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Perris glaubte verrückt werden zu müssen, als er den Sturz sah. Das also war das Ende, und der große Kampf sollte niemals ausgefochten werden! Stöhnend ritt er zum Ufer, während er mechanisch das Seil wieder aufrollte.
Zunächst sah er nur die strömenden Wassermassen des Flusses mit ihren Strudeln und Schaumkronen. Doch plötzlich wurde dort unten der Kopf des Hengstes über der Oberfläche sichtbar. Ein langer Baumstamm schwamm wenige Zentimeter an ihm vorbei. Eine Stromschnelle rollte das Tier unter Wasser, aber wieder kam es hoch und schwamm tapfer weiter. Bitterste Wut und Enttäuschung verzehrten Perris und machten sich nun in Worten Luft. »Ersauf, verfluchtes Vieh!« knirschte er, als sich plötzlich, wie zur Antwort, der Körper des Hengstes wunderbar aus dem Strom hob, so daß dem Jäger vor Staunen der Mund offenblieb. Alcatraz hielt sich gegen die Strömung, während sein halber Körper aus dem Wasser ragte.
Die Erklärung war einfach. An dieser Stelle hatte der Fluß eine Bank aus Steinen und Sand gebildet, die der Flut einen starken Wall entgegensetzte. Auf diese Bank war der Hengst gestoßen und hatte sich mit der Strömung herumgedreht, so daß er nun das Tal hinauf und in die anstürmenden Wasser sah. Es war ein Anblick, der ein schwaches Herz wohl erzittern lassen konnte. Aber zum Erstaunen Jims hob der Hengst den Kopf, und im nächsten Augenblick übertönte er mit seinem Wiehern das laute Brausen des Flusses, als wenn er dem Vernichter Trotz bieten und die Götter zum Zeugen anrufen wolle, daß er furchtlos sterbe.
»Beim Ewigen!« brachte Perris atemlos vor, da ihn eine fast abergläubische Furcht packte. Im nächsten Augenblick gab der Grund unter Alcatraz' Hufen nach; der Hengst wurde weggespült, verschwand und kam nach einiger Zeit stromabwärts wieder nach oben.
Perris sah sich um. Er bemerkte eine Reihe von Reitern, graue, gespenstische Figuren, die noch meilenweit entfernt waren. Hervey hielt sein Wort. Aber Jim dachte nicht einen Augenblick an die Gefahr, die ihm drohte. Unten in den donnernden Gewässern starb Alcatraz! Sein ganzes Herz flog dem furchtlosen Hengste zu. Er spornte sein Pferd den Fluß entlang, bis er sich auf gleicher Höhe mit dem tapferen Kämpfer befand; er ritt so dicht wie möglich am Ufer, legte seine Hände an den Mund, rief dem Schwimmenden ermutigende Worte zu, schrie Ratschläge und Warnungsrufe, wenn Baumstämme hinter ihm angetrieben kamen.
Es schien Perris, als sei Alcatraz kein vernunftloses Tier, als besäße er eine Seele, die da zugrunde gehen sollte. Dann sah er, daß die Ufer des Flusses sich senkten, bis sie bis dicht über den Wasserspiegel sich flachten. Mit einem hoffnungsvollen Ruf galoppierte er bis zu diesem Punkt, der vielleicht Rettung versprach, und warf sich aus dem Sattel. Dann ergriff er den Lasso und lief in das Wasser, bis es schäumend mit fast unwiderstehlicher Kraft um seine Hüften brauste.
Konnte sich aber Alcatraz zwischen den schwimmenden Baumstämmen halten, würde er so nah herankommen, daß Perris den Lasso zu werfen vermochte? Und selbst wenn es ihm gelänge, würde der Lasso sich um den Kopf legen, der nur noch mit der Nase und mit den Augen herausragte? Doch selbst wenn die Schlinge faßte, konnte er den Hengst bis ins flache Wasser ziehen, ohne ihn zu erwürgen? Wenn Perris nicht in so maßloser Erregung gewesen wäre, er hätte auch die kleinste Chance, die sich nach all diesen Möglichkeiten ergab, kaum in Betracht gezogen, er hätte sich vielmehr nach seinem Pferd umgesehen, das nun hinter den fliehenden Stuten her in die Freiheit galoppierte. Aber Perris lebte nur für eines und sah nur eines vor sich.
Schnell kam der Hengst näher; er hatte die Ohren angelegt, denn in dem wütenden Fluß nahmen seine Kräfte schnell ab. Unablässig war er von Gefahren bedroht. Während Perris hinsah, schwamm ein großer Baum an, der seine Zweige noch nicht verloren hatte. Der Alarmschrei des Jägers verklang in den tausend Stimmen des Flusses, und die Gefahr brach über Alcatraz' Kopf herein.
Jim Perris schloß die Augen und senkte den Kopf. Aber als er aufsah, war der Baum weit stromabwärts getrieben, und Alcatraz schwamm mitten im Fluß. Doch jetzt kam er nahe, ganz nahe heran!
Perris ging tiefer ins Wasser hinein, so daß es ihm beinahe bis zur Brust ging, streckte die Arme aus und rief den Hengst an. Wäre seine Stimme zehnmal stärker gewesen, so hätte er sich im Gewirbel des Little Smoky nicht verständlich machen können, aber die Bewegung mußte sichtbar sein, und die konnte auch ein Tier verstehen. Der Fuchs verstand sie jedenfalls, denn zur Freude von Perris spitzten sich seine Ohren. Der Fuchs drehte sich herum, soweit er konnte, und schwamm kräftig zum Ufer. In der Stunde der Not war der große Feind zu seiner letzten Hoffnung geworden.
Allein Alcatraz machte nur wenig Fortschritte dem Ufer zu. Für jeden Zentimeter, den er vorankam, trug ihn der Strom einen Fuß mit abwärts. Endlich schwang Perris den Lasso und warf ihn durch die Luft. Die Schlinge fiel gerade über den Kopf des Hengstes, und schon brach der Cowboy in ein wildes Triumphgeschrei aus. Aber einen Augenblick später stöhnte er auf, als der Strom die Schlinge über den Kopf des Pferdes hinwegspülte. Trotzdem gab er den hoffnungslosen Kampf nicht auf und warf die Schlinge wieder und wieder, während er am Ufer laufend mit dem Hengst auf gleicher Höhe zu bleiben suchte. Und auch der Fuchs gab nicht nach. Die letzten heftigen Stöße hatten ihn wieder umgedreht, so daß er nun mit dem Kopf stromaufwärts lag und das Wasser über seine roten, aufgesperrten Nüstern floß. Aber durch den fliegenden Schaum waren seine Augen immer auf Perris gerichtet. Es klang fast wie ein Gebet, wenn Perris »Alcatraz!« rief und das Seil von neuem warf. Endlich sank die Schlinge, die schwer von aufgesogenem Wasser war, über den Kopf des Schwimmers und verschwand im Wasser. Langsam zog Perris das Seil ein, fühlte Widerstand und dann einen Ruck, der ihn beinahe umgeworfen hätte. Die Schlinge hatte den Hals des Hengstes gefaßt. Doch dieser Erfolg drohte verderblich zu werden, denn der Hengst kämpfte mitten in der stärksten Strömung, und der Zug, den Jims Arme auszuhalten hatten, ließ seine Schulterblätter fast unerträglich schmerzen. Dann sank Alcatraz' Kopf allmählich, seine Nüstern weiteten sich, als ob sie platzen wollten, und seine Augen traten aus ihren Höhlen hervor. Die Schlinge erstickte ihn beinahe, und einen Augenblick später verschwand sein Kopf völlig unter der Oberfläche.
Da verließ Jim Perris alle Schwäche. Er spürte plötzlich eine unendliche Kraft in sich, und es gelang ihm, während diese Stärke ihn fast wie eine maßlose Wut erfüllte, Alcatraz allmählich aus dem Griff des Stromes zu befreien und in das etwas ruhigere Wasser zu ziehen, in dem er stand. Verzerrt und undeutlich wie ein Bild in einem trüben Spiegel sah er den Körper des Hengstes unter Wasser auf sich zutreiben. Immer noch war die Wut der Kraft in Perris lebendig; sie befähigte ihn, auf den Hengst zuzuspringen, ihm die erstickende Schlinge vom Halse zu ziehen, den leblosen Kopf mit beiden Händen zu heben und sich zum Ufer durchzukämpfen. Als er den flachen Uferrand erreichte, sank er in die Knie, stand wieder auf, um Alcatraz höher hinaufzuziehen, bis es ihm schwarz vor den Augen wurde, und er vornüber auf das Gesicht stürzte.
Als er wieder zu sich kam, fand er, daß er quer über dem Hals und den Schultern des Hengstes lag. Der Vorderkörper Alcatraz' befand sich auf trockenem Grunde. – Aber hatte er nicht einen Leichnam ans Ufer geschafft?
Er beugte sich zu den Nüstern des Hengstes nieder, fühlte aber keinen Atem. Mühsam erhob er sich auf die Knie und ließ eine Hand unter das Wasser gleiten, um nach dem Herzschlag zu fühlen. Er spürte kein beruhigendes Pochen. Trotzdem aber schien es ihm nicht sicher, daß das Ende gekommen sei, denn das Blut tobte und raste durch sein Gehirn, und er zitterte so heftig, daß sein Tastgefühl ihn leicht hatte täuschen können. Wie lange hatte er bewußtlos gelegen? Eine Minute? Oder eine Stunde?
Wenigstens mußte er versuchen, den Körper noch weiter ans Ufer zu ziehen. Aber seine Kraft genügte kaum, um nur den Kopf des Hengstes zu heben. Vor Anstrengung versagten ihm die Beine den Dienst. Dann saß er am Ufer und hielt Alcatraz' Kopf in seinem Schoß. – Der Jäger und der Gejagte.
Jim Perris war nicht gerade fromm, aber jetzt hob er hilflos die zitternden Hände zum grauen Sturmhimmel über seinem Haupt.
»Allmächtiger Gott!« sagte er. »Ich habe sicher nicht so viel Gutes getan, daß du mich anhören wirst, aber das möchte ich dir doch sagen: wenn das Pferd hier jetzt sterben muß, ist es nicht seine Schuld. Ich habe es in den Fluß gehetzt. Alcatraz ist kein sanftes Lämmchen, aber er hat jedenfalls so gelebt, wie er mußte. Laß ihn leben, dann will ich ihn freilassen. Ich habe kein Recht auf ihn, ich habe ihn nicht gemacht. Ich habe ihn auch nie besessen. Aber laß ihn wieder auf seinen vier Beinen stehen! Laß mich ihn noch einmal galoppieren sehen, ihn, das schönste Pferd, das je einen Narren aus dem Sattel geworfen hat. Dann will ich quitt mit ihm sein!«
Es klang beinahe wie ein Gebet, wenn es nicht wirklich eins war. Als Perris das Haupt in seinem Schoß ansah, zitterte er in fast abergläubischer Scheu wie vor einem Wunder. Ohne Frage hatte Alcatraz tief seufzend Atem geholt.