George Byron
Don Juan
George Byron

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Sechster Gesang.

                               1.
»Die Strömung wechselt in den Menschendingen;
Nimmt man die Flut wahr« – doch ihr kennt den Rest,Siehe Shakespeare, Julius Cäsar, Act IV., Sc. 4., »führet sie zum Glück.«
Den Meisten wird bekannt die Weise klingen,
Wie Wen'ge aber halten doch ihn fest,
Den rechten Augenblick, wo's kann gelingen.
Doch Alles ist ja angelegt auf's best',
Das Ende gibt den sichersten Beweis,
Und besser wird's, wenn Niemand Rath mehr weiß.

                               2.
Und Strömungen gibt's auch im Reich der Frauen,
Da führt die Flut uns oft, Gott weiß wohin!
Und eifrig muß man nach dem Steuer schauen,
Um stets die rechte Straße hinzuziehn.
Die Wirbel, die sich hier zusammen stauen,
Gehn über Jacob Böhme's Phantasie'n.
Des Mannes Kopf bedenkt wol dies und das,
Des Weibes Herz führt sie, Gott weiß zu was.

                               3.
Doch solche ächte starke Frauenseele,
Die jung und schön und unternehmend wär',
Die niederrisse alle Wänd' und Pfähle,
Wenn ihrer Liebeslust sie kämen quer,
Die eher alle Stern' vom Himmel stähle,
Als daß sie frei nicht wäre wie das Meer,
Sie machte wol, wenn auch ein Teufel gar,
Zum Narren Manchen, der sonst weise war.

                               4.
Gemeinster Ehrgeiz stürzt oft Throne, Welten,
Drum wenn sie fallen durch die Leidenschaft,
So lassen wir's die Liebe nicht entgelten,
Verzeihen diese Probe ihrer Kraft.
Wir denken des Anton doch nicht als Helden,
Nicht weil zusammen Reiche er gerafft;
Nein, Actium, das Werk Cleopatra's,
Ist einzig Schuld, daß man ihn nicht vergaß.

                               5.
Der Fünfz'ger starb für ihre vierzig Jahre,
Fünfzehn und zwanzig wär' die bess're Zahl,
Denn dann sind Reiche, Welten – leichte Waare.
Ich hatte unter Welten nicht die Wahl,
Doch gab ich einst auf Amor's Hochaltare
Was ich besaß – mein Herz mit seiner Qual.
Es war die Welt wol werth, denn eine Welt
Gilt mir nicht mehr als was mein Herz geschwellt.

                               6.
Des Knaben Scherflein war's und mag einst wiegen,
Wie das der Wittwe, wenn auch noch nicht jetzt.
Doch wie auch immer diese Dinge liegen,
Es weiß, wer Liebe je gefühlt, geschätzt,
Daß höher nie die Lebensflut gestiegen.
Der Spruch: Gott ist die Liebe – übersetzt,
Heißt mir: Lieb' ist ein Gott! Sie war's gewiß,
Eh' Sünd' und Thräne schloß das Paradies.

                               7.
Der Zustand Don Juan's war, man darf wol sagen,
Mehr peinlicher als seltner Zeitvertreib;
Denn oftmals muß ein Mann die Haut selbst wagen
Für die Versucherin – des Andern Weib.
Ein Sultan selbst hat hierfür keinen Magen
Und hält sich strenge Cato's Spruch vom Leib,
Der so weit trieb die Langmuth, das Genie,
Daß er die Frau dem Freund Hortensius lieh.Cato überließ seine Frau Martia seinem Freund Hortensius, nahm sie aber nach dem Tode desselben wieder zurück. Die Römer äußerten sich sehr boshaft hierüber und bemerkten, Martia sei sehr arm in das Haus des Hortensius gekommen und habe es mit Schätzen beladen wieder verlassen. – Plutarch.

                               8.
Gulbeyaz war im Unrecht, ohne Frage,
Ich geb' es zu, verdamme es sogar,
Es ist mir wohl, wenn ich die Wahrheit sage,
Selbst im Gedicht, selbst wenn sie undankbar;
Ihr Geist war schwach, ihr Herz vom stärksten Schlage,
Sie glaubte drum, ihr Herr (das war auch klar!)
Genüge nicht; er zählte sechzig fast
Und hatt' von Frauen eine ganze Last.

                               9.
Ich habe nie im Rechnen stark floriret
Wie Cassius, doch sagt die Theorie,
Wenn man mit Pünktlichkeit hier dividiret,
Daß sich die Sultanin geirrt und wie!
Weil sie des Sultans Jahre mit addiret;
Denn war er billig gegen Die und Die,
Bekam ein Fünfzehnhundertel sie kaum,
Von seines Herzens wohlbesetztem Raum.

                              10.
Man hat bemerkt, daß Frauen gerne streiten
Um jedes rechtliche Besitzobject,
Besonders wenn sie frömmig sind zu Zeiten,
Wodurch ihr Zorn oft doppelt wird erweckt;
Sie zögern nicht, gleich zum Prozeß zu schreiten.
Wie manche Sitzung wird dadurch gestreckt!
So bald sie fürchten, daß noch Eine theil',
Was nach dem Recht nur da zu ihrem Heil.

                              11.
Geschieht dies nun in einem Christenlande,
So kommt im Heidenland, wenn auch mit Maß,
Dasselbe Ding energisch oft zu Stande.
Man trägt auf einmal höher seine Nas'
Und predigt laut für alle Ehebande,
Sobald der Gatte sich versieht in 'was.
Die Eifersucht ist auch am Tigris wach,
Vier Frauen wollen vierfach ihre Sach'.

                              12.
Gulbeyaz war die Vierte und durft' schalten
Als Günstlingin, doch was ist Gunst bei Vier?
Polygamie wird immer sich gestalten
Nicht nur als Sünde, auch als Fehler schier.
Die meisten Weisen, die nur Eine halten,
Erstreben nie ein zweites Jagd-Revier
Und finden's (sind's nicht Türken) gar nicht nett,
Kriegslager zu erziehn im Ehebett.

                              13.
Die Majestät, der Sterblichen Gebieter,
Wie man nach altem Brauch die Fürsten nennt,
Bis sie zu jenen Jacobinern nieder,
Den Würmern, sinken als ihr Tractament,»So ein Wurm ist euch der einzige Kaiser, was die Tafel betrifft. Wir mästen alle andern Creaturen, um uns zu mästen und uns selbst mästen wir für Maden. Der fette König und der magere Bettler sind nur verschiedene Gerichte; zwei Schüsseln, aber für eine Tafel. Das ist das Ende vom Liede.« – Hamlet.
Die selbst an Kaisern stärken ihre Glieder –
Die Majestät sieht Gulbeyaz und brennt
Und sucht den Gruß, der Liebenden gefällt
(Ein »Hochlandsgruß« wol in der ganzen Welt).Siehe Waverley.

                              14.
Wir müssen hierin gründlich unterscheiden,
Denn mögen Kuß, Umarmung, süße Glut,
Das Höchste sein, um das uns Götter neiden,
Nimmt man sie doch so leicht wie einen Hut,
Wie Hauben auch, worein sich Frauen kleiden,
Sie zieren beide Kopf und Herzen gut,
Doch diese sind so wenig Theil vom Haupt,
Als unser Herz an jenes Kosen glaubt.

                              15.
Ein leicht Erröthen und ein sanftes Beben,
Das stille Glück der ächten Weiblichkeit,
Das mehr im Wimper als im Aug' mag leben
Und keusch verbirgt des Herzens Lust und Leib,
Aus ihnen wird am besten sich ergeben,
Daß Liebe sitzt in ihrem schönsten Kleid
Im Herzen einer Edeln – denn zu heiß
Bringt wie zu kalt die Liebe aus dem Gleis.

                              16.
Die Glut, wenn falsch, ist schlimmer als die wahre
Und ist sie wahr, so dauert sie nicht lang.
Ein junger Fant nur läßt all' seine Haare
Für des Begehrens überheißen Drang.
Ein zweifelhafter Wechsel bleibt die Waare,
Dem nächsten Käufer bietet man ihn bang
Mit viel Verlust; – die aber all zu kalt
Erscheint uns dumm, trotz reizender Gestalt.

                              17.
Wir können ihre Kälte nicht ertragen,
So sieht's der Rasche und der Faule an,
Die Flamme muß entgegen Jedem schlagen,
Die Leidenschaft erglühn in süßem Wahn
Und, müßten sie's wie Sanct Franziscus wagen»Als der heilige Franziscus eines Tags durch den Kitzel des Fleisches schwer heimgesucht wurde, streifte er seine Kleider ab und geißelte sich tüchtig; nachdem er dann eine ganz entzündete Haut hatte, stürzte er sich nackt in einen großen Schneehaufen. Hiermit war der Teufel besiegt und nahm Reißaus und der Heilige kehrte siegreich in seine Zelle zurück.« – Butler's Leben der Heiligen.
Und selbst den Schnee als Buhle heiß umfahn.
Kurz die Verliebten mögen halten fest:
Der Mittelweg (Horaz sagt's) sei der best'.

                              18.
Das »Best'« ist zwar nicht gut, doch die Octave
Verlangt es so, das heißt der strenge Reim;
Man ist einmal des Verses armer Sklave,
Doch trotzdem fließt er nicht wie Honigseim,
Ja ihn zu lesen halte ich für Strafe,
Er diente nur zu der Octave Leim;
Nicht gelten lassen kann's die Prosodie,
Jedoch als Wahrheit mag's passiren hie.

                              19.
Ich weiß nicht, übertrieb in ihrer Rolle
Die schöne Gulbeyaz – doch es gelang
Und am Erfolg verstummt ja die Controlle,
Er findet auch im Herzen guten Klang,
Und Mann und Weib klebt doch an gleicher Scholle,
Sie lügt, er auch, doch bleibt der Liebe Drang,
Und keine Tugend (nur die Hungersnoth),
Ist für das Laster »Zeugung« ein Verbot.

                              20.
Wir lassen hier das Königspaar in Frieden,
Sie ruhen sanft! ein Bett ist ja kein Thron.
Doch was für Träume ihnen auch beschieden,
Getäuschte Lust ist tiefer Weh und Hohn,
Als je man konnt' dem Menschenfleische bieten.
Ein edler Schmerz entlockt der Klage Ton,
Doch der gemeine Tropfen wühlt sich ein
Mit kleinen Sorgen in die Seele dein.

                              21.
Ein keifend Weib, ein Wechsel der zu zahlen,
Der protestirt und uns geschmälert wird,
Ein kranker Hund, ein Pferd, mit dem wir prahlen
Und welches lahmt, wenn es wird angeschirrt,
Ein altes Weib, das noch in Todesqualen
Ihr Testament uns zum Verdruß verwirrt,
Das ist erbärmlich Zeug, doch selten sah
Ich einen Mann, dem's nicht ging höllisch nah'.

                              22.
Bin Philosoph, der Teufel soll sie holen!
Vieh, Wechsel, Menschen – doch die Weiber nicht!
Ein guter Fluch bringt rasch mich auf die Sohlen,
Dann ist mein Gleichmuth in dem schönsten Licht,
Mich drückt kein Schuh, mich brennen keine Kohlen,
Die Seel' darf thun, was das Gemüth ihr spricht.
Doch was Gemüth, was Seel' sei hört' ich nie,
Noch wo ihr Quell – der Henker hol' auch sie!

                              23.
Verwünscht sind nun so ziemlich alle Dinge,
Wie in dem Fluch des Athanasius,
Der doch gefällt den Frommen nicht geringe.
Wol Niemand fände einen schlimmern Gruß
Für einen Feind, der unter seiner Klinge.
Er ist von so bestimmtem glatten Guß
Und schmückt auch das Gebetbuch ganz so schön,
Wie Regenbogen blasse Himmelshöhn. –

                              24.
Gulbeyaz und ihr Eh'herr schliefen beide,
Vielleicht auch Ein's nur. O die bittre Nacht,
Wenn Fraun, die hegen andre Augenweide,
Daliegen mürrisch, bis der Tag erwacht
Und seufzen schwer und schauen voller Leide,
Ob sich der Morgen noch nicht sichtbar macht,
Und wälzen sich und zucken hin und her,
Ob nicht erwach' der anvermählte Bär!

                              25.
So geht es unter unsrer Himmelsdecke
Und unter der des Bettes ebenfalls,
Das eingerahmt von einer seidnen Hecke,
Dem Reichen dient als Lagerstatt und Pfalz,
Mit Laken weiß wie eines Schneefelds Strecke.
Ach, wenn man liebt, geht's Jedem an den Hals!
Sultanin war Gulbeyaz, doch genau
So elend auch, wie manche Bauersfrau.

                              26.
Nachdem nun Don Juan mit den Mädchen allen,
Zu denen er gehört' nach Rock und Shawl,
Vor Sultans Blicken fast zur Erd' gefallen,
Entschwebten sie auf ihr bekannt Signal
Nach des Serailes lang gestreckten Hallen
Und legten dort die Glieder allzumal,
Und tausend Busen klopften hier nach Lieb',
Wie nach der Luft des Vogels Freiheitstrieb.

                              27.
Die Weiber lieb' ich sehr, und ich verkehre
Den Teufels-Wunsch: »daß aller Menschheit nur
Ein einzger Hals von Gott beschieden wäre,Caligula – Siehe Sueton. In seiner Wuth über das Volk, welches sich bei den Spielen im Cirkus zu der Partei schlug, die ihm Opposition machte, schrie er: Ich wollte, das römische Volk hätte nur Einen Hals.
Mit Einem Hieb zu mäh'n die Creatur;«
Mein Wunsch ist groß, doch nicht so bös und quere,
Ich möcht' (wenn ich wie einst noch schnitt die Cour):
Es hätten alle Weiber einen Mund.
Um sie zu küssen allesammt zur Stund'.

                              28.
O Briareus, mit deinen hundert Händen,
Wie neidenswerth, wenn dir ein jedes Glied
So vielfach wuchs! Jedoch wo soll das enden?
Vor solchem Buhlen meine Muse flieht,
Sie läßt sich nicht durch Patagonen schänden,
Zurück nach Lilliput sie gerne zieht,
Um unsern Helden aus dem Labyrinth,
Wo wir ihn ließen, vorzuziehn geschwind.

                              29.
Er eilte mit im Odaliskenhaufen,Die Frauen des Serails.
Als das Signal erscholl zum Weiterziehn;
Und ob er gleich dabei Gefahr gelaufen,
So konnte doch sein Auge nicht umhin –
(In England kann man solche Dinge kaufen,
Hier aber sind's verbotne Phantasie'n
Und ihre Folgen öfters voller Graun)
Nach Brust und Nacken und so fort zu schaun.

                              30.
Doch er vergaß nicht seine Mummereien.
Sie schritten durch die Galerieen fort
In jungfräulichen, würdevollen Reihen,
Eunuchen hier und auch Eunuchen dort;
Doch wie die Fürstin aller Hoflakaien
Schritt eine Dame als der Tugend Hort,
Daß Keine spricht, nichts unterwegs passirt –
Die Jungfernmutter ward sie titulirt.

                              31.
Ich weiß nicht, ob sie wirklich Jungfern waren,
Auch ob sie Mutter, ist mir unbekannt.
Dies ist der Titel, den sie im Serail bewahren
Und grad so gut, wie mancher hier zu Land;
Ihr könnet das bei Cantemir erfahren.
Sie sollte strafen, was sie Schlimmes fand
Und zügeln, tilgen jede böse Gier
Von all den fünfzehnhundert Weibern hier.

                              32.
Ein heißes Amt, dem aber Vorschub brachte
Das Fernesein jedweder Mannsperson,
Den Sultan ausgenommen, der da wachte
Mit Garden, Riegeln, Mauern und auch schon
Mit 'nem Exempel, das Bedenken machte,
So daß so kühl der Schönheitspavillon,
Wie ein italisch Kloster blieb, wo ja
Die Liebe stets nur Einen Ausweg sah.

                              33.
Und welchen denn? – Wie mögt ihr so was fragen!
Die Religion, natürlich! – Doch genug!
Die schöne Schaar, zu welcher beigetragen
So manches Land, daß Ein Mann sie beschlug,
Schritt gravitätisch nun und mit Behagen,
Wie Wasserlilien, die ein Bächlein trug,
(Vielmehr ein See, denn Bäche fließen schnell,)
Jungfräulich, melancholisch von der Stell'.

                              34.
Doch als sie nun betreten ihre Zimmer,
Begannen sie, als ob in Knabenschuhn,
Wie Vögel, Narren und wie Weiber immer,
Wenn frei von Fesseln (die ja doch nichts thun!),
Wie Iren auf dem Jahrmarkt und noch schlimmer,
So bald die Wachen fort und gleichsam nun
Ein Stillstand wieder in der Sklaverei –
Zu singen, tanzen, lachen laut und frei.

                              35.
Natürlich schwatzten sie von dem Rekruten,
Von ihrer Miene, Haaren und Figur;
Der Anzug wollte ihnen nicht gemuthen
Und daß im Ohr von Ringen keine Spur,
Sie schätzten sie bald schon in Sommers Gluten,
Bald noch im ersten Frühling der Natur;
Fast schien so groß sie ihnen wie ein Mann –
Sie wär' es ganz! wünscht Manche heimlich dann.

                              36.
Doch Niemand zweifelte, daß, was indessen
Die Tracht schon sagte, sie ein Mädchen sei,
Und zwar so frisch, so schön, um sich zu messen
Mit allen Schönen Georgien's, der Türkei.»In den benachbarten Provinzen Georgien, Mingretien und Circassien hat die Natur wahre Schönheitsmodelle, was Gliedmaßen, Hautfarbe, Symmetrie der Züge und Gesichtsausdruck betrifft, niedergelegt; die Männer sind wie zum Kampf, die Weiber wie zur Liebe geschaffen.« Gibbon.
Wie konnte sich Gulbeyaz so vergessen,
Daß selbst sie rief solch einen Schatz herbei,
Der, wenn die Majestät sie satt bekam,
Ihr Thron und Macht und sonst noch Ein'ges nahm!

                              37.
Doch was ganz sonderbar an diesen Damen:
Obschon die Reize Don Juan's sie geplagt,
Als sie zuerst vor ihre Augen kamen,
Sie fanden doch so wenig angenagt,
So fleckenlos das Bild und dessen Rahmen,
Wie man's von Damen nicht zu hoffen wagt,
Für die – ob sie nun Heide oder Christ –
Ein neu Gesicht stets ganz abscheulich ist.

                              38.
Zwar spielte häufig auch in ihrem Leben
Die Eifersucht, nur diesmal that sie's nicht!
Es muß wol dunkle Sympathieen geben,
Die sich entziehn dem eifrigsten Gesicht,
Und Alle fühlten ein geheimes Beben,
Obschon die Maske ihn verhüllte dicht,
Ein Etwas das sie anzog – was es sei,
Ob Magnetismus oder Teufelei!

                              39.
Gewiß ist, daß sie allesammt empfanden
Ein neu Gefühl für diese neue Maid,
So etwas wie von zarten Freundschaftsbanden,
Von reinstem Glück und Liebesseligkeit,
Als ob sie eine holde Schwester fanden.
Ein Bruder freilich in dem gleichen Kleid
Wär' schöner noch, dem Großherrn vorzuziehn!
Wie schön mit ihm nach Tiflis heimzufliehn!

                              40.
Als die Empfänglichsten für diese Sorte
Von zarter Freundschaft wurden mir genannt:
Lola, Dudù, Katinka – aus der Horde
Die schönsten fast, ja schön aus erster Hand,
Darf man vertrauen des Erzählers Worte;
Obschon verschieden an Gestalt und Stand,
An Farbe, Alter, Klima, Volk und Reich,
Sie schwärmten all für unsern Don Juan gleich.

                              41.
Lola war Indien gleich, dem dunkeln, warmen,
Katinka war Tscherkessin, weiß und roth,
Mit blauen Augen, zarter Hand und Armen,
Ihr Füßchen streifte kaum den Erdenkoth;
Doch bei Dudù sucht Jeder gern Erbarmen,
Sie schien gemacht für's Bett und Bettesnoth.
Sie war so träg, so schmachtend und so voll,
Mit ihren Reizen machte sie ganz toll.

                              42.
Verschlaf'ne Venus konnte man sie heißen,
Die Jedem doch den Schlaf gewiß vertrieb,
Der an der Wange lichten Rosenkreisen,
Der griech'schen Stirn' und Nase haften blieb;
Da gab's kein Eck, um sich daran zu reißen,
Sie konnt' was missen und war noch kein Sieb,
Doch war es schwer zu sagen, wo man's nahm,
Daß nicht zu kurz ein holder Liebreiz kam.

                              43.
Sie war die wild'ste nicht von den Genossen,
Doch stahl sie wie ein Maitag sich in's Herz.
Ihr Auge sprühte nicht, doch halb geschlossen
Goß es in Jeden zarten, süßen Schmerz.
Sie schaute drein, wie wenn in Stein gegossen,
Pygmalions Bild, das eben niederwärts,
Da Fleisch und Marmor noch im Streite lebt,
Vom Fußgestell ins Leben schüchtern schwebt.

                              44.
Nun fragte Lola jene nach dem Namen.
– »Juanna!« – Ei ein hübscher Name, das! –
Katinka frug: Woher sie beide kamen?
– »Aus Spanien.« – Wo liegt das Land? – Wie? was?
Mußt' deine Perserdummheit du auskramen?
Fuhr Lola auf, indem sie jene maß,
Das Spanien liegt bei Fez im Mittelmeer,
Die Insel zwischen Kairo und Tangér.

                              45.
Dudù sprach nichts und setzte sich mit Fleiße
Zu jener hin und spielt' mit Tuch und Haar,
Sah unverwandt sie an und seufzte leise,
Als ob sie's schmerzte, daß sie hier nun war,
So hübsch und ohne Freund in diesem Kreise,
Wo man sie anstarrt' jeder Zartheit baar;
Wie man's den armen Fremden immer macht,
Die man bespöttelt und geheim verlacht.

                              46.
Nun kam die Jungfernmutter auf den Zehen
Und sprach: »Ihr Mädchen, nun ist's Schlafenszeit!
Doch was, mein Kind, soll jetzt mit dir geschehen?«
Sprach sie zu Don Juan. »Du bist 'rein geschneit.
Wir sind deshalb auf dich nicht vorgesehen;
Die Betten sind besetzt, da gäb es Streit.
Am besten, du theilst mein's und morgen dann
Wirst du besorgt, so gut man immer kann.«

                              47.
Doch Lola meinte: Nein! ich kann's nicht tragen,
Ihr schlafet ohnedem, Mama, nicht gut;
Es darf Euch Niemand noch zu stören wagen;
Drum besser, daß bei mir Juanna ruht.
Wir liegen beide nicht so breit im Schragen,
Wie Ihr allein, so daß es wohl sich thut. –
Da drängte auch Katinka her und sprach:
Ihr Bett und Mitleid steh' nicht Lola's nach.

                              48.
Auch schlaf' ich, rief sie, gar nicht gern alleine!
Die Alte brummt: »Wie so?« – Aus Bangigkeit
Vor Geistern, sprach Katinka; ja ich meine,
Oft daß ein Geist auf meinem Bette reit'.
Ich habe Träume, schlimmre gibt es keine
Von Giauern, Ghebern, Hexen alle Zeit. –
Die Alte sprach: »Da käm' Juanna kaum
Vor deinen Träumen selbst zu einem Traum.

                              49.
»Du Lola mußt allein aus guten Gründen
Noch schlafen, du Katinka auch – bis jetzt;
Deshalb muß ich, Juanna, dir verkünden,
Daß bei Dudù, die ruhig, still, gesetzt,
Du ruhen sollst in weichen Bettes Schlünden;
Da wird dein Ohr durch Kichern nicht verletzt.
Was meinst du. Kind?« – Dudù die Rede spart,
Denn ihr Talent war mehr der stillen Art.

                              50.
Sie stand nur auf und küßt' der Alten Stirne
Und Lola's und Katinka's Wangenpaar,
Dann neigte ihren Kopf die art'ge Dirne
(Denn Knixen wär' bei Türken sonderbar!)
Und führte drauf ihr neues Nachtgestirne
Zum Ruheplatz und ließ das Schwestern-Paar
In stillem Groll, daß Jene Gnade fand,
Obschon die Ehrfurcht ihre Zunge band.

                              51.
Es war ein großer Saal, in Türkensprache
Oda genannt. Hier standen längs der Wand
Putztische, Betten und noch manche Sache,
Die ich gesehn als ich besucht das Land.
Genug! es fehlte wenig unterm Dache,
Die Halle war im besten schönsten Stand.
Von Damenspielzeug fehlt' nur eins – bis zwei,
Auch diese waren diesmal nahe bei.

                              52.
Dudù war, wie gesagt, ein süß Geschöpfe,
Sie packte nicht, doch zog sie mächtig an,
Mit einem der geregelt schönsten Köpfe,
Den nicht so leicht ein Maler treffen kann
Wie jene regellosen wilden Schöpfe,
Die, kaum gesehn, frappiren Jedermann,
Die ausdrucksvoll, ob angenehm ob nicht,
Gleich fertig sind als ähnlichstes Gesicht.

                              53.
Sie war wie eine Landschaft sanft von Wellen,
Voll Ruhe, Stille, süßer Harmonie,
Rund, knospend, heiter ohne Lärm und Bellen,
Was wenn nicht Glück, ihm ähnlicher ist wie
Die großen Leidenschaften, jene grellen,
Die man erhaben nennt, mit Ironie.
Ich sah im Sturm die Weiber und das Meer,
Der Seemann leidet, doch der Eh'mann mehr.

                              54.
Sie war mehr sinnig als von schwerem Muthe,
Mehr ernst als sinnig, und vielleicht noch mehr
Als Beides heiter; ihr im Herzen ruhte
Auch kein Atom, das bös, unheilig wär'.
Ganz seltsam schien, daß trotz dem Jugendblute,
Trotz siebzehn Jahr sie es begriffen schwer,
Ob schön sie oder nicht, ob groß ob klein,
– An sich zu denken fiel ihr gar nicht ein.

                              55.
So war sie lieb und gut, wie in den Tagen
Der goldnen Zeit (die noch kein Gold gekannt,
Durch das sie bald des Namens sich entschlagen,
Der wie lucus aus non lucens entstand,
Nicht daß die Zeit viel Gold besaß, wollt sagen,
Nein! daß sie keins, ein Stil, dem eng verwandt
Die jetz'ge Zeit. Doch mag der Teufel nur
Ihr Erz zersetzen, ihre Mischnatur!

                              56.
Sie dürfte aus corinth'scher Bronce bestehen,
Die eine Mischung aller Erze war
(Doch Kupfer meist). Du magst nur übergehen,
Mein Leser, diesen Satz, ich konnt' fürwahr
Nicht früher schließen ihn. Stell' mein Versehen
Zu denen nur, die dein Genie gebar,
Das heißt: sei mild! Doch willst du nicht, laß sein!
Die Freiheit bleibt deshalb nicht wen'ger mein!

                              57.
Doch es ist Zeit, daß wir zurück nun kehren
Zu unsrem Freund. Dudù, das liebe Kind,
Wies jetzt in heitrem, ruhigem Erklären
Don Juan den Weg durch dieses Labyrinth
Und schilderte mit wenig inhaltsschweren
Bezeichnungen die Wunder, die hier sind.
Ein Gleichniß kenn' ich nur für Wortkargsein
Und dies – »ein stummes Donnern« – ist nicht fein.

                              58.
Dann gab sie ihr (ich darf wol »ihr« noch sagen,
Weil das Geschlecht noch immer doppelt war,
Zum wenigsten im Aeußern und Betragen)
Ein Bild der Bräuche in dem Alcazár
Und der Gesetze, die seit Olims Tagen
Des Harems Wachsthum regeln ganz und gar;
Wo um so größer Vesta's Anspruch wird,
Je mehr es hier von jungen Schönen schwirrt.

                              59.
Dann gab Dudù, die gar zu gerne küßte,
Juanna einen keuschen Kuß. Gewiß
Gibt's Niemand hier, der was dagegen wüßte,
Ein Kuß ist süß, wie Eva's Apfelbiß
Und zwischen Fraun nur so ein leicht Gelüste,
Erwischen sie nichts Besseres als dies.
Kuß und Genuß reimt sich in Wort und That,
Keimt nur daraus nicht eine schlimmre Saat.

                              60.
Dann legte sie in unschuldvoller Weise
Die Kleider ab, was ihr nicht mühsam ward;
Naturkind war sie, nicht geputzt mit Fleiße,
Und schielte sie einmal nach Mädchen-Art
Nach ihrem Spiegel, so geschah's so leise,
Wie wenn ein Reh sein Bild im See gewahrt,
In scheuem Huschen flieht und steht und guckt,
Welch' neuer Sprößling aus der Tiefe spukt.

                              61.
Ein Kleidungsstück ums andre fiel zur Erde,
Doch vorher bot sie noch Juanna an,
Ihr beizustehn bei ähnlicher Beschwerde,
Die lieber Alles doch allein gethan,
Damit sich Etwas nicht zu früh erklärte.
Sie war hierdurch nun freilich übel dran
Und stach sich mit den Nadeln hundert Mal,
Die man erfunden hat zu unsrer Qual.

                              62.
Man macht ja jetzt zum Stachelschwein die Frauen,
So daß man sie nicht leicht berühren kann,
Doch schwer ist so ein Werk erst aufzubauen,
Ersetzt die Jungfer einer Dame man.
In meiner Jugend mußt' ich daran kauen,
Zu einem Balle zog ich Eine an.
Da wurden Nadeln massenhaft gesteckt,
Doch haben sie nicht alle recht gefleckt.

                              63.
Doch das sind Possen für die Wahrhaftweisen!
Ich liebe Weisheit mehr als sie mich liebt,
Und pflege mich in Thesen zu verbeißen,
Von Allem was es unterm Monde gibt.
Doch flieht das Wissen mich trotz dem Befleißen.
Was sind, woher sind wir? und wo zerstiebt
Zuletzt das Sein? was ist die Gegenwart?
Das ist das Fragspiel, das der Antwort harrt.

                              64.
Ein tiefes Schweigen herrschte in dem Zimmer,
Die Lichter brannten spärlich nur und schwach;
Der Schlummer sank bei ihrem düstern Flimmer
Auf alle Schönen in dem Schlafgemach.
Wenn's Geister gibt, so schweben sie wol immer
Im feinsten Putze unter diesem Dach,
Und zeigen sich von besserem Geschmack,
Als das Ruinen-, Kirchhof-Geisterpack.

                              65.
Da lagen sie wie Blumen hingegossen,
Von jeder Farbe, Klima, Duft und Art,
Die in dem Wintergarten herrlich sprossen,
Wo man sie pflegt, in warmer Luft bewahrt.
Die Eine ruht' von schwarzem Haar umflossen,
Gesenkt die Wimper wie ein Vorhang zart;
Ihr Athem ging so sanft, der offne Mund
Gab eine Reihe edler Perlen kund.

                              66.
Noch Eine lag, auf weißem Arm die Wange,
Das dunkle Kraushaar um die Stirn' gerollt.
Sie träumte süß in ihrem Jugenddrange
Und lächelte; und wie des Mondes Gold
Durch Wolken drängt, so halb befreit von Zwange,
Enthüllten sich die Glieder wunderhold
Aus weißer Decke unterm Schutz der Nacht
Und freuten sich im Lichte ihrer Pracht.

                              67.
– Dies ist nicht Unsinn, mag es schon so klingen,
Denn Lampen hellten des Gemaches Nacht. –
Blaß war die Dritte, in der Züge Ringen
Verrieth sich Gram; die Brust hob sich mit Macht,
Es schien ihr Traum zur Heimat hinzudringen,
Der theuern, und von Sehnsucht hergebracht,
Floß wie der Nachtthau auf Cypressen blinkt,
Die Thräne sanft aus Franzen schwarz beschwingt.

                              68.
Die Vierte lag wie Marmor ohne Leben
In einem Schlaf so athemlos wie Stein,
Wie Schneegebilde die an Alpen kleben,
So blendend weiß, so kalt und auch so rein,
Wie Loth's Gemahlin, als sie Salz umgeben.
Wählt nun! noch mehr der Gleichnisse sind mein.
Vielleicht daß ihr ein Mädchen drin erkennt,
Das ausgeschnitzt auf einem Monument.

                              69.
Die Fünfte, schaut! als was mag sie erscheinen?
Wie in gewissem Alter eine Frau.
Damit will stets man eine Alte meinen,
Wie alt? Weiß nicht! nehm's auch nicht so genau.
Sie lag nicht mehr so schön in ihrem Leinen,
Als vor der Zeit, da fiel des Abends Thau,
Der Weib und Mann fest auf den Schragen legt,
Wo sich die Gicht und das Gewissen regt. –

                              70.
Wie schlief Dudù? Was mochte sie wol träumen?
Beim strengsten Forschen bracht' ich's nicht heraus
Und möchte nichts zu viel thun, nichts versäumen;
Doch als gekommen mitternächt'ger Graus,
Als bleich die Lampe in den düstern Räumen,
Phantome schwebten leise durch das Haus
Und die besuchten, die sie gerne sahn, –
Da schrie sie plötzlich wie im Fieberwahn.

                              71.
Die Oda fuhr bei diesem Ton der Leiden
In allgemeinem Aufruhr rings empor,
Die Fraun und Mädchen und – die Kein's von Beiden –
Wie Meereswellen stürzten sie im Chor
Durch das Gemach, meist ohne sich zu kleiden,
Und keine Einz'ge konnt' sich stellen vor,
(Wie ich auch nicht) was es denn wol gemacht,
Daß die Dudù so stürmisch aufgewacht.

                              72.
Höchst wach war Die, und rannte um ihr Bette,
Es flog das Bettzeug und ihr langes Haar,
Das Auge flog, das Füßchen um die Wette,
Der Busen war und Arm und Beine baar,
Sie flammte roth, wie wenn sie Fieber hätte!
Man suchte rings, was wol die Ursach' war.
Sie schien erregt, erhitzt und tief erschreckt,
Das Auge weit, die Wange glutbedeckt.

                              73.
Was aber neu beweist, welch' großer Segen
Gesunder Schlaf: Juanna schlief so fest
Als wie ein Mann, der bei der Frau gelegen
In heil'ger Ehe schnarchgewohntem Nest.
All das Geräusch vermocht' sie nicht zu regen,
Bis man sie schüttelte nach Ost und West,
Dann öffnete auch sie ihr Augenpaar
Und gähnte lang und war sich selbst nicht klar.

                              74.
Und nun ward eine Forschung unternommen;
Doch Alle sprachen, fragten sich zugleich
Und riethen lang, um auf den Grund zu kommen,
Die Klügste kam, die Thörin nicht zu Streich
Mit einer Antwort, die da mochte frommen.
Dudù galt stets für klug und auskunftsreich;
Doch da kein Redner sie wie Brutus war,
Floß ihre Rede nicht gleich flott und klar.

                              75.
Doch endlich sprach sie: Als vom Schlaf umwunden,
Da träumte ihr, sie ging in dunkelm Wald,
– In solchem, wie sich Dante einst befunden»In Mitten unseres Lebenswegs
Befand ich mich in einem dunkeln Wald.« – Hölle.

In jenem Alter, wo man fromm und kalt,
Wo tugendhafte Frauen nie empfunden,
Daß ein Galan sie stürmte mit Gewalt –
Der Wald war voll von Früchten süß und stolz,
Von hohen Bäumen und von Unterholz.

                              76.
Und in der Mitte sah sie einen Apfel prangen,
Der wundervoll, doch ach! zu ferne hing;
Sie schaut' darnach in heißem Glutverlangen
Und warf dann Steine und was sonst verfing;
Doch eigensinnig blieb der Apfel hangen,
So heftig sie ihm auch zu Leibe ging.
Er baumelte vor ihren Augen zwar,
Doch allzu hoch und allzu unnahbar.

                              77.
Da plötzlich als schon fast dahin ihr Hoffen,
Fiel er von selbst zu ihren Füßen hin.
Ihr erst Gefühl war, als er sie getroffen,
Ihn anzubeißen als die Finderin,
Doch als sie schon die rothen Lippen offen,
Die goldne Frucht schon faßte als Gewinn,
Flog eine Biene her, stach sie ins Herz
Und sie erwacht' mit großem Schrei und Schmerz. –

                              78.
Das gab sie Preis mit jener bangen Scheue,
Die oftmals folgt auf Träume schlimmer Art,
Wenn Niemand da ist, der mit Sinn und Treue
Das halbe Dunkel hellt und offenbart.
Ich hörte schon von seltsamem Gebräue,
Worin man höchst Prophetisches gewahrt.
»Ein seltenes Zusammentreffen!« sagt
Die Phrase jetzt, womit man's rasch vertagt.

                              79.
Die Mädchen, die ein Unglück hier vermuthet,
Begannen nun, wie das auf Angst passirt,
Zu schmählen, daß Dudù so laut getutet,
Und ihren Schlaf so schändlich ruinirt;
Die Alte auch, die sich gar sehr gesputet,
War böse, daß ein Traum sie so verirrt;
Sie schalt Dudù, die höchst unglücklich schien
Und seufzt', ihr thu' es leid, daß sie geschrien.

                              80.
»Ich hab' manch Ammenmärchen schon vernommen,
Doch dieser Apfel- und auch Bienentraum,
Der uns die Ruhe jählings fortgenommen
Und aus dem Bett uns trieb um drei Uhr kaum,
Beweist, daß über dich der Mond gekommen!
In deinem Kopfe gährt des Fiebers Schaum;
Des Großherrn Doctor soll gleich morgen sehn,
Woher dir kommen solche Wahnidee'n.

                              81.
»Die arme Juanna! daß durch solches Lärmen
Des Kindes erste Nacht nun so gestört!
Ich wollte sie durch Schwesternähe wärmen,
Sie sollt' nicht einsam sein, wie sich's gehört;
Ich dachte, daß Dudù, die frei von Schwärmen,
Am wenigsten zur Nachtzeit sich empört'.
Nun muß ich freilich sie zu Lola thun,
Obschon ihr Bett nicht so bequem zum Ruhn.«

                              82.
Die Augen Lola's sprühten bei dem Plane,
Indeß Dudù's mit Tropfen füllten sich,
Vom Zanke wol und von des Traumes Wahne.
Sie bat, man möcht' ihr diesen Bienenstich
Doch ja verzeihn und Juanna, die Hispane,
(Setzt' leise sie hinzu und flehentlich)
Bei ihr belassen: jeden künft'gen Traum
Woll' sie verschließen in des Busens Raum.

                              83.
Ja sie versprach, nie wieder so zu träumen,
Zum mindesten gewiß nicht wieder laut;
Was sie bestimmt, sich schreiend so zu bäumen,
Sie wiss' es nicht, ihr schaudre noch die Haut;
Nur eine Närrin könne ja so schäumen;
Es habe ihr fast vor ihr selbst gegraut;
Sie bitte drum, ihr zu verzeihn, denn bald
Hab' wieder ganz sie sich in der Gewalt.

                              84.
Hier half ihr Juanna aus den bösen Krisen
Und sprach, sie fühle sich ganz wohl und gut,
Da wo sie sei – wie schon ihr Schlaf bewiesen,
Als Alles tobte wie 'ne Sturmesflut;
Sie könne jetzt durchaus nicht sich entschließen,
Allein zu lassen dieses junge Blut,
Das keine andre Sünde doch verübt,
Als daß die Ruh' durch Träume es getrübt.

                              85.
Tief packte Juanna's Wort Dudù's Gemüthe.
Sie barg ihr Antlitz an der Freundin Brust,
Man sah nur ihren Hals, doch dieser glühte
Wie eine Rose voll von Lebenslust.
Ich ahne nicht, woher die Rosenblüte,
Noch ist mir jenes Schreies Grund bewußt;
Ich weiß nur, daß die ganze Sache wahr,
So wahr wie jemals eine Wahrheit war.

                              86.
Und somit gute Nacht den beiden Süßen!
Auch guten Tag! der Hahn hat schon gekräht;
Des Lichtes Strahlen Asien's Hügel grüßen,
Es winkt der Halbmond auf dem Minaret
Der Karawane, die dort zu den Füßen
Der blauen Höh'n Byzantia erspäht,
Dort wo der Gürtel sich von Steinen dehnt,
Der Asien hält und an die Kurden lehnt.

                              87.
Gulbeyaz in des Morgens erstem Grauen
Erhob sich aus der Ruhelosigkeit,
Blaß wie die Leidenschaft mit düstern Brauen,
Warf sie den Schleier um, das Oberkleid.
Der Nachtigall, die an dem Dorn muß kauen,
Der nach der Fabel zeugt ihr Herzeleid,
Ist Herz und Stimme nicht so schwer als der,
Die jähe Leidenschaft treibt wild umher.

                              88.
Und dies ist die Moral von dem Gedichte,
Wollt' man nur sehen seinen wahren Zweck,
Doch stets verdächtigt man mir die Geschichte,
Und jeder Leser, hat die Gabe weg,
Das Aug' zu schließen vor dem hellsten Lichte;
Und mancher Dichter auch erhebet keck
Die Stimme gegen Seinesgleichen – ach!
Zu viele sind's, daß Jedem Beifall lach'.

                              89.
Die Sultanin stieg aus dem feinsten Bette, –
Ja mehr noch als des Sybariten sein,
Der, weil ein Rosenblatt an jener Stätte,
Laut jammerte, es müss' ein Steinchen sein –
So schön, daß Kunst sie nicht verschönert hätte.
Doch blaß vom Kampfe mit der Liebe Pein.
So aufgeregt war sie in ihrem Wahn,
Daß ihre Augen nicht den Spiegel sahn.

                              90.
Der Großherr auch erhob sich um die Stunde,
Vielleicht daß es auch etwas später war,
Der Herr von dreißig Reichen in der Runde
Und einem Weibe, das ihm undankbar,
Doch das macht wen'ger unterm Türkenbunde
(Für die zumal, die so viel haben baar,
Um stets zu füllen ihren Ehestall)
Als da, wo wegen Zwei schon ein Krawall.

                              91.
Er dachte wenig über diese Sache,
Noch über irgend Etwas überhaupt,
Er liebte eine Schöne unterm Dache,
Wie einen Fächer man zu lieben glaubt
Und hielt sich drum viel Vorrath in dem Fache,
Zum Spaße, wenn der Divan es erlaubt;
Doch kürzlich trieb ein Liebesanfall ihn
Zur holden Sonne, seiner Eh'frau, hin.

                              92.
Nun stand er auf und nach des Waschens Pflichten,
Die des Orientes Sitte auferlegt,
Nach dem Gebet und andern Heilsgeschichten
Trank er sechs Tassen Kaffee unbewegt
Und ließ sich von den Russen dann berichten,
Die kürzlich erst im Felde sich geregt,
Seit für Kath'rina sich der Thron erschloß,
Als Mensch und Fürstin gleich berühmt und groß.

                              93.
Du aber großer achter Alexander,
Ihr Sohnes Sohn, laß durch die letzte Zeil'
Dich nicht verletzen, falls zu dir sie wander',
– Und jetzt trifft fast bis Petersburg mein Pfeil
Und wirft dort mächtig aneinander
Der Freiheit Wellen, wie ein Donnerkeil,
Ihr Rauschen mischt selbst mit der Ostsee sich –
Wenn du des Vaters Sohn, genug für mich.

                              94.
Jemand – der Liebe Kind, und seine Mutter
Den Gegensatz zu nennen von Timon,
Der gern die Menschheit speiste auf der Butter,
Wär' ein Pasquill, ein Schimpf, ein tiefer Hohn;
Doch alle Ahnen sind geschichtlich Futter
Und wenn auf jede Generation
Der Fehltritt einer Frau vererbt, dann zeigt
Den Stammbaum mir, der sich nicht seitwärts zweigt.

                              95.
Wenn Katharina und der Großherr faßte,
Was ihnen wirklich Noth, doch was erst dann
Ein Fürst begreift, wenn er es schon verpaßte,
Gab's einen Weg zu helfen Jedermann,
Wenn man nur wollte und nicht lange spaßte:
Sie mußten jagen, wer Intriguen spann,
Dort mußt' die Garde, hier der Harem fort,
Dann einten sie sich rasch am dritten Ort.

                              96.
Inzwischen hatte täglich Raths zu pflegen
Der Großherr, wie er dieser Zänkerin
Das böse Handwerk gründlich möchte legen,
Der Amazon' und Dirnenkönigin.
Des Staates Pfeiler waren höchst verlegen,
Wie sich am besten trüg' der Baldachin,
Der schwer oft auf den Schultern dessen drückt,
Dem eine neue Steuer nicht recht glückt.

                              97.
Gulbeyaz zog, als jener fortgegangen,
Sich in ihr lieblich Boudoir zurück,
– Um Liebe oder Frühstück zu empfangen –
Ein süßes Plätzchen, voll geheimem Glück,
Und ausstaffirt zu stillen jed' Verlangen:
Kostbare Steine schmückten's Deckenstück
Und manche Vase war von Blumen roth,
Gebundne mildernd der Gebundnen Noth.

                              98.
Perlmutter und Porphyr und Marmor stritten
Sich mit einander an dem holden Ort,
Singvögel zwitscherten die zarten Bitten
Und farb'ge Fenster strahlten da und dort.
Doch hat das Werk stets unterm Wort gelitten,
Wir lassen drum die Einzelnheiten fort.
Ein leichter Umriß ist das allerbest',
Die Phantasie des Lesers thut den Rest.

                              99.
Jetzt rief sie Baba, wollte Don Juan haben,
Den sie ihm anvertraut, und den Bericht:
Was, seit die Sklaven fort, mit ihrem Knaben
Geschehn, ob er gethan nach seiner Pflicht,
Ob Alles in Geheimniß noch begraben,
Ob seine Maske ihn verrathen nicht,
Vor Allem aber wo und wie die Nacht,
Das wollt' sie wissen, Don Juan zugebracht.

                             100.
Baba erwiderte etwas verlegen
Auf dieser Fragen lange Litanei,
Die leicht gestellt sind, doch gewichtig wägen:
Er hab' gethan, was Amt und Pflicht ihm sei.
Doch schien ihm Etwas ziemlich ungelegen
Und durch sein Stocken ward verbrannt der Brei.
Er kratzte sich – ein wohl bekannter Griff
Verlegner Leute – hinterm Ohr und pfiff.

                             101.
Gulbeyaz war zum Warten nicht geboren
Und an Geduld ein Muster wahrlich nicht,
Nur rasche Antwort taugte ihren Ohren;
Drum als er scheute vor dem vollen Licht,
Gab sie durch Fragen ihm aufs Neu' die Sporen.
Und als verwirrter dadurch sein Gesicht,
Da flammte sie und funkelte wie toll,
Die blaue Ader auf der Stirne schwoll.

                             102.
Als Baba dies bemerkte und erkannte,
Es bringe ihm nichts Gutes, bat er sie,
Ihn gnädig doch zu hören bis zum Rande,
Er könne ja nichts für die Perfidie.
Nun kam's heraus, daß Don Juan – o der Schande!
Dudù zu Theil ward für die Nachtpartie.
Er war nicht Schuld, er schwur's beim Alkoran,
Beim heiligen Kameel von Turkestan.

                             103.
Der Oda Meisterin, auf welcher ruhte
Des ganzen Harems Sittenpolizei,
Sobald man eintrat in die innre Bude,
Wo Baba's Macht und Würde war vorbei,
Sie wollt' es so. Wie schwer ihm auch zu Muthe,
Was konnt' er hindern diese Narrethei?
Wollt' er nicht gar erregen nur Verdacht,
Der aus dem Uebel ärger wol gemacht.

                             104.
Er hoffe, glaube, möchte darauf schwören,
Daß Don Juan keinen Grund gab zum Verrath,
Er ließ sich sicherlich durch Nichts bethören,
Daß er was Unvorsichtiges dort that.
Es mußte seine Sicherheit ja stören,
Man fand ihn aus, der Sack war dann parat,
Das tiefe Meer – so sprach er schnell, nur daß
Dudù's Traum er verschwieg. Der war kein Spaß!

                             105.
Den hielt er weislich in dem Hintergrunde
Und schwatzte fort, und schwatzte wol noch jetzt,
Wenn eine Antwort kam aus ihrem Munde.
Doch tief im Herzen hatt' er sie verletzt.
Grau ward die Wange bei der Schreckenskunde
Und ihr Gehirn zerrüttet und zerfetzt,
Des Herzens Thau rann auf die Stirne kalt,
Wie der des Morgens auf die Lilien fallt.

                             106.
Obschon sie keine von den Ohnmachtsfrauen,
So glaubte Baba doch, es werfe sie;
Es war ein Krampf, zwar furchtbar anzuschauen,
Doch kurz. Wir kennen jene Agonie
Und manche fühlten selbst ihr Todesgrauen,
Wenn unter uns die Hölle plötzlich spie,
Gulbeyaz fühlte in dem Qualmoment
Unsagbar Elend, das kein Griffel nennt.

                             107.
Wie überm Dreifuß eine Pythonisse
Stand sie 'nen Augenblick voll Todesqual,
Begeist'rung sog sie aus dem Schlangenbisse,
Wie wilde Pferde zerrten allzumal
Die Herzensstränge, daß das Herz zerrisse,
Dann sank die Kraft, es fiel der Pulse Zahl.
Sie schwankte nieder und ihr bebend Haupt
Sank auf die Knie, die Ceder die entlaubt!

                             108.
Sie bog ihr Antlitz bis zum Nichtmehrsehen,
Wie Trauerweiden fiel ihr Flechtenhaar
Den Marmor fegend in des Stuhles Nähen,
Das heißt des Sopha (denn ihr Schemel war
Ganz Kissen nur, wie sie dort weich sich blähen),
Ihr Busen bot der Welle Schauspiel dar,
Die nach dem Strand wogt, dessen Kies sie hemmt
Und gegen den sie, bis sie bricht, sich stemmt.

                             109.
Ihr Kopf hing nieder und die langen Haare
Verbargen wie ein Schleier ihr Gesicht,
Vom Sopha hing die Hand wie von der Bahre,
So kalt wie Stein, so wächsern wie ein Licht.
Wär' ich ein Maler, gäb' ich erst das Wahre,
Ein Dichter kommt aus Einzelnheiten nicht.
O würde Farbe jedes Wortes Ton!
Doch mag's als Skizze dienen der Action.

                             110.
Baba, der aus Erfahrung wußt' wann sprechen,
Und wann er schweigen mußte, schwieg.
Er wagte nicht, Gulbeyaz' Trotz zu brechen,
So lang die Leidenschaft noch immer stieg.
Doch endlich überwand sie ihre Schwächen,
Langsam doch sicher schritt sie fort zum Sieg.
Die Stirn' war hell, das Auge noch voll Weh',
Der Wind gelegt, doch hoch ging noch die See.

                             111.
Jetzt blieb sie stehn und hob den Kopf zur Rede,
Ließ ihn dann sinken, fiel in raschen Schritt,
Bald ward er schlaff: aus solcher innern Fehde
Spricht tiefste Regung stets. An Schritt und Tritt
Erkennt man leicht der Leidenschaften jede,
Sallust theilt's uns in Catilina mit,
Wo dieser selbst verrathen schon im Gang
Wie ihm der Dämon Leib und Seel' durchdrang.

                             112.
Gulbeyaz hielt und winkte Baba. – »Sklave!
Bring' die zwei Sklaven,« sprach sie dumpf und leis'.
Ihr zu entgegnen wagt er nicht im Schlafe,
Doch macht' ihm tiefer Schauder ihr Geheiß.
Er zögerte und bat trotz Zorn und Strafe:
Die Hoheit möcht' – obwol der Schalk es weiß! –
Die Sklaven zu bezeichnen doch geruhn,
Um keinen Mißgriff wie vorhin zu thun.

                             113.
»Die Perserin und ihren Buhlen,« grollte
Des Sultans Braut und fügte noch hinzu,
Daß auch ein Boot am Pförtchen warten sollte.
»Das Uebrige,« sprach sie, »weißt Baba du.«
Das Wort, das Stolz und Liebe sprechen wollte,
Blieb ihr im Hals. Er griff drum eifrig zu
Und flehte sie bei des Propheten Bart,
Zurückzunehmen jene Wasserfahrt.

                             114.
Zwar Hören und Gehorchen ist das Gleiche,
Sprach er, doch denk' der Folgen, Sultanin!
Du weißt, daß ich von dem Gebot nicht weiche
Und gäbst du es im allerschärfsten Sinn,
Doch Uebereilungen gefährden Reiche,
Sie bringen dir hier sicher nicht Gewinn.
Ich meine nicht die Blöße, die Gefahr,
Wenn deine That zu früh wird offenbar –

                             115.
Ich meine dein Gefühl. Mag auch verstecken
Der Wellen Strömung all den bösen Rest,
Wie sie schon manche holde Brust bedecken,
In ihrem nassen, tödtlich tiefen Nest,
So durfte dieser Mann dir Liebe wecken,
Und wenn du ihn ins Meer versenken läßt,
So heilt, verzeih', dein scharfes Mittel nicht,
Indem's verlöschet deines Herzens Licht. –

                             116.
»Was weißt du Thor von Liebe? Fort und thue,
Wie ich befohlen,« schrie sie wild ihn an.
Baba verschwand. Er wußt', wenn er nicht ruhe
Und ferner widerstrebe ihrem Plan,
Könnt' selbst er stürzen in die dunkle Truhe;
Und hätt' er gern auch seine Pflicht gethan,
So daß kein Nebenmensch den Kopf verlor,
Zog er doch seinen Hals dem Andrer vor.

                             117.
So ging er fort, den Auftrag auszurichten
Und brummte auf gut Türkisch in den Bart:
Die Weiber machen immerfort Geschichten,
Besonders Königinnen dieser Art,
Die starr und stolz bald wollen bald verzichten,
Wo täglich anders sich das Herz gebahrt,
Die Unruh' stiften, Unheil und Scandal,
So daß man glücklich ist, daß man – neutral.

                             118.
Dann rief die Brüder er an seine Seite
Und sandte seine Botschaft an das Paar,
Rasch anzulegen Putz und auch Geschmeide,
Und pünktlich auszukämmen Zopf und Haar,
Die Kaiserin erwarte heute Beide,
Sie nehme eifrig ihr Int'resse wahr. –
Dudù sah seltsam drein und Don Juan dumm,
Doch half es nichts, sie kleideten sich um.

                             119.
Hier laß ich sie in ihren Voranstalten
Für die Begegnung mit der Kaiserin.
Ob hier Gulbeyaz ließ das Mitleid walten,
Ob sie geopfert ihrem wilden Sinn,
Wie's andre Damen ihres Volks gehalten,
Sind Fragen, die am Härchen schweben hin.
Doch ferne sei's, woraus zu künden jetzt,
Wofür die Laune sich entschied zuletzt.

                             120.
Mit guten Wünschen laß ich nun die Beiden,
Doch auch mit Zweifeln um ihr künftig Wohl,
Um eine andre Fabel einzuleiten,
Denn wechseln muß beim Mahle Fleisch und Kohl,
Doch hoffen wir, kein Fischlein werde weiden
An Don Juan sich, obschon ihm gar nicht wohl,
Und weil Veränd'rung immer macht Plaisir.
Greift meine Muse nun zum Kriegspanier.

 


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