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13.

Wie Ettore eines Mittags auf dem Markusplatz umherschlenderte, um die Fremden und die Auslagen der Geschäfte zu betrachten, fiel ihm schon von weitem eine Dame auf, die von der Riva herkam. Sie war groß und schlank und von jenem sicheren Auftreten, das ein ausschließliches Eigentum der Töchter Englands und Amerikas ist. Sie trug eine sehr elegante, helle Toilette, über dem phantastisch großen Hut einen flatternden, weißen Schleier und auf dem Arm einen winzigen, weißen King Charles, der ausschließlich aus glänzenden Hängeohren und einer rosa Atlasschleife zu bestehen schien. Ettore, dem ihre vom Schleier umflatterte Silhouette gefiel, faßte sie scharf ins Auge und bemerkte mit Vergnügen, daß sein Blick alsbald die gewünschte Wirkung tat.

Die Dame wandte den Kopf nach ihm, kniff die Augen ein wenig ein, als wolle sie ihn deutlicher sehen, und begann mit ihrem Hündchen eindringlich und zärtlich zu sprechen. Ettore lächelte und schritt mit der lässigen Eleganz, die ihn nie verließ, langsam der Fremden entgegen. Wie er näher kam, war's ihm plötzlich, als sei sie ihm gar keine Fremde, als müsse er irgend einmal diese Silhouette und dies Gesicht schon gesehen haben. Auch über die Dame ging es wie eine Erinnerung, sie faßte ihn ohne jede Koketterie, nur mit dem deutlichen Wunsch des Erkennens fest mit dem Blick, und so gingen sie Auge in Auge aneinander vorüber. Als jeder den andern etwa zwei Schritte hinter sich hatte, wurde es plötzlich klar in ihnen. Sie blieben stehen, machten kehrt, gingen mit ausgestreckten Händen, wenn auch noch ein wenig zögernd, aufeinander zu:

»Miß Beaufort!«

» O, il Conte Priuli!«

Ja, das war ein seltsames und fröhliches Wiedersehen nach langen Jahren! Sie wollten aber im Augenblick gar nicht wissen, daß viel Zeit zwischen ihnen lag, denn jeder war ganz aufrichtig entzückt vom andern. Ettore suchte alsbald sein halbvergessenes, halsbrecherisches Englisch hervor, um Miß Beaufort zu versichern, daß sie noch viel schöner geworden sei, soweit das überhaupt möglich war, und sie wiederum sah ihn mit dem Lachen an, das ihn einst betört hatte, und entgegnete:

»O, Conte Priuli, Sie sind noch ganz der alte!«

Weil um diese Zeit kaum jemand in den Cafés auf dem Markusplatz saß und ihr beiderseitiges Mitteilungsbedürfnis groß war, setzten sie sich in den kühlen Bogengang, der das »Aurora« umfängt, teilten sich bei Eis und Graniti ihre wichtigsten Lebensschicksale mit.

Miß Beaufort hieß schon lange nicht mehr »Miß Beaufort«. Aus der Heirat mit dem Earl war zwar aus Gründen, die sie nicht angab, nichts geworden, dafür aber hatte sie in Paris den Herzog de Bressières geheiratet, den letzten, völlig entarteten Sprößling seiner alten Rasse, dessen Schulden so beträchtlich waren, daß die Erbinnen Europas davor zurückschreckten. Miß Beaufort aber mit dem praktischen Sinn und dem straffen Säckel der Amerikanerin hatte gefunden, daß jedes Ding seinen Preis hat, und daß man nicht knausern und feilschen dürfe, wenn es sich um eine Herzogskrone handelte. So war sie Duchesse de Bressières geworden, hatte bei ihrer Trauung einen Brautschleier getragen, der mit dem Wappenspruch und den heraldischen Emblemen der Bressières durchwebt war, hatte mit der ganzen Aristokratie des Faubourg Saint-Germain verkehrt und nur ein einziges Mal Anstoß erregt, als sie nämlich einen verlotterten, alten Baron mit einem fürstlichen Gehalt als Portier engagierte. Der Herzog hatte ständig viel Geld verbraucht, sonst aber seine Frau in keiner Weise behelligt und war vor etwa zwei Jahren ohne ersichtlichen Grund gestorben. Auf die Tatsache seines Ablebens schien die Witwe besonderen Wert zu legen, denn sie betonte bei jeder Gelegenheit, daß sie wirklich verwitwet und nicht etwa geschieden war, wie es heutzutage häufiger Brauch ist. Sie faßte das Ableben ihres Gatten offenbar als einen besonderen Vorzug auf und kam sich rührend vor, weil sie ihn ein Jahr lang in Schwarz und mit der weißgeränderten Kreppschnebbe betrauert hatte. Im übrigen war sie frisch und heiter wie immer, bombardierte, während sie sprach, Ettore mit verwegenen Blicken und schloß ihren kurzen Lebensbericht mit den Worten:

»Da Mama ja auch schon lange tot ist und ich niemand mehr habe als Darling,« das war der King Charles mit den Ohren und der Atlasschleife, »so reise ich wieder in der ganzen Welt umher und suche mein Vergnügen! So bin ich auch wieder nach Venedig gekommen, obgleich die Stadt ja nicht sehr amüsant ist und mir nach Paris und London sehr krähwinkelig vorkommt. Aber schließlich muß man auch wieder einmal etwas Kunst sehen, und auch sonst habe ich ja nur hübsche Erinnerungen von hier mit fortgenommen –«

Sie tätschelte Darling, der stupid und temperamentlos auf ihren Knien lag, versuchte, ihm mit dem Eislöffelchen von ihrem Gefrorenen einzuflößen, blitzte dabei mit ihren kecken Augen Ettore lachend an.

Ihm war wohl, wie seit langem nicht mehr. Die ganze Atmosphäre, die um diese Frau war, belebte, ergötzte ihn wie damals, vor Jahren, weil er aufs neue in ihr das gleichgeartete Geschöpf spürte. Er dachte gar nicht mehr daran, wie ihre innere Roheit ihn einmal verletzt, wie die Abweisung, die er von ihr erfahren, ihn beleidigt hatte; er hörte jetzt nur ihr Lachen, sah die offenherzige Koketterie, mit der sie versuchte, ihn aufs neue zu erobern, und alles, was gewesen war, schwand vor der derben Lebensgier, die von ihr ausging und die seine erweckte.

Die amerikanische Herzogin hatte eigentlich nur einige Tage in Venedig bleiben wollen, nun aber, da sie sich mit einem alten Bekannten so gut unterhielt, verschob sie ihre Abreise auf unbestimmte Zeit. Sie wohnte wieder im Hotel Danieli, führte drei Domestiken und auch eine Gesellschaftsdame mit sich, die freilich meistens sich selbst überlassen war, denn die Herzogin besaß ein großes Talent, überall Bekanntschaften zu machen, und fand dann die Gegenwart der Gesellschafterin überflüssig, wenn nicht gar lästig. Da kam nun Ettore wieder wie einst ins Hotel Danieli, wechselte mit dem Portier, der ihn noch von früher kannte, die gewohnten Redensarten über Wetter und Trinkwasser, saß dann der Herzogin gegenüber und redete mit ihr wenig ernsthafte und sehr viel törichte Dinge, bei denen sie beide sich köstlich amüsierten. Nie sprachen sie von irgend etwas mit wirklichem Gefühl, aber mit einer gewissen trivialen Sentimentalität, die ihnen selber wie Empfindung vorkam, erinnerten sie sich zuweilen an die Zeit, da sie sich zuerst kennen gelernt, und taten dann wohl so, als ob sie inzwischen viel Tiefes und Schmerzliches erfahren hätten. Einmal ergriff Ettore die reichberingten Hände der ehemaligen Miß Maud und fragte mit zärtlichem Vorwurf:

»Maud, böse, süße Maud, warum haben Sie mich damals nicht geheiratet? Wir hätten doch so gut zueinander gepaßt!«

Maud sah ihn ernsthaft und erstaunt an.

»Warum hätt' ich Sie heiraten sollen? Mir stand doch noch die ganze Welt offen, genau so wie heute. Wenn man jung ist, hat man keine so übermäßige Sehnsucht, sich in einer kleinen Stadt zu begraben. Mich reizte die große Welt, an die ich gewöhnt war, und ich habe es auch nicht zu bereuen; der Herzog von Bressières war als Ehemann sehr angenehm, wenn er auch ein bißchen viel Geld gekostet hat ...«

Sie lachte bei diesen Worten spitzbübisch, so daß Ettore sich sein Teil über die menschlichen Qualitäten des verstorbenen Herzogs denken konnte. Neid und Zorn stiegen in ihm auf, wenn er bedachte, was mit dieser Frau an ihm vorübergegangen war. Hier, bei ihr und um sie war diese Atmosphäre märchenhaften Reichtums, die ihm stets als das beste vom Leben erschienen war, und inmitten dieser Atmosphäre stand sie so fest, so unbekümmert frisch, ohne Schwerfälligkeit, ohne Gefühlssubtilitäten, die ihn langweilten oder erbitterten. Er dachte an Elisabeth, an sein eigenes Heim, und da war's ihm, als hätte ihn das Schicksal gefoppt, und als müsse er den Tag zehnmal verwünschen, an dem er in übereiltem Groll auf diese hier sich für zeitlebens an das Fräulein von Schöttling gebunden hatte.

Gefühle und Gefühlssubtilitäten kannte die Herzogin von Bressières wirklich nicht, aber ein klein wenig Kulturfirnis hatte sie sich doch im Faubourg Saint-Germain angewöhnt. Sie wußte jetzt schon, daß der Colleoni nicht ein Vorfahre von Ettore Priuli gewesen, und sie affektierte eine Kunstbegeisterung, der zuliebe sie von Galerie zu Galerie eilte und sich nicht mehr damit begnügte, vor jedem Präraffaeliten auszurufen: » O, how lovely!« Sie sprach jetzt ziemlich gewandt, wenn auch ohne wirkliches Verständnis über die lombardische, die toskanische oder die venezianische Schule und erzählte Ettore, daß es ihr Ehrgeiz sei, allmählich die schönste Privatgalerie der Welt zu besitzen. Von irgendeinem System oder einer persönlichen Vorliebe ließ sie sich bei der Erwerbung ihrer Bilder nicht leiten. Sie kaufte nur zusammen, was an berühmten Gemälden gerade zum Verkauf stand, schickte zu allen interessanten Versteigerungen ihre Agenten und ließ soeben in New York einen Palast aufführen, der die künftige Galerie bergen und den Namen »Ducheß of Bressières Gallery« führen sollte.

»So, dear Conte, nun wissen Sie ungefähr, was ich für die nächste Zeit plane! Nun erzählen Sie mir aber auch ein wenig von sich und wie es Ihnen in all der Zeit ergangen ist, seit wir uns zuletzt gesehen haben!«

Ettore zuckte die Achseln, machte ein etwas verdrießliches Gesicht.

»Mein Gott, Herzogin, was kann ich Ihnen von mir viel erzählen! Ich habe mich verheiratet, habe zwei Kinder –«

»Wen haben Sie geheiratet?«

»Meine Frau ist eine Deutsche, eine deutsche Offizierstochter!«

»Nein, wie romantisch!«

Ettore meinte in diesen Worten einen spöttischen Vorwurf zu spüren und beeilte sich, der Amerikanerin klarzumachen, daß seine Frau Vermögen in die Ehe gebracht hätte. Die Herzogin hörte ihm aufmerksam zu und meinte:

»Also nicht nur Romantik, sondern auch noch Geld! Wahrhaftig, Conte, Sie haben Ursache, mit Ihrem Los zufrieden zu sein! Mir scheint aber, Sie sind es nicht –«

»Ich war es bis heute!«

Es war ein klein wenig wahre Empfindung in dem, was Ettore da sagte, zum größten Teil aber war es nur die galante Schmachterei, die er hübschen Frauen gegenüber gerne anlegte. Die Herzogin täuschte sich auch über die Tragfähigkeit seiner Antwort nicht, wie sie sich überhaupt von ihm und seinesgleichen viel weniger täuschen ließ, als er meinte. Wohl blieb sie immer noch in Venedig ihm zuliebe, weil es ihr Spaß machte, mit ihm zu flirten, aber sie kannte ihm gegenüber weder tiefere Zuneigung noch gar irgendeine Absicht. Der Ehrgeiz ihres Lebens war an dem Tage gestillt worden, da sie Herzogin von Bressières wurde, jetzt dachte sie nur daran, ihre junge Witwenschaft zu genießen und entweder durch ihre Eleganz oder durch ihr Kunstmäzenatentum von sich reden zu machen. Sie war fest entschlossen, ihren Titel nicht gegen einen geringeren einzutauschen und sich überhaupt nur wieder zu vermählen, wenn ein Prinz aus regierendem Hause in Frage kam. Ettore aber verstand diese einfache amerikanische Psychologie nicht. Er bildete sich ein, daß er heute einen ungleich tieferen Eindruck auf Maud machte als damals, und er verwünschte immer wieder seine Ehe, die ihn nun daran hinderte, sein wahres Glück zu erreichen.

Maud sagte:

»Kann man Ihre Frau nicht einmal sehen? Ich bin doch sehr neugierig auf sie und möchte sie gerne kennen lernen!«

Ettore beeilte sich zu versichern, daß Elisabeth und er glücklich sein würden, die Herzogin im Palazzo Priuli zu empfangen. Maud nickte.

»Schön, ich werde in den nächsten Tagen meinen Besuch machen. Meinen Besuch bei Ihrer Frau! Außerdem will ich natürlich Ihre Galerie mit der berühmten ›Dogaressa‹ sehen! Ich begreife gar nicht, daß mir das Bild damals, als ich zuerst in Venedig war, entgangen ist!«

»Sie interessierten sich damals nicht für italienische Bilder, ausschließlich nur für den Empfang am englischen Hofe!« sagte Ettore mit zärtlichem Vorwurf. Maud lachte, meinte gleichmütig: »Ja, ja, der Mensch ändert sich mit den Jahren,« und kehrte mit einer Hartnäckigkeit, die Ettore erstaunte, zu Elisabeth zurück.

»Sie haben mir noch immer nicht gesagt, wie Ihre Frau ist!«

»Mein Gott, kann Sie das wirklich so sehr interessieren?«

»Sehr!«

»Also: sie ist schlank und blond und hat blaue Augen und sehr guten Teint –«

»Und Sie sind jedenfalls sehr glücklich mit ihr?«

»O ja.«

»Das klingt nicht enthusiastisch!«

»Wenn der Mensch acht Jahre lang verheiratet ist, blaßt der Enthusiasmus allmählich ab. Und dann müssen Sie wissen, meine Frau ist ein sehr merkwürdiges Wesen. Sehr kompliziert, sehr ... sehr ... ja, ich weiß nicht recht, wie ich Ihnen das beschreiben soll! Sie hat eine Seele, verstehen Sie?«

Maud sah ihn überrascht an.

»Natürlich hat sie eine Seele, die haben wir doch alle!«

»Ach nein, nicht so. Wissen Sie, was bei meiner Frau, bei einer deutschen Frau diese sogenannte Seele ist, das verstehen weder Sie noch ich. Das ist ein Vorwand, um einen bei jeder Gelegenheit zu hofmeistern, von oben herab zu nehmen oder gar mit tränenvollen Augen entsetzt anzusehen, selbst wenn man gar nichts getan hat. So eine Seele wird auf die Zeit einfach unerträglich, für mich wenigstens, und ich glaube, Maud, auch Sie könnten nicht mit einem Mann leben, der solch eine Seele hat!«

»Gott bewahr' mich davor! Ich habe so etwas zwar nie aus der Nähe gesehen, aber ich kann es mir schon ungefähr vorstellen. Ich hätte übrigens nicht geglaubt, daß die Deutschen sich immer noch mit solch antiquierten Dingen abgeben.«

Sie hätte gerne noch mehr von Ettores Ehe gehört, aber er ließ sich nicht auf diesem Thema festhalten. Die Stunde bei Maud war immer so schön, so heiter, daß er sie sich durch nichts verkümmern lassen wollte und alle peinlichen Gedanken draußen, vor dem Portal des Hotel Danieli, warten ließ. Und trübe Gedanken mehrten sich bei ihm von Tag zu Tag, denn aus Pisa kamen Jammerbriefe, und es gab fast unausgesetzt Streit zwischen Elisabeth und Ettore, denn Elisabeth fand, daß man sich von der verblendeten Eleonore endgültig losmachen müsse, während Ettore stets die Partei der Schwester nahm, sie entschuldigte und beklagte und immer wieder Geld für sie von seiner Frau forderte. Freilich sah er ein, daß es ihm auf die Länge nicht möglich sein würde, die Schwester samt ihrem Ausbeuter über Wasser zu halten, und sein ganzer Wunsch ging jetzt dahin, eine große, eine ungeheuer große Summe zu besitzen, so daß er für Jahre hinaus imstande gewesen wäre, die Hände der Schwester zu füllen, wann immer sie zu ihm kam. Wenn er jetzt in dieser Stimmung die Herzogin von Bressières sah, hätte er am liebsten höhnisch aufgelacht über sein eigenes Mißgeschick und seine eigene Torheit. Da saß die Frau vor ihm, die den unermeßlichen Reichtum in Händen hielt, und er war doch für immer getrennt von ihr, weil er damals nicht verwegen und stark genug gewesen war, sie zu halten, weil er, statt mit ihr um sie selber zu ringen, sie willig aufgegeben hatte, wegen einer sentimentalen Grille, die er selbst nicht mehr verstand. Weil ihm das Herz sehr voll war und man mit Maud über praktische Dinge gut reden konnte, erzählte er ihr auch von dem Schicksal seiner Schwester und jammerte über die trostlose Lage, in der sie sich befand, und in die sie auch allmählich ihre ganze Familie hineinzog. Maud meinte ruhig:

»Bieten Sie dem Menschen doch Geld, damit er außer Landes geht, weit fort, wo Ihre Schwester ihn nicht erreichen kann!«

»Eleonore liefe ihm nach, bis ans Ende der Welt!«

»Bis ans Ende der Welt, – das ist nur eine Redensart! Bleiben wir bei der Wirklichkeit, Conte! Wenn er sich morgen nach Südamerika einschifft, und sie erfährt es erst zwei Tage später, ist die Sache mit dem Nachlaufen schon bedeutend erschwert!«

Ettore sah sie verblüfft an.

»Aber er denkt gar nicht daran, sich einzuschiffen oder überhaupt Italien zu verlassen!«

»Man muß ihm den Gedanken eben plausibel machen, natürlich mit Geld plausibel machen! Sagen Sie ihm, er soll den Dienst quittieren, und deponieren Sie für ihn auf einer Bank in Rio oder in Buenos Aires 100 000 oder 200 000 Lire, die er erheben kann, sobald er drüben ankommt ... Sie werden sehen, das zieht ihn hinüber wie der stärkste Magnet!«

»Nein, Maud, das alles geht nicht!«

»Warum geht es nicht?«

»Zunächst würde er nur hinüberfahren, um das Geld zu holen, und käme alsbald zurück.«

»Das glauben Sie nur, weil Sie niemals drüben gewesen sind! Sie wissen ja gar nicht, welchen Reiz das Leben drüben hat, gerade für Menschen, die hier herüben immer mit dem Pfennig rechnen müssen und drüben mit einemmal Geld verjubeln können!«

Ettore sagte beschämt:

»Ja, ich habe aber gar nicht so viel Geld, um es ihm zum Verjubeln zu geben! Wir sind nicht in der Lage, mit den Hunderttausenden um uns zu werfen!«

»Ich denke, Sie haben eine reiche Frau geheiratet?«

»Nur reich nach deutschen und nach unseren Begriffen.«

»Ja dann freilich ...«

Maud setzte das Gespräch nicht fort, aber um ihren Mund lag ein Zug von geringschätzigem Mitleid, der Ettore verdroß. Und voll Zorn dachte er an Elisabeth, die, wie er meinte, an dieser Beschämung Schuld trug, weil sie sich nicht willig dazu hergab, das Paar in Pisa mit allen Mitteln zu unterstützen.

Noch ehe die Herzogin ihren Besuch im Palazzo Priuli gemacht hatte, lernten sich die Damen auf etwas seltsame Weise in den Giardini Publici kennen. Elisabeth, die jetzt öfters hinüberfuhr, um dort mit Carlo spazierenzugehen, stand mit ihm gerade vor dem Denkmal des am Nordpol verschollenen Leutnants Guerrini, den Carlo persönlich gekannt hatte, und ließ sich über das Leben und Verschwinden dieser tapferen Jugend erzählen, was Carlo davon wußte. Wahrend sie ihm zuhörte, sah sie von ferne ein elegantes Paar den Weg nehmen, der auf das Denkmal zuführte, und erkannte alsbald Ettore mit einer fremden, etwas auffallenden Frau. Die Begegnung wurde allseits oder vielmehr von dreien als peinlich empfunden, nur Maud lachte unbekümmert ein keckes Lachen, das Elisabeth empörte und zugleich so befangen machte, als wäre sie wirklich in irgendeiner Art schuldig gewesen. Als die üblichen Vorstellungsformeln und höflichen Redensarten erledigt waren, gingen die beiden Paare nun anders geordnet in dem großen Park ziellos umher, voran Elisabeth und Maud, hinter ihnen Carlo und Ettore Priuli. Die Stimmung war überall betreten und unbehaglich. Die Männer redeten abgerissen und verdrießlich über allgemeine Dinge, die sie gar nicht interessierten, Elisabeth und Maud suchten Anknüpfungspunkte, fanden sie aber nicht, weil Elisabeth, die wohl merkte, daß sie unversehens in falschen Verdacht geraten war, ihre Befangenheit unter einer kleinen Hochmutsmiene verbergen wollte und doch empfand, daß die Amerikanerin ihr nicht glaubte und sie im Innern belächelte. Während sie so nebeneinander dahingingen, wurde Elisabeths Gesicht immer heißer, ihre Verwirrung immer größer, und sie zermarterte sich den Kopf, um eine Ausrede zu finden, die sie von der lästigen Gesellschaft befreien konnte. Da auch Maud nach einiger Zeit fand, daß sie nun wieder lieber allein mit dem scharmanten Ettore sein wollte, stieg man wieder in die Gondeln, um noch ein wenig in der Lagune umherzufahren und vielleicht irgendwo, wo es einem gerade gefiel, anzulegen. Nun saßen wieder Maud und Ettore, Carlo und Elisabeth beisammen, aber Heiterkeit wollte nur bei dem ersten Paar aufkommen. Die andern beiden blieben schweigsam und fanden sich nicht mehr zusammen, so daß Elisabeth jetzt, wo aller Frohsinn von ihr geschwunden war, mit forschenden Augen ihren Mann und die Amerikanerin betrachtete und sich fragte, ob ihr auch die letzte Demütigung von ihm nicht erspart bleiben sollte ... Die Gondel, in der Ettore und Maud saßen, fuhr zuerst im Kielwasser der anderen, langsam aber, ganz langsam blieb sie hinter ihr zurück, und mit kaum merklicher Steuerung der Ruder nahm sie eine andere Richtung, daß sie klein und kleiner zu werden schien und schließlich im Blau der Lagune verschwunden war, ohne daß Carlo und Elisabeth es sogleich bemerkten. –

Einige Tage später erschien die Herzogin von Bressières im Palazzo Priuli. Sie wurde mit großer Liebenswürdigkeit empfangen, nicht nur von Ettore, sondern auch von Elisabeth, die sich heute, in ihrem eigenen Heim, ungleich sicherer fühlte als auf fremdem Boden, und die der Herzogin zeigen wollte, daß sie sich weder schuldbewußt fühlte noch eifersüchtig war. Sie hatte für diesen Besuch, den sie erwartete, sehr sorgfältig Toilette gemacht und gab sich Mühe, nicht befangener und stiller zu sein als die Amerikanerin mit ihrer selbstsicheren Heiterkeit, aber Ettore fand dennoch im stillen, daß seine Frau verblüht, wie ein ausgewischtes Pastell neben der kräftigen Frische Mauds aussah, und daß ihr Anzug bürgerlich wirkte neben der Lorgnonkette, die Maud trug, und die immer abwechselnd aus einem Solitär und einem Rubin bestand. Nach einer halben Stunde etwa stand Maud auf, schüttelte Elisabeth herzlich die Hand:

»Ich hoffe, Contessa, Sie auch bei mir zu sehen, obgleich ich hier ja nur sur la branche lebe! Aber ich denke, daß wir uns auch im Danieli ganz gut unterhalten werden! Und nun, Conte, zeigen Sie mir Ihre Galerie!«

Ettore begab sich mit Maud in die Gemäldegalerie, zeigte ihr die verschiedenen Bilder, erläuterte sie mit eingelernten Phrasen wie ein Kastellan. Maud besichtigte alles, gab ein Urteil ab, das sie für sachverständig hielt, und das Ettore höchst überflüssig fand, weil er überzeugt war, daß sie von Bildern genau so wenig verstand wie er selbst. Vor der ›Dogaressa‹ blieb sie lange stehen, musterte sie zuerst durch das Lorgnon, dann nähertretend mit unbewaffneten, zugekniffenen Augen, trat wieder ganz zurück, legte die Hand beschattend an die Schläfe und sagte schließlich:

»Ungewöhnlich! Ja, das ist etwas Ungewöhnliches!«

Sie überlegte zwei oder drei Augenblicke, wandte sich dann zu Ettore, der einen Schritt hinter ihr und ein wenig beiseite stand:

»Ich will dies Bild kaufen. Was kostet es?«

Ettore, der ihre Worte für einen allerdings nicht ganz verständlichen Scherz hielt, lächelte verbindlich und entgegnete nichts. Sie aber fragte zum zweitenmal, schärfer als vorhin:

»Hören Sie, Conte, ich beabsichtige, dies Bild zu erwerben. Machen Sie mir Ihren Preis!«

Nun merkte Ettore, daß es ihr ernst war, und er beeilte sich, zu erwidern:

»Das Bild ist unverkäuflich!«

»Wieso unverkäuflich? Sie haben ja noch gar kein Gebot getan!«

»Es ist unverkäuflich!«

»Lächerlich, nichts auf der Welt ist unverkäuflich! Hören Sie mich, Conte, und überlegen Sie meinen Vorschlag! Ich glaube, der höchste Preis, der bis jetzt für ein Bild, einen Rubens, gezahlt wurde, war in London 80 000 Pfund. Ich biete Ihnen für die ›Dogaressa‹ 2 Millionen Lire!«

Vor den Augen Ettores, der bis jetzt alles nur für Gerede und Spiel gehalten hatte, begann es zu flimmern. Er preßte die Hände zusammen wie ein Verzweifelter.

»Ich kann Ihnen das Bild nicht geben.«

»Aber warum nicht?«

»Weil ich mit dem Gesetz in Konflikt käme. Wissen Sie denn nicht, Maud, daß die Ausfuhr von Kunstgegenständen bei uns durch ein Gesetz verboten ist?«

»O, das ist ein sehr dummes Gesetz!«

Sie betrachtete wieder das Bild, dann Ettore und fuhr mit der Hartnäckigkeit eines Menschen fort, der gewöhnt ist, alles zu haben, was ihm gefällt:

»Sie werden doch nicht glauben, daß dies törichte Gesetz für mich ein Hindernis ist ...«

»Es geht wirklich nicht, Maud, glauben Sie mir doch!«

»Also schön, dann lassen wir es! Ich hätte gar nicht geglaubt, daß Sie so eigensinnig sein können!«

Sie schien ein wenig zu schmollen und wandte sich zum Gehen. Sie hatte aber doch bemerkt, daß in seiner scheinbar so bestimmten Ablehnung eine leise Unsicherheit zitterte, und wenn sie auch jetzt von dem Erwerb des Bildes nicht weiter sprach, so war sie doch entschlossen, nicht davon abzustehen und die Zaghaftigkeit Ettores mit ihrer eigenen naiven Skrupellosigkeit zu übertäuben.

In Ettore wirkten ihre Worte mächtig nach. Wo er ging und stand, hörte er immer die Verheißung, die sie so leichthin gegeben, eine Verheißung, die ihm endlich die märchenhafte Summe versprach, an der sein und seiner Schwester Glück und Freiheit hing. Wieder und immer wieder durchjagte er mit heißem Kopf alle blendenden Möglichkeiten, die er mit dieser Märchensumme erkaufen konnte, und er wußte nun, daß er von Mauds Angebot nicht mehr lassen konnte, wenngleich das Gesetz dagegen sprach. Wichtig war jetzt nur noch auszufinden, wie man, ohne Aufsehen zu erregen, das Gesetz umgehen konnte, und weil Ettore an diesen Gedanken alle Klugheit und alle Inbrunst wandte, deren er fähig war, fiel ihm auch allmählich, im Laufe der nächsten Tage, ein Plan ein, der wohl gelingen konnte, und der auch den ungeteilten Beifall der Herzogin von Bressières fand.


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