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Sommer und Herbst verstrichen in dauerndem Mißbehagen des Rates zu Nürnberg, der schon täglich eine Klage der Kaufherrn empfing, daß ihre Handelszüge bedrängt oder gar geworfen wären von dem zu Gailing und seinen Gesellen. Die vom Bunde der Dreizehn hatten dem Nürnberger Rat Fehde angesagt und Eppeles Sache zu der ihren gemacht, bis der gerechte Anspruch des Gailingers an den Ratsherrn Jörg Tetzel in gültiger Form befriedigt wäre. Die Handelsherren zu Nürnberg schalten nicht wenig auf den halsstarrigen Tetzel, dem sie solche Beschwernis verdankten und vermochten sogar den künftigen Schwieger Jost Mendel, daß er dem Widerborst vorstellte, ob der Verspruch seines Sohnes Ulrich mit der Jungfrau Agnes Tetzelin nicht besser zu gemeinem Nutz der Bürgerschaft Nürnbergs zu lösen wäre. Welcher vorsichtigen Anfrage Herr Jörg Tetzel mit gerunzelter Stirn zwei Tage nachhing, um dann zu erklären, daß er den Handel nicht eingehen und von seinem Gevatter Jost Mendel den gleichen Entschluß erwarten wollte. Ingrimmig fügten sich die andern ratsfähigen Geschlechter und opferten manchen Beutel Goldgulden zur Werbung reisiger Knechte, um die Geleitszüge ihrer Waren zu verstärken und vielleicht dem Gailinger damit doch die Stange zu bieten. Allein die Überfälle wurden nur mehr und des Gailingers Kopf tauchte überall auf, nur nicht auf dem Richtplatz vor dem Frauentor. Zu gern hätten die Herren vom Nürnberger Rat dieses Schauspiel gehabt. Im Gegensatz zum gemeinen Volk der Handwerker und Gesellen, das dem Gailinger als einem Manne seines Herzens huldigte, seine Taten eifrig besprach und zum näselnden Klang der Sackpfeife denen vom Rat zu Trotz das schon in ganz Franken verbreitete Lied sangen:
Der Nürnberger Feind reit aus,
Eppela Gaila von Dramaus.
Heisa! Aufgschaut!
Wem graut vor Strauß,
der bleib zu Haus!
Eppela reit zu vierzehnt aus,
Eppela Gaila von Dramaus.
Der Rat zu Nürnberg hatte dieses Lied wohl verboten, doch sangen es im Stadtbann alle Handwerker und Gesellen, und erst recht die Hintersassen zu Gostenhof und Wöhrd samt allen Bäuerischen in Franken, denen Eppele bei allen Händeln mit den Städtern und Pfaffen ein sicherer Freund war.
Dem Unwesen des Gailingers einen Garaus zu läuten, ordneten die Nürnberger den Ratsherrn Johann Geuder als bevollmächtigten Gesandten an den Rat von Würzburg ab, um eine gemeinsame Streife auf den gefährlichen Gailinger zu vereinbaren. Die Würzburger Gestrengen hätten sonst wahrscheinlich ein solches Anbot verworfen, wären nicht in letzter Zeit mehrfach Frachtschiffe auf dem Main angehalten und erst nach kräftiger Steuer ihren Eigentümern wieder freigegeben worden. Kein anderer als Eppele von Gailing war es, der diesen Wegzoll einhob und mit seinen dreizehn Knechten Angst und Sorge in der ganzen Umgegend verbreitete. So kamen die Ratsherren von Würzburg mit dem Nürnbergischen Abgesandten überein, zwanzig gut berittene und bewaffnete Reisige zu stellen, wenn von Nürnberg deren fünfzig ausgerüstet und binnen zehn Tagen ins Würzburger Gebiet gesandt würden, welchen Vertrag der Ratsherr Johann Geuder für Nürnberg sogleich unterschrieb.
Eppele war am Brigittentag seinen Gesellen vorausgeritten und spähte scharfäugig den Fluß hinauf, ob das von Kitzingen gemeldete Weinschiff schon in Sicht käme. Unversehens brachen da rechts und links der Straße und auch von hinten die würzburgischen und Nürnbergischen Reiter und suchten mit lautem Hussa und Hallo den Gailinger einzukreisen. Eppele stieß erst schallend den für seine Gesellen bestimmten und ihnen wohlbekannten Warnruf aus, duckte sich dann tief auf den Hals seines Rappen und spornte ihn die Höhe des Steinbergs hinauf, wo heute noch eine gnädige Sonne den herrlichen Wein reift. Im Schwarm hetzten die Verfolger hinter Eppele drein, ihres Fanges schon sicher, denn der Steinberg stürzte hier steil zum Flusse ab und verwehrte jedes Ausweichen. Hoch bäumte des Gailingers Rappe vor dem jähen Abgrund, legte zitternd die Ohren an und wich schnaubend erst einmal rechts, dann links, schoß dann aber wie ein Pfeil unter dem Schenkeldruck seines kühnen Reiters in die freie Luft und verschwand für Augenblicke in der breit und tief hinrollenden Flut. Die Verfolger drängten sich verblüfft und entsetzt auf der Höhe des Steinbergs, wußten nicht, was nun beginnen, und trauten kaum ihren Augen, als drüben am andern Ufer Roß und Reiter wohl windelnaß, sonst jedoch ganz unbeschädigt aus dem Main tauchten. Eppele winkte seinen Verfolgern herablassend einen Gruß hinauf, hob sich dann im Sattel, höhnisch auf seine triefende Kehrseite deutend, und entschwand nach diesem Zwischenspiel den nun wütend enttäuschten Verfolgern.
In einem Ritt quer durch den grünen Steigerwald kehrte Eppele nach Drameysl heim, nieste heftig, als er sich dort aus dem Sattel schwang und dem braven Roß die Flanken klopfte, trank vier Kannen heißen Würzwein, die Kälte aus den Knochen zu verjagen, und schlüpfte unter einen wahren Berg von Kissen und Decken. Schlief aber die Nacht sehr schlecht und träumte wohl zehnmal den Sprung vom Steinberg. Stark fiebernd erwachte der Gailinger und lag Wochen zwischen halbem Schlaf und halbem Wachsein in der Drameysler Burgstube. Erst am Dreikönigstag 1333 wichen die Fieber langsam und Eppele besann sich allmählich auf den Anfang und Ausbruch seiner Krankheit. Immer noch äußerst matt und schwach rumorten doch die Geister des Schabernacks wieder in seinem Blut und trugen ihm abenteuerliche Einfälle zu, an denen er auf seinem Krankenlager spann. Die Runde von seiner Krankheit hatte sich in der ganzen Gegend verbreitet und war auch dem Hochwürdigen Herrn Kaplan Remigius in Muggendorf zu Ohren gekommen, dem gleichen Pater Remigius, an welchen Eppele damals seinen Burgpfaffen Isidor abgeliefert hatte. Schon aus diesem Anlaß, aber noch aus manchem andern Grunde dem Ritter von Gailing nicht hold, hatte Pater Remigius in seiner Silvester-Predigt die Krankheit Eppeles als eine Strafe des Himmels erklärt, sich mehr und mehr in heiligen Zorn geredet und zuletzt seinen baß erschrockenen Zuhörern anschaulich die Qualen geschildert, die den Teufelsbraten Eppele im Fegfeuer erwarteten, wenn er nun sterben müßte. Ein böses Lächeln spielte um des Gailinger Mundwinkel, als ihm die redselige Wirtschafterin Ursula von dieser Predigt berichtete, und der vertraute Knecht Pankraz saß gut zwei Stunden am Bette seines Herrn, bis ihm Eppeles Plan einleuchten wollte.
Pater Remigius staunte nicht wenig über die Botschaft, die ihm der Knecht Pankraz vom Ritter zu Gailing brachte und grübelte lange, welche Antwort er geben solle, denn eine innere Stimme warnte ihn, dem Landfrieden zu trauen. Eppele bat den Kaplan zu sich auf Drameysl, daß er ihm die Beichte abnehme und als beschworener Priester des Herrn verkünde, was zu eines großen Sünders Seelenheil und zur Versöhnung der heiligen Kirche nottäte. Diese Botschaft hatte Pankraz überbracht, vor sich auf dem Sattel die behäbige Wirtschafterin Ursula, welche nun vor den Pater Remigius hintrat und gar beweglich darlegte, wie ihr gnädiger Herr und Ritter von Gailing aufrichtig Reu und Leid mache und völlig anderen Sinnes geworden sei. Wie jedes Weib in den Geschäften des Himmels wohlbewandert, wußte die würdige Dame Ursula dem Kaplan die letzten Bedenken auszureden, so daß er sein Kommen für den nächsten Mittag zusagte.
Noch selten mag eine Beichte umfänglicher und zerknirschter abgelegt worden sein, als es durch Eppele in die immer weiter abstehenden Ohren des Paters Remigius geschah. Zu seinen aller Welt geläufigen Streichen erdichtete der Gailinger bislang völlig unbekannte Sünden. Er jagte den Muggendorfer Kaplan hart an eine Ohnmacht durch das Bekenntnis, daß der Ritter von Gailing einen Bund mit dem leibhaftigen Gottseibeiuns eingegangen wäre, aus welchem verruchten Bund befreit zu werden sein innigstes Bestreben sei. Pater Remigius rang erst gewaltig nach Luft und bekreuzigte sich zehnmal, bevor er dem Gailinger eröffnete, aller offenbarten Sünde könnte er den Ritter lossprechen, doch von der Todsünde eines höllischen Bündnisses hätte nur der Heilige Vater zu Rom die Macht zu befreien. Zu ihm müßte Herr von Gailing als reuiger Büßer pilgern und des Heiligen Vaters Füße küssen, wenn er wirklich solcher Todsünde ledig sein wollte. Eppele neigte zu diesem Bescheid des Kaplans demütig das Haupt und versprach, sobald seine Gesundheit es verstatte, die Pilgerfahrt in die heilige Stadt anzutreten, was den Pater Remigius aus jeder Fassung warf, denn soviel fromme Einsicht und Ergebenheit hätte er nie und nimmer erwartet.
Mit Eppeles Gesundheit ging es nach dieser Beichte auffallend schnell vorwärts. Pater Remigius, der wöchentlich dreimal zu gemeinsamem Gebet bei Eppele erschien, war von dem Wunder dieser Wandlung ganz überzeugt und fand es darum auch in der Ordnung, daß Eppele den Tag vor Fastnacht 1333 als Antrittstag seiner Pilgerfahrt bestimmte. An diesem Tage – es war vor der Zeit mild und warm – stand Eppele in der Burgstube zu Drameysl, eine härene Kutte am Leib, den breiten Pilgerhut, Muscheln vom heiligen Strand schmückten ihn, auf dem Kopf und in der Hand den langen Pilgerstab. Andächtig lauschte er den letzten Anordnungen des Paters Remigius und nahm dankend dessen Empfehlungen an Klöster und Geistliche in Empfang. Hinten in der Stube hielt sich Pankraz eine Hand vors Gesicht, um sein breites Schmunzeln zu verstecken.
Bis nach Forchheim geleitete Pater Remigius den Pilgersmann, der dann allein weiterzog und am Fastnachtstag 1333 gegen Abend in Nürnberg ankam, just, als der Mummenschanz am tollsten war und aus allen Schenken und Häusern das Fideln und Juchheien klang, auch aus dem schönen Hause am Plattenmarkt, darin der Pilgrim verschwand.