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Es war schon spät am Vormittag, als Ralph aus einem Traum von Helen erwachte. Ihm hatte geträumt, daß sie in seinem Arm säße, den Kopf an seiner Schulter, und ihre Hand in der seinen, wie bei ihrer nächtlichen Fahrt. Der Traum war so lebendig gewesen, daß er den Kopf drehte, um ihr guten Morgen zu sagen – aber es war nur das Kopfkissen, das leicht und weich gegen seine Schulter lag.
»Sie muß und soll die meine werden!« sagte er laut und sprang aus dem Bett.
Er nahm das erste Frühstück in der Halle ein und fuhr dann zum Museum im Viktoria-Park, besah die Teufeltanz-Masken, die die Eingeborenen in alten Zeiten zur Vertreibung von Krankheiten benutzten, und studierte die Bewegungen des »lebenden Blattes« im Glasschrank.
Als er nach Hause kam, gab der Portier ihm einen Brief, den ein Bote vom Grand Hotel gebracht hatte.
Er war von Helen.
»Wenn Sie diesen Brief bekommen, bin ich mit Schehanna abgereist. Ich sage nicht wohin, damit Sie mir nicht folgen. Nur eines will ich Ihnen sagen: ich habe ein Gelübde getan, das ich weder Ihret- noch meinetwegen zu brechen wage. Darum muß ich fort. In der Hand des unbekannten Gottes liegt es, ob wir uns wiedersehen.
Dank für all die glücklichen Tage, ich werde sie nie vergessen.
Helen.
Schehanna läßt Ihnen sagen, daß der Tag kommen wird, wo auch Sie sehen und verstehen werden.«
Ralph las den Brief noch einmal und steckte ihn zu sich. Dann schob er den verblüfften Portier einfach beiseite und ging ans Telephon.
»Hallo! – Sind Sie der Portier vom Grand-Hotel? – Hier Ralph Cunning, Galt Face Hotel! – Ist Fräulein Herz abgereist?«
Es dauerte eine Weile, bis der Hauptportier kam.
»Sie wissen es nicht? – Unsinn! – Wohin ist das Gepäck geschickt worden?«
Aber es glückte ihm nicht, einen Bescheid zu bekommen. Der Portier räumte ein, daß ihm Schweigen auferlegt sei.
Ralph telephonierte nach Cook. Dort erfuhr er, daß vor zehn Minuten ein Dampfer nach Tuticorin, der Endstation der südindischen Bahn, abgegangen sei.
Er eilte hinaus und sprang in einen Rickshaw, der vorm Hotel hielt. So schnell der Kuli laufen konnte, ging es über die Esplanade im glühenden Sonnenschein. Der Schweiß lief in Strömen über den braunen Hals des Läufers, seine Wolljacke klebte mit dunklen Stellen an seinem Rücken. Ralph schlug ein Geruch von ranzigem Oel, womit die Haut des Kulis eingerieben war, und von altem, staubgemischtem Schweiß ins Gesicht, aber er achtete des Gestankes nicht.
Die Glastüren in Cooks Bureau waren weit zu der breiten Treppe geöffnet. Ueber den Ladentischen summten die elektrischen Luftfächer, durch den hohen Raum ging ein ununterbrochener Zugwind. Trotzdem war es so warm, daß Ralph der Schweiß in kitzelnden Tropfen über den Hals lief. Er stellte sich dem Chef vor und erbat sich die Passagierliste des Dampfers, der eben nach Indien abgegangen war.
Herr Dickson, ein langer, magerer Engländer, mit tropenerschlafftem Blick, sah Ralph zuerst prüfend an und reichte ihm dann das Papier, indem er bemerkte, daß die Liste in Zeitungen veröffentlicht würde.
Ralph fand Helens und Schehannas Namen.
»Wann geht der nächste Dampfer?«
»Morgen zur selben Zeit.«
»Geben Sie mir die beste Kajüte.«
Während der Engländer notierte, trat ein Herr heran, der an der Kasse bezahlt hatte.
»Leben Sie wohl, Herr Dickson!« sagte er und streckte dem Chef eine kräftige, behaarte Hand hin.
»Leben Sie wohl, Herr Davis, guten Erfolg für Ihre Forschungen.«
Ralph blickte flüchtig auf. Es war ein kleiner untersetzter Herr mit schwarzem, glänzendem Haar, das in der Mitte gescheitelt war. Hinter der goldenen Brille musterten zwei braune, ungewöhnlich lebhafte und intelligente Augen Ralph mit fast aufdringlichem Interesse. »Broad Way,« dachte Ralph bei sich und blickte fast unwillig fort.
»Entschuldigen Sie, Herr Davis, habe ich Ihre Kajütennummer notiert?« rief Herr Dickson hinter dem Fremden her.
»Nr. 3,« rief Davis zurück.
»Danke sehr.«
Dickson zeigte auf den Plan, den er vor Ralph ausgebreitet hatte.
»Sie können Nr. 1 bekommen, Herr Cunning. Nr. 3, die Kajüte, die Ihr Landsmann belegt hat, ist freilich besser. Erstklassig sind übrigens beide Kajüten nicht. Auf dieser Route gehen nur alte Dampfer.«
»Das ist mir gleich.«
Ralph bekam seine Nummer und bezahlte an der Kasse.
Dann ging er auf den Zollkai hinaus, setzte sich im Schatten auf eine Bank und blickte übers Wasser. Kleine Motorboote schossen puffend über die schmutzigfette Wasserfläche, auf dem Wege von und zu den großen Dampfern, die auf der Reede vor Anker lagen.
Auf den Anlegetreppen saßen Tamulen, Fährleute, das Kinn auf den schwarzen Knien, miteinander schwatzend. Ein Polizist ging in seinem braunen Khakianzug auf und ab, seinen dünnen Bambusstock schwingend. Zwei Singhalesinnen saßen ehrbar über ihre Handarbeiten gebeugt, in weißen Blusen, mit Blumen im Haar, und hüteten englische Kinder, die mit ihren Puppen »Besuch« spielten.
Ralph folgte einem Rauchstreifen am Horizont. Vielleicht war es Helens Dampfer – ein letzter Gruß von ihr. Wie eigenmächtig sie mit ihrer beider Schicksal gehandelt hatte!
Er zog ihren Brief heraus und las ihn noch einmal. Jetzt erst beachtete er Schehannas Gruß.
»Wo auch Sie sehen und verstehen werden.« – Er sah sie vor sich, die Hände gegen die Brust gepreßt, die Augen auf etwas geheftet, was nur sie allein sah.
Wußte sie von dem Gelübde, wovon Helen schrieb? – Hatte Helen es vielleicht ihr gegeben?
Es hatte Tage gegeben, wo er fest geglaubt hatte, daß Schehanna in ihn verliebt sei und daß sie darunter litt, ihn und Helen zusammen zu sehen – und es hatte Tage gegeben, wo er überzeugt war, daß es nicht der Fall sei. Aber etwas Geheimnisvolles war zwischen ihnen gewesen – kämpften sie aller Freundschaft zum Trotz um ihn? – War Schehanna nicht immer gerade in dem Augenblick dazwischen gekommen, wo er sein Ziel bei Helen erreicht zu haben meinte? Und war Helen ihm nicht Mal für Mal entschlüpft, um sich desto inniger und stärker an Schehanna anzuschließen?
»Es liegt in der Hand des unbekannten Gottes, ob wir uns wiedersehen.«
Er erinnerte sich der Tage in Baalbek und Damaskus, er erinnerte sich ihrer Gespräche über das Wesentliche und Wertvolle, über Gott, der sich vor den Menschen verbarg. Und plötzlich, wie an jenem Tage, als er allein und verzweifelt in der Wüste umherirrte, war es ihm, als ob das Leben einen doppelten Boden habe. In einem hellseherischen Augenblick erschaute er sie beide, und sah ein, daß es unnütz sein würde Helen zu folgen.
Er erhob sich und ging über den Zollkai: Auf dem offenen Platz beim Königin-Viktoria-Denkmal blieb er stehen und blickte zum Hotel an der Ecke hinüber. Dort auf der Treppe hatte er sie zum letztenmal gesehen. Es waren kaum zwölf Stunden vergangen, und dennoch waren sie einander schon so fern.
Er frühstückte in Helens Hotel. Hinterher setzte er sich im Rauchsalon in einen bequemen Lederstuhl, nahm eine Zeitung, aber er ahnte nicht, was er las. Wie gleichgültig ist das alles, dachte er und schlummerte in der Wärme ein, bis die Zigarre ihm aus dem Mund fiel. Im selben Augenblick setzte die Nachmittagsmusik mit dem neuesten Walzer ein; es war, als ob die munteren Töne ihn verhöhnen wollten. Ein furchtbarer Lebensüberdruß überfiel ihn, und er erhob sich, ohne zu wissen, was er mit sich selbst beginnen sollte.
Er schlenderte auf die Straße, nahm einen Rickshaw, fuhr eine weite Tour nach Mount Lavinia hinaus und kehrte erst zum Mittagessen zurück.
Abends ließ er sich zur Pettah fahren. Als er den großen Marktplatz erreichte, verabschiedete er den Kuli und schlenderte aufs Geratewohl durch die winklige Gasse.
Eingeborene hockten vor den Haustüren und rauchten aus ihren Lehmkrukenpfeifen. Sie blickten dem weißen Mann, der zu dieser Stunde durch ihre Stadt streifte, verwundert nach. Ein riesiger Tamule strich hart an ihm vorbei. Ein eingeborener Schutzmann drehte sich nach ihm um, unschlüssig, ob er den Spuren des Weißen folgen und ihm seine Dienste anbieten sollte. Eine lachende Gesellschaft von Herren und Damen in Gesellschaftstoilette, die einen Abendausflug vom Hotel aus machte, fuhr in einer langen Reihe von Rickshaws an ihm vorbei. Einige von den Herren winkten lustig im Vorbeifahren, er aber erwiderte ihren Gruß nicht.
Was war es für ein Verlangen nach etwas unklarem Höheren, das ihn lähmte, was seine Gedanken nicht zu formen vermochten und wonach er doch greifen mußte?
Hatte er eigentlich nicht nur die Schule geschwänzt? – Konnte er etwas Besseres tun als nach Hause zurückkehren und seiner Arbeit nachgehen? Tat er zu Hause nicht doch Nutzen – was Menschen nun einmal unter Nutzen verstehen? Hatten nicht Tausende ihr Brot, wenn sein Gehirn sie in Gang setzte? Und tat er hier etwas anderes als Zeit und Geld verschleudern?
Da brachen jene Gedanken aus der Wüste wieder durch sein Gemüt, als er mit dem unbekannten Gott allein war und glaubte, daß er sterben müßte: Was habe ich aus meinem Leben gemacht? Wie war es möglich; daß ich mich einer Tätigkeit ganz widmete, ohne die Gewißheit zu haben, daß ich meine Aufgabe damit erfüllte?
Er blieb stehen und blickte zum Mond hinauf, so unschlüssig und hilflos wie noch nie.
Er war inzwischen zu der dunklen Oeffnung in der Häuserreihe gelangt, zu dem Eisengitter, hinter dem der Adaran lag. Er durchlebte die Szene von gestern noch einmal und zögerte, ob nicht Dasturan Dastur sich auch jetzt zeigen würde. Er wollte gerade kehrtmachen, als er Schritte auf dem Sand hörte. Hinter dem dunklen Gebüsch links kam ein kleiner untersetzter Mann in Khakianzug und Tropenhelm zum Vorschein; er kehrte dem Gitter den Rücken und richtete seine Aufmerksamkeit auf etwas, das er in der Hand hielt.
Ralph sah, daß die Gittertür nur angelehnt war, und trat ein. Beim Knarren der Pforte wandte der Mann sich um und trat ins volle Mondlicht – Ralph erkannte zu seiner größten Verwunderung den Herrn, den er bei Cook getroffen hatte.
»Wir sind Landsleute!« sagte der Fremde und führte die Hand an den Hut. »Ich bin Professor Davis aus Chicago.«
Ralph nannte seinen Namen. Davis fuhr fort:
»Die Gittertür stand offen, darum benutzte ich die Gelegenheit, um eine Aufnahme von dem kleinen Parsentempel zu machen. Am Tage bekommt man keine Erlaubnis dazu.«
Er klappte seinen Apparat zusammen und schloß sich Ralph an.
Ralph beabsichtigte, ihn abzuschütteln, sobald sie auf die Landstraße kamen. Bevor er es sich aber versah, hatte Davis sein Interesse geweckt.
Der lebhafte Amerikaner erzählte, ohne sich unterbrechen zu lassen oder auf Zustimmung zu warten:
»Ich bin Ethnograph und reise morgen nach Indien. Sie hörten ja bei Cook, daß wir denselben Dampfer benutzen werden. Hier in Colombo habe ich nur alte Bekannte von einer früheren Studienreise besucht. Diesmal ist mein Ziel Südindien, das ist die Gegend, wo die ältesten dunklen Rassen mit den Weißen zusammenstoßen und von wo man die Beweise herschaffen muß.«
Er drehte sich um und prüfte, ob er von der Straße noch eine Aufnahme von dem weißen Adaran hinter dem dunklen Gebüsch machen wollte.
»Nein,« sagte er, klopfte auf den Apparat und ging weiter, »dies eine genügt mir. Ich bin sehr froh mit dem Bild. Ich will Ihnen nämlich sagen, die Parsen sind ein sehr wesentliches Glied in meiner Beweisführung. Man behauptet, daß sie die Urquelle sind, aus der sowohl Juden- wie Christentum und später der Islam geschöpft haben, während die Quelle selbst noch so ungemischt und unangefochten fließt wie in Urzeiten. Das ist Unsinn! Ich behaupte, daß auch der Parsismus umgeformt worden ist von unserer alles besiegenden weißen Kultur, die, nachdem sie in Europa stark geworden, die Staaten erreicht hat und von dort im Begriff ist, langsam auch die ganze mongolische Rasse umzuformen. Man deutet auf das Alter der heiligen Bücher der Parsen hin, aber das ist ein Falsum. Die alten Dasturen haben Legenden vom Heiligen Geist, den Erzengeln und der Jungfrau, die den Erlöser gebären soll, vom Christentum entliehen. Sie haben sie nach ihren eigenen Vorstellungen umgebildet und in ihre Schriften hineingeschmuggelt. Sie haben den Ehrgeiz, die älteste, einzig wahre, patentierte Religion der Welt zu sein und spekulieren darin, daß sie sowohl Christentum wie Judentum, Islam wie Buddhismus besiegen wollen; so klug sind sie, daß sie es verschmähen Proselyten zu machen. Wenn Sie morgen Parse werden wollen und sich im Panchayat in Bombay melden, dann dankt man Ihnen für Ihr freundliches Interesse, bedauert aber. Da gibt's keine Tür, durch die man hereinschlüpfen kann. Sie machen nicht in Religion, haben keine Reisenden, um das Geschäft zu erweitern, wie die Christen und ihre Missionare. Sie warten, bis die Frucht reif ist und ihnen von selbst in den Schoß fällt. Reif? Nein, bis Christentum und Judentum und Islam in Tagesstreit und Priestergezänk verfault sind und sich durch Rassenkämpfe gegenseitig vernichtet haben, bis von den alten Religionen nichts anderes übrig ist als ein allgemeines Seufzen nach reinerer Seelenverfassung, nach einem Licht, das die verzweifelte Dunkelheit der Gemüter zu heben vermag. Dann stellen die Parsen sich ein und übernehmen den Nachlaß. Reinheit und Licht – das sind wir! Streben nach aufwärts, das sind wir! Alles, was eure Priester euch davon gelehrt haben, das haben sie von uns entliehen. Denn wir sind das gemeinsame Ziel für alle Religion der Welt, und wir wußten, daß ihr zurückkehren würdet, wie die Quelle zum Meere zurückkehrt, woher sie geronnen. Nur herein, ihr verlorenen Söhne, die Tür steht offen, jetzt schlachten wir das gemästete Schwein!
Kluge Leute, Herr, aber ich habe ihnen in die Karten geguckt: in Wirklichkeit ist es unser Kulturwein, den sie in ihre alten Flaschen gefüllt haben und uns unter eigener Etikette vorsetzen. Sehen Sie diesen kleinen Adaran hier – wissen Sie, warum er mir so wertvoll ist? Ich will es Ihnen sagen: weil er nicht nach demselben Rezept gebaut ist wie die alten, es ist eine Aenderung damit geschehen, ein Zugeständnis an die Zeit, von der englischen Kirche entliehen, ein Verstoß gegen die uralten parsischen Regeln. Was es ist, das ist mein Geheimnis. Ich bin sehr froh mit diesem kleinen Bild.«
Ralph hatte nur schwer mitfolgen können, so schnell floß der Strom von den Lippen des Professors. Als Davis Kraft und Luft zu einem neuen Erguß schöpfte, benutzte er den Augenblick zu einer Frage:
»Sie sagten, daß Sie etwas beweisen wollten. Da Sie mir bereits so viel mitgeteilt haben, würden Sie mir vielleicht auch sagen, was Sie beweisen wollen. Sonst verstehe ich von alledem nichts.«
Davis wandte ihm seine funkelnden Augen zu, und der Mond blitzte auf dem Gold seiner Brille.
»Habe ich Ihnen das noch nicht gesagt?« fragte er erstaunt. »Mit Vergnügen, Herr. Ich behaupte,« er blieb stehen und schlug seine Hände gegeneinander, »ich behaupte, daß unsere weiße Kultur, aus welcher Quelle sie ihren Ursprung auch haben mag, so stark von der Ueberlegenheit unserer Rasse geprägt ist, daß sie wie eine Naturkraft überall eindringt und andere Kulturen umgestaltet, selbst dort, wo man mit Fleiß darüber gewacht, daß jede Berührung ferngehalten wird, wie z.B. bei den Brahmanen und Parsen. Ich behaupte, daß diejenige Rasse, die der weißen einmal begegnet ist, entweder in friedlichem Verkehr oder im Krieg, rettungslos dazu verurteilt ist, die Eigentümlichkeit ihrer eigenen Kultur zu verlieren. Und es ist gut so; denn es ist das Gesetz des Lebens, daß der Starke den Schwachen besiegen soll. Ich behaupte, daß die Entwicklung auf dem besten Wege ist, eine überwältigende amerikanische Kultur zu schaffen, die die übrigen Kulturen auflösen und verschlucken, ja, ihr Rassengepräge in einer verhältnismäßig kurzen Zeit verwischen wird. Es wird sich nicht überall friedlich abwickeln; gegen Japan z.B., das uns mit den Waffen schlagen will, die es von uns selbst entliehen hat, werden wir strenge vorgehen müssen. Aber schließlich wird es doch so weit kommen, verlassen Sie sich darauf, Herr, und es ist nicht unmöglich, daß Sie und ich es noch erleben werden.«
»Das ist also der Zweck Ihrer Reise?« fragte Ralph und musterte die kleine gedrungene Gestalt mit den funkelnden Augen und den lebhaften Bewegungen.
»Ja – das heißt –« Davis schlug die Augen nieder und beugte den Kopf, so daß sein glattrasierter Nacken sichtbar wurde, der breit und hart wie der eines Ringkämpfers war, – »ich bin Ethnograph, nicht Politiker, ich prüfe jede einzelne Rasse in typischen Exemplaren und weise nach, wie selbst die besten davon wie Motten um unser weißes Licht schwirren, einig vollbewußt, wenn auch widerwillig, andere ohne es zu ahnen, – und ich will beweisen, daß sie nichts Besseres tun können, als unsere Lehre so schnell wie möglich anzunehmen, weil das ihre einzige Chance ist.«
Ralph erinnerte sich seines Gespräches mit Gamâl im Marmarameer. Er sah die bleichbraunen Augen mit dem stechenden Blick vor sich, die bläulichen Lippen, das Gesicht mit den Leberflecken, und hörte ihn mit seiner sanften, verschleierten Stimme fragen: Kann es sich für uns denn lohnen, eure Lehre anzunehmen? Hat euer Wissen euch glücklicher gemacht? Und er dachte: Ich selbst bin auf der Zinne dessen gewesen, was dieser selbstzufriedene Professor unter weißer Kultur versteht, aber ich habe mich wie ein Gefangener dabei gefühlt. Ich zog mit meinem ganzen Wissen aus – und was ist das Resultat geworden? Daß ein junges verkommenes Ding mit der Farbe einer kranken Perle – eine Frau, mit der es mir nicht einfiel mich zu vergleichen, als ich sie aus dem Elend dieser Welt rettete – mich das Dasein eines höheren Lebens ahnen ließ, zu dem sie und die Ihren Zutritt haben, obgleich sie weder etwas von Mathematik noch Brückenbau wissen, während ich außerhalb stehe, mit dem armseligen Trost, daß der Tag kommen wird, »wo auch ich sehen und verstehen werde«.
Da stand nun dieser sprudelnde Chicagomann und seine Augen funkelten vor weißem Selbstgefühl, während er für die Unmündigen in der ganzen Welt alles ordnete, als ob es nur ein Rechenstück sei
»Ich bezweifle, daß wir so überlegen sind,« sagte Ralph und blickte in die Augen, die vor lauter Aufmerksamkeit seelenlos waren, »und ich glaube, daß, wenn die Besten um unser weißes Licht schwirren, wie Sie sich ausdrückten, sie die Gefahr nur kennen lernen wollen, während sie auf bessere Zeiten warten; und was die Massen anbelangt, so weiß ich nicht, ob sie nicht besser daran täten, sich von der weißen Kultur fernzuhalten und in ihrer eigenen zu bleiben.«
Davis explodierte. Er warf seinen Kopf hin und her und fuchtelte mit den Armen; sein Gesicht verzog sich zu einem breiten Lächeln, so daß seine Goldplomben im Mondlicht blitzten.
»Kommen Sie mit!« sagte er und streckte die Hand so heftig vor, daß Ralph unwillkürlich einen Schritt zurückwich, »machen Sie die Reise mit mir und überzeugen Sie sich selbst, wer von uns recht hat, Sie oder ich. Ich werde Ihnen beweisen, daß die Lebensbedingungen der Eingeborenen besser und glücklicher werden, wenn sie unsere Lehre annehmen.«
Ralph stutzte. Der Gedanke zündete in ihm. Sich selbst davon überzeugen – das war es ja, was er gewollt hatte, als er von Konstantinopel auszog. Da aber war sie ihm in den Weg gekommen. Und in dem Augenblick, wo er es sich überlegte, ob er wie ein Schuljunge, der die Schule geschwänzt hat, zurückkehren sollte, da bot sich ihm von neuem eine Gelegenheit in der Gestalt dieses kleinen lebhaften Landsmannes mit den goldblitzenden Zähnen und der Brille.
Glücklicher und besser! Er hatte geglaubt, daß das Wesentliche und Wertvolle etwas sei, was einem klar werden müßte, wenn man sich nur erst ins Leben stürzte. Aber es war anders gekommen. Wenn er sich nun diesem hitzigen Jäger anschloß, um mit eigenen Augen zu sehen, was ursprüngliche Menschen unter Glück verstanden, vielleicht daß er dann schon auf dem Wege war, es zu finden – denn das Wesentliche und Wertvolle waren doch sicher die einzigen Früchte, mit denen das Glück auf die Dauer gedeihen konnte. Und während er suchte, würden neue Gedanken die Sehnsucht nach Helen aus seinem Gemüt verdrängen; er wollte vergessen, was vergessen werden sollte.
Ralph schlug ein.
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