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Der Freundeskreis der Fürstin Gallitzin.

Man kann die Persönlichkeit der Fürstin Gallitzin und ihr weit über den Familienkreis hinausreichendes Wirken nicht besser beleuchten, als indem man sie im Verkehr mit ihren Freunden betrachtet, unter denen sich, besonders während der Jahre ihres innerlichen Werdens und Wachsens, Männer und Frauen der verschiedensten Geistesrichtung befanden, aber kein einziger unbedeutender oder gar niedrig denkender Mensch. Nach ihrer Rückkehr zur Kirche sammelten sich um sie vor allem Gleichgesinnte, die mit ihr eins waren im Streben nach christlicher Vollkommenheit und bereit, den Kampf gegen den Unglauben der Zeit mit vollem Ernste zu führen, Menschen, die nach des Grafen Stolberg Ausspruch so viel lautere Gesinnung, aufopfernde Liebe, rastlose Tätigkeit, jeder in seiner Art und in seinem Berufe, besaßen, daß man es wie eine ganz besondere Gnade und als reichen Segen betrachten mußte, unter ihnen leben und sich an ihnen erbauen zu dürfen.

Dieser »Bund der Guten«, wie der Freundeskreis oft genannt wurde, versammelte sich gewöhnlich im Gallitzinschen Hause, und zwar abends, da den Tag über die Beschäftigungen der Fürstin und ihrer Hausgenossen streng geregelt waren: schon sehr zeitig am Morgen begann nach einem gemeinschaftlichen Gebet das Tagewerk jedes einzelnen; um 11 Uhr wurde eine mehrstündige Arbeitspause gemacht, die der Erholung, der Mahlzeit und notwendigen Besuchen diente, dann kam wieder Studium oder nützliche Lektüre; um 5 Uhr zog sich die Fürstin zurück, um ihre tägliche Betrachtung zu halten, um 6 Uhr fand die Hauptmahlzeit statt, und zu oder gleich nach derselben erschienen die Freunde. Außer Overberg und Fürstenberg waren die »Erbdrostenkinder« in Begleitung Dr. Katerkamps fast täglich die Tischgenossen der Gallitzins. Später stellten sich die übrigen Gäste ein: die Universitätsprofessoren Havichorst, Sprickmann und Kistemaker, der Direktor des Gymnasiums und Universitätsbibliothekar Zumkley, in den ersten Jahren auch der Arzt und Philosoph Hoffmann, der später Leibarzt des Kurfürsten von Mainz wurde, verschiedene andere Gelehrte und Geistliche und fast jeder Fremde von Bedeutung, der durch Münster reiste. Die Fürstin empfing ihre Gäste in dem mit antiken Kunstwerken und wertvollen Bildern geschmückten Salon oder, zur Sommerszeit, in dem wohlgepflegten Garten hinter dem Hause; der Umgangston war an kein steifes Zeremoniell gebunden: herzlich und offen, bald ernst bald heiter, aber immer lebhaft und anregend gingen Rede und Gegenrede hin und her. Sehr beliebt waren allgemeine Debatten über irgend ein religiöses oder wissenschaftliches Thema, das eines der älteren Mitglieder der Gesellschaft aufstellte, um zur Belehrung der jüngeren beizutragen, oder das von diesen selbst mit der Bitte um Aufklärung vorgebracht wurde. Meist war Fürstenberg es, der als erster in einem kleinen Vortrage die angeregte Frage beleuchtete und durch seine gründlichen Kenntnisse auf allen Gebieten des Wissens die Bewunderung der Fürstin stets von neuem hervorrief. Sie ergriff gewöhnlich nach ihm das Wort, um das von ihm Gesagte zu ergänzen oder auch dem »großen Mann«, wie sie ihn zu nennen pflegte, in liebenswürdiger Bescheidenheit zu widersprechen. Nun fielen auch die andern mit Einwendungen, Erläuterungen oder Fragen ein, und der lebhafte Meinungsaustausch nahm oft den Anschein eines hitzigen Wortgefechtes an, bis dann Overberg in seiner freundlichen, heitern Weise durch ein stets sehr treffend gewähltes Beispiel aus dem Alltagsleben die Entscheidung herbeiführte. Oft wurden die Fragen, über die man das nächste Mal debattieren wollte, vor dem Auseinandergehen festgesetzt und die Person bestimmt, die ihre Ansicht darüber vortragen oder vorlesen sollte; daher finden sich in den Aufzeichnungen der Fürstin zahlreiche Notizen und Ausarbeitungen über Themata der verschiedensten Art, die meist von ihr selbst ausgewählt wurden, immer mit Rücksicht auf den Zweck der Belehrung und der Förderung des »Guten und Schönen«.

Durch den Geist echter Religiosität, der alle Mitglieder des kleinen Kreises beseelte, fühlten sie sich miteinander verbunden wie die Angehörigen einer einzigen Familie – trugen sie doch nicht ohne Grund den Ehrennamen familia sacra! Erkrankte jemand unter ihnen, so vereinigten sich die andern zu fürbittendem Gebete; ebenso geschah es, wenn für ein Unternehmen Fürstenbergs zum Wohle des Landes Segen von Gott erfleht werden sollte, oder wenn einen der Freunde eine schwere Sorge drückte. Auch hielt ein jeder es für seine Pflicht, den andern dadurch in der Vervollkommnung zu fördern, daß er ihn zart und ohne zu verletzen auf etwaige Fehler aufmerksam machte und ihm bei deren Ablegung beistand. Die Fürstin ging ihnen allen hierin mit gutem Beispiel voran; sie äußerte wiederholt: »Die glücklichsten Augenblicke meines Lebens sind jene, wo mir über diesen oder jenen Fehler, über diese oder jene Schwäche in mir ein bestimmtes Licht aufgeht.«

Doch nicht nur an sich selbst und die nächsten Freunde hatten die Glieder der familia sacra zu denken: ihr Interesse erstreckte sich auf alle Geschehnisse, auf alle Fragen der Zeit, ob es sich nun um Religion, Wissenschaft und Politik oder um Literatur und Kunst handelte. Und unentwegt traten sie in Wort und Schrift dafür ein, daß auf allen diesen Gebieten der christliche Gedanke nicht in den Hintergrund gedrängt werde. Als Glieder einer zwar kleinen, aber unter Gottes Schutz stehenden und daher starken Herde betrachteten sie es als ihre Aufgabe, gegen den glaubensfeindlichen Geist ihrer Zeit mit allen Kräften anzukämpfen, und wenn die revolutionären Ideen, die zu Ende des 18. Jahrhunderts von Frankreich her ihren verderblichen Zug durch Europa antraten und alles zu zerstören drohten, was ehrwürdig und heilig ist, im Münsterlande nicht durchdringen konnten, wenn dort Wahrheit, Sittlichkeit und Religion trotz der »sehr verpesteten Nachbarschaft«, wie Fürstenberg sich ausdrückte, allen Anstürmen Widerstand zu leisten vermochten, so ist das in erster Linie das Verdienst der familia sacra und ihrer Begründerin, der Fürstin Gallitzin. Am meisten zu Dank verpflichtet aber waren ihnen die französischen Emigranten, darunter zahlreiche Priester, die, durch die Greuel der Revolution aus ihrem Vaterland vertrieben, in der Fremde Schutz und Obdach suchen mußten. Nirgends wurden ihnen diese in so reichem Maße gewährt wie im Münsterlande, wo sich die familia sacra ihrer auf das liebevollste annahm. Die Fürstin und ihre Freunde sorgten dafür, daß die Fremdlinge, die aller Mittel beraubt waren, unentgeltlich untergebracht und verpflegt wurden; sie veranstalteten Sammlungen für die Emigranten, verschafften ihnen Anstellungen, versorgten sie mit Kleidern und Nahrungsmitteln. Einstimmig bekannten die armen Flüchtlinge, daß man sich in keinem andern Lande mit so großer und standhafter Güte ihrer angenommen habe.

Der Münsterer Freundeskreis unterhielt Beziehungen zu zahlreichen geistig hervorragenden Männern Deutschlands in der Nähe und in der Ferne. Mancher Gelehrte sandte sein neuestes Werk nach Münster mit der Bitte um das Urteil der »Beschützerin und Freundin der Wissenschaften« und ihrer Getreuen, und die Fürstin hielt mit ihrer Meinung nie zurück: Lob wie Tadel wurden dem Verfasser aufrichtig und mit genauer Begründung mitgeteilt. Auf gelegentlichen Reisen lernte sie verschiedene dieser Männer persönlich kennen, und zuweilen entwickelte sich aus der ersten flüchtigen Bekanntschaft ein dauernder freundschaftlicher Verkehr. Das war unter anderem der Fall mit dem Philosophen und Dichter Friedrich Heinrich Jacobi, der, am 25. Januar 1743 zu Düsseldorf geboren und von seinem Vater für den Kaufmannsstand bestimmt, sich durch eigenen Fleiß reiche Kenntnisse angeeignet hatte und sich mit Vorliebe staatswirtschaftlichen und philosophischen Studien hingab. In seiner Weltanschauung stimmte er in vielen Punkten mit Hemsterhuis überein, nur stand er dem Christentum näher als dieser, freilich auch ohne je den wahren Glauben zu finden. Jacobi hatte der Fürstin bald nach ihrer Übersiedelung nach Münster seine Aufwartung gemacht, und sie hatte im Frühling 1781 in Hemsterhuis' Begleitung einige Tage in Pempelfort bei Düsseldorf, wo er eine Zuckerfabrik und einen schönen Landsitz besaß, geweilt. Die gegenseitigen Besuche wurden in der Folge öfters wiederholt. Jacobi bezeigte der Fürstin aufrichtige Bewunderung und freute sich, daß seine philosophischen Lehren nicht ohne Einfluß auf sie blieben; aber nach ihrer Rückkehr zur Kirche lockerte sich das Freundschaftsband: Jacobi, der dem Seelenfluge der Fürstin nicht folgen konnte und seinen Einfluß machtlos werden sah, fand die bisher so hochgestellte Frau nun plötzlich »gespannt, zudringlich, buchstäbelnd, ohne wahre Einfalt und Ruhe«, unzuverlässig und voller Vorurteile; er warf ihr »Frömmelei und Andächtelei« vor und spottete über »die Gicht des Mönchtums«, die sie in den Gliedern habe. Trotzdem mußte er auch jetzt noch gestehen, daß »eine unermeßliche Fülle von Schönheit und Größe« in ihr sei, daß sie ein wahrhaft fürstliches Gemüt besitze und daß er sie stets bewundern und verehren müsse. Die Fürstin ihrerseits gab sich redliche Mühe, den einstigen Freund auf den rechten Weg zu leiten, und litt schwer darunter, daß ihr dies nicht gelingen wollte; dennoch grollte sie ihm nicht, sondern bewahrte, wie sie sich ausdrückte, »den Schatz der Liebe unversehrt im Herzen auf bessere, zeitlose Zeiten«.

Durch Jacobi kam die Fürstin auch in Beziehungen zu dem Protestanten Thomas Wizenmann, dessen Frömmigkeit und frühes, gottergebenes Sterben auf sie großen Eindruck machten. Jacobi, durch Wizenmanns gedankenreiche Schriften auf ihn aufmerksam geworden, hatte seine Bekanntschaft gesucht und den lungenkranken, unbemittelten Jüngling ganz zu sich genommen, um nach Kräften zu seiner Genesung beizutragen. Er sandte ihn auf seine Kosten und mit Empfehlungen an den »feinen Minister von Fürstenberg und die vortreffliche Fürstin Gallitzin« versehen nach Münster, um den Dr. Hoffmann zu konsultieren. Die Fürstin nahm sich des jungen Fremden auf das liebevollste an, begleitete ihn selbst zum Arzte, lud ihn zu den Mahlzeiten in ihr Haus und forderte ihn schließlich auf, sie nach Bad Hofgeismar zu begleiten, eine Aufforderung, die Wizenmann trotz späterer schriftlicher Wiederholung aus Bescheidenheit ablehnte. – Im Januar 1787 begab sich Wizenmann, dessen Zustand sich infolge geistiger Anstrengungen rasch verschlimmert hatte, nach Mülheim a. Rh. in das Haus und die Pflege des ihm warm empfohlenen Arztes Dr. Wedekind, aber schon wenige Wochen später traf im Münsterer Freundeskreise die Nachricht ein, daß es mit dem Kranken zu Ende gehe. Fürstin Amalie machte sich mit ihren Kindern und deren Hauslehrer sofort auf die Reise und langte am 18. Februar in Mülheim an, wo sie Jacobi bereits vorfand. Wizenmann war durch ihre Teilnahme bis zu Tränen gerührt und nahm die Dienste, die sie ihm während seiner letzten Leidenstage mit der Opferfreudigkeit einer Barmherzigen Schwester leistete, mit innigem Danke an. Am 22. Februar 1787 ward ihm die Erlösung von seinen Leiden, um die er schon lange in heißem Flehen gebetet hatte. »Durch Geduld und Glauben im Leiden zur Herrlichkeit!« war sein Wahlspruch gewesen.

siehe Bildunterschrift

J. G. Hamann.
Nach einem Stich von Joh. H. Lips

Schon im nächsten Jahre mußte die Fürstin abermals einen Freund durch den Tod verlieren: den wegen einer seltsamen Dunkelheit und Verworrenheit in seinen Schriften »der Magus im Norden« genannten Königsberger Philosophen Johann Georg Hamann, dessen Freundschaft zu genießen ihr zwar nur kurze Zeit vergönnt war, dem sie selbst aber einen großen Einfluß auf ihr Seelenleben zuschrieb. »Hamann wirkte sehr wohltätig auf mich durch Bereicherung und Vervollkommnung meines Ideals eines wahren Christen«, verzeichnete sie in ihrem Tagebuch; »seine ungekünstelte, mir noch nirgends, in keinem Menschen in diesem Grade und dieser Reinheit erschienene Art von Demut war es insbesondere, was mir das Christentum in einem neuen, erhabeneren Lichte als jemals zeigte.« – Sie hatte durch Franz Bucholtz, einen ihrer Münsterer Freunde, mehrere von Hamann verfaßte Abhandlungen bekommen und großes Gefallen an deren Lesung gefunden, obgleich ihr vieles unverständlich blieb. Sie suchte sich noch andere seiner Werke zu verschaffen und fühlte sich immer mehr und mehr zu ihm hingezogen, weil er gleich ihr ein Verehrer der altgriechischen Philosophen war, hauptsächlich aber, weil er die Heilige Schrift ebenso hoch hielt wie sie. »Mit dieser«, heißt es in einem ihrer Briefe an Jacobi, der mit Hamann in Korrespondenz stand, »mit der Schrift insonderheit, die in den letzten Jahren für mich die reichste Quelle des Lebens, fast die einzige wirkliche Nahrung meiner Seele geworden ist, die mir nach der zwanzigsten Lektüre noch ebenso neu bleibt und bei jeder ein neues Licht in meiner Seele ansteckt, die mir an und für sich ein größeres Wunderwerk ist als alle Wunder, deren Urkunde sie ist – mit dieser hat Hamann sich in meiner Vorstellung dargestellt und auf eine Art, die ich mit Worten in einem Briefe nicht zu sagen vermag, eingewebt.« Sie wünschte nun auch Näheres über Hamanns Leben zu hören und erfuhr durch Bucholtz, der auf ihre Anregung mit dem Königsberger Philosophen in Briefwechsel getreten war, daß er, am 27. August 1730 als Sohn eines Wundarztes geboren, sich in seiner Jugend zuerst dem Studium der (protestantischen) Theologie gewidmet, dann aber Rechts-, Finanz- und Handelswissenschaft und nebenbei orientalische Sprachen und klassische Literatur studiert hatte, daß er sich nacheinander als Hauslehrer, Handlungsreisender und Kanzlist durchs Leben geschlagen, bis er endlich den bescheidenen Posten eines königlichen Packhofverwalters in Königsberg erhalten hatte, daß er ein Bewunderer Goethes sei und zu Herder, Lavater, Matthias Claudius und dem Grafen Stolberg in freundschaftlichen Beziehungen stehe, und daß er jetzt im Alter mit bitterem Schmerz an die mannigfachen Vergehen zurückdenke, zu denen der unstete Lebenswandel seiner Jugendjahre ihn verführt. – Da aus Hamanns aufrichtigen Briefen hervorging, daß er in recht ärmlichen Verhältnissen lebe, übersandte Bucholtz ihm im Sommer 1786 ein Geschenk von mehreren tausend Talern, zu dem die Fürstin ihr Scherflein beigetragen zu haben scheint, ohne ihren Namen zu nennen. Im folgenden Jahre unternahm Hamann, dem liebenswürdigen Drängen der Münsterer Freunde und Jacobis folgend, eine Reise nach dem Münsterlande. Obgleich er, der schon lange kränkelte, recht erschöpft bei Bucholtz ankam, fühlte er sich bald sehr wohl in der fremden Umgebung. »Ich hoffe alles hier gefunden zu haben, was ich gesucht und gewünscht habe«, meldete er einem Freunde nach Berlin, »ein freies, neues Herz zum Genuß der Freude und des Lebens wird die Ausbeute meiner Wallfahrt hier bald sein ... Die Fürstin lebt auf dem Lande (in Angelmodde) und wird morgen erwartet. Sie soll ein Goethe ihres Geschlechts sein.« Fürstin Amalie erschien denn auch andern Tags am Krankenbette Hamanns und entzückte ihn durch ihr geistreiches Geplauder ebenso wie durch ihre herzliche Liebenswürdigkeit. Sobald seine Gesundheit es erlaubte, besuchte er sie in ihrem Münsterschen Hause, wobei der schöne Garten und die reichhaltige Bibliothek, die ihm ganz zur Verfügung gestellt wurden, seine Bewunderung hervorriefen. Im August begab er sich zu Jacobi, der ihn dringend eingeladen hatte und ihn mehrere Monate bei sich behielt. Während dieser Zeit erschien auch die Fürstin in Begleitung einiger Freunde in Pempelfort. Als Hamann im November nach Münster zurückkehrte, wurde er bei den Zusammenkünften der familia sacra ein gern gesehener Gast. Seine Verehrung für die Fürstin stieg mit jedem Beisammensein: »Sie ist ein wahres Wunder ihres Geschlechts ... O wieviel werde ich von dieser großen und guten Seele erzählen können! ... Wie sehr würden Sie von dieser einzigen Frau ihres Geschlechts eingenommen sein!« In solchen und ähnlichen Ausdrücken pries er sie in seinen Briefen an Freunde und Verwandte. Welchen Wert die Fürstin ihrerseits auf den Umgang mit ihm legte, welch tiefen Eindruck manches Gespräch mit ihm auf sie machte, wird aus ihren Tagebüchern ersichtlich, in denen sie viele seiner Aussprüche verzeichnet hat. Von besonders nachhaltiger Wirkung war eine Unterredung mit ihm, während welcher er ihr mit freundlicher Offenherzigkeit erklärte, daß ihre übertriebene Gewissenhaftigkeit, ihr Unwille über die eigene Unvollkommenheit »der versteckteste und gefährlichste Schlupfwinkel des Stolzes« sei; da der Mensch nicht wissen solle, ob er des Hasses oder der Liebe wert sei, bestehe die Hauptsache des Glaubens im Dulden der eigenen Nichtigkeit und völligem Vertrauen auf Gottes Gnade, die im Menschenherzen das Gute wirkt. Sie sah die Wahrheit dieser Lehre ein und war Hamann herzlich dankbar, daß er ihr »den Himmel wahrer Demut und Ergebenheit, den Kindersinn gegen Gott« gezeigt hatte.

Den Winter verbrachte Hamann, beständig kränkelnd, auf dem Gute Wellbergen seines Freundes Bucholtz; im Frühling 1788 kehrte er nach Münster zurück, um es sich vor der Heimreise, die er im Sommer anzutreten gedachte, noch bei dem »dortigen Triumvirat Alcibiades, Aspasia-Diaphane und Perikles«, so nannte er Bucholtz, die Fürstin und Fürstenberg, wohl sein zu lassen. Fürstin Amalie erwies ihm eine Freundlichkeit nach der andern, machte ihm Geschenke, lud ihn immer wieder zu sich ein, las ihm vor, ließ sich das Gelesene von ihm erklären, und forderte ihm das Versprechen ab, ihr oft zu schreiben, und zwar nicht als an »Ihre Durchlaucht«, sondern als an seine »liebe Amalie«. – Am 19. Juni nahmen sie herzlichen Abschied voneinander, da Hamann am nächsten Tage abreisen wollte; doch eine plötzlich eingetretene Verschlimmerung seines Leidens machte die Reise unmöglich, und am 21. Juni 1788 raubte der Tod ihn seinen bestürzten Freunden. Die Fürstin betrauerte ihn als den »ersten wahren Vater«, den sie im Leben gefunden, tröstete sich jedoch mit dem schönen Gedanken: »Ich glaube, er betet dort wirksamer für uns, als er's zu Königsberg hätte tun können.«

Da es damals in Münster keinen protestantischen Friedhof gab, wünschte die Fürstin, dem Verstorbenen in ihrem Garten, in dem er so gern geweilt hatte, ein letztes Ruheplätzchen zu bereiten. Es war ihr »ein unbeschreiblich süßer Gedanke, die Asche dieses Seligen, Großen, so wenig Gekannten« in ihrer Nähe zu wissen, gleichsam zu beständiger Erinnerung an ihn und das gute Beispiel, das er ihr durch seine Demut und Frömmigkeit gegeben. Nach Überwindung einiger Schwierigkeiten erlangte sie die behördliche Erlaubnis zur Ausführung ihres Vorhabens, und so wurde die Leiche denn eines Abends im Beisein Fürstenbergs, Overbergs, Bucholtz' und der fürstlichen Familie bei Fackelschein in einer Ecke des Gallitzinschen Gartens bestattet. Ein von den Freunden nach einem von Hemsterhuis gezeichneten Entwurfe errichtetes Grabmonument schmückte die Stätte, an welcher der »Magus aus dem Norden« in fremder Erde den letzten Schlaf hielt; erst mehr als ein halbes Jahrhundert später, im Jahre 1851, wurden seine Gebeine auf den Überwasserkirchhof übergeführt. Oft weilte die Fürstin, in fromme Betrachtungen versunken, am Grabe des Freundes, der ihr für kurze Zeit das gewesen war, was ihr bald nachher Overberg in weit höherem Grade wurde: ein »Vater«, der sich an den Tugenden seines Kindes erfreut, ohne die Fehler zu übersehen. Bei der Erinnerung an Hamann schwanden Ärger, Gram, Empfindlichkeit, Ungeduld oder was sonst ihren Seelenfrieden stören wollte, von ihr, und ihr war, als müsse sie solchen Anfechtungen zurufen: »Stille, stille! stört mich nicht in meiner Achtsamkeit auf dieses Bessere!«

In solcher Stimmung ertrug sie auch sanftmütig die Störung, die ihr durch den Besuch ihres Gemahls und Hemsterhuis' noch am Abend des Sterbetags Hamanns bereitet wurde. Fürst Gallitzin erschien alljährlich auf einige Wochen bei den Seinen, obgleich er sich zu dauerndem Aufenthalt in der westfälischen Hauptstadt auch nach dem Rücktritt von seinem diplomatischen Posten nicht entschließen konnte. Bei aller Hochachtung, die er für Fürstenberg und manchen andern der gelehrten Freunde seiner Gemahlin empfand, mochte er doch fühlen, daß er, der elegante Weltmann, in den »Bund der Guten« nicht recht hineinpaßte. Auch mochte ihm das längere Beisammensein mit seiner häufig kränkelnden und schwermütigen Gattin, deren religiöser Wandlung er verständnislos gegenüberstand, lästig sein. Der Fürstin aber, der hier wie überall die Rücksicht auf ihre Kinder über alles ging, war seine Abwesenheit insofern erwünscht, als sie für die jungen Seelen den Einfluß seines oberflächlichen Wesens und seiner Gleichgültigkeit gegen alle religiösen Fragen befürchtete. Trotzdem sah sie stets darauf, daß die Kinder ihm Gehorsam und Achtung erwiesen, hielt sie dazu an, für sein Seelenheil zu beten, und erklärte ihnen, wenn der Vater anders denke und rede als z. B. Fürstenberg oder sonst jemand ihres Kreises, so sei das verzeihlich, weil er das Unglück habe, »kein Jünger Christi und von Jugend auf in der verdorbensten Sphäre der Welt erzogen zu sein«.

Außer dem Fürsten gehörte Hemsterhuis zu den häufigen Sommergästen in Angelmodde. Fürstin Amalie bewahrte ihm die treue Freundschaft, die sie ihm als ihrem ersten Lehrer und Führer zum Guten schuldete, und versuchte es, jetzt, da sie seiner Führung nicht mehr bedurfte, ihn auf den Weg zu lenken, den sie selbst nun wandelte. Als sie im Jahre 1790 erfuhr, daß er schwer erkrankt sei, schrieb sie ihm einen liebevollen Brief, in welchem sie die Beweise für die Wahrheiten des Christentums mit großer Klarheit entwickelte; doch dieser Brief traf zu spät im Haag ein: Hemsterhuis war kurz vorher aus dieser Welt geschieden.

siehe Bildunterschrift

Friedrich H. Jacobi.
Nach einer getuschten Bleistiftzeichnung

Mehr noch als die Liebe und Verehrung ihrer Freunde ist die Bewunderung, die auch Vertreter anderer Sinnesrichtungen der Fürstin zollten, ein Beweis für die Macht ihrer Persönlichkeit und den eigenartigen Zauber, den ihre Klugheit und Güte ausübten. Mußte doch selbst Goethe, dem die Ziele und Bestrebungen der Familia sacra fern lagen, anerkennen, die Fürstin sei eine »herrliche Seele«, die durch ihre Gegenwart zu mancherlei Gutem wecke und stärke, eine »kostbare Seele«, von der es ihn nicht wundernehme, daß sie die Menschen so anziehe.

Die Fürstin und Goethe hatten voneinander bereits durch Briefe gemeinsamer Freunde gehört, als sie sich im Sommer 1785 während der schon erwähnten Reise der Fürstin und ihrer Kinder durch Thüringen und Sachsen persönlich kennen lernten. Die kleine Reisegesellschaft, zu der auch Fürstenberg, Hemsterhuis und Sprickmann gehörten, weilte mehr als eine Woche in Weimar und verkehrte dort freundschaftlich mit Goethe und seinem ganzen Kreise, wenngleich Wieland und Herder ihren Beifall nicht fanden. Gern gesehen war dagegen des letzteren kluge Frau, die ihrerseits von der Fürstin und ihren Begleitern sehr eingenommen war. »Ein Weib von dem festen Charakter (wie die Fürstin Gallitzin) habe ich noch nicht gesehen«, äußerte sie in einem Briefe aus jener Zeit, »und dann blickt in ihren dunkelblauen Augen so viele Liebe wider, daß wir sie recht lieb gewonnen haben. Ihre Kinder haben eine zarte Geschwisterseele gegeneinander und ein so unschuldig treuherziges Wesen gegen andere.« Goethe selbst schrieb damals über die Münsteraner an Frau von Stein: »Es sind interessante Menschen und wunderbar sie miteinander zu sehen«, und: »Es sind wirklich vorzügliche Menschen.« Anfangs waren es zwar mehr die Begleiter der Fürstin, die ihn anzogen, als diese selbst; er fand ihre Art, sich offen und ohne alles Zeremoniell zu geben, nicht weiblich und benahm sich ihr gegenüber kalt und zurückhaltend, doch bei öfterem Beisammensein verwandelte sich seine Voreingenommenheit in aufrichtige Bewunderung. Bald nach der Heimkehr erhielt Fürstin Amalie einen Brief von ihm, worin er sie bat, mit ihm in Korrespondenz zu treten; denn sie allein habe den Schlüssel zu seinem lange verschlossenen Herzen gefunden, und ein vertrauensvoller Meinungsaustausch mit ihr würde ihm wohltun. Die Fürstin erzählt von diesem Briefe in ihrem Tagebuch und fährt fort: »Einen ganzen Winter blieb ich im Kampf, solle ich, solle ich nicht. Aber da ich keinen wahrscheinlichen Nutzen, Zeitaufwand und vielleicht zuviel Beschäftigung für mein Herz darin mutmaßte, konnte ich mich zu keiner Antwort entschließen.« Kurz vorher hatte Lavater die gleiche Bitte an sie gerichtet, und auch sein Brief blieb unbeantwortet, ebenso ein späterer von Herder.

Die zweite Begegnung zwischen Goethe und der Fürstin Gallitzin, diesen beiden Mittelpunkten zweier so ungleichartiger Kreise wie der Münsterer und der Weimarer, fand mehrere Jahre später in Münster statt. Auf der Rückkehr aus Frankreich kam der Dichter, nachdem er einige Zeit der Gast Jacobis in Pempelfort gewesen, Anfang Dezember 1792 nach Münster. Er war abends spät angekommen und hatte die Nacht im überfüllten Gasthause »auf einem Stuhle in der Wirtsstube« verbracht, am andern Morgen aber holte die Fürstin persönlich ihn ab und beherbergte ihn vier Tage hindurch als Gast in ihrem Hause. Goethe hat diese Tage recht ausführlich in seiner »Campagne in Frankreich« beschrieben. »Ich wußte, daß ich in einen frommen, sittlichen Kreis hereintrat«, sagte er, »und betrug mich danach. Von jener Seite benahm man sich gesellig, klug und nicht beschränkend ... Den Zustand der Fürstin, nahe gesehen, konnte man nicht anders als liebevoll betrachten; sie kam früh zum Gefühl, daß die Welt uns nichts gebe, daß man sich in sich selbst zurückziehen, daß man in einem inneren, beschränkten Kreise um Zeit und Ewigkeit besorgt sein müsse.« Er spricht dann von ihrem Leben, das sich ausfüllte »mit Religionsübung und Wohltun; Mäßigkeit und Genügsamkeit sprach sich aus in der ganzen häuslichen Umgebung, jedes tägliche Bedürfnis ward reichlich und einfach befriedigt, die Wohnung selbst aber, Hausrat und alles, dessen man sonst benötigt ist, erschien weder elegant noch kostbar; es sah eben aus, als wenn man anständig zur Miete wohnte ... Innerhalb dieses Elementes bewegte sich die geistreichste, herzlichste Unterhaltung, ernsthaft, durch Philosophie vermittelt, heiter durch Kunst ...« Häufig gab die Hemsterhuissche Steinsammlung, für die Goethe sich interessierte, den Unterhaltungsstoff ab. Dagegen wurden religiöse Gespräche eher vermieden als gesucht, denn »beide Teile machten sich's zur Pflicht, von ihren Gefühlen und Überzeugungen nur dasjenige hervorzukehren, was gemeinsam wäre und zu wechselseitiger Belehrung und Ergötzung ohne Widerstreit gereichen könnte«. Eines Abends, als der Freundeskreis der Fürstin um ihn versammelt war, erzählte Goethe von der Feier der Karwoche und der Ostertage, des Fronleichnams- und Peter- und Paulfestes in Rom, wie er sie während seiner italienischen Reise kennen gelernt hatte, und fesselte dadurch die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer in hohem Grade. Die Fürstin sagte ihm nachher, man habe sie vor ihm gewarnt: er verstehe es, sich so fromm zu stellen, daß man ihn für religiös, ja für katholisch halten könnte. »Verehrte Freundin«, erwiderte der Dichter, »ich stelle mich nicht fromm, ich bin es am rechten Orte; mir fällt nicht schwer, mit einem klaren, unschuldigen Blick alle Zustände zu beachten und sie wieder auch ebenso rein darzustellen.« – Wie wohltätig Goethe die »edle, gute, sittlich frohe Gesellschaft« der Münsteraner empfand, schildert er mit den Worten: »In einer solchen zarten Umgebung wär' es nicht möglich gewesen, herb oder unfreundlich zu sein; im Gegenteil fühlte ich mich milder als seit langer Zeit, und es hätte mir wohl kein größeres Glück begegnen können, als daß ich nach dem schrecklichen Kriegs- und Fluchtwesen endlich wieder fromme menschliche Sitte auf mich einwirken fühlte.«

Als der Tag des Abschieds gekommen war – »man mußte doch sich einmal trennen«, schreibt Goethe –, übergab die Fürstin ihrem scheidenden Gaste als Zeichen ihres Vertrauens und ihrer Freundschaft die Steinsammlung, damit er sie daheim mit Kennern genauer betrachten und studieren könnte, als es jetzt bei der Kürze der Zeit möglich gewesen. Goethe nahm das Anerbieten nach einigen Einwänden dankbar an und behielt die Sammlung in der Tat längere Zeit bei sich.

Fürstin Amalie ließ es sich nicht nehmen, den Dichter bis zur nächsten Poststation zu begleiten. Unterwegs wurde ein ernstes Gespräch über »die bedeutenden Punkte des Lebens und der Lehre« geführt, ohne daß eine Übereinstimmung erzielt werden konnte: »Ich wiederholte mild und ruhig mein gewöhnliches Credo«, berichtet Goethe, »auch sie verharrte bei dem ihrigen. Jedes zog nun seines Weges nach Hause, sie mit dem nachgelassenen Wunsche, mich, wo nicht hier, doch dort wiederzusehen.« – In dieser Welt war ihnen kein Wiedersehen mehr bestimmt, wohl aber wurden von nun an Briefe zwischen ihnen gewechselt, auch schickte Goethe der Fürstin seine neuen Werke zu. Viel später einmal äußerte er einem Freunde, dem Rat Schlosser, gegenüber, er interessiere sich für alles, was ihn an die Fürstin und ihren Freundeskreis erinnere, denn bei ihnen habe er zum erstenmal in seinem Leben die Ehrfurcht gefühlt, welche er vor jenen echt katholischen Naturen empfinde, »die, befriedigt im festen und treuen Glauben und Hoffen, mit sich und andern in Frieden leben und Gutes tun aus keinen andern Rücksichten, als weil es sich von selbst versteht und Gott es so will«.

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