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Die Vorkammer war nur ein kleiner Raum, etwa vier zu acht Meter; wir mußten behutsam auftreten, denn ein falscher Schritt oder eine hastige Bewegung hätte unter den zerbrechlichen Gegenständen rund um uns unersetzlichen Schaden anrichten können, obgleich die altägyptischen Beamten für uns in der Mitte einen kleinen Gang frei gemacht hatten.
Gerade vor uns – wir mußten darüber steigen, um in die Kammer zu gelangen – lag ein schöner Prunkbecher. (Abb. 14.) Er ist aus weißem, halb durchschimmerndem Alabaster, mit Lotosblumenhenkeln; diese dienen knienden Gestalten als Stütze, die die Ewigkeit darstellen. Rechts vom Eingang sahen wir eine bemalte hölzerne Truhe. (Abb. 15.) Diese Truhe wird wohl als eins der künstlerisch wertvollsten Stücke des Grabes gelten dürfen. Ihre Außenseite ist ganz von einer dünnen Gipsschicht überzogen; auf dieser Oberfläche befindet sich eine Reihe von Darstellungen, die, in leuchtenden Farben gehalten, außergewöhnlich schön gemalt sind: auf dem gewölbten Deckel Jagdszenen (Abb. 16), auf den Längsseiten Schlachtenbilder und auf den Schmalseiten Darstellungen des Königs in Gestalt einer Sphinx, die seine Feinde mit Füßen tritt. (Abb. 17.) Der Inhalt der Truhe bestand aus einem seltsamen Durcheinander. Dies war der erste Kasten, den wir öffneten, und sein Inhalt, dessen einzelne Gegenstände so gar nicht zueinander paßten, schien uns ziemlich rätselhaft, ganz abgesehen von der Art und Weise, wie alles zusammengepackt und zerdrückt war. Die Ursache wurde später klar.
An der Schmalwand der Kammer befindet sich die versiegelte Tür, die uns auf die Folter spannte; zu beiden Seiten, den Eingang bewachend, standen die schon beschriebenen, lebensgroßen, hölzernen Statuen. Ursprünglich waren sie mit Leinentüchern bekleidet, was die Wirkung noch erhöht haben muß.
Die Längswand der Kammer wurde von den drei großen Bahren eingenommen, deren Seiten aus Tiergestalten bestanden; merkwürdige Möbelstücke, die wir von Grabmalereien kannten, von denen wir aber nie eins in Wirklichkeit gesehen hatten. Die erste hatte Löwenköpfe, die zweite Kuhköpfe und die dritte den Kopf eines Mischwesens, halb Nilpferd und halb Krokodil. Auf den Bahren, unter ihnen und rundherum war ein Gewirr kleinerer eng aneinandergepackter, in einigen Fällen rücksichtslos übereinandergetürmter Gegenstände.
So stand auf der Bahre mit den Löwenköpfen ein Bett aus Ebenholz und Flechtwerk, auf dessen Fußbrett in schöner Schnitzarbeit Hausgötter dargestellt waren (Abb. 18); darauf wiederum lag eine Anzahl herrlich verzierter Stäbe, ein mit Pfeilen gefüllter Köcher und eine Reihe zusammengesetzter Bogen. Von diesen war einer mit Gold überzogen und mit Schriftbändern und Darstellungen von Tieren in allerfeinster Granulierarbeit geschmückt – ein Meisterstück der Goldschmiedekunst. Ein anderer, doppelt zusammengesetzter Bogen endete an beiden Spitzen in der geschnitzten Gestalt eines Gefangenen, die so angebracht war, daß ihr Hals als Kerbe für die Sehne diente. Zwischen Bett und Bahre standen vier Leuchter aus Bronze und Gold, ganz neu in der Form, bei denen sich in einem noch die Kerze aus zusammengedrehtem Leinen in der Ölschale befand. Einige der Stäbe sind sehr beachtenswerte Kunstwerke. So endete einer in einem bogenförmigen Griff, auf dem die Gestalten zweier Gefangenen mit gebundenen Armen und ineinanderverschlungenen Füßen nachgeahmt waren, der eine ein Neger, der andere ein Asiat, deren Gesichter entsprechend in Ebenholz und Elfenbein geschnitzt waren. (Abb. 19.) Auf einem andern Stab waren ganz kleine schillernde Käferflügel zu einem Muster zusammengestellt, während bei noch andern das Muster aus verschiedenfarbigen Baumrinden bestand. Links von der Bahre standen ein Toilettentisch und eine Gruppe wundervoller, aus Alabaster geschnittener Salbgefäße. (Abb. 20.)
Die zweite Bahre mit den Kuhköpfen war noch mehr überhäuft. Obenauf befand sich in höchst unsicherer Lage ein zweites, weiß bemaltes Holzbrett, und auf diesem wieder balancierte ein Stuhl aus Binsengeflecht, der in Form und Muster äußerst modern aussah, ferner ein Sessel aus Eben- und Rotholz. (Abb. 21.)
Die Seiten der dritten Bahre bestanden aus den beiden merkwürdigen Mischwesen mit geöffneten Mäulern und Zähnen und Zunge aus Elfenbein. Unter dieser Bahre stand ein anderes großes Kunstwerk des Grabes, ein Thronsessel, von oben bis unten mit Gold belegt und mit Glas, Fayence und eingelegten Steinen reich geschmückt. (Abb. 22.) Seine Beine sind als Löwenfüße gebildet; vorn oben sind Löwenköpfe angebracht, die in ihrer Kraft und Einfachheit bezaubernd wirkten. Herrliche, gekrönte und geflügelte Schlangen bildeten die Armstützen, und zwischen den Stäben, die die Lehne hielten, sieht man sechs aus Holz geschnitzte, vergoldete und eingelegte schirmende Schlangen. Die größte Pracht des Thrones aber bildet die Rückenlehne, und ohne zu zögern kann ich behaupten, daß sie das Schönste darstellt, was bis jetzt in Ägypten gefunden worden ist. (Abb. 23.)
Die Farben der Rückenlehne sind außerordentlich lebhaft und wirkungsvoll. Das Gesicht und andere unbekleidete Stellen des Königs und der Königin sind aus roter Glaspaste, der Kopfschmuck aus leuchtender, türkisähnlicher Fayence. Die Gewänder sind aus Silber, das durch das Alter mit einem wunderbaren Edelrost überzogen ist. Die Kronen, Kragen, Schärpen und andere ornamentale Einzelheiten auf der Lehne sind alle mit farbigem Glas, Fayence, Karneol und einer bis jetzt unbekannten Zusammenstellung eingelegt – durchsichtigem, faserigem Kalkstein, der mit farbiger Paste unterlegt ist und im Aussehen ganz dem Millefioriglas gleicht. Der Hintergrund ist ebenso wie der Thron vergoldet. Als Gold und Silber neu und frisch waren, muß der Thron einen fabelhaft blendenden Anblick geboten haben.
Hinter einem umgestürzten Wagengestell stand eine merkwürdig geformte, in der Mitte und oberhalb der Ellenbogen scharf abgeschnittene Statue. (Abb. 24.) Sie war genau lebensgroß und der Rumpf in augenscheinlicher Nachahmung eines Hemdes weiß bemalt. Es ist kaum zweifelhaft, daß sie eine Kleiderbüste darstellt, auf der die Gewänder des Königs und vielleicht auch seine Halskragen angepaßt wurden.
Vor der Süd- und Ostwand bis zur Eingangstür lagen die einzelnen Teile von nicht weniger als vier Wagen. Wahrscheinlich hatten die Plünderer versucht, sich die goldenen Verzierungen anzueignen und dabei die Wagen schrecklich durcheinandergeworfen.
Das Ausräumen der Vorkammer glich einem riesenhaften Geduldspiel. Die einzelnen Fundstücke waren so eng aufeinandergehäuft, daß es äußerst schwierig war, ein Stück zu entfernen, ohne Gefahr zu laufen, die andern zu beschädigen. In einigen Fällen waren sie so unlösbar ineinander verstaut, daß erst sorgfältig Stützen und Gerüste gebaut werden mußten, um ein Stück oder eine ganze Gruppe von Gegenständen an ihrem Platz zu halten, wenn ein anderer entfernt werden sollte. Man fühlte die ganze Zeit eine schwere Last von Verantwortung. Sie wird jeder Ausgraber fühlen, wenn er überhaupt ein archäologisches Gewissen besitzt. Was er findet ist ein unmittelbares Vermächtnis der Vergangenheit an die Gegenwart. Er ist nur der bevorzugte Vermittler, durch dessen Hände dieses Vermächtnis zu uns kommt. Wir waren in der glücklichen Lage, die bedeutendste Sammlung ägyptischer Altertümer aufzufinden, die jemals das Licht erblickte; jetzt mußten wir uns dieses Vertrauens wert zeigen.
Bis zum 27. Dezember 1922 waren alle unsere Vorbereitungen beendet, und wir konnten mit dem Fortschaffen der Fundstücke selbst anfangen. Wir nahmen eine regelmäßige Arbeitsteilung vor. Zuerst kam Burton mit seinen photographischen Aufnahmen der numerierten Gruppen von Gegenständen. Hall und Hauser folgten mit ihren Vermessungsaufnahmen der Kammer, bei denen jeder Gegenstand in den Grundrißplan eingezeichnet wurde; Callender und ich befaßten uns mit dem vorläufigen Verzeichnis und Ausräumen und beaufsichtigten das Fortschaffen der Gegenstände nach dem Laboratorium; dort empfingen sie Mace und Lucas, die für die Aufzeichnungen im einzelnen, das Ausbessern und Konservieren verantwortlich waren.
Der erste Gegenstand, der aus dem Grab entfernt wurde, war die bemalte Holztruhe. Indem wir dann von Norden nach Süden weiterarbeiteten, legten wir allmählich die großen Tierbahren von den Gegenständen frei, die sie umgaben. (Abb. 25.) Jedes Stück wurde bei seiner Entfernung auf eine gepolsterte, hölzerne Tragbahre gelegt und mit Binden gut befestigt. Eine ungeheuere Anzahl solcher Tragbahren war nötig, denn sie wurden fast immer dauernd bei den Gegenständen gelassen und nicht wieder benutzt, um ein nochmaliges Berühren zu vermeiden. Sieben Wochen brauchten wir im ganzen, um die Vorkammer auszuräumen. Natürlich konnten wir im Lauf unserer Ausräumungsarbeit mancherlei Beweise über die Tätigkeit der Grabplünderer sammeln.
Durch die Siegel auf der ersten Tür wissen wir, daß die Beraubungen nur wenige Jahre nach der Bestattung des Königs erfolgt sind. Auch ist uns bekannt, daß die Plünderer mindestens zweimal in das Grab eindrangen. Auf dem Boden des Ganges und der Treppe lagen Bruchstücke verstreut, die beweisen, daß der Gang zwischen der ersten und zweiten versiegelten Tür zur Zeit des ersten Plünderungsversuches leer gewesen sein muß. Es ist wohl möglich, daß diese erste Plünderung gleich nach den Begräbnisfeierlichkeiten stattfand. Danach wurde der Gang vollständig mit Steinen und Schutt ausgefüllt. Die nächsten Versuche wurden durch einen Tunnel gemacht, der in der linken oberen Ecke durch diese Füllung gegraben wurde. Bei diesem letzten Versuch sind die Diebe dann in alle Kammern des Grabes eingedrungen. Da ihr Tunnel aber nur sehr eng war, können sie sich auch nur mit kleineren Gegenständen davongemacht haben.
Ein seltsamer Unterschied bestand in dem Zustand der Vorkammer und der Seitenkammer. In der Seitenkammer war alles in wirrem Durcheinander. Es war ganz klar, daß die Plünderer alles von oben nach unten gekehrt hatten, und daß die Kammer sich genau in demselben Zustand befand, in dem sie sie verlassen hatten. Anders bei der Vorkammer: Hier bestand auch ein ziemliches Durcheinander, doch war es ein geordnetes Durcheinander.
Als wir aber mit dem Aufräumen anfingen, wurde es bald ersichtlich, daß diese verhältnismäßige Ordnung die Folge eines eiligen Aufräumens war, und daß die Plünderer hier ebenso gehaust hatten wie in der Seitenkammer. Offenbar war jemand nach ihnen dagewesen und hatte die Kammer wieder geordnet.
Wir können uns jetzt genau die Folge der Ereignisse zusammenstellen. Zuerst wurde in die obere linke Ecke der ersten versiegelten Tür eine Öffnung geschlagen, gerade groß genug, um einen Mann hindurchzulassen. Dann wurde mit dem Tunnel begonnen. Sieben oder acht Stunden Arbeit mögen genügt haben, um sie an die zweite versiegelte Tür zu bringen: ein Loch hinein, und sie waren hindurch.
Nachdem die Diebe die Vorkammer gründlich vorgenommen hatten, wandten sie ihre Aufmerksamkeit der Seitenkammer zu. Sie schlugen ein Loch in die Tür, gerade groß genug, um durchkriechen zu können, und wühlten und plünderten dort ebenso gründlich, wie sie es in der äußeren Kammer getan hatten.
Dann wandten sie sich nach der Sargkammer und machten ein ganz kleines Loch in die versiegelte Tür. Wieviel Schaden sie dort anrichteten, werden wir später erfahren. Vielleicht sind sie gerade an diesem Punkt in ihrem Vorgehen gestört worden. Wir besitzen ein sehr interessantes kleines Beweisstück, das diese Auffassung zu rechtfertigen scheint.
Einer der Kasten enthielt eine Handvoll Goldringe, die in ein Tuch eingeknotet waren. Das war ohne Frage das Werk eines der Diebe. Er hatte nicht sein eigenes Kopftuch, sondern eine in dem Grab aufgelesene Schärpe des Königs dazu benutzt und die Ringe darin befestigt, um sie bequemer tragen zu können. Wie kommt es nun, daß dieses kostbare Bündel mit Ringen im Grab zurückgelassen und nicht mit fortgenommen wurde? Es war wohl das letzte, was ein Dieb vergessen konnte. Fast sind wir gezwungen, daraus zu schließen, daß die Diebe entweder im Grab ertappt oder mit einem Teil der Beute erwischt worden sind. Dann erklärt sich auch das Vorhandensein gewisser anderer Schmuckstücke und Goldarbeiten, die zu wertvoll waren, um zurückgelassen zu werden.
Dann kamen die Beamten zum Grab, um den Schaden wiedergutzumachen. Sie scheinen in ebenso großer Eile wie die Diebe gewesen zu sein. Ihre Aufräumungsarbeiten wurden jämmerlich ausgeführt. Die Seitenkammer ließen sie so, wie sie war, und gaben sich nicht einmal die Mühe, das Loch in der Tür auszufüllen. In der Vorkammer wurden die kleineren Gegenstände, mit denen der Boden bedeckt war, aufgekehrt, zusammengepackt und wieder in die Kasten hineingepfercht, ohne daß der Versuch gemacht wurde, die Sachen in die für sie ursprünglich bestimmten Kasten zurückzulegen. Die größeren Gegenstände wurden nachlässig an die Wand geschoben oder aufeinandergestapelt.
Nachdem sie mit der Vorkammer fertig waren, wurde das Loch in der dritten Tür wieder ausgefüllt, mit Mörtel bestrichen und das Siegel der Königstotenstadt darauf gedrückt. Sich weiter zurückwendend, verschlossen und versiegelten sie dann die Vorkammer, füllten den Tunnel der Plünderer durch den Schutt im Gang aus und setzten die erste Tür wieder instand; wahrscheinlich verschütteten sie den Eingang zum Grab vollständig. Es steht jedenfalls sicher fest, daß in der Zeit zwischen dem Wiederverschließen und unserer Entdeckung keine Hand die Siegel an der Tür berührt hat.