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Am 10. Oktober 1925 wurde mit dem Freilegen des Grabeinganges begonnen. Die Männer und Knaben gingen mit großem Eifer daran, den Schutt fortzuschaffen, der zum Schluß des letzten Arbeitswinters als Schutz über der Eingangstreppe aufgehäuft worden war. Am folgenden Tag war der Grabeingang frei. Wir konnten nun die Besichtigung des Innern vornehmen.
Zuerst befreiten wir die Türen von dem wasserdichten Holzverschluß, durch den das hölzerne Schutzgitter am Gangeingang geschützt war. Am Ende des Ganges entfernten wir die Platte vor der festverschlossenen Eisentür und betraten wieder Vorkammer und Sargkammer. Auch diesmal überwältigte uns wieder das Geheimnis des Grabes, die Scheu und die Ehrfurcht vor dem längst Vergangenen.
Wieder beleuchteten unsere starken elektrischen Lampen den großen Quarzitsarg. Die Vorkammer war ihrer schönen Ausstattung beraubt, die Sargkammer ihrer goldnen Schreine entblößt, nur der offene Steinsarg mit den inneren Särgen und dem Geheimnis, das er barg, stand noch unberührt. Nun hatten wir den Deckel von dem ersten, dem äußersten Sarg abzuheben, solange er noch im Steinsarge stand. Eine sorgfältige Untersuchung des Sarges ergab, daß die silbernen Griffe am Deckel noch fest genug waren, um diesen zu halten. Es waren zwei an jeder Seite, und sie konnten ohne Gefahr zum Abheben benutzt werden.
Die nächste Aufgabe war das Aufstellen des Krans zum Heben des Deckels. Die Flaschenzüge wurden mit Schlingen an den Griffen des Sargdeckels befestigt und so eine genaue Gewichtsverteilung hergestellt. Der Deckel kam mit Leichtigkeit hoch und machte einen zweiten herrlichen Sarg frei. Er war von einer feinen, aber gebräunten, morsch gewordenen Leinendecke verhüllt. Auf dem Leinentuch lagen Girlanden aus Oliven und Weidenblättern, Kornblumen und blauen Lotosblumen ausgebreitet. Ein kleiner Kranz hing über den Stirnemblemen. (Abb. 48.)
Jetzt begann die Überlegung, wie wir den zweiten Sarg und den unteren Teil des ersten am besten heben könnten, was bei der Tiefe des Sarkophags außerordentlich schwierig war. Soviel war klar, der äußere und der zweite Sarg mußten zusammen herausgehoben werden, denn beide durften wir nur sehr vorsichtig berühren.
Trotz des ungeheuren Gewichtes, das wir bedeutend unterschätzt hatten, gelang es, die Särge über den Rand des Sarkophags emporzuwinden und ein Brett darunterzuschieben. Nachdem alles registriert war, konnte ich den Kranz und die Girlanden entfernen und das Leinentuch wegnehmen. Wieder ein aufregender Augenblick. Das herrlichste Werk alter Sargmacherkunst, das jemals erblickt wurde, enthüllte sich uns. (Abb. 49.) Wieder war der Pharao in Gestalt des Osiris dargestellt, aber nie hatten wir ihn mit so tiefer Innerlichkeit und in so vollendeter Schönheit gesehen.
Die sorgfältige und kunstvolle Arbeit an den Kränzen deutet darauf hin, daß bei den alten Ägyptern die Blumenbinderei ein ausgebildetes Handwerk war. Die schweren Goldverzierungen des zwei Meter langen Sarges sind mit Jaspis-, Lapislazuli- und Türkisennachahmungen aus Glas belegt. Im wesentlichen gleicht er dem ersten Sarg; nur in einigen Einzelheiten weicht er ab. Die außerordentliche Feinheit und Würde der Auffassung und die erlesene Kunst der Ausführung sind das Charakteristische dieses erhabenen Meisterwerkes. (Abb. 50.)
Am nächsten Tag kamen wir zu einem der wichtigsten Augenblicke bei dem Ausräumen des Grabes. Der äußere Sarg wurde unter dem inneren in den Sarkophag herabgelassen, statt den inneren Sarg aus ihm emporzuwinden. Denn zu dem umgekehrten Verfahren war die Decke des Grabes zu niedrig. Das Verfahren erwies sich als erfolgreich. Wieder wurden feste Bretter über die Öffnung des Sarkophags geschoben, und nun stand der zweite Sarg auf einer festen Unterlage, frei und für uns bequem erreichbar. (Abb. 51.) Wir konnten an das Heben des Deckels gehen. Langsam hob er sich empor. Als er hoch und frei genug hing, wurde er zur Seite gewunden und auf ein bereitstehendes Holzgestell niedergelassen.
Jetzt erblickten wir einen dritten Sarg, der wiederum Osirisgestalt zeigte, aber zunächst von einem fest anliegenden, rötlichen Leinentuch fast ganz verdeckt war. Nur das goldgehämmerte Antlitz war frei. Um Hals und Brust lag ein wunderbarer Halsschmuck aus Perlen und Blumen. (Abb. 52.)
Burton machte sofort seine Aufnahmen, und ich entfernte den kleinen Blumenkragen und das Leinentuch. Und nun kam die erstaunlichste Überraschung. Dieser dritte Sarg bestand aus massivem Gold. (Abb. 53.) Das Geheimnis des ungeheuren Gewichts war gelöst. Jetzt begriffen wir, weshalb weder der erste Sarg noch der Deckel des zweiten das Gewicht wesentlich vermindern konnten. Auch jetzt war die Last noch so groß, daß acht starke Männer sie kaum zu heben vermochten.
Das Gesicht des goldenen Sarges ist wiederum das des Königs; aber die Züge sind, obwohl immer noch konventionell, wie das der Darstellung als Osiris entspricht, so doch jugendlicher als an den andern Särgen. (Abb. 54.) Im übrigen gleicht der Sarg dem ersten. Die feinsten Einzelheiten der Ausführung waren unkenntlich unter einer schwarzen, pechartigen Schicht, die sich aus den geronnenen Salbölen gebildet hatte. Aber glücklicherweise konnte das unvergleichliche Kunstwerk vollkommen gereinigt werden. Immerhin füllte diese schwarze, feste Masse den ganzen Raum zwischen dem zweiten und dritten Sarg fast bis zum Deckel aus.
Endlich hoben wir den dritten Sarg zusammen mit dem Unterteil des zweiten von dem Sarkophag und brachten beide in die Vorkammer, wo sie handlicher für uns standen und uns erst ihre ganze Schönheit offenbarten. Der einzigartige, wunderbare Sarg ist 1,85 Meter lang und aus 2½ bis 3½ Millimeter starkem, massivem Gold. Sein Goldwert allein ist ungeheuer.
Die nächste Arbeit erforderte ziemlich viele Vorbereitungen und Versuche. Es handelte sich darum, die beste und schnellste Art zur Erweichung der verhärteten Salböle zu finden. Denn solange die Särge aneinanderklebten, war kein Weiterarbeiten möglich. Sicher mußte die Masse nach der Art, wie sie an den Seiten des dritten Sarges heruntergelaufen war, flüssig oder halbflüssig gewesen sein. Mithin mußte sie auch wieder schmelzbar oder auflösbar sein, nur war das unter den gegebenen Umständen nicht möglich. Wir entschlossen uns deshalb, den Deckel zu heben und den Sarginhalt zu untersuchen, ehe wir einen Versuch mit stärkeren Mitteln unternahmen. Der Deckel wurde an seinen Goldgriffen gehoben und die Mumie des Königs aufgedeckt. (Abb. 55.)
Was vor uns lag, waren die irdischen Reste eines jugendlichen Pharao, der bisher nicht mehr als ein schattenhafter Name gewesen war. Die sauber und sorgfältig gearbeitete Mumie füllte das ganze Innere des Goldsarges aus. Wieder waren große Mengen jetzt verhärteter und geschwärzter Salböle über sie ausgegossen. Den Gegensatz zu dieser düsteren schwarzen Masse bildete die strahlende, fast pomphafte Goldmaske des Königs. (Abb. 56.) Sie bedeckte den Kopf und die Schultern und war ebenso wie die Füße nicht mit Salbölen übergossen worden.
Die Goldmaske ist mit künstlerischer Vollendung gehämmert und ein Meisterstück antiker Bildniskunst. Das Gesicht besitzt einen Ausdruck ergreifender Trauer und Ruhe. Die Stirn ist geschmückt mit den in massivem Gold ausgeführten Königsabzeichen. Das Kinn trägt den traditionellen Osirisbart aus Gold und lapislazulifarbenem Glas. Um den Hals liegt eine dreifache Kette aus Ringen von gelbem und rotem Gold sowie aus blauer Fayence; über der Brust hängt an biegsamen, mit Gold durchzogenen Bändern ein Skarabäus aus schwarzem Harz. (Abb. 61.) Die Hände sind aus poliertem Gold und liegen gekreuzt über der Brust. Als besondere Stücke gearbeitet sind sie an die Leinenumwicklung angenäht und umfassen die Geißel und den Krummstab, die Abzeichen des Osiris. Das Leinentuch, das den unteren Teil der Mumie bedeckte, war mit reich ausgelegten goldnen Bändern geschmückt. Über ihnen schwebte ein in goldnem Zellenwerk gearbeiteter Seelenvogel, der seine weitausgebreiteten Schwingen über den Toten breitete. (Abb. 62.) Die Bänder bestanden aus schwerem Gold, wurden von Perlenschnüren zusammengehalten und trugen göttliche Willkommenssprüche.
Die Maske stellt unverkennbar Tut-ench-Amun dar mit seinen anmutigen, sanften Gesichtszügen, wie sie an seinen sämtlichen Statuen und Särgen wiederkehren.
Nachdem Burton seine photographischen Aufnahmen gemacht hatte, konnten wir Ausstattungsgegenstände und Mumie genauer untersuchen. Wedel und Krummstab waren fast zerstört und zerfielen sofort zu Staub. Die Fäden, mit denen die Hände und die Verzierungen an das Leinentuch genäht gewesen waren, waren vermorscht, und so fielen die einzelnen Teile bei der leisesten Berührung auseinander. Je weiter wir vordrangen, um so deutlicher erkannten wir, daß sich die Mumienhülle und die Mumie selbst in einem furchtbaren Zustand befanden. Sie waren von Salbölen durchtränkt und von den Fettsäuren vollständig verkohlt.
Auch der erste Sarg war noch aus dem Sarkophag zu heben. Er wurde an dem Kran hochgezogen, und dann wurde auf den oberen Rand des Sarkophags eine Holzplatte geschoben. Auf dieser trugen wir ihn in das Laboratorium, wo der Deckel schon behandelt wurde. Er war sehr schwer und bestand offenbar, wie die Schreine, aus Eichenholz. Leider hatte er unter der Feuchtigkeit der flüssigen Öle gelitten. Der vergoldete Stucküberzug hatte Blasen gezogen, sich geworfen und war an manchen Stellen vollkommen von dem Holzgrund abgelöst.
Als letztes verblieb noch im Sarkophag die vergoldete, bettartige Bahre mit Löwenkopf und -füßen. Sie hatte den ersten Sarg getragen und bestand aus starkem, schwerem, mit Goldstuck überzogenem Holz. Erstaunlich war, daß sie vollkommen heil geblieben war, nachdem sie über mehr als dreißig Jahrhunderte lang die Last der 12½ Zentner schweren Särge getragen hatte. Wir spannten breite Gurte unter sie, und dies herrliche Stück altägyptischer Konstruktionskunst stieg aus dem Sarkophag hervor. Die Bahre ist ungefähr 30 Zentimeter hoch, 2,25 Meter lang und paßt sich in geschwungener Linie der Form des Sarges an. Die Fugen des Gestells haben sich kaum gelockert, ein Zeugnis für die Güte des Holzes und die ausgezeichnete Schreinerarbeit.
Jetzt waren Sargkammer und Sarkophag geleert. Wir gönnten uns nun eine Pause des Nachdenkens und des Überlegens, was das Grab Tut-ench-Amuns uns über die Bräuche bei der Bestattung eines Pharao gelehrt hatte.
Das Augenfälligste ist wohl die unendliche Sorgfalt und der ungeheure Reichtum, mit der die alten Ägypter ihre Könige bestatteten. Schranke um Schranke errichteten sie, um die toten Herrscher vor der Berührung profaner Hände zu bewahren.
Goldne, reichverzierte Schreine wurden von hervorragenden Handwerkern ausgeführt, jeder Schrein versiegelt, einer in den andern und alle um einen großen Steinsarkophag gestellt, der aus einem Block kunstvoll gearbeitet war. Der Sarkophag wiederum enthielt die drei großen, mumienförmigen Holz- und Goldsärge, die den Toten als Osiris im Schutze geflügelter Gottheiten darstellten. Jedes Stück legte Zeugnis ab von vollkommenster Kunst und geschmackvollstem Kunsthandwerk im Dienste religiöser Mysterien und geheimnisvoller Totenriten. Tief im Innern ruhte der König, mit zahllosen Amuletten und persönlichem Schmuck bedeckt und verschwenderisch gesalbt. Fürsorge für sein Wohlergehen in der Unterwelt und Verehrung seiner königlichen Ruhmestaten gaben ihm liebevollste und kostbarste Zeichen in üppiger Fülle mit in den Sarg.
Mühevolles Anlegen von Felsgräbern, sorgsamste Schreinerarbeit, köstliches Stuckwerk und Vergoldung der Schreine und Särge, kostbare Goldschmiedekunst, künstlerische Bildhauerarbeit am Steinsarkophag, mühevoller Transport zur Grabstelle und in ihr Inneres hinein, fleißige Arbeit ungezählter Künstler, Handwerker und Arbeiter, verschwenderischste Freigebigkeit der Hinterbliebenen – all das erzählt das Grab des Tut-ench-Amun.