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12. Die Presse über den Grafen.

Die Presse, die während des Lebens des Grafen sein Geheimnis mit seltener Diskretion behandelt hatte, bemächtigte sich alsobald nach seinem Tode aller Materialien, die irgend zu einer Schilderung seines Lebens dienen konnten, die widersprechendsten Märchen und Hypothesen traten hervor; nur wenige Zeitungen brachten ernste und würdige Artikel über den Gestorbenen, keine gab volle Wahrheit; einige Broschüren erschienen – es waren teils Romane, aus dem dürftigsten Stoffe der Wahrheit gewoben, teils selbst erfundene Geschichten. Nirgends war Wahrheit. Seltsam, daß derselbe Mann, der vierzig Jahre lang von der Justiz und der öffentlichen Meinung für unverdächtig gehalten worden war, nun mit seinem Tode auf einmal in die Reihe geheimnisvoller Verbrecher, oder politisch Geächteter versetzt wurde. Die Artikel, welche damals durch die öffentlichen Blätter liefen, hatten zum größten Teil die Tendenz solcher Verdächtigung. Doch fehlte es auch wenigstens nicht ganz an solchen, welche, im Hinblick auf ein vierzig Jahre lang nur durch Wohlthaten sich äußerndes Leben die Ehre des Grafen auf das Entschiedenste verteidigten. Einen Artikel der letzten Art (der in der Augsb. Allgemeinen Zeitung, Beilage 130 vom Jahre 1845) erschien, teilen wir nachfolgend im Auszug mit:

» Vom Rhein. Über den zu Eishausen bei Hildburghausen verstorbenen » Grafen Varel de Versay,« der auch noch andere Namen führte, sind in jüngster Zeit so viele grundlose Gerüchte durch die Tageblätter gegangen, daß man sich in der Lage sieht, diesen hiermit entgegenzutreten. Graf Varel de Versay – so hieß er eigentlich nicht, obgleich er ein Recht auf diesen Namen hatte – wohnte früher nicht in dem angegebenen Orte, sondern zuerst in der Rheingegend, dann an einem andern Orte, den anzugeben man nicht ermächtigt ist, und kam vor etwa vierzig Jahren, in Folge von politischen Vorgängen nach Hildburghausen, um daselbst ruhig und unbekannt zu leben. Bald nach seiner Ankunft überreichte er der damaligen Herzogin von Hildburghausen ein Schreiben von sehr hoher Hand, teilte ihr die Gründe mit, weshalb er unbekannt bleiben wollte, was die Fürstin gern gewährte, und stand später mit derselben hohen Frau noch lange in Korrespondenz. Diese Notiz ist, wie schon oben gesagt, obschon während des Lebens des Unbekannten allgemein für wahr angenommen, doch unrichtig. Der Graf war ohne Empfehlungsbriefe nach Hildburghausen gekommen. Letzteres dürfte in Hildburghausen wohl noch bekannt sein, weshalb es eine Verletzung der Pietät ist, wenn ein Zeitungskorrespondent vermutend ausspricht, der Graf habe der Fürstin etwas weißgemacht. Ob der dermalige Landesherr, der jetzige Herzog von Sachsen-Meiningen, von den Verhältnissen des Grafen unterrichtet war, weiß man nicht anzugeben, aber er hatte jedenfalls Takt genug, den Grafen, der schon zwanzig Jahre im Lande lebte und so viele Wohlthaten ausübte, in seiner Ungestörtheit zu lassen und bei einem gewissen Vorkommnis den Behörden deshalb Anweisung zu geben. Seine Hand streute überall eine Menge Wohlthaten aus und manche Thräne hat er getrocknet, sodaß selbst die Stadtbehörde einen schicklichen Anlaß benutzte und ihm das Bürgerrecht schenkte. Nachdem also der Graf fast vierzig Jahre in der Gegend von Hildburghausen gelebt und während dieser ganzen Zeit es niemand gewagt hatte, auch nur einmal eine schlimme Vermutung gegen ihn öffentlich zu äußern, treten plötzlich jetzt, wo er sich nicht verteidigen und den Verleumdern die Stirne bieten kann, verschiedene unberufene Leute auf und schleudern Vermutungen gegen den edeln Mann, welche nur von gemeinen Verbrechen reden. Obwohl man sich nicht für befugt hält, Verhältnisse zu erörtern, über welche der Graf stets Stillschweigen beobachtete und wonach zu fragen niemand berechtigt ist, so fordert doch die Pietät gegen den Verstorbenen, daß man Nachfolgendes der Öffentlichkeit übergiebt. Der Graf stammt aus einer alten vornehmen Familie und gelangte in eine Sphäre, wo er mancherlei wichtigen Ereignissen nahestand und von woher ihn einige noch jetzt Lebende wohl kennen dürften. Die politischen Ereignisse zu Anfang des jetzigen Jahrhunderts veranlaßten ihn, seinen Wohnort mehrmals zu verändern; auch verlangte es einmal sogar seine Sicherheit, sich den Nachstellungen seiner Feinde zu entziehen. So kam er nach dreimaligem Ortswechsel nach Hildburghausen, wo er aus hohe Briefe hin eine sichere Wohnstätte fand. Als die Verbündeten gegen Frankreich zogen, gedachte der Graf Hildburghausen zu verlassen und reiste an den Rhein, um mit einem Diplomaten Rücksprache zu nehmen, aber den Kaiser Alexander sah und sprach er in Frankfurt nicht. Nun erhielt der Graf seine Güter zurück, darunter ein schönes Gut an der Seeküste; der größte Teil seines Vermögens lag aber in der englischen und holländischen Bank und durch einen dieser Banquiers ging seine ganze Korrespondenz. Die Gründe, die den Grafen ursprünglich zu so strenger Zurückgezogenheit bewogen hatten, fielen nun zwar hinweg, aber schmerzliche Erinnerungen und der Rat von hoher Seite hielten ihn ab, die Heimat wieder aufzusuchen, und so beschloß er, in Hildburghausen zu bleiben, wo man sein Geheimnis ehrte und er außer aller Berührung mit Menschen bleiben konnte, da er durch traurige Erfahrungen das ganze Leben hindurch eine Art Menschenhaß Davon findet sich keine Spur. in sich eingesogen hatte. Später, nach einer Reihe von Jahren, ergab sich wieder eine Veranlassung für den Grafen, von Hildburghausen zurückzukehren, aber die Gewohnheit siegte über ihn, sodaß er beschloß, da zu sterben, wo er so lange gelebt und auch seine Begleiterin Ruhe gefunden hatte. Diese Begleiterin vorzüglich ist es, welche leichtfertige Korrespondenten zu Vermutungen veranlaßten, die den Grafen als Verbrecher erscheinen lassen und Ursache zu diesen Zeilen sind. Die erwähnte Dame lebte durchaus ganz freiwillig bei dem Grafen in solcher Abgeschiedenheit; auch trug sie nie eine Larve, und nur um den Blicken der Zudringlichen auszuweichen, ließ sie häufig den Schleier nieder. Viele (?) haben sie in ihrem Leben von Angesicht gesehen und selbst die Leichenträger sahen sie noch im Sarge. Daraus folgt doch gewiß, daß sie sich nicht vor den Menschen zu verbergen brauchte; auch hätte sie täglich Gelegenheit genug gehabt, den Grafen zu verlassen und die Freiheit zu suchen, wenn wahr wäre, was die Korrespondenten sagten, daß der Graf sie gefangen gehalten hätte wie Kaspar Hauser, eiserne Maske und dergl. Daß die Dame ihre Befehle nicht mündlich zu geben pflegte, kam einfach daher, daß sie nicht deutsch reden konnte. Aus dem, was wir mitgeteilt, geht hervor, daß die Dame deutsch sprach, und wenn der Brief, den der Graf mitteilte, wie wir nicht zweifeln wollen, echt ist, daß sie auch deutsch schrieb. Ein Verbrechen oder Vergehen liegt also überall nicht vor, und daß auch die meiningische Regierung keinen Grund zu solchen Vermutungen sah, beweist der Umstand, daß sie die ganze Zeit hindurch nicht in die Geheimnisse des Grafen einzudringen suchte, während sie sich doch wahrlich von dem Vorwurfe freihalten mußte, ein Verbrechen zu dulden und zu befördern. Da es des Grafen bestimmter Wunsch gewesen, daß auch nach dem Tode seine Verhältnisse unbekannt blieben, so hat er alle darauf bezüglichen Papiere teils in geeignete Hände gelegt, teils vernichtet, jedoch durch Testamente, die er längst bei seinem Banquier niedergelegt hat, über seinen Nachlaß in rechtlicher Form verfügt. Das eine, aus Hildburghausen Bezug habende, worin für seine Diener und wohlthätige Zwecke all sein dortiges Vermögen bestimmt wurde, ist wahrscheinlich nach Eishausen zurückgekehrt; Ein solches Testament ist nicht zum Vorschein gekommen. sollte aber dieses nicht der Fall sein, so wird nach des Grafen Anordnung (wenn diese nicht inzwischen geändert wurde), auf die gerichtliche Todesanzeige im Amsterdamer Handelsblad, dem Hamburger Korrespondenten und dem Pariser Moniteur dasselbe ausgefolgt werden und vielleicht eine mit der Ausführung des letzten Willens beauftragte Person in Hildburghausen erscheinen. Inzwischen dürfte es Pflicht der Behörde sein, den Nachlaß unversehrt Jahr und Tag zu belassen. Das langbewährte Geheimnis zu erforschen, ist die Behörde jetzt nicht mehr befugt, nachdem sie es zu Lebzeiten des Grafen nicht gethan; läge aber sogar die Vermutung eines Verbrechens vor, so wäre ohnehin mit vierzig Jahren eine Verjährung längst eingetreten und der Graf hätte nicht nötig gehabt, unbekannt zu bleiben, da er ohnehin früher nicht in Deutschland gelebt hatte. Mehr darüber zu sagen, sind wir nicht ermächtigt. Für die wenigen noch lebenden Männer, welche den Grafen vor einem halben Jahrhundert kannten, wird beigefügt, daß die nötigen Anknüpfungspunkte allein in Holland zu suchen sind, und man ist überzeugt, daß bei fortgesetzten Verleumdungsversuchen einer dieser wenigen sich erheben und durch seine Worte dieselben niederschlagen wird, da diese Zeilen gewiß einem derselben zu Gesicht kommen.«

Der Kritik der Leser überlassen wir es, zu entscheiden, ob der Verfasser des vorstehenden Artikels wirklich einen Blick hinter den Schleier des Geheimnisses gethan hat, oder die Rolle eines Eingeweihten nur fingierte. Uns selbst scheint manches für die letzte Annahme zu sprechen; wir denken daran, daß der Artikel von einem wohlmeinenden Mann in der Nähe des Schlosses herrührt. Dies angenommen, ist die Korrespondenz bezeichnend für die Meinung und die Ansichten, die sich in der nächsten Umgebung des Grafen über denselben gebildet hatten.


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