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Άμφι δ' ανθρώπων φρεσὶν αμπλακίαι
Αναρίθματοι κρέμανται.
Του̃το δ' αμάχανον ευρει̃ν,
´Ο τι νυ̃ν, καὶ εν τελευτα̃ φέρτατον ανδρὶ τυχει̃ν
Um der Menschen Herz schwebt
Zahlloser Wahn.
Unmöglich aber ist es zu finden
Was jetzt, und am Ende
Am besten sei für den Mann.
Pindar.
Liebe taugt besser als eine Brille, um alles, was man durch sie betrachtet, größer erscheinen zu lassen
Sir Philipp Sidney, Arkadien.
Da nunmehr Arams Neigung zu Madeline dem Squire in aller Form mitgeteilt und Madelines Einwilligung mit etwas weniger Förmlichkeit erhalten worden war, blieb nichts mehr zu thun, als die Zeit der Hochzeit festzusetzen. Lester hatte es vermieden, Aram über seine Vermögensumstände zu befragen, der Gelehrte äußerte aber aus freiem Antrieb, daß wenn dieselben auch wirklich kaum das Maß erreichten, das man im allgemeinen ein hinreichendes Auskommen zu nennen pflegt, sie doch einen Mann von seinen geringen Bedürfnissen und seiner zurückgezogenen Lebensweise in stand setzten, auf eine Mitgift gänzlich zu verzichten, besonders in einer so abgelegenen und wohlfeilen Gegend des Landes, und bei einer Gattin, die, wie Madeline, die Zurückgezogenheit ebensosehr als er selbst liebe. Gleichwohl machte sich der gute Lester anheischig, seiner Tochter so viel mitzugeben, daß auch für etwaigen Zuwachs der Familie oder mögliche Ungunst des Schicksals gesorgt wäre. Denn läßt das Glück sein Rad an manchen Orten auch langsamer gehen, so giebt es doch keine Stelle, wo seine Umdrehung ganz aufhört. Es war jetzt Mitte September, und man beschloß, die Vermählung der Liebenden Ende des nächsten Monats zu feiern. Nicht ohne ein schmerzliches Gefühl für seinen Neffen hatte Lester in diesen Vorschlag gewilligt, aber er tröstete sich mit einer langgenährten Hoffnung, daß Walter nämlich nicht nur geheilt von seiner fruchtlosen Neigung zu Madeline, sondern auch in einer Stimmung, welche ihn für die Reize ihrer Schwester empfänglicher machen dürfte, zurückkehren werde. Seit Jahren war eine Heirat zwischen diesen beiden Geschwisterkindern sein Lieblingsplan gewesen. Ellinores lebhafte, heitere Gemütsart, ihre Hinneigung zur Haushaltung, ihr frohes Lachen, ihr einnehmender Mutwille, der sich selbst in ihren Fehlern zeigte, war eigentlich sämtlich mehr nach Lesters innerstem Herzen als die ernstere, höhere Natur der ältern Tochter. Dies mochte hauptsächlich daher rühren, weil jene Charakterzüge ihn mehr an seine verstorbene Frau erinnerten und somit seinem Ideal mehr entsprachen: übrigens neig' ich mich auch der Meinung zu, daß je älter die Menschen werden, sie, mögen sie an sich auch von gesetztem und nüchternem Temperament sein, desto mehr die Heiterkeit und Schnellkraft der Jugend bevorzugen. Oft hab' ich mit Vergnügen wahrgenommen, wie in einem glücklichen, alle Lebensalter umfassenden Familienkreise es gerade das lebhafteste und wildeste Kind ist, woran der Großvater die herzlichste Freude hat. Und schließlich verhält es sich vielleicht mit Menschen wie mit Büchern! Die ernsthaften und gedankenvollen mögen mehr bewundert werden als die leichten und heiteren, aber beliebt sind sie weniger: nicht nur, daß die ersteren in ihrer mehr abstrakten und vertieften Art weniger Personen finden, die im stande sind, ihre Verdienste zu beurteilen, sondern was der großen Mehrzahl menschlicher Wesen als Ziel vorschwebt, ist Vergnügen, und in natürlicher Folge lieben sie diejenigen am meisten, die ihnen das meiste Vergnügen gewähren. Ja, dieser Vorzug nimmt einen so ausgedehnten Platz im gewöhnlichen Leben ein, daß ich glaube, wenn ein aufmerksamer Beobachter ein Verzeichnis aller derjenigen machen wollte, die Legate erhalten haben, oder welchen unerwartet ein Vermögen zufiel, er finden würde, daß auf einen ernsten Charakter, dem ein solches Glück zu teil ward, mindestens zwanzig heitere kommen. – Immerhin möchte man mir endlich einwenden, daß ich die Wirkung für die Ursache nehme!
Wenn übrigens – um von unsern spekulativen Forschungen zurückzukehren – Lester die Leidenschaft seines Neffen für Madeline sehr spät wahrgenommen, so hatte er doch längst das Geheimnis von Ellinors Neigung zu jenem durchschaut, und sah nun der endlichen Erfüllung eines liebevoll gepflegten Familienplanes eher mit Zuversicht als mit Zweifeln entgegen. Er gefiel sich in dem Gedanken, daß wenn erst durch diese Doppelheirat der letzte wunde Fleck aus Walters Gemüt verwischt sei, man sich kein enger verbundenes, glücklicheres Haus würde denken können.
Auch zeigte Ellinor seit jenen Abschiedsworten des Vetters, weit entfernt, über seine Abwesenheit untröstlich zu sein, vielmehr eine rosigere Wange, einen leichtern Schritt, als seit vielen Monaten der Fall gewesen. Welch eine Welt von Gefühlen, die keine Niedergeschlagenheit aufkommen lassen, liegt im Herzen der Jugend angehäuft! Wie ein Springquell sich aus den Kanälen füllt, die einen andern entleeren, lernen wir Weisheit erst auf Kosten der Hoffnung. – Aus solcher oder ähnlicher Ursache geschah es denn, daß Walters Abwesenheit eine minder traurige Lücke im Familienkreise zurückließ, als man hätte erwarten sollen: dazu nahm die herannahende Hochzeit Madelines und ihres Freundes natürlich die Gedanken eines jeden in bedeutendem Maße in Anspruch und herrschte im gegenseitigen Gespräch vor.
Mochte auch Madeline die Verdienste Arams überschätzen: ein Verdienst – das größte in den Augen eines liebenden Weibes, besaß er auf jeden Fall. Nie wurde ein Mädchen brennender, tiefer geliebt als sie, welche die langschlummernde Leidenschaft in seinem Herzen zuerst zum Erwachen gebracht hatte. Mit jedem Tage schien das Feuer seiner Zärtlichkeit zu wachsen. Mit welcher Ängstlichkeit bewachte er jeden ihrer Fußtritte! – Mit welcher Abgötterei hing er an ihren Worten! – Mit welcher lautlosen überwallenden Bewegung blickte er auf die wechselnde Sprache ihrer Wange. Seit Walter sich entfernt, hatte er beinahe seine Wohnung im Herrenhause aufgeschlagen. Früh morgens kam er schon, und selten kehrte er heim, bevor sich die Familie zur Ruhe begab. Und selbst dann, wenn alles im Schweigen lag und sie ihn unter seinem einsamen Dach glaubten, verweilte er noch stundenlang in der Nähe des Hauses, um zu Madelines Fenster hinaufzusehen, als wär' er gebannt an den Ort, der den Zauber ihrer Gegenwart in sich schloß. Madeline entdeckte diese Gewohnheit und schalt sie, aber so zärtlich, daß er nicht davon geheilt ward; von ihrem Fenster aus bemerkte sie noch immer von Zeit zu Zeit, wie seine dunkle Gestalt im Lichte des Herbstmondes unter den Bäumen hinschlich, oder bei den niedern Gräbern auf dem stillen Kirchhof weilte, dem Ruheplatz der Herzen, die einst vielleicht so ungestüm wie das seinige geschlagen hatten. Es konnte nicht fehlen, daß eine solche Liebe von einem so hochbegabten Menschen wie Aram, eine Liebe, die in ihrem Wesen Wahrheit, in ihrem Ausdruck Dichtung war, ein so junges, so romantisches, so enthusiastisches Mädchen, wie Madeline Lester, gänzlich bemeistern und überwältigen mußte. Wie tief und köstlich mußte das Gefühl ihres Glückes sein! In dem reinen Herzen des Weibes, das zum erstenmal liebte, ist die Liebe viel schwärmerischer als in demjenigen eines Mannes, weil kein Fieber des Verlangens sie nebenher durchschauert – solche Liebe ist der einzige Zustand im menschlichen Dasein, welcher Ruhe und höchstes Entzücken zuläßt.