Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Das Heim in der Wildnis

Lord Greystoke und seine Gemahlin brauchten nicht lange zu warten, denn am nächsten Morgen, als er auf Deck gehen wollte, um seinen gewohnten Spaziergang vor dem Frühstück zu machen, fiel ein Schuß und dann ein zweiter und ein dritter.

Der Anblick, der sich ihm bot, bestätigte seine schlimmsten Befürchtungen. Der kleinen Gruppe von Offizieren stand die ganze bunte Schiffsmannschaft der »Fuwalda« gegenüber, der schwarze Michel an der Spitze.

Nach der ersten Salve der Offiziere eilten die Matrosen in Deckung und feuerten hinter Mastbäumen, Ruderhaus und Kombüse heraus auf die fünf Männer, die die verhaßte Autorität des Schiffes darstellten.

Zwei Matrosen waren schon unter den Kugeln des Kapitäns gefallen. Sie lagen noch, wie sie gefallen waren, zwischen den Kämpfenden.

Jetzt stürzte der erste Steuermann vornüber aufs Gesicht, und auf einen Befehl des schwarzen Michels feuerten die wütenden Gesellen auf die vier Überlebenden. Die Mannschaft hatte nur sechs Feuerwaffen auftreiben können; deshalb war sie mit Boothaken, Äxten, Beilen und Brecheisen bewaffnet. Der Kapitän hatte seinen Revolver abgeschossen und war im Begriff, ihn wieder zu laden. Des zweiten Steuermanns Gewehr hatte versagt, und so waren nur noch zwei Waffen den Meuterern gegenüber, als diese sich rasch den jetzt zurückweichenden Offizieren näherten. Auf beiden Seiten wurde fürchterlich geflucht; dazu kam das Knallen der Feuerwaffen und das Schreien und Stöhnen der Verwundeten, so daß es auf dem Verdeck der »Fuwalda« wild genug aussah.

Noch ehe die Offiziere ein Dutzend Schritte nach rückwärts gemacht hatten, fielen die Leute über sie her. Ein dicker Neger spaltete dem Kapitän den Kopf, und einen Augenblick später waren auch die andern niedergeschlagen, teils tot, teils durch Dutzende von Schlägen und Schüssen verwundet.

Kurz und grausig war das Werk der Meuterer auf der »Fuwalda«, und bei all diesen Vorgängen stand John Clayton unbekümmert an die Schiffstreppe angelehnt, rauchte nachdenklich seine Pfeife, als ob er einer gleichgültigen Kricketpartie zusähe.

Als der letzte Offizier gefallen war, dachte er daran, daß es Zeit sei, zu seiner Frau zurückzugehen, da sonst einer von der Mannschaft sie allein finden könnte.

Obgleich äußerlich ruhig und gleichgültig, war Clayton doch ängstlich und erregt, denn er fürchtete für die Sicherheit seiner Frau in der Nähe dieser Entmenschten, in deren Hände das Schicksal sie so unbarmherzig geworfen hatte.

Als er sich umdrehte, um die Treppe hinunterzusteigen, sah er zu seiner Überraschung seine Frau auf den Stufen stehen.

Seit wann bist du hier, Alice?

Von Anfang an, antwortete sie. Wie schrecklich, John! O, wie schrecklich! Was können wir aus den Händen solcher Menschen erwarten?

Ein Frühstück, hoffe ich, antwortete er, tapfer lächelnd, um ihre Furcht zu zerstreuen.

Ich will sie wenigstens fragen, fügte er hinzu. Komm mit mir, Alice. Wir dürfen sie nicht glauben lassen, daß wir etwas anderes als eine höfliche Behandlung von ihnen erwarten.

Unterdessen umringten die Matrosen die toten und verwundeten Offiziere, und ohne Unterschied und ohne Mitleid begannen sie Tote und Verwundete über Bord zu werfen. Mit derselben Herzlosigkeit verfuhren sie mit ihren eigenen Verwundeten und mit den Leichen dreier Seeleute, denen ein gütiges Geschick einen sofortigen Tod durch die Kugeln der Offiziere beschieden hatte.

Plötzlich bemerkte einer von der Mannschaft die sich nähernden Claytons, und mit dem Rufe: Hier sind noch zwei für die Fische! stürzte er mit erhobener Axt auf sie zu.

Aber der schwarze Michel war flinker, so daß der Kamerad, ehe er noch einige Schritte gemacht hatte, durch einen Schuß niedergestreckt war.

Mit lautem Rufen zog er die Aufmerksamkeit der andern auf sich, und, auf Lord und Lady Greystoke zeigend, rief er:

Diese sind meine Freunde, und sie sollen in Ruhe gelassen werden. Versteht ihr? Ich bin jetzt Kapitän dieses Schiffes, und was ich befehle, geschieht, fügte er, sich zu den Claytons wendend, hinzu. Bleiben Sie für sich allein, und kein Mensch wird Ihnen ein Leid zufügen! Dabei sah er drohend zu seinen Kameraden hinüber.

Die Claytons beachteten denn auch die Anweisungen des schwarzen Michels so genau, daß sie nur wenig von der Mannschaft sahen und nichts von den Plänen der Leute erfuhren.

Gelegentlich hörten sie einen schwachen Widerhall von Zank und Streit zwischen den Meuterern, und zwei Mal erschütterten Schüsse die stille Lust. Der schwarze Michel eignete sich aber sehr gut zum Führer dieses zusammengewürfelten Volkes, denn er verstand es, sie in seiner Gewalt zu behalten.

Am fünften Tage nach der Ermordung der Offiziere wurde vom Ausguck Land gemeldet. Ob es eine Insel oder Festland war, wußte der schwarze Michel nicht, aber er kündete Clayton an, daß, wenn es sich herausstellte, daß die Gegend bewohnbar sei, er und Lady Greystoke mit ihrem Gepäck dort an Land gesetzt werden sollten.

Für ein paar Monate werden Sie dort gut aufgehoben sein, erklärte er ihnen, und unterdessen werden wir wohl an irgend einer unbewohnten Küste landen und uns zerstreuen können. Dann will ich der britischen Regierung melden, wo Sie sind und sie wird bald ein Kriegsschiff senden, um Sie abzuholen. Es wäre eine schwierige Sache, Sie in einer zivilisierten Gegend landen zu lassen, ohne daß eine Menge Fragen gestellt würden, die keiner von uns glaubhaft beantworten könnte.

Clayton wehrte sich gegen die Unmenschlichkeit, sie an einer unbekannten Küste zu landen und den wilden Tieren und vielleicht noch wilderen Menschen preiszugeben.

Seine Worte waren aber vergeblich und nur geeignet, den schwarzen Michel zu erzürnen. Schließlich ließ er es dabei bewenden, und suchte nur noch seiner üblen Lage die beste Seite abzugewinnen.

Gegen drei Uhr nachmittags kamen sie in die Nähe einer wundervollen bewaldeten Küste, an der eine Landungsstelle zu sein schien.

Der schwarze Michel sandte ein kleines, mit einigen Mann besetztes Boot aus, um zu untersuchen, ob die »Fuwalda« dort einfahren könnte.

Nach etwa einer Stunde kehrten sie zurück und meldeten, das Wasser sei tief genug, sowohl in der Einfahrt, als auch im Innern der Bucht.

Ehe es dunkelte, lag das Schiff friedlich vor Anker auf der stillen, spiegelglatten Fläche des Busens.

Die Umgebung des Strandes war von prächtigem, halbtropischem Grün bewachsen, während in der Ferne die Gegend, die sich als Hügel- und Tafelland vom Ozean abhob, fast lückenlos mit Urwald bedeckt war.

Kein Zeichen einer menschlichen Wohnung war sichtbar, aber daß Menschen sehr wohl dort leben konnten, bewies die Fülle der Vögel und anderen Tiere, die man vom Deck der »Fuwalda« erblickte, als auch der Schimmer eines kleinen Flusses, der in die Bucht mündete und frisches Wasser in Fülle spendete.

Als sich die Nacht auf die Erde senkte, standen Clayton und feine Frau noch an der Reeling, in stilles Nachdenken über ihr künftiges Schicksal versunken. Aus dem finsteren Schatten des mächtigen Waldes kamen die Lockrufe der wilden Tiere, das dumpfe Brüllen des Löwen und gelegentlich der schrille Schrei eines Panthers.

Die Frau drückte sich fester an ihren Mann, von ahnungsvollem Schauder ergriffen über das Grausige, das in dem schrecklichen Dunkel der kommenden Nächte vor ihnen lag, wenn sie beide ganz allein auf dieser wilden einsamen Küste sein würden.

Spät am Abend kam der schwarze Michel zu ihnen und wies sie an, ihre Vorbereitungen zu ihrer für den nächsten Tag angesetzten Landung zu treffen. Sie versuchten ihn zu bewegen, sie an einer wohnlicheren Küste zu landen, so daß sie hoffen könnten, in freundliche Hände zu fallen, aber keine Bitten, keine Drohungen und keine Versprechungen konnten ihn rühren.

Er antwortete ihnen: Ich bin der einzige Mann an Bord, der Sie beide nicht lieber tot sähe, und wenn ich auch weiß, daß dies der einzig vernünftige Weg wäre, unsern eigenen Kopf zu sichern, so ist der schwarze Michel doch nicht der Mann, der eine Wohltat vergißt. Sie haben mir einmal das Leben gerettet, – ich rette das Ihrige, aber das ist auch alles, was ich tun kann. Die Leute wollen sich nicht länger hier aufhalten, und wenn wir Sie nicht schnellstens landen, so könnten sie leicht anderen Sinnes werden. Ich will alles, was Ihnen gehört, ans Land setzen, ebenso Küchengeräte und einige alte Segeltücher für Zelte und genug Essen, bis sie Früchte und Wild finden werden. Da Sie auch ihre Gewehre zum Schutz haben, können Sie hier leicht leben, bis Hilfe kommt. Wenn ich glücklich von hier fort bin, will ich sehen, daß die britische Regierung erfährt, wo Sie sind. Wo ich in Zukunft leben werde, kann ich Ihnen nicht genau sagen, denn ich weiß es selbst noch nicht. Aber man wird Sie schon finden.

Als der schwarze Michel fort war, ging das junge Paar schweigend hinunter; beide waren in düstere Ahnungen versunken.

Clayton glaubte nicht, daß der schwarze Michel auch nur im geringsten die Absicht hatte, die britische Regierung von ihrem Aufenthalt zu benachrichtigen. Auch war er nicht sicher, daß nicht irgend ein Verrat für den nächsten Tag beabsichtigt war, wenn sie mit den Seeleuten landeten, die sie mit ihrem Gepäck begleiten sollten. Sobald sie aus des schwarzen Michels Sicht waren, konnten einige der Leute sie niederschlagen, so daß das Gewissen des schwarzen Michels rein blieb.

Und selbst wenn sie diesem Schicksal entgingen, sahen sie nicht noch schwereren Gefahren entgegen? Wäre er allein gewesen, so hätte er hoffen können, noch viele Jahre zu leben, denn er war ein kräftiger, athletisch gebauter Mann.

Aber was würde aus Alice und dem andern kleinen Leben werden, das schon so früh den Mühseligkeiten und schweren Gefahren einer Wildnis ausgesetzt würde?

Der Mann erschauerte, als er über den schrecklichen Ernst und die fürchterliche Hilflosigkeit ihrer Lage nachdachte. Aber eine gütige Vorsehung bewahrte ihn davor, die schreckliche Wirklichkeit vorauszusehen, die sie in den Tiefen des düsteren Waldes erwartete.

Am nächsten Morgen wurden in aller Frühe ihre zahlreichen Koffer und Kisten aufs Deck befördert und in bereitliegende Boote heruntergelassen, die sie an Land bringen sollten.

Es war eine große Menge der verschiedenartigsten Sachen, denn da die Claytons mit der Möglichkeit gerechnet hatten, fünf bis acht Jahre in ihrem neuen Aufenthaltsort zu bleiben, so hatten sie neben dem Notwendigen auch viele Luxussachen mitgenommen.

Der schwarze Michel sorgte dafür, daß nichts von Claytons Eigentum an Bord blieb. Ob aus Mitleid für sie oder in seinem eigenen Interesse, wäre schwer zu sagen. Auf alle Fälle wäre das Vorhandensein von Eigentum eines vermißten britischen Beamten auf einem verdächtigen Schiff in jedem zivilisierten Hafen schwer zu erklären gewesen. Der schwarze Michel war denn auch so eifrig bemüht, über die Ausführung seiner Anordnung zu wachen, daß er bei den Seeleuten sogar darauf drang, Clayton seine Revolver zurückzugeben.

In die Boote wurden auch verladen: Salzfleisch und Schiffszwieback, etwas Kartoffeln und Bohnen, Streichhölzer und Kochgeschirr, ein Werkzeugkasten und die alten Segel, die der schwarze Michel ihnen versprochen hatte.

Als ob der schwarze Michel dieselben Befürchtungen gehegt hätte, wie Clayton, begleitete er die beiden an Land, und verließ sie als letzter, nachdem die Seeleute die mitgenommenen Schiffstonnen mit frischem Trinkwasser gefüllt hatten.

Als die Boote sich langsam über die glatten Wasser der Bucht bewegten, sahen Clayton und sein Weib schweigend deren Abfahrt zu, mit einem Gefühl von drohendem Unglück und äußerster Hilflosigkeit.

Und hinter ihnen, über dem Rand eines niedrigen Hügels, lauerten auf sie andere böse Augen, die unter zottigen Brauen leuchteten.

Als die »Fuwalda« durch die enge Ausfahrt der Bucht fuhr und ihnen hinter einer Landspitze außer Sicht kam, schlang Lady Alice ihre Arme um Claytons Hals und brach in ein fassungsloses Schluchzen aus.

Tapfer hatte sie die Gefahren der Meuterei über sich ergehen lassen und mit heldenmütiger Stärke der schrecklichen Zukunft entgegengesehen, aber nun, da die Schrecken der völligen Verlassenheit sie überfielen, ließen ihre überreizten Nerven nach und der Rückschlag trat ein.

Ihr Mann versuchte nicht, ihre Tränen zu hemmen. Es war besser, der Natur ihren Lauf zu lassen, damit die lang verhaltene Gemütsbewegung sich auslöste, und es verging manche Minute, ehe das junge Weib, das eigentlich noch ein Kind war, sich wieder beherrschen konnte.

O John, rief sie schließlich, wie entsetzlich! Was fangen wir an? Was sollen wir nur tun?

Wir können nur eins tun, Alice, und er sprach so ruhig, als ob sie in ihrem traulichen Heim säßen, und das ist arbeiten! Die Arbeit muß unser Heil sein. Wir dürfen uns keine Zeit zum Nachdenken lassen, denn sonst würden wir verrückt werden. Wir müssen arbeiten und warten. Ich bin sicher, daß Hilfe kommen wird und daß sie schnell kommt, sobald es bekannt wird, daß die »Fuwalda« verloren ist, selbst wenn der schwarze Michel sein Wort nicht halten sollte.

Ja, John, wenn es sich nur um uns beide handelte, sagte sie seufzend, so könnten wir es schon aushalten, das weiß ich, aber –

Liebes Weib, antwortete er sanft, ich habe daran gedacht, aber wir müssen auch mit diesem Ereignis rechnen, wie mit allem, was noch kommen wird, tapfer und mit Vertrauen in unsere Geschicklichkeit. Vor hunderttausend Jahren standen unsere Vorfahren einer entlegenen düsteren Vergangenheit vor denselben Schwierigkeiten wie wir jetzt, vielleicht sogar in diesem selben Urwalde. Daß wir heute hier sind, ist ein Beweis ihres Sieges. Was sie taten, sollten wir es nicht auch tun? Und sogar besser, denn sind wir nicht mit höherem Wissen ausgerüstet, und besitzen wir nicht Schutz-, Verteidigungs- und Verpflegungsmittel, die die Wissenschaft uns gab, die jenen aber noch völlig unbekannt waren? Was sie mit unvollkommenen Werkzeugen und Waffen aus Stein und Knochen vollbrachten, das können wir sicher auch.

Ach John, ich wünschte ein Mann zu sein mit der Philosophie eines Mannes, aber ich bin bloß ein Weib, das mehr mit dem Herzen als mit dem Verstand sieht, und alles, was ich sehe, ist zu schrecklich, zu undenkbar, als daß ich es in Worte fassen könnte. Ich hoffe nur, daß du recht hast, John. Ich will mein Bestes tun, um eine wackere Urwaldfrau zu sein, der tapfere Kamerad eines Wildnismannes.

Claytons erster Gedanke war, ein Obdach für die Nacht herzustellen, worin sie vor den umherstreichenden Raubtieren geschützt wären.

Er öffnete den Koffer, der seine Gewehre und die Munition enthielt, damit sie wenigstens bewaffnet wären, wenn sie über der Arbeit angegriffen würden, und dann suchten sie einen Ort für ihre erste Nachtruhe.

Etwa hundert Meter vom Ufer war eine ziemlich lichte, ebene Stelle, und sie beschlossen, gegebenenfalls hier ein festes Haus zu bauen. Vorläufig hielten sie es aber für das beste, eine kleine Plattform in den Bäumen zu errichten und zwar so hoch, daß sie außer der Reichweite der wilden Tiere wären. Zu diesem Zweck wählte Clayton vier im Rechteck stehende Bäume aus, die etwa acht Fuß von einander entfernt waren. Dann hieb er von andern Bäumen lange Äste ab und band diese mit den Stricken, die ihm der schwarze Michel überlassen hatte, etwa zehn Fuß über der Erde an den erwähnten vier Bäumen fest.

So hatte er ein Gerüst, über das er dann dünnere Äste eng zusammenlegte, um einen Fußboden in der Höhe herzustellen. Diesen Boden belegte er mit riesigen Wedeln von »Elefanten-Ohr«, das ringsum massenhaft wuchs, und zuletzt noch mit einem großen mehrfach gefalteten Segeltuche.

Sieben Fuß höher legte er in ähnlicher Weise ein Dach an. Die Wände des Gemaches aber stellte er einfach dadurch her, daß er rings herum Segeltuch aufhing.

Als dieses vollendet war, hatte er ein ziemlich gemütliches, kleines Nest, in das er Bettdecken und einiges von dem leichten Gepäck trug.

Es war inzwischen Spätnachmittag geworden, und die Abendstunden wurden dazu benützt, um eine kräftige Leiter herzustellen, auf der Lady Alice in ihr neues Heim gelangen konnte. Den ganzen Tag über war der Wald voll von lebhaften, prächtig gefiederten Vögeln und von springenden, schwatzenden Affen gewesen, die diese neuen Ankömmlinge und ihren wundervollen Nestbau mit allen Zeichen des Interesses betrachteten.

Obwohl Clayton und seine Frau scharf aufpaßten, sahen sie keine größeren Tiere, aber zweimal kamen ihre kleinen Affen-Nachbarn herbei, sahen schreiend und schwatzend zu und zogen offenbar erschreckt über die geheimnisvollen Vorgänge, die sie hier beobachteten, wieder ab.

Als die Nacht hereingebrochen war, hatte Clayton die Leiter fertig, und als er einen großen Behälter mit Wasser aus dem nahen Fluß gefüllt hatte, stiegen die beiden in ihr verhältnismäßig sicheres, luftiges Gemach.

Da es warm war, hatte Clayton die Seitenvorhänge über das Dach zurückgeschlagen. Als sie nun sich wie Türken über ihre Bettdecken kauerten, schrie Lady Alice, die angestrengt in die dunkeln Schatten des Waldes hinaussah, plötzlich auf, indem sie Claytons Arm erfaßte.

John! flüsterte sie. Sieh doch! Was ist das? Ein Mann! Als Clayton nach der angegebenen Richtung schaute, sah er die Schattenrisse einer großen, aufrechtstehenden Gestalt.

Einen Augenblick stand sie horchend still, drehte sich langsam um und verschwand in dem Schatten des Dickichts.

Was ist das, John?

Ich weiß es nicht, Alice, antwortete er ernst, es ist zu dunkel, um so weit zu sehen, und es war vielleicht nur ein Schatten, den der aufgehende Mond geworfen hat.

Nein, John, es war kein Mann, es war eine riesige, groteske Karikatur eines Menschen. O, wie ich mich fürchte!

Er schloß sie in seine Arme, ihr liebe und ermutigende Worte ins Ohr flüsternd, denn für ihn gab es nichts Schmerzlicheres, als die Angst seines jungen Weibes. Er verstand diese Angst sehr wohl, obschon er selbst tapfer und furchtlos war, – eine seltene Gabe, wenn auch nur eine der vielen Eigenschaften, die ihn bei allen, die ihn kannten, beliebt gemacht hatten.

Bald darauf ließ er die Vorhänge herunter, befestigte sie an den Bäumen und ließ nur eine kleine Öffnung nach dem Ufer hin frei.

Als es nun in ihrem luftigen, kleinen Raume stockdunkel war, legten sie sich auf die Decken und versuchten im Schlaf ihre traurige Lage zu vergessen.

Clayton legte Büchse und Revolver neben sich und sah immer nach der Öffnung hin.

Kaum hatten sie die Augen geschlossen, als der schreckenerregende Schrei eines Panthers hinter ihnen aus der Dschungel erscholl. Es kam näher und näher, bis sie das große Tier unmittelbar unter sich hörten.

Über eine Stunde lang hörten sie es schnuppernd und an den Bäumen unter ihnen kratzend, bis es sich schließlich nach dem Strand verzog, wo Clayton es deutlich im hellen Mondschein erkannte – ein großes, schönes Tier, das größte, das er je gesehen.

In den langen Nachtstunden fanden sie wenig Schlaf, denn die Nachtgeräusche des von Myriaden von Tieren wimmelnden Dschungels hielten ihre überreizten Nerven wach, so daß sie hundertmal durch die durchdringenden Schreie oder die heimlichen Bewegungen von Körpern unter ihnen aufgeschreckt wurden.


 << zurück weiter >>