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Die Zuschauer konnten beim Rennen zusehen, indem sie sich einfach herumdrehten. Natürlich drängten sich die Leute in dichter Masse zu beiden Seiten des Auslaufs, wo der Endkampf stattfinden mußte; aber Corson hatte seinen Platz gut gewählt, so daß die Zielpfosten nur etwa zwölf Meter von ihnen entfernt waren. So würden sie genau sehen, wie die Pferde die Ziellinie passierten. Marianne freute sich, dem Schauplatz des Pferdebrechens den Rücken kehren und ihre eigene Welt ansehen zu können, die sie kannte und liebte.
Die Pferde kamen heraus, um vor den Zuschauern zu paradieren und ihre Muskeln in ein paar Galoppsprüngen zu lockern. Jedes Pferd wurde von seinem Besitzer geritten und trug einen der großen im Gebirge gebräuchlichen mexikanischen Sättel. Für ein Auge, das an Jockeis und rennmäßige Ausstattung gewöhnt war, erschienen die Pferde unter den großen und starken Reitern und dem umfangreichen Sattelzeug klein; aber sie waren alle gut gebaut und bildeten die Auslese der ganzen Gegend. Die Tage der Bastardzucht sind im Westen lange vorüber. Schmalere Köpfe, längere Hälse, größere Schulterfreiheit künden von dem guten Blut, mit dem das ursprüngliche Zuchtmaterial gekreuzt worden war. Immerhin ließ sich die heimische Zucht nicht verkennen, als die Colesschen Stuten nun mit federnden Schritten auf dem Geläuf erschienen und ihre stolzen Köpfe hin und her drehten, während jede von ihnen auf dem Gebiß kaute. Coles hatte sich auf kein Risiko eingelassen. Obgleich er durch das Rennreglement gezwungen war, die vorschriftsmäßigen Gebirgssättel aufzulegen, hatte er die leichtesten Reiter zu finden gewußt, deren schlanke Figuren die Rennmäßigkeit der Stuten ins beste Licht setzten. Neben den gedrungenen Gebirgspferden schienen sie ein wenig auseinander zu fallen, aber Mariannes erfahrene Augen sahen, wie die federnden Fesseln den Staub streiften, und entdeckten die langen, so bezeichnenden Muskeln. Sie stieß einen leisen Schrei aus vor Bewunderung und Freude.
»Sehen Sie die Colesschen Stuten?« sagte sie, »das sind die Sieger, Mr. Corson. Die Ponys können keine paar hundert Meter mit ihnen mithalten.« Corson sah sie ein wenig ärgerlich an. »Seien Sie da nur nicht zu sicher, meine Dame«, grollte er, »mächtig viel Beine, will ich gern zugeben. Aber zu viel für mich. Sind's Vollblüter?«
»Nein«, antwortete sie, »sie haben genug kaltes Blut, um sie nicht zu teuer zu machen. Aber Coles ist ein kluger Geschäftsmann. Wenn sie dieses Rennen gewonnen haben, dann werden sie dastehen wie die größten Derbycracks. Sehen Sie nur, sind sie nicht schön!«
Eines der Gebirgspferde war zu einem kurzen Aufgalopp von etwa fünfzig Metern gestartet; als es bei den Stuten vorbeikam, drehten sich diese herum, um mitzulaufen. Nun wurde der Unterschied zwischen den Galoppsprüngen sehr deutlich. Das Gebirgspferd kam schwer auf und schlug mit dem Kopf; die Stuten liefen in langen, wiegenden Sprüngen. Sie schienen nur die halbe Kraft und weniger als die halbe Geschwindigkeit zu brauchen und blieben doch merkwürdigerweise immer neben dem galoppierenden Pony, bis ihre Reiter sie abstoppten und in einen flotten, raumgreifenden Schritt übergehen ließen. Mariannes Augen glänzten, aber der alte Corson war zu einer anderen Auffassung über den kleinen Vorfall gekommen. Er blies vor Vergnügen die Luft durch die Nase.
»Haben Sie das gesehen, Miss Jordan? Haben Sie gesehen, wie Jud Hopkins Gaul mit den berühmten Colesschen Stuten gelaufen ist? Das hat meinem Herzen gutgetan! Dieser Herr Coles kommt aus dem Osten, um uns armen unwissenden Ranchers zu zeigen, wie ein gutes Pferd sein soll. Er will dieses halbe Dutzend Stuten nach dem Rennen versteigern. Na also, ich möchte keine fünfzig Dollar für das Stück zahlen. Und keiner wird's tun, wenn er erst gesehen hat, wie diese Stuten nicht nach Hause stehen können.«
Dieser »Herr aus dem Osten«, das war ein direkter Angriff gegen das Mädchen. Doch sie lächelte nur.
»Sie glauben nicht, daß sie einundeineviertel Meile durchstehen können, Mr. Corson?«
»Ich glaube es nicht, ich weiß es. Solche Pferde, die wie die Bilder aussehen, gehören in die Bücher, laufen können sie nicht. Nach einer halben Meile sind sie fertig. Sehen Sie nur, wie lang sie sind.«
»Aber ihre Rücken sind kurz«, warf Marianne hastig ein.
»Die Rücken kurz«, höhnte Corson, »aber verehrte Dame, sehen Sie doch hin.«
Sie hielt ihre Antwort zurück. Wenn der eingebildete alte Kerl nicht sehen konnte, wie weit der Widerrist zurückging und wie weit die Nierenpartie noch vorne lag, so daß der eigentliche Rücken sehr kurz war, so mußte die Erfahrung ihn belehren. Trotzdem konnte sie sich nicht enthalten zu sagen: »Sie werden sehen, wie sie im Rennen durchhalten, Mr. Corson.«
»Wir werden es beide sehen«, antwortete er, »da kommt ein Herr, der heute Geld verlieren wird!«
Ein großer Mann mit rotem Gesicht, der den Hut weit nach hinten geschoben hatte, und dem der Schweiß über die Backen lief, drängte sich durch die Menge und rief mit lauter Stimme:
»Hier ist Geld auf Lady Mary! Halte jeden Satz auf Lady Mary!«
»Das ist Colonel Dickinson«, sagte Corson, »er kommt jedes Jahr hierher, um zu wetten, und findet meist die Sieger heraus. Aber heute ist er auf dem Holzweg. Er hat sich von den Beinen dieser Colesschen Pferde blenden lassen. Aber er wird genug Leute finden, welche die Wetten halten.«
In der Tat wurde Colonel Dickinson von rechts und links angehalten und konnte die vorteilhaftesten Wetten abschließen.
»Ich habe heute morgen selbst ein bißchen Geld gegen Lady Mary angelegt.« Corson kicherte bei dem Gedanken an den leichten Verdienst.
»Was macht Sie denn so sicher?« fragte Marianne, denn sie merkte, daß, selbst wenn sie das Glück hätte, die Stuten zu erwerben, sie von Corson etwas lernen könne, ehe Lew Hervey die Pferde kritisierte.
»So sicher? Jeder der nicht halb blind ist –« Aber da fiel ihm ein, daß er zu einer Dame sprach; so fuhr er freundlicher fort: »Die Stuten sind gar keine Pferde – das sind Tricks. Sehen Sie nur, wie knochig ihr ganzes Untergestell ist, Miss Jordan.«
»Wenn das erst ein bißchen ausgefüllt wird –« begann sie.
»Unsinn! Die werden nie richtig ausgefüllt! Viel zuviel Beine, um wirklich ein Pferd abzugeben – zuviel Luft unter ihnen. Außerdem, wie sollen sie jemals bei den Herden gebraucht werden können? Die dummen Biester tragen die Köpfe viel zu hoch; ein Pferd, das nicht mit tiefem Kopf laufen kann, nützt gar nichts, wenn die Herde über vierzig Morgen verstreut ist. Erzählen Sie mir nichts!«
Er schnitt jeden Widerspruch ab, indem er mit gebieterischer Gebärde die Hand hob. Marianne war so verzweifelt, daß sie sich zu der hinter ihr sitzenden Mrs. Corson umdrehte, aber die alte Dame lächelte träumerisch hinter ihrer Brille; sie schien wie im Nebel die Schluchten des Adlergebirges vor Augen zu haben. So unterdrückte Marianne klugerweise ihre Antwort und lauschte auf das eigenartige Stimmengewirr, das aus einer Menge von Männern und Frauen aufsteigt, wenn Pferde ein Rennen laufen sollen. Es gibt keinen ähnlichen Klang. Die Pferde sammelten sich jetzt am Start; Marianne sagte nicht ganz ohne Bosheit: »Vermutlich ist das eine von Ihren Gebirgstypen? Dieser verblaßte alte Fuchs, der da gerade zum Start geht?«
Corson wollte antworten und rieb sich dann die Augen, um abermals hinzusehen.
Es war Alcatraz, der dort zur Startlinie schlenderte, während seine müden Hufe bei jedem Schritt eine kleine Staubwolke aufwirbelten. Er ging mit gesenktem Kopf; die Ohren hielt er in einer traurigen und verdrossenen Art angelegt. Auf seinem Rücken saß Manuel Cordova in einem himmelblauen enganliegenden Dreß. Er ritt den müden Fuchs mit beiden Händen, sein Oberkörper neigte sich ein wenig nach vorn, seine ganze Haltung verriet verzweifelte Angespanntheit. In dem Gegensatz zwischen der wie auf Draht gezogenen Nervosität des Mexikaners und der schläfrigen Unbeteiligtheit des Hengstes lag etwas so Groteskes, daß ein leises Lachen aus der Menge an der Startlinie aufstieg und über das Feld schwebte.
»Vermutlich werden Sie sagen, daß das lange Haar gut dazu ist, ihn im Winter warm zu halten«, fuhr Marianne sarkastisch fort. »Was seine Beine betrifft, so scheinen sie mir ebenso lang zu sein, wie die längsten der Stuten.«
Corson schüttelte begütigend seinen Kopf.
»Sie können nie wissen, was ein verrückter Mexikaner tun wird. Wahrscheinlich reitet er in dem Rennen nur, um seinen Dreß zu zeigen. Das Pferd ist keineswegs ein Gebirgstyp.«
»Vielleicht halten Sie es für einen Vollblüter?« fragte Marianne.
Corson seufzte, da er fühlte, daß er in die Enge getrieben war.
»Jedenfalls im Gebirge gezogen«, gab er zu. »Aber Sie finden überall schwache Pferde.«
»Trotzdem«, meinte Marianne, »kommt es mir so vor, als ob das Pferd gute Renneigenschaften hätte.«
Diese Bemerkung zog ihr einen verächtlichen Blick der ganzen Familie Corson zu. Was würden sie von ihr denken, wenn sie wüßten, daß ihre ganzen Hoffnungen sich auf ebendiesen Hengst konzentrierten? Nun hatte sich Stillschweigen über die Menge gesenkt, so daß Corsons Flüstern fast laut erschien.
»Sehen Sie, wie still die Gebirgspferde stehen! Die wissen, was kommen soll. Und sehen Sie, wie die verrückten Stuten herumtanzen!«
Die Colesschen Pferde taten das allerdings nach Kräften und tänzelten von einer Seite des Geläufs auf die andere.
»Oh«, rief Mrs. Corson, »was für ein tückisches Vieh!« Alcatraz war plötzlich aufgewacht und hatte mit beiden Hinterbeinen nach seinem Nachbar geschlagen. Glücklicherweise verfehlte er sein Ziel, aber der Starter lief über die Bahn und ermahnte Cordova mit erhobenem Finger. Dann ging er auf seinen Platz zurück. Die Menge atmete erwartungsvoll. Da knallte der Startschuß.
Die Antwort darauf war ein Vorwärtsstürmen niedrig über dem Boden liegender Pferde, von einer weißen Staubwolke gefolgt. Corson lachte laut vor Vergnügen. In der Spitzengruppe lagen nur Gebirgspferde; die Colesschen Stuten lagen im Hintertreffen, und ganz zuletzt lief unlustig Alcatraz, von der Staubwolke halb zugedeckt.
»Warten Sie nur ab«, sagte Marianne, die ganz aufrecht dasaß, »die Ponys mit ihren kurzen Beinen können schnell starten, aber das ist alles. Wenn die Stuten erst in Fahrt kommen – jetzt, jetzt, jetzt! Oh, ihr prachtvollen Tiere! Ihr lieben Tiere!«
Das Feld kam in die erste Kurve, und die Stuten, die in einer Gruppe zusammen liefen, begannen allmählich zu den führenden Pferden aufzurücken. Die Gebirgspferde schienen zweimal so schnell als die Stuten zu laufen, aber der lange rollende Galopp der Stuten brachte sie in einem fröhlichen Sturmwind an die führenden Pferde heran. Als die Cowboys die Kanonade der Hufschläge hörten, griffen sie zur Peitsche und gaben die Sporen, aber nach einigen hundert Metern ließ Lady Mary ihre Schwestern hinter sich und gewann an den müde werdenden Gebirgspferden vorbei die Führung. Marianne brach in einen Ruf des Entzückens aus; sie hatte längst vergessen, daß sie den Sieg der Stuten eigentlich gar nicht erhoffen dürfte. Ihr einziger Wunsch war, daß sich das Vollblut beweisen und ihr Urteil gerechtfertigt würde.
»Sie werden nicht durchhalten«, knurrte Corson; seine Stimme war im Lärm der aufgeregten Menge kaum zu hören. »Sie können diese Pace nicht durchstehen. Nach einer Weile fallen sie zurück, und die Ponys gehen allein ins Finish.«
»Hast du gemerkt«, warf Mrs. Corson ein, »daß der alte, arme, verblaßte Fuchs ganz gut in Schuß kommt?«
Als die Stuten die Führung übernahmen, sah man Alcatraz dicht bei den Gebirgspferden. Er lief willig und leicht, wie es schien, mit starkem, elastischem Schwung.
»Aber – aber das ist nicht dasselbe Pferd!« brachte Marianne erstaunt hervor.
Allerdings war Alcatraz in der Bewegung gänzlich verändert. Die Löcher zwischen seinen Rippen waren nicht mehr sichtbar, und sein zerbrochener Geist schien wie umgewandelt.
»Es sieht mir ganz so aus«, sagte Marianne, »als ob der Mexikaner das Pferd sogar noch pullt.« Denn Cordova ritt mit vorgestreckten Beinen und tiefen Fäusten, so daß er den Kopf des Pferdes nach unten zog. »Außerdem macht er nicht die geringste Anstrengung, sein Tier außen um die Stuten herumzunehmen oder durchzuschlüpfen. Was ist denn mit ihm los?«
Nach drei Viertel der Strecke lagen die Stuten in einer Gruppe viele Längen vor den andern zusammen, um »nach Hause« zu ziehen. Die Köpfe der einheimischen Pferde fuhren in die Höhe, ein sicheres Zeichen, daß die Tiere am Ende ihrer Kräfte waren, und auch Corson versank in mürrisches Schweigen, da er an seine Wette gegen Lady Mary dachte, und die Stute mit voller Kraft allein in Front ging. Ein Blick auf ihre gespitzten Ohren erzählte genug. Marianne sah, daß der lange Colonel Dickinson ganz in der Nähe vor Freude herumtanzte. Der Anblick erweckte in ihr einen merkwürdigen Verdacht. Wenn er nun den Ruf kannte, den Alcatraz hatte, und Cordova von ihm bestochen war, im letzten Moment sein Pferd zu pullen, damit die Wette auf Lady Mary nicht verlorenging? Denn offensichtlich hielt der Mexikaner sein Pferd zurück.
»Lady Mary gewinnt!« rief der Colonel. »Vorwärts, altes Mädchen, zeig's ihnen! Lady Mary! Lady Mary!«
Marianne hob ihr Glas und betrachtete aufmerksam durch die Staubwolke das Laufen der Pferde.
»Es ist so, wie ich dachte«, rief sie, ohne das Glas von den Augen zu nehmen. »Der Schuft pullt Alcatraz! Er reitet, als ob er sich vor etwas fürchtet – vielleicht, daß das Pferd ausbricht. Sehen Sie nur, Mr. Corson.«
»Ich weiß nicht«, sagte Corson, »aber es sieht etwas seltsam aus.«
»Natürlich hält der Kerl das Pferd mit Willen zurück. Jetzt drängt er es an die Barriere! Der Schuft!« Sie stieß einen hellen Wutschrei aus. »Jetzt sägt er sogar mit dem Gebiß! Und der Fuchs legt die Ohren zurück! Ich kann seine Augen blitzen sehen. Es ist, als ob er einfach davonginge, wenn er ihn nicht hielte. Und jetzt – jetzt – jetzt! Jetzt nimmt er das Gebiß zwischen die Zähne und streckt den Hals. Mr. Corson, ist es zu spät für Alcatraz, das Rennen noch zu gewinnen?«
Sie ließ das Glas sinken, da sie es nicht mehr brauchte. Als das Feld um die letzte Kurve in die Gerade einbog, machte Cordova eine letzte krampfhafte Anstrengung, um die Herrschaft über sein Pferd wiederzugewinnen, und gab es dann auf, während sich seine Augen vor Entsetzen weiteten. Alcatraz hatte ihm die Zügel genommen.
Von da ab lief der Hengst sein eigenes Rennen. Er ging mit ein paar Sprüngen an den Cowboypferden vorbei und rückte zu den führenden Pferden auf. Sein Name war der Menge bekanntgeworden, weil er so schäbig aussah. Nun wurde er laut gerufen. Denn jeder Rancher und jeder Ranchangestellte in Glosterville hoffte auf Alcatraz, um die heimische Zucht gegen die langbeinigen Stuten zu verteidigen, die nur aus dem Osten eingeführt wurden, um die Landesprodukte zu beschämen. Ein Ruf stieg wie klagender Chorgesang über die Bahn: »Alcatraz!« und wieder »Alcatraz!«, während die schrillen Schreie der Cowboys über dem Ganzen zitterten. Es schien, als ob der Fuchs die Rufe beantworte und sich nun erst richtig zu strecken begänne.
Die Reiter der Stuten spürten die Gefahr und, obgleich Lady Marys Sieg sicher schien, wollten sie lieber nichts riskieren, sondern begannen, nach Hause zu reiten. Aber Alcatraz gewann immer mehr Boden. Vom vorwärtsgestreckten Kopf bildete er über den Widerrist, die Kruppe und den nachwehenden Schweif eine gerade Linie. Seine Ohren lagen nicht zurück wie die Ohren eines Pferdes, das sein Letztes gibt, sondern er drückte sie wie in verzehrender Wut fest an den Kopf. Dieselbe ungebändigte Leidenschaft glühte in seinen Augen und zitterte in seinen aufgeblähten Nüstern. Es war, als strengte ein Mensch sich da an, und es wirkte geradezu erschreckend bei einem Tier. Marianne sah, daß Colonel Dickinson die Finger der einen Hand vor seiner Brust im Rock verkrampfte, während die andere seinen Hut zurückschob. Niemals in ihrem Leben hatte sie eine solche Mischung von Furcht und Ungläubigkeit gesehen.
Dann sah sie wieder auf das Feld, das sich nun in drei Teile geschieden hatte. Die Gebirgspferde lagen hoffnungslos zurück, die Colesschen Stuten führten immer noch gut, aber zwischen den beiden Gruppen schob sich Alcatraz in langen Sätzen immer mehr nach vorne, ohne von seinem Reiter unterstützt zu werden. Der Leichtgewichtjockei Lady Marys half seinem Pferd, indem er sich im Sattel hob und sich dem Schwung ihres Galopps anpaßte, aber Manuel Cordova saß im Sattel, als wenn er aus Blei wäre. Der oberflächlichste Beobachter konnte sehen, daß der Mann vor Erstaunen außer sich war; er ritt, als ob er gelähmt sei und Alcatraz sein Rennen allein denken und laufen müsse.
Etwa hundert Meter vor dem Ziel erreichte er die Gruppe der Stuten und begann an ihnen vorbeizugehen, während der Staub in Wolken zur Seite zog. Die Menge starrte mit offenem Munde, denn als er die Stuten passierte, war es unmöglich, seinen Speed zu beurteilen. Aber nach einem erstaunten Atemholen brachen sich Hochrufe Bahn. In Marianne stritten die Gefühle miteinander. Wenn der Fuchs siegte, so war das für ihre Brieftasche sehr angenehm, soweit es sich um den Kauf der Stuten handelte; aber dieser Sieg bedeutete einen schweren Schlag für ihren Stolz als Pferdekennerin. Außerdem erregte irgend etwas an dem Hengst eine Abneigung in ihr. Auch ihn schien Haß gegen Cordova vorwärtszutreiben, denn weder seine Schulterpartie noch die kaputte Hinterhand hätten ihn in dieser mörderischen Pace halten können.
Ganz im Winkel ihres Gesichtsfeldes sah sie undeutlich, daß der alte Corson mit offenem Munde blaß vor Aufregung unwillkürlich mit den Händen die Bewegungen der weit ausgreifenden Beine begleitete, dann sah sie wieder auf Lady Mary. Mit jedem Sprung fiel die Stute gegen den unermüdlichen Hengst zurück. Noch lief sie mit tiefem Kopf und streckte sich tapfer, aber ihr Galopp schien bereits ein wenig zu schwanken; offensichtlich war Lady Mary sehr, sehr müde.
Mit Peitsche und Sporen schoß sie in die letzten hundert Meter, während jeder Sprung eine Antwort auf die Aufforderung des Reiters zu sein schien; sie gab ihr ganzes Herz in diesem Rennen, aber immer noch gewann der Fuchs an Boden. Bald war seine Nase in gleicher Höhe mit ihrer Hinterhand, und immer noch rückte er auf. Trotzdem erschien der Fuchs noch viel ausgepumpter als die Stute. Wenn in ihrem schwerfällig werdenden Galopp ein Schwanken war, so konnte sein Sprung fast ein Straucheln genannt werden. Trotzdem aber warf er sich buchstäblich in das Finish hinein. Von seinem Reiter wurde er nicht unterstützt. Aber alle Rancher in der Menge brüllten seinen Namen und schwangen mit seinen Sprüngen in der Bewegung des Finishs mit, als ob die Konzentration ihres Willens und ihrer Körper auf geheimnisvolle Weise dem kämpfenden Pferde neue Kräfte geben könnte.
Fünfzig Meter vor dem Ziel streckte er die Nase neben Lady Marys Schulter, und Marianne sah den Kopf der Stute hochfahren. Sie war fertig, aber der Hengst war es auch. Er taumelte im Sprung wie ein Betrunkener; dann aber sah Marianne, wie er den Kopf schüttelte, wie er ihn wieder vorstreckte und sich neben dem Halse der Stute vorschob, bis er ihre Ohren erreichte – und weiter, weiter.
Fünfhundert Stimmen schrien seinen Namen, um ihn durch das Finish zu bringen: »Alcatraz!« Dann hatten die Pferde die Ziellinie passiert, und die Reiter parierten durch. Es war nicht schwer, Alcatraz zu stoppen. Als er bei Marianne vorbeikam, zog er die Beine mühsam im Schritt am Boden entlang, ein müdes Stück Pferdefleisch, dessen Ohren immer noch trübselig flach am Kopf lagen.
Aber wer hatte gewonnen? Der Lärm war so groß, daß Marianne den Namen des Siegers nicht verstehen konnte, als die Schiedsrichter ihn ausriefen und ihre Arme schwenkten, um Stillschweigen zu gebieten. Dann sah sie Colonel Dickinson mit gesenktem Kopf davongehen. Der dicke Mann knickte in den Knien ein, sein Gesicht war blaß und aufgedunsen. So wußte sie, daß der schäbige Fuchs wirklich gewonnen hatte. Mut bedeutet die Stärke der Schwachen, aber bei Alcatraz war es der Haß, der die Stelle des Mutes eingenommen hatte.