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Als die kleine Expedition der Marinesoldaten mühsam durch die dichte Dschungel vordrang, um nach Jane Porter zu suchen, hatte man nicht viel Hoffnung auf Erfolg, aber wenn d'Arnot den Schmerz des alten Mannes und den traurigen Blick des jungen Engländers sah, sagte er sich immer wieder, er dürfe den Versuch noch nicht aufgeben.
Er dachte, es wäre immerhin möglich, ihre Leiche oder deren Überreste zu finden, denn er war überzeugt, daß sie von einem Raubtier aufgefressen worden sei. Er hatte seine Leute von dem Punkte aus, wo Esmeralda aufgefunden worden war, in Schützenlinie ausschwärmen lassen, und so drangen sie schwitzend und keuchend durch das Gewirr der Ranken und Schlingpflanzen.
Sie kamen nur langsam voran. In der Mittagsstunde waren sie erst ein paar Meilen ins Innere vorgedrungen. Sie hielten eine kurze Rast. Als sie dann ein Stück weiter vorgedrungen waren, entdeckte einer der Männer einen Pfad durch das Dickicht.
Es war der alte Elefantenpfad. Nachdem d'Arnot mit Professor Porter und Clayton beratschlagt hatte, beschlossen sie, diesem Wege nachzugehen.
Der Pfad wand sich in nordöstlicher Richtung durch die Wälder, aber er war so schmal, daß nur einer hinter dem andern gehen konnte.
Leutnant d'Arnot marschierte an der Spitze, und er ging raschen Schrittes, denn der Weg war verhältnismäßig gut gebahnt. Unmittelbar hinter ihm kam Professor Porter, aber da er mit dem jungen Offizier nicht gleichen Schritt halten konnte, war d'Arnot etwa hundert Meter voraus, als er sich plötzlich einem halben Dutzend schwarzer Krieger gegenübersah.
D'Arnot rief seiner Kolonne einen Warnungsruf zu, aber noch ehe er seinen Revolver abdrücken konnte, war er gefesselt und in die Dschungel geschleppt.
Auf seinen Ruf war ein Dutzend Matrosen an Professor Porter vorbeigesprungen, um ihrem Offizier zu Hilfe zu eilen.
Schon waren sie an der Stelle vorbei, wo d'Arnot gefangen genommen worden war, als ein Speer aus der Dschungel geflogen kam und einen Mann durchbohrte. Gleich darauf ging ein ganzer Hagel von Pfeilen über sie nieder.
Ihre Gewehre anlegend, feuerten sie in das Unterholz nach der Seite, von wo die Wurfgeschosse hergekommen waren.
Inzwischen war der Rest der Mannschaft herbeigeeilt, und eine Salve nach der andern wurde auf den verborgenen Feind abgefeuert. Diese Schüsse waren es, die Tarzan und Jane Porter gehört hatten.
Leutnant Charpentier, der den Nachtrab der Kolonne befehligte, kam jetzt auch herbeigeeilt, und als er die Einzelheiten des Überfalls erfuhr, drang er an der Spitze seiner Leute in das Dickicht hinein.
Schon im nächsten Augenblicke kämpften sie Mann gegen Mann mit etwa fünfzig schwarzen Kriegern aus Mbongas Dorf. Pfeile und Kugeln flogen hin und her.
Im Nahkampf gebrauchten die Schwarzen ihre sonderbaren afrikanischen Messer, die Weißen ihre Gewehrkolben.
Es war ein wildes, blutiges Gefecht, aber bald flohen die Eingeborenen in die Dschungel, und überließen es den Soldaten, ihre Verluste zu zählen.
Von den zwanzig Matrosen waren vier tot, ein Dutzend verwundet und Leutnant d'Arnot wurde vermißt. Die Nacht brach schnell herein, und ihre Lage wurde dadurch erschwert, daß sie nicht einmal den Elefantenpfad wiederfinden konnten. So blieb ihnen nichts anderes übrig, als dort zu übernachten. Leutnant Charpentier ließ eine Lichtung schlagen und einen kreisförmigen Verhau von Unterholz um das Lager errichten. Diese Arbeit wurde erst lange nach Einbruch der Dunkelheit vollendet. Die Leute machten ein großes Feuer mitten in der Lichtung, um bei dessen Schein arbeiten zu können.
Als alles soviel wie möglich zum Schutze gegen Raubtiere und Wilde fertig war, stellte Leutnant Charpentier Wachen um das kleine Lager, und nun warfen die müden und hungerigen Leute sich auf den Boden, um zu schlafen.
Das Stöhnen der Verwundeten, vermischt mit dem Brüllen und Knurren der durch den Lärm und das Feuer angezogenen wilden Tiere, hielt einen ruhigen Schlaf von ihnen fern.
So harrte die traurige, hungrige Gesellschaft die ganze Nacht hindurch sehnlichst dem Morgengrauen entgegen.
*
Die Schwarzen, denen d'Arnot in die Hände gefallen war, hatten an dem folgenden Kampfe nicht mehr teilgenommen. Sie hatten sich vielmehr beeilt, ihn fortzuschleppen.
Sie trieben ihn zur Eile an, und je weiter sie sich vom Kampfplatz entfernten, desto mehr nahm der Lärm des Kampfes ab. Auf einmal erblickte d'Arnot vor sich eine Lichtung, an deren Ende ein strohbedecktes eingefriedigtes Dorf stand.
Es war schon dunkel, als der Torwächter des Dorfes sah, daß zwei Mann mit einem Gefangenen herannahten.
Innerhalb der Umzäunung erhob sich sofort ein Geschrei und eine ganze Schaar Frauen und Kinder stürzte sich den Ankommenden entgegen.
Und dann begann für den weißen Offizier das Schrecklichste, was einem Menschen auf Erden begegnen kann: der Empfang eines weißen Gefangenen in einem Dorfe von afrikanischen Menschenfressern.
Was noch zu der teuflischen Bosheit ihrer grausamen Wildheit beitrug, war die bittere Erinnerung an noch grausamere Unmenschlichkeiten, die an ihnen und den Ihrigen von weißen Offizieren des Erzheuchlers Leopold II. von Belgien begangen wurden. Diese waren die Ursache, daß sie dem Kongo-Freistaat, dem traurigen Überbleibsel eines einst mächtigen Neger-Reiches, entfliehen mußten.
Die Dorfleute fielen über d'Arnot her, schlugen ihn mit Stöcken und Steinen und zerkratzten ihn. Seine ganze Kleidung wurde ihm vom Leibe gerissen, und die unbarmherzigen Schläge fielen auf seinen bloßen, zitternden Körper. Aber der Mann stieß nicht einen Schmerzensschrei aus. Nur ein stilles Gebet stieg zu seinem Schöpfer empor, er möchte ihn bald von seiner Qual erlösen.
Aber der Tod, um den er flehte, sollte ihm nicht so leicht zuteil werden. Bald jagten die Männer die Frauen von ihrem Gefangenen fort. Er sollte für einen edleren Sport geschont werden, und nachdem man die erste Wut an ihm ausgelassen hatte, begnügte man sich damit, ihn zu verhöhnen, zu beschimpfen und anzuspucken.
Jetzt hatten sie die Mitte des Dorfes erreicht. Dort wurde d'Arnot an den Pfahl gebunden, von dem noch niemand lebend gelöst wurde.
Eine Anzahl Frauen gingen in ihre Hütten, um Töpfe und Wasser zu holen, während andere eine Reihe Feuerstellen errichteten, auf denen der Schmaus gekocht werden sollte.
Einstweilen wartete man, bis die anderen Krieger zurückkehren würden. Es wurde aber sehr spät, bis alle ins Dorf zurückgekehrt waren und der Todestanz um den verurteilten Offizier ausgeführt werden konnte.
Vor Schmerz und Erschöpfung halb ohnmächtig, beobachtete d'Arnot mit seinen halbgeschlossenen Augen das Schauspiel, das ihm wie ein toller Fieberwahn oder ein schreckliches Alpdrücken vorkam.
Vor seinen fiebernden Augen tanzten die brutalen, mit Farbe bemalten Gesichter, die gelben, spitz zugefeilten Zähne, die rollenden Teufelsaugen, die glänzenden, nackten Körper, die grausamen Speere. Es mußte ein Wahn sein, denn in Wirklichkeit konnte es solche Menschen doch wohl nicht auf der Erde geben. Er träumte gewiß.
Doch die wilden, sich drehenden Leiber kamen näher. Dann wurde ein Speer geworfen, der seinen Arm traf. Der stechende Schmerz und das warme tröpfelnde Blut ließen ihn die ganze schreckliche Wirklichkeit seiner hoffnungslosen Lage erkennen.
Ein zweiter Speer traf ihn und noch ein dritter.
Er schloß seine Augen und biß die Zähne zusammen. Er wollte nicht aufschreien.
Er war ein Soldat, und er wollte diesen Bestien zeigen, wie ein Offizier und Edelmann stirbt.
*
Tarzan brauchte keinen Dolmetscher, um sich die Bedeutung der entfernten Schüsse erklären zu lassen. Mit Jane Porters warmen Küssen auf den Lippen schwang er sich unglaublich schnell auf den Bäumen geradenwegs auf Mbongas Dorf zu. Er hielt es nicht für nötig, die Örtlichkeit des Gefechtes festzustellen, zumal er annahm, daß es bald beendet sein werde. Er sagte sich, den Toten könne er nicht mehr helfen und die Entkommenen brauchten seinen Beistand nicht.
Er eilte zu denen, die weder getötet noch entkommen waren, und er wußte, daß er diese an dem großen Pfahl in der Mitte von Mbongas Dorf finden werde.
Oft hatte Tarzan die Beutezüge von Mbongas Schwarzen vom Norden her mit Gefangenen zurückkehren sehen, und jedesmal fanden dieselben Auftritte um den grausigen Pfahl beim flackernden Licht der vielen Feuerstellen statt.
Er wußte auch, daß sie selten viel Zeit mit der Vollziehung ihrer teuflischen Absicht verloren, und deshalb war er im Zweifel, ob er noch rechtzeitig käme, um den Opfern zu helfen.
Tarzan hatte ihren früheren Orgien mit Wohlgefallen zugesehen, und nur gelegentlich machte er sich das Vergnügen, die Schwarzen zu stören, aber vordem waren es Gefangene ihrer eigenen Rasse.
Diesmal war es anders: weiße Männer von Tarzans eigener Rasse erlitten jetzt vielleicht die Todesqualen im grausigen Dschungel-Dorf.
Fort ging's in Eile. Die Nacht war schon hereingebrochen, und er strebte noch immer in schwindelnder Höhe durch die mondbeschienenen, sanft sich neigenden Äste der Baumkronen. Jetzt gewahrte er einen Lichtschein, rechts von seinem Wege. Es mußte das Licht von dem Lagerfeuer der zwei Männer sein, denn Tarzan wußte nichts von den Matrosen.
Er war seiner Dschungel-Kenntnis so sicher, daß er nicht von der eingeschlagenen Richtung abwich.
Kaum hatte er noch eine halbe Meile zurückgelegt, als er in den Bäumen über Mbongas Dorf anlangte.
O, er kam nicht ganz zu spät. Oder doch? Er konnte es nicht sagen. Die Gestalt am Pfahl war sehr ruhig, aber die Schwarzen waren im Begriffe, sie zu durchstechen.
Der Todesstreich war noch nicht vollzogen. Er konnte genau sehen, wie weit der Tanz vorgeschritten war.
In der nächsten Minute würde Mbongas Messer dem Opfer ein Ohr abschneiden, und das würde der Anfang vom Ende sein, denn gleich darauf würde nur noch eine sich krümmende, verstümmelte Fleischmasse übrig sein. Vielleicht war noch Leben in dem Unglücklichen, aber der Tod würde dann die einzige Barmherzigkeit sein, nach der er sich noch sehnte.
Von dem dem Pfahle am nächsten stehenden Baume warf Tarzan eine Schlinge, und dann stieß er den fürchterlichen Kampfruf der Menschenaffen aus, der das Geschrei der tanzenden Teufel übertönte.
Wie erstarrt hielten die Tänzer inne. Das Seil schwirrte pfeifend über ihren Köpfen, aber in dem flackernden Licht des Lagerfeuers war es unsichtbar.
D'Arnot öffnete seine Augen. Ein riesiger Schwarzer, der unmittelbar vor ihm stand, fiel rückwärts, als ob er von einer unsichtbaren Hand erschlagen wäre.
Kreischend und sich sträubend drehte sich der Körper von einer Seite zur andern und bewegte sich schnell gegen die tiefen Baumschatten.
Die Augen der Schwarzen traten vor Schreck fast aus ihren Höhlen und sahen wie festgebannt zu.
Sobald sich der Körper unter dem Baum befand, wurde er schnurstracks in die Höhe gezogen. Als er oben im Laubwerk verschwand, rannten die Neger fürchterlich schreiend in tollem Laufe nach dem Dorftor zu.
D'Arnot war allein.
Er war ein tapferer Mann, aber seine kurzen Haare standen ihm zu Berge, als er den unheimlichen Schrei über sich hörte.
Als nun der sich windende Körper des Schwarzen sich wie durch eine überirdische Gewalt in das dichte Laubwerk erhob, fühlte d'Arnot, daß ihm ein eisiges Frösteln den Rücken hinunterlief.
Während er den Punkt beobachtete, wo der Körper an dem Baume emporgezogen wurde, hörte er eine Bewegung von dort. Die Äste bogen sich wie unter der Körperlast eines Menschen. Ein Krach, und der Schwarze fiel wieder zu Boden und blieb still liegen.
Unmittelbar darauf erschien ein weißer Körper, aber dieser ließ sich aufrecht herunter.
D'Arnot sah einen wohlgebauten jungen Riesen aus dem Schatten auftauchen und schnell auf ihn zukommen.
Was sollte das bedeuten? Wer konnte das sein? Offenbar war es ein neues Geschöpf, das ihn quälen und vernichten wollte.
Seine Augen wandten sich nicht von dem Gesicht des Herankommenden. Der freie klare Blick des Mannes beruhigte ihn, und er sagte sich, der Mann könne kein grausames Herz haben, und doch wagte er es noch nicht, an eine Rettung zu glauben.
Ohne ein Wort zu sagen, zerschnitt Tarzan die Fesseln des Offiziers.
Durch die Leiden und den Blutverlust geschwächt, wäre d'Arnot umgefallen, wenn der starke Arm des Fremden ihn nicht gehalten hätte.
Er fühlte sich vom Boden emporgetragen, als ob er flöge, und dann verlor er das Bewußtsein.