Fredrika Bremer
Nina
Fredrika Bremer

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Das Geheimniß

»Du sollst es weder Freund noch Feind sagen.«
                                                Syrach.

Zwei Monate waren seit Filius Freskomalerei und Fräulein Margarethens Unglücksfall verstrichen. Der abgebrochene Arm konnte jetzt so ziemlich seinen Dienst wieder thun und Fräulein Margarethe durfte demnächst das Krankenzimmer verlassen, doch die Wahrheit zu sagen, es lag ihr nicht viel daran. Sie hatte hier ein Glück kennen gelernt, das ihr mehr galt, als alle Annehmlichkeiten ihres bisherigen Lebens. Ach, erst wenn das Herz zu lieben anfängt, fühlt man das Leben voll und innig.

Zwischen Fräulein Margarethe und Klara hatte sich – sie wußten selbst nicht wie – ein herzliches Verhältniß gestaltet, das sie beide glücklich machte. Sie hatten einander Nichts von ihren Angelegenheiten mitgetheilt, keine hatte der Andern den Roman ihres Lebens erzählt oder das Ach und O ihres Herzens vorgeseufzt, und doch kannten sie einander ganz genau, doch hegten sie ein Vertrauen zu einander, das nur auf Gelegenheit sich in Worten oder Handlungen zu äußern wartete, um den Namen wahrer Freundschaft zu verdienen. 152 Vielleicht findet ein zärtlicher Freund diesen Ausdruck schwach; ich weiß keinen stärkeren.

Fräulein Margarethens Kopf und Herz beschäftigte sich bereits mit einem Plane, der seiner Reise nahe war, als eines Abends die Gräfin hastig in das Zimmer trat, wo sie sich allein befand, und in sichtbarer Aufregung begann: »Nun, was willst du jetzt sagen?«

»Was ich sagen will?« erwiederte Fräulein Margarethe mit heiterer Ruhe; »vor Allem guten Abend, und dann, wie Klara, setze dich und laß uns ruhig bleiben.«

»Ja gerade Klara gibt uns Ursache, es nicht zu sein,« versetzte die Gräfin sehr verdrießlich. »Margarethe, deine Klara ist eine Heuchlerin, ein unwürdiges Geschöpf, welches die Güte, die wir Beide an sie verschwendet haben, nicht verdient. Sie ist eine Schlange, die ich an meinem Busen erwärmt habe.«

»Nun, nun, was hat's denn gegeben?« fragte Fräulein Margarethe ernsthaft, aber ohne Unruhe.

»Sie hat ihr Wort gebrochen – sie ist wieder drei Abende heimlich ausgegangen.«

»Nun gut,« sagte Fräulein Margarethe, indem sie ihren Verdruß zu verbergen suchte, »deßwegen brauchen wir noch nicht gleich Zetermordio zu schreien. Sie wird ausgegangen sein, um frische Lust zu schöpfen. Sie war meinetwegen gar zu lange eingesperrt.«

»Ganz richtig: aber sie schöpft diese Luft bei einem jungen Manne. Ich habe sie beobachten lassen. Rosalie hat sich in dem Hause, in das Klara ging, auf Kundschaft gelegt. Diese Besuche sollen schon sehr oft stattgefunden haben.«

Fräulein Margarethe erblaßte und der tüllverzehrende Liebhaber war ihr jetzt schrecklicher, als Lucifer. Nach einem Augenblick tiefen Stillschweigens sagte sie: »Wer ist er? was ist er? wo wohnt er?«

Die Gräfin nannte das Haus, konnte aber in Beziehung auf seine Person nur ganz verworrene Angaben 153 mittheilen. »Es heißt,« sagte sie, »er habe ein Verbrechen begangen, gestohlen oder falsches Geld gemacht, und verberge sich jetzt vor der Polizei – auch lebe er in größter Armuth – mit einem Wort, es ist eine äußerst skandalöse Geschichte.«

»Armuth?« wiederholte Fräulein Margarethe.

»Ja,« fuhr die Gräfin fort, »und es ist mehr als wahrscheinlich, daß Klara ihn unterstützte mit . . . – ich will sie nicht geradezu beschuldigen – aber ihre Aufführung zeugt stark genug gegen sie und macht auch das Schlimmste glaublich. Klaras Weigerung, den Zweck ihrer Spaziergänge anzugeben, ist der deutlichste Beweis von der Schlechtigkeit ihrer Wahl. Ich finde wahrhaftig ihre ganze Aufführung so unwürdig, so empörend, daß ich sie bei der nächsten besten Gelegenheit aus meinem Hause zu schaffen wünsche. Da weder Güte noch Ernst bei ihr wirkt, so muß sie bereits ein sehr tief gesunkenes Geschöpf sein.«

»Daran zweifle ich sehr,« sagte Fräulein Margarethe trocken.

»Ich wünsche auch, daß es sich anders verhalten möge,« versetzte die Gräfin, »allein ich kann es nicht glauben. Inzwischen werde ich Klara nicht im Stiche lassen, allein aus meinem Hause muß ich sie entfernen. Meine Domestiken wissen von dem ganzen Handel und ich kann mich nicht dem Scheine aussetzen, als sehe ich gut zu dem Scandal, den ihre Aufführung veranlaßt. Klara muß unter strenge Aufsicht. Ich habe daran gedacht, sie bis auf Weiteres der Frau F. zu übergeben.«

»So? der Grenadiersfrau? Eine gute Wahl, und wann gedenkst du Klara fortzuschicken?«

»Sobald als möglich. Gleich morgen, wenn es sich thun läßt; ich gestehe, daß der tägliche Anblick von so viel Undankbarkeit und Frechheit mir das Herz im Leibe umdreht. Ueberdieß bedarf es entscheidender und schneller Maßregeln; ich habe mit Klaras Brüdern gesprochen . . . .«

»Das hast du gethan?« fiel Fräulein Margarethe 154 heftig ein; »du hast ihnen deinen Verdacht gegen die Schwester mitgetheilt?«

»Ja, das habe ich,« antwortete die Gräfin, »weil sie zuerst erfahren müssen, wie es mit ihrer Schwester steht, und zugleich um den Schritt, wozu mich Klara nöthigt, vor ihnen zu rechtfertigen. Sie kamen heute Abend kurz nach Rosaliens Rückkehr von ihrer Entdeckungsreise; ich war aufgeregt von dem, was diese mir sagte, und ich dachte, die Vorwürfe der Brüder würden stärker auf sie wirken, als bisher meine Ermahnungen. Sie verdient keine Schonung mehr.«

»Du hast voreilig und unzart gehandelt, Natalie,« sagt Fräulein Margarethe mit großem Mißvergnügen. »Warum nicht vorher mit mir sprechen und gemeinschaftlich in Berathung ziehen, was zu thun ist? Wer weiß, ob nicht Klara rein aus diesem Dunkel hervortritt? Nun, was sagten denn die Brüder?«

»Sie waren außer sich, sie wollten verzweifeln, die armen Jungen; indeß baten sie mich, ganz nach Gutdünken zu verfahren.«

»Das ist mehr, als ich an ihrer Stelle gethan haben würde. Ich kann nicht billigen, was du gethan hast, und kann meine Zustimmung nicht geben zu dem, was du thun willst.«

»Margarethe,« sagte die Gräfin etwas stolz, meiner Obhut, meiner Aufsicht wurde Klara übergeben.«

»Dagegen habe ich Nichts einzuwenden, Natalie,« versetzte Fräulein Margarethe Etwas rasch. »Indeß bitte ich dich dringend, heute Abend nicht mit ihr zu sprechen, eine Zusammenkunft zwischen ihr und ihren Brüdern zu verhindern und sie, sobald sie kommt, zu mir zu schicken.«

Die Gräfin mußte dieß versprechen und da in diesem Augenblick der Präsident sagen ließ, der Wagen stehe schon eine halbe Stunde vor dem Hause und er selbst warte auf seine Gemahlin, um mit ihr zum Hoffeste zu fahren, so überließ sie Fräulein Margarethe ihren eigenen Betrachtungen. 155

Und Fräulein Margarethe saß lange schweigend im Finstern da; – sie weinte. Nachdem sie sich indeß wieder beruhigt und ihre Gedanken einigermaßen geordnet hatte, klingelte sie, ließ die Lampe anzünden, und wartete in einer Sophaecke sitzend, mit der Ruhe, welche ein bestimmter Vorsatz gibt, auf Klaras Rückkunft.

Klara kam. Ihre Tritte waren leichter, ihr Aussehen freudiger, als gewöhnlich, und nur ihre Stimme verrieth einige Hast, einige Unruhe, als sie Fräulein Margarethe Etwas über ihren Arm fragte. Verblüfft über die kurzen Antworten und den Ton, worin sie gegeben wurden, ging Klara zu ihrer Freundin hin, sah ihr treuherzig in die Augen und fragte sie zärtlich: »Bist du verdrießlich? was ist vorgefallen?«

Dieser Blick und dieser Ton that Fräulein Margarethe wehe. Sie wandte sich weg und sagte kurz und streng:

»Klara, du hast dein Wort gebrochen. Du bist abermals allein ausgegangen, und zwar Abends.«

Klara schwieg. Ohne den Muth zu haben, sie anzusehen, fuhr Fräulein Margarethe fort:

»Man ist dir nachgegangen – du bist bei einem jungen Mann gewesen . . . .«

Klara schwieg. Fräulein Margarethe sah sie an. Sie war sehr bleich und hielt sich mit der Hand am Tische, als suchte sie Fassung zu erringen.

Es folgte eine lange Stille. »Klara!« rief Fräulein Margarethe endlich mit einer Stimme, welche die Angst ihrer Seele verrieth, »Klara, hast du Nichts zu sagen?«

Klaras bleiche Lippen öffneten sich zu einem leisen aber bestimmten »Nein.«

»Dann, Klara,« sagte Fräulein Margarethe in einem kummervollen, aber strengen Tone, »dann will ich dir sagen, welches Schicksal dich erwartet, wozu deine Aufführung, deine Halsstarrigkeit führen wird. Die Gräfin, mit Recht erzürnt über deine Undankbarkeit, hat 156 deine Brüder von deinem Betragen und den schlimmen Gedanken, wozu es berechtigt, in Kenntniß gesetzt. Morgen wirst du dieses Haus verlassen, und zwar mit Schande verlassen, denn die Dienerschaft weiß um deine Wanderungen. Bald werden alle Leute davon sprechen, die an derlei Sachen eine Freude haben. Dein guter Ruf ist verloren.«

Sehr blaß, aber ruhig, sagte Klara mit leiser Stimme: »So ist es schon manchem Unschuldigen vor mir ergangen. Gott sah auf ihn, er wird auch auf mich sehen.«

»Sprich nicht so, Klara,« erwiederte Fräulein Margarethe heftig, »und mißbrauche hier den Namen Gottes nicht. Ich kann es nicht ausstehen, wenn man von Unschuld spricht, während die Handlungen das Gegentheil beweisen. Ich habe keinen besondern Glauben an solche unglücklichen Umstände, welche die Leute zwingen, vor ihren Mitmenschen verbrecherisch zu erscheinen, sich in heimliche Wanderungen einzuspinnen, und dann den lieben Herrgott zum Zeugen aufzurufen, daß sie sich auf guten Wegen befinden. Wisse, Klara, es steht in der Schrift: »Gute Thaten scheuen das Licht nicht.« Solche Heimlichkeiten und solche Umstände findet man nur in Romanen . . . .«

»Nur in Romanen?« fiel Klara mit einem schmerzlichen Lächeln ein.

»Ja, nur in Romanen,« fuhr Fräulein Margarethe mit steigendem Eifer fort. »Dorthin gehören Intrigen, heimliche Spaziergänge und Weigerungen, sich einer wohlmeinenden Freundin zu entdecken. In der wirklichen Welt, Klara, hilft man sich mit Ehrlichkeit und ein Bißchen gesunde Vernunft zurecht. Ich frage dich noch einmal, willst du dich mir anvertrauen? Klara, ich bitte, ich beschwöre dich . . . vertraue dich mir an.«

»Ich kann nicht! es ist unmöglich!« sagte Klara mit Mühe ihre Thränen zurückhaltend.

»Klara,« fuhr Fräulein Margarethe eifrig fort;»ich will das nicht hören. Es ist menschlich zu fehlen, 157 aber man soll nicht dumm sein, denn das ist unmenschlich, weil der Mensch gesunde Vernunft bekommen hat! Deine Aufführung in diesem Augenblick gränzt ans Aberwitzige und durch deinen Eigensinn reizest du gerade diejenige gegen dich auf, die dich retten könnte und so gerne retten möchte.«

»Ich kann es nicht ändern,« sagte Klara, »es mag sein.«

»Du bist unerträglich!« rief Fräulein Margarethe, faßte sich aber schnell, und fuhr mit tiefem Ernst fort: »Uebereile dich nicht! Denke an die Folgen! Es kann schwer fallen, eine Verirrung zu bekennen, aber es ist auch nicht so leicht, ein langes Leben in Armuth und Verachtung dahinzuleben. Besinne dich wohl, Klara. Die Gräfin kann sich noch erweichen lassen, deine Zukunft kann noch gerettet, dein Fehler kann noch verziehen werden, Alles unter einer Bedingung – gestehe.«

»Ich kann nicht und werde nicht,« sagte Klara jetzt mit festem Tone. »Mein Wandel ist rein, aber ich kann ihn nicht an den Tag legen.«

»Noch einen Augenblick,« sagte Fräulein Margarethe mit furchtbarer Bestimmtheit, »dann gebe ich dich verloren. Deine Brüder sind von deiner Aufführung unterrichtet, du hast von ihnen Vorwürfe, vielleicht sogar Verfolgung zu erwarten; die Gräfin wird dich drücken . . .«

»Dem werde ich mich zu entziehen wissen,« fiel Klara mit einiger Gereiztheit ein und machte eine Bewegung, als wollte sie sich entfernen.

Fräulein Margarethe legte die Hand auf ihren Arm und sagte, indem sie sie scharf und prüfend ansah: »Willst du etwa davon laufen? Mit deinem Liebhaber im Lande herumstreichen, und Tragödien . . .«

»Nein, nein, nein!« rief Klara heftig.

»Wähle besser, Klara,« fuhr Margarethe mit kaltem Ernste fort. »Ich will dich retten, ich will Alles für dich thun. Ich fordre, ich erbitte mir nur Eines – 158 dein Vertrauen. Du hast jetzt die Wahl zwischen meinem Schutze und öffentlicher Schande. Wähle!«

»Meine Wahl ist getroffen,« sagte die todtenbleiche Klara leise; »ich bin unschuldig, aber ich kann, ich will es nicht beweisen.«

»So geh!« rief Fräulein Margarethe heftig; »geh! ich glaube nicht an deine Unschuld und will nichts mehr mit dir zu thun haben. Morgen wirst du mit Schmach aus dem Hause gewiesen.«

»Ich werde es nicht abwarten,« sagte Klara, aber so leise, daß Fräulein Margarethens feines Ohr die Worte kaum hörte. Sie ging an die Thüre und schien das Zimmer verlassen zu wollen; allein in dem Augenblicke, da sie die Hand aufs Schloß legte, fühlte sie sich von zwei Armen umfaßt und zurückgehalten. Fräulein Margarethe war es, die sie beinahe mit Gewalt an den Sopha führte, sich neben sie setzte und sie umfaßt hielt, indem sie mit einem Tone, den man hören mußte, um seine Wirkung recht zu verstehen, zu ihr sagte:

»Bist du rasend? – Glaubst du, das könne mein Ernst sein? Glaubst du, ich könne dich verstoßen, Klara? Höre mein Kind! Diese Arme, die dich hier halten, du hast sie gepflegt, deine treue Wartung hat ihnen wieder Stärke gegeben. Darum haben sie sich auch für das ganze Leben um dich geschlossen. Glaube nicht, daß du dich mir noch entwinden kannst, du magst dich so närrisch anstellen, als du nur willst. Höre Klara, mein armes Kind; – du hast unrecht, du hast unverständig gehandelt; – indeß fürchte dich nicht, ich will es womöglich wieder zum Guten zu kehren suchen. Ich bin reich, ich habe für Niemand zu sorgen; du sollst mein Kind sein, Klara. Armes Kind!« fuhr sie fort, indem sie sie inniger an sich drückte, »du bist unvorsichtig, bist exaltirt gewesen . . . aber an ein Verbrechen kann und will ich nicht glauben. Fürchte dich nicht, vertraue dich mir: wir wollen Alles wieder gut machen. Ich könnte mich selbst schlagen, wenn ich dich einer Schlechtigkeit oder 159 Niederträchtigkeit fähig glaubte. Ich will lieber alles Andere glauben; ich will alles Andere auf mich nehmen, tragen und die schlimmen Folgen abwenden. Und du wirst mich in Stand setzen, dieß zu thun; du mußt es, Klara; siehst du, von nun an stehst du in meiner Obhut und ich werde meine Tyrannei über dich unbarmherzig ausüben. Du wirst zu mir ziehen, mein Haus, meinen Tisch, Alles, was ich besitze, mit mir theilen. Du sollst mir deine Wünsche sagen, damit ich sie erfülle, deine Sorgen, damit ich sie beseitige; willst du das Klara, willst du es, mein Kind?«

Klara konnte jetzt nicht antworten. Fräulein Margarethe sah es und hielt das zitternde Mädchen schweigend an ihre Brust gedrückt. »Höre Kind,« fuhr sie dann fort, um ihr Zeit zu geben sich zu beruhigen, »ich verlange nicht, daß du mich schon jetzt lieben sollst – mach dir deßhalb keine Sorge – aber ich biete dir Trotz, ob du es unterlassen kannst, wenn du einmal siehst und fühlst, wie ich meine Hand über dir halten werde. Ich verlange jetzt keine Freundschaft, nur ein Bißchen Vertrauen, ein Bißchen gesunde Vernunft oder einige Folgsamkeit gegen die meinige. Einige Nachgiebigkeit, eine Abbitte und Besserung bist du mir indeß schuldig, denn ich versichere dich, daß es mir ganz übel geworden ist von deinem Geheimniß und von dem unsichtbaren Liebhaber, der Halsbänder und Tüllkrägen verschluckt, wie ein gewöhnlicher Mensch Krammetsvögel ißt; aber am wehesten hat es mir gethan, daß ich dich selbst mitunter wegen noch schlimmerer Unnatürlichkeiten im Verdacht haben mußte. Ich bin überzeugt, daß mir Alles dieses in den Arm gezogen ist und seine Heilung erschwert hat. Indeß bedarf es nur eines Wortes von dir, um ihn in den Stand zu setzen, für dich sowohl gegen Freier und Beschützerinnen, als auch gegen deine eigene Thorheit zu kämpfen. Und ich sage dir, daß ich es auch ohne dieses Wort zu thun gedenke, ja du magst wollen, oder nicht. Ich habe mir vorgenommen, dich nicht mehr frei zu geben, 160 Alles, was dich betrifft, zu meiner eigenen Angelegenheit zu machen. Da magst du thun, was du willst, du wirst jederzeit mein unverständiges, geliebtes Kind bleiben.«

Klara war im Anfang sprachlos vor Ueberraschung gewesen, aber bei diesen Worten, bei diesen Tönen der tiefsten Innigkeit, bei der Gewißheit, eine Freundin zu besitzen, löste sich ihre Seele in ein Gefühl unendlicher Freude und zugleich unendlicher Wehmuth auf. Sie legte stille ihren Kopf an Fräulein Margarethens Schulter und ließ ihren Thränen freien Lauf. Als sie Etwas ruhiger geworden war, sagte Fräulein Margarethe zärtlich und heiter:

»Versprich mir inzwischen wenigstens, daß du nicht davonspringen willst, denn ich fühle, daß mein lahmer Arm noch nicht stark genug ist, um dich festzuhalten.«

»Ich verspreche es,« sagte Klara lächelnd unter Thränen.

»Gut und nun eine Frage: wohin wolltest du so eben gehen? was hattest du im Sinne zu thun?«

»Fort, weit fort . . . in einen Dienst . . .«

»In einen Dienst – bei deinem Liebhaber – bei deinem Mann!«

»Nein, nein! ich habe weder das Eine noch das Andere.«

»Höre Klara,« sagte Fräulein Margarethe in vorwurfsvollem Tone, »verdiene ich noch immer so abgespeist zu werden? . . .«

»Und willst oder kannst du meinen Worten immer noch nicht glauben? Dann liebst du mich auch nicht,« sagte Klara mit Eifer und stand auf.

»Nun, nun, renne nur nicht gleich auf die Thüre zu,« versetzte Fräulein Margarethe und hielt sie an ihrem Kleide, »wir können ja ruhig von der Sache sprechen. Du hast also keinen Mann, du bist nicht heimlich verheirathet . . . folglich ist es ein Bruder, den du besuchst?«

»Frage mich Nichts, frage mich Nichts,« bat Klara heftig aufgeregt. »Ich kann wahrhaftig nicht antworten.« 161

»Und ist es Nichts, dessen du dich zu schämen hast? Erinnerst du dich auch der zehn Gebote Gottes, kannst du die Hand aufs Herz legen und betheuern, daß du unschuldig bist?« sagte Fräulein Margarethe, indem sie Klara aufmerksam ansah.

»Ja das kann ich! Ich bin es!« antwortete Klara und drückte die Hände fest gegen ihre Brust.

»Nun gut, Klara,« sagte Fräulein Margarethe; »ich will dich jetzt nicht mehr mit Fragen quälen. Ich will jetzt nicht länger den Thomas spielen, sondern glauben, wenn ich auch nicht sehe: Ich glaube, daß du meine Freundin bist.« Dabei sah sie Klara mit einem Ausdruck vollkommener Ruhe und inniger Freude an.

Es gibt vielleicht kein so wonniges Gefühl, als das des blinden Vertrauens. Es kann das Thörichtste, es kann aber auch das Weiseste, das Göttlichste am Menschen sein.

»Siehst du,« fuhr Klara fort, indem sie Margarethens Hände in die ihrigen nahm, und sie dabei mit einer gewissen Wildheit und einer Bewegung, welche Fräulein Margarethe noch nie an ihr gesehen hatte, anblickte – »ich habe einen Eid gethan, einen theuren Eid – ich habe auf die Bibel geschworen, zu schweigen. Es war ein furchtbarer Eid in einer schrecklichen Stunde. Verdammung – Tod – gingen darüber.« Klara schauderte zusammen.

»Mein Gott!« dachte Fräulein Margarethe, »hier handelt es sich wieder um ein Majestätsverbrechen. Gott beschütze den König!«

»Aber jetzt,« fuhr Klara fort, indem sie ihre gefalteten Hände und ihre Augen mit brünstigem Danke zum Himmel erhob; »jetzt, von heute an bin ich frei, frei von aller Mitwirkung und allen heimlichen Handlungen, jetzt kann ich in Reinheit und Wahrhaftigkeit vor meinen Mitmenschen einhergehen. Gott sei Lob und Dank dafür gesagt!«

Die Purpurflammen brannten hoch auf Klaras 162 Wangen, ihre Augen strahlten: Fräulein Margarethe fand sie schön, erschrack aber über ihre Exaltation und war unruhig über ihre Worte. Sie legte ihre Hand sanft auf den Arm des aufgeregten Mädchens und sagte mit Nachdruck:

»Klara, ich muß dir jetzt noch eine Frage vorlegen und diese mußt du beantworten: Leidet Niemand durch dein Geheimniß? Ist kein Unrecht, keine Gefahr für Jemand damit verbunden?«

»Nein, nein!« rief Klara, »dieß durchaus nicht. Es ist Alles gut, Alles überstanden, und ich darf von nun an offen handeln. Gott sei Lob und Dank dafür gesagt!«

»So beruhige dich und gib dich zufrieden,« bat Fräulein Margarethe. Allein zu heftige und entgegengesetzte Gefühle hatten Klaras sonst so ruhige, obschon tiefe Seele erschüttert. Ihr ganzes Wesen war aus seinem Gleichgewicht gebracht und sie verfiel in heftige Zuckungen.

Fräulein Margarethe, entzückt und zugleich erschrocken, übergoß sie mit kölnischem Wasser, gab ihr hofmännische Tropfen ein und wünschte jetzt, sie möchte weniger gefühlvoll, weniger exaltirt sein.

Klara wurde allmählig ruhiger und schlief endlich, den Kopf auf ihrer Freundin Schooße, ein.

Da es indeß ganz und gar nicht in Fräulein Margarethens Schicksal lag, daß eine Scene, wo sie eine Hauptrolle spielte, anders als munter endigen konnte, so ging auch dieser Abend nicht zu Ende, ohne daß man beide Freundinnen herzlich lachen hörte.

Fürs Erste gelang es Fräulein Margarethe, wiewohl nicht ohne Mühe, Klara zu überzeugen, daß sie in der Lebensstellung, die sie ihr anbot, ihren Mitmenschen weit mehr Nutzen und Freude gewähren könne, als in jeder andern, und daß sie überdieß auf diese Art den Willen des Herrn erfülle, demzufolge die Menschen einander lieben und gegenseitig glücklich machen sollen. Als dieses festgestellt und abgemacht war, gab Fräulein 163 Margarethe, die sich in ihrer Eigenschaft als mütterliche Freundin für befugt hielt, näheren Antheil an Klaras Erziehung zu nehmen, ihr eine halb scherzhafte, halb ernste Lection über ihre bisherige Aufführung, ihre Gleichgültigkeit, ihre Näherei und ihre Unhöflichkeit, was sie ihr in schauderhaften Farben vormalte. Sie warnte Klara ernstlich davor und drohte, die unglückselige Näharbeit aufs Neue ins Feuer zu werfen, wenn sie sich wieder dadurch verhindern lasse, den Leuten Gehör zu schenken. Klara lachte, versprach Besserung und Fräulein Margarethe versprach ihr dagegen, sie nicht mehr mit dem Heirathen zu plagen. Inzwischen wünschte sie doch, Klara möchte sich in Bezug auf den Baron H. wohl bedenken. Allein das Blatt hatte sich jetzt gewendet und die Frage lautete jetzt nicht mehr, ob Klara des Barons, sondern nur noch, ob der Baron Klaras würdig sei, ob er sie von Herzen liebe und ob er nicht gar zu sehr die Hausfrau im Auge habe. Besonders mußte ausgemittelt werden, woher Filius kam und wessen Geistes Kind er war. Fräulein Margarethe nahm sich vor, auf passende Weise hierüber Erkundigungen einzuziehen. Sodann stellte sie eine Vergleichung an zwischen dem, was Klara ihr vorher gewesen und was sie jetzt war, und schloß mit der Frage:

»Aber sage mir, wie konntest du so taubstumm gegen mich sein?«

»Ich liebte dich damals nicht,« war Klaras Antwort.

»Und jetzt?«

»Jetzt – o schon lange – von ganzem Herzen, für mein ganzes Leben!«


Es ist lieblich, wenn junge Mädchen sich in Güte und Freude an einander anschließen und mit einander leben und spielen, wie die Wogen am Strande, wie junge Blätter, die der Wind zusammenflicht, aber schön ist es, wenn Frauen von edlem und gefestigtem Charakter sich 164 treffen, sich prüfen und schätzen lernen, wenn sie einander wahre Freundschaft schenken. Dieses Freundschaftsband findet sich öfters im Leben, als man im Allgemeinen glaubt, und wo ich zwei Freundinnen unter demselben Dache beisammen sehe, da wird es mir wohl ums Herz, denn ich weiß dann, daß sich bei ihnen dasjenige findet, was das Leben lieblich, die Tage erquicklich und leicht macht.

Und, meine Freunde, was bedürfen wir denn, um glücklich zu sein, mehr, als eine gesetzliche Freiheit, unser tägliches Brod, einen Freund und dann – einiges Reden über das höhere Leben, das uns alle berührt, einiges Nachdenken, einiges Lauschen auf die Gespräche, welche die guten und weisen Männer aller Zeiten mit einander geführt, einige Aufmerksamkeit auf das große Weltdrama und auf die Aussprüche der guten Dichter – ja einige Beschäftigung mit diesen, damit unsere Brust sich erweitere, damit wir besser werden und nicht zusammenschrumpfen in unser kleines Ich, in die Enge hausgebackener Bedürftigkeit!

 


 


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