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Aus grossen Kunstsammlungen

16. und 30. Januar 1883.

Zwei akademische Vorträge, gehalten in der Aula des Museums. Manuskript, 24 Quartseiten (a–y) und ein Uebersichtsblatt für den zweiten Teil des Vortrages im Jac. Burckhardt-Archiv, Nr. 171. Die erste Hälfte des Vortrages, der die Physiognomie und Geschichte der Galerien enthält, hätte in seiner skizziert überlieferten Form und seinem statistischen Charakter nur mit stärkeren stilistischen Eingriffen publiziert werden können; darauf hat der Herausgeber verzichtet und läßt statt dessen diesen ersten Teil in seiner ursprünglichen Anlage hier folgen:

1. Rückweis auf meine Vorlesung vom Februar 1862: Ueber Betrachtung von Bildern und Galerien. Hier nur die Gemäldegalerien, – abzusehen von den endlosen übrigen Sammlungen. Der damalige Zustand jetzt sehr gesteigert, Oeffnung und Zunahme der Galerien, des Reisens, starke Vermehrung der Hilfsmittel.

Kunstsammlungen ein Besitz I. Ranges für die betreffenden Städte und Länder (Dresden und sein Verhältnis zur Galerie), zugleich ein Element der höchsten Weltkultur, wie die ganze vergangene Kunst, welche uns lange nicht bloß die Vergangenheit, sondern ein großes Stück des Ewigen in der Menschheit offenbart.

Zwingen aber soll sich niemand. Das Seufzen: »Ach, noch eine Galerie!« Die sonstigen Aufregungen und Zerstreuungen des Reisens; die baldige Galeriemüdigkeit, welche daneben noch ihre sehr besondern Gründe hat. In den Sammlungen fehlt dem Beschauer nur zu leicht die Sammlung.

Physiognomie der Galerien: Große Galerien altfürstlichen Besitzes, zum Teil schon in früher Zeit bei den Künstlern selbst bestellte Werke, allmählich erweitert durch Ankäufe und resp. Raub von Werken aller Schulen und Zeiten, in unserm Jahrhundert zu großem Staatsbesitz hohen Ranges geworden, mit Werken aus aufgehobenen Stiftungen massenhaft bereichert, aus verlassenen Residenz-Palästen dito; in neuerer Zeit systematische Ausfüllung der Lücken durch Ankäufe.

(Madrid und ebenso die Ermitage von mir nicht gesehen).

Der Louvre, im ganzen die wichtigste und vielartigste Sammlung, mit zum Teil zahlreichen Hauptwerken von Hauptmeistern: Lionardo, Giorgione, Rafael, Rubens und Claude, letztere in ganzen Reihen, Paolo Veronese in riesigen Hauptwerken, Murillo im besten, was es außerhalb Spaniens gibt, dabei das große Depositum der französischen Kunst, der Nebensammlungen nicht zu gedenken.

Dresden mit seiner sixtinischen Madonna und mit der Madonna Holbeins, mit den modenesischen Ankäufen (Correggio), mit seinen Tizianen und Paolos und mit der massenhaften und meist vorzüglichen Auswahl aus den sämtlichen Schulen des XVII. Jahrhunderts.

München: Die Düsseldorfer Galerie (Kurpfalz), 90 Rubens, zahlreiche Bilder aus Kirchen; hier endlich ein großes Depositum von alten Bildern der nordischen Schulen, u. a. die alten Flandrer der Boisseréeschen Sammlung.

Berlin: Außer dem alten königlichen Besitz: Der Ankauf der Sammlung Solly mit den Italienern des XV. Jahrhunderts, welche gar nirgends mehr in solcher Uebersicht beisammen sind; zudem die alten Flandrer vom Genter Altar an, vielseitige Sammlung altdeutscher Bilder; die Reihe von eigenhändigen Rubens (wozu wohl auch das Bild Schönborn gehört); von Murillo der S. Anton von Padua; von wichtigen Holländern einzelne allerbeste Bilder.

Belvedere sehr ungleich in den Schulen, ersten Ranges nur in Venezianern (Giorgione! Palma!) und Rubens und van Dyck und einer nicht großen Sammlung von holländischen Juwelen; Rafael: Jungfrau im Grünen; Fra Bartolomeo: Darstellung im Tempel; Velasquez und die habsburgischen Familienporträts; Dürer: 2 Hauptbilder; Holbein: vorzügliche Porträts (Sammlung des Erzh. Leopold Wilhelm).

National-Gallery, die jüngste unter den Galerien I. Ranges, welchen sie mit Ungeheuern Kosten doch eingeholt hat. In Italienern des XV. Jahrhunderts nächst Berlin zwar nicht mit dem Besten, aber mit dem Rarsten versehen; doch hat sie den schönsten Perugino der Welt; aus der italienischen Blütezeit der Lazarus des Sebastiano del Piombo; 2 echte unvollendete Michelangelo; von jedem Großen sonst etwas, aber keine Hauptsachen, ausgenommen Tizians Bacchanal; – dann aber die herrlichsten Rubens und die größte Auswahl der besten Holländer, darunter eine Anzahl ersten Ranges; endlich die kapitalen Werke von Claude Lorrain; – für die englische Schule die Hauptsammlung.

Palazzo Pitti mit seinen Ungeheuern Reichtümern von Werken der goldenen Zeit der italienischen Kunst macht doch in der Gesamterscheinung den Eindruck einer Wohnung eines überaus kunstliebenden Fürstenhauses, wie die spätem Medici waren; man ist bei den Großherzogen zu Gaste. Vieles ist mediceische Bestellung des XVII. Jahrhunderts.

Die Uffizi mehr eine historische, offizielle Sammlung besonders der toskanischen Kunst von Anfang bis Ende, aber dabei mit dem Ueberfluß des mediceischen Hauses aus allen Schulen reichlich ergänzt, sodaß Palazzo Pitti mehr die hoffähigen Bilder behielt, die Uffizi mehr den sonstigen Vorrat. Der vielseitige Sammler- und Kennergeist besonders des Kardinals Leopoldo Medici. Beide Sammlungen nicht in dafür gebauten Räumen.

Museo von Neapel: Höchst massenhaft, aber die wenigen Hauptwerke wie zufällig hineingeraten. Das Ganze (wenigstens noch 1853) höchst nachlässig gehalten und in einem schon vorhandenen Gebäude aufgestellt.

Die kleinern Sammlungen: Galerien kleinerer Staaten und bloßer Städte, daher mehr mit lokalem Charakter, weniger ermüdend, übersehbarer und oft von höchstem Reiz (Perugia, Siena).

Akademie von Florenz, wesentlich aus denjenigen Kirchenbildern und Depositen von Klöstern gebildet, welche in beiden andern Sammlungen keine Stelle mehr würden gefunden haben; viele große italienische Altarbilder der goldenen Zeit. Akademie von Venedig auf ähnliche Weise entstanden, mit zahlreichen Bildern ersten Ranges. Die Galerie von Lucca: Madonna dei Candelabri, jetzt in New-York. – Padua, Vicenza, Verona. – Galeria von Brescia: mit Moretto und Romanino. – Galeria von Bergamo: Werk patriotischer Sammler, nicht bloß lokal bedeutend. – Brera, eine Zeitlang Sammelgalerie für das Regno d'Italia, ferner eo ipso für Mailand und die mittlere Lombardei; dann die abgenommenen Fresken; das Sposalizio. – Ambrosiana, Sammlung einer Korporation mit vielen bloßen Kuriositäten, aber auch einer Anzahl von Meistern ersten Ranges: Lionardo, Schule von Athen. – Parma mit seinen Correggios. – Bologna: die Pinacoteca mit der h. Caecilia. – Galerie von Turin: Gaudenzio, überhaupt Kirchenbilder des westlichen Oberitaliens; dazu der Hauptbesitz von Casa Savoja, auch die Porträts des Hauses (Reiterbild des Tomaso). – Pinacoteca Vaticana: wesentlich entstanden aus den Bildern, welche 1815 von Paris zurückkamen und nicht mehr an die betreffenden Kirchen zurückgegeben wurden. Darunter: Incoronata, Madonna di Foligno und Transfiguration, woneben man alle Bilder aus S. Peter vergißt.

Die Provinzialgalerien von Frankreich nur durch solche Bilder bedeutend, welche der Pariser Mißverstand und Unwissenheit den Departements überließ; alte Italiener in Lyon, Caen, Rouen etc.; Musée de Dijon.

In Deutschland: Städelsche Galerie in Frankfurt, seither glücklich vermehrte Privatstiftung, leider jetzt ans Ende der Stadt in einen zu prachtvollen Palast verwiesen; Treffliches aus allen Schulen. – Auch Mainz, Karlsruhe und Stuttgart und Darmstadt und Prag bewahren bedeutende Schätze; Köln: die alte einheimische Schule. – Das Germanische Museum zu Nürnberg bewahrt jetzt alle Nürnberger Bilder. – Braunschweig: besonders Niederländer; Rembrandt und seine Schule; der ganze Cursus der alten niederländischen Landschaft; ein italienisches Bild, das ganze Galerien aufwiegt: Giorgione (vulgo Palma): Adam und Eva. – Endlich, an Galerien ersten Ranges hinanreichend: Cassel, in der schönen jetzigen Aufstellung; in der holländischen Schule und dann besonders in Rembrandt wirklich Galerie I. Ranges; die Ankäufe meist alt, in Zeiten gemacht, da noch Gutes zu bekommen war. – Esterhazy-Galerie, Pest.

In den Niederlanden haben mehrere ansehnliche Städte ihre öffentlichen Sammlungen, zum Teil aus neuester Zeit, indem sich die Korporationen entschlossen haben, ihre Erinnerungen und Denkmäler zusammenzutun. – Amsterdam, Reichsmuseum, Trippenhuys, öffentliche Sammlung des holländischen Staates, eigentlich (doch hiefür zu einseitig) noch den großen Galerien beizuzählen mit Rembrandts Nachtwache und Van der Heists Schützenbankett von 1648 und vielen wahrhaft entscheidend wichtigen Bildern des XVII. Jahrhunderts. Wird erst genießbar werden in dem Neubau, welcher dann auch die Doelen- und Regentenbilder des Stadhuys enthalten wird. – Haag: Morizhuys. – Rotterdam, etwa 100 gute Bilder. – Harlem, bloß an Doelen- und Regentenbildern schon eine herrliche Sammlung (Franz Hals). – Leyden: Laekenhal, mit dem Weltgericht des Lucas von Leyden und vielem aus dem XVII. Jahrhundert.

In Belgien die Sammlungen von Brügge, Gent, Löwen. – Antwerpen, Museum, voll altern und spätem niederländischen Glanzes und Ruhms, von Jan van Eyck bis auf die Schülerschüler des Rubens; von ihm und van Dyck selbst Hauptwerke. – Brüssel: Das Ideal einer kleinern Galerie, nicht zu wenig und nicht zu viel; ersten Ranges sind Adam und Eva von Hubert van Eyck und die Hauptbilder von Mabouse und Orley; von Rubens einiges des bezeichnendsten, z. B. die Kreuztragung.

Die Privatsammlungen, so lange noch die Majoratsrechte und -pflichten sie beisammen halten werden: Borghese, Doria, Corsini, Brignole (jetzt Stadtgut), Liechtenstein, Bridgewater-Gallery, Grosvenor-Gallery, Wellington Gallery. Anderes ist rein persönliches Eigentum: Baring (Northbrook). – Endlich eine Privatsammlung eines königlichen Hauses, zum Teil Erinnerungen, eigentlich Souvenirs von den Tudors bis auf die heutige Zeit: Hamptoncourt (stets sichtbar zum Unterschied von Buckingham Palace und Windsor) – dazu aber Mantegnas Triumph Caesars und eine Fülle herrlicher nordischer und venezianischer Porträts. Endlich neulich wieder nach Hamptoncourt zurückgebracht, obwohl Staatseigentum: die Cartons Rafaels.

Dieser ganze ungeheure Vorrat besteht aus Werken der allerverschiedensten Gattungen. Vieles ist für eine ganz bestimmte Aufstellung im Raum bestellt und gemalt gewesen und muß sich jetzt in irgend einen Galeriesaal schicken wie es kommt.

So die Kirchenaltarbilder. Zunächst die Flügelaltäre der nordischen Kunst. (In den Galerien jetzt wohl zugänglicher als in den Kirchen, wo sie gewöhnlich verschlossen gehalten wurden – aber:) Die ausgezeichneteren existieren nie oder fast nie mehr als Ganzes in den Galerien (die ganzen Altäre im Germanischen Museum und im Münchener National-Museum sind nicht ersten Ranges), sondern ein Stück davon da, das andere dort, ihres kirchlichen und künstlerischen Zusammenhanges beraubt; wo der mittlere Schrein Schnitzwerke enthielt, hat man oft diese weggeworfen und nur die gemalten Flügel behalten, weil diese eher »Liebhaber« fanden. – Welches diejenige Sorte von Spekulanten sein mochte, welche zum Beispiel 1803 den großen Aufhebungen kirchlicher Korporationen in Süd- und West-Deutschland nachzog? – Der Genter Altar in Gent, Berlin und Brüssel. – Dürers Hellerscher Altar: die beiden Flügel im städtischen Museum zu Frankfurt original, das Mittelbild Kopie und dessen Original längst in einem Münchner Palastbrand untergegangen. – Die italienischen, überhaupt neuern, auch spanischen, belgischen etc. »Altarblätter« zwar jetzt in den Galerien näher sichtbar, auch dem Kerzenrauch entzogen, dafür aber auch nicht mehr das Zentrum einer Andacht, sondern umgeben von allem Erdenklichen. – Murillos Conception im Louvre, so wesentlich für einen Altar geschaffen, paßt selbst nicht zu Rafaels Vierge au linge und Lionardos Gioconda. (Bedenken gegen den Salon carré überhaupt.) – Tizians Assunta in üblem Licht und niedrig aufgestellt, ehemals auf dem Hochaltar der Frari. – Und wo kein Kerzenrauch mehr droht, kann Steinkohlenrauch die Stelle vertreten: Sebastiano del Piombo, Lazarus, National Gallery. – In neuester Zeit in Italien viele Altarblätter in die Lokalgalerien versetzt, wo sie vielleicht vor Verkauf sicherer sein mögen.

Selbst abgenommene Fresken aus Kirchen und weltlichen Gebäuden, bei deren Abbruch oder Umbau; so die Fresken in der Brera. Weltliche Deckenbilder, Plafonds, auf Tuch gemalt, jetzt in Galerien; im Louvre ist der Jupiter, welcher die Verbrechen mit seinem Blitzstrahl zerschmettert, der Plafond aus der Sala de'Dieci des Dogenpalastes, von Paolo Veronese. – Die Plafonds von van der Werff an den Decken mehrerer Säle der Galerie von Cassel.

Zahllose Bilder der Galerien waren einst Hausaltäre. Hieher gehören fast alle noch erhaltenen Bilder der altflandrischen Schule, deren Kirchenbilder beim Bildersturm von 1566 untergegangen. Diese Haus- und Reisealtäre sind immer Kleinodien gewesen, gewiß oft viele Generationen entlang in derselben Familie. Deren Patrone auf dem Bild meist zu den Seiten der Jungfrau. – In Italien war das Hausandachtsbild ein beliebtes Brautgeschenk und weit der Hauptanlaß für die Ausbildung der Madonna, welche allein, oder mit den Kindern, als Brustbild oder ganze Figur dargestellt wird, oft umgeben von Heiligen, gewiß meist Namensheiligen der Familie (Hochbilder und Tondi). Florenz und seine Madonnenbilder, zu welchen ja auch die drei berühmten Madonnen Rafaels von 1505–1507 gehören. Venedig und seine Breitbilder der Madonna mit Heiligen und Stiftern im Freien; zugleich eine Schule edelster Bildnismalerei. – Der besondere ästhetische Wert: die meist sorgfältige Ausführung; die Arbeit mußte der nahen, lebenslangen Besichtigung ausgesetzt bleiben, Generationen aushalten können.

Nun erst folgt der Kunstfreund als solcher; die großen Herrn des XVI. Jahrhunderts; das Haus Este erhält von Tizian den Cristo della moneta und zwei seiner berühmten Bacchanale; das Haus Gonzaga die Grablegung (Louvre) und die heilige Magdalena; Franz I. und Carl V. erwerben direkt kostbare Werke; Entstehung der mythologischen Hauptbilder, welche seither unerreicht geblieben: Correggio und Tizian; Kaiser Rudolf II. als Sammler. – Zugleich wird die Porträtmalerei erst gegen Mitte des XVI. Jahrhunderts ganz standesüblich, im Norden wie im Süden.

Mit dem XVII. Jahrhundert Verbreitung des Sammlergeistes in weitere Kreise, teils Sammler des ältern, teils Besteller bei Zeitgenossen, unter den Königen: Carl I., Philipp IV., sonst Richelieu, Mazarin, Fouquet, die Fermiers généraux; in Italien Fürsten und Kardinäle. Endlich die reichen Holländer; Genre und Landschaften mit ihrer Intimität nur als Privatbestellung denkbar.

Schicksale der Bilder seit der französischen Revolution, welche, vom Verkauf der Galerie Orleans beginnend, zugleich die größte Revolution im Bilderbesitz geworden. Ueberhaupt zuerst der Verkauf durch die verarmten Großen und Reichen. Dann der infame Raub des Directoriums seit dem italienischen Krieg von 1796; es nahm lange nicht bloß den Reichen ihren Genuß, sondern hauptsächlich den Völkern ihre Denkmäler und ihren alten Ruhm. Daneben der Privatraub seiner Harpyien. Wenn die Bilder erzählen könnten! Das Meiste 1815 aus dem Musée Napoléon wieder zurückgegeben, aber manches vom Wichtigsten nicht reklamiert; Mantegnas Madonna della Vittoria, das Denkmal der Schlacht am Taro, ist noch im Louvre.

Inzwischen wurden neu entstandene Staatssammlungen mannigfach die Erben der damals aufgehobenen Stifte und Klöster; Bilder aller Herkunft finden sich zusammen. Die geretteten Privatindividuen aus dem allgemeinen Sturm werden in den Friedenszeiten Sammler; aber aller Privatbesitz neuerer Entstehung, nicht durch Majorate gesichert, bleibt wandelbar.

Und nun bricht die neuere Zeit an; ihre Physiognomie: a) Es wird Mode, das heißt Zeichen eines bestimmten Grades von Vornehmheit, Bilder zu sammeln und zu haben, schon weil sie etwas altes sind, wie denn zugleich alte Möbel und Geräte aller Art mit Begeisterung aufgekauft werden. Die Spekulanten und die Phantasie der Käufer! b) Aber die betreffenden Fortunen oder die Denkweise der Erben sind oft höchst wandelbar, ja die von Börsenspielern; ganze Galerien werden erworben, aber auch verkauft; seitdem die »Galerie des Prinzen von Oranien« durch König Wilhelm III. von Holland vergantet worden (ca. 1850?), sind große Bilderganten nichts unerhörtes mehr; (Individuen wie der Schwalbach in Nabab werden wichtig) seitdem die Gant Pourtalès drei Millionen eintrug, ist die Aussicht groß, weit mehr zu lösen, als der Sammler ausgegeben. Seitdem sind berühmte Bilder auf einer ewigen Wanderschaft und ihr Verbleib entzieht sich oft lange Zeit den Blicken, zumal wenn sie inzwischen an Besitzer gelangt sind, welche niemandem den Zugang verstatten. Die betreffenden Summen oft so, daß große und wohldotierte Galerien nicht mehr mitkommen können.

Vergeblicher Wunsch, daß Werke von höherm Rang und besonders solche von einziger Art dem Privatbesitz völlig entzogen und nur ein Besitz der Völker, das heißt der europäischen Menschheit sein sollten, bevor noch die Amerikaner zu kaufen beginnen. Madonna de' Candelabri ist jetzt in Amerika »auf Besuch«. Weil wir aber doch an vergeblichen Wünschen sind: Die alten Bilder möchten überhaupt nicht mehr viel reisen und auch Ruhe haben vor gewissen Restauratoren, welche besonders beim Besitzwechsel drüber kommen. Hinfälligkeit von Holz, Tuch, Farbenschichten an sich; dazu der Wunsch der Besitzer, dunkel gewordene Bilder wieder frisch glänzen zu lassen; Wegnehmen alter Firnisse, wobei die alten Lasuren mit weggehen.

Spezielles Unglück gerade sehr berühmter Bilder, welchen man das natürliche Altwerden nicht hat gönnen wollen und die deshalb periodisch geputzt, übermalt oder übertüpfelt worden sind; wenige rafaelische Madonnen sind gänzlich unberührt; die heilige Familie in München eine gut restaurierte Ruine; die schönsten Landschaften haben oft ruinierte Horizonte. Endlich die allgemeinen Gefahren der großen Kunstsammlungen in Städten, welche heftigen, politischen etc. Stürmen ausgesetzt sind wie der Louvre im Mai 1871. Der Untergang von Kunstwerken, früher etwa das Werk zufälliger Feuersbrünste, Kriegsereignisse, kann eine Manifestation bestimmter Leidenschaften werden.

Was kann man hiebei noch wünschen? Daß treffliche und dauerhafte Photographien noch bei Zeiten das Mögliche zur Verbreitung alles Besten tun möchten, und einstweilen so eifrig sehen als möglich, da man nicht mehr weiß, wie bald die Welt eine Galerie zum letztenmal sieht. (Hier setzt der zweite Vortrag ein; s. S. 193 ff.)

 

Den gewaltigen Vorrat der in den Galerien gesammelten Bilder schickt sich der heutige gebildete Mensch an, kurzweg sich anzueignen, ja denselben ohne Weiteres »genießen« zu wollen. Das was Jahrhunderte zur Reife gebraucht hat, soll beim ersten Anblick schon den Bildern rasch abgewonnen werden. Bald aber meldet sich das Gefühl, daß diese Kunstwerke der Vergangenheit auf ganz anderm Wege zu Stande gekommen sein möchten, als das meiste, was jetzt geschaffen wird.

Das heutige Organ, durch welches die Kunst zu den Bevölkerungen redet, sind wesentlich und vorherrschend die großen Ausstellungen mit ihrer Art von Wetteifer; dieser legt sich auf das Gewinnende und Reizende, auf das Zierliche und Pikante, Ueberraschende und Gefühlvolle, die Illustration von Zeitideen und Zeitsympathien; den Ausstellungen zur Seite geht eine Tagespresse, in welcher die Beschauer sich Rats erholen. In Summa: der Beschauer findet das größte denkbare Entgegenkommen.

Die ganze vergangene Malerei dagegen kommt uns gar nicht entgegen; sie ist nicht für Ausstellungen, nicht um jedermann zu gewinnen, nicht begleitet von irgend einer Publizität geschaffen worden; der darin lebende Wille war schon der damaligen Zeit gegenüber ein anderer, und vollends gegenüber von uns. Kunst und Künstler waren anderer Art, und andere Kräfte als die jetzigen müssen über sie und ihr Wohlergehen verfügt haben.

Daher denn manchen aufrichtigen Beschauer in den Galerien ein Gefühl der Fremde überkommt, der Unbehaglichkeit gegenüber jenem Willen einer vergangenen Zeit. Ein solcher möge die Galerien einfach auf sich beruhen lassen. Es gibt ausgezeichnete Menschen, welchen die Kunst der Formen nichts sagt, während zum Beispiel Poesie und Musik sie auf das tiefste ergreifen. Man denke an Schiller in der Dresdener Galerie, erinnere sich, daß Lord Byron gleichgültig gegen die bildende Kunst war; ja es gibt Menschen von trefflichem Charakter und großer Intelligenz, welche für gar nichts empfänglich sind als für das unmittelbare Leben, welches sie sich und ihrer Umgebung verschönern können durch Güte und Geist.

Jeder geistige Genuß aber führt wenigstens etwas Arbeit mit sich. Und so wird man auch den Gemälden der vergangenen Zeiten irgendwie entgegenkommen müssen, wenn man sie nicht völlig übergehen will. Wer nur schnell die paar berühmtesten Bilder einer Galerie, nur die zweigestirnten bei Bädecker besieht und dann von dannen eilt, wird auch von diesen kaum einen dauernden Eindruck mit sich nehmen; einige Muße ist schon von dem Wesen des Genusses unzertrennlich, um von der Erkenntnis zu schweigen.

Da beginnt man denn zu ahnen, was eine Galerie höhern Ranges uns auferlegt: hier findet sich zusammengedrängt, was vielen der größten Meister als vielleicht einmalige höchste Inspiration ist geschenkt worden. Und geht man auf den einzelnen Meister ein, so erwacht eine Reihe von Reflexionen, welche uns zu fühlen gibt, wie unendlich ferne wir dem Manne stehen, dessen Werk so ganz in Kürze genossen werden soll: Was für Veranstaltungen der Natur und Geschichte hat es bedurft, um diesen großen primären Künstler zu bilden? Welche Heimat und Familie? Welchen Moment der Entwicklungsgeschichte seiner Stadt und Nation? Welche Fülle von innern und äußern Bedingungen hat zusammentreffen müssen? Wie viele Höchstbegabte sind unterwegs untergegangen? Wie viele sind in schlechte Kunstzeiten gefallen und haben dann mit ihrer Energie nur das Beste eines sehr zweifelhaften Stiles geschaffen, wie zum Beispiel Bernini in der Skulptur, Luca Giordano in der Malerei? Wie viele an sich für Skulptur und Malerei hoch ausgestattete Menschen der mohammedanischen Welt haben sich gar nie ausbilden und äußern dürfen? Der Islam hat genug an Bevölkerungen alter Kunstländer, wie Kleinasiens, der europäischen Türkei und anderer Gebiete in sich aufgenommen, um diese Frage zu berechtigen. Wie sehr ist es überhaupt ein Glücksfall, wenn der primäre Meister entsteht und wenn er eine ganze Reihe von primären Werken schaffen kann und nicht etwa bloß sich nach großem anfänglichem Aufschwung selber wiederholt, wenn er sich der Nachwelt als ein beständig wachsender offenbaren kann, wie Rafael?

Und nun steht er uns gegenüber, aber er kommt ganz andere Wege daher, als die unserer habituellen Augen sind. Seine Werke sind erlebt, erkämpft, erlitten, und wir möchten nur mit leichter Hand Früchte pflücken. Aus welchen Tiefen haben die großen Meister das schöpfen müssen, was wir nun so oberflächlich genießen möchten! Ein großer italienischer Maler des XV. Jahrhunderts sammelt vielleicht in einem Altarwerk das Können und Empfinden seiner ganzen Zeit, und wir sehen darin nur eine »Madonna mit Heiligen«, wie so viele andere. Schon das in den Bildern großer Maler kondensiert vorhandene Studium erweckt hohes Staunen und Dankbarkeit. In ihnen lebt zunächst aufsummiert, was ihre Lehrer und entferntem Vorgänger allmählich der Natur abgewonnen, dann erst ihr eigner Erwerb. Wie unzählige Sonnenuntergänge brauchte es, bis Claude Lorrain die Abendlandschaft der Grosvenorgalery mit den römischen Ruinen schaffen konnte? Wie viele schöne einzelne Erscheinung bei Rafael, wie vieles mußte er aus dem Leben, dann aber noch aus eignem allmählich gereiftem, innerm Ahnen sich zu eigen gemacht haben, bis die Wunderbilder seiner Madonnen in ihm gereift waren?

Dann aber folgten erst die Kämpfe, bis die äußere Erscheinung des innern Bildes vorhanden, bis das Gemälde vollendet war. Wer weiß, wie viele groß angelegte Künstler diesen letzten Schritt nicht mit reinem Erfolg vollbrachten? Wie vieles wird unterweges von der Vision bis zur Staffelei verloren gegangen sein? Und ein bloßes Beteuern des Künstlers, daß er viel herrlicheres gesehen als gemalt, würde wenig helfen. Die Bilder höchsten Ranges aber sind solche, bei welchen wir die Gewißheit zu haben glauben, daß das herrlichste geschaut und erreicht worden sei.

Ist aber einem solchen Meister Fruchtbarkeit und Vielseitigkeit gegönnt gewesen, so wird er zum größten Erläuterer und Zeugen seiner Zeit und Nation. Rafael ist der allerhöchste Zeuge für das damalige Italien; er macht zum Beispiel die damalige Schriftwelt nicht überflüssig, aber er ist auch den größten seiner Zeitgenossen jedem einzeln als Offenbarer seiner Zeit überlegen. Rubens ist ein größerer Erklärer seines damaligen Belgiens als alle damaligen Gelehrten, Dichter und Künstler seines Landes zusammen genommen; er ist das Form und Farbe gewordene Belgien seiner Zeit. Ein solcher Meister aber, der für sein Volk so viel bedeutet, bedeutet es auch für die ganze Menschheit.

Und nun ergibt sich erst der definitive Gesichtspunkt: Es handelt sich gar nicht bloß darum, der vergangenen Kunst durch ein historisches, retrospektives Studium »gerecht« zu werden; denn dieselbe ist ohne uns und unsere Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit da, und niemand ist zur Kunstgeschichte verpflichtet. Wir besehen die Galerien gar nicht um der Maler willen, sondern um unsertwillen; wir sollen uns glücklich schätzen, Bereicherung für unser eigenes Fühlen und Schauen zu finden in der hohen Verbindung von Idealismus und Wahrheit, welche die Kunst verschiedener großer Zeiten uns darbietet.

Allmählich vernimmt man dann ihre Stimme: Kommt aus eurer Welt heran zu der unsrigen! Wir deuten euch ein zweites Dasein, soweit ihr des Willens dazu fähig seid! Könnt ihr uns entbehren, desto besser für euch! Aber bei uns könnt ihr euch frei machen vom Geist des bloß Niedlichen und Süßen und Raffinierten; denn wir waren der Natur noch um Jahrhunderte näher und des Idealen mächtiger als eure Zeit!

Aber ohne die Kunst des Sehens verliert man sich beim besten Willen in der Masse der verschiedenen Eindrücke, die so rasch auf einander folgen, und wird namentlich müde, an den Augen sowohl als am innern Auffassungsvermögen; beiden Organen wird unermeßlich viel zu viel auferlegt.

Hier nur per parenthesin: bei Abwechslung zwischen Beschauen und Notizenmachen hält man leicht viele Stunden lang aus, durch die bloße Abwechslung der Beschäftigung. Das Auge findet sich jedesmal erfrischt und sieht das Bild wieder anders. Hingegen entlastet Konversation mit Begleitern nicht, denn diese werden meist ebenso müde.

Es ist notwendig, die Bilder, welche man wirklich kennen lernen will zu isolieren; das Bild beginnt erst zu reden, wenn man es mit Aufwand einiger Willenskraft von seiner Umgebung ablöst, und nicht alle Schulen und Einzelimaginationen aus hundert Bildern ringsum drein reden läßt. Nur so wird es zu einem Bekannten, zu etwas Persönlichem.

Ohnehin gibt es leise Bilder, welche nur das Notwendige geben, nicht mehr Mittelaufwand enthalten als für Inhalt und Zweck nötig war, ja nicht einmal durch Einzelschönheit bestechen und doch eine große Anmut und Harmonie haben. Hieher gehören mitausgestellte Kartons, ferner Skizzen und ähnliches. Und endlich gibt es verletzte Bilder, welchen man sehr entgegenkommen muß. Es gibt unvollendete Bilder, die man unvollendet gelassen hat wie Michelangelos Madonna von Manchester in der National Galery, und solche, die von geringerer Hand mit einem Anschein der Vollendung versehen worden sind, wie Rafaels Madonna del Baldacchino im Palazzo Pitti. Solche alle, wenn sie von großen Meistern sind, verlangen ganz vorzüglich, daß Blick und Sinn von all dem Brillanten und Vollendeten ringsum völlig abstrahieren.

Das Nächste wird dann eine Abrechnung mit dem Inhalt sein, der dem Beschauer sehr ferne liegen, einem fremden und schwer verständlichen Ideenkreis angehören kann. Bisweilen hat die Kunst vermöge ihrer höchsten Mittel auch sehr entfernte Gegenstände entweder dem Verständnis nahe gebracht oder so behandelt, daß auch das unwissende und dabei unverdorbene Auge etwas Wunderbares dargestellt sieht. Solche glückliche Unwissende können von der Schule von Athen, von der Disputa tief ergriffen werden, ohne irgend zu wissen, welches die äußere Aufgabe Rafaels war; dieselbe ist eben mit der hohen Idealität zu einer völlig einheitlichen Erscheinung geworden, und nun wirken beide zusammen untrennbar.

Aber in sehr vielen Fällen hat man es mit rätselhaften Geschichtsdarstellungen, mit seltenen Mythen, mit buchmäßig ersonnenen Allegorien zu tun, zu deren Deutung eine abgelegene Gelehrsamkeit gehört. Die Zeit der Entstehung hat ihre Interessen, ihre Lektüre, ihre oft sehr kunstwidrigen Gedanken den Meistern auferlegt und damit den Bildern einen vergänglichen, hinfälligen Bestandteil gegeben.

Je mehr nun der einzelne Meister sich hierin bedrängt und beladen zeigt, desto weniger dankt man es ihm. Denn es hat einen gegeben, der sich aus den obskursten Geschichtsmomenten und der abgestandensten Allegorie einen Scherz und Jubel machte: Rubens. Rubens nahm die mythologischen und allegorischen Figuren fröhlich unter das gewaltige Heer seiner Gestalten auf und mischte sie unter die historischen, als ob dies gar nicht anders sein könnte, wie in der Galerie der Marie de Medicis. Was nun geschieht, geschieht deutlich; über das Wollen bleibt nie ein Zweifel; die wildesten Ereignisse gruppieren sich so, daß sie als Massen ruhig wirken; jede Bewegung hat den natürlichsten Gang; dazu bewundern wir überall das reichste, individuelle Leben, die Harmonie und Kraft des Kolorites und die Ströme von Licht. Seine Eigenschaft war: jedem, auch dem schwermöglichsten Vorgang diejenige Seite abzugewinnen, von welcher aus sich derselbe in lauter Leben und Feuer verwandeln ließ. Von dieser Seite wird ihn der emsige Beschauer kennen lernen, freilich erst allmählich.

Weit in den meisten Bildern aber ist der Inhalt leicht zu entziffern, weil er überhaupt einfacher Art ist, oder allbekannte religiöse Szenen, geläufige Mythen und dergleichen dargestellt sind. Ja man hört die Klage, daß das längst bekannte sich in den Galerien in massenhafter Wiederholung vorfinde.

Allein hier scheiden sich die, welche zum Kunstgenuß überhaupt bestimmt sind und die, welche es nicht sind; letztere verlangen stets sachlich Neues, als ob die Kunst die illustrierende Dienerin des möglichst verschiedenen Geschehens wäre. Und die moderne Kunst pflegt ihnen hierin wirklich entgegenzukommen und in Historien und Genre stets sachlich neue Themata zu behandeln. Wem aber die Kunst als solche etwas zu sagen im Stande ist, der wird vielleicht inne, daß gerade die am häufigsten vorkommenden Aufgaben die vorzüglichsten Lösungen gefunden.

Es gibt sehr viele höchst vorzügliche Darstellungen der sechs bis sieben Hauptszenen aus dem Leben Christi von der Verkündigung bis zur Transfiguration, aus allen Schulen und Zeiten. Und innerhalb der Werke eines und desselben Meisters ersten Ranges finden sich oft mehrere Kompositionen derselben Szene, sei es, weil derselbe sich an einer ersten Lösung nicht genug getan, sei es, weil die Welt nicht eine Wiederholung, sondern eine zweite, dritte Darstellung von ihm verlangte.

Rubens hat die Anbetung der Könige zwölf Mal komponiert, wovon mir sieben Bilder bekannt sind, und mit diesen allein wäre er schon ein großer Meister. Das strahlende Bild im Museum von Antwerpen ist in vierzehn Tagen gemalt worden. Und wenn Rubens mit stets neuem Feuer dieses Ereignis zu erfüllen wußte, wenn jedes dieser Werke ein neu empfundenes ist, so sollen wir glücklich sein, wenn wir die unermeßlichen Kräfte der Kunst bei solchem Anlaß von dieser Seite ahnen lernen. Schon Paolo Veronese, sein nächstes Vorbild, hat eine Anzahl von Anbetungen der Könige hinterlassen; ein Blick diesem Thema entlang durch die ganze Kunst aufwärts bis zu den Mosaiken von San Apollinare nuovo in Ravenna und S. Maria maggiore in Rom macht schwindeln. Bei den holländischen Genremalern, Jan Steen ausgenommen, erregt die Mäßigkeit und geringe sachliche Variation des Inhaltes Erstaunen; hier am ehesten mag auch dem Laien die Frage aufsteigen, warum solche Bilder dennoch einen magischen Zwang ausüben? Die ausgezeichnetsten davon erscheinen schlechthin unerschöpflich; sie sind auch durch keinen Stich zu ersetzen, während neuere Genrebilder, auf Witze oder sehr gesteigerten Gefühlsausdruck gebaut, bald ermüden und durch Nachbildungen ganz genügend zu ersetzen sind.

Diese reinste Einheit des Gegenstandes und der Darstellungsmittel ist der vergangenen Kunst eigen; es ist, als wären letztere zugleich mit dem erstern aufgewachsen. Freilich nicht alle vergangene Kunst teilt diesen Vorzug. Das frühere Mittelalter hat das Wollen ohne das Vollbringen; es stellt das Heilige und Erhabene mit sehr unzulänglichen Mitteln dar. In der neuern Kunst findet sich etwa das Gegenteil: einzelne sehr große und bis zur höchsten Vollendung ausgebildete Kunstmittel bei sehr ungenügender Entwicklung anderer Kunstmittel und bei oft sehr großem Mißverhältnis zum Inhalt: man denke an Rembrandt, an seine Lichtmalerei und Fähigkeit der Charakteristik bei höchst mangelhafter Kenntnis der Körperform und der Perspektive derselben und bei barocker Auffassung des Vorganges.

Hier mag dann der Beschauer am ehesten in sich die Fähigkeit entwickeln, Gegenstand und Darstellung völlig zu trennen, die aufgewandten Kunstmittel aufs höchste bewundern zu lernen, für alles übrige aber seine berechtigten Vorbehalte zu machen, und sich zum Beispiel nicht mit dem Argument fangen zu lassen, daß Inhalt und Vortrag doch immer harmonisch seien, das heißt, daß diese Auffassung eine diesen Kunstmitteln völlig gemäße sei. Sie ist eben eine für den Gegenstand absolut zu niedrige. Man lasse sich nicht durch die »Kenner« in den jetzt beliebten Rembrandtskultus hineintreiben. Erstens hat unser subjektives Gefühl, so gering die Aesthetik davon redet, etwa auch sein Recht der Antipathie und sogar des Abscheus. Rembrandt stößt alle einfachen Menschen ab. Sodann ist dem unverdorbenen Sinn eine geheime Idealität eingeboren und diese braucht nicht vor dem Häßlichen deshalb zu kapitulieren, weil dasselbe genial vorgetragen wird. Und jedenfalls abstoßend wirkt jede weite Abweichung von der normalen Körperbildung, dergleichen bei Rembrandt so oft vorkommt. Seine spezifischen und wirklich großen Eigenschaften würden nicht dabei gelitten haben, wenn er jene Mängel nicht hätte. Nun muß man in der Regel bei ihm ein größeres oder gelinderes Widerstreben überwinden, bevor uns der Genuß möglich wird. Das ganze Altertum seit seiner Reifezeit hat uns diese Zumutung niemals gestellt. Je weniger man sich überhaupt Genüsse aufreden läßt, desto eher wird man, bei einigem Ausharren, ein selbständiges Verhältnis zu bestimmten Meistern und Bildern gewinnen.

Am ehesten wird man kunstgeschichtlicher Belehrung bedürfen, um bei der Betrachtung von Galerien das bloß Sekundäre ausscheiden zu lernen, womit eine große Vereinfachung des beginnenden Studiums erreicht wird. Worin liegt das Sekundäre? Keineswegs darin, daß ein Maler denselben Gegenstand behandelt, der schon vor ihm von andern behandelt worden ist; zum Beispiel weist die italienische Malerei des XV. Jahrhunderts eine Menge Madonnen mit Heiligen und noch dazu von ganz ähnlicher Anordnung auf, von welchen doch viele wahrhaft primäre Bilder sind, weil die Meister in das bekannte und übliche Thema eine volle Eigentümlichkeit, ein Inneres zu legen vermochten. Die bedeutendern Holländer des XVII. Jahrhunderts, ausgenommen die Nachahmer Rembrandts, sind sämtlich primäre Meister, auch wenn sie nahezu dieselben Gegenstände darstellen, und dies gilt gleichmäßig von Genre, Porträt und Landschaft. Daher kommt es, daß das Museum von Amsterdam die einzige größere Galerie ohne unbedeutende und langweilige Bilder ist. Die Schülerschaft im damaligen Holland war die eigentümlichste Sache von der Welt; jeder erreicht eine sehr hohe Stufe der Kunstmittel, und dabei gleicht kaum einer seinem Lehrer; die Themata, wenigstens im Genre, sind annähernd gemeinsam, und doch malt sie jeder so, als gehörten sie ihm allein.

Das Sekundäre beginnt bei Meistern, welche neben großem Talent auf jede Weise abhängig sind und nicht anders können als ihre Lehrer oder Vorbilder nachahmen. Das Sekundäre liegt im Stil und kann sich in materiell neuen, nie dargestellten Momenten doch völlig verraten. Manche wollen im Grunde nur ähnliche Erfolge erreichen wie diese.

Etwas anderes ist es mit vielen sehr achtbaren Meistern, welche in die Zeit eines sogenannten großen Stiles gefallen sind; einem solchen genügt schon ohnehin selten der Nachgeborene; den andern aber liegt es nahe, ohne eigenes mächtiges Inneres, durch bloße Aneignung des Ideenkreises und der Kunstmittel der primären Meister oft sehr ansehnliche und verdienstvolle Bilder zu schaffen, welche der Beschauer, laut ihrer unleugbaren Kraft, für primäre halten muß, bis die Runde durch viele Galerien ihn den primären Meister kennen lehrt. Dieser Art ist vieles von den Nachfolgern Rafaels. Ja es pflegen ganze Schulen sekundär zu heißen, wie die der Caracci von Bologna, obwohl hier vor jeder Mißachtung zu warnen ist; denn es war in dieser Schule viele echte und primäre Kraft, und Guido Reni, welcher hundert Jahre früher das allergrößte würde geleistet haben, ist auch noch in seinem XVII. Jahrhundert ein sehr großer Meister, sobald er seine volle Macht aufwendet.

Derjenige Punkt, wo das Sekundäre am fatalsten wirkt, ist das entlehnte Pathos, welches mit Recht als vorzüglich langweilig gilt. Freilich je pathetischer ein Nachahmer war, desto beliebter mag er zu seiner Zeit gewesen sein; daß er in einer folgenden Zeit um so viel unbeliebter sein würde, mag ihn vielleicht wenig gekümmert haben. Eine besondere Schwäche zeigt hierin die französische Schule mit ihrer Abhängigkeit vom Pathos des Poussin und den Ausdrucksrezepten des Lebrun, bis zu gänzlichem Verzicht auf eigene Empfindung. Es wollten und mußten eben viel mehr Leute Pathos zeigen als dessen fähig waren.

Viele Galerien sind mit dem Sekundären überfüllt, und auch an solchen Bildern ist oft viel zu genießen und zu lernen.

Ja das unverdorbene Auge eines Unwissenden kann vor allem davon auf das stärkste berührt werden, weil es von dem Primären ergriffen wird, welches mit in dem Sekundären liegt, oder von dem allgemeinen großen Schulgut, welches oft, zum Beispiel auch geringere Bilder der venezianischen Schule, so stattlich und schön erscheinen läßt.

Namentlich aber werden einem solchen gute Kopien völlig den Eindruck der Originale machen, sobald es sich um Werke und Schulen handelt, wo der Akzent auf der Komposition und auf Größe und Adel der Formen liegt. Ohnehin erwartet der einfache, unverdorbene Sinn von der Kunst gerne das feierliche, das Bild einer höhern Welt und ist auch mit unvollkommenen Anregungen aus dieser Welt zu rühren und zu bewegen. Ja selbst von dem geringsten Kupferstich wird er noch in Rafaels und Tizians Grablegung, in Lionardos Abendmahl die untödliche Schönheit empfinden. Möge Galeriebesuchern dieser Art die nötige Muße und das Wiederkommen gegönnt sein, damit sie ganz nach ihrem Innern bald dieses, bald jenes Bild lieb gewinnen. Dieser Weg wird sie dann auch zu den großen Meistern führen, und richtiger als der gewöhnliche Weg der konventionellen Bewunderung.


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