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Eines Nachmittags, als Ralph nicht zu Hause war, kam Herr Janoji Rao zu Besuch. Davis saß allein in der Halle in einem Korbstuhl und sprach japanisch mit Danjuro, als das Auto draußen tutete.
Davis blickte durch die Glastür und sah, daß die große, elegante Gestalt, die ausstieg, Rao war, von einem kleinen korpulenten Herrn gefolgt, mit einem Käppchen und einem losesitzenden, gestreiften Jackett über sehr weiten Beinkleidern, – es sah aus, als ob er Pyjamas anhatte.
Aha! Gegenvisite, dachte Davis, eilte zur Tür und empfing seine Gäste mit einem Lächeln, das alle seine Goldplomben zeigte.
Als sie durch die schmale Halle zur Treppe gingen, kam Danjuro aus seiner Loge und verbeugte sich tief.
»Wie geht es Ihnen, Danjuro?« Rao nickte dem Japaner im Vorbeigehen zu, »ich hoffe, daß Sie gut für meine Freunde sorgen.«
»Er ist ein vorzüglicher Wirt,« sagte Davis, »und ein ebenso tüchtiger Lehrer. Wir waren grade in einer Nachmittagsunterhaltung in seiner Muttersprache begriffen.«
Der Japaner beugte untertänig den Kopf, während die Ebenholzkugeln von Rao zu Davis und wieder zurück liefen. Rao wandte sich nach dem Fremden um, der bescheiden in, Hintergrund stehengeblieben war, faßte seine Hand und zog ihn ins Licht, das durch die Treppenhausfenster fiel.
»Darf ich vorstellen – Herr Maung Po, der darauf brennt, Ihre Bekanntschaft zu machen – Herr – ?«
»Parker,« fiel Davis hastig ein.
»Herr Parker! – Maung Po ist Birmese, Pongyi an der Schwe Dagon Pagode in Rangoon – er ist seit mehreren Jahren mein Nachbar in der Bibliothek und ein Kollege von uns beiden – aber viel gelehrter als ich.«
Der kleine Birmese machte eine höflich protestierende Bewegung mit seinen vollen, beweglichen Händen, die er waschend gegeneinander rieb, ergriff Davis' dargebotene Hand und beugte sich herab, als ob er sie küssen wollte.
»Freut mich sehr!« sagte Davis und ließ seinen lebhaften Blick auf ihm ruhen, während Rao fortfuhr.
»Maung Po sah Sie gestern in der Bibliothek, als Sie nach mir fragten, es tut mir leid, daß Sie vergeblich gegangen sind! Als er hörte, daß Sie ein Kollege seien, erbat er sich die Ehre, Ihnen vorgestellt zu werden. Maung Po hat viele Verbindungen zwischen eingeborenen Gelehrten, sowohl hier wie in Birma, so daß er Ihnen bei Ihren Studien von Nutzen sein kann.«
»Verzeihen Sie,« unterbrach Davis ihn und legte seine Hand auf den fetten Arm des Birmesen, »was ist ein Pongyi?«
»Das ist ein birmesischer Mönch,« antwortete Rao. »Maung Po ist Mitglied eines hohen buddistischen Mönchordens, der sich dem Studium der Palischriften und ihrer Verbreitung, sowohl im Heimatlande als auch bei verwandten asiatischen Rassen gewidmet hat.«
»Aha,« sagte Davis und betrachtete das Käppchen, »Sie haben also eine Tonsur?«
Der Birmese, beugte den Kopf und entblößte lächelnd seine Glatze.
»Wenn die Mönche zu Hause sind, tragen sie eine gelbe Toga, die den rechten Arm und die rechte Schulter freiläßt – sie sitzen im Schatten der Pagode, mit der Jugend zu ihren Füßen, und weihen sie in die Worte der Weisen ein, lehren sie Lesen, Schreiben und Rechnen, und ihr Titel ist Paya, was ›Hoher Herr‹ bedeutet. Ist es nicht so?«
Der Birmese nickte heftig zustimmend mit seinem dicken, nußbraunen Kopf. Die runden Brillengläser glitten ihm auf die Nase und er zeigte alle seine Zahnstummel.
»Aber Maung Po ist noch mehr,« fuhr Rao fort, während sie durch den Korridor gingen, – »abgesehen davon, daß er ein hervorragendes Mitglied der Birmesenkolonie hier in der Stadt ist –«
»Herr Rao, – Herr Rao,« quiekte Maung Po protestierend mit seiner fetten Diskantstimme.
Davis öffnete die Tür zu seinem Zimmer und ließ sie vor sich eintreten.
»Abgesehen davon, sage ich, ist er der offizielle birmesische Dolmetscher der Regierung. Sie werden also begreifen, daß er ein Mann von nicht geringem Einfluß ist.«
Raos Augen streiften Davis', ohne daß Maung Po, der hinter ihnen ging, es sehen konnte.
»Es ist eine große Ehre für mich,« sagte Davis, »ich freue mich, daß Sie mir Herrn Maung Po vorgestellt haben.«
»Wer von beiden hat Vorteil von dieser Bekanntschaft,« dachte Davis bei sich, »und was will Maung Po von mir?«
»Ich bedaure, daß ich Herrn Cunning nicht antreffe!« sagte Rao, während sein empfindsames Lächeln einen entsprechenden Grad von Enttäuschung zeigte.
Bum, da hatte er sich verraten. Davis schickte ihm einen abwehrenden Blick, aber es war zu spät.
Maung Po, der auf dem Fußende eines Liegestuhles saß und seine Hände wusch, blickte mit seinen kleinen lebhaften Augen auf.
»Ist er auch ein Gelehrter wie Sie, Herr Parker?« quiekte er.
Davis griff entschlossen ein:
»Mein Prinzipal, Herr Teddyson,« sagt« er mit Nachdruck, »ist Teehändler.«
»Verzeihung – jetzt erinnere ich mich.«
Rao machte eine entschuldigende Bewegung mit seiner langen, schmalen Hand; an den Fingern trug er keine Ringe. Sein Handgelenk aber umschloß ein massives goldenes Armband. Er sah Maung Po an und sagte mit einem ernsten Gesicht:
»Sie müssen nämlich wissen, Maung Po, daß unsere Freunde inkognito reisen – sie möchten keine Aufmerksamkeit erregen, besonders nicht bei unserer erhabenen und hochweisen Regierung.«
Was soll das heißen, dachte Davis verblüfft und suchte mit einem hastigen Blick eine Erklärung in dem Ausdruck um Raos Mund. Auch Maung Po schien verwirrt. Seine kleinen Augen blickten vorsichtig und heimlich forschend von einem zum anderen.
»Aus gewissen Gründen,« fügte Rao hinzu und ließ plötzlich sein Lächeln leuchten.
Das wirkte wie eine Erlösung. Maung Po erlaubte sich ein kleines glucksendes Augurenlachen. Davis machte eine Handbewegung und zeigte seine Goldplomben.
Warum enthüllt er uns voreinander, dachte er. Soll es eine Vergeltung sein, weil ich ihn neulich überrumpelte? Oder will er mich an das »Junge Indien« binden, indem er mich an Maung Po verrät, der im Dienste der Regierung steht? Hat er ihn darum mit hergebracht? Oder – Davis warf einen blitzschnell forschenden Blick auf das feine Rassegesicht mit dem ausdrucksvollen Lächeln – ist er so tüchtig, daß er sich gleichzeitig Maung Po sichert, so daß er uns gegeneinander ausspielen kann, wenn es nötig sein sollte! Will er uns beide in der Tasche haben? Hm, was ich weiß, weiß ich. Wenn man mich aber für einen Eingeweihten ausgibt, will ich auch an deren Beratungen teilnehmen. Und Davis tat den nächsten Schritt:
»Herr Rao,« sagte er mit offenem Blick und vertraulicher Stimme, »ich würde sehr gern einer Sitzung bei Ihrem Onkel auf seinem Landsitz in Balyganj beiwohnen.«
»Wer hat Ihnen davon erzählt?« fragte Rao mit sanftem Erstaunen.
Davis' scharfer Blick bemerkte, daß die gelbliche Haut um Raos tiefliegende Augen sich zusammenzog, als wäre an unsichtbaren Fühlhaaren gerührt worden. Maung Pos Gesicht war vollkommen unbeweglich. Sein Blick aber hing aufmerksam an seinen dicken Händen.
»Mein guter Freund Sri Rama.«
Rao blickte einen Augenblick auf die Wand gegenüber, dann sagte er:
»Wenn mein Onkel Empfang hat, während Sie hier sind, wird es mir ein Vergnügen sein, Sie ihm und – den anderen vorzustellen.«
»Vielen Dank. Es würde mich freuen, wenn ich Gelegenheit bekäme, soweit es in meinen Kräften steht, die Sache zu unterstützen, von der Sri Rama und ich so oft gesprochen haben, und für die ich mich lebhaft interessiere.«
Rao betrachtete ihn mit einem Blick, den er nicht zu deuten vermochte. Dann beugte er den Kopf zum Dank und sagte zuvorkommend:
»Ich werde Ihnen eine Einladung schicken, wenn es so weit ist.«
»Ich treffe Sie wohl auch dort, Herr Maung Po?«
»Mich?« Der kleine Birmese zuckte zusammen, blickte auf, sein Blick war dunkel vor Schreck.
»Maung Po pflegt dort nicht zu kommen.« Rao legte seine schmalen Finger beruhigend auf den runden Arm. »Das kann er seiner Stellung wegen nicht.«
»Ich verstehe!« Davis nickte verständnisvoll, »wir sehen uns aber in der Bibliothek.«
Der Birmese nickte heftig bekräftigend mit seinem runden Kopf, seine kleinen Augen drückten Geehrtheit und Erwartung aus.
Rao erkundigte sich, wie Davis und Ralph Indiens Hauptstadt gefiele. Davis äußerte sich mit überströmender Anerkennung über das, was er gesehen hatte – Museen, Denkmäler, Parks, die herrliche Esplanade, das intelligente Aussehen der Eingeborenen usw. Das alles aber sei ja nur die Fassade, und er und Herr Teddyson würden Wert darauf legen, die Stadt etwas näher kennen zu lernen als gewöhnliche Touristen. Indessen hätte es seine Schwierigkeiten z. B. die Nachtseite von Kalkutta kennen zu lernen, wenn man nicht geführt würde.
»Daran hab ich auch schon gedacht,« sagte Rao, »und es war meine Absicht, Sie und – nun also Herrn Teddyson (Rao deutete mit einem Lächeln an, ob man nicht die Masken ablegen wollte) – zu bitten, an einem Tag, der Ihnen paßt, bei mir zu essen. Nachher werde ich Ihnen dann etwas von der Stadt bei Nacht zeigen. Nur fürchte ich, daß sie Sie enttäuschen wird. Wenn man aus den großen Städten des Westens kommt –«
Davis protestierte und dankte. Schade, daß Herr – nun also Herr Cunning (Davis lächelte: Wir legen also die Masken ab, wenn Sie es wünschen) – daß Herr Cunning nicht zu Hause sei. Wenn Herr Rao aber bestimmen wollte, über welche Tage sie verfügen könnten, würde er einen Tag mit seinem Reisegefährten verabreden und sich erlauben, Herrn Rao einige Zeilen zu schicken. Rao gab den gewünschten Bescheid und erhob sich, um zu gehen.
Als Davis seine Gäste hinunterbegleitete, tat er noch einen Schritt:
»Wie gefällt Ihnen Herr Danjuro?« fragte er ohne Einleitung den kleinen Birmesen.
Maung Po blickte mit seinen kleinen lebhaften Augen auf.
»Ich habe ihn zum erstenmal gesehen.«
Maung Po scheint ein scharfes Gehör und ein vortreffliches Gedächtnis zu haben, dachte Davis, denn er weiß sofort, wen ich meine, obgleich Danjuros Name nur einmal von Rao genannt wurde, als er ihn in der Halle grüßte.
»Danjuro?« wiederholte der kleine Birmese und blickte gleichzeitig treuherzig auf – »mich dünkte, sie nannten Ihren Reisebegleiter vorhin mit einem anderen Namen.«
»Danjuro ist der Japaner, der das Hotel leitet.«
Sollte ich mich geirrt haben, dachte Davis, sollte Maung Po ein ungewöhnlich schlechtes Gehör und Gedächtnis haben, da er Ralph Cunnings Namen, der bereits mehrmals genannt worden ist, noch nicht behalten hat? – Maung Po war interessant, er wollte ihn nicht aus dem Auge verlieren.
Als sie in die Halle kamen, war Danjuros Loge leer.
Davis begleitete seine Gäste bis an das wartende Automobil. Er drückte Raos Hand herzlich, bedauerte, daß Herr Teddyson (der Chauffeur konnte ja alles hören!) nicht zu Hause gewesen sei, und freute sich, mit ihm der liebenswürdigen Einladung nachkommen zu können.
Auch der Birmese dankte warm für den Besuch.
»An einem der nächsten Tage suche ich Sie in der Bibliothek auf«, Davis legte seine Hand vertraulich auf die runde Schulter des kleinen Mannes, »und falls Ihre gelehrte Paligesellschaft Sitzung haben sollte, während ich hier bin, hoffe ich, daß Sie an mich denken werden. Ich habe das Prinzip, wenn ich reise, mir keine Möglichkeit entgehen zu lassen, interessante und intelligente Persönlichkeiten kennen zu lernen, besonders, wenn es sich um Studiengenossen handelt.«
Der Birmese nickte heftig mit seinem runden Kopf und wusch seine Hände unzählige Male, während er Davis seiner Bereitwilligkeit versicherte. Die regelmäßige monatliche Sitzung würde in allernächster Zeit stattfinden. Man versammelte sich in der birmesischen Pagode, wo Fremde keinen Zutritt hätten, er aber würde sich bemühen, eine besondere Erlaubnis, ja, eine Einladung von dem obersten Pongy zu erwirken.
Davis stand winkend in der Tür, als sie abfuhren.
Kurz vorm Mittagessen kam Ralph nach Hause. Er war im Zoologischen Garten gewesen und hatte ein paar Königstiger gesehen, in ihrer ganzen ursprünglichen Wildheit; sie waren erst kürzlich in den Dschungeln auf der Saugar-Insel, die in der Mündung des Hooghly-Flusses, zehn Meilen südlich von Kalkutta liegt, eingefangen worden.
Davis berichtete von dem Besuch, der neuen Bekanntschaft und der Einladung. Der Tag wurde gleich bestimmt und einige Zeilen auf Davis' Karte zu Rao geschickt.
»Auch ich habe eine neue Bekanntschaft gemacht,« sagte Ralph, »meinen Kollegen, den Chinesen. Als ich von den Tigern kam, hatte ich Lust, ihn zu besuchen. Ich schuldete ihm ja einen Gegenbesuch. Seine Adresse bekam ich bei Cook. Er wohnt in einer viel feineren Gegend als wir, hat zwei Sekretäre und mehrere bezopfte Diener, außer der Dienerschaft seiner Frau. Wir haben uns eine halbe Stunde vom Geschäft unterhalten.«
» Die Unterhaltung hätte ich hören mögen,« lachte Davis; er war in strahlender Laune über den wohlgelungenen Tag.
»Bevor ich ging, kaufte ich ihm eine Partie Waren ab – wenn man reist, um Tee einzukaufen – nicht wahr?«
»Was für eine Sorte?«
»Ich erinnere mich nicht mehr – er hieß so etwas wie Suchong.«
»Zeigen Sie mir mal die Probe, dann werde ich es Ihnen sagen.«
»Die Probe? – Donnerwetter – Ich hätte natürlich eine Probe verlangen müssen.«
»Wieviel haben Sie bestellt?« fragte Davis und schüttelte den Kopf.
»Ich erinnere mich nicht mehr, ob es eine Kiste oder ein Kasten war, oder wie die Bezeichnung sonst heißt – davon war es aber jedenfalls eine halbe.«
»Das können wir ja auf dem Bestellschein sehen.«
»Bestellschein?«
»Haben Sie keine Kopie davon bekommen?«
»Nein. Er schrieb sich auf – ein halbes Quantum von diesem oder jenem – Preis soundsoviel per Kilo oder war es vielleicht fürs Pfund? – ich sagte einverstanden, und damit war die Sache erledigt.«
»Wo soll der Tee abgeliefert werden?«
»Hier im Hotel.«
»Und wann?«
»Morgen. Er wollte selbst kommen und das Geld einkassieren. Wie Sie sehen, ein prompter Geschäftsmann!«
Davis betrachtete ihn eine Weile. Dann schlug er sich auf die Knie und machte seiner guten Laune Luft. Ralph versuchte ernst zu bleiben, mußte dann aber doch mitlachen.
»Sie sind ja verrückt, Mann,« sagte Davis, »Sie haben Ihr Inkognito verraten. So würde sich kein vernünftiger Kaufmann benommen haben.«
Ralph überlegte eine Weile mit einem ernsten Gesicht.
»Es kam mir allerdings so vor,« sagte er, »als ob er mir etwas zu viel Hochachtung erwies, vorteilhaft für mich war der Abschluß wohl kaum. Aber dafür entlockte ich ihm allerhand über Opium, was mich mehr interessiert als Tee.«
Ralph war auf und ab gegangen, von Davis' Blick gefolgt, der ihn aufmerksam beobachtete. Jetzt drehte er sich um, sah Davis treuherzig an und sagte: »Ich will Ihnen sagen, ich habe mir mit Absicht einen verdächtigen Anschein gegeben. Ich bilde mir nämlich ein, daß der Chinese seine Nase in meine Papiere gesteckt hat, und darum dachte ich folgendes: neulich sahst du, daß nichts in meinen Papieren war, was von Tee handelte, und heute hast du gesehen, daß nichts von einem Geschäftsmann in mir ist. Jetzt hast du also eine Nuß zu knacken bekommen. Das war's, was ich wollte.«
Ralph fing an zu lachen.
»Ich zweifle nicht, daß ich der Gesellschaft als Teehändler nicht ganz geheuer war,« wiederholte er und setzte sich, »denn die Sekretäre stellten sich auf, um mich zu beglotzen, als ich fortging.«
Ralph lachte so herzlich, wie er lange nicht gelacht hatte.
»Ich dachte es mir ja!« sagte Davis. Je mehr er über die Sache nachsann, desto ärgerlicher wurde er. Schließlich blieb er vor Ralph stehen und sagte gereizt:
»Sie vergessen, daß Sie mich auch kompromittiert haben. Kein vernünftiger Mensch kann in gutem Glauben bei einem so untüchtigen Geschäftsmann Sekretär sein. Man wird uns beide verdächtig finden ... Unser Inkognito ist gründlich zerstört; eines schönen Tages werden wir auch noch die Regierung auf den Hals bekommen!«
»Das wäre ein herrlicher Spaß!« sagte Ralph unangefochten und fuhr fort zu lachen.
Am nächsten Morgen erfuhr Davis, daß Ralph den Chinesen um drei Uhr erwartete. Er fuhr zur Bibliothek, wo er Maung Po sagte, daß Ralph es sehr bedauert habe, den Gelehrten Pongyi nicht zu treffen. Der Birmese zeigte Davis Handbücher und seltene Werke; als geschlossen wurde, ließ er sich überreden, mit ins Hotel zu kommen, das nicht weit von der Pagode lag, um Ralph vorgestellt zu werden.
Sie kamen just in dem Augenblick, als Ralph und der Chinese vor Danjuros Loge abrechneten. Davis konnte beim Anblick der riesiges Zinkkiste ein Lächeln nicht unterdrücken. Danjuro würde den Vorteil davon haben, denn die Kiste konnte hier ja nicht stehenbleiben und Ralph würde sie ihm natürlich billig überlassen.
Danjuro saß an seinem Schreibtisch mit einem frommen Gesicht, in dem sich keine Munterkeit spiegelte.
Ralph stellte Davis dem Chinesen als seinen Sekretär vor. Sie begrüßten sich mit großer Würde. Darauf zog Davis den kleinen Birmesen heran, der sich, wie gewöhnlich, hinter den anderen verborgen hielt, so daß er und der Chinese in dem vollen Licht standen, das aus dem Fenster des Treppenhauses fiel.
Davis stellte vor. Laou Wo grüßte mit Vorbehalt, und der Birmese seinerseits maß seinen Gruß sorgfältig nach dem des anderen ab. Obgleich Davis sie scharf beobachtete, fand er keine Anzeichen, daß sie sich bereits kannten.
Als Ralph bezahlt und seine Quittung bekommen hatte, begann er ein Gespräch mit dem Birmesen, während Davis den Teehändler übernahm und die Gelegenheit benutzte, um Ralphs Geschäftsehre, so gut es ging, zu retten.
Bald darauf machte der Chinese Miene aufzubrechen.. Auch der Birmese verabschiedete sich. Ralph drückte ihnen die Hände und setzte sich wieder; Davis aber, sein Sekretär, begleitete sie ganz auf die Straße hinaus. Er fragte sie, ob sie nicht ein Automobil wünschten, ihr Weg aber führte sie in verschiedene Richtungen.
Während sie noch Abschied nahmen, kam ein kleiner untersetzter Mann mit einem gestutzten, schwarzen Schnurrbart in einem blankgeschwitzten Gesicht, auf dem Fußsteig daher. Er war so in seine Zeitung vertieft, daß er gegen den Birmesen anrannte.
Der Mann bat um Entschuldigung, lüftete den Hut, trat höflich zur Seite, um den Chinesen, der denselben Weg hatte wie er, vorangehen zu lassen und fuhr in seiner Lektüre fort.
Davis blieb in der Tür stehen und blickte hinter seinen Gästen her.
Dort trabte der kleine Birmese auf seinen runden Beinen; die Straße war ganz menschenleer. Nein, jetzt kam ihm ein Mann in einem fleckigen Khakianzug auf dem gegenüberliegenden Fußsteig entgegengeschlendert. Nach der anderen Seite, längs der alten Gartenmauer, entfernte sich der Chinese mit würdig gemessenen Schritten, die Hände in den weiten Aermeln; hinter ihm ging der kleine untersetzte Mann, der in seine Zeitung vertieft war. Eine zerlumpte Ticca gharis dritter Klasse kam durch die Straße gerasselt. Der Chinese verlangsamte seine Schritte und blickte ihr entgegen, während der Kutscher anhielt und die Peitsche hob; Herr Laou Wo aber fand das Fahrzeug unter seiner Würde und setzte seinen Weg zu Fuß fort.
Darauf kehrte Davis zu Ralph zurück, der sich mit Danjuro über Tee und Opium und das Geschäft, das er eben abgeschlossen hatte, unterhielt.
Nach dem Mittagessen im Hotel fuhr Rao, wie er versprochen hatte, mit seinen Gästen aus, um ihnen Kalkutta bei Nacht zu zeigen. Er hätte, sagte er, erst an eine Spielhölle gedacht, wo die Malaien und Chinesen vom Hafen und den großen Docks in schöner Gemeinschaft ihren Tagesverdienst durchbringen; aber es wäre ein zu gefährliches Unternehmen, denn Spielhöllen seien streng verboten und jeder gutgekleidete Fremde würde als Spion betrachtet. Statt dessen fuhr er sie zu der Straße der weißen Nächte, wo die hinduschen Freudenmädchen wohnen.
Es war über Mitternacht. Von der Bow Bazar-Street, wo noch Verkehr war, fuhren sie durch ein ödes, nachtstilles Viertel zu einer langen, geraden Straße, wo Musik von Flöten, Zithern und Tam-Tam hinter Mauern erklang.
Die Straße bestand aus niedrigen, zweistöckigen Steinhäusern; durch die Fensterläden fiel gedämpftes Licht, die Türen aber gähnten wie dunkle Löcher in den gelblichen Wänden. Hier und da war in der Mauer eine Nische. An einer Stelle brannte eine qualmende Fackel, die an der Mauer festgemacht war, und in der Nische lag ein Paria längelang und schlief wie in einem offenen Begräbnis.
»Das ist die Nachtwache,« sagte Rao und lachte.
Der Chauffeur fuhr langsam, um das richtige Haus zu finden.
Da sprang aus einer Tür ein Eingeborener, stellte sich vor das Auto und schwang eine qualmende Fackel in seiner rechten Hand. Es schien ein Zeichen zu sein, das der Chauffeur und Rao verstanden.
Der Wagen hielt.
»Hier ist es,« sagte Rao und stieg aus.
Der Eingeborene ging voran und leuchtete mit seiner Fackel.
»Ich habe mich erkundigt und erfahren, daß dies eins der besten Häuser sein soll. Hier verkehren die Hindustudenten aus den großen Kollegien, die hier in der Nähe liegen.«
Sie kamen durch einen dunklen und engen Gang, wo sie hintereinander gehen mußten, und stiegen eine Steintreppe mit hohen Stufen ohne Geländer hinauf, die zum ersten Stockwerk führte; dort endete die Treppe in einer Galerie, die zu einem viereckigen Hof hinausging, der vom Sternenhimmel erhellt war. Sie kamen an einem Raum vorbei, aus dem halb lüsterne, halb melancholische Musik erklang, deren einförmige Töne übereinander stolperten.
Die Tür war nur angelehnt, Ralph guckte hinein. Da saßen vier junge Burschen in der Hucke, die Köpfe über ihre Instrumente gebeugt. Der Raum war ganz kahl, auf der Erde stand ein Licht in einem Leuchter. Sie kehrten ihnen ihre Gesichter zu, ihre Augen waren blank, als wären sie von der betäubenden Musik berauscht. Sie schlugen den Takt mit dem Kopf, und ihr Mund lächelte wie die Lippen eines schwachen Kindes, das zeitig Lachen und Weinen verlernt hat.
»Das sind die Söhne der Nacnevalen und Bajaderen,« erklärte Rao, »sie werden von Kind an in Musik unterrichtet und verdienen sich ihren Unterhalt, indem sie zum Tanz der Frauen spielen und ihnen zu Diensten sind.«
Sie bogen um eine Ecke der Galerie, wo alle Türen mündeten. Ein altes Mütterchen, mit einem großen Tuch um den Kopf, kam auf sie zu und rappelte eine blühende Rede auf Englisch und herunter, indem sie unablässig die Hände zur Stirn führte.
Auf ein Wort von Rao wackelte sie auf eine Tür zu und riß sie weit auf.
Ein großer Raum, der mit einem Teppich über den ganzen Fußboden bedeckt war, bot sich ihrem Blick. In einer Ecke war ein niedriges Himmelbett, ebenso breit wie lang, mit Kissenrollen an allen vier Seiten. An der Wand hing ein Bild von Siva mit den vier hochgestreckten Armen. In einer Ecke war ein kleiner Altar, wo eine Tulsipflanze in einer Schale hing. Unter der Decke war eine Krone, die aus fünf qualmenden Talglichtern Licht spendete. Auf dem Fußboden lagen seidene Kissen verstreut und unter dem einen Fenster stand ein kleiner niedriger Tisch.
Als sie hereintraten, erhob sich eine Frau vom Fußboden, ging ihnen entgegen und begrüßte sie mit ausgebreiteten Armen.
Ralph mußte an die Sanskritworte denken, die Davis ihn einst gelehrt hatte: »Ein wandernder Fleischbaum mit Goldfrüchten beladen«. So war sie. Ueberreif, glatt und blank, als ob sie platzen würde, wenn man sie berührte. Goldene Früchte hingen an dem Fleischbaum, an den schön geformten, nackten Armen, dem dicken Hals, auf der hohen Schulterwölbung, an Fingern und Fußgelenken; und jedesmal, wenn der Baum sich bewegte, rasselten sie. Sie blickte lächelnd von einem zum anderen, ihre weißen Zähne zeigend, während ihr großer offener Blick sie musterte. Von den Schultern bis zu den Füßen, die von funkelnden Ringen blitzten, war sie in ein faltenreiches Tüllgewand, wie in eine Toga gehüllt; an den Schultern wurde die Kante eines dunkelroten Unterkleides sichtbar.
Trotz des Smokings sah sie gleich, daß Rao indischer Abstammung war. Bevor er noch etwas gesagt hatte, war sie sich über die Situation klar: es war ein zweimal Geborener, der ihr seine weißen Gäste zuführte.
Sie beugte ihren Kopf, als er sprach, mit ehrerbietig niedergeschlagenen Augen lauschend. Als sie aber antwortete, öffnete sie Blick und Lippen mit einer Schamlosigkeit, die sie kleidete, weil sie echt war.
Ralph und Davis streckten sich auf den Kissen des Fußbodens und stützten den Kopf auf den Ellbogen, während Rao und die Nacnevali sich in der Hucke gegenübersaßen.
Rao redete sie in ihrer eigenen Sprache an, sie aber antwortete mit Selbstbewußtsein, daß sie die Sprache der Weißen verstehe.
»Du bist ein guter Junge!« sagte sie als Probe, mit einem kleinen gierigen Lachen zu Ralph, und legte ihre runde Hand, deren Nägel von Henna rosenrot gefärbt waren, auf sein Knie.
Davis sagte ihr allerhand hübsche Dinge auf hindustanisch. Sie sah ihn erstaunt an und antwortete girrend, mit halbgeschlossenen Lidern. Da erklang Frauengesang aus einem Nebenzimmer, und Davis verstummte.
Sie lauschten alle. Der Gesang hinter der Wand hatte einen Herzenston, der ihre Aufmerksamkeit weckte.
»Wer ist das?« fragte Rao.
»Eine Neue –« die Nacnevali zuckte nachsichtig ihre fetten Schultern.
»Wem singt sie etwas vor?«
Die Nacnevali strich sich mit der Hand über ihren runden Arm und sah auf ihn herab, als ob sie sagen wollte: betrachten Sie lieber meinen Arm, ist der nicht schön?
»Warum singt sie?«
Die Nacnevali wandte den Kopf langsam zur Wand, von wo der Gesang ertönte, zuckte wieder die Achseln und sagte halb spöttisch, halb nachsichtig:
»Weil sie traurig ist.«
»Du bist wohl nie traurig!« Raos Mund zeigte eine allwissende Melancholie, die so plötzlich den Schleier von seiner Seele zog, daß Ralph ihm einen Augenblick ganz nahe zu sein meinte.
»Nein, es ist lange her.«
Sie warf den Kopf in den Nacken, heftete ihren Blick unter den halbgeschlossenen Lidern auf Raos Mund und sagte:
»Ein Sannyasi hat mir prophezeit, daß ich als Favoritin eines Rajahs wiedergeboren werden soll. Ich soll Rani werden und Söhne gebären. Vielleicht werde ich einst die Deine.«
Wieder erklang der Gesang nebenan. Wieder hatte er einen lebendigen Herzenston; selbst die Nacnevali vernahm es.
»Die da nebenan«, sie zeigte mit dem Kopf zur Wand, »trägt ein Kind, – darum weint sie. Die Törin!« Sie senkte die Stimme, die dunkel und warm wurde. »Wenn ich es wäre, würde ich vor Freude singen. Ein Kindchen!«
Sie wiegte die Arme vor der Brust und blickte mit schiefgelegtem Kopf und niedergeschlagenen Augen darauf herab, als hütete sie einen kleinen, schwarzlockigen Kopf, der hilflos in ihrem fetten Arm lag; sie wiegte ihn gegen ihre unfruchtbare Brust.
»Welcher Kaste gehörst du an und wie bist du hierher gekommen?« fragte Rao.
»Ich bin aus dem Stamm der Sudra,« die Nacnevali legte die Hände selbstbewußt zusammen, »ich wurde in meinem achten Jahre Witwe, und da keine anderen Witwen in der Familie waren, mußte ich alle Arbeit allein tun, darum lief ich zu einer Nacnevali, die ich im Basar gesehen hatte, und bat sie, mich ihre Kunst zu lehren.«
»Und jetzt bist du froh?«
»Ich hab genug zu essen und zu trinken, an Liebe leide ich keinen Mangel. Zu arbeiten brauche ich nicht – und bin ich nicht fein wie eine junge Rani?«
Sie zog die Toga über der Brust fester zusammen und wiegte ihren hocherhobenen Kopf, so daß die Goldfrüchte auf dem nackten Stamm des Halses rasselten; sie breitete das zarte Tüllgewand wie eine Decke aus, streckte ihnen ihre Armzweige entgegen und ließ das Licht von der Decke in den doppelt geringelten Goldspangen an ihren Handgelenken, in den ungeschliffenen Edelsteinen an ihren Fingern blitzen.
»Still!« sagte Davis.
Der Gesang hatte von neuem begonnen, aber es war nicht derselbe. Er beugte sich vor und lauschte angespannt.
»Wer ist sie?« fragte Rao.
»Sie ist Witwe, ebenso wie ich. Ein Augenpaar hat in die ihren gesehen, während sie für die anderen arbeitete; sie hat diese Augen heimlich bei Nacht gesucht und ist glücklich gewesen, bis ihre Liebe Frucht ansetzte, und sie mit ihrer Scham fliehen mußte, ohne Freunde und ohne Kaste.«
Die Nacnevali hatte ihre Hände im Schoß gefaltet und sprach wie im Traum, die Lider über die trägen Augen gesenkt.
»Ich glaube eher, daß sie eine entflohene Dewadasi ist,« sagte Rao und lauschte, »sonst würde sie nicht so gut singen können.«
Er wiegte den Kopf, während er Worte zu der Melodie summte. Die Nacnevali lauschte mit geschlossenen Augen, dann fiel auch sie mit ihrer tiefen Stimme ein.
»Was ist das für ein Lied?« fragte Ralph.
»Die Klage der Jogan von Indarsabha, ein Schauspiel von unserem berühmten Amanát aus dem vorigen Jahrhundert; es wird in ganz Indien gespielt.«
»Was bedeutet Jogan?«
»Em weiblicher Jogi, eine bußfertige Wanderin auf staubigen Wegen, mit aufgelösten Haaren, das Gesicht mit Asche eingerieben. Sie ist von Indras Hof vertrieben worden, weil sie den Königssohn Gulfam liebt. So ruft sie ihren Geliebten,« – und Rao begleitete den Gesang mit Worten, die er ins Englische übersetzte:
Ruhelos wandert mit Weh im Herzen
sie, die dich liebt, – komm doch, o komm!
Ruhelos wankt sie auf Straßen und Gassen,
sucht dich vergebens – komm doch, o komm!
Könnte dein Aug' in mein Herze blicken,
würdest selbst herzkrank – komm doch, o komm!
Ach, bin ein Gast in der Welt nur, der weiten,
bald ist's vorbei – komm doch, o komm!
Gottloser, sieh, am Gott ich verblute,
sterbe vor Schmerz – eil dich, o komm!
Davis hatte sich während des Gesanges erhoben und war hinausgegangen. Ralph hatte es bemerkt, aber er sagte nichts.
Draußen auf dem Gang stand das alte Mütterchen. Davis zeigte auf die Tür zum Zimmer der Singenden. Die Alte wackelte darauf zu und schloß sie auf.
Ein Duft von Ambra schlug ihm entgegen, den er wiedererkannte. Das Zimmer war klein. Das Fenster lag der Tür gegenüber, hoch oben an der Wand, mit Läden davor. In der Ecke stand ein niedriges Bett, ebenso wie das nebenan. Auf dem Teppich, den Rücken zur Tür gewandt, saß die singende Frau gegen eine alte Lederkiste mit Silberbeschlägen gelehnt, worin sich das Licht eines doppelarmigen Bronzekandelabers spiegelte, der auf der Kiste stand.
Davis betrachtete sie, während die Tür hinter ihm geschlossen wurde. Sie war in ihren Gesang vertieft und überhörte sein Kommen. Der Ton verklang und löste sich in einen Seufzer auf.
»Kantra!«
Sie hob den Kopf, drehte sich um und sah ihn an. Ein Beben ging durch ihren Körper. Sie erhob sich, wich zur Wand zurück und starrte den Fremden neben der Tür an.
Ihr Gesicht war eingefallen; das schwarze Haar fiel von der Stirn über die Ohren, es war nicht mehr blank und glatt wie ehedem. Aus den weitaufgerissenen Augen blickte dunkle Oede. Wo war der stolze Glanz geblieben, der gleichzeitig anzog und abwehrte, wo waren die funkelnden Schatten? Nur die Lippen waren rot wie damals; Davis sah, daß sie geschminkt waren.
So stand sie, bis er ihr die Hand entgegenstreckte. Da schmolzen die starren Züge in einem wunderbaren Lächeln; sie glitt auf ihn zu und sank ihm zu Füßen.
Davis sah an ihren Schultern, daß sie weinte, aber sie gab keinen Laut von sich. Er setzte sich neben sie und legte seinen Arm schützend um ihren Leib. Sie schmiegte den Kopf an seine Brust, und ihre Tränen versiegten.
»Wie bist du hierhergekommen?«
»Die Daja hat mir zur Flucht verholfen.«
»Warum bist du geflohen?«
»Hast du vergessen, daß man derjenigen, die sich mit einem Kastenlosen verunreinigt, Ohren und Nase abschneidet? Ich flüchtete vor dem Zorn des Gewaltigen und verberge mich hier.«
Sie drückte sich an ihn wie ein Kind, das eine freudige Ueberraschung mitzuteilen hat.
»Ich soll dir einen Sohn gebären,« flüsterte sie, und ihre Hände suchten die seinen.
»Wo sind deine Ringe?«
Sie wandte den Kopf und sah zu ihm auf.
»Ich kann doch keine anderen Ringe tragen als deine! – Du zerbrachst meinen Taliring mit der Zauberkraft deiner Augen, während ich vor dem Gewaltigen tanzte, weißt du nicht mehr? – Er sprang klirrend von meinem Fuß zur Erde. Du nahmst mich ihm durch deine Zauberkunst. Jetzt habe ich alles zerbrochen und weggeworfen, damit du mir neue schenken kannst. Ich kann nur den Tali desjenigen tragen, dessen Sohn ich gebären soll.«
Wieder schmiegte sie sich an ihn und schloß die Augen, während ihre heißen Hände die seinen umklammerten.
»Erzähle, was geschehen ist.«
Sie erzählte von Ramalingams Zorn, von ihrer Furcht vor dem Fluch des Gewaltigen, von ihrer Flucht bei Nacht in den Kleidern eines jungen Brahmanen, der sie einst geliebt und den sie durch die Daja um Hilfe gebeten hatte. Wie sie sich dann von Stadt zu Stadt durchgebettelt hatte, bald mit Gesang und Tanz, bald dadurch, daß sie ihren Körper demjenigen anbot, dessen Auge mit Begehren auf ihr ruhte, – bis sie die große Stadt erreichte, wo ein Schutzmann sie auf der Straße fand und in dieses Haus führte. Sie erzählte, wie verzweifelt sie gewesen sei, bis sie entdeckt hatte, daß sie ein Kind trüge. Da war neue Hoffnung in ihrem Herzen aufgeblüht, aber auch neue Angst, – die Angst, daß sie den Vater ihres Kindes nie wiedersehen würde.
»Jetzt habe ich dich wieder,« sagte sie, und ihre dunklen Augen strahlten im alten Glanz, während sie seine Hände gegen ihr Herz drückte, »ich will dir folgen, wie dein Hund und dein Schatten.«
»Dein Hund und dein Schatten –« das waren die Worte, mit denen Männer der niedrigen Kaste ihre Tochter demjenigen geben, der ihr Herr sein soll; das wußte Davis.
Da erklang ein Laut, als ob jemand mit der flachen Hand gegen die Tür schlägt. Kantra wandte den Kopf und sagte einige Worte. Die Tür ging auf und das alte Mütterchen streckte die Hand mit einer Karte herein, die Kantra nahm und dann Davis reichte. Es war Ralphs.
»Rao ist bereits gegangen, aus Diskretion oder Müdigkeit. Ich hab es satt, länger bei dem Fleischbaum zu warten, der mich vergeblich mit seinen Gold- und anderen Früchten zu locken versucht. Wollen Sie mich begleiten, – oder soll ich das Auto später zurückschicken.«
»Es ist mein Reisegefährte, dem du die Nachricht schicktest, als ich der Gefangene der Brahmanen war – darf er hereinkommen?«
Kantra nickte. Davis schrieb einige Worte auf seine Karte und gab sie der Alten, die neben der Tür wartete.
Kurz darauf kam Ralph. Er blieb neben der Tür stehen, indem er vergeblich die Schöne vom Kali-Tempel in dieser verhärmten Frau wiederzufinden versuchte.
Davis erhob sich und sagte:
»Kantra ist vor Gott und den Brahmanen geflüchtet. Sie will mir folgen, wo ich gehe und stehe – wie mein Hund und mein Schatten.«
Kantra las das Erstaunen in Ralphs Blick; sie beugte den Kopf zur Bestätigung und sagte:
»Ich will den Tali desjenigen tragen, dem ich ein Kind gebären soll.«
Davis sah ihn an, als ob er ihn an etwas erinnern wollte und Ralph verstand, daß er ihre Wette meinte.
Er nickte. Davis hatte gewonnen.
Kantra breitete Kissen auf dem Teppich aus, damit Ralph sich neben sie setzen konnte. Davis aber blieb stehen, sah nach der Uhr und sagte:
»Es ist spät.«
Sie sah ihn erstaunt an:
»Willst du gehen?«
»Ich komme morgen wieder!«
Er wich ihrem Blick aus. Als er sich zur Tür wandte, klammerte sie sich an seinen Arm und sagte:
»Nimm mich mit!«
Er machte sich behutsam frei und klopfte ihr die Wange.
»Ich sage dir ja, daß ich morgen wiederkomme.«
Eine Ahnung stieg in ihr auf. Von seinem ausweichenden Blick sah sie in Ralphs helle Augen und entdeckte einen Schatten von Mitleid in ihnen, der ihre Angst noch steigerte.
Sie warf sich Davis zu Füßen und umklammerte seine Knie mit ihren Armen.
»Schwöre, daß du mich morgen mit dir nimmst.«
»Morgen wollen wir über deine Zukunft sprechen.«
Sie erhob sich mühsam und grübelte einen Augenblick über seine Worte. Als sie aber keine Zuflucht in ihnen fand, begannen ihre Hände zu beben und ihr Mund verzog sich, so daß die spitzen Zähne sichtbar wurden.
»Sag mir die Wahrheit!« bat sie und faßte seinen Arm.
Davis machte sich frei und begegnete im selben Augenblick Ralphs Augen, die voller Unwillen auf ihm ruhten. Sie fühlte, was in ihm vorging, wandte sich zu Ralph und warf sich vor ihm nieder.
»Sag mir die Wahrheit!« flehte sie, die Hände zu ihm erhoben.
Ralph richtete sie auf und sagte auf französisch zu Davis:
»Sagen Sie ihr die Wahrheit. Das ist doch das wenigste, was Sie tun können.«
»Also gut« – Davis richtete sich auf und begegnete ihrem Blick. »Ich werde dafür sorgen, daß weder du noch dein Kind Not leidest, aber ich kann dich nicht mitnehmen, es ist ganz unmöglich.«
Sie schwankte bei seinen Worten. Sein Blick schlug sie zu Boden, aber sie erhob sich mit ihrer letzten Kraft. Voller Stolz über das Leben, das sie unterm Herzen trug, flammten ihre Augen, und sie atmete keuchend wie ein wildes Tier, dessen Junges in Gefahr ist.
»Ich werde dich finden, wo du auch bist. Not und Pest werde ich auf dein Haupt herabbeschwören, du, der du mich aus dem Arm des Gewaltigen stahlst und seinem Zorn überließest. Ich werde mir Vergebung bei Ramalingam und den Brahmanen erkaufen, indem ich dich ihrer Rache verrate. Ich verfluche das Kind, das ich trage, und werde es mit meinen Händen erdrosseln, wenn es lebend aus meinem Schoß gelangt.«
Sie ging stolzen Hauptes an ihm vorbei und ließ die Tür hinter sich offenstehen. Ralph sah, wie ihr Körper von Tränen geschüttelt wurde, die sie mit Gewalt zurückhielt.
Als sie in den dunklen Gang kamen, hörten sie einen röchelnden Laut hinter einer geschlossenen Tür, und beruhigende Worte, als ob eine Mutter zu einem schluchzenden Kind spricht. Ralph meinte, die Stimme des Fleischbaums zu erkennen. Auf der Straße stießen sie auf einen Eingeborenen, der seine rauchende Fackel drohend hinter ihnen her schwang, als das Auto sich in Bewegung setzte. Eine Bande Musikanten hatte sich mitten auf dem Fahrweg niedergelassen; von dem Tamtamteufel besessen, achteten sie weder der glühenden Augen, noch des heiseren Signals des Autos, so daß der Chauffeur in einem Bogen um sie herumfahren mußte.
Sie saßen schweigend nebeneinander. Ralph konnte den Ausdruck in Kantras Augen nicht vergessen. Ein brutaler Eingriff in den Lebensfrieden eines wehrlosen Wesens, – durch die Wette fühlte er sich mitschuldig. Er war gespannt, was Davis zu tun beabsichtigte, – die Sache war schwierig, das mußte er einräumen. Fragen aber wollte er nicht, denn Davis war ihm keine Rechenschaft schuldig.
Davis starrte vor sich hin, seine Kiefer waren in kauender Bewegung, wie immer, wenn er nachdachte. Schließlich wandte er seinen Kopf zu Ralph und sagte:
»Ich werde Cook die Sache anvertrauen und eine Summe für sie und das Kind aussetzen.«
Ralph schwieg mißvergnügt. Und dennoch – gab es einen anderen Ausweg? – Merkwürdig, wie sicher so ein Fraueninstinkt den innersten Kern traf, ohne Umschweife und viele Worte. »Ich werde es mit meinen Händen erdrosseln, wenn es lebendig aus meinem Schoß gelangt« – klang es ihm noch im Ohr, mit der Wildheit des verratenen Weibchens. Ein sicherer Instinkt, denn welches Schicksal konnte einen Bastard von weißer Brutalität und indischer Sinnenglut erwarten, auf dessen ungeborenem Haupt der Fluch der heimatlichen Götter ruhte?
»Sie haben Kantras Rache gründlich verdient!« sagte Ralph schließlich, als ob er einen Rechnungsabschluß machte.
»Es ist weit bis Madura,« lachte Davis hart, »und ich werde mich hüten, mich dort wieder sehen zu lassen. Auch Kantra täte gut daran, an Nase und Ohren zu denken und den Brahmanen aus dem Weg zu gehen.«
»Sie haben die Wette gewonnen,« sagte Ralph nach einer Weile, »welchen Dienst verlangen sie von mir?«
Davis bedachte sich eine Weile. Dann sagte er:
»Ich möchte Ihren Dienst für ein gelegenes Mal zugute haben.«
Ralph schwieg. Er hatte halb und halb erwartet, daß Davis ihn gebeten hätte, an seiner Statt zu Kantra zu gehen und sie abzufinden. Er fühlte etwas wie eine Enttäuschung. War es das Verantwortungsgefühl innerhalb der weißen Brudergemeinschaft, das sich in ihm rührte?
Als das Auto zu einem offenen Platz einbog, wurde eine kleine dunkle Gestalt im Mondlicht sichtbar, die aus einer engen Gasse kam. Davis drehte sich nach der Gestalt um. Auch Ralph meinte, sie bereits früher gesehen zu haben.
»Das war der Birmese,« sagte Davis, und beugte sich zum Chauffeur, um von ihm den Namen der Gasse, aus der Maung Po aufgetaucht war, zu erfahren.
Der Birmese verschwand auf der andern Seite des Marktplatzes, die Insassen des Wagens schien er nicht gesehen zu haben.
Sie schliefen bis spät in den Vormittag hinein. Nachdem sie gefrühstückt hatten, fuhr Ralph allein aus. Davis klagte über Kopfschmerzen und sagte, daß er lieber in seinem Zimmer bleiben wollte. Eine Stunde später fuhr er trotzdem aus und ließ sich vor einem kleinen Speisehaus an dem stillen Ende der Bow Bazar absetzen. Hier traf er Herrn Forbe, der schon beim Frühstück saß.
»Gibt's etwas Neues?« fragte Davis.
»Nichts von Interesse. Laou Wo ist jeden Vormittag in dem Chinesentempel im Edenviertel. Er ist auf dem Telegraphenamt gewesen und hat eine Depesche nach Kanton abgeschickt. Nachmittags fährt er mit seinen beiden Sekretären spazieren.«
»Geht er abends nicht aus?«
»Nein.«
»Und Maung Po?«
»Geht zur Bibliothek, wo er sich den ganzen Tag aufhält, sonst geht er nicht aus.«
»Auch abends nicht?«
»Nein, Herr.«
»Doch, Herr.«
Forbe blickte verblüfft von seinem Currygericht auf. Davis berichtete, wo und wann er den Birmesen gesehen hatte.
»Entschuldigen Sie, Herr, das war nach zwölf Uhr?«
»Nun und?«
»Länger als bis zwölf Uhr bin ich nicht engagiert.«
Davis mußte zugeben, daß sie für die Nächte kein Uebereinkommen getroffen hatten. Darum bekam Forbe neue Befehle und einen Extrascheck.
Bereits am nächsten Tage, als sie sich von neuem in dem kleinen entlegenen Speisehaus trafen, konnte der Mann mit dem fleckigen Khakianzug Mitteilungen machen, die Davis aufs lebhafteste interessierten.
* * *