Edward Lytton Bulwer
Eugen Aram
Edward Lytton Bulwer

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Sechstes Kapitel.

Benehmen des Gelehrten, – Eine Sommerscene. – Arams Unterredung mit Walter und darauffolgendes Selbstgespräch.

Der sanfte Lenz, des Himmels licht Gefild.
Die heitere Furt, die Lüfte still und mild,
Die silberschupp'gen Fische auf dem Sand,
Durch Fluten schimmernd in dem Sonnenbrand
Gawin Douglas.

– Ilia subter
Caecum vulnus habes, sed lato balteus auro
Praetegit.
Persius.

Mehrere Tage vergingen, ehe die Familie des Squires Mit Aram wieder zusammentraf. Die Alte kam ein- bis zweimal täglich, sich im Namen ihres Herrn zu erkundigen, wie es mit Miß Lesters Fußübel stehe; aber er selbst ließ sich nicht blicken. Dieser Mangel an Teilnahme verletzte Madeline im Innern, so sehr sie auch Walters Mißfallen noch fortwährend dadurch auf sich lud, daß sie die ungünstigen Bemerkungen über den Gelehrten, worin der junge Mann sich gefiel, bestritt und übel aufnahm. Allmählich jedoch, als die folgenden Tage die von Walter mißbilligte Bekanntschaft nicht weiter förderten, ließ er in seinen Angriffen nach und schien sich des Oheims Vorstellungen zu fügen. Lester hatte wirklich eine besondere Zuneigung zu dem Einsiedler gefaßt. Jeder zum Nachdenken geneigte Mensch, der eine Zeitlang allein gelebt hat und nun plötzlich auf jemand stößt, der ihm ohne Anstrengung oder Widerspruch die in der Einsamkeit erwachsenen, bei ihrem Entstehen nur notdürftig zum Bewußtsein gekommenen eigenen Gedanken zur Deutlichkeit bringt, wird diesen neuen Gärungsstoff, dieses geistige Erwachen verstehen, das Lester in der Unterhaltung mit Eugen Aram in sich empfand. Seine einsamen Spaziergänge – denn der Neffe ging den Vergnügungen seines Alters nach – dünkten ihm jetzt leerer als zuvor, und er sehnte sich, einen Umgang zu erneuern, welcher Abwechselung und Farbe in die Eintönigkeit seines Lebens gebracht hatte. Zweimal fragte er bei Aram an, aber der Gelehrte war nicht zu Hause oder ließ sich verleugnen, und eine demselben zugesandte sehr herzliche Einladung ward, obwohl mit vieler Artigkeit, abgelehnt.

»Sieh, Walter,« sagte Lester mißmutig, als er das abweisende Billet gelesen – »die Wirkung deiner Unfreundlichkeit. Ich bin überzeugt, Aram – offenbar ein Mann von ebenso fein empfindender als verschlossener Gemütsart – hat die Kälte deines Benehmens gegen ihn bemerkt, und so bin ich durch dich der einzigen Gesellschaft beraubt worden, die mir in diesem Lande der Bauern und Wilden irgendwie Genuß verschaffte.«

Walter wollte sich entschuldigen, aber jener wandte sich mit einem Ausdruck von Verdruß, den man in seinem gutmütigen Gesicht sonst höchst selten wahrnahm, ab, und der Neffe, den unschuldigen Urheber der üblen Laune seines Oheims verwünschend, nahm die Angelrute und entfernte sich allein, in keineswegs glücklicher oder heiterer Stimmung.

Es ging gegen Abend – eine im Monat Juni besonders liebliche Tageszeit, die von»dem Angler nicht ohne Grund bevorzugt wird. Walter schlenderte durch die reichen, würzigen Fluren und kam bald durch ein abgelegenes Thal, durch welches das Bächlein seinen beschatteten Lauf wand. Längs dem Uferrande stand das Gras hoch und saftig, üppig durchrankt von tausend Kräutern und Blumen – Kindern des fruchtbaren Brachmonds. Hier die epheublättrige Glockenblume und nicht weit davon das Hexenkraut, der wilde Rainfarn, die Rinnenblume und neben den Gesträuchen, welche da und dort über das Wasser hinabhingen, der wilde Schneeball und die weiße Zaunrebe mit den smaragdenen Blättern und wuchernden Blüten das Dickicht überwachsend, wahrend an andern Stellen der Flieder in schneeigen Büschen dem Sommer sein Opfer darbrachte. Die ganze junge Insektenwelt mit ihren glänzenden Flügeln, ihrer blitzenden Bewegung tummelte sich umher; aus dem untern dichten Gehölze schoß die Amsel auf, während höher und höher unsichtbar der erste Kuckuck des Abends seinen anhaltenden weichen Ruf begann. Diese Lust und Fülle des Lebens, die uns die wenigen schönen Tage des englischen Sommers so wert machen, sind der dichterische Zauber im Treiben eines Anglers und verwandeln ihn, genieße er noch so sehr das selige Nichtsthun, in einen Moralisten, obwohl in keinen trübseligen.

Besänftigt durch die stille, schwelgerische Schönheit um ihn her. gewann Walters Stimmung eine mildere Farbe und er brach, indem er seine Schnur ins Wasser tauchte und sie die schattigen Höhlungen unter dem Ufer entlang zog, in die alten Verse aus:

O Tag, so lind, so leis, so licht
Vermählungsfest von Erd' und Himmel etc etc

Die Flußgötter waren gleichwohl in keiner günstigen Laune; nachdem er an einer Stelle, an welcher er in der Regel Glück hatte, eine Zeitlang erfolglos verweilt, wandelte er langsam am Rande des Baches hin, mit jedem Tritt aus dem Röhricht jenen frischen, würzigen Duft herauslockend, welcher Baco den Stoff zu einem seiner schönsten Vergleiche gegeben hat.

Im Gehen war es ihm, als hörte er unter einem Baume, der über dem Wasser, an einer sehr engen Stelle seines Bettes, hing, eine Stimme; er erkannte sie beim Näherkommen als diejenige Arams. Eine Biegung des Baches brachte ihn hart zu dem Orte hin und er erblickte den Gelehrten, wie er halb ausgestreckt unter dem Baume lag und in abgebrochenen Sätzen vor sich hinmurmelte.

Die Worte waren so abgerissen, daß Walter ihrem Faden nicht zu folgen vermochte; aber unwillkürlich blieb er wenige Schritte vor dem Sprechenden stehen. Plötzlich wandte sich dieser um und wurde ihn gewahr. Ein rascher, heftiger Farbenwechsel zuckte über sein Gesicht; seine Wange war bald bleich, bald rot und die Brauen buschten sich über den blitzenden, dunklen Augen mit einem Ausdruck inneren Verdrusses, der durch den Gegensatz mit der gewöhnlichen Ruhe seiner Züge um so abschreckender erschien. Walter wich zurück, aber Aram trat auf ihn zu und starrte ihm ins Gesicht, als ob er im Innersten seiner Seele lesen wollte.

»Was, Horcher?« sprach er mit furchtbarem Lächeln. »Sie haben mich belauscht, nicht? Nun. was habe ich gesagt? was habe ich gesagt?« Er hielt an; als nach einer Pause Walter nicht antwortete, stampfte er heftig mit dem Fuß, knirschte mit den Zähnen und wiederholte mit wuterfüllter Stimme: »Knabe, was habe ich gesagt?«

»Herr Aram,« erwiderte Walter, »Sie vergessen sich; es ist nicht meine Gewohnheit, den Lauscher zu machen, am wenigsten bei den gelehrten Verzückungen eines Mannes, der nichts zu verheimlichen hat, was ich wissen möchte. Ein Zufall führte mich hierher!«

»Wie? – gewiß habe ich laut gesprochen! nicht wahr?«

»Allerdings; aber so unzusammenhängend und undeutlich, daß mir Ihre Unvorsichtigkeit nichts half. Ich versichere Sie, daß ich an keinem der gelehrten Entwürfe, die Sie etwa laut werden ließen, ein Plagiat begehen kann.«

Aram betrachtete ihn eine Zeitlang und wandte sich dann, tief Atem holend, ab. »Verzeihen Sie,« sagte er, »ich bin ein armer halb verrückter Mensch; zu vieles Studieren hat meine Nerven angegriffen, ich kann nun einmal nicht anders, als mit meinen eigenen Gedanken leben. Verzeihen Sie mir, mein Herr, ich bitte Sie.«

Gerührt über diese plötzliche Zerknirschung in Arams Wesen, vergaß Walter nicht bloß seinen augenblicklichen Unmut, sondern selbst den Widerwillen, den er im allgemeinen gegen den Mann in sich trug; er reichte ihm die Hand und versicherte ihn seiner vollkommenen Verzeihung. Aram seufzte tief, als er die Hand des Jünglings drückte, und Walter bemerkte mit Staunen und inniger Bewegung, daß Thränen in seinen Augen standen.

»Ach!« rief Aram mit leichtem Kopfschütteln, »wir Büchermenschen führen ein hartes Leben. Für uns ist nicht das strahlende Antlitz des Mittags oder das Lächeln des Weibes da, nicht das frohe Erschließen des Herzens, des Rosses Wiehern und das Schmettern der Trompete, nicht der Stolz, Prunk und äußere Lebensumstände. Unsere Freuden sind kärglich und still' unsere Arbeit ununterbrochen. – Doch nicht das ist's, mein Herr nicht das: – der Körper rächt seine Zurücksetzung; vor der Zeit werden wir alt; wir welken hin; der Jugendsaft trocknet in unsern Adern ein; kein Mark ist in unsern Schritten. Mit blöden Augen sehen wir um uns, unser Atem wird kurz und schwer; Mattigkeit und Husten und stechende Schmerzen kommen des Nachts über uns; es ist ein bitteres, bitteres, freudloses Dasein. Ich wollte, ich hätte es nie angefangen. Und doch sieht die harte Welt scheel auf uns; unsere Nerven sind gebrochen, und man wundert sich, daß wir zänkisch sind; unser Blut stockt, und man fragt, warum wir nicht heiter seien; unser Hirn wird schwindlig und unsicher (wie eben vorhin das meinige), und mit Achselzucken flüstert man dem Nachbar zu, wir seien verrückt. Hätt' ich doch am Pflug gearbeitet und meine Nächte verschlafen und mich des Lebens gefreut und – und wäre nicht, was ich bin.«

Bei den letzten Worten senkte er das Haupt und ein paar Thränen schlichen ihm leise die Wangen herab. Walter war in großer Bewegung – er fühlte sich höchst überrascht. Arams gewöhnliches Benehmen deutete nicht im geringsten auf Weichheit des Gemüts; bei jedermann mußte er vielmehr die Vorstellung eines wenn nicht stolzen, so doch kalten Menschen erregen.

»Ich hoffe, Sie leiden an keinem körperlichen Schmerz?« fragte Walter mit Teilnahme.

»Schmerz hat keine Gewalt über mich,« sagte Aram, seine Fassung langsam wieder gewinnend. »Nicht das bezwingt mich, was ich im Grunde verachte. Junger Mann, ich that Ihnen unrecht, und Sie haben mir verziehen. Wohl, wohl; wir wollen darüber nichts mehr reden; es ist vorbei und vergeben. Ihr Oheim ist gütig gegen mich gewesen, ohne daß ich sein Entgegenkommen erwidert hätte; Sie sollen ihm den Grund sagen. Dreizehn Jahre lang habe ich nur mit mir selbst gelebt, ein wunderliches Wesen und viel in der Welt ungewöhnliche Launen angenommen – ein Beispiel haben Sie soeben gesehen! Urteilen Sie selbst, ob ich für die Milde, die Vertraulichkeit, den leichten Ton geselligen Umgangs tauge; ich tauge nicht dafür, ich fühl' es; ich bin zur Einsamkeit verdammt – sagen Sie das Ihrem Oheim – sagen Sie ihm, er soll mich so fortleben lassen. Ich bin dankbar für seine Güte, ich verstehe seine Beweggründe, aber ich bin nicht ohne Stolz des Gemüts; bloß geduldet zu werden, kann ich nicht ertragen; Nachsicht, die man mir etwa gönnte, hasse ich. Nein, unterbrechen Sie mich nicht, ich bitte Sie. Blicken Sie um sich auf die Natur – betrachten Sie die einzige Gesellschaft, die mich nicht demütigt, – außer den Toten, deren Geister durch die Unsterblichkeit ihrer Schriften mit uns reden. Diese Kräuter zu Ihren Füßen, – ich kenne ihre Geheimnisse – ich beobachte das Getriebe ihres Lebens; die Winde haben mich ihre Sprache gelehrt; die Sterne – ich habe ihre Mysterien belauscht, und ihnen, Geschöpfen und Dienern Gottes, falle ich durch meine Stimmung nicht zur Last; ihnen enthüll' ich meine Gedanken, ihnen erzähl' ich meine Träume ohne Rückhalt und Furcht. Die Menschen aber verwirren mich – von diesen hab' ich, nichts zu lernen – ihnen hab' ich keinen Wunsch zu vertrauen – sie verkümmern mir die ungebundene Freiheit, die mir zur andern Natur geworden ist. Was der Schildkröte ihre Schale, ist für mich die Einsamkeit geworden – mein Schutz, nein, mein Leben selbst!«

»Aber bei uns,« sagte Walter, »hätten Sie wenigstens keinen Zwang zu fürchten; Sie können kommen, wann Sie wollen, schweigen oder sprechen, wie es Ihnen gefällt.«

Aram lächelte still, ohne unmittelbar darauf zu antworten.

»So, Sie haben geangelt!« sagte er nach einer Pause, als wolle er den Faden des Gesprächs ändern. »Pfui! ein trügerischer Zeitvertreib, es befördert die schlimmsten Triebe des Menschen – Grausamkeit und Betrügerei.«

»Ich hätte gedacht, ein Freund der Natur würde nachsichtiger gegen eine Belustigung sein, die uns in ihre stillsten Ruheplätze einführt.«

»Und kann Sie die Natur nicht allein anlocken, ohne solcher Reizmittel zu bedürfen? Wie? dieser kräuselnde, schlängelnde Bach, mit Blumen bis in seine Wellen hinein – das Wasserveilchen und die Wasserlilie – dieses stille Farnkraut – die Kühle des aufsteigenden Abends – die schweigende Fülle der Schöpfung um Sie her: ist das nicht für sich selbst schon genug Anlockung? – wenn nicht, so gehen Sie – jede Entschuldigung wäre Heuchelei.«

»Ich bin an diesen Anblick gewöhnt,« erwiderte Walter; »ich bin der Gedanken, die er mir hervorruft, überdrüssig und sehne mich nach irgend einer Zerstreuung oder Reizung.«

»Oho! junger Mann, das Gemüt strebt in Ihrem Alter ruhelos empor; – hüten Sie sich. Vielleicht wünschen Sie die Welt zu sehen, diese einsame Gegend zu verlassen, welche Sie müde sind, länger zu bewundern?«

»Es möchte so sein!« erwiderte Walter mit einem leichten Seufzer. »Wenigstens hätt' ich Luft, unsere große Hauptstadt zu sehen und den Gegensatz zu beobachten; ich glaube, ich brächte dann einen Reiz mehr für diese Scenen zurück.«

Aram lachte. »Mein Freund,« sagte er, »wenn sich die Menschen einmal ins große Meer irdischer Mühe und Leidenschaft gestürzt haben, streifen sie bald jeden Sinn und jede Erregbarkeit für unschuldige Genüsse ab. Was sonst eine liebliche Zurückgezogenheit war, wird jetzt zur unerträglichsten Einförmigkeit; das große Lotto des gesellschaftlichen Daseins, die fieberischen, verzweifelten Wechselfälle der Ehre und des Reichtums, an die Großstädter ihr Herz hängen, machen jede weniger aufregende Beschäftigung gänzlich schal und leer für sie. Bach und Angel – ha! ha! ha! – das ist kein Zeitvertreib für solche, die mit der Welt gekämpft haben!«

»So kann ich mich seiner ohne Bedauern entschlagen!« erwiderte Walter mit der Lebhaftigkeit seiner Jahre. Aram sah ihn ernsthaft an. Das helle Auge, die gesunde Wange, die kräftige Gestalt des jungen Menschen paßten zu seinem Wunsch, sich im Umgang mit seinesgleichen zu messen, ja machten diesen Ehrgeiz so natürlich, daß selbst der einsame Denker ihm seine Teilnahme nicht versagen konnte.

»Armer Knabe!« sprach er bekümmert, »wie stolz verläßt das Schiff den Hafen; wie zerschlagen und zerschellt wird es zurückkehren!«

Nachdem sie sich verabschiedet, ging Walter langsam nach Hause zurück, mit Mitleid für den wunderbaren Mann erfüllt, den er auf so seltsame Art von seinem Gefühl überwältigt gesehen hatte, und nicht ohne Verwunderung, wie schnell aus seinem eigenen Gemüt der frühere Widerwille gegen denselben verwischt worden; aber selbst in dieses teilnehmende Gefühl schlich sich ein leises Mißfallen an dem Ton von Überlegenheit, welchen Aram. ohne es zu wissen, gegen ihn angenommen hatte, ein Ton, dem, komme er von welcher Seite er wolle, der hochstrebende Geist des Jünglings sich zu unterwerfen keineswegs geneigt war.

Gleichzeitig setzte der Gelehrte seinen Weg am Bache hin fort, und wie er so mit langsamem Schritt und nachdenkender Miene vorwärts schlenderte, konnte man sich unmöglich eine Gestalt denken, welche der tiefen Ruhe des Ortes mehr entsprochen hätte. Selbst die Waldvögel schienen durch eine Art von Instinkt zu fühlen, daß in ihm kein Grund zur Furcht liege, und flatterten von dem benachbarten Rasen oder den Zweigen, welche über seinem Pfad hingen, nicht auf. »So,« sprach er zu sich selbst, aber nicht ohne häufige, besorgte Blicke um sich zu werfen und mit so undeutlichem Gemurmel, daß es selbst ein Lauscher nicht hätte verstehen können – »so, ich wurde nicht gehört! Ich muß mich von dieser Gewohnheit heilen; unsere Gedanken sollen sich gleich Nonnen nicht ohne Schleier hinauswagen. – So! dieser Ton wird mich nicht verraten, diese Höhe der Stimme will ich beibehalten, denn aufgeben kann ich meinen einzigen Vertrauten – mich selbst – nicht, und der Gedanke tritt deutlicher hervor, wenn er auch nur so ausgesprochen wird. – Ein hübscher Junge, das! voll vom mutigen Trieb seiner Jahre; ich hatte nie ein so junges Herz. Ich war – doch wozu das? Wer ist für seine Natur verantwortlich? Wer kann sagen: ich beherrschte alle die Umstände, die mich zu dem gemacht haben, was ich bin? Madeline – Himmel! brachte mich in diese Versuchung? Hab' ich dieselbe nicht meine ganze Jugend hindurch von mir abgehalten, wenn auch mein Verstand mich zuweilen verließ und meine Adern springen wollten? Und jetzt, wo das Grün meines Lebens zu vergilben anfängt, jetzt zum erstenmal dieses Gefühl – diese Schwäche; und für wen? Für ein Wesen, für welches ich gelebt – das ich gekannt – unter dessen Augen ich die ganze süße Stufenfolge vom Gefallen zur Liebe, von der Liebe zur Leidenschaft durchgemacht habe? Nein, für ein Mädchen, das ich nur wenig sah, das zwar mein Auge beim ersten Blick, den ich vor zwei Jahren auf sie warf, fesselte, mit der ich aber bis vor wenigen Wochen kaum ein Wort gesprochen habe! Ihre Stimme tönt mir im Ohr, ihr Blick wohnt in meinem Herzen; wenn ich schlafe, steht sie vor mir; wenn ich wache, schreckt mich ihr Bild auf. Seltsam, seltsam! Ist Liebe denn wirklich jene plötzliche Leidenschaft, wie sie von den Dichtern jedes Zeitalters geschildert worden ist und an welche bisher meine Vernunft nicht geglaubt hat? .... Und jetzt, was ist die Frage? Widerstand oder Ergebung. Ihr Vater lädt mich ein, sucht meinen Umgang, und ich halte mich abseits! Wird diese Stärke, diese Ausdauer vorhalten? Soll ich mein Gemüt zu diesem Entschluß ermutigen?« – Hier schwieg Aram plötzlich und fing dann von neuem an: »Es ist wahr, ich sollte mein Los mit keinem andern Menschen verweben. Seit meiner frühesten Erinnerung steh' ich einsam und allein in der Welt; es scheint mir unnatürlich, furchtbar, ein anderes Wesen in meine Einsamkeit zu bringen, meinem Stehen und Gehen einen ewigen Wächter zu setzen; ein Auge auf mein Gesicht zu rufen, wenn ich des Nachts schlafe, und ein Ohr für jedes Wort, das unwillkürlich meinen Lippen entschlüpfen kann. Wenn aber dieser Wächter der Wächter der Liebe ist? – Weg! Liebe dauert nicht immer! Wer auf ein Weib vertraut, vertraut auf das Sinnbild der Veränderlichkeit. Zuneigung kann sich in Haß verwandeln. Zärtlichkeit in Überdruß, Besorgnis in Furcht; und selbst im besten Fall ist das Weib schwach, ist Spielwerk ihrer Launen. Genug, ich will meine Seele stählen – die Zugänge zu meinen Sinnen verschließen – diese noch grünen und sanften Regungen sehnsüchtiger Jugend mit glühendem Eisen ausbrennen und Gefühl und Herz und Mannheit in das Eis des Greisenalters einfrösteln, fesseln und verschrumpfen.«


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