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Demetrios der Städtebezwinger

25. Oktober 1887.

Akademischer Vortrag, gehalten in der Aula des Museums. Manuskript, 19 Quartblätter, im Jac. Burckhardt-Archiv, Nr. 171. Der Anfang ist stilistisch leicht bearbeitet worden.

 

Unsere heutige Betrachtung hat zu beginnen mit einem Tagesdatum: den 11. Juni 323 vor Christi Geburt gegen Abend starb zu Babylon im Palast Nebucadnezars Alexander der Große, König von Macedonien und Herr von Asien bis an den Indus. Er hatte noch eine letzte Revue seiner Macedonier abgenommen, indem man eine Mauer des Saales durchbrach, wo er lag; sein letztes Wort soll gewesen sein: »Welch ein Kampf um mein Erbe!«

Noch nicht dreiunddreißigjährig, hinterließ er einen nicht ganz zurechnungsfähigen Bruder und unmündige Kinder.

Daneben aber erhoben sich seine Kampfgenossen und Marschälle: Perdikkas, Antipatros, Krateros, Lysimachos, Antigonos, Leonnatos, Pithon, Ptolemäos und andere, unter diesen Seleukos, der erst avancierte. Sie wurden nun Diadochen, Nachfolger Alexanders; meist vornehme Macedonier, hätte man jeden für einen König gehalten; sie waren alle sorgfältig von Philipp und Alexander ausgewählt worden, gewaltig, stattlich und kräftig; sie schienen ausgelesen nicht aus Einem Volk, sondern aus der ganzen Welt Es folgt: Perdiccas ging in die Höhle einer Löwin und nahm ihr die Jungen weg.. Sogleich in Gegenwart der Leiche Alexanders teilten sie sich nach wilden Tumulten in die Statthalterschaften; über ihnen, im Namen des Könighauses, sollte einer als Reichsverweser walten; aber es war bereits, als hätten sie Reiche unter sich verteilt. Der einzige, welcher bis zum letzten Atemzug das Haus Alexanders oben halten wollte, war nur ein ehemaliger Sekretär und nicht einmal ein Macedonier: der uneigennützige Eumenes. Einer von ihnen, Antipatros' Sohn Kassandros, tatsächlich Erbe von Macedonien, das er anders als durch Verbrechen nicht bekommen konnte, tat den übrigen den Gefallen, allgemach fast das ganze Haus Alexanders auszurotten, so viel davon Alexanders eigene Mutter übrig gelassen.

Einstweilen aber tobt durch mehrere Jahrzehnte jener unerhörte Kampf um die Welt; auch auf den Erwerb von Ländern, welche Alexander nicht gehabt hatte, tauchten Projekte auf, so auf den Westen und auf Karthago Bemerkung B.'s: Ophellas.. Es war eine desperate Zeit, da man der Sache lange gar kein Ende absah. Mehrern wurde zugetraut, daß sie durchaus das ganze Erbe an sich bringen wollten, zum Beispiel dem Perdikkas und dem Antigonos. Es war eine hadernde Riesengesellschaft. Nur allmählich bildeten sich feste einzelne Territorien, und bis Rom sich einmischte, hörten die Grenzkriege nie ganz auf.

Die Diadochen hatten den Vorteil, daß die persische Regierung als solche überall nur die Erinnerung von Ohnmacht und Abscheu hinterlassen hatte und daß für sie wenigstens kein Rächer und Retter aufstand, auch nicht im eigentlichen Persis.

Ihre größte Schwierigkeit und Gefahr war das Ueberlaufen der Mannschaften, besonders der eigentlichen macedonischen Heereskörper. Eumenes, als ihn die Argyraspiden an Antigonos verrieten, hielt ihnen in Ketten noch jene Anrede: »Möge es euch Verlornen durch die schwurrächenden Götter so gehen, wie ihr es euern Feldherrn macht! möget ihr arm und heimatlos all euer Leben im Lagerexil zubringen! mögen euch dann eure eignen Waffen morden, an welchen schon mehr Blut von euern eigenen als von feindlichen Anführern klebt!« Allein das Ueberlaufen blieb, zum Schrecken selbst sehr ausgezeichneter Anführer. Bisweilen, wenn die Reiterei das eine will, so will das Fußvolk das Gegenteil.

Und doch sind, mitten unter Asiaten, diese Truppen öfter das einzige Publikum, in dessen Gegenwart, vor dessen Front, die Diadochen wichtige politische Entscheide, Erklärungen zu Reichserben und anderes vornehmen müssen. Ja im Grunde entscheiden die Soldaten öfter, wer Diadoche sein könne.

Dazwischen geht ein beständiges Gewirr von geheimen Unterhandlungen und momentanen Bündnissen, mit Ueberlistungen und Vorbehalten aller Art, und zwischen den verschiedenen Häusern werden Ehen geschlossen. Alexander hatte sich mit Asiatinnen vermählt; die Diadochen heirateten bald ausschließlich Frauen anderer Diadochen- resp. Fürstenhäuser; es dämmerte die Anschauung der »Ebenbürtigkeit«. Bei veränderten politischen Umständen verstieß man dann etwa die bisherige Gemahlin. Doch war dies nicht nötig, da schon die macedonischen Könige, besonders Philipp, förmlich in Polygamie gelebt hatten; man behielt mehrere Gemahlinnen neben einander, vielleicht schon, weil ja die Lage wieder umschlagen konnte. Die Verhältnisse waren erstaunlich, bisweilen gemütlich, bisweilen entsetzlich. Unglaublich bunt erwiesen sich besonders die Familienverhältnisse des Ptolemäos Lagi und die des Lysimachos, des Thersites unter der ersten Generation der Diadochen.

Aber auch sonst ging es in diesen rein auf Behauptung und sogenannte Zweckmäßigkeit gestellten Familien meist herzlos und gewaltsam zu: Mißtrauen, Verdruß, Ohrenbläserei, Mord von Söhnen, Müttern, Gemahlinnen – denn, sagt Plutarch, was bloßen Brudermord betrifft, so war dies, bei Sicherung der Herrschaft, ein Postulat wie die Postulate der Mathematiker sind.

Eine Familie macht eine rühmliche Ausnahme: Einst waren bei König Antigonos fremde Gesandte, als sein Sohn Demetrios, von der Jagd heimkehrend, mit den Jagdspießen in der Hand hereintrat und den Vater herzlich begrüßte und sich neben ihn setzte. »Meldet daheim«, sagte Antigonos den offenbar etwas erstaunten Gesandten, »daß ich und mein Sohn so gut zusammen stehen!«

Unter den außerordentlichen Menschen jener Zeit sind uns dieser Vater und dieser Sohn besonders deutlich geschildert. Die kriegerischen und politischen Ereignisse der Jahrzehnte nach Alexander stürzen lawinenartig auf uns herein; entfesselte Energien höchsten Ranges sind nie mehr so viele nebeneinander am Leben gewesen; die Weltgeschichte bietet kein zweites Beispiel mehr. (Daneben stehen bei Diodor die römischen Consuln, welche zwei und zwei ihre einfache Pflicht tun.) Wir fragen umsonst, weshalb so gewaltig viele Kraft und Begabung hat müssen – ohne für uns sichtbares, bleibendes Resultat – verpufft werden.

Glücklicherweise hat Plutarch für uns wenigstens den Demetrios von all diesen Gestalten abgelöst in einer besondern Darstellung und dabei auch des Antigonos umständlicher gedacht. – Aus Diodor, Justin und anderen Quellen brächten wir dies Bild sonst nur unvollständig zusammen. Außerdem ist auch der Eumenes des Plutarch noch heranzuziehen.

Antigonos war von vornehmem, halbfürstlichem, macedonischem Stamme, älter als König Philipp und wohl schon Zuschauer der furchtbaren Krisen Macedoniens, welche der Machtergreifung Philipps vorangingen; dann war er unter Philipp und Alexander hoch angesehen und Hauptgenosse der Feldzüge des letztern. Nach Alexanders Tode kam er bald in Besitz wichtiger Teile von Kleinasien (der Mitte und des Südens) und zeigte sich sofort unbotmäßig gegen die jeweiligen Reichsverweser, bis ihm die Verbindung mit dem Reichsverweser Antipatros neue Vorteile eintrug, nämlich jetzt auch noch das Kommando über den größten Teil des Reichsheeres in Asien. Notorisch glaubte er, das ganze Erbe Alexanders gehöre am besten ihm.

Persönlich ein Riese und gegen das Ende seines Lebens schwer transportabel, war er ernst, barsch in Worten und Handlungen; er nahm die Leute von oben herab »und erzürnte manche jüngere und mächtige Männer«; auf den Schlachtfeldern war man gewöhnt, seine Donnerstimme und seine ungestümen Worte zu vernehmen, und im Getümmel auch Spaß und Hohn. Seit Antipatros Tode (319) war er völlig unabhängig in dem wilden Hin und Her, da man einander Reiche abjagte, zum Schrecken der übrigen.

Der Sohn Demetrios war beim Tode Alexanders vierzehnjährig (geb. 337); er muß daher von Alexander noch einen lebendigen Eindruck gehabt haben. Aufgewachsen im Feldlager seines Vaters, war er gewiß mit höchster Sorgfalt erzogen. Das Unstete freilich, als ein Habituelles, färbte an ihm ab und macht ihn einigermaßen zum Abenteurer – die Kraft des Abenteurers ist, nie zu verzagen –, den auch die unerhörtesten Lagen nicht befremden. Militärisch erzog ihn der Vater streng; als einst der Sohn fragte: »Wann brechen wir auf?«, sagte mürrisch Antigonos: »Bist du in Sorgen, daß du allein die Trompete überhören möchtest?« Zwanzigjährig führte dann Demetrios zum erstenmale Scharen an; in einer siegreichen Schlacht seines Vaters hatte er das Kommando der Reiterei.

Er war kein Riese wie sein Vater, aber noch mächtig über das Mittelmaß, von heroischer Pracht des Anblicks und deutlich ein König; furchtbar und dann wieder von betörender Anmut; man lief ihm von weit her entgegen, um ihn zu sehen. Er konnte ganz Genuß und dann wieder ganz Tätigkeit sein und vermochte beides völlig getrennt zu halten; der beste Gesellschafter beim Gelage, prachtliebend und sogar weichlich, aber nüchtern im Kriege und von höchster Energie im Handeln; sein Ideal unter den Göttern war der stürmische und dann wieder üppige Dionysos. Das Leben, wie es zu dieses Gottes Zeit gewesen sein sollte, hätte er gerne wieder gehabt. Es war eine von jenen Alkibiades-Physiognomien, noch im nicht mehr jugendlichen Alter furchtbar durch die Gabe des (selbst unwillentlichen) Bestrickens und Gewinnens.

Aufgewachsen in einer Atmosphäre, wo man sich alles Zweckdienliche und sehr vieles Genußdienliche zu erlauben gewohnt war, war er der Sohn eines Vaters, der zwar zu den moralisch hochstehenden Diadochen gehörte, aber doch die Tötung des edeln Eumenes, für dessen Rettung sich Demetrios umsonst bemühte, und der letzten Schwester Alexanders auf sein Gewissen nahm; und auf einen Traum hin würde Antigonos den jungen Mithridat getötet haben, wenn Demetrios diesen nicht gerettet hätte. So ist Demetrios noch immer eine Lichterscheinung neben einem Lysimachos, Kassandros oder Ptolemäos Keraunos; er hat nicht nur gewiß manches »nützliche Verbrechen« unterlassen, sondern hie und da aus idealen Absichten handeln können. Der Haupteindruck aber, welchen er macht, ist der einer gewaltigen Energie, welche sich selbst beharrlich als das Zentrum der Dinge und die Welt als das ihm von Rechtswegen angehörende Gebiet und die Menschen als Objekt seiner Attraktionskraft betrachtet. Ein solcher Mensch konsumiert vor unsern Augen die Möglichkeiten einer ganzen Menge von Lebensläufen.

Wenn Demetrios Königreiche und Völker nicht mehr an sich zieht, so haben sie nach seiner Meinung sich selber alles das zuzuschreiben, was dann mit ihnen geschieht. Interesse wird er ewig erwecken, denn der Stoff, aus welchem er besteht, ist zu rar. Aber ganz ernsthaft kann man ihn nicht nehmen; unsere Teilnahme ist mehr die der Spannung und Kuriosität, welche einem genialen Waghals folgt, als jene, welche einen Innehaber großer weltgeschichtlicher Aufgaben begleitet.

Das anfängliche Gebiet des Antigonos, das mittlere und südliche Kleinasien samt wechselnden Annexen, hat Vorzüge und Mängel wie kein anderes; es ist das zentrale unter den Diadochengebieten, muß sich aber gegen die peripheralen entweder verteidigen oder sie angreifen; Antigonos und Demetrios trauen sich Ansprüche auf das ganze Erbe Alexanders zu; die übrigen suchen daher periodisch deren Zernichtung.

Sein Vater hatte ihn frühe vermählt mit Phila, Tochter des Reichsverwesers Antipatros und Witwe des Krateros, welcher bei den Macedoniern das beste Andenken hinterlassen hatte. Sein ältester Sohn aus dieser Ehe, Antigonos Gonatas, und dessen Nachkommen sind dann mit der Zeit das Herrscherhaus von Macedonien geworden, fast lauter tüchtige Menschen und bis auf eine späte und jammervolle Ausnahme frei von Familienmord wie kaum ein zweites Diadochenhaus.

Diejenige Situation, in welcher wir Demetrios als selbständig handelnd auftreten sehen, ist dann der Kampf seines übermächtig gewordenen Vaters gegen die verbündeten Herrscher Ptolemäos von Aegypten, Seleukos von Oberasien, Lysimachos von Thracien und Westkleinasien, und Kassandros, welcher einstweilen Herrscher von Macedonien geworden war. Dem Ptolemäos lag an Syrien, an den Inseln (besonders Cypern) und an festen Posten auf dem griechischen Kontinent; Kassandros wünschte, wie jederzeit die Herrn von Macedonien, in Griechenland wenigstens einen überwiegenden, durch Garnisonen verstärkten Einfluß.

Demetrios' Soldaten aber, die er in großer Versammlung anredete, waren in einer echten Spielerstimmung; sie wollten es jetzt lieber mit dem jungen, unverbrauchten Sohn als mit dem bald siebzigjährigen Vater versuchen. Antigonos hatte in diesem Kriege dem Sohne die Anführerschaft in Syrien überlassen. Hier in Syrien unterlag Demetrios 312 bei Gaza dem erfahrenen Kämpfer aus der »Ringschule Alexanders« dem Herrscher von Aegypten; umsonst warf er sich in der Schlacht mit Flehen den Flüchtigen entgegen; er wurde mitgerissen. 5000 seiner Leute fielen, 8000 wurden gefangen, Zelt und Gepäck fielen in die Hand des Siegers. Nach dem abgeschmackten und grausamen Kriegsrecht der Griechen hätte nun dieser die Gefangenen in die Sklaverei verkaufen oder ihnen die rechte Hand oder wenigstens deren Daumen abhauen, auch sie brandmarken können; statt dessen sandte er dem Demetrios die mitgefangenen Freunde samt Zelt und Gepäck zurück, mit Vermelden, zwischen Leuten wie sie, aus dem Gefolge Alexanders, kämpfe man nur um Ehre und Herrschaft; die gefangene Masse wird er wohl in sein eigenes Heer herübergenommen haben, wie in diesen Kämpfen öfter geschah. Noch eine andere griechische Chikane kam hier nicht vor: daß der Unterlegene durch das Herausbegehren der Leichen der Seinigen offiziell die Niederlage eingestehen mußte. Antigonos ließ dem Sohn auch jetzt noch das Kommando, um ihn nicht herunterzustimmen; Demetrios aber flehte zu den Göttern, sie möchten ihn nicht lange in des Ptolemäos Schuld lassen, und in der Tat schlug er bald darauf einen Feldherrn desselben und nahm ihn mit 7000 Mann gefangen samt allen seinen Lagervorräten. Er erbat sich von seinem Vater rasch die Erlaubnis und sandte dem ägyptischen König den Feldherrn und dessen Gefolge reich beschenkt zurück. Noblessen dieser Art kommen unter kämpfenden Diadochen noch hie und da vor; sie hätten nur innerhalb ihrer eigenen Familien sich immer auf ähnliche Weise benehmen müssen. Jetzt erst nahm Antigonos dem Sohn recht das Maß und fand, derselbe sei in der Tat der Herrschaft würdig.

Die weitere militärische Aufgabe des Demetrios war dann, die ptolemäischen Garnisonen aus den Städten von Lycien und Karien zu vertreiben, auch wohl ein Zug gegen die Nabatäer, welcher wenigstens den Asphalt vom toten Meere in die königlichen Kassen leitete, ein flüchtiger Raubzug gegen Babylon und andere Unternehmungen. Auf einmal aber hieß es: ganz Griechenland solle vom Druck des Kassandros und Ptolemäos erlöst und befreit werden. Vater und Sohn waren hierüber völlig einig; es sei eine Sache des Ruhmes und der Ehre. Und wenn man dann dem Antigonos beibringen wollte, Athen namentlich wäre gut zu behalten als Fallbrücke gegenüber dem übrigen Hellas, sagte er: die beste und sicherste Fallbrücke sei das Wohlwollen; Athen, als Turmwart der Welt, werde die Befreiungstat wie mit Feuerzeichen rasch in die ganze Menschheit hinausleuchten lassen.

Hievon können wir dem harten alten Realpolitiker glauben so viel wir wollen. Griechenland war tief zerrüttet und abgenagt; den Diadochen aber, mit Ausnahme des jeweiligen Herrn von Macedonien, konnte in dem Sinne sehr am Wohlwollen der Griechen gelegen sein, daß sie dringend deren Zuwanderung in ihre asiatischen und ägyptischen Städte und an ihre Höfe wünschten; denn alle Herrschaft über die Lande des Orients hing am hellenischen Element und dessen Kraft und Geist. Antigonos konnte ein freies Griechenland wünschen, weil nur ein solches sich wenigstens gegen ihn nicht feindlich verhielt.

Beim Sohn wird aber die Phantasie hinzugetreten sein. Es ist wohl denkbar, daß unter seinen Erziehern ein griechischer Literat gewesen war, der ihm mit dem Ruhm von Hellas und vor allem mit Ruhm und Herrlichkeit Athens den Kopf völlig angefüllt hatte, und all dies hatte der feurige Demetrios zum erstenmal zu sehen. Es war eine Erholung zwischen das ewige Lagerleben und die ewigen Asiatengesichter hinein.

Im Jahre 307 fuhr er mit 250 Schiffen und 5000 Talenten aus und überwältigte leicht die Garnisonen und Befestigungen des Kassandros. In Athen selbst hatte dieser die letzten zehn Jahre hindurch einen andern Demetrios, den von Phaleron, als seinen Machtwalter stehen gehabt, und anfangs waren die Athener von diesem ganz entzückt gewesen und hatten ihm Statuen gesetzt so viele als Tage im Jahre sind; jetzt aber fürchtete er die Bürger schon weit mehr als die Feinde, und sein großer Namensvetter sorgte ihm für eine glimpfliche Flucht nach Theben. Er selbst wollte Athen erst betreten, nachdem alle Häfen und die Umgegenden in seiner Gewalt und nachdem auch Megara befreit war, wobei seine Soldaten plünderten Randbemerkung: Der Besuch bei Patrae und die Geschichte von der Kratesipolis..

Hier ließ er den Stilpon zu sich kommen; es war wohl der erste veritable griechische Philosoph, den er zu sehen bekam; er mochte von Jugend auf die Szene zwischen Diogenes und Alexander erzählen gehört haben und erwartete etwas wie jenes Wort: »Geh mir aus der Sonne!«, bekam aber nur den Hochmut eines Sektenhauptes zu hören: »Hat dir jemand von meinen Soldaten etwas von deiner Habe geraubt?« – »Ich sah keinen, welcher Wissen fortgetragen hätte.« – »Ich hinterlasse eure Stadt als eine freie!« – »Ganz recht, du lässest bei uns keinen Sklaven zurück.« Es waren nämlich den Megarern, wie bei Eroberungen zu geschehen pflegte, fast alle Sklaven davongegangen.

Endlich konnte der Einzug in Athen vor sich gehen. Feierlich berief Demetrios das Volk zusammen, gab ihm seine frühere Verfassung zurück, und erklärte: es würden von seiten des Antigonos 150,000 Scheffel Korn und das nötige Holz für den Bau von 100 Trieren anlangen. Die unglückliche Stadt, welche ihre letzten Kriege des patriotischen Aufschwunges, den Krieg von Chäroneia und den von Lamia, verloren hatte, war, wenn man sie sich selbst überließ, die Beute von Strebern der schlimmsten Art; gewöhnlich schmeichelten diese dem Demos, jetzt wandten sie diese Kunst auf Demetrios. Den klugen und rechtschaffenen Leuten, welche dazu schwiegen, darf dies seit Ereignissen, wie zum Beispiel der Justizmord an Phokion gewesen war, nicht zu sehr verargt werden, obwohl man doch gerne berichten möchte, daß sich wenigstens Eine Stimme gegen den Schwindel erhoben hätte, welcher jetzt in Szene ging.

Das Wort führte besonders ein gewisser Stratokles, den man hinlänglich kannte. Einst bei einer Seeniederlage kam er den Boten zuvor, zog bekränzt durch die Stadt, verkündigte den Sieg und veranlaßte eine Fleischverteilung an das Volk. Als hernach die Augenzeugen der Schlacht erschienen, und das Volk ihn zornig zur Verantwortung rief, ließ er dreist den Lärm über sich ergehen und sagte dann: »Was habt ihr denn Schlimmes erlitten, wenn ihr es euch zwei Tage hindurch habt wohl sein lassen?« Einige andere suchten ihn bald noch zu überbieten.

Nun war offenbar wenig Geld vorhanden, und die Ehren, welche man dem Demetrios zudachte, durften nicht viel kosten, nur ungefähr was heute neue Straßennamen und dergleichen. Die Athener dekretierten nun zuerst dem Demetrios und seinem Vater Antigonos den Königstitel zu, welcher bis jetzt als unberührbares Eigentum der Familie Alexanders gegolten hatte; ja sie erklärten Vater und Sohn zu »erhaltenden Gottheiten« und bestellten ihnen einen Priester, dessen Name statt desjenigen des bisherigen Archon Eponymos in die öffentlichen Akten kam; in das Gewand der Pallas wurden neben den Göttern die Namen oder auch die Figuren der beiden eingestickt; an der Stelle, wo Demetrios aus dem Wagen gestiegen, wurde ein Altar errichtet mit dem Namen des »niederblitzenden Demetrios«; zu den zehn bisherigen Wahlkörpern wurden zwei neue hinzugefügt, eine Demetrias und eine Antigonis. Wenn zu den beiden eine Botschaft geschickt würde, sollten die Boten nicht Gesandte heißen, sondern Theoren, wie man die Boten an Göttertempel zu nennen pflegte; auch wurde Demetrios bereits als ein Orakel angefragt. Den Monat Munychion nannte man Demetrion und sogar das altberühmte Fest der Dionysien Demetrien. Aber nicht nur wurde nun der neue Gott sehr hochmütig; es war auf jenen Ehren auch sonst kein Segen; an den Demetrien fror es und Reben, Feigen und Getreide wurden zu nichte; und an den Panathenäen, als man das Gewand der Pallas auf einem Wagen ausgespannt daherfuhr, zerriß ein Sturm dasselbe.

Damals heiratete Demetrios eine Athenerin, und die Stadt mußte dies noch als besondere Ehre aufnehmen. Es war eine Descendentin des großen Miltiades, und um ihres frühern Schicksals willen sind wir genötigt, uns hier einen Augenblick nach der westgriechischen Welt zu wenden.

Dort lag eine Insel, die größte, schönste und unseligste des Mittelmeeres: Sizilien; und ein Herrscher waltete damals über ihr, vielleicht von allen Sterblichen derjenige, welcher unser Gefühl am stärksten zwischen Abscheu und Bewunderung hin und her wirft: Agathokles. Schon waren zwei Jahrhunderte von Kämpfen vorüber zwischen Hellenenstädten hoher Kultur und mächtigen politischen Lebensdranges, Kämpfen unter sich und gegen begabte und schreckliche Tyrannen, ferner gegen den stets neu andringenden Stamm Cham, das große Karthago, außerdem Kämpfen mit den Söldnern, in deren Hände große Teile der Insel zu fallen pflegten. Endlich hatte sich Agathokles, der Töpfersohn, erhoben, gerade während die Diadochen am heftigsten um den Orient kämpften, keiner von den ihrigen, nicht aus dem Stab Alexanders, nicht pathetisch, sondern ein blutdürstiger Spaßmacher, das furchtbarste Beispiel des über jede Lage klaren, mit jedem Entschluß vertrauten Spätgriechen. Durch massenhaften Parteimord am Grabe Timoleons, 317 vor Christi Geburt, zum Herrn von Syrakus und dann eines Teils der Insel geworden, hatte er es bald mit den Karthagern zu tun, wurde von ihnen geschlagen, in Syrakus belagert und schien verloren, konnte aber plötzlich und unvermerkt mit 15,000 Söldnern ausfahren, in Afrika anlegen und Karthago selbst bedrohen. Da hat er seine 60 Schiffe der Demeter und Persephone geweiht und angezündet, damit seine Söldner so wie er zwischen Sieg und Tod gestellt seien; da hat Karthago, durch Zwist und Verrat seiner Feldhauptleute noch besonders bedroht, dem Moloch 200 Kinder geopfert. Um aber den Angriff auf diese Stadt wagen zu können, bedurfte Agathokles doch einer größern Truppenzahl. Er sandte nach Kyrene an den Ophellas, einen Genossen Alexanders, welcher dort als ptolemäischer Statthalter, dann durch Abfall als selbständiger Herrscher waltete, er möge mit seinem Heere kommen und Herr von Karthago werden, indem er, Agathokles, mit afrikanischem Besitze doch nichts anfangen könne. Ophellas erschien mit 10,000 Mann; Agathokles benützte einen Augenblick, da die meisten dieser Kyrenäer auf Fourage aus waren, überfiel unter Vorwand von Verrat den Ophellas im Lager, hieb ihn und seine Getreuen nieder und zog die Mannschaft in seinen Dienst (307 vor Christus). Gerne lassen wir seine weitere Laufbahn, in welcher Entsetzliches und Nützliches abwechseln, aus den Augen bis zu dem Moment, da der 72jährige, vergiftet auf Antrieb eines Enkels, den Scheiterhaufen besteigt, um zu enden wie Herakles Randbemerkung: Daß Demetrios selbst einmal das Auge auf Sizilien gerichtet hatte und einen seiner Leute zur Erkundung des Zustandes der Insel aussandte: Diodorus Siculus fragm. LXXI. Es geschah unter der Form einer Botschaft an Agathokles zu Ratifikation eines Bündnisses..

Die Witwe des Ophellas, Eurydike, welche sich irgendwie nach ihrer Heimat Athen hatte retten können, wurde nun die zweite Gemahlin des Demetrios. Phila galt freilich immer als die erste; wo diese Frauen sich während seiner Feldzüge aufzuhalten pflegten, erfährt man nicht.

Als Demetrios in Griechenland noch nicht viel mehr als Athen und Megara befreit hatte, Ende 307, rief ihn sein Vater unliebsamerweise wieder auf ein wichtiges Kriegstheater, in den Kampf um Cypern. Und hier erst beginnt der besondere Ruf des Demetrios als Erfinders und Erbauers von Kriegsmaschinen und von Schiffen, wie man sie bisher noch nicht gekannt hatte.

Die erstern, worunter eine besonders berühmte die Städtebezwingerin, Helepolis hieß, waren nicht, wie man denken sollte, besonders mächtige Fernschleudermaschinen, sondern hölzerne Belagerungstürme von mehrern Stockwerken voll Bewaffneter. Die Schiffe aber sollten sowohl größer als schnellbeweglicher sein als alles bisherige; das bisher übliche Schiff, die Triere mit drei Reihen von Ruderern hintereinander auf jeder Seite, können wir uns vorstellen; schon sehr viel schwerer wird uns dies bei den Schiffen des Demetrios mit je 13, sogar 15 und 16 Ruderbänken; da aber das Altertum ihm aus dieser Spezialität einen besondern Ruhm gemacht hat, so mag es dabei sein Bewenden haben. Es war damals überhaupt eine Zeit der Neuerungen im ganzen Militärwesen, schon durch die viel größern und verfügbarem Massen und Mittel in jeder Richtung, im Vergleich mit dem bisherigen Kriegswesen der griechischen Kleinstaaten.

Zunächst hatte Demetrios gegen eine Flotte des Ptolemäos bedeutende Erfolge; als nun aber Ptolemäos in Person mit ganzer Macht herangefahren kam, wechselte man zunächst folgende wohlmeinende Depeschen. Ptolemäos: Demetrios möge sich doch bei Zeiten davon machen, ehe er von der ganzen ägyptischen Wucht erdrückt werde! Demetrios: er wolle den Ptolemäos jetzt noch entwischen lassen, wenn derselbe seine Posten in Griechenland, Sikyon und Korinth zu räumen den Befehl gebe.

Was aber zunächst folgte, war ein großer, ruhmvoller Seesieg des Demetrios (306), welchen er mit glänzender Generosität zu krönen wußte: er begrub die Leichen der Feinde herrlich und entließ die Gefangenen Randbemerkung: Demetrios wird freilich auch hier Soldat; auf dem Verdeck stehend, kämpft er in einem wahren Gewühl, wirft Speere, fängt Geschosse auf und erlegt Feinde; in solchen Momenten wird immer noch etwas Ilias lebendig.. Auch die Landbesatzungen auf Cypern hatten sich ihm ergeben müssen. Ptolemäos war mit bloß acht Schiffen geflohen; sein ganzer Prachtvorrat war in die Hände des Siegers gefallen und damit unter anderm auch die Flötenspielerin Lamia, welche denselben dauernd zu fesseln vermochte und dabei die Spöttereien anderer Damen über ihre nicht mehr ganz jungen Jahre überhören konnte.

Es ist die Glanzzeit von Vater und Sohn, welche damals, noch vor den übrigen Diadochen Bemerkung B.'s: Plutarch. Dem. 18., definitiv den Königstitel und das Diadem annahmen, das ihnen die Athener schon voreilig zuerkannt hatten. Man bemerkte bald an allen diesen Fürsten den höhern Ton und abgeschlossenen Umgang; wie tragische Schauspieler änderten sie mit dem Kostüm Schritt, Stimme, Anrede, Kopfneigen; in den Entscheiden wurden sie gewaltsamer; es verschwand die höfliche Ironie, in welche sich bisher ihre Gewalt gekleidet hatte Randbemerkung: ειρωνειαν της εζουσιας αφελοντες..

Ein Angriff des Antigonos und Demetrios auf Aegypten (305/4) blieb nun allerdings ohne Erfolg, und dem Sohn mißlang trotz allen Maschinen die lange Belagerung des sehr festen und von den Bürgern tapfer verteidigten Rhodos. Athenische Gesandte erwiesen dem Demetrios den Gefallen, ihm von den Rhodiern ein ehrenhaftes Abkommen zu verschaffen, gegen ein dauerndes Bündnis von Rhodos mit Vater und Sohn, ausgenommen gegen Ptolemäos. Was die Maschinen betrifft, so sollen die Rhodier den Demetrios gebeten haben, ihnen einige zum Andenken dazulassen oder wenigstens die hundert Fuß hohe Helepolis: nach andern soll er diese den Göttern geweiht haben, und jedenfalls konnte er sie ja nicht von der Stelle bringen.

Die Athener aber bedurften seiner; außer der Sorge vor Kassandros, welcher sie mit Gewalt wieder unterwerfen wollte, ängstigte sie ein allgemeines Unheil, welches damals erst in seinen Anfängen war: das Raubwesen der Aetolier, der Bewohner einiger nordwestlicher Gaue Griechenlands. Dasselbe hatte begonnen als rechtmäßige und heldenmütige Verteidigung einer Anzahl verbündeter Talschaften gegen macedonische Angriffe, artete nun aber aus zu einer fortwährenden räuberischen Bedrohung der übrigen Griechen. Hellenische Städte, welche einst den Xerxes und den Mardonios besiegt, sind nun hilflos gegen Raubpöbel aus den Gebirgen, denn ihre Rhetoren und Streber retten sie nicht. Ein kräftig altertümlich gebliebenes Volk, ohne namhafte Städte, zieht jetzt gegen die hochgebildeten, aber verkommenen Griechenstaaten auf Beute aus, und dies periodisch, ein Jahrhundert hindurch, an dessen Anfang wir uns hier befinden.

Im Spätherbst 304 erschien Demetrios wieder in Griechenland, scheuchte den Kassandros aus der Nähe von Athen weg bis über die Thermopylen, zog 6000 von dessen Macedoniern an sich und »befreite« die Hellenen weit und breit. Nun aber begann sein zweiter Aufenthalt in Athen, welcher seinen Namen mit so viel Schmach bedeckt hat. Man gab ihm, da er ja doch als Gott galt, eine Wohnung in den geweihten Räumen des Parthenons selbst, im Opisthodom, und hier führte er nun das bodenloseste Wüstlingsleben, wenn nicht in den Berichten auch athenische Phantasie redet. Auf einen ganz kleinen Aufschwung zur Unabhängigkeit hin wurden die Athener gleich wieder feige vor seinem Unwillen; die Urheber des betreffenden Vorschlages wurden teils getötet, teils flüchtig, und es erging ein Staatsbeschluß des Inhaltes: der Demos von Athen beschließe, daß alles, was Demetrios befehle, bei den Göttern für heilig und bei den Menschen für gerecht gelte.

Er ging hierauf nach dem Peloponnes und befreite mit leichter Mühe und zum Teil durch Geldzahlungen an Kassanders Besatzungen Arkadien, Argos, Sikyon, Korinth. In Argos führte er den Vorsitz an dem großen Jahresfeste der Göttin Hera und heiratete zum drittenmale und zwar eine Schwester des damals noch ganz jungen Pyrrhos (geboren um 319), welcher seines Reiches Epirus verlustig und ganz auf die eigene Tüchtigkeit angewiesen war. Von dieser Gemahlin Deidamia hatte Demetrios später den Sohn Alexandros. Auf dem Isthmos bei Korinth war eine Versammlung, »wobei viele Leute zusammenkamen«, ohne daß man von einer eigentlichen Vollmacht dieses »Synedrions« reden könnte; immerhin rief ihn dasselbe zum Anführer von Hellas aus, wie dies einst ebendort mit Philipp und Alexander geschehen war; Demetrios aber dünkte sich noch viel größer als jene beiden Randbemerkung: Hieher die Toaste aus Plutarch. Dem. 25..

Auf der Rückreise schrieb er an die Athener: er verlange bei seiner Ankunft sogleich die eleusinischen Weihen und zwar von den sogenannten kleinen Weihen zu den großen und bis zu den epoptischen, welche man sonst erst mindestens ein Jahr nach den großen bekommen konnte, und auch die großen waren durch Monate getrennt von den kleinen. Irgend ein besonderer religiöser Trost hing damals an diesen Weihen nicht mehr; aber ein richtiger Athener mußte sie mitmachen, und ein solcher wollte ja Demetrios sein. Und nun nannte man den eben laufenden Monat halb nach dem Monat der kleinen, halb nach dem der großen und gab dem Demetrios alles, was er haben wollte, samt der Epoptie; einen Widerspruch, wenn auch umsonst, wagte nur der Hauptweihepriester, der Fackelträger Pythodoros.

In jener Zeit mag auf Demetrios das Festlied gesungen worden sein, das uns noch erhalten ist Bemerkung B.'s: Wahrscheinlich aus dieser Zeit der Ithyphallicus bei Bergh, Anthol. lyr. 538. Cf. O. Müller, Geschichte der griechischen Literatur, I, 245.:

Wie doch die größten und liebsten Götter in der Stadt weilen!
Jetzt bringt uns die Festzeit zugleich die Demeter und den Demetrios;
Sie kommt, um zu begehen die erhabenen Mysterien der Kore,
Er aber ist da, fröhlich, schön und lachend, wie es dem Gotte (Dionysos) ziemt,
Seine Freunde um ihn wie die Sterne um die Sonne!
Gruß dir, Sohn des gewaltigen Poseidon und der Aphrodite!
Denn die übrigen Götter sind entweder weit fort oder haben keine Ohren,
Oder sind nicht vorhanden, oder sie kümmern sich keinen Deut um uns, dich aber sehen wir,
Nicht von Holz oder Stein, sondern wirklich, und bringen dir Verehrung.
Zuerst stifte Frieden, Teuerster, denn dazu bist du mächtig!
Züchtige nun vor allem
Die nicht über Theben, sondern über ganz Hellas mächtige Sphinx.
Auf seinem Felsgebirge sitzt der Aetolier, wie jene alte Sphinx,
Und raubt uns alles, was wir sind, und wir können uns nicht wehren;
Denn ätolisch ist, die Nachbarn zu berauben und nun auch die ferner Wohnenden.
Diesen züchtige du; wo nicht, so finde einen Oedipus,
Der entweder diese Sphinx in den Abgrund stürzt oder sie zum Fels macht.

Gleich darauf aber verlangte der Geweihte 250 Talente (gegen 1,300,000 Fr.) und trieb sie unerbittlich ein; man sagte, er habe sie unmittelbar seinen Buhlerinnen gegeben; jedenfalls aber trieb seine Lamia bei einem berüchtigten Gastmahl noch außerdem von vielen Leuten Geld ein.

Dieses Sündenleben nahm dann ein plötzliches Ende, indem der Vater seiner wieder zu Land und Meer dringend bedurfte; gegen Antigonos war die große Koalition der übrigen Könige wieder in vollem Gange. Er sagte wohl: da fliegen wieder körnerpickende Vögel zusammen, die man mit einem Steinwurf und mit Lärm verscheucht! Aber er wurde denn doch sehr nachdenklich und schweigsam und ernannte jetzt – man weiß nicht in welcher Gegend – vor versammeltem Volke den Demetrios ausdrücklich zum Nachfolger oder geradezu zum Regenten. Schlimme Vorzeichen und Träume verdüsterten diese Zeit.

Nach längern Hin- und Herzügen kam es dann, im Sommer 301, zu der entscheidenden Schlacht bei Ipsos in Phrygien. Demetrios tat wiederum Wunder der Tapferkeit; aber wiederum riß der Soldat den Feldherrn hin; er verfolgte mit der Reiterei in heftiger und ehrgeiziger Hast den Thronerben des Seleukos, Antiochos, und jagte ihn in die Flucht, konnte sich aber dann nicht mehr rechtzeitig mit dem Fußvolk vereinigen; umsonst hoffte der 81jährige Antigonos immer noch, der Sohn werde eintreffen; wie er hoffte und spähte, sank er von vielen Geschossen getroffen; die Schlacht wurde ein völliger Sieg der Verbündeten, welche die Länder des Antigonos teilten.

Demetrios flüchtete mit dem Rest seiner Truppen, mit 9000 Mann, nach dem Archipel zu und eilte namentlich durch Ephesos hindurch zu kommen, bevor etwa seine Mannschaft den Schatz des berühmten Artemistempels plündere. Es war etwas über ein halbes Jahrhundert, seit ein phokischer Klub den Tempel von Delphi besetzt und den dortigen Schatz hauptsächlich mit Bezahlung eines Söldnerheeres verschleudert hatte; auf Anführern und Mannschaft hatte fortan Fluch geruht, und alle nahmen ein schreckliches Ende, und so etwas vermied nun Demetrios um jeden Preis.

Er besaß noch immer seine Seemacht, Sidon, Tyrus, Cypern und andere Inseln, einzelne Posten im Peloponnes und, wie er glaubte, Athen, wo seine Schätze und seine dritte Gemahlin, Deidamia, geborgen waren.

Als er jedoch von Ephesos herangefahren kam, begegneten ihm bei den Cycladen athenische Gesandte mit der Eröffnung: er habe sich von der Stadt fern zu halten, indem der Demos beschlossen habe, keinen von den Königen herein zu lassen; seine Gemahlin habe man mit allen Ehren nach Megara geleitet. Er verbarg Zorn und Kummer und bat sich unter mäßigen Beschwerden nur seine Schiffe aus. Mit diesen und seiner sonstigen Flotte war er noch immer ein großer und gefährlicher Pirat und schädigte namentlich im Norden des Archipels das Gebiet des Lysimachos; bald war er wieder »unverächtlich«; die festen Punkte in Griechenland hütete ihm sein junger Schwager Pyrrhos.

Und bald darauf erfolgte wieder eine jener Wendungen, durch welche das Schicksal des Demetrios sprichwörtlich geworden ist. Der große Seleukos, Herr vom Indus bis ans Mittelmeer und bis über den größten Teil von Kleinasien, der Hauptsieger von Ipsos, fand jetzt für gut, seinen bisherigen Verbündeten Ptolemäos und Lysimachos Beschäftigung und Kummer zu verschaffen, indem er den Demetrios an sich zog. Die Welt vernahm mit dem größten Staunen, daß Stratonike, die bezaubernde Tochter des Demetrios von der Phila, die Gemahlin des Großkönigs werden solle. Bald fuhr Demetrios mit der Tochter und der ganzen Flotte aus, legte zu Anazarbos in Cilicien Beschlag auf einen annehmbaren Rest des ehemaligen Reichsschatzes (1200 Talente) und hielt dann mit Seleukos eine Zusammenkunft in dem nahen Rossos, wo man lange und auf das zutraulichste verkehrte. Auch Phila kam nach und dann noch Deidamia, welche jedoch bald starb. Während dann Seleukos mit der jungen Gemahlin – es ist dieselbe, welche er später seinem Sohne Antiochos abtrat, weil dieser in die Stiefmutter verliebt war bis zu gefährlicher Krankheit – glänzend nach Antiochien hinaufzog, durfte Demetrios Cilicien behaupten, wenigstens einstweilen, denn Seleukos wurde hierüber wieder reuig und bot ihm umsonst eine Abstandssumme.

Jetzt (297) konnte Demetrios wieder »der Athener gedenken«. Kassandros von Macedonien, welcher ihm dabei hätte hinderlich werden können, war um diese Zeit schon krank und wurde bald darauf bei lebendigem Leibe von den Würmern gefressen, weil er das Haus Alexanders ausgerottet hatte. Demetrios fuhr nun nach Griechenland, tummelte sich zunächst im Peloponnes und besetzte dann Schritt vor Schritt Attika.

Athen aber war damals, im Jahre 296, im allertiefsten Elend. Ein Demagoge, Lachares, hatte sich noch im Einvernehmen mit Kassandros zum Tyrannen aufgeworfen; er suchte seinesgleichen an Grausamkeit gegen die Menschen und Ruchlosigkeit gegen die Götter, nämlich Tempelraub. Dazu kam aber, seit Demetrios die Stadt einengte, eine Hungersnot. Damals zählte Epikur seinen Genossen täglich die Bohnen zum Essen vor. Eine ptolemäische Entsatzflotte ließ sich zwar bei Aegina sehen, verschwand aber wieder, weil die des Demetrios viel stärker war, und nun entwischte auch Lachares, und es ist nicht einmal sicher, ob das Scheusal seinen verdienten Lohn fand.

Die Athener hatten eine bekannte Manier, durch Volksbeschluß die Todesstrafe festzusetzen für jeden, der dieses oder jenes vorschlagen würde, als ob nicht die Dinge doch geschähen, wenn sie geschehen müssen. So stand auch diesmal der Tod auf jeder Erwähnung von Frieden und Sühne mit Demetrios; aber am Ende mußten sie ihm doch Gesandte schicken. Demetrios zog in Athen ein und berief das Volk ins Theater, dessen Szene tüchtig mit Mannschaft umgeben und besetzt war. Und nun kam er selber aus den obern Gängen herunter, wie die tragischen Schauspieler und redete wider alles Erwarten ohne Bitterkeit, mit leichtem und freundlichem Tadel. Er kündigte der ausgehungerten Stadt 100,000 Scheffel Getreide als Geschenk an, und als er dabei einen nicht völlig griechischen Ausdruck gebrauchte und ein naseweiser Athener ihn laut verbesserte, fügte er hinzu: für diese Verbesserung sollt ihr noch weitere 5000 Scheffel haben. Zu Beamten ernannte er solche, die dem Demos genehm waren. Im ersten Jubel wurden ihm zwei von den Hafenstädten Athens zuerkannt; er aber nahm sich noch weitere Posten, um sicher zu bleiben, wenn der Demos von neuem borstig würde, wie Plutarch sagt.

Nachdem er nun Athen hatte, sollten auch die Spartaner zu Paaren getrieben werden; er schlug den König Archidamos bei Mantinea und stürmte siegreich vorwärts im Tal des Eurotas, als ihn plötzlich die Aussicht, König von Macedonien zu werden, nach dem Norden rief. Freilich im gleichen Augenblick verlor er in der Ferne einen Posten an Lysimachos und Cypern an Ptolemäos; allein dergleichen konnte er schon mit der Zeit wiedergewinnen.

Von den Söhnen des Kassandros hatte der eine die Mutter ermordet, eine Halbschwester Alexanders des Großen, weil sie dem andern günstiger war und diesen erheben wollte; der letztere nun, Alexandros, rief nach und neben einander Pyrrhos und Demetrios zu Hilfe; Pyrrhos kam zuerst und riß Stücke von Macedonien ab, und jetzt kam auch Demetrios, als man schon andern Sinnes geworden war und seiner nicht mehr zu bedürfen glaubte. Tage und vielleicht Wochen lang reisen nun Alexandros und Demetrios und ihre Gefolge zusammen von Macedonien wieder südwärts nach Thessalien, und bei beiden und ihren Gefolgen ist heimlich der einzige Gedanke der, wer dem andern mit dem Mord zuvorkommen werde, auf der Reise oder beim Gelage.

In Larissa fiel der Entscheid (294 vor Christi Geburt); ein Wink des Demetrios an seine Doryphoren, und Alexandros wurde niedergemacht samt einigen Begleitern. Einer der letztern sagte im Sterben: »Demetrios ist uns nur um einen Tag zuvorgekommen!«

Abermals übt nun dieser seine Zauberkraft; er weiß am folgenden Morgen das Gefolge des Ermordeten nicht nur zu beruhigen, sondern auch zu seiner Anerkennung als König zu bewegen. Das Grauen vor jenem Muttermörder, ja vor dem ganzen Hause des Kassandros, durch welchen die Familie des großen Alexander untergegangen war, endlich die Erwägung, daß man wirklich keinen bessern als Demetrios vorrätig habe, dies alles entschied, daß sie ihn schon auf thessalischem Boden zum König ausriefen und dann nach Macedonien führten, wo er allgemeine Anerkennung fand. Auch hatte er einen heranwachsenden Sohn von der Phila, Tochter des Antipatros, bei sich, den Antigonos Gonatas, der als Erbe der Herrschaft gelten konnte.

Die nächstfolgenden Jahre, da er sich auf einem beschränkten Terrain bewegt, sind die am wenigsten interessanten in seinem Leben: Händel mit Lysimachos, mehrmaliges Einschreiten gegen unbotmäßige griechische Gebiete, zumal gegen das widerspenstige Theben, gegen welches er sich dann höchst milde benimmt, ein Krieg gegen die Aetolier füllen diese Zeit aus. Vor Theben, bei der zweiten Intervention, hatte der ungeduldige Herr wieder eine Helepolis mit sich, welche zwei Monate brauchte, um 1200 Fuß weit zu rutschen; aber er kam doch wenigstens zu seinem Zweck. Außer Macedonien besaß er große Stücke vom Peloponnes samt Megara und Athen und jetzt auch Thessalien und das unterworfene Böotien.

Der Krieg gegen die Aetolier (290-289) war vielleicht eine Pflicht für denjenigen, der sich als Schutzherrn von Hellas gab, zumal als einmal das große vierjährige pythische Fest von Delphi nicht konnte gehalten werden, weil jene die Engpässe besetzt hatten; allein dieser Krieg war verbunden mit Feindschaft zwischen Demetrios und seinem frühern Schwager Pyrrhos, und an diese Feindschaft hing sich dann das definitive Unglück des Demetrios.

Vielleicht trug ein persönliches Mißverhältnis dazu bei. Agathokles von Sicilien hatte dem Pyrrhos eine Tochter Lanassa zur Gemahlin gegeben und ihm dazu das eroberte Kerkyra geschenkt. Allein Lanassa konnte sich mit den andern, halbbarbarischen Gemahlinnen des Pyrrhos, päonischen und illyrischen Fürstentöchtern, nicht vertragen, wich nach Kerkyra, als wäre diese Insel ihre Mitgift, und rief dorthin den Demetrios, da sie erfahren hatte, daß dieser von allen Königen in den Ehen der verträglichste sei. Er kam, heiratete sie und gewann damit Kerkyra; bald galt er auch als Verbündeter seines entsetzlichen neuen Schwiegervaters.

Pyrrhos aber war seinerseits der Verbündete der Aetolier geworden (289) und hatte in seinen Feldzügen bereits die größern Erfolge, und als Demetrios einst das Unglück hatte zu erkranken und in Pella darniederlag, machte Pyrrhos mit seinen gemischten Rotten wenigstens für den Augenblick einen weiten Einfall in das Land seines Gegners, bis vor Edessa. Demetrios genas wieder und trieb ihn zurück. Aber mit seinen Macedoniern war eine gefährliche Veränderung vorgegangen.

Sie hatten in den letzten Jahrzehnten allerlei Herren kennen und miteinander vergleichen gelernt und sollten noch nicht am Ende sein mit ihren Erfahrungen. Zunächst aber widmeten sie dem Pyrrhos und seinem gewaltigen Dreinhauen, obschon er ihr Land verheerte, mehr und mehr ihre Bewunderung. Philipp und Alexander, zu welchen sie allmählich wie zu großen Göttern emporschauen lernten, gaben ihnen den Maßstab für ihre Kennerschaft.

König Pyrrhos von Epirus war eine Gestalt wie aus uralter Zeit, vom Typus der Heroen vor Ilion. Er brauchte sich nicht zum Gott erklären zu lassen, wie Demetrios; denn er war seiner Abstammung von Neoptolem, Achill, Peleus, Aeakos und Zeus völlig sicher und konnte zum Beispiel Milzkranke heilen durch Berührung mit der Hand. Mit den Heroen der Urzeit stimmte nicht nur zusammen, daß er etwa mitten in einer Schlacht einen homerischen Zweikampf annahm, – einen Mamertiner hieb er von oben herab in zwei Stücke –, sondern daß er gerade wie jene nicht im Besitzen und Genießen, sondern im steten Vorwärtsdringen sein Leben fand. Er will beständig seine Kräfte messen und verscherzt leicht das Verlorene, und hierin gleicht ihm auch Demetrios; aber Pyrrhos war mäßig im Leben, konnte Zorn und Leidenschaft bändigen und betete bei seinen Gelübden und Opfern zu den Göttern immer nur um Eines: um Gesundheit; denn damit fände sich für ihn Sieg, weite Herrschaft, Ruhm und Reichtum von selbst. Das höchste, was ihm bestimmt war, hatte er damals erst vor sich, daß er der erste große Hellene sein sollte, welcher Rom entdecken und von Rom als großer Hellene erkannt werden würde. Einstweilen aber ist Strategie für ihn die eigentliche Königskunst, und Pausen im Kriegführen sind ihm das unerträglichste.

Und nun glaubten die Macedonier von allen Königen nur in ihm wenigstens das Schattenbild der Kühnheit Alexanders zu erkennen; er glich auch den ersten Genossen des großen Königs im Anblick, in der raschen Bewegung, der Vehemenz, der Glut im Kampfe. Andere Könige ahmten jetzt Alexander nach im Tragen von Purpur, in Leibwachen oder auch im Schrägneigen des Halses; sie gaben, und namentlich Demetrios, Alexanders Wucht und Stolz wieder wie Schauspieler auf der Szene; Pyrrhos aber war Alexander in Waffen und Hieb.

Ihm gegenüber erschien jetzt Demetrios doppelt pompsüchtig und üppig; er trug sich in Purpur und Gold bis auf die Schuhe, für ihn wurde eine Chlamys gewirkt, auf welcher das ganze Weltsystem samt den Gestirnen gestickt zu sehen war; das Wunderwerk war noch nicht fertig bei seinem Sturz und wurde später im Schatze seiner Nachkommen gezeigt, deren doch keiner es zu tragen wagte, »obwohl es unter ihnen an dreisten Königen nicht fehlte«. Dann klagte man über seine Unzugänglichkeit; entweder gab er keine Audienz oder er zeigte sich dabei schlimm und herb. Als er einst bei einem Ausritt besserer Laune schien als sonst, liefen Leute mit Bittschriften herbei und freuten sich schon, als er alle diese in seinen Mantel nahm; aber auf der Brücke des Flusses Axios angelangt, tat er seinen Mantel auseinander und warf alle diese Skripturen ungelesen ins Wasser, ungefähr wie später Kardinal Du Bois die eingegangenen Schriften stoßweise in das Kamin zu werfen pflegte mit den Worten: »Voilà ma correspondance faite!« Auch Gesandte mußten lange warten und bekamen kaum mehr Bescheid. Alles, was man unter dem Namen »Geschäfte« begreift, war gewiß nie Sache des Demetrios gewesen; jetzt aber lebte er vollends in einem sichtbaren Mißmut. Auch seine Soldaten hatten große Ursache zu klagen, wenn es wahr ist, daß er sie schon im Feldzug gegen Theben absichtlich und auf völlig unnütze Weise aussetzte. Als ihm einmal sein Sohn Antigonos deshalb Vorstellungen machte, soll er geantwortet haben: »Bist du denn den Umgekommenen auch noch Sold und Kost schuldig?« (Es soll angedeutet werden, daß er sich seiner eigenen Soldaten, wenn er zu viele hatte, entledigte.) Allerdings setzte er auch sich selber sehr aus und hatte furchtbare Narben aufzuweisen.

Ganz im stillen soll er nun alles vorbereitet haben, um mit einem Schlage das ganze Reich seines Vaters Antigonos wieder zu erobern (288). Hoffnungen und heimliche Rüstungen dieser Art sehen ihm ganz ähnlich; nur wird es uns schwer, an die Zahlen zu glauben, welche angegeben werden; er soll nämlich 98,000 Mann zu Fuß, 12,000 Reiter und 500 Schiffe, darunter wieder von jenen ganz großen, bereit gehalten haben, und dies ist, im Hinblick auf das kleine Gebiet und die relativ geringen Mittel, doch kaum denkbar.

Jedenfalls aber genügte das, was verlautete, mochte es wahr oder nur in den Kabinetten der drei Großgebietiger ersonnen sein, um wieder fast dieselbe große Koalition gegen ihn zustande zu bringen, welche einst seinem Vater auf der Höhe seiner Macht den Untergang zugezogen hatte; Seleukos, Ptolemäos, Lysimachos und als vierter jetzt Pyrrhos, welchem die drei übrigen natürlich Macedonien versprechen mußten. Man rückte von allen Seiten in sein Gebiet ein; Ptolemäos kam mit der ägyptischen Flotte und machte ihm Hellas abtrünnig. Und nun zeigte es sich, wie sehr ihn schon die Macedonier innerlich aufgegeben haben mußten; es war bald nur die Frage, ob seine Truppen zu Lysimachos oder zu Pyrrhos überlaufen würden. Am Ende lief dann alles zu Pyrrhos über, weil er bereits die größte Macht an Ort und Stelle hatte (287); dem unglücklichen Demetrios aber sagte man ins Gesicht: er möge sich durch die Flucht retten, da die Macedonier es müde seien, um seines Wohllebens willen Krieg zu führen. Da legte er in seinem Zelt den Königsmantel ab und einen dunkeln Ueberwurf an und machte sich in der Stille fort, zunächst nach Kassandrea, dem ehemaligen Potidäa. Hier nahm seine älteste Gemahlin Phila Gift, und die Motive, welche uns gemeldet werden, waren vielleicht diejenigen, welche sie selber noch angab: sie brachte es nicht mehr über sich, den schicksalsversuchtesten aller Könige abermals als einen länderberaubten Flüchtling an ihrer Seite zu sehen; sie verzichtete auf jede Hoffnung und haßte jetzt die Fortune, besser: die Chance, die τυχη des Gemahls, weil dieselbe im Schlimmen beharrlicher sei als im Guten. Als Tochter des Antipatros, als Witwe des Krateros, als letzte vom Hause des Kassandros glaubte sie mindestens Königin von Macedonien sein zu müssen; dies wurde ihr jetzt nicht mehr gewährt, und sie starb. Pyrrhos war nun König von Macedonien, trat jedoch Teile davon an Lysimachos ab.

Demetrios aber hätte nicht der sein müssen der er war, um jetzt schon gänzlich zu verzagen. Er tauchte – Ptolemäos muß wieder abgezogen gewesen sein – in Griechenland auf als Privatmann, doch schon umgeben von einem kleinen Anhang und von Militärs, welche seine Begabung noch immer zu schätzen wußten. Zunächst ging er ohne königliche Zier von Stadt zu Stadt herum und zeigte sich sogar in Theben, erklärte aber hier auf einmal, daß er die Verfassung der Stadt herstelle und gebärdete sich damit doch wieder als König von irgend etwas.

Athen glaubte ihm noch trotzen zu können, rief dann aber im Schrecken vor ihm, als er wieder mächtiger geworden, erbärmlicherweise den Pyrrhos zu Hilfe, und als dieser nicht erschien, sandte der Demos den Philosophen Krates zu Demetrios hinaus, um ihn zu begütigen; er war ein Cyniker, der um seiner bösen Zunge willen gefürchtet und dabei kein geborener Athener, also nötigenfalls preiszugeben war.

Im damaligen Athen saßen die Philosophen bereits schulenweise, Aristoteliker, Cyniker, Epikur mit den Seinigen, Zenon der Stoiker, und andere mehr. Dies war eine Sache, wie sie in der ganzen damaligen Hellenenwelt nicht wieder so vorkam; wer sich damals mit Philosophie abgab, mußte eine Zeitlang in Athen geweilt haben. Der Staat hätte dies Treiben als einen Ruhm der Stadt können gewähren lassen; allein es mußte sich eines Tages (im Jahre 305, zwischen dem ersten und dem zweiten Besuche des Demetrios) richtig ein Antragsteller namens Sophokles finden, welcher den Volksbeschluß durchsetzte, daß kein Philosoph einer Schule vorstehen dürfe, wenn es nicht dem Rat und dem Demos gefalle; auf Uebertretung stand natürlich wieder die beliebte Todesstrafe. Da zogen alle Philosophen fort, darunter ein Theophrast, der bis auf 2000 Zuhörer gehabt haben soll, und kamen erst wieder, nachdem ein gewisser Phillion den Sophokles der Ungesetzlichkeit angeklagt und die Athener das Gesetz für unwirksam erklärt, ja den Sophokles um fünf Talente gebüßt hatten. Und nun hatte Athen seine Celebritäten wieder; denn abgesehen von einigen Komödiendichtern besaß es sonst deren keine mehr. Und von herrlichen Künstlern, die es gehabt haben kann, sind Ruhm und Werke nicht bis zu uns gedrungen.

Die Philosophen waren aber unter Umständen noch zu besondern Dingen gut, so zum Beispiel in Ermangelung achtbarer Staatsmänner zu Gesandtschaften an Diadochen, deren einige eine nicht geringe, wenn auch eine etwas unklare Idee von Philosophie hatten. Als nun der erzürnte Demetrios (287) in der Nähe von Athen erschien, sandte man ihm zur Begütigung den Krates.

Derselbe gehörte zu den Cynikern und zwar zu den echten, zu jenen heitern Pessimisten, welche auf diejenige unermeßlich größere Quote der Lebensgüter, die vom Elend und Verlust bedroht ist, verzichteten, um mit dem Rest auszukommen: mit Mäßigkeit, Gesundheit, Freiheit. Er hatte ein bedeutendes Vermögen weggegeben und sich dann erst als einen freien Menschen betrachtet; mit ihm teilte die äußerste Armut und das regelmäßige Essen, Wolfsbohnen, seine Hipparchia, die den häßlichen buckligen Menschen trotz seiner eigenen Warnung geheiratet hatte. Seine Wonne war nun die scharfe Rede über solche, welche nicht geartet waren wie er, und dies ging gewiß nicht vor sich ohne Gelächter der Anwesenden. Auch forderte er geringe Weiber mit Schimpfreden heraus, um sich an dem, was sie erwiderten, abzuhärten. Seine populäre Hauptlehre aber war die seines Meisters Diogenes: alles Elend und alle Erniedrigung hänge an den Bedürfnissen und am Wohlleben.

Gegenüber vom Staat war die Verachtung der Cyniker, und namentlich des Krates, eine unbegrenzte und ihr Ruhm die Heimatlosigkeit. Der Staat Athen aber brauchte nun ihn, der ein geborener Thebaner und in seinem jetzigen Aufenthalt kaum Metöke oder Einsaße sein mochte; vielleicht fürchteten sich Bürger, zu dem erzürnten Demetrios hinauszugehen. Ob er denselben wirklich besänftigt, überhaupt was er mit ihm verhandelt hat, mag dahingestellt bleiben; Demetrios hatte noch andere Gründe, Athen für jetzt nicht zu belagern.

Die Athener hatten also ihre Angst umsonst gehabt; Demetrios begehrte nicht mit einer Belagerung Zeit zu verlieren, sondern auf den Klang seines Namens hin Schiffe und Leute zu sammeln, welche ein Unternehmen auf die Gebiete des Lysimachos mit ihm teilen würden. Nachdem er sich, wie man glaubt, mit Pyrrhos über Griechenland irgendwie abgefunden, erscheint er mit einem kleinen Heer in Ionien, welches Lysimachos gehörte. Zunächst, in dem schönen Milet, heiratete er zum fünften Male; dort befand sich nämlich Eurydike, eine der Gemahlinnen des Ptolemäos, die mit demselben brouilliert war; ihre Tochter Ptolemais, die sie mit sich hatte, wurde die Gemahlin des Demetrios. Anfänglich hatte er nun einige Erfolge in Lydien und Karien, wurde dann aber durch Agathokles, den Sohn des Lysimachos – denselben, der später auf Anstiften seines Vaters ermordet wurde – nach Phrygien getrieben und verlor von seinen Leuten viele durch Hunger und Krankheiten; der Rest aber war äußerst mißmutig, als er glaubte, Demetrios wolle sie nach dem weitern Osten, nach Armenien und Medien führen. Auf Grund und Boden des Seleukos war er nun doch schon angelangt; indem er nach Tarsus zog und dort mit seiner Mannschaft so gut als möglich Posto faßte, entschloß er sich zu einem Briefe an Seleukos, mit welchem seine Laufbahn im Grunde abgeschlossen sein mußte.

Seleukos war längst nicht mehr sein Schwiegersohn, sondern sein Gegenschwäher; nach einer Ehe von einem Jahr hatte er die Stratonike seinem Sohn Antiochos abgetreten, weil dieser, wenn auch nicht bis zum Sterben, so doch bis zu schwerer Krankheit in die Stiefmutter verliebt gewesen war; immerhin konnte Demetrios in seinem Brief sich noch als Verwandten bezeichnen. Es folgten lange Klagen über sein Schicksal und Bitten um Mitleid mit einem, der selbst Feinden Teilnahme einflößen könnte.

Und Seleukos ließ sich wirklich rühren und wies dem verirrten König und seiner Schar reichlichen Unterhalt an. Was nun aber folgte, hat sein hohes psychologisches Interesse nur, wenn man Plutarch Wort für Wort folgen kann.

Die noble Gemütlichkeit, wie sie etwa zwischen Diadochen vorkam, der beständige Wunsch, den Demetrios zu schonen, sind echte Empfindungen in der Seele des Seleukos. Allein er hat Warner in seiner Umgebung, welche ihn an die grenzenlose Unternehmungslust, an die berühmten Glückswechsel des Demetrios erinnern, und sowie dann ein wirklicher Kampf zwischen den beiden Königen wieder losbricht, muß man den verzweifelnden fürchten und die Zugänge zu Syrien verschanzen. Ja Seleukos durfte bereits fürchten, daß seine eigenen Truppen unter den Zauber geraten möchten, der seinen Gegner noch immer umgab. Dabei macht es dem Seleukos Ehre, daß er die zudringlichen Hilfsanerbieten des verrufenen Lysimachos abwies.

Demetrios aber, je nach Wechsel seiner Stimmung und Lage, schreibt neue bewegliche Briefe: man möge ihn nicht dürftig und bloß hinausstoßen, dem Lysimachos zur Beute, oder: Seleukos möge ihm wenigstens gestatten auszuziehen auf Eroberung gegen irgend ein freies Barbarenvolk, um dort als Herrscher auszuleben. Dazwischen aber, enger und enger eingeschlossen und hervorbrechend »wie ein Tier«, bringt er dem mit mäßigen Streitkräften herbeigekommenen Seleukos mehrmals wirkliche Nachteile bei, bis eine Erkrankung seiner Herrlichkeit ein Ende machte. Seine Mannschaft, tapfere, aber offenbar nur zusammengelesene Söldner, wandten sich von ihm ab und gingen zu Seleukos über, nachdem dieser es über sich gebracht hatte, persönlich mit einer Schar derselben zu reden; er war zu Fuß, ohne Helm, bloß mit einem kleinen Schild bewaffnet, als er kam und ihnen begreiflich machte, er habe schon längst ihrer und nicht des Demetrios schonen wollen. – Demetrios mit wenigen irrt dann noch in Wäldern und Gebirgen und hofft nach dem Meere durchzubrechen; es handelte sich wenigstens um persönliche Rettung, und zunächst wallte er noch auf und zog das Schwert, wenn unter seinen Begleitern von Uebergabe die Rede war. Als ihnen aber die Lebensmittel völlig ausgingen, sandte er an Seleukos und meldete endlich seine förmliche Uebergabe an (286 oder Februar 285?).

Seleukos, in edler und freudiger Stimmung, pries nun sein Glück, das ihm erlaube, gütig und redlich zu handeln. Er ließ das Königszelt rüsten und sandte Boten, um Demetrios aus den Sorgen zu befreien, damit er mutig käme als zu einem vertrauten Verwandten. Allein nun begann in der Nähe des Seleukos selbst so viel Sympathie und so viel Gerede über die große Stellung, welche Demetrios künftig bei ihm einnehmen würde, daß jene Warner wieder zu Worte kamen und dem Großkönig die Sorge beibrachten, es möchte in seinem Lager große »Neuerungen« geben, sobald Demetrios zu sehen sein würde. Es ist möglich, daß diese Leute recht hatten. Gewiß nicht ohne Herzeleid sandte nun Seleukos einen Obersten mit 1000 Mann, welche den schon so hoffnungsreichen Demetrios umzingeln und nach dem syrischen Apamea bringen mußten. Seleukos hat ihn nie mehr gesehen. Aber er würde ihn, glaubt man, bei längerm Leben der Stratonike und dem Antiochos mitgegeben haben in die obern Lande, und den Lysimachos hat er mit äußerstem Abscheu abgewiesen, als dieser für die Tötung des Demetrios hohe Summen bot.

Apamea lag in herrlicher, damals fruchtbarer Gegend, als Halbinsel wie Bern, Freiburg, Besançon, umströmt vom Orontes. Unter den spätern Seleuciden war dort eine große Hauptgarnison, ferner die Kriegsoberrechnungskammer, das Gestüt von 30,000 Rossen und das ganze Personal der Roßzüchter, Fechtmeister und andern Leute, welche für Kriegsunterricht besoldet waren, und unter solchem Volk hätte man einen Demetrios unmöglich dürfen verkehren lassen. Aber zu Seleukos' Zeit war dort nur erst das große Elephantendepot, und auf diese 500 klugen Pachydermen, welche dort ihre Ställe hatten, übte Demetrios keine Magie aus.

Er lebte hier in sicherer Hut mit königlichem Glanze ausgestattet mitten in herrlichen Anlagen und Tierparks zur Jagd; von seinen mitgeflüchteten Genossen durfte bei ihm leben wer da wollte; von Seleukos kamen nicht selten besuchende mit tröstlichen Worten. Dem Sohne und spätem Nachfolger in Macedonien, Antigonos Gonatas, meldete Demetrios nach Griechenland, man solle, auch wenn Brief und Siegel von ihm kämen, alles ignorieren, als wäre er ein gestorbener; der Sohn habe fortan Besitz und Geschäfte zu verwalten. Antigonos trug Trauergewand und bot sich dem Seleukos als Geisel für den Vater an, und viele Städte und Dynasten verwandten sich dringend für diesen. Seit er machtlos war, erhob sich wieder das Phantasiebild des großen Abenteurers, und man gedachte wieder seiner herrlichen Eigenschaften.

Allein diese waren schon nicht mehr vorhanden. Es ist leid es zu sagen, aber Demetrios Poliorketes war inzwischen versimpelt. Nachdem er anfangs fleißig der Jagd und der Bewegung im Freien obgelegen, wurde er träger und brachte endlich seine ganze Zeit mit Wein und Würfelspiel zu. Ja er fand dann, dies sei eigentlich das Leben, das er längst ersehnt und nur aus Unverstand und leerer Ruhmsucht bis jetzt verfehlt habe unter unendlichen Beschwerden für sich und andere, nun aber endlich unerwartet vorfinde. Im dritten Jahre seines Aufenthaltes in Apamea (283) erkrankte er dann über diesem Wohlleben und starb erst 54jährig.

Seleukos fand dann doch Tadel wegen seines Verhaltens und soll bereut haben, daß er dem Mißtrauen zu viel nachgegeben.

Antigonos mit seiner Flotte reiste nun der goldenen Urne entgegen, welche die Asche seines Vaters enthielt – mit dem Scheiterhaufen war die Verklärung erfolgt – und nahm sie auf sein Admiralsschiff; alle Städte, wo er anlegte, spendeten Kränze und gaben Leute in Trauergewand mit; bei der Einfahrt gegen Korinth stand die Urne auf dem Vorderdeck, und der Purpurmantel und das Diadem lagen darüber, die weitere Zeremonie, wie sie Plutarch beschreibt, war voll Rührung und Weihe, aber verspäteter Art. Die bleibende Beisetzung der Reste des Rastlosen erfolgte in der Festung Demetrias in Thessalien, welche er einst selber erbaut und mit den Bewohnern der nächsten Ortschaften bevölkert hatte.


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