George Byron
Don Juan
George Byron

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Vierter Gesang.

                               1.
Nichts ist so schwer beim Dichten als Beginnen,
Und einzig schwerer noch vielleicht der Schluß;
Oft schon wenn Pegasus scheint zu gewinnen,
Verrenkt er sich noch einen Vorderfuß,
Wie Lucifer, als von des Himmels Zinnen
Er niederfuhr durch ähnlichen Verdruß.
Es ist der Stolz, der uns zu weit geführt,
Bis uns die Schwachheit lehrt, was uns gebührt.

                               2.
Jedoch die Zeit, die Alles gleicht und schleifet,
Und scharfe Noth belehrt uns endlich doch,
Was hoffentlich auch Lucifer begreifet:
Des Geistes Kraft sei nicht unendlich noch.
So lang das Herz im Leben nicht gereifet,
Das Blut noch stürmet gegen jedes Joch,
Ist das nicht klar; doch naht der Strom dem Meer.
Tritt manches Alte anders an uns her.

                               3.
Als Knabe hielt ich mich für einen Jungen,
Der sehr geschickt, sagt' es auch Andern vor;
Man glaubte mir's, als ich nun durchgedrungen
Und meine Herrschaft stand im besten Flor;
Jetzt ist die Leier fast schon ausgeklungen,
Die Phantasie schwingt nicht mehr sich empor,
Die trübe Wahrheit hat mich bei dem Haar
Und kehrt in Posse, was romantisch war.

                               4.
Und lache ich der eiteln Erdendinge,
So thu ich's nur, daß ich nicht weinen muß;
Und wein' ich, ist's, weil ich's nicht immer bringe
Zur Apathie, die erst im Lethefluß
Uns winkt und lähmet jede kräft'ge Schwinge
Und bringt zur Ruh' die Lust und den Verdruß.
Im Styxe taufte Thetis ihren Sohn,
Ein sterblich Weib thät' es im Lethe schon.

                               5.
Man hat mich angeklagt, ich conspirire
Frech gegen Landessitte, Religion,
Und dies Gedicht verletze, corrumpire.
Nun ich versteh' die eigne Intention
Nicht recht, wenn allzu fein ich speculire,
Doch will und hoff' ich weiter nichts davon,
Als einen Augenblick vergnügt zu sein –
Ein neues Wort im Thun und Treiben mein.

                               6.
Es mag dem Leser unsrer kalten Zone
Erotisch scheinen meine Dichtungsart:
Pulci war Meister im halbernsten Tone,
Das Ritterthum war noch mit Scherz gepaart
Und er besang die ächten Reichsbarone,
Despoten, Riesen, Frauen keusch und zart,
Da nur die erste Art noch bei uns wächst,
So wähl' ich besser einen neuen Text.

                               7.
Ich weiß es nicht, wie ich mit ihm verfahren,
Vielleicht nicht besser als die Welt mit mir,
Als sie bei mir Tendenzen wollt' gewahren,
Die sich in Wahrheit fanden nur bei ihr;
Doch macht's ihr Spaß, so möge sie nicht sparen,
Die Zeit ist frei und frei auch das Geschmier.
Indeß Apollo nimmt mich hier beim Ohr
Und mahnt mich an die Pflichten des Autor.

                               8.
Der eignen Herzen traulichem Ergusse
War Don' Juan überlassen und Haidee;
Die harte Zeit selbst stieß nur mit Verdrusse
Den rohen Stahl in solche Harmonie;
Obschon nicht hold dem liebenden Genusse,
Sah sie mit Leid das Ende der Partie!
Doch in dem Lenze sollten sie dahin,
Eh' noch ein Reiz, ein Hoffen konnte fliehn.

                               9.
Ihr Antlitz war für Runzeln nicht geschaffen,
Ihr reines Blut nicht für des Lebens Sumpf,
Des Haares Wachsthum sollte nicht erschlaffen,
Hier war nur Licht, nur Wärme und Triumph.
Ein jäher Blitz zwar konnte hin sie raffen,
Vernichten beide wie mit Stiel und Stumpf;
Doch für ein Dasein, das am Boden kroch,
War dies Gewächs zu gut, zu edel doch. –

                              10.
Jetzt waren wieder sie allein – ein Eden
War dies für sie; nie fühlten sie Verdruß,
Als wenn sie nicht zusammen durften reden.
Von seiner Quelle abgedämmt der Fluß,
Der Baum getrennt von seiner Wurzel Fäden,
Das Kind von seiner Mutter Brust und Kuß, –
Sie welkten nicht wie diese zwei – getrennt.
Wie doch das Herz sein wahr Bedürfniß kennt!

                              11.
Das Herz, das brechen kann! Die Neidenswerthen!
Ja drei Mal glücklich, wer von schwachem Guß,
Vom feinsten Thon und Porzellan der Erden
Beim ersten Fall zerbricht! wer vor dem Schluß,
Des Ziels dahinfährt und die viel Beschwerden
In bittrem Schweigen nicht mehr tragen muß.
Doch quillt des Lebens Born am stärksten oft,
In dem der nach dem Tode seufzt und hofft.

                              12.
»Der Götter Freund stirbt jung«, so hieß es immer,Siehe Herodot.
Und dadurch übersteht er manche Noth:
Den Tod der Freunde und was noch viel schlimmer,
Der Freundschaft, Jugend und der Liebe Tod!
Und da des stummen Ufers Geisterschimmer
Auch dem gewiß, dem lange nicht gedroht
Des Schützen Pfeil, – so nimmt das frühe Grab
Uns manche Last und manchen Kummer ab.

                              13.
Haidee und Don Juan dachten nicht der Todten,
Für sie schien Himmel, Erde, Luft gemacht,
Sie hätten gern der Zeit zu fliehn verboten
Und nahmen in sich selbst kein Arg in Acht;
Eins war des Andern Spiegel und es lohten
Nur Freudefunken in der Augen Nacht.
Sie wußten, daß dies Funkeln offenbar
Nur Abglanz ihrer Liebesblicke war.

                              14.
Der sanfte Druck, das bebende Betasten,
Ein Blick verstanden besser als das Wort,
Der Alles sagte, nie zu lang konnt' rasten
Und eine Sprache, wie der Vögel dort,
Die, wie es schien, nur sie verstanden, faßten,
Den Liebenden ein neuer Sinn und Hort,
Ein süß Geschwätz, das dumm erschien und leer,
Dem der es nie – und der's gehört – nicht mehr.

                              15.
Das war für sie! – Sie waren ja noch Kinder,
Sie hätten's bleiben sollen immerdar,
Sie paßten nicht für diesen Lebenswinter,
Zu Rollen der geschäft'gen Menschenschaar,
Sie waren Elfen ja, nicht mehr nicht minder,
Wie aufgetaucht aus einem Wasser klar,
Bestimmt auf Blumen, Quellen hinzuwehn,
Dem schweren Tritt der Menschheit zu entgehn.

                              16.
Wol wechselte der Mond, doch gleich verblieben,
Die deren Freuden oft geschaut sein Licht,
Er sah wol nirgend ein beglückter Lieben
Und jene Wonnen waren eitle nicht;
Ihr Geist war niemals unterthan den Trieben
Und dem, was sonst der Liebe Zauber bricht,
Der Vollbesitz war ihnen nur ein Ding,
Das fester schloß der Liebe zarten Ring.

                              17.
Wie schön, wie selten! Doch ihr süßes Minnen
War so, daß gern die Seele drin vergeht,
Wenn uns die alte Welt fast bringt von Sinnen,
Den Kopf uns voll mit wüstem Lärme kräht,
Und Abenteuer, Abenteurerinnen,
Passion und Ehen bringet auf's Tapet,
Wo Hymens Fackel mancher Dirne brennt,
Die nur der Ehmann nicht als Metze kennt.

                              18.
Wol bittre Wahrheit, die gar Viele kennen.
Genug! – Was machte unser holdes Paar,
Das keine Stunde mocht' 'ne lange nennen,
So aller Sorge, alles Harmes baar?
Das Hochgefühl, in dem wol Viele brennen,
Bei denen's lischt – das jenen bleibend war.
Es war, was zwar »romantisch« heißt die Welt
Und stets beneidet, doch für Unsinn hält.

                              19.
Dies ist bei Andern künstliches Gebahren,
Der Jugend und Lectüre Opiumtraum;
Sie trieb Natur, das Schicksal selbst zu Paaren
Und kein Roman fand in den Köpfen Raum.
Haidee's Erzieher so gelehrt nicht waren
Und Don Juan lief am geistlichstrengen Zaum.
So war ihr Lieben in demselben Fall,
Wie das der Taube und der Nachtigall.

                              20.
Sie sahn, wie Phöbus sank. Dies ist die Stunde,
Die allen theuer, ihrem Aug' noch mehr:
Sie hatte einst geleuchtet ihrem Bunde,
Sie überwältigt und beglückt so sehr.
Da hing ihr Brautgeschenk an ihrem Munde
Und Dämm'rung fand sie in der Liebe Meer,
Entzückt von sich, von jedem süßen Ding,
Das jetzt wie einst beglückend sie umfing.

                              21.
Ich, weiß nicht wie es kam, sie schauten eben –
Da plötzlich fuhr durch ihrer Herzen Glück
Ein Zittern hin, wie wenn die Saiten beben
Im Abendwind, wie einer Flamm' Gezück,
Wenn Ohr und Auge dunkle Zeichen geben.
Es war von einer Ahnung fast ein Stück
Und preßte Don Juan einen Seufzer aus,
Ihr einen Tropfen aus dem Thränenhaus.

                              22.
Ihr schwarz Prophetenauge schien zu zagen
Und nachzusinken jener Sonnenglut,
Als ob auf ihrem lichten Sonnenwagen
Hinunter wär' ihr Lebensglück und Muth;
Er sah sie an, als müßt' er sie was fragen,
Ihm war so schwül, es stockte fast sein Blut;
Es bat sein Blick den ihren zu verzeihn,
Daß er sich mußt' so dunklem Fühlen weihn.

                              23.
Sie blickte lächelnd zu dem theuern Herzen,
Ach solch ein Lächeln ruft kein Echo wach!
Doch was sie auch empfand an tiefen Schmerzen,
An ihrer Klugheit, ihrem Stolz es brach;
Und als nun Don Juan gleichsam um zu scherzen,
Von ihrer Sympathie im Zittern sprach,
Da meinte sie: »Wenn es so wär' – doch nein!
Ich überlebt' es nicht – es kann nicht sein!«

                              24.
Als Don Juan weiter fragen wollte, preßte
Sie seine Lippen mit den ihren zu;
So trieb sie fort die bösen innern Gäste
Und holt' sich selbst in einem Kusse Ruh'.
Von allen Mitteln ist dies doch das beste,
Auch Wein verwendet man oft gut hiezu.
Ich that schon Beides, man hat nur die Wahl:
Hier Kopf-, dort Herzweh – Beides eine Qual.

                              25.
Eins von den beiden habt ihr zu ertragen,
Nach eurer Wahl – Geliebte oder Wein,
Sie lasten schwer auf unsern Freudetagen,
Doch weiß ich nicht, was besser möchte sein;
Und hätt' ich ernstlich was dabei zu sagen,
Für beide legt' ich gute Worte ein.
Ich würde dann darüber schließlich eins,
Daß beide besser als von beiden keins. –

                              26.
Haidee und Don Juan schauten sich mit Blicken
Sprachloser Zärtlichkeit und Wonne an,
Es schien daraus ihr ganzes Herz zu nicken,
Lieb', Freud' und Leid – was man nur fühlen kann,
Wenn sich zwei Herzen in einander schicken
Und zu viel thun in diesem süßen Bann,
Doch so viel müssen – so daß fast das Mehr
Durch des Beglückens Wunsch geheiligt wär'.

                              27.
Warum denn starben sie nicht Herz an Herzen –
Gleich jetzt? sie hatten schon zu lang gelebt,
Wenn jemals sie erlebten Trennungsschmerzen.
Wie viel des Leids an einem Jahre klebt!
Was war die Welt mit ihrer Kunst und Scherzen
Für sie, in denen Sappho's Seele webt!
Ja tiefste Liebe war ihr ganzes Sein,
Nicht ein Gefühl, ein herrliches, allein.

                              28.
Sie hätten tief im Walde leben sollen,
Unsichtbar wie der Nachtigall Gesang,
Sie paßten nicht für jene menschenvollen
Einöden hier mit der Gesellschaft Zwang.
Wie einsam schaffet jedes freie Wollen!
Paarweise nistet, was am schönsten sang.
Der Aar steigt einsam, doch nach Menschenmaß
Fällt Möv' und Kräh' in Massen über's Aas.

                              29.
Als sie nun jetzt gebettet Wang' an Wange,
Siesta hielten, ein gar lieblich Bild,
Da schien ihr Schlaf nicht tief, ja manchmal bange,
Es schüttelte oft Don Juan fiebrisch wild,
Ein Schauer kroch auf ihm wie eine Schlange;
Haidee auch murrte, freilich süß und mild
Wie nur Musik! Ihr Antlitz zuckt' im Traum
Wie Rosenblätter in bewegtem Raum.

                              30.
Jetzt wie es braust im Alpenstrom, dem klaren,
Wenn drüber weg der starke Bergwind geht,
Ward sie erschüttert durch des Traums Gebahren,
Der durch uns hin mit myst'schen Kräften weht;
Wo wir ins All mit uns'rer Seele fahren,
Weil sie dem Geiste nicht mehr untersteht.
Seltsames Sein! – denn Sein ist's immer noch –
Gefühllos fühlen, blind zu sehen doch!

                              31.
Sie träumt': sie sei allein am Meeresstrande,
Gekettet an ein Riff, sie wußt' nicht wie;
Sie konnt' nicht los im lauten Wogenbrande,
Wild stieg die Welle und bedrohte sie.
Sie kam herauf bis zu der Lippen Rande,
Nach Athem schnappt die ängstliche Haidee;
Hoch über ihrem Haupt schäumt jene, bricht
Sie zu ertränken, doch sie tödtet nicht.

                              32.
Jetzt ist sie glücklich los! Auf scharfen Steinen
Eilt sie dahin, es blutet schon ihr Fuß;
Bei jedem Schritte stößt sie mit den Beinen,
Da schaut sie Etwas, dem sie folgen muß,
Es rollt vor ihr in einem weißen Leinen,
Es ängstet sie mit seinem Geistergruß,
Doch hält's nicht an. Sie schaut und greift danach,
Doch es entschlüpft, wie's schon zu stehn versprach.

                              33.
Jetzt sah sie sich in einer Höhle wieder,
Wo ausgewaschen an der Marmorwand
Der Jahre Werk, Steinzapfen hingen nieder,
Wo Wasser floß, die Robbe lauernd stand.
Es troff ihr Haar, und ihrer Augen Lider
Ergossen zahllos Thränen in den Sand.
Das Felsgestein schaut' jeden Tropfen an,
Der wie er fiel, zu Marmor schnell gerann.

                              34.
Und naß und kalt und leblos ihr zu Füßen,
Blaß wie der Schaum, der seine Stirne deckt,
Von der sie nicht mehr Liebesblicke grüßen,
Die sie nicht mehr wie schon einmal erweckt,
Lag Don Juan da! Sein Herz hat schweigen müssen,
Sie horcht umsonst, ob es nicht wieder schlägt.
Das Meer rauscht fort in traurigem Gesang,
Der kurze Traum scheint wie ein Leben lang.

                              35.
Und wie den Todten sie betrachtet, scheinen
Ihr seine Züge welk und anders, neu,
Den Vater fast will sie zu schauen meinen,
Und immer mehr wird's jener alte Leu.
Ja, Lambro ist's! Jetzt ist sie ganz im Reinen,
Sie zuckt, erwacht – und sieht – ja meiner Treu!
Das dunkle Aug', des Vaters Aug' es war,
Starr hält er es gerichtet auf das Paar.

                              36.
Sie schreit, fährt auf und schreiend stürzt sie nieder,
Von Freude, Schmerz, von Hoffnung, Furcht bewegt,
Ihn, den sie tief im Meer wähnt, schaut sie wieder,
Er ist vom Tod erstanden! Ach er trägt
Vielleicht den Tod in des Geliebten Glieder!
So viel zum Vater Liebe sie gehegt,
So gab's doch einen Augenblick voll Graus! –
Auch ich sah einst – bring's aus dem Kopf nicht 'naus. –

                              37.
Don Juan sprang auf bei ihrem wilden Schreien,
Und fing sie auf und riß dann rasch sein Schwert
Herab, um seiner Rache den zu weihen,
Der diesen Schrecken ihr und ihm bescheert.
Doch Lambro der, als wären's Kindereien,
Mit keinem Wort ihr heftig Thun beehrt,
Sprach höhnisch nur: »Laßt stecken das Rappier,
Auf meinen Ruf sind tausend Schwerter hier.«

                              38.
Haidee hing sich an ihn und rief: »Mein Leben!
Dies ist der Vater – Lambro! Knie mit mir!
Der Gute wird, er muß uns ja vergeben.
O theurer Vater, sieh uns Beide hier
Voll Lust und Schmerz! Ich küsse ja mit Beben
Der Freudigkeit den Saum des Rockes dir.
Soll Angst sich mischen in der Freude Wein?
Thu wie du willst mit mir, doch schone sein!«

                              39.
Hoch, unergründlich stand der Alte lange
Im Tone ruhig, ruhig auch im Blick,
Grad' kein Beweis von glattem Sinnesgange.
Er sah sie an, fand keinerlei Replik;
Kehrt' dann zu Don Juan sich, von dessen Wange
Das Blut verschwand, als kenn' er sein Geschick.
Er stand bereit, zu fällen rasch den Feind,
Den Lambro's Ruf hierher zu laden meint'.

                              40.
»Gebt euern Degen, Herr«, sprach Lambro wieder.
Und Don Juan: »»Nein! so lang' der Arm noch frei!««
Der Greis ward blaß, doch schlug ihn Furcht nicht nieder,
Er griff zum Terzerol und sprach dabei:
»So komme Euer Blut auf Haupt und Glieder«.
Dann schaute er, ob frisch der Stein auch sei,
Weil er erst kürzlich einen Schuß gethan;
Und spannte drauf mit großer Ruh' den Hahn.

                              41.
Es wirkt gar seltsam jenes Hahngeknacke
Auf unser Herz, wenn man sich schaudernd sagt:
Du zielst nun gleich auf Stirne oder Backe
Deß, der sich auf zwölf Ellen vor dich wagt.
Ein Abstand von besonderem Geschmacke,
Wenn unser Freund der Gegenstand der Jagd!
Doch schoß man ein Mal, schoß man zwei Mal schon,
Gewöhnt das Ohr sich an den wüsten Ton.

                              42.
Lambro schlug an, und 'ne Secunde später
War dies Gedicht und Don Juan's Leben aus.
Da warf Haidee sich vor den Missethäter
Und rief ganz wie ihr Vater, scharf und kraus:
»Ich trag' die Schuld, doch er ist kein Verräther,
Die Welle warf halb todt ihn vor das Haus.
Tödt' mich, ich lieb' ihn, bin zum Tod bereit,
Ich kenne dich, du – meine Festigkeit.«

                              43.
Noch eben war sie ganz gelöst in Thränen
In Kindessinn und warme Zärtlichkeit;
Jetzt stand sie stolz und knirschte mit den Zähnen,
Blaß wie ein Steinbild, voll Entschiedenheit;
Sie kannte nicht mehr Menschenfurcht und Sehnen;
Da stand sie groß, das Ziel zu sein bereit.
Ihr fester Blick maß Lambro's Angesicht,
Doch scheuchte er den Schreckensfinger nicht.

                              44.
Sie schaun sich an. Wie ähnlich sahn sich beide,
Der heiter wilde Ausdruck war fast gleich,
Der scharfe Blick fuhr aus derselben Scheide,
An düstern Flammen waren beide reich;
Sie rächte ihn, that man ihm was zu Leide
Und Löwin war sie, wenn auch schwach und bleich.
Am Aug' des Vaters kocht' ihr Vatersblut
Und gab so Zeugniß, daß es ächt und gut.

                              45.
Sie waren ähnlich; nur Geschlecht und Jahre
Veränderten die Züge und Gestalt;
Ja Ähnlichkeit erstreckt' sich bei dem Paare
Bis auf der Hände zarten Bau und Spalt.
Jetzt standen sie mit wildgesträubtem Haare
Einander gegenüber streng und kalt;
Sie, die doch Grund zum freudigsten Gefühl,
Zerrissen von der Leidenschaft Gewühl.

                              46.
Der Vater zögerte, zog die Pistole
Sodann zurück und steckt' sie wieder ein;
Dann maß er sie vom Wirbel bis zur Sohle:
»Ich wollte Diesem nicht zu Schaden sein,
Zu dieser Pein gab ich nicht die Parole;
Wer trüg' die Schmach und schlüge hier nicht drein.
Ich thu' nur meine Pflicht, ich bin nicht hart,
Für das Geschehne zahlt die Gegenwart.

                              47.
»Weg mit dem Schwert! Wo nicht, so möge rollen
Sein Kopf bei meinem Haupte! in den Sand. –«
Er setzt' sein Pfeifchen an mit finstrem Grollen
Und pfiff, bald ward die Antwort ihm gesandt;
Dann kamen wol bei Zwanzig seiner Tollen,
Gespickt mit Waffen wild hereingerannt;
Und er befahl: »Nehmt diesen Franken fest,
Läßt er's nicht zu, gebt ihm sofort den Rest.«

                              48.
Dann schleudert' er die Tochter rasch zur Seite.
Wie er sie hielt mit seiner festen Hand,
Trat zwischen sie und Don Juan sein Geleite;
Umsonst sucht' sie zu reißen jenes Band,
Sein Arm umschlang sie wie ein Erzgeschmeide.
Nun stürzten die Korsaren auf ihr Pfand
Wie Nattern los, doch gleich der Erste fiel,
Ein Hieb von Don Juan fehlte nicht sein Ziel.

                              49.
Den Zweiten hieb er kräftig in die Wange,
Der Dritte erst, ein schlauer Veteran,
Fing jenes Hieb mit seines Griffes Spange
Und brachte dann so gut den eignen an,
Daß Don Juan fiel, ein Vogel von der Stange,
Und ihm das Blut als wie ein Bächlein rann
Aus zwei gelungnen Wunden, roth und warm,
Die an dem Kopf, die andre an dem Arm.

                              50.
Dann banden sie ihn, wo er lag, und trugen
Ihn aus dem Zimmer und hinab zum Strand,
Auf einen Wink des Alten, immer klugen,
Wo segelfertig manche Barke stand.
Dort legten sie ihn in ein Boot und schlugen
Den Weg ein zu den Schiffen, die zur Hand.
Hier ward er unter Deck und Schloß gebracht,
Mit strengster Weisung für des Schiffes Wacht.

                              51.
Die Welt ist voll von seltnen Wechselfällen;
Hier lag ein äußerst widerwärt'ger vor:
Ein junger Mann, so reich an Lebensquellen,
Der schön und jung sich im Genuß verlor,
Wird plötzlich von der Freude goldnen Schwellen
Ins Meer gejagt, dem er entging zuvor,
In Ketten und von Wunden überdeckt,
Weil einem Mädchen Liebe er geweckt.

                              52.
Hier muß ich ihn verlassen; mich erregen
Des grünen Theees Geister allzu sehr,
Cassandra ist an Pathos nichts dagegen.
Denn trinke ich vier Tassen oder mehr,
So unterlieg' ich meines Herzens Schlägen.
Ich flüchte mich zum schwarzen Thee daher.
Wie Schade, daß so giftig doch der Wein,
Bei Thee und Kaffee kann man nüchtern sein.

                              53.
Nur nicht, wenn du sie, Cognac, durftest steifen!
Wie Höllenstroms Najade wirkst du nun,
Warum mußt du die Leber so ergreifen,
So übel wie nur andre Nymphen thun?
Zu schwachem Punsch möcht' ich am liebsten schweifen,
Jedoch der Arac läßt mich nimmer ruhn.
Füll' ich den Becher Nachts mir bis zum Rand,
Bin ich am Morgen in fatalem Stand!

                              54.
Ich lasse Don Juan ziehen seine Straßen,
Er ist verwundet, wahrlich nicht gesund,
Doch seine Schmerzen sind nicht so ohnmaßen,
Wie die Haidee's, die tief im Herzen wund.
Sie war von denen nicht, die weinen, rasen
Und doch sich finden, wird es allzu bunt.
In Fez war ihre Mutter ja zu Haus,
Wo Paradies nur oder Wüstengraus.

                              55.
Dort gießt der Oelbaum seine gelben Säfte
In Marmorkufen; Blumen, Korn und Frucht
Streun allerwärts die überreichen Kräfte,
Doch auch der Giftbaum hebt sich aus der Schlucht,
Der Löwe macht dort seine Nachtgeschäfte
Und Wüstensturm jagt Alles in die Flucht,
Die Karawane stürzet niederwärts
Und wie die Sonne, so das Menschenherz.

                              56.
Dies Afrika ist Sonne ganz: es glühet
Der Mensch wie seine Erde dort, voll Kraft
Für gut und bös. Schon von Geburt an sprühet
Dies Maurenblut von wildem Zeugungssaft.
Schön war die Mutter von Haidee erblühet
Und ihre Mitgift war die Leidenschaft,
Still sprach sie aus des dunkeln Auges Glut,
Dem Löwen gleich, der an der Quelle ruht.

                              57.
Die Tochter war genährt von mildrem Strahle
Und wie die Sommerwolke sanft und hold,
Die nur allmählich füllt die Donnerschaale,
Aus der sie Schrecken auf die Erde rollt.
So war auch sie, bis nun mit einem Male
Sie den Tribut der Leidenschaft gezollt
Und das numid'sche Feuer losgelegt,
Wie wenn der Samum durch die Ebne fegt.

                              58.
Das letzte was sie sah, war Don Juan's Bluten,
Wie überwältigt er zu Boden fiel
Und auf dem Flur hinströmten rothe Fluten,
Ihr Alles hin, ihr Glück, ihr Lebensziel!
Dies sah sie noch, dann löschten ihre Gluten
Und in ein krampfhaft Stöhnen sie verfiel.
Sie sank an Lambro's Brust, der bis jetzt kaum
Sie halten konnt', wie ein gefällter Baum.

                              59.
Gesprungen war ein Blutgefäß! Der Lippe
So reine Farbe ward mit Blut befleckt;Dies ist eine nicht ungewöhnliche Wirkung heftiger Leidenschaft. Als der Doge Francesco Foscari bei seiner Absetzung im Jahre 1457 hörte, wie die Glocken von Sankt Marco die Wahl seines Nachfolgers verkündeten, starb er plötzlich in Folge eines Blutsturzes, der durch das Platzen eines Blutgefäßes in der Brust herbeigeführt worden war,(siehe Sismondi und Daru, Band 1 und 2) in einem Alter von 80 Jahren »Wer hätte gedacht«, heißt es dort, »daß der alte Mann noch so viel Blut in sich hätte!« – In meinem 15. Lebensjahre war ich Zeuge eines ähnlichen traurigen Ereignisses, wo ein junger Mann durch einen Conflict von Leidenschaften fast ebenso weit gebracht wurde. Er starb zwar damals nicht gleich, wol aber einige Jahre später, nachdem ihn eine Gemüthsbewegung von Neuem heftig erschüttert hatte.
Es sank ihr Haupt, wie unter Mähers Hippe
Die Blume sinkt; es trugen tief erschreckt
Die Mädchen sie in ihre weiche Krippe,
Wo sie mit Wassern, Kräutern ward bedeckt.
Doch sie wies Alles ab. Das Leben bot
So wenig Reiz, so wenig Schreck der Tod.

                              60.
So lag sie unverändert lange Tage,
Leblos und starr, doch roth der Lippe Zier,
Der Puls war weg und doch der Tod noch Frage;
Kein schrecklich Zeichen mahnte, er sei hier;
Noch zeugte nicht Zerstörung laute Klage,
Und sah man in das holde Antlitz ihr,
Wie schien's lebendig und wie seelenvoll,
Hier nahm der Tod nicht seinen ganzen Zoll!

                              61.
Noch lag darin die herrschende Empfindung,
Dem Steinbild gleich von eines Meisters Hand,
Ja einer Venus liebliche Erfindung,
Wenn gleich der Reiz in starre Form gebannt.
Laokoons stets qualenvolle Windung,
Der Fechter, dem das Blut rinnt in den Sand,
Wie sind sie doch an Kraft, an Leben reich,
Und leben nicht, weil sie sich immer gleich!

                              62.
Sie wachte auf, doch nicht wie aus dem Schlafe,
Mehr wie vom Tod; denn dieses Leben war
Ihr neu, und wen'ger Lust als Last und Strafe,
Was sie erblickte, schien so sonderbar
Und ihr Gedächtniß nur ein stumpfer Sklave;
Sie fühlte einen tiefen Jammer zwar,
Doch wußt' sie nicht mehr, was den Schmerz gebracht,
Die Furien hatten einen Halt gemacht!

                              63.
Da saß sie nun mit leerem Blick und starrte,
Sah Manches an, was sie doch nicht verstand,
Sie fragte nicht, warum man ihrer warte
Und wußt' auch nicht, wer an dem Bette stand;
Sie war nicht stumm, obschon sie so verharrte;
Sie seufzte nicht. Was ihr Gesind erfand,
Geschwätz und Ruh', – umsonst war Alles doch,
Ihr Athem nur bewies, sie lebe noch.

                              64.
Sie gab nicht Acht auf ihre Pflegerinnen,
Vom Vater, der ihr wachte, sah sie weg,
Sie konnte sich auf Niemand mehr besinnen,
Auf keinen ihr sonst noch so theuern Fleck.
Man wechselte die Zimmer – leer Beginnen!
Da lag sie sanft, jedoch der Geist war leck,
Doch saß in diesem Aug', das man so gern
Zum Heut' erweckt, ein furchtbar tiefer Kern.

                              65.
Auf Harfenspiel verfiel nun eine Dirne:
Der Harfner kam, berührt' sein Instrument,
Und als die Töne trafen ihr Gehirne,
Sah sie nach ihm, doch war's nur ein Moment;
Dann drehte nach der Wand sie ihr Stirne,
Als ob sie neu die alte Wunde brennt'.
Und er begann aus jener alten Zeit
Ein Insellied, da Tyrannei noch weit.

                              66.
Gleich schlugen ihre Finger zu der Weise
Den Takt; er änderte das Thema jetzt
Und sang von Lieb'. Wie zuckte scharf und heiße
Dies Wort durch ihren Sinn; sie schien entsetzt,
Das was sie war, zu sein auf diese Weise,
Wenn solches Sein noch wird als Sein geschätzt.
Die Thränen stürzten aus dem schweren Haupt,
Wie wenn es strömt, wo Nebel erst gestaubt.

                              67.
Ein kurzer Trost! Zu schnell kam der Gedanke
Und wirbelte in Wahnwitz ihren Geist.
Auf stand sie, als ob nie sie eine Kranke
Und floh vor Allem, was da Mensch nur heißt.
Doch Niemand hörte, daß sie klage, zanke,
Obschon ihr Fieber immer wilder kreist'.
Ihr Wahn verschmähte jeden Tollheitszug,
Selbst als man sie, um sie zu retten, schlug.

                              68.
Zwar hie und da erschien ihr Zustand lichter,
Doch nichts vermocht' sie, Lambro anzusehn,
Sonst schaute sie gar fest in die Gesichter,
Doch keines schien ihr wieder aufzugehn.
Nahrung verschmähte sie, und nicht erpichter
War sie auf Putz. Es mocht' was wollt' geschehn:
Nicht Ortsveränd'rung, Kunstgriff, Zeit, Arznei
Gab ihr den Schlaf – die Wohlthat war vorbei.

                              69.
So welkte sie zwölf Nächte hin und Tage,
Zuletzt entfloh ihr Geist so leicht und frei,
Daß nicht ein Blick, ein Seufzer, eine Klage
Den Augenblick verrieth, wo es vorbei;
Bis auf dem Antlitz eine Schattenlage
Verkündete, daß sie geschieden sei,
Bis es verglast, das Aug' in seiner Pracht –
O so zu glänzen – und dann dunkle Nacht!!

                              70.
Sie starb – doch nicht allein: in ihrem Schooße
Trug sie noch eines zweiten Lebens Kern,
Er konnt' erblühn als neue holde Rose,
Doch vor der Zeit erlosch sein Lebensstern,
Noch ungeboren fielen seine Loose,
Er blieb für ewig jedem Leben fern.
Vergebens floß des Himmels Thau herab,
Nicht Zweig noch Knospe hob sich aus dem Grab.

                              71.
So starb – so lebte sie! Auf ihren Tagen
Ruht weder Kummer mehr noch Schmach. Sie war
Nicht stark genug, so schwere Last zu tragen,
Nur kältre Herzen tragen's Jahr um Jahr,
Bis spät auch ihre Stunde hat geschlagen.
Ihr Glück war kurz, doch groß und wunderbar;
So konnt's nicht lange währen. Nun sie ruht,
Wo sie so gerne war, am Saum der Flut.

                              72.
Die Insel ist nun einsam und verlassen,
Das Haus zerstört, verschwunden Christ und Heid';
Sie und ihr Vater ruhen hier und passen,
Doch meldet Nichts von ihrer Zeitlichkeit,
Noch welche Gräber ihren Leib umfassen,
Kein Stein verkündet jenes bittre Leid.
Die hohle See nur und die Windesbraut
Klagt um die Schönheit der Cycladen laut.

                              73.
Doch manche Griechin weiß in Sang zu weben,
Wie Sie geliebt, und mancher Inselgreis
Erzählt, was mit dem Vater sich begeben,
Wie er so tapfer, sie so schön und heiß! –
Wenn rasch sie liebte, zahlt' sie mit dem Leben,
Wer also irrt, zahlt immer hohen Preis,
Und der Gefahr kein Einziger entgeht,
Stets rächt sich Liebe, frühe oder spät.

                              74.
Doch fort damit! Es kann so schwarz nicht bleiben,
Hinweg mit diesem trüben Schmerzensblatt!
Ich lieb' es nicht, den Wahnsinn zu beschreiben,
Ich fürchte ihn, den bösen Nimmersatt,
Auch wüßt' ich wirklich nichts mehr hier zu treiben,
Und da die Muse ihre Grillen hat,
So kehren wir zu Don Juan nun zurück:
Er war halb todt – so weit ging unser Stück.

                              75.
Es gingen ihm wol Tage hin und Nächte,
Bis er, in Banden und verwundet schwer,
In dem Vergangenen sich fand zu rechte.
Als er es that, sah er sich auf dem Meer.
Sechs Knoten ging's! – Wenn es ihn heimwärts brächte!
Doch Ilium schaut' leewärts zu ihm her.
Zu andrer Zeit ein leckeres Gericht,
Jetzt freute ihn auch Cap Sigäum nicht.

                              76.
Dort an dem grünen, Dorf besäten Hange,
Vom Hellespont und von der See flankirt,
Liegt jener Held vom hellsten Heldenklange,
Achill – so heißt's – von Bryant wird's negirt,
Und weiter unten thürmt vom zweiten Range
Ein Hügel sich, Gott weiß wer hier campirt:
Patroclus, Ajax, Hector – ein Geschlecht,
Das, lebt' es noch, uns unterwärf' als Knecht.

                              77.
Nur hohe Gräber ohne Schmuck und Namen,
Ein weites, ödes, bergbegrenztes Feld,
Der alte Ida stets in gleichem Rahmen, –
Und der Scamander blieben noch der Welt.
Auch scheint der Ort gemacht zu weitern Dramen,
Ein großes Heer wär' leicht hier aufgestellt.
Doch Ilium's Wälle, sprecht, wo find' ich sie?
Hier kriecht die Schildkröt', weidet jetzt das Vieh.

                              78.
Zerstreute Trupps von herrenlosen Pferden,
Ein Ort, des Namen neu und scheußlich klingt,
Ein Hüter – doch kein Paris – jener Heerden,
Der mit den Augen Jeden fast verschlingt,
Den Jugendwahn hinführt nach diesen Fährten,
Ein Türk', der Rosenkranz und Pfeife schwingt,
Höchst überzeugt von seines Glaubens Licht,
Das gibt es hier – doch Troer fand ich nicht. –

                              79.
Als Don Juan hier aus seiner dumpfen Zelle
Aufsteigen durft', fand er als Sklave sich.
Er schaute düster auf die blaue Welle,
Die manchem Heldengrab vorüber strich,
Und als er nun geschwächt am Lebensquelle
Ganz leise frug, da hielt man kaum ihm Stich.
Was er erfuhr, war trostlos, grausam, hart,
Wie das Vergangne, so die Gegenwart.

                              80.
Er prüfte die, die mitgefangen waren,
Es schienen Italiener nach dem Schliff,
Ihr Schicksal konnt' er wenigstens erfahren,
Das seltsam klang: Als Sänger im Begriff,
In ihrer Kunst Sicilien zu befahren,
Bestiegen in Livorno sie ein Schiff.
Dort raubte sie nicht etwa ein Korsar,
Nein, ihr Director bot zum Kauf sie dar!Dies ist Thatsache. Vor einigen Jahren engagirte ein Unternehmer eine Gesellschaft für ein fremdes Theater und schiffte sie in einem italienischen Hafen ein, von wo jene nach Algier geführt und dort verkauft wurde. Eine der Frauen, die aus der Gefangenschaft zurückgekehrt war, hörte ich Anfangs 1817 merkwürdiger Weise in Rossini's »Italienerin in Algier« singen.

                              81.
Es war der Buffo jener Sängerbande,
Der Don Juan sein curios Geschick erzählt,
Obschon bestimmt nun, in dem Türkenlande
Verkauft zu werden, war er muthbeseelt.
Der Bursch sah herzlich aus, trotz Noth und Schande,
Benahm sich auch recht artig und gewählt
Und trug den Schlag mit besserem Humor,
Als Basso, Prima Donna und Tenor.

                              82.
In wenig Worten gab er die Geschichte.
»Der Macchiavell«, sprach er, »von Impresar,
Als plötzlich eine Brigg kam zu Gesichte,
Macht' ihr ein Zeichen, das erwartet war;
Wir waren schneller als ich dies berichte
An Bord derselben ohne Honorar.
Doch hat der Sultan Freude am Gesang,
So dauert sicher unser Pech nicht lang.

                              83.
»Die Prima Donna, etwas schon bei Jahren,
Und durch ihr lustig Leben schlank von Leib,
Ist übrigens im Singen gut erfahren,
Nur hustet sie, wenn leer das Haus; – das Weib
Des Tenoristen muß die Stimme sparen,
Doch ist sie hübsch und taugt zum Zeitvertreib.
Im Carneval war sie der Damen Schreck
Und schnappte ihnen manchen Grafen weg.

                              84.
»Dann kommen auch noch unsere Tänzerinnen,
Die Nini erst, die stets die Herzen stahl,
Die Pellegrini mit den lust'gen Sinnen;
Auch sie war glücklich in dem Carneval,
Sie trug Fünfhundert Louisd'ors von hinnen,
Doch nein, sie braucht' sie, eh' sie sich empfahl.
Dann kommt Grotesca, welch ein Götterweib!
Die Männer reizt durch Seele sie und Leib.

                              85.
»Mit dem Balletcorps ist es wie mit allen,
Wol hie und da ein niedliches Gesicht,
Das immerhin mag Dem und Dem gefallen,
Für einen Markt taugt doch die Masse nicht.
Nur Eine flötet wie die Nachtigallen,
Vielleicht, daß sie die Welt damit besticht.
Doch ist sie steif und tanzt nicht mit Geschick,
Was doppelt Schad bei solchem Wuchs und Blick.

                              86.
»Die Männer sind von einer Mittelsorte:
Der Musico ein Blech, das nicht mehr thut,
Doch stets noch recht an manchem andern Orte,
Für das Serail in jeder Richtung gut,
Etwa als Diener an der innern Pforte.
Mit seinem Sang ist er schon lang bankrut.
Von all' den Schellen nach des Papst's Modell,
Gibt's auch nicht drei, die klingen stark und hell.Sonderbarer Weise sind Papst und Sultan die hauptsächlichen Begünstiger dieses Handels, indem Frauen nicht in St. Peter singen dürfen, und ebenso wenig im Harem als Wärterinnen angenommen werden.

                              87.
»Durch Ziererei ist der Tenor verdorben,
Der Baß bellt nur noch wie ein alter Hund,
Er hat sich niemals rechte Kunst erworben,
Sein Sang ist taktlos, unmelodisch, Schund,
Die Prima Donna hat ihn angeworben,
Des Vetters Stimme rühmte laut ihr Mund.
Man meint, man höre, wenn die Luft er füllt,
Ein Rindvieh, das Recitative brüllt.

                              88.
»Es ziemt mir nicht, mich selber hoch zu preisen,
Doch ob Ihr gleich noch jung erscheint, Sennor,
Seht Ihr doch aus, als ob Ihr viel auf Reisen,
Die Oper ist nichts Neues Eurem Ohr.
Kennt Raucocanti Ihr? Wollt mich so heißen;
Vielleicht ich singe Euch noch ein Mal vor.
Die Lugo-Messe habt Ihr nicht passirt,
Geht nächst Jahr hin, ich bin dort engagirt.

                              89.
»Fast hätte ich den Bariton vergessen,
Ein hübscher Kerl, er platzt vor Eitelkeit,
Er spielt nicht schlecht, sein Wissen ist gemessen,
Die Stimme ohne Umfang, herb und breit;
Stets wallt er unter klagenden Cypressen
Und thät mir fast als Bänkelsänger leid.
In Liebesrollen ist Geschnaub' sein Schmerz,
Er zeigt die Zähne, weil ihm fehlt das Herz.« –

                              90.
Hier sollte Raucocanti's Wort zerschellen
In dem Geschreie der Korsarenschaar,
Die die Gefangnen in die dunkeln Zellen
Hinunter trieb, wo Jeder einsam war.
Ein Jeder sah noch kläglich auf die Wellen,
Die durch den Himmel doppelt blau und klar
In sel'ger Freiheit tanzten auf und ab;
Dann stiegen durch die Luken sie hinab.

                              91.
Am nächsten Tag, als in den Dardanellen
Sie harrten auf des Sultans Staatsferman,
Die höchste aller ird'schen Zauberquellen,
Der Jeder ausweicht, wo er immer kann;
Vernahmen sie, daß in den Schiffeszellen
Paarweise Frau an Frau und Mann an Mann
Zur Sicherheit gefesselt werden sollt',
Wie man zu Stambul sie verkaufen wollt'.

                              92.
Bei der Verloosung jener Kettenpaare
Blieb ungerad ein Mann und eine Frau,
– (Nach einem Streit und Zweifel, was das Wahre,
Ob der Sopran nicht blos ein Mann zur Schau,
Kam er als Aufsicht zu der Weiberwaare) –
Doch nahm man es hierbei nicht so genau
Und band den Mann, den Don Juan, unsern Wicht,
An der Soubrette blühendes Gesicht.

                              93.
Mit Raucocanti ward – fast wie zur Sühne –
Verkettet der Tenor; sie haßten sich,
Wie man nur haßt auf einer Opernbühne.
Ihr Nachbar war ihr tiefster Schmerzensstich.
Alsbald erhub sich Hüne gegen Hüne!
Statt ihr Geschick zu tragen brüderlich,
Riß jeder an der Kette hick und hack,
Arkadier waren's, das heißt – Lumpenpack!

                              94.
Don Juan's Genossin war 'ne Romagnole,
Die in Ancona ihren Schliff empfing,
Mit einem Auge brennend heiß wie Kohle,
Das Einem mitten durch die Seele ging,
Auch sonst nicht links vom Wirbel bis zur Sohle,
Und ihr Bestreben war stets nicht gering,
Höchst angenehm und liebenswerth zu sein,
Was, wenn's gelingt, besonders schön und fein.

                              95.
Doch war an Don Juan ihre Kunst verloren,
Der Gram beherrschte jeden Trieb und Sinn;
Vergebens sucht' ihr Aug' in sein's zu bohren,
Und wenn die Hand an seiner streifte hin,
Konnt' weder die, noch sonst die feinsten Poren
– Und ihr war schwer zu widerstehn hierin –
Erschüttern seine Treue, seine Ruh;
Vielleicht die Wunden halfen auch dazu.

                              96.
Genug! Nicht weiter wollen wir's entfalten,
Doch wahr bleibt wahr, kein Ritter war so treu,
Die frühern Rechte Keinem höher galten,
Wir sparen die Beweise ohne Scheu.
Zwar kann man keine Hand ins Feuer halten,
Nur weil man denkt, wie kalt des Schreckhorns Gäu.
Doch Don Juan's Probe war in Wahrheit schwer
Und er bestand sie mit der größten Ehr'.

                              97.
Hier könnt' ich eine keusche Schild'rung geben,
Wie ich einst der Versuchung widerstand,
Doch Manche wollen jetzt schon Lärm erheben,
Weil zu viel Wahrheit in dem ersten Band,
Drum soll mein Don Juan rasch dem Schiff entschweben,
Damit nicht wahr wird, was Kritik erfand;
Daß eher ein Kameel durch's Oehr gelang',
Als in Familien solch ein Schandgesang.

                              98.
Gut denn! Ich gebe nach in diesen Dingen
Und überlasse sie dem reinern Stil,
Den Smollett, Fielding, Ariosto singen,
Die sagen jenen Edeln nie zu viel;
Einst freut' ich mich, die Feder keck zu schwingen
Im Dichterkampf um ein erhaben Ziel,
Da hätte mich wol dies Gedicht geführt
Zu einem Streit, der's besser nicht berührt.

                              99.
Als Knabe nahm ich Andre gern am Fracke,
Jetzt aber möchte ich in Frieden ziehn
Und überlaß es drum dem literar'schen Packe,
Ob meiner Verse Ruhm schon soll entfliehn,
Indeß ich selbst noch in dem Sumpfe quacke,
Ob ihm noch ein Jahrhundert wird geliehn.
Das Gras auf meinem Grab wächst grad so lang,
Und seufzt im Wind, nicht über meinen Sang.

                             100.
Von jenen Dichtern, die von Ruhm umgeben,
Durch ferne Zeiten unsrem Herzen nahn,
Ist doch des Daseins kleinster Theil das Leben.
Wenn zwanzig Alter einen Namen sahn,
Ist er ein Schneeball, dem die Flocken kleben,
Und der stets größer wird auf seiner Bahn,
Doch der, wenn er zum Berge selbst sich ballt,
Am Ende Schnee nur ist und bitter kalt.

                             101.
Die großen Namen sind doch stets nur Namen
Und Ruhmsucht ist nur leere Leidenschaft,
Sie streut nur zu oft ihren wilden Samen
In die, die gerne ihren Staub entrafft
Dem wechselvollen Nichts, in dessen Rahmen
Das Weltall ruht, bis Gott es neu erschafft.
An Troja hört' ich zweifeln auf dem Grab
Achills; bald frägt man, ob ein Rom es gab?

                             102.
Hinweggemäht sind ganze Gen'rationen,
Grab hängt an Grab sich, bis auf ewig hin
Selbst das Gedächtniß herrlicher Nationen.
Mit ihren Söhnen mußt' es gleichfalls fliehn.
Wer liest die Grabschrift, wo die Väter wohnen?
Nur Wen'ge konnten sich der Nacht entziehn,
Und Myriaden liegen namenlos
Im großen allgemeinen Todesschooß.

                             103.
Ich wandre täglich nach dem stillen Orte,
Wo Gaston einst in seiner Blüte sank;
Er ging zu früh nach jener dunkeln Pforte,
Doch lebt' er für die Menschheit schon zu lang.
Ein morscher Pfeiler, nicht von schlechter Sorte,
Doch preisgegeben jedem Schimpf und Stank,
Erinnert an Ravenna's blut'ge Schlacht,
Indeß ihn Unflath fast unnahbar macht.Die Säule, welche an die Schlacht von Ravenna erinnert, steht etwa 2 englische Meilen von der Stadt, am jenseitigen Flußufer an der Straße nach Forli. Gaston de Foix, der die Schlacht gewann, fiel darin. Im Ganzen blieben von beiden Seiten 20,000 Mann. Der gegenwärtige Zustand der Säule und ihre Lage ist oben beschrieben.

                             104.
Zu Dante's Asche darf ich täglich treten;
'Ne Kuppel eher hübsch als groß und hehr
Deckt seinen Staub, doch bringt man dem Poeten
Noch Huldigung, dem Helden längst nicht mehr.
Bald fällt das Buch des Dichters und Propheten
Mit den Trophä'n des Feldherrn, todt und leer;
Sie sinken zu den Büchern und Trophä'n,
Die seit Achill und seit Homer verwehn.

                             105.
Mit Menschenblut gekittet ward die Säule,
Geschändet steht sie nun durch Menschenkoth,
Als wollte so mit der Verachtung Keule
Der Bauer treffen jenen Fleck der Noth;
Mit solchem Schmutz, mit dem Gespritz der Eule
Sollt' stets man zeichnen jener Schlächter Tod,
Durch die der Erde Leiden traten nah',
Die Dante einst nur in der Hölle sah.

                             106.
Doch stets wird's Dichter geben! Ist im Ruhme
Auch Rauch nur, ist's Gedanken-Weihrauch doch;
Und das Gefühl, das einst des Sanges Blume
Der Welt entdeckt, strebt darnach immer noch;
Wie an dem Strand die Woge bricht zur Krume,
So bricht die Leidenschaft am Lebens-Joch,
Verspritzt zu Dichtkunst, die auch Leidenschaft,
Die's wirklich war, eh' Mode sie erschlafft.

                             107.
Wenn Männer führen solch ein buntes Leben,
Daß es bald ernst, bald auch romantisch war,
Wenn sie sich jeder Leidenschaft ergeben,
Wird ihnen oft die Macht, gar wunderbar
Was sie erlebt im Spiegel neu zu weben,
In Farben so voll Feuer und so klar,
Daß ihr wol Recht habt, duldet ihr es nicht,
Doch streicht ihr so manch reizendes Gedicht.

                             108.
Ihr liebevollen, die der Blaustrumpf zieret,
Die ihr das Glück jedweden Buches macht,
Durch eure Blicke Lieder annonciret,
Erkläret ihr mein Manuscript in Acht?
Glaubt ihr, daß nur bei Köchinnen passiret,
Was ich für euern Parnaß doch erdacht?
Ach soll ich denn der einz'ge Sänger sein,
Der zum Castal'schen Thee nicht darf hinein?

                             109.
Bin ich kein Löwe mehr, kein Ballsaalbarde?
Bajazzo nicht, nicht liebe goldne Maus,
Die halb erdrückt von einer alten Schwarte,
Wie Yoriks Staarmatz singt: »Ich kann nicht 'naus«!?
Dann schwör' ich auch, wie Wordy schwur, der zarte,
– Weil Niemand las, was Wordy gab heraus –
Daß der Geschmack dahin, der Ruhm ein Loos,
Gezogen nur aus eines Blaustrumpfs Schooß.

                             110.
»O himmlisch Blau von tiefer dunkler Schichte«
– Wie irgend Einer von dem Himmel singt,
Und ich von euch, gelehrte Damen, dichte;
Man sagt, daß ihr in blauen Strümpfen springt
– (Stets blieb ich fern von ähnlichem Gerichte) –
Blau wie das hohe Band, das sanftumschlingt
Des Edeln linkes Bein zur Assemblée
Der Festes Nacht, wie Morgens zum Lever.

                             111.
Ihr seid zum Theil zwar höchst seraph'sche Wesen,
Doch einstmals, als in meinen Stanzen ihr,
In euern Zügen ich gepflegt zu lesen,
War's anders doch, auch das entflieht jetzt mir.
Doch haß' ich nicht die grundgelehrten Besen,
Oft birgt sich eine Welt von Tugend hier.
Ich kenn' ein Weib aus diesem hehren Kranz
So schön, so gut und lieb, doch Närrin ganz.

                             112.
Humboldt, der einst durchwandert alle Lande,
Als Erster, doch als Letzter nicht fürwahr,
Erfand, ich weiß nicht mehr wie er es nannte,
Noch wann das Datum der Erfindung war,
Ein Instrument, womit er war im Stande,
Der Luft Charakter fest zu stellen klar,
Indem er erst des Blauen Dichtheit maß,
O Lady Daphne, darf ich messen – – was –?

                             113.
Doch zur Geschichte! – Sklaven zu verkaufen,
Fuhr unser Schiff zur stolzen Hauptstadt hin,
Durft' bald in des Serailes Hafen laufen,
Nachdem man's visitirt in jedem Sinn.
Die Ladung, ein gesunder, kräft'ger Haufen,
Ward nach dem Markt gebracht, und mit Gewinn
Nebst Russen und Cirkassier-Fleisch und Blut
Verkauft für manchen Zweck und manche Glut.

                             114.
Sehr theuer kamen manche weg: für eine
Cirkassierin, ein holdes, keusches Kind,
Gar fünfzehnhundert Thaler! 's war 'ne feine,
Von einem Schmelz, wie Himmelskinder sind.
Der Handel machte Lärm in der Gemeine,
Bis zu Elfhundert bot man zwar geschwind,
Doch als es weiter ging, erkannte man,
Der Sultan sei's und ließ ihm freie Bahn.

                             115.
Zwölf Nubierinnen brachten eine Summe,
Wie kaum sie brächte der westind'sche Markt,
Obschon man jetzt, Dank Wilberforce's Gebrumme,
Dort doppelt zahlt, was Niemand wol verargt.
Das Laster hat, damit die Welt verstumme,
Mit seinen Preisen niemals noch gekargt.
Die Tugenden, selbst die Barmherzigkeit,
Sind alle sparsam, 's thut mir wirklich leid.

                             116.
Doch was betrifft das Schicksal unsrer Truppe,
So ward sie theils von Pascha's, Juden eingethan,
Theils mußt' sie schwer verdienen ihre Suppe;
Ward Einer Renegat, ging's eher an,
Jedoch der Frauen unglücksel'ge Gruppe
Hofft auf Vezire noch in ihrem Wahn,
Indeß man sie allmählich führt von hier
Als Weib, Geliebte und als Opferthier.

                             117.
Dies Alles wird der nächste Sang berichten,
Auch unsres Helden Loos, so hart es thut
– Man soll nicht allzu lange weiter dichten –
Muß harren noch, dann wird die Sache gut.
Durch allzu viel wird Niemand man verpflichten,
So sehr mich sticht der Muse Uebermuth,
Verschieb' ich doch den Fortgang von Don Juan,
Bis was in Ossian heißt der fünfte Duan.Duan-Gesang.

 


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