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Dies große Leid die Lieb' mir giebt;
Kein Mund spricht aus, wie krank mein Herz!
Ich liebe wen, der mich nicht liebt,
Will nichts von Trost, nur neuen Schmerz.
Das trauernde Mädchen.
Gern zög' der Blumenau ich nach,
Trost gäbe mir der Silberbach;
Ich hätte angelnd oft gelauscht
Wie er melodisch niederrauscht.
Isaak Walton.
Nachdem Walter den Oheim verlassen, stürmte er, kaum wissend, wo er seine Schritte hinsetze, nach seinem Lieblingsplätzchen am Ufer des Baches. Von Kindheit an war dieser Fleck der Zeuge seiner ersten Sorgen, seiner knabenhaften Entwürfe gewesen, und noch jetzt begünstigte die Einsamkeit des Ortes jene Gewohnheit der Knabenjahre.
Lange hatte er, ihm selbst unbewußt, eine Neigung zu seiner schönen Cousine genährt, und nicht früher eröffnete sich ihm das Geheimnis seines Herzens, bis er mit qualvoller Eifersucht in das Geheimnis des ihrigen gedrungen war. Der Leser hat ohne Zweifel bereits bemerkt, daß diese Eifersucht es gewesen, was Walters Mißfallen an Aram zuerst hervorrief. Die Art von Befriedigung, die er aus diesem Mißfallen geschöpft, war ihm jetzt entzogen. Die edle Mäßigung im Benehmen des Gelehrten hatte jeden entschuldbaren Grund zu einem Widerwillen weggenommen, und Walter dachte groß genug, um die Vorzüge dieses Mannes anzuerkennen, während ihre Wirkung ihn auf die Folter spannte. Still bis zu diesem Tage hatte er an seinem Herzen genagt, und für seine Verzweiflung keinen Vertrauten und keinen Tröster gefunden. Der einzige Wunsch, den er nährte, war eine fieberhafte, unklare Sehnsucht, den Ort zu verlassen, der an den Sieg seines Nebenbuhlers erinnerte. Alles um ihn her war ihm verhaßt geworden; ein Fluch schien auf das Antlitz seiner Heimat gefallen. – Jetzt empfand er den bittern Trost, daß seine Befreiung vor der Thür sei; in wenigen Tagen kann er der Schmerzen, der Pfeile los sein, welche in Grünthal jeden Augenblick auf ihn einstürmen. Er wird Madelines süße Stimme nicht mehr hören, deren Silberton sich halb verzagt dem Ohr seines Verdrängers zuwendet – nicht mehr wird er unbeachtet zur Seite stehen und sehen, wie ihr Blick schüchtern einen andern sucht, oder wie ihre Wange schnell aufflammt, wenn der Schritt dieses Glücklicheren herannaht. Viele Meilen werden dieses Bild wenigstens seinen Augen entrücken, und sollte es nicht möglich sein, daß er in der Abwesenheit vergessen lernte? – Unter solchen Gedanken kam er am Ufer des kleinen Baches an und wurde aus seinen Träumereien durch den Ruf des eigenen Namens aufgeweckt. Er fuhr zusammen und sah den alten Korporal auf einem Baumstumpf sitzen, emsig beschäftigt, an seine Angelschnur jenes trügliche Gebilde zu befestigen, das Leute vom Handwerk und, so viel wir wissen, die übrige Welt mit ihnen die »blaue Mücke« nennen.
»Na! Herr Walter, – an der Arbeit! wie Sie sehen. – Taug' sonst zu nichts mehr. Ist 'ne Muskete ausgeschossen, so kaufen sie Schulbuben – puffen damit nach Spatzen. Geht mir auch so; doch meinethalben! – Nicht umsonst in der Welt gewesen! Müssen uns in alles schicken, mein' ich, he? – Nun sollen's mich 'nmal die schönste Forelle fangen sehen, die Sie diesen Sommer vors Gesicht bekommen haben; sehen's dort unter'm Busch! Pst, Herr, pst!«
Damit stimmte der Korporal seine Kriegerseele ganz zur Leitung der blauen Mücke herab; bald schwippte er sie leicht übers Wasser, bald ließ er sie kokettierend auf der Fläche schweben; bald schwamm sie wie eine ihres Wertes unbewußte Schöne unbesorgt mit den Fluten fort; bald that sie wie eine listige Spröde, als hätte sie unterwegs zu verweilen oder sich ins bedeutsame Dunkel unter den Schatten eines Uferabhanges zu verbergen. Aber keiner dieser Anschläge verführte die alte wachsame Forelle, auf deren Erlangung der Korporal sein Herz gesetzt hatte; und was besonders ärgerlich war, der Angler konnte ganz deutlich die dunklen Umrisse seines beabsichtigten Opfers sehen, das auf dem Grunde des Wassers lag, – wie ein auf Anstand haltender Hagestolz noch von fern nach den Reizen äugelt, denen zu entsagen er sich klüglich vorgenommen hat.
Der Korporal wartete, bis er sich nicht länger den unangenehmen Umstand verbergen konnte, daß die blaue Mücke ganz unwirksam sei. Sofort zog er die Schnur an und vertauschte die verschmähte Lockung dieses Köders mit der neuen eines Isabellenpferdchens.
»Jetzt, Herr,« flüsterte er, den Finger aufhebend und Walter listig zunickend. Leise sank das Isabellenpferdchen auf das Wasser und schnell glitt es vor dem Blick der versteckten Forelle dahin. Diese schien sofort ans ihrer Apathie wirklich zu erwachen und kam, sich auf den Flossen wiegend, vorwärts. Langsam steigt sie gegen die Oberfläche empor – schon kann man alle Flecken ihrer Haut unterscheiden – dem Korporal steht das Herz still – jetzt ist sie in passender Entfernung von dem Pferdchen; unverrückt belugt sie es; sie überlegt, schaukelt hin und her. Das Pferdchen schwimmt scheinbar ganz gleichgiltig weg; diese Gleichgiltigkeit schärft den Appetit der zaudernden Beobachterin; sie schießt vorwärts, sie ist dem Köder gerade gegenüber, sie schnappt danach mit dummer Begierde ... o nein! sie beißt nicht an, sie prallt zurück; noch einmal schaut sie mit Verwunderung und Argwohn nach dem kleinen Verführer, und langsam sinkt sie in das tiefere Wasser hinab; dann, dem verschmähten Bissen plötzlich den Schwanz zukehrend, eilt sie, so schnell sie kann, weg – dorthin – dorthin – und fort ist sie! Nicht doch! dort schnellt sie noch einmal aus dem Wasser auf; Himmel! was für ein schöner Braten! Nach was schnappt sie? – Nach einer wirklichen Fliege – »Daß sie verdammt wär'!« brummte der Korporal.
»Ihr hättet sie mit einer Ellritze fangen sollen,« sagte Walter, der bisher stillgeschwiegen hatte.
»Ellritz!« wiederholte mürrisch der Korporal, »bitt' um Vergebung. Ellritz! – Zwanzig Jahre lang mit dem Isabellpferdel gefischt und nie hat's mich im Stich gelassen. Ellritz! – Pah! Aber bitt' um Vergebung; wenn Euer Edlen mit 'ner Ellritz fischen wollen, so sind's willkommen.«
»Dank, Bunting, Und was für einen Fang habt Ihr heute gemacht?«
»O guten, guten,« sagte der Korporal, fuhr aber nach seinem Korb und schloß den Deckel, damit nicht etwa der junge Squire hineinsähe. Kein Mensch hält auch so auf seine Geheimnisse als ein tüchtiger Angler. »Die besten schon vor 'ner Stunden zwei nach Haus geschickt; eine drei Pfund schwer, mein' Seel. Na, ich hab' jetzt genug. Zeit aufzuhören!« Damit fing er an seine Rute auseinander zu schrauben.
»Ja, Herr,« fuhr er mit einem halben Seufzer fort, »'n hübsch Wässerchen das, sagen Sie mir nichts! trotz dem Leafluß. Kennen den Lea? – Keinen Morgen-Spaziergang von London. Marie Gibson, mein erster Schatz, wohnte dort an der Brücke – fing 'mal dort so 'ne Forelle. – Hatte schöne Augen – schwarz, rund wie 'ne Kirsche – fünf Fuß acht Zoll ohne Schuh – hätt's Maß gehabt für's Zweiundvierzigste.«
»Wer, Bunting?« sagte Walter lächelnd, »die Dame oder die Forelle?«
»Oho, was? Lachen über mich, Euer Edlen? Recht so, Herr! Liebe ist 'n dumm Ding! – kenn' die Welt jetzunder – seit zehn Jahren nicht mehr verliebt gewesen. Soll mich wundern, wenn Euer Edlen – nichts für ungut – und Miß Ellinor eben das von sich sagen können.«
»Ich und Miß Ellinor! Ihr vergeßt Euch wunderlich, Bunting,« sagte Walter, dem der Ärger das Gesicht rötete.
»Um Vergebung, Herr, um Vergebung – 'n alter Soldat – gar lange nicht mehr in die Welt gekommen; schlüpfen mir dann und wann Worte aus 'm Maul – Landstreicher ohne Urlaub.«
»Aber wie,« sagte Walter, seine Aufwallung beschwichtigend oder unterdrückend – »warum mich mit Miß Ellinor zusammenbringen? Glaubtet Ihr, daß wir – ineinander verliebt seien?« –
»Ja, Herr, wenn ich's so ansah, so hab' ich nicht mehr gesehen als meine Nachbarn auch.«
»Hm, so sind Eure Nachbarn sehr einfältig und sehr im Irrtum.« –
»Um Vergebung, Herr, noch 'mal. Komm' immer verkehrt. Freilich sagen etliche, 's wär' Miß Madeline, aber ich sagte – »Nein!« sagt' ich – bin 'n Mann von Welt – kann durch 'n Mühlstein sehen – »Fräulein Madeline sieht zu unbekümmert drein, Fräulein Lorchen wird rot, wenn er was sagt.« Scharlach ist der Liebe ihre Regimentsfarbe – war die unsrige beim Zweiundvierzigsten, mit Gelb eingefaßt – Pfeffer- und Salzpantalons dazu! Für mein Teil denk ich – doch ich hab' hier nichts zu denken!«
»Nun, was denkt Ihr denn, Herr Bunting? Heraus mit der Sprache!«
»Hab' Angst, möchten's übelnehmen – na! ich denk, Herr Aram ..... Euer Edeln verstehen – 'nes Squire Tochter ist 'ne zu gute Partie für so einen!«
Walter antwortete nicht, und der geschwätzige Kriegsmann, der des Jünglings Spielgenosse, ja seit Walters Knabenjahren dessen Gefährte gewesen war, so daß er sich an den vertraulichen Ton, worin wir ihn jetzt hören, gewöhnt hatte – fuhr fort, indem aus seiner stoßweisen Weitschweifigkeit gelegentlich so schlaue Beobachtungen hervorblitzten, daß man wohl sah, er sei kein unaufmerksamer Betrachter der kleinen stillen Welt um ihn her. »Frei zu gestehen, Herr Walter, kann diesen Bücherwurm nicht leiden, ebensowenig wie die ganze Art. – Hat was Sonderbares an sich – kann ihm nicht auf 'n Grund sehen – glaub' nicht, daß er so ganz sanft und lämmleinhaft ist, wie er dreinschaut. Sah 'mal 'ne ruhige, stille Pfütze – über'm Meer drüben – guckte hinein – allgemach gewöhnt sich mein Aug' dran – sah etwas Dunkles auf 'm Grund – guckte und guckte – hol' mich der Henker! 'n großer, dicker Alligator! – machte mich gleich davon – kann seitdem keine stille Pfütze mehr leiden – nein, wahrlich!«
»Meinetwegen ein Beweis gegen stille Wasser, Bunting, aber nicht gegen stille Leute.«
»Weiß nicht, Euer Edlen, lauter Schuhe über einen Leisten! Hab Herrn Aram, so zimperlich er ist, doch mit einmal auffahren, sich die Lippe beißen, blaß werden und die Stirn runzeln sehen – hat 'n garstiges Runzeln, kann ich Ihnen sagen – wenn er glaubt, es ist keiner da. 'n Mann, der in 'ne Leidenschaft mit sich selber kommt, wird mit andern bald in Unfrieden geraten. Offen zu sagen, wär' mir nicht recht, wenn ich ihn diese prächtige, schöne junge Dame heiraten säh' – aber 's Gerede geht davon im Dorf. Ist's nicht wahr, so ist's besser, dem Squire was davon zu stecken – falsches Gerede hat oft Wahrheit ausgeheckt. – Um Vergebung, Euer Edlen, geht mich nichts an – bin aber 'n stiller Mann, der Hie Welt gesehen hat, und denk' drüber, was um mich her vorgeht, und wend' den Bissen 'rum und 'rum – das ist so meine Art, Herr. – Aber werden mir bös', Euer Edeln?«
»Keineswegs, ich weiß, Ihr seid ein ehrlicher Mann, Bunting, und unserm Hause zugethan. Auf der andern Seite ist es aber weder klug noch menschenfreundlich, von seinem Nächsten ohne hinreichenden Grund übel zu reden; und wirklich scheint Ihr mir in Eurem Urteil über einen so friedlichen und so allgemein mit so großem Recht geschätzten Mann, wie Herr Aram, etwas vorschnell zu sein.«
»Mag alles sein, Herr – mag sein; – schon recht, was Sie sagen; aber ich meine, was ich meine, wird doch nicht anders, und wahrhaftig, etwas geht mir im Kopfe 'rum, wie doch der garstige Landstreicher, der die Damens so in Schreck setzte, und der, sagt mir Fräulein Lorchen, die 's in seiner Tasche sah, Pistolen bei sich trug, als wär' er unter Kannibalen und Hottentotten, und nicht in der friedlichsten Grafschaft, worein 'n Mann je seinen Fuß gesetzt hat – daß so 'n Kerl, sag' ich, mit seiner Freundschaft zu dem Bücherherrn groß thun und 'ne ganze Nacht in seinem Haus zubringen kann. Ja, ja, gleiche Vögel nisten zusammen – was? Herr?«
»Kein Mensch kann für das gute Aussehen aller seiner Bekannten verantwortlich gemacht werden, wenn er sich auch genötigt fühlen sollte, ihnen ein Nachtlager bei sich anzubieten.«
»Pah!« brummte der Korporal, »die Welt gesehen, Herr, die Welt gesehen – junge Herren immer so gutherzig; 's ist zum Erbarmen, daß je mehr einer sieht, je weniger er traut – kriegt erst Grütze in den Kopf, wenn er tüchtig angelaufen ist – muß einer gar oft zum Narren gehalten worden sein, um nicht zuletzt der Narr im Spiel zu sein.«
»Na, Korporal, so werd' ich bald Gelegenheit haben, durch Erfahrung klüger zu werden. Ich verlasse Grünthal in wenigen Tagen und lerne Mißtrauen und Weisheit in der großen Welt.«
»Ho! was?« schrie der Korporal, aus der nachdenklichen Stellung auffahrend, in der er bisher dagesessen hatte, »die große Welt? wie? wann? – fortgehen – Wer geht mit Euer Edlen?«
»Meine Edeln selbst; ich habe keinen Gefährten, Ihr müßtet denn meine Bedienung abgeben wollen,« sagte Walter scherzend. Aber der Korporal stellte sich mit seiner natürlichen Schlauheit an, als nähme er den Vorschlag für Ernst.
»Ich? Euer Edlen sind allzugütig. Aber freilich, obwohl ich's selbst sag', Herr, hätten können 'ne schlechtere Wahl treffen. – Wird mir freilich weh' thun, von dem kleinen stillen Häus'l weg, und von 'm Bach da, wenn auch die Forelle vorhin nicht anbeißen wollte – aber mein' Seel, da sind Sie falsch dran, wenn Sie 'ne Ellritz empfehlen! – und von Dahltrup, obwohl sein Bier nicht so gut ist, als es vergangenes Jahr war, und – und – kurzum, hab' Euer Edlen immer lieb gehabt, – auf den Knieen geschaukelt. – Wissen's noch, wie wir mit'm Säbel exerzierten? Eins, zwei, drei – haust nicht, so gilt's nicht! – Und wenn Euer Edlen wahrhaftig fortgehen, wer eher als Sie braucht 'n Mann, der d' Welt kennt, Ihnen die Kleider zu bürsten, die Schuhe zu wichsen, guten Rat zu geben – 'n Mann 'n Wort, ich selbst geh' mit.«
Diese Bereitwilligkeit von seiten des Korporals mißfiel Walter keineswegs. Der Vorschlag, den er anfangs im Scherz gemacht, dünkte ihm nun im Ernst annehmbar, und endlich wurde festgesetzt, daß Bunting den andern Morgen im Schloß anfragen sollte, um dort über Zeit und Ort der Reise das Nähere zu erfahren; nicht zu vergessen, wie der kluge Bunting auf zarte Art andeutete, »die kleinen Übereinkommen über Lohn und Kostgeld, mehr nur der Form wegen, als aus sonst 'nem Grund – hm!«