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Eppele nasführt einen Pilgerzug und befreit Jäcklein vom Holzstoß

Um die Türme und Mauern von Forchheim braute dicker Herbstnebel, und kühl strich der Oktoberwind über die kahlen, abgeräumten Felder. Eppele war mit Jäcklein und den Knechten Peter und Michel von Drameysl nordwärts geritten, um zu kundschaften, lag er doch dem Nürnberger Rat wieder hart auf und pflog ärgere Fehde denn all die Zeit her. Dem Bamberger Bischof dagegen war er Freund, seit dieser ihm zwei Mühlen bei Streitberg zu Lehen gegeben hatte. Unbesorgt trabte darum Eppele nach Forchheim hinein und bog gerade auf den Markt um, als ein Zug von wohl fünfzig Geißelbrüder des Wegs kam. Eppele stieg mit seinen Leuten ab und sah den Zug heranwandeln, voraus eine schöne, ganz aus Gold und Silber gewirkte Fahne, über deren Betrachtung Eppele ein Einfall geriet. Alle Glocken in Forchheim läuteten, und auf dem Markte lief das Volk zusammen, dem bald andächtigen, bald wilden Gesang der Geißelbrüder zu lauschen. Der Zug kniete auf dem Platz und laut schallte der Chor:

Jesus, der ward gesalbt mit Gallen,
Deß sollen wir alle ans Kreuze fallen.

Nach welchem Gesang alle Geißler, Männlein und Weiblein, über Kreuz auf die Erde stürzten, daß ihre runden Hüte mit den roten Kreuzen durcheinander kollerten und solange reglos liegen blieben, bis der Führer, ein großwüchsiger, irrschauender Mensch aufstand und zu singen anhub:

Nun hebet auf eure Hände,
Daß Gott dies große Sterben wende.
Nun hebet auf eure Arme,
Daß Gott sich über uns erbarme.

Die Geißler begannen daraufhin zu beten und zu schluchzen, und das Volk schluchzte und betete mit, denn schrecklich ging fürwahr der »schwarze Tod« auch durch Franken und fast an keinem Hause vorbei, ohne seinen Zoll zu fordern.

Langsam und feierlich ordnete sich der Geißlerzug nunmehr und wallfahrete vom Forchheimer Markt aus seine Straße nach Süden weiter, bis vor die Tore der Stadt begleitet von einer andächtig gestimmten Menge. Eppele trabte mit seinem Gefolg hinter dem Zuge drein und flüsterte eifrig zu Jäcklein, der Verständnis nickte, sein Pferd dem Knechte Michel übergab und beim nächsten Halt den Führer des Zuges vor Eppele brachte. Der Gailinger gab sich einen rechten Anschein frommer Gemütsart und beschwor den Laienbruder Gabriel inständig, doch nicht an der Waldkapelle hinter Streitderg vorbeizuziehen, ohne mit seinem Haufen das fromme Werk zu verrichten. Zwei wegkundige Leute würden ihn hin- und wieder auf die Straße zurückführen. Freilich wäre es gut, die kostbare Fahne nicht in die Wälder mitzunehmen, denn unweit davon Hause der Eppele von Gailing. Die Fahne wäre bei ihm in bester Obhut und sollte nach der Rückkehr unversehrt ihrem Träger ausgehändigt sein. Der Laienbruder Gabriel tat alles, was Eppele vorschlug und wanderte mit seiner Geißelbruderschaft unter Führung Jäckleins und Peters in die Waldungen, während Eppele mit der Fahne nach Drameysl heimritt und am Abend lachend den Bericht Jäckleins vernahm. Jäcklein und Peter hatten den Haufen kreuz und quer durch die Wälder geführt und an einer besonders unwirtlichen Stelle einfach im Stiche gelassen. So mußte fünf Tage später der Haufe Gabriels ohne Fahne durch das Laufer Tor in Nürnberg einziehen, wo er wochenlang büßend und betend verweilte.

Der Laienbruder Gabriel war nicht zu aller Zeit der heilige Büßer, der mit Gebet und blutiger Kasteiung den Himmel versöhnen wollte, wie denn überhaupt christliche Zucht und Ordnung bei denen Geißelbruderschaften oft bedenklich mangelten, so daß die heilige Kirche und die weltlichen Gerichtsbarkeiten streng gegen das Treiben vorgehen mußten. Am Tage vor Sankt Nikolaus saß jedenfalls der Laienbruder Gabriel in der Schenke zum »Nackenden Bauch« zwischen Ullein mit dem breiten Gürtel, Dietel Sauhaut, Hans Scheißindiestuben, dem Veislein, Hänsel Katzenschinder, der »liegenden Els« und der Martha Hadermetze und eiferte leidenschaftlich gegen die ganz heidnischen Juden, die den heiligen Leib Christi – schmähten, alle Brunnen vergiftet und dadurch auch das schreckliche Sterben verursacht hätten. Wesmaßen man sie alle verbrennen und ihre Asche auf den Schindanger streuen, ihre Güter einziehen und zu Genuß der Frommen bringen müßte, eher denn das schreckliche Sterben nicht enden und der Christenheit kein Heil gedeihen würde. Dietel Sauhaut stimmte dem frommen Bruder Gabriel übereifrig bei und der Ullein mit dem breiten Gürtel nannte die Judenschaft rechte Presser und Verderber gemeinen Volkes in Worten, die er einstmals gegen die Geschlechter des alten Rates auch gebraucht hatte. Solche und ähnliche Reden waren in allen Schenken und Herbergen Nürnbergs im Schwang und Jäcklein, von Eppele zur Kundschaft nach Nürnberg entsandt, hatte schweres Mißgeschick, daß er am Vorabend zu Sankt Nikolaus in den »Nackenden Bauch« geraten und auf den Geißelbruder Gabriel stoßen mußte, der ihn sofort wiedererkannte und wegen der entführten Fahne heftig anfuhr. Worauf Jäcklein den Geißler verprügelte, wie er sich selbst gewiß niemals verprügelt hätte, dem zu Hilfe eilenden Veislein fünf Zähne ausschlug und gewißlich auch den aneilenden Stadtbütteln entwischt wäre, hätte ihm nicht der Dietel Sauhaut hinterrücks das Bein gestellt. Die Büttel mußten trotzdem noch derb zugreifen, um den aalglatten, dabei bärenstarken Jäcklein zu bändigen und ins Lochgefängnis abzuführen. In sein Verließ, tief unter dem Rathaus, hörte Jäcklein in gleicher Nacht noch den Lärm des großen Judenaustriebs in Nürnberg dringen, der mit voller Wut losgebrochen war und den Herrenmarkt, die Mehlgasse und alle anderen Viertel durchraste.

Diesen Abend vor und noch vier Tage nach Sankt Nikolaus flammten die Häuser vom Herrenmarkt bis zum Zotenberg lichterloh auf und brannten bis auf die Grundsteine ab, vorher ausgeplündert von Dietel Sauhaut, Ullein mit dem breiten Gürtel und einer ganzen Zunft übler Gesellen. Was von den Nürnberger Juden nicht schon erwürgt und zerstampft in den Gassen lag, war im Innenhof des Rathauses wie eine Koppel Vieh zusammengetrieben und harrte mit Beten und Wehklagen des letzten Stündleins. Am Tage nach Maria Empfängnis brach ein tobender Haufe, von dem Laienbruder Gabriel und dem Ullein mit dem breiten Gürtel angeführt, in den Rathaushof und in das Lochgefängnis, befreite alle Schelme nichtjüdischer Art aus dem Verließ und jagte unter Gebrüll und schrecklicher Bedrohung die verhafteten Juden durch die Gassen zum Laufer Tor hinaus nach einem öden Platz, um sie dort zu verbrennen. Den Jäcklein hatte der Laienbruder Gabriel im Lochgefängnis aufgespürt und sogleich zu den Juden gestoßen, denn keinem gönnte der Laienbruder ein richtiges Schmoren und Braten mehr als diesem Erzketzer, von welchem er um eine schöne Fahne geprellt und auch noch schwer verprügelt worden war.

Mit seinen dreizehn Knechten trabte Eppele die Straße von Bayreuth her gegen Nürnberg und war eben bei einer kleinen Anhöhe, dem Rechenberg, links abgebogen, als er die Hand hob und seine Schar anhielt. Der von Westen streichende Dezemberwind trug schwarzqualmig beizenden Rauch gegen Eppele und ein fernes Klagegeschrei vieler Kehlen. Eppele, durch das lange Verziehen Jäckleins beunruhigt, hatte die Ursach davon, eben die an Sankt Nikolaus geschehene Judenhatz, schnell erkundet und war, von diesem wie von jedem andern Tumult angezogen, ohne Verzug aus Drameysl geritten. Ahnte sogleich, was Rauch und Geschrei zu bedeuten hätten, saß wie der Blitz auf und sprengte mit verhängtem Zügel nach der Brandwolke, hinter ihm drein wie das wilde Wetter sein Haufen.

Dietel Sauhaut schichtete gerade emsig einen neuen Scheiterhaufen zu den bereits qualmenden zwei Dutzend und Ullein mit dem breiten Gürtel zerrte trotz allem Sträuben den gefesselten Jäcklein heran: Da rasselte und klapperte es hinter ihnen und aus dem dämmernden Abend stürzte eine Reiterschar, vorauf ein rabenschwarzer Mann, wie der leibhaftige Gottseibeiuns anzusehen, was nicht eilends vom Platze floh, bekam ausgiebig Huftritte und Hiebe mit der flachen Klinge und Dietel Sauhaut flog, von dem seiner Fessel entledigten Jäcklein geworfen, in einen Brandherd, wo ihm der rote sündige Schopf vollends in Feuer aufging. Bei zweihundert Nürnberger Juden, Männer, Weiber und Kinder, nützten diesen Überfall Eppeles und zerstreuten sich über ganz Franken. An einem der Brandpfähle aber hing erstickt und halbverkohlt ein langer, hagerer Mann mit versengtem Spitzbart, der Geldwechsler Abraham ben Ismael.


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