werden, kehrte ich meinen Überrock um. Während ich so warte, kommt eine Maultierherde vorbei, mechanisch lege ich die Hand auf den Hals eines der Tiere und folge dem langsamen Schritte der Herde, und so kehre ich nach Rimini zurück, ohne daß der Treiber noch sonst jemand etwas von mir merkte. Ich gelangte bis zur Wohnung Theresens, wo ich die ganze Familie versammelt fand. Als Therese von meinem Abenteuer hörte, riet sie mir dringend, nach Bologna zurückzukehren, um mir einen Paß zu beschaffen. Von einem Offizier, dem Baron Vais, der zufällig derselbe war, welcher mich vor das Tor gebracht hatte und der schon von ihr mein Mißgeschick kannte, hatte sie gehört, wie gefährlich mein Aufenthalt ohne diesen sein würde. Sie selbst hatte sich dem Direktor des Theaters als Mädchen vorgestellt, und da in Rimini Frauen auftreten dürfen, stand nichts ihrem Engagement entgegen. Ihr Gastspiel daure nur bis Mai, dann wolle sie mich aufsuchen, wo ich es bestimme. Den ganzen Tag blieb ich in der Gesellschaft meiner Geliebten und entdeckte immer neue Reize in ihr. Gegen Abend kam der Baron Vais; sie ließ mich allein im Dunkeln, aber so, daß ich alles sehen konnte. Mit vollendeter Grazie empfing sie jenen, hörte seinen Bericht über mich an, blieb auch ruhig, als er erwähnte, daß er mir geraten, mir meinen Paß in Bologna zu verschaffen. Er blieb eine Stunde bei ihr, und Theresens Benehmen gab mir nicht den geringsten Grund zur Eifersucht. Durch Petron erfuhr ich die Gelegenheit, daß ich am andern Morgen als Maultiertreiber mit einer Herde aus der Stadt gelangen könnte. In der Frühe nahm ich herzlichen Abschied und gelangte auf die angegebene Weise aus der Stadt. Sobald es möglich, nahm ich Post nach Bologna. Als ich dort ankam und bedachte, daß ich mir wohl neue Kleider machen lassen müßte, entschloß ich mich nach einer reiflichen Überlegung, deren Ende war, daß der geistliche Beruf nichts für mich, das Kleid eines Abbés auszuziehen und das eines Offiziers anzulegen. Ich ließ mir also eine Fantasieuniform machen und gab mich als Offizier aus, der augenblicklich ohne Dienst. Ein Zufall wollte es, daß in derselben Zeit die Zeitung von Pesaro meldete: Herr Casanova, Offizier im Regiment der Königin, sei desertiert, nachdem er seinen Hauptmann im Duell getötet. Fragern gegenüber schwieg ich und nährte somit die Idee, daß ich dieser Offizier sei. Da ich hoffte, daraufhin in Venedig mit Ehren empfangen zu werden, außerdem auch dort meine Therese bequemer erwarten könne, wollte ich mich nach meiner Vaterstadt begeben. Vor meiner Abreise erhielt ich einen dicken Brief von Therese, welche mir in den zärtlichsten Ausdrücken mitteilte, sie habe ein Anerbieten nach Neapel mit tausend Unzen jährlicher Bezahlung und Erstattung der Reisekosten. Sie legte einen Vertragsentwurf bei, den sie nur unterschreibe, wenn ich damit einverstanden; außerdem sandte sie mir noch eine förmliche Verpflichtung, ihr ganzes Leben lang in meinen Diensten zu bleiben. Wenn ich mit nach dieser Stadt wollte, würde sie mich überall abholen; hegte ich aber Abneigung gegen Neapel, so werde sie sich ganz meinen Wünschen fügen. Es war das erstemal, daß ich nachdenken mußte, ernstlich: Eigenliebe und Liebe zu Therese hielten sich die Wagschale. Wie sollte ich jetzt als der Mann einer Sängerin in Neapel auftreten, in einer Gesellschaft, von der ich mich erst vor einigen Monaten mit allen Ehrenbezeigungen getrennt hatte? Und dann sollte ich auf das glänzende Los verzichten, für das ich mich geboren glaubte? Wäre Theresens Brief eine Woche früher gekommen: sie wäre nicht nach Neapel gegangen, jetzt aber mußte mein Verstand über das Herz siegen: auch in der Liebe ist die Zeit eine mächtige Herrin. Ich schrieb also Therese, sie möchte annehmen; wenn ich von Konstantinopel zurückkäme, würde ich sie sofort aufsuchen. Es war eine Ausflucht. Nach einigen Tagen schrieb sie mir: sie habe eine Kammerfrau genommen und werde im Mai nach Neapel reisen, um dort so lange auf mich zu warten, bis ich ihr anzeige, daß ich sie nicht mehr liebe. Erst nach Jahren sollte ich dies liebe Wesen wiedersehn.


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