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Gewandert ist er lange, als er sieht
Ein rötlich Flämmchen, das durch Bäume glüht.
– Sir Gawaine fragte schnell
Wohin der Weg zum stolzen Corduel?
Der Ritter vom Schwert.
»Na! Bunting, wir sind nicht weit von unserem Nachtquartier,« sagte Walter, indem er auf einen Meilenstein neben der Straße zeigte.
»'s arme Vieh wird froh sein, wenn wir dort sind,« erwiderte der Korporal und wischte sich die Stirn.
»Welches Vieh, Bunting?«
»Uff – jetzt werden Euer Edeln scharf! Freut mich, Sie so guten Humors zu sehen.«
Walter seufzte tief; keine Freude war in diesem Augenblick in seinem Herzen. »Um Vergebung. Herr.« sagte der Korporal nach einigem Stillschweigen, »wenn ich so frei sein darf: haben Euer Edeln Vermeldung, wie's in Grünthal steht?«
»Nein, Bunting, ich habe seit unserer Abreise mit meinem Onkel keinen Briefwechsel geführt. Einmal hab' ich ihm geschrieben, vor unserem Aufbruch nach Yorkshire, aber ich konnt' ihm keinen Ort angeben, wohin er mir die Antwort hätte schicken können. In der That war ich bei meinen Nachforschungen so von Hoffnung erfüllt, so oft begegnete mir ein Fingerzeig auf dieser Spur, die, wie ich jetzt fürchte, verloren ist, daß ich das Schreiben beharrlich vermied, bis ich die sichere Nachricht würde mitteilen können, auf deren Erlangung ich mit Bestimmtheit gerechnet hatte. Sollten wir übrigens in Knaresborough auch zu keinem Erfolg gelangen, so werd' ich gleichwohl von da aus einen ausführlichen Bericht über unsere bisherige Unternehmungen absenden.«
»Hoff', werden dabei auch vermerken lassen, daß ich mich zu Euer Edeln Satisfaktion benommen hab'.«
»Verlaßt Euch drauf.«
»Dank Ihnen, Herr, dank unterthänig. Möcht' nicht, daß der Squire mich für undankbar hielte! – Uff! – und vielleicht könnt' ich noch größere Ursach' zur Erkenntlichkeit haben, wenn der Squire, segne ihn Gott! in Berücksichtigung von Euer Edeln gütigen Verwendung mir das Häusel zinsfrei überließ.«
»Ein Mann von Welt, Bunting, ein Mann von Welt!«
»Bin Euer Edeln sehr verbunden!« sagte der Korporal, die Hand an den Hut legend. – »Soll mich doch wundern,« hob er nach kurzer Pause wieder an, »soll mich wundern, wie's 'm armen Nachbar Dahltrup geht. War vergangnes Jahr leidend; möcht' wissen wie's mit 'm Peter steht – ist 'ne gute Haut.«
Etwas erstaunt über diese plötzliche Nächstenliebe von seiten des Korporals – denn selten drückte Bunting Teilnahme für irgend jemand aus – erwiderte Walter:
»Wenn ich schreibe, Bunting, will ich nicht vergessen, mich nach Peter Dahltrups Befinden zu erkundigen; – giebt Euch Euer mitleidiges Herz noch sonst irgend eine Botschaft an ihn ein?«
»Nur nach Jakobine zu fragen, dem armen Ding; sie könnte selbst in Unangelegenheiten kommen, wenn der kleine Peter krank würd', und sie dann vergäße – uff. – Und daß ich hoffte, Peter werd's Häusel bisweilen auslüften... doch dafür wird wohl der Squire sorgen, segn' ihn Gott, und auch für's Kartoffelland.«
»Darauf könnt' Ihr Euch verlassen, Bunting,« sagte Walter, und versank in stille Träume, aus denen ihn jedoch der Korporal bald wieder aufweckte.
»Denk' mir wohl, Fräulein Madeline wird jetzt schon verheiratet sein, Euer Edeln? Geb' der Himmel, daß sie mit 'm gelehrten Mann glücklich wird.«
Walters Herz schlug bei dieser unvermuteten Bemerkung einen Augenblick schneller, aber es that ihm wohl, zu bemerken, daß die Zeit, wo der Vorstellung von Madelines Vermählung schmerzliche Empfindungen sich beigesellten, gänzlich in ihm vorüber war. Indessen führte ihn diese Betrachtung auf eine neue Reihe von Gedanken, und ohne dem Korporal zu antworten, versank er in noch tieferes Sinnen als zuvor.
Der schlaue Bunting sah, daß der Augenblick zu einer Erneuerung des Gesprächs nicht günstig sei; er blieb daher mit seinem Pferd wieder zurück, nahm aus seiner Tabaksdose einen Mundvoll zum Kauen, und unterhielt sich bald ebenso gut als sein Herr. In dieser Weise waren sie ungefähr eine halbe Stunde fortgeritten und bereits dunkelte der Abend tiefer, als eine, auf einen grünen Rasenplatz sich öffnende Lücke in der Straßenhecke ihnen eine Zigeunerwirtschaft zu Gesicht brachte. Der Anblick erschien so überraschend und malerisch, daß er den jungen Reisenden aus seiner Versunkenheit aufweckte, sodaß er, während sein müdes Pferd langsam, den Zügel auf dem Nacken, dahinschritt, mit ernstem Auge auf das wandernde Lager neben seinem Wege hinsah. Der Mond war eben über einem dunkeln Gebüsch im Rücken der Reisenden aufgegangen und warf ein breites, tiefes Dämmerlicht über den Rasen hin, ohne der lebhaften Wirkung der Feuer Abbruch zu thun, welche im schwärzern Hintergrunde der Trift glühten und Funken sprühten, während man die dunkeln Gestalten der Zigeuner undeutlich um die Flamme herumkauern sah. Ein Schauspiel dieser Art gehört wohl zu den überraschendsten, die Alt-Englands grüne Heiden darbieten. – Mich zieht es immer unwiderstehlich an, teils durch seine eigenen Reize, teils durch diejenigen, welche sich in der Vorstellung damit verbinden. Auf einem einsamen Ausflug, den ich, noch ganz Knabe, durch einige Teile von England und Schottland machte, bekam ich manches von diesem wilden Volke zu sehen, obwohl vielleicht nicht soviel als der geistreiche Georg Hanger, auf dessen Denkwürdigkeiten der Leser hinsichtlich einiger sehr unterhaltenden Abschnitte aus dem Zigeunerleben verwiesen sein möge. – Indem Walter das Auge noch auf das Lager gelichtet hielt, war er seinerseits dem Blick eines alten Weibes nicht entgangen. Hastig kam sie auf ihn zugerannt und bat um Erlaubnis, ihm wahrsagen zu dürfen und ihre Hand mit Silber in Berührung zu bekommen.
Sehr wenige Menschen unter dreißig Jahren schlagen je ein Anerbieten solcher Art mit aufrichtigem Herzen ab. Niemand glaubt an diese Verkündigungen, aber jedermann hört sie gern. So willigte denn auch Walter, nachdem er den Vorschlag zweimal halb zurückgewiesen, beim drittenmal ein, hielt sein Pferd an und reichte seine Hand der alten Dame hin. Mittlerweile war ein Bube aus der Bande, der das Weib begleitet hatte, zum Lager zurück nach einem Lichte gerannt, und hielt nun hinter der Schulter der Alten einen Kienbrand empor, der sein rotes, unheimliches Licht auf die Gruppe warf.
Der Leser darf nicht glauben, daß wir jetzt seine Leichtgläubigkeit zu Hilfe rufen werden, um die Teilnahme für unsere Geschichte irgendwie zu schärfen. Die Alte war eine gewöhnliche Zigeunerin und sagte Walter dasselbe Schicksal voraus, das sie jedermann verkündete, der ihr einen Schilling für die Prophezeiung bezahlte: – eine reiche Erbin mit blauen Augen – sieben Kinder – Ungelegenheiten gegen das dreiundvierzigste Jahr hin, die glücklicherweise bald vorüber sein werden – ein gesundes, hohes Alter und einen leichten Tod. Obwohl Walter den Ausspruch ohne sonderliche Ehrfurcht anhörte, konnte er sich doch der Frage nicht enthalten: »ob die Reise, auf welcher er im Augenblick begriffen sei, zu einem Ziele führen werde.«
»'s ist 'ne böse Nacht,« sagte das alte Weib, indem sie das wilde Gesicht mit dem greisen Haar geheimnisvoll aufwärts wandte – »'s ist 'ne üble Nacht, für die so suchen und für die so fragen. Er – geht um.«
»Er – Wer?«
»Gleichviel! – mögt zum Ziel kommen; junger Herr, und doch wünschen, daß es nicht so gegangen war'. Den Mond von dieser Seite her und der Wind von jener, verkünden, daß Ihr Eure Wünsche erreichen und finden werdet, daß sie ein Kreuz für Euch sind.«
Der Korporal hatte dieser Verkündigung sehr aufmerksam zugehört und wollte der Wahrsagerin sofort eben die eigene Hand hinstrecken, als von einem Nebenwege zur Rechten Hufschlag ertönte und gleich darauf ein Reiter in vollem Trabe auf sie zukam. »Hört mal, alte Hexe, oder Sie, meine Herren, ist dies die Straße nach Knaresborough?«
Die Zigeunerin wandte sich und schaute dem Reiter ins Gesicht, auf welches der rote Glanz des Kienbrandes den vollen Widerschein warf.
»Nach Knaresborough, Richard, du Teufelswaghals? und was will denn der Zugvogel im alten Nest? Willkommen in Yorkshire, Richard, mein Rabensohn.«
»Ha!« rief der Reiter, indem er die Hand über die Augen hielt, als er den Blick der Zigeunerin erwiderte: »Bist du's, Liese Airlie – dein Willkomm ist wie Eulengeschrei und führt auf die falsche Bahn. Aber ich kann mich nicht aufhalten. Hier geht's also nach Knaresborough?«
»So gerad wie 'nes sterbenden Mannes Fluch in die Hölle,« erwiderte die Alte in jener bilderreichen Redeweise, die von ihrem ganzen Volke bevorzugt wird, ja aus welcher dessen eigene Sprache in der That beinahe ganz besteht.
Der Reiter antwortete nicht, sondern trabte fort. »Wer ist das?« fragte Walter ernsthaft, während das alte Weib ihren schwarzgelben Hals dem Wanderer nachstreckte.
»'n alter Freund, Herr,« erwiderte die Ägypterin trocken. »Hab' ihn seit vierzehn Jahren nicht gesehen, aber Liese Airlie thut das nicht, daß sie 'nen Freund oder Feind vergißt. Ja, Herr, soll ich Euer Edeln wahrsagen?« (damit hatte sie sich zum Korporal gewandt, der, die Hand am Halfter, aufrecht im Sattel saß), »die Haarfarbe der Dame – und –«
»Halt's Maul, du Teufelsrippe,« fuhr der Korporal stürmisch dazwischen, als sei die ganze Flut seiner Gedanken, die der Wahrsagerin noch eben so günstig war, mit Gewalt zurückgeworfen worden. »Gefällt's Euer Edeln, 's wird spät; wär' besser für uns, wir trabten vorwärts.«
»Ihr habt recht,« sagte Walter. Damit spornte er sein abgetriebenes Pferd, nickte der Zigeunerin ein Lebewohl zu, und war bald aus dem Gesicht der Lagernden.
»Herr,« sagte der Korporal, indem er seinem Gebieter an die Seite geritten kam, »das ist 'n Mann, den ich schon gesehen hab'. Kannte sein Teufelsgesicht im Augenblick wieder; – ist derselbe, der in Grünthal nach Herrn Aram fragte, und den wir später in der Nacht trafen, als wir auf Sir Peter Dingsda stießen.«
»Bunting.« sagte Walter mit leiser Stimme, »auch ich hab' mich bemüht, mir zurückzurufen, wo ich das Gesicht dieses Menschen schon gesehen; denn auch ich bin überzeugt, daß es mir schon irgendwo vorkam. Beinahe zur Gewißheit steigt in mir der üble Verdacht, daß in der Stunde, als ich dasselbe zum letztenmal sah, mein Leben in Gefahr schwebte. Mit einem Wort, ich glaube, daß dieses Gesicht sich in der Nacht über mich beugte, als ich unter der Hecke lag und der Ermordung kaum entging. Gleichwohl war's, wie ich meine, noch der Gutherzigste unter den Schurken, der einzige, der seinen Kameraden den Rat gab, mir nicht den Garaus zu machen.«
Der Korporal schauderte.
»Möchten's doch nachsehen,« sagte er nach einem augenblicklichen Stillschweigen, »ob Ihre Pistolen Pulver auf der Pfann' haben; – so – so! 's wär' nicht unmöglich, daß der Kerl hier 'rum seine Handwerksgesellen hätte, und uns 'nen Hinterhalt zu legen gedenkt. Auch die alte Ziegeunerin, was für 'n G'sicht sie hatte! Verlassen Sie sich drauf, die zwei stecken unter einer Decke – uff! – Wetter – wuff!«
Damit ließ der Korporal sein bedeutsamstes Grunzen hören.
»In der That das ist nicht unwahrscheinlich, Bunting, und da wir jetzt nicht mehr weit von Knaresborough entfernt sind, werden wir gescheit thun, so schnell als es die Pferde aushalten, weiterzureiten. Kommt an meine Seite.«
»Mein Seel' – will Euer Edeln decken,« sagte der Korporal, indem er auf diejenige Seite ritt, wo die Hecke am dünnsten und folglich ein Hinterhalt am wenigsten wahrscheinlich war. »'s ist mir mehr um Euer Edeln, als um mich selbst z' thun; was für 'n Vieh wär ich auch sonst! – uff!«
Herr und Diener waren eine kleine Strecke Wegs fortgetrabt, als sie bemerkten, daß sich auf der Wiese neben der Straße etwas Dunkles hinbewege. Dem Korporal stand das Haar zu Berge; er stieß einen Fluch aus, der bei ihm stets für ein Gebet galt. Auch Walter fühlte den Atem etwas schwerer werden, als er die Bewegungen des nur undeutlich erkennbaren Gegenstandes betrachtete. Gleich darauf wurde derselbe jedoch zu einem Reiter, der sehr langsam auf dem Grase dahintrabte, und als sie nun näher kamen, erkannten sie den vorhin gesehenen Mann, welcher, nach der Eile zu schließen, mit der er sie verlassen, bereits viel weiter hätte voraus sein müssen.
Der Reiter wandte sich, als er sie hinter sich hörte.
»Sagen Sie mir doch, meine Herren,« rief er ihnen im Tone großer, augenscheinlicher Beängstigung zu, »wie weit ist es nach Knaresborough?«
»Antworten's ihm nicht, Euer Edeln,« flüsterte der Korporal.
»Wahrscheinlich,« erwiderte Walter, ohne auf diesen Wink zu achten, »kennen Sie die Straße besser, als wir selbst. Indessen kann es nicht viel über eine Stunde sein.«
»Dank Ihnen, mein Herr – bin schon sehr lange nicht mehr in diesen Gegenden gewesen. Vormals wußte ich mich wohl zurechtzufinden, da haben sie aber neue Straßen und wunderliche Gehege gemacht, so daß ich mich jetzt an gar keinen bekannten Gegenstand halten kann. Verflucht sei diese Bestie, verflucht sag' ich!«, wiederholte der Reisende und biß im Tone des heftigsten Ärgers die Backenzähne zusammen: »niemals war mir die Eile noch so sehr vonnöten, und doch ist das Tier so lahm geworden wie ein Holzblock. So geht's, wenn man rascher fort will als andere Leute. – Herr, sind Sie ein Vater?«
Diese plötzliche Frage mit scharfer, gespannter Stimme vorgebracht, fiel Walter etwas unheimlich auf. Er antwortete kurz mit »Nein,« und wollte eben sein Pferd zu neuem Laufe anspornen, als der Reiter noch einmal das Wort nahm, wobei in seinem Tone und in seiner Weise etwas war, das wirklich Aufmerksamkeit erregte.
»Und ich bin im Zweifel, ob ich ein Kind habe oder nicht. – Bei Gott! da kann's einem bitter ans Herz nagen! – Vielleicht komm' ich nach Knaresborough, um meine einzige Tochter tot zu finden, Herr! – tot!«
Trotz Walters Argwohn gegen den Redenden konnte er sich bei dem sichtbaren Kummer, womit diese Worte ausgesprochen wurden, einer Aufwallung von Mitleid nicht enthalten.
»Hoffentlich wird das nicht der Fall sein,« sagte er unwillkürlich.
»Dank Ihnen, Herr,« erwiderte jener, indem er einen vergeblichen Versuch zur Antreibung seines Gaules machte, der unter der Anstrengung beinahe zu Boden stürzte. »Ich bin spornstreichs vierzehn Stunden durch's Land geritten; denn eine Post gab es in dem verfluchten Orte, wo ich diese Bestie mietete, nicht. Dies war die einzige Kreatur, die ich um Geld und gute Worte bekommen konnte, und jetzt weiß nur der Teufel, wie wichtig jeder Augenblick sein mag – Während ich da spreche, thut vielleicht mein Kind den letzten Atemzug!« – Damit schlug der Mann in Verzweiflung und Wut dem Pferde mit geballter Faust in die Seiten.
»Nichts als Spitzbüberei.« flüsterte der Korporal.
»Herr,« rief der Reiter jetzt mit lauter Stimme, »ich hätte nicht zu fragen gebraucht, ob Sie Vater sind, denn wären Sie's, so hätten Sie längst Mitleid mit mir gehabt und mir Ihr eigenes Pferd geliehen.«
»Der unverschämte Schurke,« murmelte der Korporal.
»Herr,« erwiderte Walter, »man glaubt nicht alles, was jeder Fremde sagt.«
»Glauben! – schon recht, schon recht, gleichviel!« entgegnete störrisch der Reiter. »Es gab eine Zeit, Herr, wo ich mit Gewalt gefordert haben würde, um was ich jetzt bitte; aber das Herz ist mir gebrochen. Reiten Sie zu, Herr, reiten Sie zu – und verdammt sei –«
»Wenn,« unterbrach ihn Walter unschlüssig – »wenn ich Ihrer Versicherung glauben könnte: – aber nein! Merken Sie sich, Herr, ich habe Gründe – schlimme Gründe zu dem Verdacht, daß Sie mir mit Ihrem Vorgeben bloß eine Falle stellen wollen.«
»Ha!« sagte der Reifende nachdenklich, »sind wir nicht schon früher zusammengetroffen?«
»Ich glaube so.«
»Und Sie haben Ursache gehabt, sich über mich zu beklagen? Es mag sein – es mag sein; aber stünd' das Grab vor mir und würf' mich eine einzige Lüge hinunter, so schwör' ich feierlich, daß ich jetzt bloß die nackte Wahrheit sage.«
»Es wäre thöricht, ihm zu trauen, Bunting?« wandte sich Walter zu seinem Diener.
»Thöricht? – 'ne Pure Tollheit – Wetter!«
»Wenn Sie der Mann sind, wofür ich Sie halte,« nahm Walter wieder das Wort, »so erhoben Sie einst Ihre Stimme gegen die Ermordung eines Reisenden, obwohl Sie denselben plündern halfen; – dieser Reisende war ich. Ich will der Liebesthat gedenken und die Gewaltthat vergessen, – will nicht glauben, daß Sie Ihre Geschichte als eine Falle für mich erfunden haben. Nehmen Sie mein Pferd, Herr, ich will Ihnen trauen.«
Hausman – denn er war es – sprang augenblicklich aus dem Sattel. »Ich flehe nicht zu Gott, Sie zu segnen: ein Segen aus meinem Munde wäre schlimmer als ein Fluch. Aber Sie werden das nicht bereuen; Sie werden das nicht bereuen!«
Hausman sprach diese wenigen Worte mit sichtbarer Rührung, die bei der offenbaren Roheit und verhärteten Gemeinheit seiner Natur um so ergreifender war. Im zweiten Moment hatte er Walters Pferd bestiegen. Er wandte sich und fragte, wohin er das Pferd in Knaresborough schicken solle? Walter wies ihn nach dem ersten Gasthofe; Hausman gab ein Abschiedszeichen mit der Hand, stieß dem Tier die Sporen in die Seiten und war ihnen, trotz dessen Ermüdung, in einem Nu aus den Augen.
»Na, wenn ich je so was g'sehen hab',« brummte der Korporal. »lirum larum la la la, lirum larum la la la! – Uff – wuff – Wetter!« –
»Meine Gutherzigkeit gefällt Euch nicht, Bunting?«
»O Herr, jetzt ist's einerlei, jetzt schneiden sie uns die Kehlen ab – weiter gar nichts.«
»Was, Ihr glaubt also der Geschichte nicht?«
»Ich? Wie Euer Edeln fragen können! Ich bin kein Narr.«
»Bunting!«
»Herr.«
»Ihr vergeßt Euch.«
»Uff!«
»Ihr meint also, ich hätte ihm das Pferd nicht leihen sollen?«
»Ne! G'wiß nicht.«
»Bei solchen Gelegenheiten soll also jeder nur an sich selbst denken? Klugheit vor Edelmut?«
»Nicht anders, Herr.«
»So steigt also ab; – ich brauch' dann mein Pferd selbst. Ihr könnt Euch mit dem lahmen fortschleppen.«
»Uff, Herr, uff?«
»Schurke, steig' ab, sag' ich!« rief Walter ergrimmt. Der Korporal gehörte zu den Leuten, welche ihre Herren gern meistern mögen; dazu erboste seine Selbstsucht den jungen Mann ebensosehr als sein anmaßlicher Ton größerer Einsicht. Der Korporal zögerte. Er hielt einen Hinterhalt für etwas, das gar nicht ausbleiben konnte, und wog die Gefahr, ein lahmes Pferd zu reiten, gegen das Mißfallen seines Herrn ab. Walter geriet beim Anblick dieser Bedenklichkeiten in so heftige Wut, daß er auf den Diener losstürzte, ihn beim Kragen faßte, und so schwer er war, zu Boden schleuderte, da derselbe auf einen solchen Angriff sich gar nicht gefaßt gemacht hatte.
Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, bestieg Walter das gesunde Pferd, warf den Zügel des lahmen über einen Zweig und überließ es dem Korporal, ihm nach Gefallen nachzufolgen.
Es giebt vielleicht keinen unleidlichern Gemütszustand, als unsere Empfindung, wenn wir erst eine großmütige Handlung begangen zu haben glauben und dann besorgen, es sei bloß eine thörichte gewesen.
»Gewiß,« sagte Walter zu sich selbst, »gewiß ist der Mann ein Schurke; gleichwohl war seine Rührung aufrichtig. Gewiß war er einer von denjenigen, die mich beraubten; gleichwohl war er auch der einzige, der sich für mein Leben verwandte. Hätt' ich wohl einem Bösewicht zu neuer Kraft verholfen, wär' ihm zu einer Gewaltthat gegen mich selbst beigestanden? Es ist sehr glaublich! Doch auf der andern Seite, wenn seine Geschichte wahr ist – wenn sein Kind wirklich auf den Tod liegt und er nun durch meine Hilfe noch zu einer letzten Unterredung mit demselben käme! Ja, ja, darauf will ich hoffen!«
Hier wurde er von dem Korporal eingeholt, der, so erbost er war, es für klüglich hielt, seinen Zorn bis auf andere Gelegenheit zu unterdrücken und sich durch die Gesellschaft, womit er seinen Herrn beehrte, einen Verteidiger in der nächsten Nähe zu verschaffen, falls sich seine Befürchtungen als begründet ergeben sollten. Aber einmal im Leben betrog ihn seine Weltkenntnis: kein lebendes Wesen rührte sich auf dem einsamen Wege; allgemach schimmerten ihnen die Lichter der Stadt entgegen und bei der Ankunft im Gasthof fand Walter, daß sein Pferd schon hergeschickt war und sich, mit Staub und Schaum bedeckt, bereits unter den schützenden Händen des Hausknechts befand.