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Byzanz im X. Jahrhundert

9. November 1886.

Akademischer Vortrag, gehalten in der Aula des Museums. Manuskript im Burckhardt-Archiv, Nr. 171. Es liegen vor: die Auszüge aus Cedrenus' Συνοψις ζυνοψις und Konstantin Porphyrogennetos, de ceremoniis aulae Byzantinae; ferner ein ziemlich ausführliches Uebersichtsblatt auf 4 Folioblättern und schließlich der Vortrag selbst auf 21 Quartblättern. Der eingangs zum Teil nur skizzierte Vortrag ist aus den Uebersichtsblättern ergänzt und soviel als nötig rekonstruiert worden. Auch einzelne spätere Partien haben leichte stilistische Ergänzungen nötig gemacht.

 

Das heutige Thema ist etwas entlegen, für welches ein Interesse zu verlangen kaum angeht.

Byzantion ist der alte Name von Konstantinopel, und das danach benannte Reich ist ursprünglich die Osthälfte des großen alten römischen Weltreiches. Unter Justinian hat es nach dem Westen, nach Italien und Afrika, ausgegriffen, hat vom VII. zum IX. Jahrhundert im Osten durch den Islam eine gewaltige Verringerung erfahren und befand sich seitdem mit diesem in beständigem Kampf. Dazu kamen seine übrigen Feinde: früher die Perser und Avaren, jetzt die Bulgaren, Petschenegen, Slaven, Normanno-Russen und Ungarn, später, von den Seldschuken an, die Türken verschiedener Stämme, im Jahre 1204 die Kreuzfahrer, in demselben Jahrhundert die Mongolen.

Trotzdem hat Byzanz die Ungunst der Neuern, von Gibbon bis Dahn erfahren. Es laufen über dies Reich Wendungen und Urteile wie »Fäulnis oder richtiger noch Vertrocknung«, »das Reich habe weder zu leben noch zu sterben vermocht«; man spricht von einem angeblichen raschen Verfall, wo es doch tausend Jahre gedauert hat Cf. auch Kortüm M. A. II 506 (Geschichte des Mittelalters, Bern 1836-1837, 2 Bände).. Und byzantinisch heißt: im Staatsleben: Despotismus mit lauter Thronrevolutionen, Druck und Erpressung, Knechtssinn; in der Kirche: unauslöschlicher dogmatischer Zank und daneben bodenloser Aberglaube; im Felde: käufliche Söldner und verweichlichte Griechen; in der Kunst: knechtische Wiederholung. Ja, dies Reich leidet unter einer eigentlichen Abgunst neben einer abgeschmackten Vorliebe, die dem Islam zu Teil wird: glänzend wird jenem gegenüber die Entwicklung des abendländischen Mittelalters hervorgehoben.

Fremdartig ist uns allerdings das Byzantinische von Grund aus, und wir möchten nicht darin gelebt haben, freilich in unserm Mittelalter auch nicht, ja es wäre uns schon in der Zeit unserer Großeltern recht unbequem zu Mute. Aber in diesem Fremdartigen erkennt ein unbefangener Blick allermindestens eine große Lebenskraft, welche sich gegen alle Feinde auf das mächtigste gewehrt hat, und noch heute, nachdem ihr staatliches Gehäuse seit 400 Jahren untergegangen, als Sitte und Sprache weiterlebt, den jetzigen Osmanen das Leben schwer macht und in ihrer Umwandlung als griechische Kirche das Band zwischen Rußland und allen griechischen Gläubigen bildet. Dies Gebilde in seiner Fremdartigkeit soll uns nun sine ira et studio in Kürze, gleichviel ob mit oder ohne Billigung der abendländischen Gemütlichkeit, einigermaßen näher gebracht werden.

Es kann hie und da Schauder wie Lächeln erregen, aber es ist in seinen Lebenszügen beachtenswert. Und das Abendland wird ihm einigen ganz soliden Dank schuldig sein, auch abgesehen davon, daß Konstantinopel uns einen so wichtigen Teil der antiken Schriftwelt gerettet hat.

Das byzantinische Staatswesen war so völlig despotisch, daß wir uns schwer denken können, wie nur das Leben noch einen Wert gehabt habe. Im VI. Jahrhundert hatte Justinian eine »Staatsidee« verwirklicht, neben welcher die des alten großen Römerreiches lauter Gelindigkeit und mildes Gehenlassen vorstellt.

Nach innen wurde das Reich aufs schärfste heimgesucht, bis zu Entvölkerung, zu allgemeinem Elend und Umgestaltung oder Ausrottung der höhern Stände.

Nach außen betrieb Justinian die tunlichste Wiedereroberung des Occidents, die instauratio imperii Romani. Und Byzanz hat dann wirklich Nord-Afrika 130 Jahre lang besessen. Und wenn es Italien wieder an die Langobarden verlor, so hat es doch Teile davon noch sehr lange behauptet.

Freilich in dem furchtbaren VII. Jahrhundert, gleichzeitig mit heftigen kirchlichen Händeln, gingen Syrien, Mesopotamien, auch ein Teil von Kleinasien und ganz Nordafrika an den Islam verloren; zweimal wurde Konstantinopel selbst jahrelang durch mohammedanische Flotten und Armeen bedroht, während zugleich eine slavische Völkerwanderung bis in den Peloponnes drang. Aber immer wieder erhob sich das Reich und stellte sich nach Kräften her; es muß also sein Leben noch der äußersten Verteidigung wert gehalten haben.

Im VIII. Jahrhundert erschwerten sich gerade die tüchtigsten Kaiser die Regierung unermeßlich durch den Kampf gegen die Bilderverehrung. Es lag darin nicht nur eine religiöse, sondern eine absolute Geschmackstyrannei Randbemerkung: Das darf man freilich kaum sagen, daß die Religionen mit der Zeit eine enge Verbindung mit dem Geschmack eingehen und Geschmackssache werden.. Allerdings wandelte sich dieser Kampf in einen kaum noch verhüllten Angriff auf die allzugroße Macht und Unabhängigkeit der Kirche als solcher; bezeichnend ist hiefür, daß so viele Generale dieses Sinnes waren, deren willenlose Truppen Randbemerkung B.'s: Die »Soldatesca« (Ranke). sich zu jedem Druck, jeder Exekution gegen die Bilderfreunde brauchen ließen. Aber schon im VIII. Jahrhundert hatte eine furchtbar kluge Kaiserin-Regentin nachgegeben, und nach Erneuerung des Kampfes im IX. Jahrhundert wurde nochmals und vollständig nachgegeben und fortan das Jahresfest der Orthodoxia, das heißt der Herstellung der Bilder, gefeiert. Es ist merkwürdig, daß hiemit auf lange Zeit der dogmatische Hader überhaupt erlosch. Es ist eine Erquickung, vom X. Jahrhundert zu reden, welches der dogmatischen Händel ledig ist. Staat und Kultur waren mit ihrer Religion wieder eins.

Der Status des Reichsumfanges war um das Jahr 900 schon stark erschüttert. In Kleinasien war die Ostgrenze wechselnd. Die großen Inseln: Cypern, Kreta und Sizilien waren verloren, Unteritalien streitig. Mohammedanische Piraten überfielen oft den Archipel bis an den Hellespont. Der Balkan und der Pontus wurden immer wieder bedroht, von den Bulgaren, Petschenegen, Slaven, Türken-Ungarn, Normanno-Russen. Und die Serben und Kroaten waren höchstens nominell abhängig.

Das Volk im illyrischen Dreieck und in Kleinasien war, wie ja seine Kaiser auch, von der buntesten Herkunft, war stellenweise gewiß dünn gesät, aber durch das Griechische verbunden, welches zum Teil erst von der Kirchensprache zur Volkssprache geworden sein mag. Das Reich lebte von einer mehrmaligen Transfusion fremden Blutes, bei beständiger Amalgamierung durch die Kirche und deren griechische Sprache Bemerkung B.'s: Schon hieher: unsere Unwissenheit über das Leben in den Provinzen, namentlich in Städten wie Thessalonich, Nicäa, Philadelphia, Ephesos..

Alle überlieferte Aufzeichnung handelt nur von Kirche, Herrschaft und Krieg, und das Zentrum aller dieser Dinge ist Konstantinopel.

Vorerst sei die Rede vom Herrschertum und von der Bestellung des Thrones.

Der Orient ist seit den alten sogenannten Weltmonarchien die Heimat großer, völlig absolutistisch organisierter Staatsgebilde. Die allgemeine Voraussetzung für sie ist die Erblichkeit. Die Dynastien sterben aus oder werden durch neue Hebungen beseitigt.

Nun war seit dem VII. Jahrhundert ein gewaltiges Reich emporgekommen als Machtgestalt einer neuen Religion: Das mohammedanische Khalifat, welches ja binnen zwei Jahrhunderten dem byzantinischen Reich mehr als die Hälfte seines Besitzes raubte.

Nach den vier ersten Khalifen, die noch als wirkliche Nachfolger des Propheten, zum Teil schon unter heftigem Streit, erhoben worden, folgte eine neunzigjährige Dynastie, die Omaijaden von Damaskus. Ihr Reich erstreckte sich von der marokkanischen und portugiesischen Küste bis an den Himalaya. Die Khalifen waren zum Teil furchtbare Menschen, aber mit ihnen war auch der Höhepunkt überschritten, und mit den Abbassiden von Bagdad, 750-1258, beginnt sogleich der Abfall entfernterer Provinzen, und das ganze Jahrhundert des höchsten abbassidischen Scheinpompes hindurch (750-850) geht die Bildung von Nebenreichen ihren Gang, welche dem Khalifen höchstens noch zum Scheine huldigen und sein wirkliches Machtgebiet auf ein Minimum beschränken; dabei werden die Abbassiden mehr und mehr unfähig und leben in beständiger tödlicher Bedrohung durch ihre Leibwachen; einige Sicherung kam für sie erst, als sie 936 die weltliche Gewalt an eine jener Nebendynastien abgaben und nur noch geistliche Herren blieben. Inzwischen stiegen neue mohammedanische Reiche, sogar ein neues Khalifat, wie Blasen in einem siedenden Kessel, auf. Für die christlichen Lande waren auch diese Teilfürsten noch höchst furchtbare Feinde.

Anders in Byzanz, obwohl einiges dem Islam ähnlich scheint! Aber der Khalif oder dann der Sultan besitzen ihr Land und Volk, während hier das Reich den Kaiser besitzen will. Zunächst versteht sich aber auch hier der Absolutismus von selbst, und von irgend einem politischen Gegengewicht oder Gegenrecht ist nie die Rede gewesen; die Nation hat weder ein Recht noch auch Organe dafür, oder nur Scheinorgane wie den Senat. Was der Kaiser verordnet, ist wohlgetan, und Nikephoros I. ließ 809 durch eine Synode beschließen, der Kaiser sei über dem Gesetz. Allein der tiefste Grund des Herrscherrechtes ist hier ein anderer als im mohammedanischen Orient, wovon später zu reden sein wird. Ein Gedanke an Republik ist vollends nie in einem byzantinischen Kopf vorhanden gewesen. Nie will man die Verfassung ändern, wohl aber die Personen.

Den mohammedanischen Staaten glich das Reich auch durch gänzliche Abwesenheit eines Adels, der einen Stand im Staate gebildet und die Macht mit dem Herrscher geteilt hätte durch erbliche Ausübung der wichtigen Funktionen. Es gab keine Aristokratie, nur persönliche Hof- und Staatswürden. Aber es gab doch wenigstens vornehme Familien in Konstantinopel, wie wir sie in der Nähe mohammedanischer Throne nirgends finden, mit größerm erblichen Besitz, wie zum Beispiel damals die Ducas, Argyrer, Phocas, und wir treffen sie tatsächlich hie und da in hohen Aemtern, als fähige Anführer im Feldlager, ja als Usurpatoren des Thrones mit oder ohne Erfolg. Freilich haben sie nicht das mindeste Vorrecht auf irgend eine Machtübung. Der höchste Rang, Magistros, Patrikios und andere sind nur eine vom Kaiser dem einzelnen erwiesene Gnade. Und der von Konstantin dem Großen eingerichtete Senat war nur zur Dekoration da, um bei Prozessionen und Festen zu figurieren. Immerhin wäre der Senat in den islamitischen Staaten undenkbar. Wirklich befragt hat man ihn aber nur in Augenblicken der äußersten Schwäche, wenn der Palast eine andere Instanz zu Zeugen anzurufen hatte oder die Verantwortlichkeit mit jemand zu teilen begehrte.

Der Senat wird herbeigerufen, um nach dem Tode eines Kaisers den Kassenbestand zu konstatieren, des vollen oder leeren Schatzes, je nach den Umständen; er weint am Sterbebette eines Kaisers; er wird von Kaiserinnen in gefährlichen Augenblicken um Rat gefragt; zu bedenklichen Verhandlungen mit Barbaren werden ein paar Senatoren mit hinausbeordert; bei mißlungenen Verschwörungen werden die ganz unbeteiligten Senatoren tödlich bedroht und die gelungene Usurpation müssen sie sanktionieren helfen.

Die Verwaltung war der mohammedanischen ähnlich, ja sie hatte derselben sogar anfangs als Vorbild gedient. Der militärische Kommandant eines Landesteils Anmerkung B.'s: στρατηγος στρατηλατης. hatte zugleich die Zivil- und Finanzverwaltung, das heißt er war ein Pascha und mußte es sein, da das Reich fast beständig in gewaltsamem Zustande, nämlich in Verteidigung begriffen war.

Die Beamten, zum Teil sehr gebildete Spezialisten, mußte man in moralischer Beziehung nehmen wie sie waren; eine öffentliche Meinung, vor welcher sie hätten Scheu empfinden können, gab es nicht, und heute hilft ja in sehr großen und freien Staaten alle Presse nichts gegen Diebe, Streber und Spekulanten. Den guten Willen für Ordnung und Rechtlichkeit haben mehrere Kaiser an den Tag gelegt, und Basilius Macedo wandte alle kriegsfreie Zeit darauf.

Die Finanzen waren in der Regel wohl geordnet und die meisten Kaiser vorsichtige Haushalter; neben ihnen stand der Schatzmeister, welcher den Haß auf sich zu nehmen hatte. Bei Kalamitäten, besonders Erdbeben und Pest, half der kaiserliche Fiskus oft sehr reichlich, auch in den Provinzen. Konstantin Porphyrogennetos förderte außer den Wissenschaften auch die Gewerbe und brachte sie in hohen Flor. Das allgemeine Vorurteil von byzantinischer »Aussaugung und Verödung« trifft nicht zu. Dies Reich hat unter anderm keine Staatsschulden hinterlassen, das heißt: es hat nicht unter Vorwand von »Fortschritt« die Habe der Zukunft vorweggefressen. Es ist wahr, daß die Regierung in hohem Grade, wenn auch nicht absolut, das Getreidewesen, und für Konstantinopel den Getreidepreis in den Händen hatte, indem die Provinzen zum Teil in Naturalien steuerten, während zugleich der Kornverkauf die einzig mögliche Art der Besteuerung bei Unzähligen wird gewesen sein; aber mutwillig ist dieses Verhältnis wohl nie behandelt worden.

Diese Hauptstadt mit ihrer in jeder Beziehung einzigen Lage, ein Kampfobjekt vielleicht noch für ferne Zeiten, – denn sie ist Regina Orientis, – war damals das Asyl aller Mittel der Herrschaft, alles Könnens und Wissens, uneinnehmbar für Slaven, Avaren, Perser, omaijadische Khalifen, Bulgaren und Russen, sturmfrei, weil sie es sein wollte. Zugleich war sie das beständige, nie ausgehende Steuerobjekt, wie Paris es lange Zeit für die französischen Könige war, und endlich war sie der größte Tauschplatz der occidentalischen, orientalischen und nordischen Waaren Bemerkung B.'s: Cf. Cedrenus p. 490, wie die Spekulanten unter Leo Philosophus den Bulgarenmarkt nach Thessalonich verlegten..

Eng war sie gebaut, besaß wenige freie Plätze. Konstantin hatte schnell und nachlässig gebaut, und Justinian mußte sogar dessen Grabkirche, die Apostelkirche, vom Boden auf neu bauen. In der Gegend des jetzigen alten Serail stand der Kaiserpalast, ein Aggregat aus den Zeiten verschiedener Regierungen, in der Nähe des Hippodroms und der Sophienkirche.

Es lebte ein Pöbel dort, und es gab Kaiser, welche das schlimmste Pöbeltum beförderten, wie zum Beispiel Konstantin Kopronymos, als er bei seinem Triumphzug die gefangen mitgeführten Bulgaren dem Volk überließ, welches sie marterte und vor dem goldenen Tor schlachtete. Dieser nämliche Kaiser hat auch die durch Erdbeben und Pest heruntergekommene Stadt nach Kräften neu bevölkert; »er verdichtete sie«. In Zeiten des Religionsstreites war dieses Stadtvolk vollends unberechenbar; als aber einmal das Parteiwesen des Hippodroms und der Bilderstreit vorüber waren, gab es überhaupt keinen Aufstand mehr, welcher vom Volke ausgegangen wäre, sondern nur noch aufrührerische Teilnahme für Usurpatoren; diese aber konnten Retter des Reiches sein.

Diese Stadt hatte den absoluten Willen der Gegenwehr gegen die äußeren Feinde; von ihr aus ist mehr als einmal das sonst größtenteils verlorene Reich wieder erobert worden. Denn das Kriegswesen dieses Staates bestand nicht, wie in Handbüchern zu lesen ist, aus »feilen Söldnern und verweichlichten Griechen«. Wohl hatte man zu Kriegszeiten Geworbene von verschiedenen Nationen und sogar Religionen. Es gab ganze Regimenter von eingestellten Ueberwundenen und Ueberläufern, aber in weit größerer Zahl Ausgehobene, ja Ausgewählte, επιλεχτοι, aus der Bevölkerung Randbemerkung: Später, zur Zeit der Komnenen, hatten die Geworbenen etwa das Uebergewicht.. Das Wort für Regierungsbezirk, Thema, bedeutet zugleich Aushebungsbezirk, ja das ausgehobene Regiment selber. Dabei war die Mäßigkeit und Zähigkeit der Bevölkerung der Balkanhalbinsel und Kleinasiens eine wichtige Vorbedingung zu den heldenmütigen Leistungen so mancher byzantinischer Armeen, zumal gegen die furchtbaren Heere des Islam. Ein Gesandter Ottos des Großen bekam aus dem Munde des gewaltigen Kriegers Nikephoros Phokas eine Kritik der deutschen Streitmacht zu hören, welche uns indirekt lehrt, auf was man in Byzanz zu sehen pflegte: »Die Milites deines Herrn verstehen nicht zu reiten; eine Schlachtordnung des Fußvolkes anzuordnen geht über euer Vermögen; die großen Schilde, die schweren Rüstungen, die langen Schwerter, das Gewicht der Helme stört jedes rechte Dreinfahren; dazu euer unendlicher Appetit und euer Trinken; auch Schiffe habt ihr ja nur wenige«. Während eben die ottonische Heeresmacht ein halb freiwilliges Gefolge war, diente in der byzantinischen alles der kriegerischen Zweckmäßigkeit. Man mußte dieser Armee vieles, auch bedenkliche Greuel, durchgehen lassen, zum Beispiel Menschenraub auf eigenem, wenn auch unteritalischem Reichsgebiet, und wenn sie zeitweise in Konstantinopel stationierte, wurde sie zu kaiserlichen Bauten verwendet, nur damit ihr keine meuterischen Gedanken kämen; aber Feldherrn wie die beiden Phokas (Nikephoros und Leon) behandelten ihre Soldaten wie eigene Söhne, und es kam vor, daß Heer und Flotte ihre Trauer um einen Anführer, der einem kaiserlichen Verdacht zum Opfer gefallen, deutlich an den Tag legten. Ausgezeichnete Krieger und Offiziere waren einer Ehrenbezeigung sicher, wahrscheinlich vor der Front. Fähige Feldherrn, auch unter schwachen und mißtrauischen Regenten, haben mit diesen Truppen oft das Erstaunliche geleistet, während ihnen bei irgend einem Mißerfolg mindestens die Verbannung bevorstand. Ihr Verhalten gegen Feinde, welche meist sehr grausame Barbaren waren, muß man nicht nach abendländischen Grundsätzen beurteilen; mitgeführte saracenische Gefangene hat man in Masse enthaupten lassen, bloß weil sie der ohnehin beutereichen Armee zur Last waren; gefangene Renegaten wurden etwa lebendig geschunden. Es gab solche, welche bei den Saracenen Kommandos hatten, wie Leon von Attalia Randbemerkung: Ueber den renegierten Themel cf. Cedrenus p. 525.. Als einst Ruderer zu desertieren begannen, brachte ihnen Basilius Macedo einen heilsamen Schrecken bei, indem er scheinbar dreißig von den Schuldigen pfählen ließ; in Wirklichkeit aber waren es gefangene Saracenen, die man unkenntlich gemacht hatte.

Neben der kriegerischen Praxis besaß man in Byzanz auch das größte militärische Wissen jener Zeit, sowohl was Taktik und Strategie, als was die Wehrmittel betraf. Unter den letztern ist neben den Kriegsmaschinen besonders das griechische Feuer bekannt, welches geschleudert wurde und außer seiner Unlöschbarkeit auch noch eine explosive Kraft gehabt haben soll; der Besitz desselben galt als eine himmlische Gnade, und das Geheimnis der Bereitung scheint unenthüllt geblieben zu sein.

Solche Kräfte waren es, mit welchen tapfere und einsichtige Kaiser und Feldherrn das durch den ersten Anprall des Islams so stark geschmälerte und erschütterte Reich verteidigten und zeitweise wieder ausdehnten. Und dieses Reich lebte nicht nur für sich selber, sondern unbewußt deckte es auch Europa die Jahrhunderte hindurch, während welcher der vielgeteilte Occident mit seinen so schwach und eigenwillig organisierten Staaten, vor und nach den kräftigern Carolingern, zur eigenen Rettung nicht immer befähigt gewesen wäre.

In diesem Reiche ging nun das Imperium, die Kaisermacht, oft auf die unerwartetste Weise von einer Hand in die andere. Wir werden bald sehen, wie bedingt die Erblichkeit der Krone war. Als ein Kaiser des IX. Jahrhunderts, Michael der Stammler, sich bei Lebzeiten von männiglich die Nachfolge der Seinigen mit Unterschrift zusichern ließ, fand man dies absurd: »Er meinte auch die Zeit nach ihm zu binden, statt alles Gott anheim zu stellen«. Und doch folgten wenigstens auf diesen Sohn und Enkel.

Allein mit dieser Hinweisung auf göttliche Fügung war es den Byzantinern nicht recht Ernst; tief im Grunde ihres Bewußtseins lauerte neben vielem andern Aberglauben auch der von einem Kaiserfatum, ganz wie zur Zeit des römischen Altertums. Von dieser sonderbaren Macht im byzantinischen Leben muß man sich vor allem ein Bild machen können. Daß vorsichtige Leute von den Vorzeichen und Weissagungen in christlichen Phrasen zu reden pflegten, darf über den völlig heidnischen Charakter derselben nicht täuschen.

Wer aus gewöhnlichem Stande herauf den Kaiserthron bestiegen hat, muß schon in früher Jugend von Prodigien umgeben gewesen sein, oder es werden ihm solche angedichtet; über dem Bauernkind Basilius Macedo schwebt in der Ernte ein Adler und läßt sich nicht wegtreiben. In Betreff der eigentlichen Voraussicht wechselt der Ausdruck in den Berichten: fromme Geistliche zum Beispiel haben die Gnadengabe ( χαριομα) des Voraussehens; es sind jene göttlichen Männer, welche um ihrer Reinheit willen zukunftskundig sind, wie Leo Philosophos sagte. Andere dagegen, Weltliche sowohl als sehr vornehme Geistliche, sind Sterndeuter, und ihre Astrologie wird sich von der damals im höchsten Schwange gehenden mohammedanischen kaum viel unterschieden haben. Man konsultierte abwechselnd Heilige, Wahrsager, auch Juden, als μαντεις, Sterndeuter, und auch Dämonen. Ebenso verschmäht man den antiken Beckenzauber nicht. Es war eine der trübsten Beschäftigungen der Kaiser, sich Gedanken zu machen über den vermutlichen oder geweissagten Nachfolger, welcher den Sohn und die ganze Familie verdrängen werde. Und es ist vorgekommen, daß einer sich deshalb sehr leicht zur Abdankung bequemte, Michael Rhangabe. Kaiser Theophilos offenbarte seiner Gemahlin Theodora das Zeichen, σημειον, welches an dem Verdränger seines Hauses sichtbar sein müsse; mit Entsetzen bemerkte sie es an dem künftigen Kaiser Basilius Macedo. Kaiser Leo Armenus wußte, daß Michael der Stammler auf ihn folgen werde; denn dieser war dem Leo schon bei dessen Einzug einst auf den Rand des Mantels getreten; er hielt ihn deshalb in scharfer Haft und trug beständig die Schlüssel der Ketten bei sich, mit welchen Michael gefesselt war; dennoch unterlag er einem Komplott, welches diesen erhob und ihn – noch in den Fesseln – auf den Thron führte Bemerkung B.'s: Die Zumutung Constantins VIII. an Romanos Argyros.. Wenn man ermessen will, wie stark bisweilen der Glaube der Leute an die Thronaussichten eines noch Unbekannten wirken konnte, muß man die Geldmittel erwägen, die einem solchen zu Gebote gestellt wurden: eine reich begüterte Dame in der Gegend von Patras, die Danielis, vernahm, daß der Oberpriester des berühmten Andreas-Heiligtums den jungen Basilius mit dem Zeremoniell eines künftigen Kaisers behandelt hatte und zwar ohne daß dieser es inne wurde; sie schenkte nun dem Basilius solche Summen, daß er Ländereien in Macedonien kaufen und seine Umgebung ausstatten konnte; die einzige Gegenbedingung war, daß derselbe ihren Sohn Johannes zum geistlichen Bruder annahm. Später, als Kaiser, empfing er zweimal ihren Besuch in Konstantinopel, und sie kam nicht, ohne beträchtliche abermalige Summen als Geschenk mitzubringen.

Außerdem aber gab es die sogenannten ορασεις, angebliche Visionen des Daniel, Bücher, welche teils mit Abbildungen, teils mit Schrift die Zukunft des Reiches enthüllten, wie solche auch im persischen Sassanidenreich und bei den Mohammedanern vorhanden waren. Man fand darin verzeichnet, wie lange jeder Kaiser lebe, und welches die guten und schlimmen Ereignisse seiner Regierung sein würden. Leo Armenus, derselbe, welcher seinen geweissagten Nachfolger Michael den Stammler gefangen hielt, wußte doch schon aus einem solchen Buche seine eigene Todesart und die Woche seines Todes voraus; ein Löwe mit einem Schwert im Halse war abgebildet zwischen zwei Chiffern, welche Weihnacht und Epiphanie bedeuteten. Ein Buch, welches man einem sizilischen Bischof zuschrieb, beschäftigte sich sogar mit dem Schicksal der Ottonen.

Vieles von diesen Dingen mag auch nur der Phantasie der Leute von Konstantinopel angehören, welche Jahr aus, Jahr ein mit dem Palast beschäftigt und außerdem mit Superstitionen antiker, auch slavischer Herkunft völlig angefüllt war. Viele Prachtbauten und Kunstwerke von Konstantinopel hatten irgend eine magische Bedeutung für die Zukunft. Auf Antrag eines sogenannten Astronomen ließ Kaiser Romanos Lakapenos von einem Pfeiler über dem Gewölbe des Xerolophon den obern Aufsatz wegnehmen, und zu derselben Stunde starb in weiter Ferne der Quäler des Reiches, König Simeon der Bulgare, an einer Herzkrankheit; jener Aufsatz war auf ihn »gemünzt« gewesen ( εστοιχειωσθαι).

Treten wir nun dem byzantinischen Throne etwas näher und lernen wir die Umstände kennen, unter welchen hier Herrschaft geübt und erstrebt wurde.

Der allgemeine Regulator der Dinge ist die Gefahr; der Kaiser ist vor allem der Gerant der allgemeinen Verteidigung gegen Barbaren und Mohammedaner; kein Vorwand zur Usurpation ist so wirksam als Nachteile im Felde, mögen sie vom Kaiser in Person oder von seinen Generalen erlitten worden sein.

Und dieses Reich will beisammen bleiben. Es ging hier ganz anders zu, als in dem stückweise verschleuderten Reiche Karls des Großen. In keinem byzantinischen Kopf, wenigstens des I. Jahrtausends, ist der Gedanke gekommen an Abtrennung von Provinzen und Stiftung von Nebenreichen; kein Feldherr noch Statthalter macht irgend eine byzantinische Provinz dauernd abtrünnig. Von den zahllosen Usurpatoren der Macht will keiner nur ein Stück; ihre Berechtigung kann sogar nur darin liegen, daß sie auf ihre Manier das Ganze als solches retten wollen. Endlich war dieses Reich völlig frei von der wahrhaft kindischen Erbteilung, welche mehrere Reiche des Abendlandes stets von neuem zur Schwäche verurteilte, sowie von dem Aufkommenlassen erblicher Provinzialhäupter als großer Lehnsträger.

Das Reich hat mehrere Dynastien gehabt, darunter eine langdauernde, die macedonische; allein wir werden bald sehen, unter was für befremdlichen Nebenherrschern.

Für alles was nun folgt, sind wir angewiesen auf Geschichtsschreiber, welche wohl im ganzen für wahrheitsliebend gelten mögen, immerhin aber für das, was im Innern des Palastes und im Innern der Menschen vorging, mannigfach abhängig gewesen sein müssen von derjenigen Auffassung der Tatsachen, wie sie sich in der Stadt wird wohl oder übel gebildet haben. Am genauesten werden sie berichtet gewesen sein vom äußern Hergang der Ermordungen, vielleicht schon weniger von der jedesmaligen Quelle des Komplottes; unsicher bleiben alle Vergiftungssagen.

Das Volk von Konstantinopel war im ganzen für Beibehaltung einer einmal vorhandenen Dynastie und freute sich, wenn ein Usurpator Randbemerkung: Cedrenus 552. wenigstens die Prinzessin aus einer solchen heiratete; der letzten, keineswegs respektabeln Kaiserin vom macedonischen Hause rief es noch zu: Mutter! Mutter! Dasselbe Volk freute sich auch, wenn einer aus unterm Stande emporkam Randbemerkung B.'s: Cf. Excerpt aus Ranke über Basilios Macedo..

Allein die Lage des Reiches war längst diese, daß man dringend der Fähigen bedurfte. Es hat wohl hilflose junge oder unbefähigte Erbkaiser gegeben, aber rasch tritt ein Fähiger oder einer, der dafür gilt, als Nebenkaiser auf, und von jener Reihe zitternder Haremsitzer, wie die Abbassiden des sinkenden IX. Jahrhunderts waren, ist hier nicht die Rede. Den Byzantinern war das Nebenkaisertum eigen; so ward der Mord der Legitimen vermieden. Dieser Thron hat ein einziges entschiedenes Scheusal getragen, den Phokas; denn Justinian II. ist durch Irrsinn zu entschuldigen; und einen einzigen tollen Genüßling und Zirkuswagenfahrer, Michael den Trunkenbold, und auch dieser war wenigstens später offenbar verrückt. Fürsten wie Nero, Domitian, Commodus, Caracalla, Elagabal hat es hier nie gegeben. Denn auch das Furchtbarste, was Justinian I. verfügt hat, war Folge eines kaltblütigen Systems und einer aparten Auffassung seines Herrschertums.

Allerdings gewährt die byzantinische Geschichte weit die allergrößte Auswahl von halbregulären und völlig unregelmäßigen Thronfolgen und daneben noch von zahllosen Usurpationsversuchen, Verschwörungen jeder irgend denkbaren Art, samt den betreffenden Gassenkrawallen. Was dabei zu Stande kam, wurde etwa nachträglich durch den sogenannten Senat legalisiert und durch die Krönung des Patriarchen geheiligt; aber entscheidend war jedesmal die Gewalt, mochte sie mehr vom Palast oder von Teilen der Armee oder von der Hilfe der Bevölkerung Konstantinopels ausgehen. Eine Behörde zu Bestellung des Thrones gab es nicht. Im günstigen Fall ersieht sich etwa ein kinderloses Kaiserpaar einen tüchtigen General zum Nachfolger, oder ein Kaiser, der nur eine Tochter hat, befördert einen solchen zum Schwiegersohn und Nachfolger. Gegen Phokas aber riefen bedrohte Angesehene, selbst aus seinem eigenen Hause, einen fähigen Kommandanten aus Afrika auf den Thron: Heraklius, den Retter des bereits an Perser und Avaren so viel wie verlorenen Reiches.

Aber auf der Erblichkeit des Thrones ist in diesem Reiche niemals auf längere Zeit Segen gewesen; kaum folgt hie und da auf einen Vater, der eine Dynastie beginnt, ein tüchtiger Sohn, wie zum Beispiel auf Michael den Stammler Theophilos, auf Leo Isaurus Konstantin Kopronymos; die Söhne des kräftigen Basilius Macedo taugten alle nicht viel; höchstens daß etwa in einer spätem Generation wieder einige Kraft zum Vorschein kommt; die einzige glänzende Ausnahme, erst im II. Jahrtausend, ist das Haus der Komnenen.

Sodann kommen innerhalb mehrerer Kaiserfamilien selbst schreckliche Usurpationen mit Mord oder Verstümmlung vor. Verstümmlung ist Unschädlichmachung mit Vermeidung des Mordes. So schon im Hause des Heraklius: Da vergiftet eine Stiefmutter den ältesten Sohn und wird später mit abgeschnittener Zunge exiliert; ein Kaiser tötet seinen Bruder; der Nachfolger dieses Kaisers schneidet zwei Brüdern die Nasen ab; endlich der letzte des Hauses, Justinian II., noch im vollen Besitze der Macht, wird, besonders weil seine Heere im Feld Unglück hatten, durch eine Empörung der Gefängnisse gestürzt. Die Befreiten stellen sich dann an die Spitze der Volksmenge. Mit abgeschnittener Nase wird er nach Cherson verbannt. Später mit bulgarischer Hilfe zurückgekehrt, thront er im Hippodrom mit den Füßen auf den Nacken seiner beiden Nachfolger, deren einer vom andern gestürzt worden war. Nach sechs Jahren folgt dann ein Aufstand und seine Ermordung. Aus dem isaurischen Hause ist der furchtbare Kampf zwischen Mutter und Sohn bekannt, wobei sich Basilius Macedo elend gegen seinen Sohn Leo einnehmen läßt.

Die Macht wird im Orient um ihretwillen erworben und ausgeübt; auch auf bloßen Verdacht hin wird das Familiengefühl völlig suspendiert und das Schrecklichste geschieht als etwas selbstverständliches.

Am ehesten ist dies noch zu entschuldigen bei Gefährdung der Dynastie durch einen Unfähigen, der beseitigt, gestürzt oder getötet oder durch ein Nebenkaisertum ungefährlich gemacht wird.

Bardas, der Mutterbruder des Michael Temulentos (Trunkenbold), hat offenbar geschwankt, ob er den Neffen durch Feldzüge aufrütteln oder selber nach der Krone greifen solle Randbemerkung: Das ganze Kapitel Bardas und Michael Temulentus ist exceptionell durch die offenbare Verrücktheit des Kaisers..

Ueberhaupt kommen auf und neben diesem Thron Leute vor, welche politisch ruchlose Frevler und dabei auf alle Weise reichsnützlich sind. Herrschertum und Kraft bleiben im ganzen vereint: nicht zum wenigsten dank der Bauernkräfte und der Barbaren auf diesem Thron. Der Thron hat mehrere Usurpatoren erst recht fähig gemacht, und die Usurpation hat hier größere Chancen der Begabung als das Erbe. Unvernünftige, talentlose Herrschsucht treibt am ehesten einzelne Kaiserinnen, wie Martina und Irene; dagegen konnten sich die Usurpatoren fast sämtlich verantworten durch die Notwendigkeit einer andern Regierung als die bisherige; es gibt kaum einen ganz frivolen Menschen darunter.

Einige Usurpatoren wie rechtmäßige Kaiser waren schon physisch sehr ausgezeichnet: Basilius Macedo, ein mächtiger Ringer, Roßbändiger, Wolfstöter; Manuel Komnenos führte einen goldenen Schild, welchen selbst Raimon, der Herkules von Antiochien, nicht zu regieren vermochte.

Das Zugreifen des Thronstrebers, sobald einmal sein Entschluß gefaßt ist, läßt sich sehr gut bei Basilius Macedo verfolgen. Er hat den Bardas, den relativ fähigen Oheim des Michael mindestens in seiner und des Kaisers Michael Temulentos Gegenwart niederhauen und hierauf sich zum Sohn adoptieren lassen, dann den gefährlichen, verrückt gewordenen Kaiser einige Zeit hernach des Nachts im Palast von S. Mamas im Verein mit einigen Hofleuten getötet. Es ist ein Hergang etwa wie bei Paul I. von Rußland. Zu des Basilius Erhebung halfen dann mit die Mitmörder, der Senat, die Garde, das Heer und das Stadtvolk. Und es wurde eine ausgezeichnete Regierung, und alle Feinde des Reiches bekamen sie zu spüren.

Er krönte drei Söhne zu Mitkaisern, was auch sonst ein Versuch war, Dynastien zu festigen. Aber sein ältester, bereits im Kriege brauchbarer Sohn Konstantin starb vor ihm; der Abt des Euchaïtenklosters Santabarenos, ein Gauner und Intrigant, zauberte dem Vater im Walde die Gestalt des Sohnes zu Pferde vor, und der Vater konnte ihn umarmen. Aber der zweite Sohn und nunmehrige Nachfolger, Leo VI. Philosophos, der den Betrüger durchschaute, wurde von diesem beim Vater, wegen Mordabsicht auf der Jagd, verdächtigt, eingekerkert und erst nach einiger Zeit restituiert, doch vollständig, sodaß Basilius sich muß offen als getäuscht bekannt haben Bemerkung B.'s: Solches Bekenntnis kommt den Despotismus gar nicht so bitter an und findet sich im Islam. Bei Saadi (Rosengarten) sagt ein König zu seinem Wesir, den er eingekerkert und neu erhoben: Verzeih mir, ich habe gefehlt und dich unschuldig gepeinigt! – worauf der Wesir: Nicht deine Schuld, der Ratschluß Gottes, des Seelenlenkenden war es.. Basilius Macedo ist 886 gestorben.

Leo VI. (886-911) war gelehrt, ein Taktiker in der Theorie, schrieb auch Juristisches und Reden, unter andern zu Ehren von Heiligen, verfaßte auch Sendschreiben an Gläubige und an Saracenen, aber als Herrscher war er zerfahren und abhängig. Für den Vater seiner zweiten Gemahlin, Zauzas, erfand er die Würde eines Kaiservaters Randbemerkung: Cf. Timesitheus bei Gordian III. und die Ababeke der seldschukischen Sultane von Mosul.. Unter ihm wurde die Karriere eines Kammerherrn Samonas möglich, eines ehemaligen Mohammedaners, der sich seinen alten Glauben fast offen vorbehielt, den Hof mit den schändlichsten Intriguen füllte und tüchtigen Feldherrn verderblich, während er offenbar dem Leo unentbehrlich wurde. Leo traute auch seinem allerdings elenden Bruder Alexander das Schlimmste zu, überließ ihm aber im Sterben, im Jahre 911, doch das Reich mit der Bedingung, dasselbe seinem Sohne Konstantin Porphyrogennetos zu bewahren. Leo hatte im Sterben sein Kaiserpathos wiedergefunden; er hatte den um sich versammelten Senat an sein Wohlwollen erinnert und ihn um Treue für Gattin und Sohn gebeten; der Senat weinte und klagte in untröstlicher Trauer, weil er eines solchen Herrn und Kaisers beraubt werde Bemerkung B.'s: Cf. die Sterberede Theophili 842 an die große Versammlung in der Magnaura: »ich gehe nun und weiß nicht, in welches Leben, ich empfehle euch Gattin und Sohn.« Auch damals weinte und klagte alles..

Alexanders (911-912) nur einjährige Regierung ist die eines besinnungslosen und ruchlosen Menschen, abhängig von den Zauberern, kaum abgehalten von der Verstümmelung des Neffen zu Gunsten eines Vergnügungsgenossen.

912 folgt dann der siebenjährige Neffe Konstantin Porphyrogennetos unter Vormundschaft einiger Hofleute und bald auch seiner Mutter Zoe Karbonopsine. Sie war von Alexander verbannt gewesen, auf das Andringen des Sohnes aber wieder hergeholt worden.

Sofort hieß es, die Herrschaft, das heißt das Reich, sei hauptlos und könnte den größten Gefahren erliegen, womit sicher die Gefahren des Reiches, äußere und innere gemeint sind. Der Mönch Cedrenus dagegen urteilt nach seiner eigenen Meinung: »Das öffentliche Wesen war furchtbar krank, weil so viele und vornehme Leute fieberhaft nach der Krone strebten«.

In der Tat machte sofort Konstantin Ducas einen entsprechenden Versuch. Er war Gardeoberst, stammte aus einer im Krieg ausgezeichneten Familie und hatte eine bedeutende geheime Partei für sich, die ihn für den einzig Geeigneten mit Aussicht auf allgemeinen Anklang hielt. Aber im Straßenkampf fiel er vor der Chalke, und sein Anhang wurde teils getötet, teils sonst bestraft.

Nun erschienen die Bulgaren mit Kaiser Simeon vor der Stadt auf der ganzen Landseite; daß nun die Vormünder sich dazu entschlossen, den kaiserlichen Knaben zu einer Zusammenkunft mit Gastmahl in den Blachernen herzugeben, während es sich doch nur um einen momentanen Abkauf des Simeon handeln konnte, zeugt von erbärmlicher Ratlosigkeit. Simeon kam wenigstens der Form nach zu Gaste in die Stadt.

Um hierauf den Bulgaren das ganze Heer entgegensenden zu können, schloß Zoe einen Frieden mit den Saracenen, dem Khalifat; aber der Oberfeldherr im Bulgarenkrieg, Leo Phokas und der Admiral der Pontusflotte, Romanos Lakapenos, hatten die Augen offenbar mehr auf den Thron als auf die Feinde gewandt, und nun entschied der Erzieher des Kaisers, Theodoros, hinter dem Rücken der Zoe, da Romanos Lakapenos dem macedonischen Hause etwas näher bekannt war, daß dieser zum »Hüter« des Kaisers gewonnen würde; der versprach mit hohen Eiden, nie selber nach der Krone zu streben und diesen Eid brach er dann. Mit einem leidlich unblutigen Staatsstreich wurde alles entschieden und Leo Phokas ging auf's Land nach Cappadocien.

Wäre nun Romanos Lakapenos, Mitherrscher in den Jahren 919-944, wirklich »der fähige« gewesen, dessen das Reich bedurfte, so hätte Byzanz den ganzen Hergang samt allem Eidbruch leicht über sich ergehen lassen Randbemerkung: Dies ist die Ausnahme; man hatte ihn für fähig gehalten, und er war es nicht, sondern allenfalls ein Phraseur.. Allein er war nur machtgierig, und seine sechsundzwanzigjährige Regierung wäre eine der geringsten, wenn nicht einige tüchtige Generale hie und da etwas geleistet hätten.

Auf die schnödeste Weise erzwang Romanos Lakapenos von dem hilflosen Knaben eins nach dem andern: Die Verlobung mit seiner Tochter Helena, die sich später eines solchen Vaters ganz würdig erwies, die Ernennung zum Kaiservater, die Entfernung der Zoe und des Theodoros; dann machte er sich, angeblich mit Einwilligung des Konstantin Porphyrogennetos, zum Caesar und dann zum Kaiser, wozu ihn Konstantin eigenhändig krönen mußte.

Das Folgende geschah alles mit Gewalt und unter heimlichem Jammer des Knaben: Die Erhebung der eigenen Söhne zu Mitkaisern: Christophoros, Stephanos, Konstantin, sodaß es eine Zeitlang fünf Kaiser gab; in der Rangordnung kam der echte Kaiser zuerst nach Romanos Lakapenos, dann sogar nach dessen ältestem Sohn Christophoros und endlich ganz ans Ende zu stehen, wobei Romanos behauptete, nur auf diese Weise seien die Komplotte niederzuhalten. Den vierten eigenen Sohn Theophylaktos designierte er zum Patriarchen noch als derselbe ein Knabe war, sodaß wenigstens anzunehmen ist, daß er damals dessen künftige Untauglichkeit noch nicht vorausgesehen.

Als Simeon abermals vor der Stadt lag, kam jetzt Romanos Lakapenos mit ihm zusammen, – derselbe Kaiser, welcher in einer Bankettrede vor Offizieren so enthusiastisch vom Kampf fürs Vaterland zu sprechen wußte –, aber diesmal unter weit elendern Bedingungen als einige Jahre früher der junge Konstantin Porphyrogennetos, nämlich unter dem vollen Hohn der Bulgaren, welche während dessen fortfuhren zu sengen und zu brennen. Die Zusammenkunft fand an einer Uferstelle des Goldenen Hornes statt, wo der Kaiser so viel als in ihrer Gewalt war; und nun jammerte er vor Simeon und führte dem Barbaren zu Gemüte, er sei doch auch ein Christ und einer ewigen Vergeltung gewärtig. »Da schämte sich Simeon selber dieser Demütigung des Kaisers« Randbemerkung: Cedrenus. und ließ sich wieder abkaufen. Und als Simeon bald darauf (927) starb, konnte sein Sohn Petros die Vermählung mit einer Enkelin des Romanos Lakapenos ertrotzen in einem Augenblick, da die Bulgaren durch Türken, Serben und Kroaten bedrängt waren; Petros hatte eben richtig gerechnet, gerade jetzt müsse man gegen Byzanz rücken, bevor dasselbe sich den übrigen Feinden anschließe.

Es versteht sich von selbst, daß gegen eine so kümmerliche Regierung die Empörungsversuche nicht ausblieben; schon dem eigenen ältesten Sohn und Mitkaiser Christophoros war nicht zu trauen; indessen starb dieser bald. Was aber in der Geschichte aller Usurpationen unerhört sein mochte, geschah jetzt: Daß sich nämlich jemand nicht etwa für einen verstorbenen Kaiser oder Prinzen ausgab, sondern für jenen Gardeoberst Konstantin Ducas, der einst 912 seinen Usurpationsversuch mit dem Leben bezahlt hatte. Es war ein gewisser Basilius, welcher in Kleinasien große Scharen an sich zog und die Städte in Verwirrung setzte. Einmal eingefangen, wurde er zum Verlust der einen Hand verurteilt; allein wieder frei geworden, setzte er sich eine eherne Hand an wie Götz von Berlichingen eine eiserne und erneuerte seinen Aufstand. Diesmal durch ein kaiserliches Heer geschlagen und wiederum beigebracht, wurde er im sogenannten Amastrianon lebendig verbrannt.

Sonst ist die Hauptstelle der politischen Hinrichtungen das halbrunde Ende des berühmten Hippodroms von Konstantinopel. Doch wird man im ganzen die Tötungen vermieden haben. Aber die Verstümmelungen, womit die Betreffenden unschädlich werden sollten, waren häufig so schlimm als der Tod Randbemerkung: Reiche Auswahl in den Autoren..

Im Schatten des Palastes saß in die Ecke gedrängt der rechtmäßige Kaiser Konstantin Porphyrogennetos. In den Jahrzehnten seiner Abhängigkeit hatte er sich wenigstens eine vielseitige Bildung erworben. Die Zeiten des Bilderstreites hatten in die byzantinische Wissenschaft eine weite Bresche gelegt, aber nach dem Tode des letzten Bilderverfolgers Theophilos (842) hatte der mütterliche Oheim und aufgedrängte Mitherrscher seines Sohnes Michael des Trunkenbolds, Bardas, im Kaiserpalast selbst eine wissenschaftliche Anstalt eingerichtet und die Forschung zum Wiederaufleben gebracht. Ein halbes Jahrhundert später studierte dann Porphyrogennetos nicht nur selber Arithmetik, Musik, Astronomie, Geometrie und die »über alle hervorragende« Philosophie, sondern er bestellte für jede Wissenschaft die besten und angesehensten Männer zu Lehrern.

Er selber war ein fleißiger Autor, und seine Werke über die Provinzen und über die Reichsregierung enthalten eine Fülle wichtiger Tatsachen für die Zustände von Ost-Europa und Kleinasien bis ins X. Jahrhundert. Sein persönlichstes Interesse jedoch redet zu uns in seinem umfangreichsten Buche: von den Zeremonien des byzantinischen Hofes. Er mag dasselbe in seiner Zurücksetzung begonnen und als wirklicher Herrscher fortgeführt haben; einiges ist offenbar erst nach seinem Tode hinzugefügt worden.

Zeremoniell und Etikette haben für die Mächtigen dieser Erde ihren Sinn; es handelt sich darum, Unberufene bei allem öffentlichen Auftreten zurückzuhalten, den Effekt zu steigern, indem jedem Beteiligten Stelle, Tracht und Auftreten vorgeschrieben wird, und endlich auf die Massen jenen Eindruck zu machen, als wäre der Hof über das gewöhnliche Dasein erhaben. In Byzanz aber war der Hof das Eins und Alles, und selbst einem Kaiser darf man es hier nicht zu sehr verdenken, wenn er das Zeremoniell als etwas Wichtiges behandelt, obgleich ein Hofmarschall oder Zeremonienmeister zu solcher Autorschaft auch genügt hätte. Was aber an diesem Buche zu tadeln ist, das ist der kleinliche Geist, welcher diese Dinge innerlich wichtig nimmt und ganz besonders das massenhafte Ersinnen und Ausbilden der Zeremonien. Es ist nämlich psychologisch kaum denkbar, daß alle diese endlosen Aufzüge und Feste hätten so vor sich gehen, daß alle diese Vorschriften durch eine so große Zahl von Teilnehmenden hätten richtig memoriert und ausgeübt werden können; was wir vor uns haben, ist offenbar großenteils nur Ideal und Wunsch eines höchst zeremoniensüchtigen Kaisers, der zu dem Ueberlieferten sehr vieles hinzutut.

Bei jedem größern Fest ist der ganze Hof und ein guter Teil der Staatsbeamten und des Militärs in Szene, von den Patricii, Proconsules und Senatoren bis zu den geringsten Vorläufern und Wegmachern. Auch die beiden jetzt politisch völlig harmlos gewordenen Parteien des Circus, die Grünen und die Blauen, stehen aufmarschiert mit ihren Orgeln Randbemerkung: Offenbar riesige Leierkasten, cf. die Pipin geschenkte Orgel?; denn dieses volltönende Instrument hatte in Konstantinopel seine eigentliche Heimat, und bei einem Feste stand sogar vor dem Palast die goldene Kaiserorgel, das sogenannte πρωτοφαυμα. Die sehr zahlreichen kaiserlichen Kirchgänge bewegten sich nicht bloß vom Palast nach der nahen Aja Sofia, sondern öfter durch einen großen Teil der Stadt, mit einem Dutzend Pausen, wo wieder besondere Zeremonien vorgingen. Die Akklamationen des Volkes überließ man nicht dem Zufall; besonders aufgestellte Rufer ( χραχται) hatten bestimmte Formeln zu rufen und das Volk ihnen wieder in bestimmten Formeln zu antworten. Es galt als schicklich, daß der Herrscher sich während aller Pausen niedersetzte; dies war ein Privilegium der Majestät. Bei einem bestimmten Kirchgang war vorgeschrieben, daß der Kaiser die Fußbekleidung wechsle; in diesem Moment bildete das Geleit einen dichten Kreis um ihn, damit er nicht gesehen werde. Bei der Krönung der Kaiserin bestand das Damenpersonal, in Ermangelung eines adlichen weiblichen Konstantinopels, eines Geburtsadels, aus lauter Beamtenfrauen, welche mit den Titeln ihrer Männer aufgeführt werden: die Frau Consulin, Hauptmännin, Schreiberin, Schiffslieutenantin und so weiter. Ganz besonders imposant waren die Einzüge der aus dem Kriege heimkehrenden Kaiser, wobei man doch bemerkt, daß die letztern es jeder nach seinem Belieben hielten, wie sich zum Beispiel Kaiser Theophilos einst die Kinder der Stadt entgegensenden ließ, mit Blumenkränzen. Anderes sind Feste innerhalb des Palastes und seiner Gärten, wie die beinahe gemütliche kaiserliche Weinlese und das an die Stelle der alten Saturnalien geratene Brumalienfest, welches ein engherziger Kaiser abschaffte und ein anderer wieder einführte. Oefter war große Galatafel, namentlich im Saal der neunzehn Tische, und es galt laut ausdrücklicher Aussage als eine höchste vorhandene Auszeichnung, wenn man dort des Vorsitzes gewürdigt wurde. Beim Kaiserbegräbnis gab es ein ergreifendes Ritual: der Praepositus rief der Leiche zu: »Schreite hinaus, Kaiser! Dich ruft der König der Könige und Herr der Herrn! Lege die Krone von deinem Haupt!« – und zugleich nahm er der Leiche die Krone ab und legte ihr eine einfache Purpurbinde an. Das allgemeine Kaisermausoleum war die Apostelkirche, der Bau Konstantins des Großen, dessen Grab dort das verehrteste war.

Den allerhöchsten Pomp entwickelte der Hof beim Empfang fremder Gesandten, und um zu blenden, vermied man es sogar nicht, Ketten mit Lampen, Draperien, Teppiche, Kandelaber und anderes aus Kirchen und ähnlichen Anstalten zu entlehnen, ja sogar Prachtsachen aus Gold, Silber und Email von Geldwechslern. Der Ort des Empfanges war die Magnaura, ein Prachtbau, welcher an den Palast stieß. Hier saß der Kaiser auf dem salomonischen Throne mit den goldenen Löwen, welche zum Brüllen und zum Schlagen mit dem Schweif eingerichtet waren; andere Tiere waren so konstruiert, daß sie sich aufrichten und niedersetzen konnten; vor dem Thron stand ein goldener Baum mit einer Menge goldener Vögel auf den Zweigen, welche in verschiedenen Tönen sangen.

Diese Spielereien, »zu Verblüffung der Völker geschaffen«, hatten ein uraltes Vorbild an der goldenen Platane im Achämenidenpalast zu Susa und noch jetzt enthielt auch der Khalifenpalast von Bagdad einen Baum von Gold und Silber mit beweglichen Zweigen, auf welchem goldene und silberne Vögel sangen. Die Frage ist nur, ob im Palast von Konstantinopel Tiere und Baum, welche erweislich Theophilos hatte aus Gold machen lassen, nicht inzwischen – es scheint durch Michael den Trunkenbold – waren in Geld verwandelt und durch vergoldetes Erz ersetzt worden. So wenigstens fand ein Gesandter des Königs Berengar II. von Italien diese Dinge vor; beim Hereinführen der Gesandten sangen die Vögel, und die Löwen brüllten noch und schlugen mit den Schweifen, allein sie waren nicht mehr von Gold. Kaiser Konstantin Porphyrogennetos jedoch, welchem der Gesandte aufzuwarten hatte, besaß ein Mittel des majestätischen Erscheinens, wie es wohl sonst an keinem Hofe der Welt gebräuchlich gewesen ist, und von welchem er in seinem Buche noch schweigt: während der Audienz saß er zuerst nur wenig über dem Boden erhaben und dann plötzlich in verändertem Habit hoch oben gegen die Decke des Saales hin, mit Hilfe einer geheimen Mechanik, welche einem Elevator oder Lift muß entsprochen haben. Später, laut Benjamin von Tudela, ließ Manuel Komnenos im Blachernenpalast eine Krone mit den kostbarsten, selbst bei Nacht leuchtenden Edelsteinen so über seinem Thron aufhängen, daß sie genau auf seinen Scheitel kam, wenn er sich setzte.

Kehren wir noch einmal zu seinem Buche zurück, um wenigstens noch etwas vom Kriegszeremoniell zu vernehmen. Er selber ist zwar, wie es scheint, nie im Felde gewesen; doch verzeichnet er für Züge in Kleinasien genau die Stationen des kaiserlichen Hauptquartiers, die Aufwartungsstellen der Beamten und Kommandanten und ganz besonders umständlich das auf Saumtieren gehende kaiserliche Gepäck. Wir lassen Geschirr, Garderobe, Apotheke und anderes auf sich beruhen und sehen nur auf die Feldbibliothek. Aufzeichnungen dieses Inhaltes, aus welchen sich ganze Denkweisen erraten lassen, darf man nicht übersehen; bei Napoleon zum Beispiel ist für uns unschätzbar das Verzeichnis der Bücher, welche er auf den Zug nach Aegypten mitnahm: Ossian, Werthers Leiden, das alte und neue Testament, der Koran, der Veda, Mythologie und Montesquieu, die letztern fünf Namen unter der Rubrik »Politique«; denn um Erbauung war es ihm ja bei den Religionsbüchern nicht zu tun.

Anders die kaiserliche Feldbibliothek laut Porphyrogennetos: zunächst ein geistliches Ritualienbuch, dann strategische Schriften verschiedener Art; von Historikern unter andern Polyaen; dann aber ein Traumbuch und zwar wahrscheinlich das sehr umständliche des Heiden Artemidor, ein Buch, welches die Vorbedeutungen derjenigen Menschen oder Tiere enthielt, welche einem begegneten; endlich mehrere Schriften über die Witterung, wobei man in Zweifel bleibt, ob dieselbe meteorologisch oder im Sinne des Aberglaubens erörtert war. Den Beschluß macht ein Buch über das, was bei der Schiffahrt zu beobachten ist.

Endlich lernen wir noch den Gruß des Kaisers an Heeresscharen kennen: »Wir treffen euch gut! Wie geht's, meine Kinder? wie geht's euern Weibern, die meine Schwiegertöchter sind? und euern Kindern?« und so weiter. Die Truppe hatte zu antworten: »im Leben (und Glanze?) deiner Herrschaft sind wir, deine Knechte, wohl auf!«

Vielleicht aber während der zurückgesetzte Kaiser noch an diesem Buche schrieb, traf er ganz im stillen, mit Hilfe eines längst vertrauten Gardeoffiziers Basilios tückische Vorkehrungen zum Sturze des aufgedrungenen Mitkaisers Romanos Lakapenos und der Familie desselben.

Romanos, in Gewissensnöten, hatte dem Sohne des Porphyrogennetos und seiner Tochter Helena, dem künftigen Kaiser Romanos II., wenigstens eine fürstliche Ehe verschafft, mit Bertha, der Tochter des Usurpators Hugo von Italien, als wollte er doch das Reich auf diesen Enkel bringen; von geistlicher Seite war er gewarnt, gegen seine eigenen Söhne Stephanos und Konstantin kein allzu nachsichtiger Eli zu sein.

Da gewann jener Gardeoffizier zunächst (944) den Stephanos zum Sturze des Vaters, der auf eine Insel geschickt wurde, und im folgenden Jahr, unter Mitwirken der vornehmsten Generale ließ Porphyrogennetos dann auch die beiden Schwäger bei einem Dejeuner an seinem kaiserlichen Tische plötzlich packen und in verschiedene Exile schleppen, und dies sogar auf Antrieb seiner Gemahlin Helena, der Schwester beider. Den jüngsten Bruder, den unwürdigen Patriarchen Theophylaktos, welcher seine Zeit mit Wohlleben und Pferdesport hinbrachte, ließ man in seinem Amte. Dann krönte Porphyrogennetos seinen Sohn Romanos II. zum Mitkaiser, und Theophylakt trug kein Bedenken, dabei zu pontifizieren. Die Opfer und mehrere sonstige Angehörige des Lakapenos wurden sämtlich zu Klerikern geschoren. Schwer zu erraten ist, weshalb Porphyrogennetos seinem früh von Bertha verwitweten Sohn eine zweite Gemahlin von geringer Herkunft, ja von einer Familie von Krämern gab, die später so übel berüchtigte Theophano. Freilich zeigte sich der nun zu voller Herrschaft gediehene Porphyrogennetos, abgesehen von seinen Verdiensten um die Wissenschaft, als ein kümmerlicher Regent, und wenn nicht die großen Generale der Familie Phokas für ihn glänzende Saracenensiege erfochten hätten, würde er schwerlich noch vierzehn Jahre, bis 959, weiterregiert haben. Es fand sich, daß er gerne trank, das Leichte dem Schweren vorzog, bei Bestrafungen mitleidslos war, und die Stellen, selbst die wichtigsten, äußerst leichtfertig besetzte, wobei sich seine Gemahlin Helena und jener nun hoch beförderte Gardeoffizier, der sein Helfer bei den Staatsstreichen gewesen, von den Ernannten bezahlt zu machen pflegten. Zugleich machte sich auch der Patriarch Theophylaktos eine ähnliche Einnahme von den durch ihn ernannten Geistlichen und Bischöfen. Allein das Ende des Porphyrogennetos erregt dann doch Mitleid; sein Sohn und Mitkaiser Romanos II., derselbe, welchem er das Buch von der Reichsverwaltung zugeeignet, »ungeduldig, daß der Vater noch regiere«, ließ ihn vergiften, und Theophano war Mitwisserin. Einige Tage vor seinem Tode, abends, flogen Steine von oben in seine Wohnräume, mit großem Sausen und gewaltigem Lärm; als er dann Wächter aufstellen ließ, war kein Täter zu finden; denn, sagt unsere Quelle, die Sache ging nicht von Menschen aus, sondern von einer höhern Gewalt. Wir aber müssen leider vermuten, daß der entmenschte Thronfolger noch einen Hohn zum Verbrechen habe fügen lassen.

Romanos II. (959-963) war liederlich und von seiner nächsten Umgebung abhängig, die ihm ähnlich war; der eigentliche Regent war ein Kammerherr Joseph Bringas. Es fehlte nicht an Verschwörungen; unter andern wollte jener Gardeoffizier, der Helfer seines Vaters, sich auf den Thron schwingen, wurde aber entdeckt und starb im Wahnsinn. Die Mutter Helena wollte der Kaiser aus dem Palaste entfernen; da ließ sie solche Verwünschungen hören, daß er sich davor entsetzte. Die Schwester dagegen zwang er Nonne zu werden unter äußerstem Widerstreben derselben. Die Mutter starb aus Gram hierüber.

Während dessen aber erkämpften die gewaltigen Brüder Phokas neue Siege für das Reich. Der ältere, Nikephoros, ist der Eroberer von Kreta, wo seit einem Jahrhundert eine ursprünglich aus Spanien gekommene, dann von andern Seiten her verstärkte mohammedanische Piratenrotte regiert hatte. Der andere, Leon, schlug den Emir von Aleppo bis zur Zernichtung und öffnete Syrien wieder der byzantinischen Herrschaft. Der Autor, welcher die Großtaten erzählt, ist freilich im Stande, daneben zu melden, daß damals in Konstantinopel ein Kunstreiter die größte Bewunderung erregte, indem er auf einem durch den Hippodrom jagenden Pferde stehend mit einem Schwert die schwierigsten Gebärden machte. Und Kaiser Romanos II. berief den Bezwinger von Kreta ab, weil eine Sage ging, wer die Insel bezwänge, werde Kaiser werden.

Allein mitten in diesen Dingen starb 15. März 963 Romanos erst vierundzwanzigjährig an den Folgen seines Wandels bei schwächlicher Konstitution; man sagte auch in Folge von Gift. Und nun ließ Theophano, Regentin für die hinterlassenen Kinder, den Nikephoros Phokas nach Konstantinopel kommen und im Hippodrom Triumph halten, vielleicht weil sie in ihm schon den künftigen Gemahl erkannte. Zugleich ließ sie den auf Lesbos im Exil lebenden Stephanos, Sohn des Romanos Lakapenos, aus der Welt schaffen. Es ist kaum zu bezweifeln, daß Nikephoros damals die Fäden spann zu einer baldigen Usurpation; bei längerm Leben des Romanos II. hätte er wohl bis auf weiteres sich ruhig verhalten, während jetzt, gegenüber einer Kaiserin-Witwe mit zwei Söhnen und zwei Töchtern im frühesten Kindesalter, er sich schlechterdings nur fragen konnte, welcher General sich des Thrones und der mehr oder weniger freundlichen und loyalen Obhut über diese Familie bemächtigen werde. Die Avancen der Theophano wollte Nikephoros, wie es scheint, gar nicht bemerken; nicht als Teilnehmerin einer Abrede, sondern erst in Folge von mächtigen Ereignissen sollte sie die seinige werden. Auf die Stimmung des Volkes von Konstantinopel konnte ein großer siegreicher General immer rechnen. Einstweilen fuhr er fort in einer längst begonnenen Komödie: er trug unter seinen Waffen ein härenes Gewand und aß kein Fleisch; überall wurde herumgesagt: der große Feldherr, seit ihm sein einziger Sohn beim Lanzenspiel verunglückt war, sehne sich längst nach dem Eintritt ins Kloster, und bei seiner Unterredung mit dem Kammerherrn Bringas beteuerte er, er würde schon längst Mönch geworden sein, wenn ihn nicht die Hingebung an die Kaiser Konstantin Porphyrogennetos und Romanos im Dienst festgehalten hätte.

Sowie er dann wieder bei der Armee in Kleinasien war, bereute Bringas, daß er dies Wild wieder aus dem Netze gelassen und schrieb heimlich an zwei andere namhafte Generale des anatolischen Heeres, Johannes Tzimiskes und Romanos Kurkuas, sie möchten gegen hohe Beförderungen und Belohnungen den Nikephoros aus dem Wege räumen; statt dessen zeigten sie diesem die Briefe und ließen ihm, heißt es, die Wahl, entweder seinen Staatsstreich zu machen, oder sogleich von ihrer Hand zu sterben. Und nun wurde vor größern, zu Caesarea vereinigten Heeresmassen Nikephoros zum Kaiser ausgerufen.

Der unvermeidliche Aufstand, welcher auf diese Nachricht in Konstantinopel ausbrach, war einer von den gefährlichen, indem der wildeste Pöbel drei Tage lang Raub und Demolition übte ohne Unterschied der Parteien, bis endlich Nikephoros Phokas durch die goldene Pforte einzog, wo ihm die ganze Stadt begegnete mit Lichtern und Räucherwerk und lautem Zuruf Umstände in einer Interpolation von Konstantin Porphyrogennetos, de caerim. I, 96.. In Aja Sofia wurde er sofort auf dem Ambon durch den Patriarchen Polyeuktos gekrönt.

Theophano wurde zunächst aus dem Palast in ein anderes kaiserliches Gebäude gebracht und Bringas in ein fernes Exil. Erst nach einigen Wochen warf Nikephoros die Maske ab, vermählte sich mit Theophano und gab seinen Kasteiungen den Abschied, lebte aber dann doch spartanisch einfach bis an sein Ende (963-969). Seine nunmehrigen Stiefkinder Basilius II. (der spätere Bulgarentöter) und Konstantin VIII. galten als seine Mitkaiser, und den Basilius hatte schon sein Vater Romanos II. krönen lassen; allein sie wurden gewöhnt, dem neuen Stiefvater bei allen Zeremonien ehrfurchtsvoll die erste Stelle zu gönnen und auf niedrigen Sesseln etwas rückwärts Platz zu nehmen.

In Betreff der Persönlichkeit, des Hoflebens und der diplomatischen Verhandlungsweise des Nikephoros besitzen wir die bekannte Karikatur von der Feder des Bischofs Liutprand von Cremona, welcher im fünften Regierungsjahre des Nikephoros als Gesandter Ottos des Großen in Konstantinopel erschienen war. Der tapfere Saracenensieger wird geschildert als ein in jeder Beziehung odiöser Zwerg, und recht komisch liest sich zum Beispiel die Beschreibung einer jener Prozessionen, um welche sich einst Konstantin Porphyrogennetos so viele Mühe gemacht hatte; das ganze vornehme Gefolge trug weite und schäbige Tuniken, die schon die Großväter nicht neu getragen hatten. Freilich der Gesandte war auch auf alle Weise mißhandelt worden und hatte den enormen Dünkel von Byzanz gegen die ganze übrige Welt reichlich zu kosten bekommen. Aber in seinem Bericht macht er selbst mit seinem giftigen Schelten und mit seiner handgreiflichen Unfähigkeit zu jeder diplomatischen Verhandlung einen noch viel komischern Effekt als Nikephoros und die Byzantiner, ja uns will scheinen, als bekomme auch Otto der Große sein Teil mit. Die bekannte Streitfrage, ob Otto überhaupt wohl getan, nach langer Unterbrechung wieder die deutsche Herrschaft über Italien zu erstreben, mag unberührt bleiben; jedenfalls waren seine Geschäfte in Unteritalien von der zweifelhaftesten Art; er hatte die Langobardenfürsten von Capua und Benevent den Byzantinern abwendig gemacht und in seine Pflicht genommen und drohte auch den byzantinischen Besitz in Apulien und Calabrien zu nehmen in einer Zeit, da in jenen Gegenden jeder Waffengang, der nicht gegen die stets von neuem eindringenden Mohammedaner gerichtet war, sündlich und frevelhaft heißen mußte. Und während er solches einem Fürsten und Feldherrn wie Nikephoros bot, meinte er zugleich, dieser werde ihm die Verlobung seines jungen Stieftöchterchens, welches nach der Mutter Theophano hieß, mit seinem Sohne Otto II. gestatten, ja etwa die unteritalischen Gebiete als deren Mitgift drein gehen lassen. Hier ist die Frage erlaubt: wußte man denn in der Nähe Ottos des Großen nichts von dieser macedonischen Familie, mit welcher man sich doch nur deshalb alliieren wollte, weil sie für vornehmer galt als irgend eine im Abendland? nichts von Romanos II., dem Vergifter seines Vaters? nichts von Herkunft und Tun und Treiben der Theophano, seiner Gemahlin und Witwe? Als der von seinem Herrn so übel exponierte Liutprand kaum lebendig wieder nach dem Abendlande zurückkam, erhob sich erst recht der Krieg in Unteritalien und nicht zu Ottos Vorteil, und bekanntlich wurde erst unter der folgenden Regierung die jüngere Theophano an Otto für seinen Sohn verabfolgt, unter Bedingung gänzlichen Verzichtes auf alles byzantinische Gebiet in Unteritalien. Die deutsche Geschichte bezeugt der Gemahlin Ottos II., daß sie dann als Regentin völlig im Interesse des deutschen Reiches gehandelt habe, aber welche traurige und fremdartige Figur macht dann ihr Sohn Otto III., mit welchem der direkte Stamm Ottos des Großen ausging! In seiner Hingebung an Pomp und Zeremonien ist er das leibhaftige Abbild seines Urgroßvaters Konstantin Porphyrogennetos.

Nikephoros aber, welches auch sein Aussehen und wie düster und stürmisch seine Art gewesen sein möge, bleibt eine unvergeßliche Gestalt in der Weltgeschichte, und es hat seinen Grund, daß von ihm umständlicher die Rede ist, als von einer Reihe von Kaisern vor und nach ihm. Zwar enthält eine unserer Hauptquellen eine förmliche Anklageschrift gegen ihn; aber jeder einzelne Punkt derselben kann je nach der Sympathie des Lesers zu seinem Lobe gewendet oder doch wenigstens irgendwie gerechtfertigt werden. Sobald man sieht, daß er um jeden Preis dem Reiche nach allen Seiten Luft machen und dessen kriegerische Kräfte und Erfolge auf das höchste steigern wollte, begreift man zunächst die finanzielle Härte seiner Regierung und die geringe Rücksicht auf die Klagen der öffentlichen Meinung, zumal derjenigen der Hauptstadt. Unter Berufung auf das Kriegsbedürfnis verringerte er eine Art von Honorar der Senatoren, kassierte die Pensionen frommer Vorgänger an einzelne Kirchen und Klöster, verbot der Kirche die weitere Bereicherung durch Grundstücke, nahm den Bischöfen eine beträchtliche Quote ihrer Einnahmen und ließ keinen mehr wählen ohne sein Gutachten; ja die neuernannten heißen geradezu Leute des Kaisers. Mit dem Werte der Münzen machte er freilich Künste, wie sie in keinem Jahrhundert, in keinem Reiche zu loben sind, und den Soldaten soll anfangs in Konstantinopel viel übler Mutwille gegen die Einwohner nachgesehen worden sein. Den Schlüssel zu seiner ganzen Denkweise aber gibt ein neues Dogma, dessen förmliche Annahme er dem Klerus zumuten wollte; gegenüber dem bisherigen byzantinischen Ideal der Heiligkeit, nämlich der mönchischen Aszese, verlangte er: die im Kriege Gefallenen sollten fortan als Märtyrer verehrt werden. Da weit seine wichtigsten und ersehntesten Kämpfe gegen den Islam gerichtet waren, hatte dies in seinem Sinn volle Wahrheit. Dem Gesandten Ottos sagte er: »Unser Reich führt Krieg gegen die Assyrer, und nicht gegen Christen, wie dein Herr tut!«

Das erste, was Nikephoros gleich nach seiner Thronbesteigung wagte, war der Bruch mit den Fatimiden, den Herren des wichtigsten Teils der afrikanischen Mittelmeerküste und der Insel Sizilien, von wo aus sie häufig auch Unteritalien an sich zu reißen suchten. Als zur Jugendzeit des Konstantin Porphyrogennetos Byzanz zugleich von diesen »Karthagern« und von Simeon dem Bulgaren bedroht wurde, hatte sich die vormundschaftliche Regierung zu einem Jahrestribut an die fatimidischen Khalifen bequemt; zwischenhinein hatte man seither auch wieder Krieg mit ihnen geführt und dann weiter bezahlt. Dies war »ein Abscheu« für Nikephoros; diese Schmach sollte keinen Augenblick weiter geduldet werden. Zunächst freilich hatten Flotte und Heer, die er ausgesandt, in Sizilien Unglück; allein diese Gegenden waren bei weitem nicht das Hauptziel für ihn; seine Richtung ging längst auf Syrien, auf einen rastlosen Kampf mit den Hamadanidenfürsten von Mosul und Diarbekr, mit den so viel als unabhängigen Emiren von Aleppo und andern Gegenden und mit dem Beherrscher der Gläubigen selbst, nämlich mit dem abbassidischen Khalifen, welcher damals unter der militärischen Obhut des Hauses der Buiden lebte; zunächst sollte das obere Euphratgebiet genommen werden, und Bagdad sollte zittern. Denkt man sich ein halbes Jahrhundert von Regierungen, wie die des Nikephoros, so konnte der ganze Islam tief und auf immer erschüttert werden.

Zunächst sandte er nach dem Osten jenen Johannes Tzimiskes, der ihm einst die Wahl gelassen zwischen Tod und Krone. Vor allem machte derselbe mit Cilicien fertig, wo bisher als furchtbare Gegner zu Land und Meer die Emire von Tarsus gehaust hatten; die gewaltige Schlacht von Adana zernichtete die ganze Kraft der dortigen Mohammedaner; der Hügel, auf welchem ihre letzten 5000, Mann um Mann, niedergemacht wurden, hieß seither die Bluthöhe, weil das Blut stromesweise davon niederfloß. Im folgenden Jahre (965) zog Nikephoros selber mit großer Heeresmacht aus, und blieb dann über den Winter im Osten; Tarsus, Laodikea, Aleppo wurden erobert, das phönizische Tripolis und Damaskus steuerbar gemacht. Antiochien am Orontes, welches er vielleicht mit dem ersten Anlauf hätte nehmen können, griff er nicht an, man sagte, weil in aller Mund die Rede ging: gleich mit Einnahme dieser Stadt werde der Kaiser sterben. Aber zwei im Osten zurückgelassene Befehlshaber nahmen dann die berühmte alte Stadt dennoch, obwohl er es ihnen bei seinem Weggang ausdrücklich verboten hatte. Unter der folgenden Regierung sollte es sich dann weisen, weshalb er von dieser Eroberung nichts hatte wissen wollen.

Auch Cypern wurde wieder gewonnen, und der heilige Nikon reinigte das dort noch vorhandene Christentum. Den Bulgaren versagte Nikephoros wie den Fatimiden den üblich gewordenen Tribut, bekriegte sie im Balkan und kaufte dann die Russen unter Swiatoslaw zu einem Angriff mit 60,000 Mann gegen sie. Den schon erwähnten unteritalischen Krieg führte er durch Generale.

Wie groß aber auch seine Verdienste um das Weiterleben des Reiches sein mochten, der anfängliche Jubel um ihn war völlig verstummt und er wußte sich allgemein gehaßt. Die weitläufige Gebäudegruppe, welche zusammen der Kaiserpalast hieß, hatte damals ringsum allerlei zierliche Außenbauten, welche wir uns als Pavillons und Casinos vorstellen dürfen; diese demolierte er und machte aus dem Palast eine »Akropolis und Tyrannenburg gegen die unglücklichen Konstantinopolitaner«, mit Vorratsräumen und Kornspeichern, als wäre er darauf gefaßt, dort eine Belagerung auszuhalten; freilich, als die ganze Befestigung fertig war, in der Nacht desselben Tages, da ihm der Bauaufseher die Schlüssel überreicht hatte, ist er dann aus der Welt geschafft worden. Die Ueberlieferung betont in einer Reihe von Zügen den tiefen Haß der Stadtbevölkerung, welchen er sich durch seine offenbare Verachtung derselben zugezogen hatte; allein diese Tradition steht deutlich unter dem Einfluß der Stimmungen jener letzten Zeit und selbst in Betreff einer Getreideverteuerung, deren sich Nikephoros Phokas sogar gerühmt haben soll, ist ihr nicht recht zu trauen, indem der Mißwachs durch austrocknende Winde zugegeben wird und damit auch eine Ursache der allgemeinen Teuerung. Ganz gewiß ist noch im Volke gegen ihn geschürt worden, als sänne er auf das Verderben der Bevölkerung, und diejenigen, welche sich zu seinem Sturze zusammentaten, werden auch zu diesen Hetzereien die Mittel gehabt haben. Schon gab es bei einer Prozession, ja sogar auf dem Exerzierplatz offene Insulten gegen ihn und sogar Steinwürfe.

Die entsetzliche Theophano und Johannes Tzimiskes hatten sich einander heimlich genähert. Mit einiger Phantasie wäre es nicht schwer, sich die innern Vorgänge in diesen beiden auszumalen. Der Kaiser hatte der Gemahlin längst nicht mehr, ja vielleicht niemals getraut und sie samt den jungen Stiefsöhnen schon auf den asiatischen Feldzug mitgenommen, ohne Zweifel, damit sie nicht in Konstantinopel sich irgendwie mit Gegnern einlasse; unterwegs ließ er sie damals in einer Festung seiner warten. Tzimiskes aber war in des Kaisers Ungnade geraten und mußte in seiner Wohnung außerhalb der Hauptstadt in einer Art von Hausarrest leben, wo ihn niemand besuchen durfte, offenbar, weil Nikephoros auch gegen ihn Verdacht hatte. Die Verrechnung zwischen diesen beiden bleibt unsern Augen entzogen; als Feldherrn gleich ausgezeichnet, in den Mitteln gleich unbedenklich, sind sie doch auf ewig darin unterschieden, daß Nikephoros der Verratene und Tzimiskes der Verräter gewesen ist. In den letzten Tagen war Nikephoros wieder milder geworden; auf Betrieb der Theophano, heißt es, sollte Tzimiskes wieder nach der Hauptstadt kommen, und erst als er schon gegenüber von Konstantinopel in Chalcedon war, hieß es wieder, er solle noch etwas warten. Allein in der Nacht des 11. Dezember 969 wurde er über das Wasser geholt und nach dem kleinen Hafen gebracht, welcher unmittelbar an den Palast stieß. Nikephoros mochte alle Tore seiner Burg wohl geschlossen und mit zuverlässigen Wachen versehen haben: darauf hatte er nicht gerechnet, daß seine Gemahlin den Todfeind samt fünf andern in einem Korb würde aus dem Hafen heraufwinden lassen. Zuletzt war ihm doch wieder ein Verdacht aufgestiegen; schriftliche Warnungen kamen, und er soll noch an dem grauenvollen Abend seinen Bruder Leon mit bewaffnetem Begleit zu sich entboten haben, der dann zu spät gekommen sei. Als die Bande oben war und mit gezogenen Schwertern in sein Schlafgemach drang, fanden sie dasselbe leer und glaubten einen Augenblick verraten zu sein – war nicht am Ende die Kaiserin zu allem fähig? Im Schrecken sollen sie nahe daran gewesen sein, sich aus dem Palast hinunter zu stürzen – da erschien ein Diener aus der Frauenwohnung, das heißt von der Kaiserin ihnen nachgesandt und wies ihnen den Weg zu dem Raume, wo Nikephoros war. Mochte er vielleicht auf die Warnung hin öfter das Schlafgemach gewechselt haben? Sie fanden ihn am Boden schlafend auf einem scharlachfarbenen Tuch und einem Bärenfell, das er einst von seinem Oheim, einem Mönche, erhalten. Er konnte noch nicht lange eingeschlafen sein; Tzimiskes weckte ihn, den großen Waffengenossen, durch einen Fußtritt; da stützte er den rechten Arm auf und schaute empor; einer versetzte ihm einen furchtbaren Hieb auf die Mitte des Schädels; inzwischen hatte Tzimiskes irgendwo Platz genommen auf einem kaiserlichen Sessel; vor ihn schleppten die übrigen nun unter lautem Hohn den Sterbenden, welcher nur noch seufzen konnte: »Kyrie eleison, hilf, o Gottesmutter!« Da aber inzwischen im Palaste Lärm geworden war, und die Wachen es merkten und solche herbeikamen, welche den Kaiser würden verteidigt haben, machte die Bande denselben völlig nieder, schnitt sein Haupt ab und zeigte es durch ein Fenster. Da sahen die unten herbei eilenden zum letztenmal, etwa zwischen zwei Fackeln, die entstellten Züge dessen, welcher dem Reiche Kreta, Cilicien und das nördliche Syrien wiedergegeben. Schon in der Nacht hörte man, wie Leute auf den Gassen den Johannes Tzimiskes als Kaiser hoch leben ließen.

Johannes Tzimiskes (969-976) bestieg den Thron ausdrücklich nur als Mitregent der beiden Söhne des Romanos II., Basilios' II. und Konstantins VIII. Mit Hilfe eines jener Kammerherrn, die an diesem wandelbaren Hofe sich durch Geschäftstalent unter mehrern Kaisern zu behaupten wußten, und den er zum Genossen seiner Herrschaft, etwa in der Art eines Wesirs erhob, änderte er den Hof und die hohe Beamtenschaft und ließ die von Nikephoros Verbannten zurückkehren. Unter diesen waren Bischöfe, welche lieber ins Exil gegangen waren, als daß sie die Dekrete zur Beraubung und Erniedrigung der Kirche unterschrieben hätten.

Für die Verwandten des Nikephoros genügte dem Tzimiskes das Exil; überhaupt zeigte er sich merkwürdig ruhig, besonnen und unter Umständen verlogen.

Am Tage nach der Schreckensnacht war er mit geringem Geleit nach Aja Sofia gegangen, um sich dort vom Patriarchen Polyeuktos krönen zu lassen. Allein dieser weigerte ihm den Eintritt, so lange seine Hände noch von Blut trieften, und verlangte Werke der Reue. Tzimiskes nahm dies ganz gelinde auf; er begehrte nur in Güte zu verhandeln; den Nikephoros habe er nicht eigenhändig getötet, sondern Leon und Atzypotheodoros hätten es getan im Auftrage der Kaiserin. Da verlangte der Patriarch, diese müsse aus dem Palast geschafft und nach einer Insel verbannt werden. Dem neuen Kaiser brach hierüber nicht das Herz; Theophano kam nach Proconnesos, und auch jene beiden Mörder mußten aus der Stadt. Außerdem wurden die kirchenfeindlichen Dekrete des Nikephoros feierlich zerrissen und der Kirche wieder ihre frühere Freiheit gegönnt. Und erst als Tzimiskes noch außerdem versprochen, zur Sühne des Begangenen sein ganzes Privatvermögen an die Armen zu verteilen, öffneten sich die Pforten von Aja Sofia, und an Weihnacht krönte ihn der Patriarch.

Er trat in die mazedonische Kaiserfamilie ein durch Vermählung mit einer Tochter des Porphyrogennetos, Tante seiner Mündel.

Tzimiskes war einer jener Byzantiner, in welchen die Ruchlosigkeit des Emporkommens sich mit großen Regenteneigenschaften vertrug. Er siegte über alle Feinde des Reiches, zunächst über Russen, Bulgaren, Petschenegen und Türken (Ungarn) und hielt dann seinen Triumph unter größtem Jubel sehr bescheiden; auf das für ihn bereit gehaltene schneeweiße Viergespann ließ er die Gewänder der überwundenen Bulgarenkönige legen und darüber das Bild der Gottesmutter, der Stadtschützerin, aufstellen; er selbst ritt hernach. Er erleichterte die von Nikephoros so hoch gespannten Steuern, war im Strafen von Komplotten merkwürdig gelinde, hatte bedeutende Generale und wußte sie offenbar zu behandeln. Jetzt gab er auch die jüngere Theophano für Otto II. her, aber nur unter Bedingung des ottonischen Verzichtes auf Apulien und Calabrien.

Seine persönliche Kühnheit war gefürchtet; im Russenkrieg bot er einst dem Großfürsten Swiatoslaw den Entscheid durch Zweikampf an, sintemal durch Eines Mannes Tod besser fertig gemacht werde, als durch Aufzehren und Hintöten der Völker; wer siege, der möge dann Herr über alles sein! – Swiatoslaw verbarg hinter den hochmütigen Reden, womit er dies abwies, vermutlich ein anderes Gefühl.

Mit den Erwerbungen des Nikephoros im Orient sah es anfangs deshalb mißlich aus, weil die Mohammedaner durch den Verlust von Antiochien außer sich geraten waren. Antiochien wurde zwar durch einen tüchtigen General Nikolaos verteidigt; aber andere Städte gingen verloren und schon wurde dafür gearbeitet, daß die verschiedenen Staaten des Islams all ihre Feindschaften bei Seite setzen und sich gegen Byzanz verbinden sollten; die Anführung sollte den Karthagern, d. h. den Fatimiden zufallen als den im Land- und Seekrieg Kundigsten. Allein eben diese waren damals im Begriff, Aegypten zu ihrem Reiche zu ziehen und hielten ihre raubgierigen Augen bereits auf den Orient geheftet. Der Gedanke des großen Bundes blieb eine schöne Aufwallung. Nach einiger Zeit erschien Tzimiskes selbst im Orient, nahm Aleppo wieder und zog südwärts, man sagt, bis nach Damaskus, ging dann über den Euphrat und eroberte Samosata, Edessa und Nisibis, und diesmal hatte man in Bagdad Ursache zum Zittern. Mangel an Lebensmitteln soll ihn zum Rückzug bewogen haben, auf welchem er durch jenen Kammerherrn und Wesir soll vergiftet worden sein, weil ihm über dessen Raubsucht die Augen aufgegangen waren. Kaum lebend erreichte er Konstantinopel und starb 976, zu früh für seine Schützlinge und Mitkaiser, unter welchen die Erschütterungen des Reiches wieder begannen. Diesem Reiche aber sollte es beschieden sein, noch lange auf der Bresche zu stehen, und schon im XI. Jahrhundert bekam es zu glänzenden neuen Feinden, nämlich dem Weltreich der seldschukischen Türken, auch glänzende heroische Verteidiger, das Haus der Komnenen.


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