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Am Abend des Tages nach Mariä Verkündigung berief der reiche Handelsherr Jost Mendel seinen Sohn Ulrich vor sich und eröffnete, daß Ulrich wohl noch diese Nacht seine versprochene Braut Agnes Tetzelin begrüßen dürfe, wovon er jedoch kein Aufhebens machen und vorerst fein schweigen sollte. Zwar der Gailinger, an dessen vermessenen Anspruch Ulrich wohl noch gedächte, wäre kaum mehr zu fürchten, seit er durch die Gnade des Himmels erleuchtet und auf bessere Wege gebracht worden sei. Doch wessen man sich von seinen Gesellen versehen müßte, und ob nicht doch einem darunter das Gelüst ankäme, den Wagen mit der reichen Braut auf der Fahrt von dem schwäbischen Frauenkloster Bergen her abzufangen, bliebe erst abzuwarten. Sicher wäre das Bündnis der Häuser Mendel und Tetzel jedenfalls erst, wenn der eheliche Verspruch am Altar geschehen und die Jungfrau Agnes Tetzelin dem Ulrich Mendel für Zeit und Ewigkeit angetraut wäre, welches Ziel recht bald zu erreichen Herr Jörg Tetzel mit ihm eines Sinnes sei. Ulrich Mendel lauschte der väterlichen Rede vergnügten Gesichtes und beeilte sich als ein rascher, junger Mann, der er war, zu versichern, daß kein Gailinger und seine Sippen ihm je wieder an die Jungfrau Agnes Tetzelin kämen, wenn sie erst seine ehelich verbundene Hausfrau wäre.
Trat aber denselbigen Abend um die elfte Stunde dann recht betreten von einem Fuß auf den andern, als die Jungfrau Agnes Tetzelin gar kein Entzücken über das Wiedersehen verriet und sich sogar ausließ, der Umgang mit den frommen Schwestern im schwäbischen Kloster Bergen wäre ihr so lieb geworden, daß sie auf die Gesellschaft des Herrn Ulrich Mendel fast verzichten könnte. Auf welche Bemerkung hin Ulrich Mendel blutrot wurde, Herr Jost Mendel sich beleidigt räusperte und der Ratsherr Jörg Tetzel seiner Tochter trocken erklärte, sie könnte das Vergnügen eines Umgangs mit frommen Schwestern lebenslang haben, wenn sie widerspenstig sein und eines Ratsherrn Wort für jede Weiberlaune feilhalten wolle. Die Jungfrau Agnes Tetzelin kannte ihres strengen Vaters Art, verneigte sich vor den Männern und ging ohne ein weiteres Wort aus dem Gemach, woselbst Herr Jörg Tetzel mit Vater und Sohn Mendel noch weitläufig alle Einzelheiten der Vermählung besprach und mit ihnen überein kam, auf den ersten Sonntag im Mai solle die Hochzeit festgesetzt sein und bleiben.
Inderweil saß Eppele auf seiner Feste Wald bei Gunzenhausen und bekam wöchentlich Nachricht von Pfauentritt, was sich zu Nürnberg und vornehmlich in dem großen Hause am Dillinghof begab. Im Kleide des frommen Pilgrims, der von Drameysl ausgezogen war, hatte Eppele bereits am grauen Mittwoch nach Fastnacht Nürnberg verlassen und hauste seitdem auf Feste Wald, nach außen und für die Händel der Zeit verschollen, insgeheim aber mit dem Bunde der Dreizehn und mit dem Nürnberger Kreise um Heinz Pfauentritt in regstem Verkehr und alles vorbereitend für den großen Schlag, den zu tun er sich auf dem Krankenbette in Drameysl vorgenommen hatte. Da er nun die sichere Botschaft in Händen hielt, am Sonntag Jubilate, als dem ersten Sonntag des Maimonds 1333, würde die Jungfrau Agnes Tetzelin Herrn Ulrich Mendel in der Kirche Sankt Sebald angetraut, besprach sich Eppele mit einem zugereisten Scholaren aus Bologna, dem er fünf Tage Unterkunft gegeben hatte und der dem witzigen Ritter von Gailing seines leutseligen und umgänglichen Wesens halber aufrichtig zugetan war. Im Gewand und Barett dieses Scholaren ging Eppele aus seiner Feste Wald die nächste Straße nach Nürnberg.
Reich bekränzt prangte das große Haus am Dillinghof und spiegelte in allen Scheiben den wunderschönen Maitag zurück, der strahlend zur Hochzeit der Agnes Tetzelin über Nürnberg aufgezogen war. Viel Volk drängte sich schon gegen die erste Vesper um das Haus, bewunderte die kostbaren Teppiche, die vom Haustor die ganze Dillinggasse entlang bis an das Portal von Sankt Sebald gelegt und mit den schönsten Blumen des Frühjahrs bestreut waren, flüsterte sich die Namen der ehrbaren und ratsfähigen Geschlechter zu, die als nächste Anverwandte die Brautschwelle überschritten und belachte herzhaft den Witz des ehrsamen Gesellen der Harnischmacher-Zunft Kunrad Dotterweich, ein Ratsherr könnte wohl auch Sankt Peter für preisliches Wetter an seiner Tochter Ehrentag mit guten Gulden auszahlen. Keiner achtete des jungen dunkeläugigen Scholaren neben Kunrad Dotterweich, der sich beim Ausgang des Brautpaares tiefer denn alle vor der herb und unfroh blickenden Jungfrau Agnes Tetzelin verneigte.
Als erster hub sich von der Hochzeitstafel der greise Ratsherr Heinrich Schürstab und brachte dem jungvermählten Paar seine Glückwünsche dar, zugleich für den hohen Rat zu Nürnberg sprechend, als dessen ältestes Mitglied er auf solche Ehre das stillschweigend anerkannte Recht besaß. Sie waren alle bei der Hochzeitstafel: die Ebner, Haller, Grundherr, Pfintzing, Tucher, Holzschuher, Behaim, Groß, Paumgartner, Imhoff, Hirsvogel, Fürer, Schlüsselfelder, Geuder, Volckamer, Kreß, Welser, Mendel und Muffel, nach Rang und Vermögen im großen Saale des Hauses am Dillinghof verteilt, und unterhielten sich freundschaftlich mit den übrigen Ehrbaren und leutselig mit den geladenen Handwerksmeistern, unter denen Heinz Pfauentritt durch prächtige Kleidung und sicheres Benehmen auffiel. Während Herr Jörg Tetzel, im Glücke des erreichten Zieles strahlend, auf die Rede Schürstabs wärmer entgegnete, als sonst in seiner Art lag, unterhielt sich Heinz Pfauentritt in einer Ecke des Saales eifrig, doch gedämpft mit jenem jungen Scholaren, dem bei der Rückkehr von der Trauung zu Sankt Sebald auf Pfauentritts Bürgschaft hin von den Türhütern der Eintritt in das Tetzelsche Haus und in den Saal erlaubt worden war. Unbemerkt hatte der fahrende Schüler bisher im Hintergrunde des Saales gestanden, mitten zwischen allerlei wanderndem Volke, das begierig auf die Gelegenheit lauerte, der Hochzeitsgesellschaft seine unterschiedlichen Künste vorzuführen. Nur Heinz Pfauentritt konnte die scharfen und manchmal auch spöttischen Blicke deuten, mit denen der Scholar die Gesellschaft abschätzte, die beste Gesellschaft, die es zu Nürnberg gab, durfte sich Herr Jörg Tetzel doch zu den Vornehmsten des Rates und zu den reichsten Einwohnern der Stadt stellen, weshalb es auch einiges Aufsehen machte, als Heinz Pfauentritt nach Beendigung von Tetzels Rede zu dem Brautvater trat und ihm den jungen Scholaren zuführte. Nach kurzer Wechselrede jedoch hellte sich das verkniffene, ständig lauernde Gesicht des Ratsherrn Tetzel, denn der junge Scholar gehabte sich als Sohn eines ansehnlichen Bürgersmannes von Hildesheim, der, auf der Heimreise von Bologna begriffen, durch die Gnade des Himmels zu dem Hochzeitsfest geführt worden sei. Sagte Herrn Jörg Tetzel auch sonst noch ein Dutzend zierliche Worte über das Glück, eine solche Tochter einem solchen Eidam geben zu können, und bekam die Erlaubnis, den Neuvermählten zu Ehren ein Lied vortragen zu dürfen. Die ganze Hochzeitsgesellschaft schaute nach dem Scholaren, der in bester Sitte vor sie trat, dem jungen Paare eine untadelige Verneigung machte, wie auch vor den andern Gästen der großen Tafel, seine Laute vornahm und mit einer dunkelgetönten, doch klaren Stimme dieses neue Lied sang:
Mein liebes Lieb, du bist bei mir.
Was schenk ich dir?
Zwei Augen hell, ein roten Mund
und treue Lieb zu aller Stund.
Mein liebes Lieb, ich bin bei dir.
Was schenkst du mir?
Zwei Augen hell, ein roten Mund
und treue Lieb zu aller Stund.
Und übers Jahr wird es wohl sein,
da sind wir zwei nicht mehr allein.
Zwei Augen hell, ein roten Mund
und treue Lieb zu aller Stund.
Dieses artige Lied verzierte der schwarzhaarige Sänger mit schönen Akkordläufen seiner Laute und sang es recht gefühlvoll mit einer halben Wendung nach der Braut hin, die über eine solche Huldigung langsam von dem runden Kinn aufwärts bis zum leichtgelockten Braunhaar errötete, sicher mehr vor Vergnügen denn vor Scham oder aus sonst einem andern Grunde. Der vornehmen Hochzeitsgesellschaft mußte das Lied auch nicht mißfallen haben, betrachtete sie doch den jungen, schlanken Sänger recht aufmunternd und mit sichtlichem Wohlwollen, was vielleicht die Erlaubnis zu einem zweiten Vortrag nach sich gezogen hätte. In diesem Augenblick aber entstand am großen Eingang des Saales starke Unruhe, und mitten durch das Volk drängte ein Reisiger, dem die hellen Schweißtropfen über das Gesicht rannen. Die Rüstung war zudem über und über bestaubt, als hätte der Reisige mit der Straße enge Bekanntschaft gemacht. Aufgeregt trat der Mann an die Hochzeitstafel dicht vor Herrn Jörg Tetzel und stieß heiser ein paar Worte aus, bei deren Anhören der Ratsherr entsetzt aufsprang und beschwörend die mageren Arme hob. Endlich war der Unheilsbote zu Atem und Vernunft gelangt und berichtete hastig, daß ein großer Warenzug für Herrn Jörg Tetzel von Venedig her auf der großen Regensburger Straße glücklich bis gegen Feucht gekommen, dort aber vor noch nicht zwei Stunden durch einen ritterlichen Haufen angepackt und trotz aller Gegenwehr des bewaffneten Geleites erbeutet worden sei. Ihn hätte der Führer des Haufens, ein unbekannter Ritter, der statt eines schienenbesetzten Lederkollers oder des üblichen Kettenpanzers vom Wirbel zur Zeh stählerne Rüstung trug, wie solche eben aufgekommen, nach Nürnberg gesandt, Herrn Jörg Tetzel zu grüßen und ihm das Ereignis zu bezeugen.
Des Boten Erzählung scheuchte die Hochzeitsgesellschaft aus jeder Heiterkeit und bewirkte ein schreckliches Durcheinander, das nur mühsam die Stimme des Bürgermeisters Rieter durchdrang, ohne Verzug alle berittenen Stadtknechte zu sammeln und schnellstens gegen Feucht zu führen. Herr Jörg Tetzel hatte inzwischen seine kalte Fassung wieder erlangt, flüsterte den beiden Mendels, Vater und Sohn, kurze Weisungen ins Ohr und eilte mit ihnen von der Hochzeitstafel, den Saal einer nicht geringen Verwirrung überlassend. Die Braut saß somit allein auf ihrem Ehrenplatz, schaute unsicher um sich und wollte gerade aufstehen, da schleuderte plötzlich der fahrende Schüler seine Laute fort, übersprang mit einem federnden Satz die Hochzeitstafel und hatte, bevor noch einer es hindern konnte, die Braut umfaßt und ihr einen herzhaften Kuß auf die frischroten Lippen gedrückt. Empört über solche Kühnheit drangen die nächsten Männer auf den Scholaren ein, ihn handgreiflich zu bestrafen, da riß der Scholar das Barett vom Kopf und das Schwert aus der Scheide, war mit drei Sätzen beim Ausgang, von wo das Volk schreiend wich, drehte sich um und schrie übermütig in den Saal zurück: »Eppele von Gailing hat sich seinen Brautkuß geholt!«
Am Tore des Hauses stand noch das Pferd des Unglücksboten. Flink war Eppele im Sattel und sprengte den steilen Dillingberg hinunter, über den Heumarkt durch die Wunderburg und quer durch ein Gewirr von Gäßlein, in das hinein ihm keiner folgen konnte. Eine Viertelstunde später raste Eppele über die Brücke beim Frauentor, am Rabenstein vorbei und dem dunklen Reichswald zu, der sich beiderseits der großen Straße nach Regensburg hindehnte. Erst kurz vor dem Orte Feucht zügelte Eppele das über und über mit Schaum bedeckte Roß, lugte die Straße erst zurück und dann vorwärts bis zu der großen Krümmung vor Feucht und stieß durch die hohlen Hände einen eigentümlichen Ruf, vergleichbar am ersten dem warnenden Gezeter eines Hähers. Um die Krümmung blitzte es hell, und ein ganz in Eisen gehüllter Reiter trabte auf Eppele zu, gefolgt von zwei Knechten im Lederkoller. Wolf von Wurmstein – er war der gleißende Wolf im ganzen Stahlpanzer – schüttelte dem Freunde herzlich die Hand und war mit wenigen Worten von Eppele über die weiteren Pläne unterrichtet. Pankraz und die zwölf anderen Knechte nickten freudestrahlend ihrem lange entbehrten Herrn zu, der sich über das Scholarenkleid rasch den Kettenpanzer eines Gefangenen vom Tetzelschen Geleitzug warf und einen Helm aufstülpte. Darnach schlug sich Eppele mit seinen Leuten in ein seitwärts liegendes Gehölz, während der Wurmsteiner seine dreizehn Knechte auf der Straße hielt.
Wenig später näherten sich der Stelle an achtzig berittene Stadtknechte von Nürnberg, geführt von dem jungen Ulrich Mendel, der voll von Wut über sein gestörtes Hochzeitsfest und doch dabei begierig war, durch ein rechtes Reiterstücklein das Herz der jungangetrauten Frau und die geraubten Güter des Schwiegervaters zu gewinnen. Sprengte also ohne jede Vorsicht und bedachte Ordnung den Knechten voraus und trieb sie blindlings in den von Eppele gelegten Hinterhalt. Als Herr Ulrich Mendel mit seiner Schar um die große Straßenkrümmung bog und des Ritters in gleißender Rüstung gewahr wurde, verlor er vollends den Kopf und war seines Sieges sicher. Der Wurmsteiner hielt die Lanze vorgelegt, bis Herr Ulrich Mendel auf zwanzig Schritt heran war, warf dann blitzschnell das Roß herum und ergriff mit seinem Haufen scheinbar die Flucht, wobei die Dreizehn sich listig zerstreuten und die Nürnberger Knechte zu einem Haschespiel auf den einzelnen Flüchtling verführten. Herr Ulrich Mendel war hitzig hinter dem Wurmsteiner her, kam immer weiter von seinen Leuten ab und erschrak nicht klein, als er hinter sich neuen Hufschlag hörte. Eppele war mit seinen Dreizehn aus dem Gehölz gebrochen, hatte die ohne Führung und Ordnung kämpfenden Stadtknechte schnell in alle Winde zersprengt und schnitt nun Herrn Ulrich Mendel den Rückweg ab. Der junge Nürnberger Kaufherr war bereits in heftigem Gefecht mit dem Wurmsteiner, der sich gestellt hatte, schlug verzweifelten Mutes drein, lag aber nach kurzer Zeit wehrlos und gebunden am Boden und sah knirschend in das spöttische Gesicht des Gailingers, der ihm Grüße von Agnes Tetzelin bestellte und auch den Brautkuß nicht zu erwähnen vergaß, den sich Eppele von Gailing nun doch bei der jungen Frau Agnes Mendel geholt hätte.
Fünf Wochen lag Ulrich Mendel im Verließ der Wurmsteiner Burg, bis sich die beiden Rats- und Handelsherren Jörg Tetzel und Jost Mendel über den beiderseitigen Anteil am Lösegeld verständigt hatten. Eppele hatte auf den Heller 8000 Gulden gefordert, was ein Eidam, der einem Ritter von Gailing vorgezogen wurde, doch ganz gewiß wert sei und welche Summe außerdem als unbereinigte Mitgift noch ausstände. Herr Ulrich Mendel mußte nach der Heimkehr aus seiner Gefangenschaft manchen Spott anhören, aber kein Spott biß so arg wie die nüchterne Rechnung des Herrn Jörg Tetzel, so und soviele gute Geschäfte wären durch die verfehlte ritterliche Tätigkeit des Herrn Eidams ganz und gar für die Katz gemacht.