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Fallstaff.
Heiß meinen Lieutenant
Peto am Ende der Stadt auf mich
warten ... Ich hob nur solche
Butterbemmen aus, mit Herzen im Leib,
nicht größer als Stecknadelköpfe.
Heinrich IV.
Kaum waren sie im Herrenhause angekommen, als ein Regen, womit das Gewölk schon den ganzen Tag gedroht hatte, in Strömen zu fallen begann, und – um den kraftvollen Ausdruck des römischen Dichters zu gebrauchen – die Nacht schwarz und jach auf das Angesicht der Erde herabstürzte.
Die aufgestellte Wache bestand keineswegs aus jenen kecken, versuchten Kriegern, welche sich um Regen und Dunkelheit nicht kümmern. Mit großem Mißbehagen malten sich die Burschen die Beschaffenheit der Nacht aus, in welcher ihr Feldzug beginnen sollte. Der heldenhafte Peter, der den eigenen Mut durch wiederholte Zuflucht zu einem Fläschchen aufrecht erhalten, welches bei sich zu führen er bei keiner bewegteren und thatenreichen Lebenslage verfehlte, suchte, obwohl nur mit teilweisem Erfolg, das Feuer seiner Schar von neuem zu beleben. Auf einem großen Armstuhl im Bedientenzimmer des Schlosses, Jakobine auf dem Schoß, die getreue Muskete, deren Hahn zu nicht kleinem Schreck des weiblichen Gesindes den ganzen Tag nicht in Ruhe gebracht worden, immer noch in der rechten Hand, während der Kolben sich auf den Flur stützte – erging sich der wackere Gastwirt in martialischen Anreden, reichlich durchspickt mit Plagiaten aus den ehrwürdigen Übertragungen der Herren Sternhold und Hopkins, sowie mit Psalmen-Versionen von zweifelhafterem Ursprung. Und als er um zehn Uhr, der ihm angesetzten Stunde, seine Kriegsmacht, bestehend aus sechs Bauernburschen mit unglaublich dicken Knütteln, drei Flinten, einer Pistole, einem Säbel und einer Stallgabel (eine Waffe, die wahrscheinlich mit größerer Wirksamkeit zu brauchen war, als alle übrigen zusammen) – als er sie, sagen wir, um zehn Uhr ins Zimmer, wo sie vor dem prüfenden Auge des Squire Musterung zu bestehen hatten, hinaufführte, Jakobine an der Spitze der Vorhut, konnte man sich kein vollendeteres Bild eines Helden im kleinen denken, als den Wirt zum »scheckigen Hund«.
Sein Hut war mit einem blauen Schnupftuch tief in die Stirn hineingebunden; über einem ledernen Koller trug er ein »um eine Welt zu weites« Wams von hellbraunem Wollenzeug; den manchesternen Beinkleidern begegneten halbwegs am Schenkel herauf ein Paar Reiterstiefeln, ehedem im Gebrauch des Korporals und nun seit einiger Zeit von Peter Dahltrup erstanden, um sich ihrer zu bedienen, wenn er dem Squire, für welchen er gelegentlich das Amt eines Wildhüters versah, Schnepfen schoß. Um sein Handgelenk hing an einem Stückchen schwarzen Bandes der Konstablerstock. Wacker schulterte er die Muskete und hielt seine Figur so aufrecht, als würde ihm die geringste Abweichung von ihrer Perpendikularität das Leben kosten. Gewiß kann man sich einen Begriff von der Umwälzung machen, die im Dorfe stattgefunden, wenn man einen so friedlichen Menschen, wie Peter Dahltrup, zum Oberbefehlshaber umgewandelt sieht. Der Rest des Regiments hing unbeholfen hinter ihm, indem jeder so nahe als möglich an die Thür und so weitab als möglich von den Damen zu kommen suchte. Peter jedoch, der sich in den Kopf gesetzt, ein Held dürfe nur geradaus sehen, ließ sich nicht so weit herab, einen Blick nach hinten zu werfen, der ihm die Unregelmäßigkeit der Linie hätte offenbaren können. Sicher in sich selbst stand er mit wildem Blick vornan und faßte den Squire fest ins Auge, bereit, dessen Lobsprüche zu empfangen.
Madeline und Aram saßen bei einander an einer Ecke des Kamins; Ellinor lehnte sich über den Stuhl der erstern, das Lachen, das sie den Ohren zu entziehen bemüht war, in dem schelmischen Gesicht und den strahlenden Augen verratend, während der Squire die Pfeife aus dem Munde nahm, sich auf dem Lehnsessel herumdrehte, und der kleinen Schar und ihrem großen Anführer wohlgefällig zunickte.
»Alles fertig, Euer Edeln,« begann Peter mit einer Stimme, die seinem Körper gar nicht anzugehören schien, so dick und voll kam sie heraus. »Alles Feuer und Eifer!«
»Ja. Ihr allein seid eine Armee, Peter,« sagte Ellinor mit angenommenem Ernst; »Euer Anblick allein könnte ein ganzes Heer von Räubern in die Flucht schlagen. Wer hätte gedacht, daß Ihr Euch eine so kriegerische Haltung anschaffen könntet? Der Korporal selbst stand nie so kerzengerade!«
»Hab' meine gegenwärtige Postur den ganzen Tag probiert,« entgegnete Peter stolz, »und ich glaub', ich kann jetzt sagen, wie Herr Sternhold sagt oder singt, im sechsundzwanzigsten Psalm, zwölften Vers:
Mein Fuß steht fest für alle Proben
Und seine Stärke nimmer bricht,
Drum will ich meinen Schöpfer loben
In alles Volkes Angesicht!
Jakobine, ordentlich. Kind! Meine nicht, Euer Edeln, daß uns der Korp'ral so sehr fehlt, wie ich mir zuerst einbildete, denn wir alle kommen recht gut ohne ihn zurecht.«
»In der That, Ihr seid ein höchst würdiger Stellvertreter, Peter. Na, Lorchen, gieb mir meinen Hut und Mantel; ich will euch auf eure Posten bringen; werdet freilich eine garstige Nacht haben.«
»Ganz gewiß, Euer Edeln,« schrie die ganze Armee, hier zum erstenmal das Schweigen brechend.
»Stille – Ordnung – Mannszucht,« sagte Peter gebieterisch. Marsch!«
Aber statt durch die Halle zu marschieren, trottelten die Rekruten einer nach dem andern daher, wie eine Herde Gänse, die etwa Jakobine in Bewegung gesetzt hätte, und mit einem Kratzfuß vor den Damen schoben, schlichen, drängten und drückten sie sich zur Thür hinaus.
»Ob wir jetzt nicht gut bewacht sind, Madeline,« fragte Ellinor, »wir können, glaube ich, so sicher schlafen gehen, als gäb's in der ganzen Welt keinen Räuber.«
»Nun,« sagte Madeline, »hoffen wir, daß sie mehr leisten, als der Schein verspricht, obwohl ich nicht glauben kann, daß wir ihre Hilfe wirklich nötig haben werden. Könnte man sich doch fast ebenso gut einen Tiger in unserer Gartenlaube denken, als einen Räuber in Grünthal. Aber lieber, lieber Eugen, geh jetzt nicht aus – geh diese Nacht nicht mehr: Walters Zimmer ist für dich bereit; und wär's auch nur um den Weg durch das Thal bei solchem Wetter, so würde es grausam sein, jetzt von uns wegzugehen. Laß dich erbitten; gewiß, du kannst, du darfst mir diesen Wunsch nicht versagen.«
Aram berief sich auf sein Gelübde, aber er wurde überstimmt; Madeline erwies sich in Umgehung desselben als eine ausgesuchte Kasuistin. Seine Einwürfe wurden einer nach dem andern entkräftet; und wie hätte er auch, wenn er in diese Augen blickte, auf einem Entschluß beharren können, dessen Bruch die Geliebte wünschte! Die Macht, welche sie über ihn besaß, schien gerade so groß zu sein, als die Unbeugsamkeit, die er jedem andern entgegensetzte. Die Glasfläche, welche der Diamant leicht durchschneidet, erweist sich ungefügig für jedes minder edle Werkzeug; sie zu zertrümmern ist nicht schwer, aber nur eine Substanz kann in sie eindringen. Im vorliegenden Falle hatte indes Aram einen geheimen, sehr triftigen Beweggrund, auf Madelines Wünsche nicht einzugehen: – blieb er diese Nacht im Schloß, wie mochte er für die folgende eine gleiche Nachgiebigkeit von sich abwenden? Und doch sollte in der nächsten Nacht seine Zusammenkunft mit Hausman stattfinden. Gleichwohl war dieser Grund nicht stark genug, ihn zum Widerstand gegen Madelines sanfte Bitten zu vermögen; er überließ es der Zeit, ihm einen Vorwand zu liefern, und so ward denn Lester bei seiner Zurückkunft von Madeline mit triumphierendem Gesicht benachrichtigt, Aram willige ein, für heute der Gast des Hauses zu bleiben.
»Da vermagst du in der That mehr als ich,« sagte Lester, den Regen vom Hut schüttelnd, während Ellinors zarte Finger seinen Mantel lösten. »Wirklich sollte man jedoch kaum denken, daß unser Freund durch seine Einwilligung ein großes Opfer bringt, wenn man erfahren hat, was draußen für ein Wetter ist. Es thäte mir von Herzen leid um unsere armen Wächter, wenn ich nicht überzeugt wäre, daß in zwei Stunden jeder von ihnen still nach Hause geschlüpft sein wird; Peter selbst, sobald er mit seinem Fläschchen fertig ist, dürfte wohl der erste sein, der das Beispiel giebt. Indessen habe ich immerhin zwei Mann neben unser Haus gestellt, und die übrigen in abgemessenen Entfernungen das Dorf entlang.«
»Glaubst du wirklich, die Leute werden nach Hause gehen, lieber Vater?« fragte Ellinor ein wenig erschreckt; »wahrhaftig, sie wären noch schlimmer, als wofür ich sie genommen, wenn sie sich vom Regen ins Bett treiben ließen. Ich dachte wohl, sie würden keiner Pistole standhalten, aber daß das Wasser des Himmels, wenn es noch so stark herabströmt, ihr Feuer löschen könnte, bildete ich mir nicht ein.«
»Laß dich das nicht anfechten, Mädchen.« sagte Lester, indem er sie mit heiterer Laune unter das Kinn faßte, »wir selbst sind jetzt stark genug, ihnen Widerstand zu leisten. Du siehst, Madeline ist so mutig geworden wie eine Löwin. – Kommt, Kinder, kommt, wir wollen zu Nacht essen; kommt, rührt das Feuer auf. Und Lorchen, wo sind meine Pantoffeln?«
Und so lassen wir über dem kleinen Familiengemälde, indem das Kaminfeuer von neuem lustig in dem glatten Getäfel wiederscheint, indem das Nachtessen aufgetragen wird, der Squire seinen eichenen Stuhl an den Tisch rückt, Ellinor ihm den Negus zurechtmacht und Aram und Madeline, obwohl sie schon dreimal zu Tisch gerufen worden sind und dreimal auf den Ruf geantwortet haben, noch immer in der Ecke am Kamin stehen – so lassen wir über alle den Vorhang fallen, und haben, ehe wir unser Kapitel schließen, nur noch zu bemerken, daß, als Lester den Gelehrten in sein Zimmer führte, er ihm eine auf dreihundert Pfund lautende Anweisung, zahlbar in dem Landstädtchen, in die Hand drückte. »Das übrige,« raunte er ihm zu, »liegt drunten am bezeichneten Ort und ist bis morgen in meinem geheimen Schiebfach besser aufgehoben.«
Damit eilte der gute Squire, den Finger auf die Lippen gelegt, schnell hinweg, um jedem Dank zu entgehen, zu dessen Ausdruck, so tief er ihn fühlen mochte, Aram wirklich kein sonderliches Geschick besaß.