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Als die Expedition, die d'Arnot hatte befreien wollen, unverrichteter Sache zurückkehrte, wollte Kapitän Dufranne sobald als möglich abdampfen und alle waren damit einverstanden, ausgenommen Jane Porter.
Nein, sagte sie bestimmt, ich gehe nicht mit, und Sie sollten ebenfalls bleiben, denn es sind zwei Freunde in der Dschungel, die eines Tages herauskommen und uns hier zu finden hoffen. Ihr Offizier, Kapitän Dufranne, ist der eine, und der Waldmensch, der jedem Begleiter meines Vaters das Leben gerettet hat, ist der andere. Er verließ mich vor zwei Tagen am Rande der Dschungel, um meinem Vater und Mr. Clayton zu Hilfe zu eilen, und er ist zurückgeblieben, um Leutnant d'Arnot zu befreien, dessen können Sie sicher sein. Wäre er zu spät gekommen, um dem Leutnant zu helfen, so wäre er alsbald zurückgekehrt. Die Tatsache, daß er noch nicht zurück ist, ist ein genügender Beweis, daß er aufgehalten wurde, weil Leutnant d'Arnot verwundet ist, oder weil er seinen Verfolgern weiter nachspüren mußte, als bis zu dem Dorf, das die Matrosen angegriffen haben.
Aber, wandte der Kapitän ein, die Uniform des armen d'Arnot und alles, was ihm gehörte, wurden in dem Dorfe gefunden, Miß Porter, und die Eingeborenen waren sehr erregt, als sie über das Schicksal des weißen Mannes befragt wurden.
Gewiß, Kapitän, aber sie gaben nicht zu, daß er tot sei, und was seine Kleider und seine Ausrüstung betrifft, so weiß man ja, daß auch zivilisiertere Völker ihren Gefangenen alle Wertgegenstände abnehmen, mögen sie nun die Absicht haben, sie zu töten oder nicht. Sogar die Soldaten aus meinem eigenen lieben Süden haben nicht nur die Lebenden, sondern auch die Toten ausgeplündert.
Es ist möglich, daß Ihr Waldmann selbst von den Wilden gefangen und getötet wurde, wandte Dufranne ein.
Sie kennen ihn nicht, erwiderte sie mit vor Stolz zitternder Stimme.
Er verdient es gewiß, daß wir auf ihn warten, dieser Übermensch, sagte der Kapitän lachend. Ich würde ihn gewiß gerne sehen.
Dann warten Sie auf ihn, mein lieber Kapitän, drängte das Mädchen, denn ich werde warten.
Der Kapitän wäre sehr überrascht gewesen, wenn er den wahren Sinn der Worte des Mädchens hätte deuten können.
Während des Gesprächs waren sie vom Strande auf die Hütte zu gegangen, wo eine kleine Gruppe im Schatten eines Baumes auf Feldstühlen saß.
Professor Porter war da, und Mr. Philander und Clayton, sowie Leutnant Charpentier und zwei seiner Kameraden, während Esmeralda im Hintergrund hockte und mit der Freiheit eines alten, mit Nachsicht behandelten Familien-Bedienten ab und zu Bemerkungen machte.
Die Offiziere standen auf und grüßten, als ihr Vorgesetzter nahte, und Clayton überließ Jane Porter seinen Feldstuhl.
Wir haben eben über das Schicksal des armen Paul gesprochen, sagte Kapitän Dufranne. Miß Porter besteht darauf, daß wir keinen unbedingten Beweis für seinen Tod haben, und den haben wir auch nicht. Anderseits behauptet sie, die lange Abwesenheit ihres allmächtigen Dschungelfreundes sei ein Beweis dafür, daß d'Arnot seine Hilfe benötige, entweder weil er verwundet sei oder in einem entfernteren Dorfe von Eingeborenen gefangen gehalten werde.
Es ist auch bemerkt worden, warf Leutnant Charpentier ein, der wilde Mann könne wohl zu dem Stamm der Schwarzen gehören, die uns überfallen haben, und er wäre dann zurückgekehrt, um seinem eigenen Volke zu helfen.
Jane Porter warf einen schnellen Blick auf Clayton, um ihm zu verstehen zu geben, daß sie den Urheber dieser Verdächtigung kenne.
Das scheint auch sehr wahrscheinlich, sagte Professor Porter.
Ich bin nicht Ihrer Ansicht, wandte Mr. Philander ein. Er hatte selbst reichlich Gelegenheit, uns zu schaden oder sein Volk gegen uns zu führen. Statt dessen hat er sich während unseres hiesigen Aufenthalts stets als Beschützer und Fürsorger erwiesen.
Das ist wahr, fiel Clayton ein, indessen dürfen wir die Tatsache nicht übersehen, daß außer ihm selbst innerhalb Hunderten von Meilen keine anderen menschlichen Wesen vorkommen als wilde Menschenfresser. Er war genau bewaffnet wie diese, und das beweist, daß er irgendwelche Verbindungen mit ihnen hatte, und da er nur einer gegen vielleicht Tausende ist, so können diese Beziehungen kaum anders als freundschaftliche sein.
Es ist allerdings unwahrscheinlich, daß er nicht in Beziehungen zu ihnen steht, bemerkte der Kapitän. Vielleicht ist er ein Mitglied dieses Stammes.
Oder, fügte ein anderer Offizier hinzu, vielleicht hat er aus irgendeinem Grunde lange Zeit unter den wilden Tieren und Menschen der Dschungel gelebt, daß er sich eine so hervorragende Kenntnis der Jagd und des Gebrauchs der afrikanischen Waffen angeeignet hat.
Sie beurteilen ihn nur von Ihrem eigenen Standpunkt aus, meine Herren, sagte Jane Porter. Ein gewöhnlicher weißer Mensch wie einer von Ihnen – Verzeihung, das wollte ich nicht gerade sagen –, oder ein Wesen, das sich nicht in körperlicher und geistiger Beziehung über den Durchschnitt erhebt, könnte niemals auch nur ein Jahr allein und nackt in dieser Dschungel leben, aber dieser Mensch übertrifft nicht nur den erwachsenen Weißen an Stärke und Gewandtheit, sondern er überragt auch unsere trainiertesten Athleten und starken Männer so weit, wie diese ein eintägiges Kind übertreffen, und im Kampfe hat er den Mut und die Wildheit der wildesten Tiere.
Er hat jedenfalls einen getreuen Verfechter in Ihnen gefunden, Miß Porter, sagte Kapitän Dufranne lächelnd. Ich bin sicher, daß unter uns keiner ist, der nicht bereit wäre, dem Tode hundertmal in seiner schrecklichsten Gestalt gegenüberzutreten, wenn er wüßte, daß er eine nur halb so getreue und so schöne Verfechterin finden würde.
Sie würden sich nicht wundern, daß ich ihn verteidige, sagte das Mädchen, wenn Sie, so wie ich, ihn gesehen hätten, wie er meinethalben mit riesigen haarigen Tieren gekämpft hat. Hätten Sie ihn sehen können, wie er das Ungeheuer angriff, wie ein Stier einen Bären angreifen würde, ohne ein Zeichen der Furcht oder des Zauderns, so hätten Sie ihn für mehr als menschlich gehalten. Hätten Sie sehen können, wie diese gewaltigen Muskeln sich unter der braunen Haut bewegten, hätten Sie gesehen, wie er die schrecklichen Fänge zurückdrängte, so hätten auch Sie ihn für unüberwindlich gehalten. Und hätten Sie gesehen, welche ritterliche Behandlung er einem fremden Mädchen einer fremden Rasse erwies, so würden Sie sicher dasselbe unbedingte Vertrauen zu ihm haben, wie ich.
Sie haben Ihren Prozeß gewonnen, meine schöne Verteidigerin! rief der Kapitän. Der Gerichtshof findet den Angeklagten nicht schuldig, und der Kreuzer wird noch einige Tage länger warten, um Gelegenheit zu haben, seiner göttlichen Portia seinen Dank abzustatten.
Ums Himmelswillen! rief Esmeralda. Sie wollen wohl damit sagen, daß Sie hier in diesem Lande von menschenfressenden Tieren bleiben wollen, wo Sie doch alle die Gelegenheit haben, auf dem Kreuzer zu entkommen. Man sollte es nicht für möglich halten!
Wie, Esmeralda! Du solltest dich schämen, sagte Jane Porter. Ist das eine Art, einem Menschen seinen Dank zu zeigen, der dein Leben zweimal gerettet hat?
Gut, Miß Porter, das ist alles schön und recht, aber dieser Waldgott hat uns nicht gerettet, damit wir hier bleiben sollen. Er hat uns nur gerettet, damit wir von hier fortgehen könnten. Ich glaube, er wird furchtbar böse sein, wenn er findet, daß wir nicht so viel Verstand haben, fortzugehen, nachdem er uns die Gelegenheit dazu gegeben hat. Ich hoffe, daß ich nicht noch eine Nacht in diesem zoologischen Garten schlafen und das langweilige Lärmen der Dschungel anhören muß.
Ich kann Sie gar nicht tadeln, Esmeralda, sagte Clayton, Sie haben jedenfalls das Richtige getroffen, wenn Sie den Radau als langweilig bezeichnen.
Sie und Esmeralda täten besser, auf den Kreuzer zu gehen und dort zu bleiben, erwiderte Jane Porter zornig.
Beruhige dich, Kind, sagte Professor Porter, Kapitän Dufranne hat ja eingewilligt, zu bleiben, und auch ich bin dazu bereit.
Wir können den morgigen Tag benützen, um die Kiste wieder zu holen, Professor, schlug Mr. Philander vor.
So ist's recht, Mr. Philander, sagte der Professor, ich hatte den Schatz beinahe vergessen. Vielleicht können wir vom Kapitän Dufranne einige Mann bekommen, die uns helfen, und einen der Gefangenen, damit er uns die Stelle zeigt, wo die Kiste vergraben ist.
Gewiß, mein lieber Professor, wir stehen alle zu Ihrer Verfügung, antwortete der Kapitän.
So wurde denn vereinbart, daß am nächsten Tage Leutnant Charpentier zehn Mann und einen der Meuterer der »Arrow« als Führer abkommandieren würde, um den Schatz auszugraben, und daß der Kreuzer noch eine ganze Woche in dem kleinen Hafen bleiben sollte. Nach Verlauf dieser Zeit wäre anzunehmen, daß d'Arnot wirklich tot sei und daß der Waldmensch nicht zurückkehren wolle, solange sie noch da wären. Dann sollten die beiden Schiffe mit der ganzen Gesellschaft abfahren.
Am nächsten Tage ging Professor Porter nicht mit den Schatzgräbern, aber als er sie gegen Mittag mit leeren Händen zurückkehren sah, eilte er ihnen entgegen. Seine gewöhnliche Zerstreutheit war ganz verschwunden und hatte einer nervösen Unruhe Platz gemacht.
Wo ist der Schatz? rief er Clayton zu, als er noch hundert Schritte von ihm entfernt war.
Clayton schüttelte den Kopf, und als er näher kam, sagte er einfach:
Verschwunden!
Verschwunden? Das kann doch nicht sein! Wer könnte ihn weggenommen haben? rief der Professor.
Nur Gott weiß es, Professor» antwortete Clayton. Wir dachten zuerst, der Matrose, der uns führte, hätte uns belogen, aber seine Überraschung und Bestürzung, als wir die Kiste unter der Leiche des ermordeten Snipes nicht fanden, waren zu echt, als daß sie hätten erheuchelt sein können. Als wir noch unter der Leiche gruben, sahen wir, daß dort tatsächlich etwas vergraben gewesen war, daß aber das Loch mit loser Erde wieder zugefüllt wurde.
Aber wer kann das gewesen sein? fragte der Professor.
Der Verdacht muß natürlich auf die Mannschaft des Kreuzers fallen, sagte Leutnant Charpentier, aber der Unterleutnant Janviers hat mir versichert, daß, seitdem wir hier ankern, kein Mann ans Ufer gekommen ist, außer unter dem Befehl eines Offiziers. Ich weiß nicht, ob Sie einen unserer Leute im Verdacht haben, aber ich bin glücklich, daß kein Verdacht auf sie fallen kann.
Es liegt mir fern, einen der Leute zu verdächtigen, denen wir so vieles verdanken, sagte der Professor, ich könnte gerade so gut meinen lieben Clayton hier oder Mr. Philander im Verdacht haben.
Der Offizier lächelte, ebenso die übrigen. Man konnte sehen, daß eine Last von ihnen genommen war.
Der Schatz ist vor längerer Zeit gestohlen worden, fuhr Clayton fort. Als wir die Leiche aufhoben, fiel sie auseinander. Das beweist, daß die Kiste fortgenommen wurde, als die Leiche noch frisch war, denn diese lag noch unverletzt da, als wir sie bloßlegten.
Es müssen jedenfalls mehrere dabei beteiligt gewesen sein, meinte Jane Porter, die hinzugekommen war. Sie erinnern sich, daß vier Mann nötig waren, um sie zu tragen.
Das ist richtig, sagte Clayton, es war jedenfalls eine ganze Anzahl Schwarzer. Wahrscheinlich hatte einer von ihnen gesehen, wie die Kiste vergraben wurde, und ist dann mit seinen Kameraden hergegangen, um sie fortzuschleppen.
Es ist leicht, Mutmaßungen anzustellen, sagte der Professor traurig. Die Kiste ist verloren. Wir werden sie nie wiedersehen.
Nur Jane Porter wußte, was der Verlust für ihren Vater zu bedeuten hatte, aber niemand wußte, was er für sie selbst bedeuten sollte.
Sechs Tage später kündigte Kapitän Dufranne an, daß sie am nächsten Morgen in der Frühe abdampfen würden.
Jane Porter hätte zwar um ein weiteres Hinausschieben der Abfahrt gebeten, wenn sie nicht selbst angefangen hätte, zu glauben, der Waldmensch werde nicht zurückkehren.
Wider ihren Willen regten sich in ihr Zweifel und Befürchtungen. Die Gründe, die die unbeteiligten französischen Offiziere ihr anführten, fingen an, sie zu überzeugen.
Daß der Waldmensch ein Menschenfresser sei, wollte sie nicht glauben, aber daß er ein angenommenes Mitglied eines wilden Stammes sein könnte, erschien ihr schließlich möglich.
Sie wollte nicht an seinen Tod glauben. Es schien ihr unmöglich, anzunehmen, daß ein so vollkommener Körper, der von einem so starken Leben erfüllt war, gestorben sein sollte.
Als Jane Porter jenen Gedanken Zutritt gewährt hatte, stiegen ihr noch andere, ebenso unwillkommene auf.
Wenn er zu irgendeinem wilden Stamm gehörte, so hatte er ein wildes Weib, vielleicht sogar ein Dutzend, und wilde Mischlinge als Kinder.
Bei diesem Gedanken schauderte sie, und als man ihr sagte, der Kreuzer werde am nächsten Tage abfahren, war sie damit einverstanden.
Sie war es aber, die den Vorschlag machte, Waffen, Munition und allerlei Gebrauchsgegenstände in der Hütte zurückzulassen, und zwar für die unsichtbare Persönlichkeit, die sich als Tarzan unterzeichnete, und für d'Arnot, falls er noch am Leben sein sollte, in Wirklichkeit aber, wie sie hoffte, für ihren Waldgott.
Zuletzt ließ sie ihm die Botschaft zurück, die ihm durch Tarzan übermittelt werden sollte.
Jane Porter war die letzte, die die Hütte verließ. Als die anderen schon unterwegs nach dem Schiffe waren, kehrte sie noch unter irgendeinem Vorwand zurück.
Vor dem Bette, in dem sie so manche Nacht gelegen hatte, kniete sie nieder, und betete für das Wohlergehen ihres Urmenschen, und indem sie sein Medaillon an die Lippen führte, murmelte sie:
Ich liebe dich, und weil ich dich liebe, glaube ich an dich. Aber auch wenn ich nicht an dich glaubte, so würde ich dich doch lieben. Mag Gott meiner Seele gnädig sein! Wärest du zu mir zurückgekommen, so wäre ich, wenn kein anderer Weg übrig geblieben wäre, mit dir für immer in die Dschungel gegangen.