Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Im Gegensatz zu der verhältnismäßig guten Ordnung in der Schatzkammer fanden wir in der Seiten- oder Vorratskammer ein jeder Beschreibung spottendes Gewirr von allen möglichen Grabgegenständen, die kreuz und quer übereinanderlagen: Ruhebetten, Lehnsessel, Stühle, Schemel, Fußbänke, Kissen, Brettspiele, Fruchtkörbe, Alabastergefäße, Weinkrüge, Kisten mit Grabfiguren, Spielzeug, Schilde, Bogen, Pfeile und andere Wurfgeschosse. Truhen waren umgeworfen, ihr Inhalt ausgeschüttet.
Zweifellos war dies das Werk von Grabräubern. Aber in den andern Räumen war wenigstens einmal der Versuch gemacht worden, aufzuräumen. Die Beamten der Totenstadt hatten sich zwar um die Vorkammer, die Sargkammer und die Schatzkammer nach dem Einbruch gekümmert, diesen kleinen Raum jedoch vernachlässigt.
Das Durcheinander läßt sich kaum übertreiben. Die Hast der Räuber, mit der sie ihre Beute, lediglich Gold und anderes wertvolles Metall, gesucht hatten, hatte etwas Dramatisches und zugleich Tragisches. Es gab keinen Gegenstand, der nicht deutliche Merkmale der Plünderung aufgewiesen hätte. Auf einer der größeren Kisten konnte man noch die Fußspuren sehen.
Der kleine Vorratsraum war ein weiterer Zeuge für die Vernachlässigung und Entwürdigung, der die Königsgräber ausgesetzt gewesen sind. Jedes einzelne Denkmal im Tal der Könige beweist, wie hohl und vergänglich die Ehrfurcht des Menschen ist. Kein Grab, das dort nicht geplündert wurde.
Der Türeingang war 1,25 Meter hoch und 90 Zentimeter breit. Er war mit Bruchsteinen grob zugemauert und nur an der Außenseite übertüncht. Bei der Öffnung des Grabes war nur noch der obere Teil der Vermauerung vorhanden, da die Diebe unten durchgebrochen waren. Die Bresche war nicht wieder ausgefüllt worden. Es war dasselbe Loch, das auch uns den ersten Einblick in den Raum ermöglicht hatte. Er war verhältnismäßig klein – 4,20 Meter lang, 2,55 breit und 2,52 hoch. Man hatte ihn grob aus dem Felsen herausgehauen und nicht den geringsten Versuch gemacht, ihn etwas aufzubessern. Er war als Vorratsraum angelegt und auch als solcher benutzt worden. Felswände und Decke hatten durch die Feuchtigkeit, die in allerdings nicht gar zu häufigen Zwischenräumen eingedrungen war, ihre natürliche Farbe verloren.
Das Bild, das sich unsern Augen darbot, trieb unsere Neugier auf die Spitze. Welches Geheimnis mochte sich in dem Chaos verbergen? Unsere elektrischen Lampen warfen ihren Schein auf den meterhohen Haufen zusammengepferchter Gegenstände und ließen manche der Grabbeigaben in seltsamen Reliefbildern hervortreten. (Abb. 87.) Merkwürdige Dinge lugten aus den entferntesten Winkeln und Ecken.
Unmittelbar vor uns stand ein großer Stuhl, eine Art Thronsessel, das Unterste nach oben gekehrt. Quer durch den Raum, halb umgekippt, lagen Ruhebetten, wie sie noch heute am oberen Nil in Gebrauch sind. Hier stand eine Vase, dort sah eine winzige Figur mit verlorenem Ausdruck zu uns herüber. Dort wieder lagen Waffen verschiedenster Art, Körbe, tönerne und alabasterne Gefäße und Brettspiele, alles in Trümmern zwischen den Steinen, die aus der Vermauerung in den Raum hineingestoßen waren. In einer gegenüberliegenden Ecke hing halb in der Schwebe, als ob sie noch immer zu fallen zögerte, eine zerbrochene Kiste, vollgepfropft mit feinen Fayencegefäßen, die jeden Augenblick zu zerbrechen drohten. Mitten in einem Gewirr von allerhand Gebrauchsgegenständen und Grabbeigaben stand fast unversehrt ein Tischchen auf schlanken Beinen. Eingekeilt zwischen Kisten und Gegenständen befand sich ein Boot aus Alabaster, ein Löwe und die Figur eines meckernden Steinbocks. Ein Fächer, eine Sandale, das Stück eines Gewandes und ein Handschuh hielten seltsame Kameradschaft mit den Symbolen des Lebens und des Todes.
Die Methode, die wir beim Aufräumen der etwa dreihundert Altertümer anzuwenden hatten, war recht prosaisch. Zunächst mußte genügend Raum zum Stehen und Gehen geschaffen werden, und das war nur dadurch zu bewerkstelligen, daß wir uns mit dem Kopf nach unten über die Mauerbresche beugten, die immerhin ein reichliches Meter hoch war. Bei dieser recht unbequemen Arbeit mußte alle Vorsicht angewandt werden, damit die außerhalb unserer Reichweite aufgetürmten Altertümer nicht lawinenartig auf uns niederpolterten. Nur dadurch, daß wir immer erst den obersten Gegenstand, den wir erreichen konnten, entfernten, konnten wir schließlich den Eintritt gewinnen und die Schätze langsam zusammenholen. Jedes Stück oder jede Gruppe von Gegenständen mußte zunächst photographiert, numeriert und gebucht werden. Dieser Katalogisierung war es zu verdanken, daß wir uns zu guter Letzt einen Begriff von den Vorgängen machen konnten, die sich in dem Raum abgespielt hatten.
Mein erster Eindruck war offengestanden der, daß die Lage der Gegenstände völlig bedeutungslos war, und daß man aus einer derartigen Unordnung wenig oder gar nichts würde entnehmen können. Aber je weiter der Raum Stück für Stück geleert wurde, erwies es sich immer deutlicher, daß man aus dem Chaos wichtige Schlüsse auf die ursprüngliche Anordnung ziehen konnte. Sorgfältige Prüfung enthüllte einen sehr wichtigen Punkt, und das war, daß zwei voneinander unabhängige Diebstähle stattgefunden hatten. Der erste – bei dem es auf Gold, Silber und Bronze abgesehen war – war von den Grabräubern begangen worden, die auch die übrigen Kammern des Grabes nach Metall durchstöbert hatten, der zweite Diebstahl anscheinend von Leuten, die nach nichts weiter als den kostbaren Ölen und Salben aus gewesen waren. Es wurde ferner klar, daß die Seitenkammer als Vorratsraum, und zwar zur Aufnahme von Ölen, Salben, Wein und Speise bestimmt gewesen ist. Aber hier war noch eine Menge Gegenstände untergebracht, die eigentlich zur Grabausstattung und nicht hierher gehörten und über den eigentlichen Inhalt der Kammer getürmt worden waren.
Diese nicht hierher gehörigen Dinge sind nicht so sehr aus Platzmangel als wahrscheinlich aus Mangel an systematischem Vorgehen beim Unterbringen der Grabausrüstung schließlich in der Seitenkammer untergebracht worden. So wurden Totenbarken und Schawabtifiguren, die in die Schatzkammer gehörten, in der Seitenkammer aufgefunden.
Aus diesen Tatsachen läßt sich der ganze Verlauf wiedergeben. Zuerst sind beinahe 40 tönerne Weinkrüge auf dem Boden der Kammer aufgestellt worden. Dann folgten zum mindesten 35 schwere Alabastergefäße mit Ölen und Salben. Daneben und zum Teil auf ihnen wurden 116 Fruchtkörbe gelagert. Den noch freien Raum füllte man mit Truhen, Schemeln, Stühlen, Ruhebetten aus. Schließlich wurde der Türeingang vermauert und versiegelt. All das muß geschehen sein, bevor irgendwelche Gegenstände in der Vorkammer untergebracht waren, denn nachher hätte sich nichts mehr in die Seitenkammer bringen lassen.
Bei dem ersten Einbruch sind die Metallräuber offenbar unter der Bahre mit den Nilpferdköpfen durchgekrochen, haben sich ihren Weg durch die Tür der Seitenkammer erzwungen und den gesamten Inhalt nach Metallgegenständen durchwühlt. Sie sind zweifellos für den größten Teil der Unordnung des Raumes verantwortlich. Dann ist der zweite Raub verübt worden, der den Ölen und Salben in den Alabasterkrügen galt. Dieser zweite Einbruch muß sorgfältig geplant gewesen sein. Da die Steingefäße nur mit größter Mühe hätten fortgeschafft werden können, hatten sich die Diebe mit Lederbeuteln und Wasserschläuchen ausgerüstet. Wir fanden nicht einen einzigen Krug, der nicht völlig geleert worden wäre. Auf der Innenwand einiger Gefäße, die dickflüssige Öle enthalten hatten, sind noch die Fingerabdrücke der Diebe deutlich erkennbar. Um an die Steingefäße heranzukommen, sind die darauf gestapelt gewesenen Stücke kreuz und quer durch den Raum geworfen worden.
Die Kenntnis des zweiten Einbruchs wirft Licht auf etwas, das uns stets ein Rätsel geblieben war. Warum hatten sich die Diebe immer an den ganz unauffälligen Steingefäßen vergriffen? Weil die Fette oder Öle, die in den Gefäßen aufbewahrt waren, ohne Zweifel zu jener Zeit von weit größerem Wert gewesen sind, als wir es uns heute vorstellen.
Nach altem Brauche war jedem Gegenstand ein Platz im Grabe zugewiesen. Die Erfahrung zeigt, daß die herkömmlichen Bestimmungen nur selten restlos durchgeführt worden sind. Mangel an Vorbedacht bei der Berechnung des nötigen Raumes oder unsystematische Arbeit bei der Unterbringung der Geräte führten dazu, daß die Tradition unbeachtet blieb. Wir haben niemals eine vollkommene, höchstens eine annähernd gute Ordnung gefunden.
Das Grab ist zweimal noch zur Zeit der Pharaonen beraubt worden. Ich bin davon überzeugt, daß beide Diebstähle innerhalb weniger Jahre nach der Bestattung stattgefunden haben. Das Grab Tut-ench-Amuns erbringt den Beweis, wieviel Schaden die Königsgräber schon unter ihren eigenen Dynastien erlitten haben. Wir wundern uns daher, wie es geschehen konnte, daß gerade dieses Königsgrab bei all seinen Reichtümern dem Geschick der übrigen siebenundzwanzig im Tale der Könige hat entrinnen können.
Hoch über der Masse von Gegenständen und von einer Wand zur andern reichend, lagen drei große Ruhebetten. Sie bestehen aus Holzrahmen mit Geflecht aus Schnüren, haben eine Fußplatte und Löwenfüße. Die Querstützen sind so gebogen, daß das Flechtwerk sich bei der Belastung durch den Schlafenden frei nach unten ausdehnen konnte. An der Südwand fanden wir unter einem Haufen von Gegenständen noch ein viertes Ruhebett, und zwar ein zusammenlegbares für Reisezwecke. Es ist aus leichtem, weißbemaltem Holz gefertigt und konnte mit Hilfe von schweren Bronzescharnieren bequem zu einem Drittel seiner Größe zusammengelegt werden.
Inmitten des Raumes stand ein etwa 60 Zentimeter hohes Schränkchen mit vier schlanken Beinen. (Abb. 88.) Es gehört zu jenen zierlichen Altertümern, die den ganzen Liebreiz des leichten Mobiliars der Ägypter haben und auf uns wie modernste Arbeit wirken. Die Seitenwände aus dunkelrotem Zedernholz sind ganz glatt, die Beine und Querleisten aus Ebenholz haben eingelegte Hieroglyphen. Den unteren Abschluß des Schränkchens bildet ein durchbrochener Fries, der aus abwechselnd vergoldeten und einfachen Ebenholzzeichen besteht. Der Deckel ist mit Bronzescharnieren befestigt. Oben und vorn sind vergoldete Knöpfe angebracht, an denen einst Schnur und Siegel befestigt waren. Dieses Möbelstück war wahrscheinlich für die feineren linnenen Kleider des Königs bestimmt. Aber sein ursprünglicher Inhalt war verstreut oder gestohlen.
Wir fanden nur vier außerordentlich feine Kopfstützen, die offenbar später hineingelegt worden waren. Die eine davon ist ein prachtvolles Beispiel ägyptischer Elfenbeinschnitzerei und vielleicht das schönste Stück symbolischer Kunst des Neuen Reiches, das bisher gefunden worden ist. (Abb. 89.) Das Thema ist dem uralten Mythenschatze von der Weltschöpfung entnommen. Danach sollen ursprünglich Himmel und Erde, das heißt die Himmelsgöttin Nut und der Erdgott Gab, eng vereinigt gewesen sein. Zwischen beide drängte sich dann der Luftgott Schu, hob auf seinen Händen den Himmel samt allen Göttern in die Höhe und stellte ihn an seinen Platz. Darauf nahm die Himmelsgöttin Nut Besitz von den Göttern, zählte sie und schuf aus ihnen Sterne. Am östlichen und westlichen Ende der Erde, am Fuß der Kopfstütze, liegen die Löwen »Gestern und Morgen«. Sie symbolisieren wahrscheinlich den Auf- und Niedergang Rçs, des Sonnengottes und Urvaters aller Wesen. Die Gestalt des Schu, der den Himmel emporhebt, und die beiden Löwen des östlichen und westlichen Horizontes sind voller Würde.
Kein Stück bot einen so eigentümlichen Anblick wie der Kasten für den Kopfputz des Königs. Er war zwischen eine Menge von Weinkrügen geworfen worden. Sein durchaus privater Charakter machte ihn besonders bemerkenswert, war es doch ein Erbstück aus dem täglichen Leben der Vergangenheit – und zugleich das Urbild moderner Hutschachteln. Innen befand sich als Huthalter ein Holzkugelkopf auf einem Fuß. Die Überbleibsel der Kappe des jungen Königs fanden sich noch auf dem Boden des Kastens. Sie war aus feinem Leinen gearbeitet und mit reichem Perlenwerk aus Gold, Lapislazuli, Karneol und grünem Feldspat verziert.
Eine Truhe war zweifellos für das Spielzeug des jungen Tut-ench-Amun bestimmt gewesen. Leider war ihr Inhalt durcheinandergewühlt. Eine Reihe von Stücken konnten wir retten: Armbänder und Fußspangen aus Elfenbein, Holz, Glas und Leder; kleine Spielbretter aus Elfenbein; Steinschleudern, Handschuhe, ein Feuerzeug, ein paar lederne Gelenkschützer zum Abwenden des Schlages der Bogensehne; bewegliche Spielsachen, ein paar Proben von Mineralien und sogar Farben und Farbtöpfe für den jugendlichen Maler. Der zum Schließen dienende Deckelknopf war unterhalb des Deckels eingekerbt und konnte so gedreht werden, daß er den Kasten fest abschloß. Meiner Ansicht nach ist diese Konstruktion der früheste uns bekannte automatische Verschluß.
Auch ein Knabe jener Zeit muß besonderen Gefallen an männlichen Dingen gefunden haben, also an einem richtigen Feuerzeug oder an Schleudern. Die alten Ägypter kannten weder Phosphor noch Schwefel. Ihr Feuerzeug ist während der ganzen geschichtlichen Zeit von der 1. bis zur 30. Dynastie äußerst primitiv gewesen. Sie erzeugten Feuer, indem sie ein Stück hartes Holz im Loch eines festliegenden weichen Holzbrettes mit größter Geschwindigkeit sich drehen ließen. Sie bedienten sich dabei des Drillens mit einem Bogen. Der Bogen wurde ruckweise hin- und hergedreht. Die Bogenschnur wurde um das Feuerholz gewunden. Die Drehlöcher wurden am Rand des Holzblockes ausgebohrt, um den Funken leicht an den Zunder gelangen zu lassen. Bei Tut-ench-Amuns Feuerzeug waren die Löcher mit Harz behandelt, um die Reibung zu erhöhen und dadurch die Hitzeentwicklung zu erleichtern.
Ein höchst bemerkenswertes zerbrechliches Stück, ein auf einem Teich schwimmendes Boot, ist aus halbdurchsichtigem Alabaster gearbeitet und mit eingeschnittenen und gemalten Frucht- und Blumengirlanden verziert und scheint als Tafelzierat gedient zu haben. (Abb. 90.)
Es ist eine außerordentlich reiche Arbeit, die uns einen Blick aus dem Dunkel des Grabes ins Licht einer sonst so verblaßten Vergangenheit vergönnt. Das Stück ist kaum 68 Zentimeter hoch und 70 Zentimeter lang. Der Untersatz bildet den Teich und kann mit Wasser und Blumen gefüllt werden. Das Boot hat nach oben gebogene Enden, die in Steinbockköpfe auslaufen. In der Mitte befindet sich ein Baldachin, der von vier reichdekorierten Papyrussäulen getragen wird und, wenn ich nicht sehr irre, einen offenen Sarkophag überdacht. Auf dem Vorderdeck hockt das anmutige Figürchen eines nackten Mädchens, das eine Lotosblume an die Brust preßt. Am Steuer des Bootes steht eine Sklavin. Diese kleine Zwergin mit ihren einwärts gedrehten Füßen ist ein seltenes Stück, das nicht nur für den Kunsthistoriker, sondern genau so für den Mediziner höchst interessant ist. (Abb. 91.) Bisher hat uns nichts Aufschluß über die wirkliche Bedeutung dieses kleinen Kunstwerkes gegeben. Falls es zu den Totenbarken gehört, dann ist es weiter nichts als ein Stück des vorgeschriebenen Totenritus. Aber ich bin geneigt, es tatsächlich für ein Zierstück aus dem Palast zu halten, das ursprünglich nicht für das Grab bestimmt war.
Besonders auffallend ist ein etwa 13 Zentimeter hohes Silbergefäß in Form eines Granatapfels. Es ist von den Grabräubern vergessen oder fallen gelassen worden. Das Gefäß zeigt ein graviertes Band von Kornblumen- und Olivenblättern; Hals und Schulter tragen Lilien und Mohnblütengirlanden. Die Vase ist so modern, daß wohl keiner von uns gewagt hätte, sie ins 14. vorchristliche Jahrhundert zurückzudatieren.
Kästen mit Spielbrettern und ihre Steine lagen allenthalben im Raum umher. Die Spiele sind von drei verschiedenen Größen; manche für den Hausgebrauch, andere zum In-der-Tasche-Tragen. Die hier gefundenen sind gewiß für den wirklichen Gebrauch bestimmt gewesen. Das größte und auch schönste Spielbrett steht auf einem feingearbeiteten Ebenholzbänkchen, das auf einem Schlitten ruht. Seine Untersätze und die Krallen der Löwenfüße sind mit Gold verziert. Das Spielbrett ist gleichfalls aus Ebenholz und mit Elfenbein ausgelegt. (Abb. 92.)
Diese Spielbretter oder Spielkasten sind fast ausnahmslos für je zwei Arten des Spiels eingerichtet, nämlich drei Reihen mit zehn Feldern auf der einen und drei Reihen mit vier Feldern und einer Anfangsreihe von acht Feldern auf der andern Seite. Die Steine des großen Brettspiels fehlten. Sie waren vermutlich aus Gold und Silber und infolgedessen gestohlen. Die kleineren Steine aus Elfenbein hatten in den Augen der Räuber keinen Wert und waren darum noch vollzählig.
Eine Anzahl der gefundenen Straußfederfächer erinnert an das Flabellum, das bei päpstlichen Prozessionen gebraucht wird. Genau so wurden diese Fächer von Kammerherren bei Umzügen des Pharao getragen oder zu beiden Seiten des Königs oder unmittelbar hinter seinem Thron gehalten. Der Titel »Fächerträger zur Rechten (oder zur Linken) Seiner Majestät« galt als eine der höchsten Würden. Leider waren die Straußenfedern so zerfallen, daß nur bei einigen wenigen noch die Federkiele übrig waren. Die Kopfstücke hatten achtundvierzig Federn, auf jeder Seite vierundzwanzig, gehalten.
Die Fächergriffe sind 60 bis 120 Zentimeter lang. Sie haben ein Kapitell in Form einer Papyrusdolde; am unteren Ende des Griffs befindet sich ein Knauf in Gestalt einer umgekehrten Papyrusdolde oder Lotosblüte. Sie sind aus Elfenbein geschnitzt, getönt und vergoldet oder aus Ebenholz, das mit Baumrinde verziert ist. Der Elfenbeingriff ist ein Meisterwerk der Schnitzerei.
Ein höchst interessantes und einzigartiges Stück war ein Zepter des Königs. (Abb. 93.) Es ist schwer verständlich, warum sich ein so ehrwürdiges Stück in der Vorratskammer und nicht in der Schatzkammer befand. Die einzige Erklärung ist, daß die Plünderer gestört wurden und das Zepter beiseite warfen, oder daß es zu einer vollständigen, ursprünglich in einer der Truhen untergebrachten Ausstattung gehörte. Dieser Zeptertyp ist stets ein Symbol des Herrschers gewesen. Es ist etwa 52 Zentimeter lang und besteht aus Holz, das mit dickem Goldblech beschlagen ist. Das obere Ende und die beiden Enden des Griffs sind mit reicher Cloisonné-Arbeit verziert.
Der Verstorbene galt nach seinem Tode als derselbe Mensch, der er im Leben gewesen. Das »zweite« Leben galt tatsächlich als eine Fortsetzung des ersten. Darum finden wir Hausrat, Zepter, Fächer, Spazierstöcke, Stäbe, Waffen und alle möglichen Dinge des täglichen Gebrauches in dem Grabe. Aus diesen Grabbeigaben können wir uns ein Bild von der wirklichen Welt des alten Ägyptens machen.
Die Sammlung von Angriffswaffen, die in der Vorratskammer gefunden wurde, umschließt Keulen, Stöcke, Sichelschwerter, Bogen und Pfeile, Bumerangs und Wurfspeere für Vogeljagd und Krieg. Die Verteidigungswaffen sind Schilde sowie ein Panzer.
Die Öle und Salben waren in 43 Gefäße aus Alabaster und eins aus Serpentin gefüllt. Manche waren zweifellos älter als das Königsgrab. Bei einigen sind die Inschriften sorgfältig weggekratzt; andere tragen die Namen von Vorfahren des Königs, bei andern wieder deuten Bruchspuren und Ausbesserungen auf langen Gebrauch hin. Es macht den Eindruck, als ob sie Öle für die Königsfamilie aus berühmten Pressen sowie abgelagerte Salben und Fette aus einer Zeit etwa 85 Jahre vor Tut-ench-Amun enthalten hatten. Die Höhe der Steingefäße schwankte zwischen 21 und 76 Zentimeter. Sie fassen etwa 2¾ bis 14 Liter; demnach waren in der Vorratskammer zum mindesten 350 Liter Öl, Fette und andere Salben für den König untergebracht.
Von den Gefäßen sind bemerkenswert: eine Vase in Gestalt eines Löwengottes, der in Angriffsstellung aufrecht steht. (Abb. 94.) In die Krone ist der Vasenhals in Form einer Lotosblüte eingepaßt. Die Verzierungen sind eingeschnitten und mit Farbe ausgefüllt. Zunge und Zähne sind aus Elfenbein. Eine andere Vase stellt einen liegenden Steinbock dar, der ganz realistisch gestaltet ist. (Abb. 98.)
Ein drittes Gefäß hat die Form eines schlanken Kessels, der auf einem Untersatz steht. Es hat ein sehr feingeschnittenes Reliefornament oben am Hals. Die Inschrift ist eingeschnitten und mit Farbe ausgelegt. (Abb. 95.)
Ein vierter Krug aus halbdurchsichtigem Alabaster zeigt in durchbrochener Arbeit aufrechtstehende Schlangen, die mit ihren Flügeln den Namen des Königs und dadurch diesen selbst schützen. (Abb. 96.) Besonders interessant ist ein Paar schlanker Krüge mit langen Hälsen; sie sind unten spitz; um den Hals tragen sie Verzierungen von je drei Blumenkränzen, die aus vielfarbiger Fayence gearbeitet und in den Stein eingelegt sind.
Die drei Dutzend Weinkrüge aus Ton sind historisch recht interessant. (Abb. 97.) Die Weine waren natürlich längst eingetrocknet, aber jeder Krug trägt eine Aufschrift, die Jahrgang und Ursprungsort des Weines angibt. Aus den Weinkrügen lernen wir auch das Verfahren der altägyptischen Kellermeister kennen. Nach der ersten Gärung wurde der junge Wein in irdene Krüge gefüllt, mit einem Binsenstöpsel verschlossen und mit Nilschlamm verkapselt. Die zweite Gärung fand somit innerhalb der Krüge statt. Um die Kohlensäure entweichen zu lassen, wurden durch die Kapseln kleine Löcher gebohrt. Wahrscheinlich wurde das Kruginnere mit einer harzigen Masse ausgeschmiert, um dem porösen Ton entgegenzuwirken.
Auf den Steingefäßen wie auf den Weinkrügen fanden sich 116 Körbe gestapelt. Sie enthielten Eßwaren, in der Hauptsache Früchte und Fruchtkerne, unter anderem Mandragore, Nabach, Trauben, Datteln und Melonenkerne sowie Dumnüsse. Die Körbe sind rund, oval oder flaschenförmig, ihre Größe schwankt zwischen 10 und 45 Zentimeter im Durchmesser. Die Flechttechnik scheint sich in keiner Weise von der zu unterscheiden, die noch heute von den ägyptischen Korbmachern angewendet wird. Einige der kleineren und feiner geflochtenen Körbe sind durch eingeflochtene Gräser in natürlichen Farben gemustert. Die gröberen sind aus Fasersträhnen von den Fruchtstengeln der Dattelpalme geflochten. Die flaschenförmigen Körbe enthielten getrocknete Weintrauben.
Der Bericht über das Ergebnis einer zehn Winter langen Arbeit ist damit abgeschlossen.
Nach langen, mühevollen Jahren, die der Entdeckung des Grabes vorausgingen, erreichten wir endlich unser Ziel. Unter dem Eingang zum Grab Ramses' VI. entdeckten wir eine in den Felsgrund geschlagene Stufe, die sich als Anfang einer Treppe zum Grab Tut-ench-Amuns erwies.
Mit tiefer Ehrfurcht standen wir vor dieser Entdeckung. Mit tiefer Ehrfurcht legten wir die Treppe und den steil abwärts führenden Gang frei und erblickten zum ersten Male die unterirdische Pracht aus den Zeiten ägyptischer Weltherrschaft vierzehn Jahrhunderte vor Christo.
Die schimmernden Schätze glichen eher verwirrend prächtigen Requisiten eines modernen Theaters als lebendig gebliebener Wirklichkeit aus alter Zeit. Die Wirkung war um so überwältigender, als uns eine so große Entdeckung durchaus überraschend kam. Ein Grab in dieser Unberührtheit zu finden, überstieg jede Erwartung. Wir waren uns sofort darüber klar, daß wir einer Aufgabe von nicht zu bewältigender Größe gegenüberstanden.
Die Entdeckung der ersten Stufe, das Öffnen der Vorkammer mit ihren Wundern, das Durchbrechen der versiegelten Sargkammertür, das in der Geschichte der Archäologie erste Auffinden eines großen Totenschreines, das waren die ergreifendsten Ereignisse des ersten Teils der Ausgrabung.
Der Höhepunkt unserer Erlebnisse aber war der Augenblick, in dem sich die letzten zerstäubenden Binden lösten, und das Antlitz des jungen Pharao sich uns enthüllte. Ein jugendlicher Herrscher, nur kurze Zeit auf dem Thron, tauchte nach dreitausendjähriger Vergessenheit aus der Schattenhaftigkeit seines Namens zur Welt der Wirklichkeit und der Geschichte empor.