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1. Einleitung.

An der Straße, welche von Koburg nach Hildburghausen führt, liegt, eine gute Stunde vor letztgenannter Stadt, das Dorf Eishausen. Links ab von der Chaussee, am fernsten Ende des ziemlich ansehnlichen Dorfes, bemerkt der Reisende ein stattliches, alle anderen Häuser des Ortes überragendes Gebäude. Und wer einmal in der Zeit von 1810 bis 1845 des Weges gekommen ist und im Dorfe sich näher erkundigt hat, der erinnert sich wohl, daß ihm die Bauern gesagt haben, jenes Haus sei das Schloß; darin wohne der » gnädige Herr;« der sei sehr reich und sehr wohlthätig; aber wer er selbst sei, das wisse kein Mensch, selbst der Herzog nicht.

Am 8. April 1845 standen zum erstenmale nach fünfunddreißig Jahren die Thüren des geheimnisvollen Schlosses offen. Der Unbekannte war gestorben. Männer, Weiber und Kinder drängten sich mit geheimer Scheu in das Schloß; von Thränen verdunkelte Augen suchten nach der Lösung des Geheimnisses, das länger als ein Vierteljahrhundert unter ihnen gelebt hatte. Das Gericht drang ein. Schlösser wurden geöffnet, Siegel angelegt; aber der greise Einsiedler, noch im Tode ein kräftiges, schönes Bild, hielt sein Geheimnis fest.

Geschäftige Federn brachten jetzt die Geschichte auf den Markt der Journalistik und, wie es bei einer so mysteriösen Sache natürlich ist, mischten sich wahre Nachrichten mit falschen, wenige wohlmeinende Vermutungen mit vielen schlimmen auf so wunderliche Weise, daß es dem gespannten Publikum unmöglich werden mußte, zu einer nur etwas klaren Auffassung des geheimnisvollen Lebens zu gelangen.

Ich habe dieses merkwürdige Einsiedlerleben, das ein günstiges Zusammentreffen von Umständen meiner Beobachtung besonders naherückte, vierunddreißig Jahre lang nur selten aus dem Auge verloren. Was ich beobachtet oder mittelbar erfahren habe, will ich in diesen Blättern mitteilen. Ich glaube, daß ich imstande bin, mehr zu erzählen, als irgend jemand aus der nähern oder fernern Umgebung des Geheimnisvollen; aber ich muß freilich zugleich erklären, daß selbst die ganze Summe meiner Wahrnehmungen nicht hinreicht um den Schluß der Geschichte – die Lösung des Rätsels – finden zu lassen.

Das Bild, das ich den Lesern gebe, ist immer nur ein verschleiertes Bild. Es hat sich auch mir nie enthüllt. Wäre dies der Fall, so würde ich anders erzählen – oder auch vielleicht gar nicht.

Ich habe vierzig Jahre lang auf die Enthüllung des Geheimnisses gewartet, das ich vor Augen hatte; jetzt geht meine Geschichte in die Welt, nicht um eine solche Enthüllung zu geben, sondern um sie zu suchen. Die Neugierde des Publikums, der Scharfsinn der Polizei, alle Bemühungen der Gerichte haben nicht vermocht, den Schleier zu heben. Vielleicht kommen diese Blätter vor die Augen eines Menschen der mit Hilfe der Daten, die sie enthalten, den Schlüssel des Rätsels zu finden vermag.

Ich bin mit meinen Wahrnehmungen nicht hervorgetreten zu jener Zeit (unmittelbar nach dem Tode des Unbekannten), als alle Zeitungen das Interesse ihrer Leser nach dem geheimnisvollen Schlosse in Eishausen lenkten und die widersprechendsten Hypothesen über das Leben des Einsiedlers durcheinander fluteten, und ich komme deswegen mit meinen Mitteilungen vielleicht etwas zu spät für die Kuriosität des Publikums. Aber ich wünsche eben auch ein höheres Interesse in Anspruch zu nehmen, als das der Neugierde, und in solcher Beziehung wird es von einigem Werte sein, daß die Eindrücke, die ich empfing, Zeit genug hatten, sich abzuklären. Selbst jetzt würde ich mit diesen Mitteilungen, obgleich es mir nicht an mancher Aufforderung zu deren Veröffentlichung gefehlt hat, schwerlich hervortreten, wenn ich nicht glaubte, daß die Öffentlichkeit ein Recht wie ein Interesse an dem Geheimnisse des Schlosses in Eishausen habe, und daß der Wahrheit nicht allein, sondern selbst dem Interesse der Personen besser gedient sei, wenn die düstere Wolke des Zweifels und Argwohns, die sich über das Grab des Einsiedlers gelagert hat, mit scharfem Strahl beleuchtet und zerstreut, oder selbst zur Entladung ihres Wetterstoffs gebracht wird, als wenn ihre giftigen Dünste im ungestörten Zwielichte des Gerüchts das Monument, das Dankbarkeit und Pietät auf dem Grabe des Unbekannten erhalten möchten, allmählich zerbröckeln.

Die Leser bitte ich, daß sie durch den Reiz des Geheimnisvollen, Abenteuerlichen und Schauerlichen sich nicht verleiten lassen, bei der Betrachtung des wunderbaren Lebens, das ich ihnen vorführen will, den Standpunkt psychologischer Beobachtung zu verlassen; denn von diesem aus betrachtet bietet der Gegenstand, nach meiner Meinung, unter allen Umständen das größte und reinste Interesse. Die Gesichtspunkte, welche das Interesse der Polizei und der Rechtspflege in Anspruch nehmen, bieten sich von selbst dar.

Ich werde stets der Spur der Wahrheit zu folgen suchen und in das Gebiet der Dichtung und Sage, so nahe es hier auch an die Wirklichkeit grenzt, nirgends abschweifen. Ich werde unparteiisch alles vorrätige Material liefern, unbekümmert, ob es der guten Meinung, oder dem Argwohn zum Anhalt dienen mag, und eben so nüchtern, hoffe ich, wird meine Kritik sein.


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