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3.

Elisabeth von Schöttling stand am offenen Fenster des kleinen Salons, der zwischen den beiden Schlaf-Zimmern lag und sah hinaus auf den Canal Grande, an dessen Ufern Palast an Palast gereiht in der Morgensonne lag. Köstliche Pergolen wechselten mit Säulen und Fassaden des San Sovino, mit Friesen, Balkonen und Pilastern von heiterer Festlichkeit. Die einen sahen gewaltig, die andern prunkvoll oder verlottert aus, den mochte ein Eroberer, jenen ein fröhlicher Genußmensch oder ein toller Verschwender gebaut haben, aber wer immer den Odem des Lebens ihnen eingeblasen hatte, – sie hatten ihn bewahrt, wie sie ihn empfingen, und trugen ihn weiter über Jahrhunderte, Krieg, Völkergeschick und Verfall bis auf den heutigen Tag, daß der Wasserarm, in dem sie sich spiegeln, einer geheimnisvollen Quelle gleicht, der die Kraft gegeben war, dem Tode zu wehren und längst Vergangenes durch Zauberkraft festzuhalten. Unwirklich, nicht einmal wie ein Märchen, sondern nur wie die Spiegelung eines Märchens, lag Venedig da, nur die Vaporetti, die auch zu dieser frühen Stunde fleißig und geräuschvoll den Kanal auf und ab fuhren, brachten durch das wirbelnde Geräusch ihrer Räder und die bunte Menge, die sie verfrachteten, den Lärm und das Getriebe des lebendigen Tages in diese Palaststraße, die der Vergangenheit und den großen Erinnerungen geweiht scheint. Elisabeth sah hinaus, wie sie jeden Morgen hinaussah, ungläubig, erstaunt, so als ob sie's noch immer nicht fassen könne, daß dies alles nun ihr und ihren durstigen Augen gehöre. Sie wandte den Kopf zurück zu ihrem Vater, der am Frühstückstisch saß:

»Kannst Du's fassen, Papa, ich noch immer nicht! Ich meine immer noch, eines Morgens müßt' ich aufwachen, daheim in München, und merken, daß alles nur geträumt war!«

Der Oberst lachte.

»Unser italienischer Traum dauert jetzt schon Wochen, und da hab' ich mich allmählich daran gewöhnt!«

»O sag' nicht ›gewöhnt‹! Gewöhnen kann man sich an alles mögliche, aber an Venedig nie, nie ... Mir kommt's schon immer so töricht vor, daß man hier essen und schlafen muß, wie sonst auch, statt zu schauen, immerfort zu schauen. Ich hab's wie ein Fieber in mir, daß ich meine, ich müßte jeden Tag auspressen und genießen, als ob er mein letzter wäre!«

»Ich genieße jeden Venezianer Tag lieber so, als ob er mein erster wäre, als ob ihm noch eine endlose Reihe von seinesgleichen folgen müßte.«

Elisabeth dachte eine Sekunde nach.

»Ja, das ist wohl auch klüger, und ich möcht' es auch, aber ich kann nicht. Es ist wie eine Angst in mir, daß mir etwas von all dieser Schönheit entrinnen und daß ich's dann nie mehr einholen könnte.«

Der Oberst nickte.

»Das ist die Jugend mit ihrer schönen Zügellosigkeit! Mädel, Du weißt gar nicht, wie gut Du's hast, daß Du in Deinen jungen Jahren Italien auf- und abkutschieren darfst. Ich hab's nicht so gut gehabt!«

»Du warst aber doch schon als junger Mensch einmal hier!«

Die Augen des Obersten leuchteten auf.

»Ja, freilich, als ganz junger Dachs mit ein paar mühselig ersparten Kröten. Für acht Tage in einem italienischen Beisel hat's gereicht! Aber was waren das für acht Tage! Herrgott, was für Tage! Damals war man eben jung und genau so verrückt wie Du heut, obgleich ich für mein Mittagessen nicht so viel zahlen konnte, wie wir heute hier für eine Flasche Selterwasser.

Aber Venedig bleibt immer Venedig, und wie man's erreicht, ist schon ganz gleichgültig, wenn man's nur erreicht!

Aber sag', Liesel, willst Du nun immerfort am Fenster stehenbleiben und das schöne Frühstück kalt werden lassen?«

»Ich habe gar keinen Hunger!«

»Ach was, keinen Hunger! Der Mensch muß ordentlich frühstücken, immer und in allen Lebenslagen, hauptsächlich auf Reisen! Also mach' keinen Unsinn, komm her und trinke Deinen Tee!«

Elisabeth trat lächelnd vom Fenster zurück und setzte sich ihrem Vater gegenüber an den Frühstückstisch, auf dem alles stand, was ein erstes Hotel zum Déjeuner complet serviert. Sie trug kein Morgenkleid, sondern war schon wieder wie gestern zum Ausgehen fertig, aber trotz der Ungeduld, die sich in dieser morgendlichen Bereitschaft verriet, und trotzdem sie behauptet hatte, daß sie gar keinen Hunger habe, aß sie jetzt doch mit dem Appetit ihrer Jugend, so daß der Vater lange vor ihr fertig war und sich in das Studium der deutschen Zeitung versenkte, die er gestern abend gekauft hatte. Elisabeth las indes im Bädeker nach, was man gestern gesehen hatte oder heute sehen konnte. Als der Oberst seine Zeitung zu Ende gelesen hatte, fragte er:

»Also, wie war doch das Programm für heute? Wenn ich mich recht erinnere, vormittags die Gemäldesammlung im Palazzo Priuli, dann San Zaccaria und San Giovanni e Paolo, und nachmittags nach Chioggia. Das alles aber natürlich nur, wenn es Dich nicht müde macht!«

Elisabeth schüttelte den Kopf. Nein, hier war sie nie müde. Befand sich immerfort in einer leisen, köstlichen Erregung. Es war ihr, als ob ihr Körper gar keine Schwerkraft mehr besäße, sondern gleich einem leuchtenden, durchsichtigen Vogel von Schönheit zu Schönheit flog, immer höher und höher in eine blaue, unnennbare Ferne hinein, in der es nichts mehr gab als Seligkeit.

Jeder junge, empfindsame Mensch, der zum erstenmal italienischen Boden betritt, kennt den romanischen Rausch, in dem der Germane und Nordländer seine Geistesschwere vergißt und mit Staunen sieht, wie schön eine Welt sein kann, in der es kein Regenwetter und keine abgrundtiefen Probleme gibt. Wenn Elisabeth diesen Rausch stärker empfand als die meisten anderen, so war's vielleicht, weil sie die Sehnsucht ihrer ganzen Familie im Blute trug, weil die Schöttlings, dies verarmte bayerische Adelsgeschlecht, ihrem Drang und ihrem Wesen nach Künstler waren, wenn sie gleich aus Standes- und Sparsamkeitsrücksichten immer wieder den Offiziersberuf wählten. Nur einer von ihnen, Peter von Schöttling, der ums Jahr 1830 herum lebte, hatte, weil er ein ungewöhnliches Talent war, seiner großen Leidenschaft folgen und Maler werden können. Er hatte mit König Ludwig I. die Italienreise gemacht, war ein Freund Rottmanns gewesen, und die alte Pinakothek in München bewahrt noch ein paar im Stil seiner Zeit gemalte treffliche Landschaften von ihm. Das war aber auch der einzige, der seine Sehnsucht hatte ausleben dürfen; bei den anderen reichte weder das Können noch das Geld, und sie wurden Soldaten, weil sie im Kadettenkorps einen halben Freiplatz bekamen, und weil ihre Väter immer gerade noch die dreißig Mark Zulage für ein Infanterieregiment aufbringen konnten.

Weil sie allesamt Künstlernaturen waren, heitere oder versonnene Idealisten, lag die ewige Geldmisere nicht gar zu schwer auf ihnen; sie träumten wohl davon, wie schön das sein müßte, wenn man so leben könnte, wie der Peter von Schöttling gelebt hatte, dilettierten wohl auch in ihren Mußestunden ein wenig mit Pinsel und Palette herum, aber dann gingen sie auch wieder als brave Soldaten zum Dienst und taten ihre Pflicht, wenn auch keiner von ihnen eine Leuchte der Strategie oder des Kriegshandwerks wurde.

Seltsam und tragikomisch war es, daß diese Menschen, die so gerne von den Notwendigkeiten des Lebens gar nichts gewußt hätten, durch die Verhältnisse gezwungen waren, diesen Erbschaftsprozeß zu führen, der in der Tat bis zu einem der bayerischen Kurfürsten zurückreichte und sich um Millionenliegenschaften drehte. In diesem Prozeß stritten zwei Linien Schöttling gemeinsam gegen eine dritte, die sich jene Liegenschaften kraft irgendeiner unklaren Ehe angemaßt hatte, stritten mit ihr über ein Jahrhundert hinweg mit einer Ausdauer, einer Zähigkeit und einer Empörung, als ob sie allesamt die zwei Ur-Schöttlinge wären, die den Erbschaftsprozeß zuerst angefangen hatten. Geschlechter kamen, liebten, haßten, hofften, alterten und starben, – aber der Prozeß dauerte fort. Jede Hoffnung begann bei ihnen mit den Worten: »Wenn wir den Prozeß erst gewonnen haben ...«, und jede Entsagung senkte grimmig das Haupt: »Ja, wenn wir den Prozeß schon gewonnen hätten ...« Der Prozeß war schließlich wie ein unsichtbares, aber lebendiges Wesen geworden, das mit ihnen ihre Tage teilte, sie erfüllte, umzingelte, jeder Süße und jeder Bitternis seinen Namen lieh. Und doch dachten die wenigsten von ihnen, die da verbissen von Instanz zu Instanz stritten, an unerhörte materielle Genüsse, an Luxus und Verschwendung, die ihnen aus dem endlich erreichten Schatz kommen sollten. Sie stritten, weil ihnen der Prozeß vererbt war wie eine Charaktereigenschaft, und weil in ihnen allen die Sehnsucht Peter von Schöttlings trieb, die endlich einmal vom halben Freiplatz im Kadettenkorps und im Infanterieregiment befreit sein wollte, um das Leben in Schönheit und Kunst zu leben, von dem Geschlecht auf Geschlecht vergebens träumte. Auch der Oberst Schöttling hatte in seinen Knabenjahren gemeint, daß der Prozeß wohl gewonnen sein würde, bis er das Kadettenkorps verließ, und daß er dann für Jahre hinunterziehen dürfte nach Italien, um Maler zu werden, wie's der Vorfahre gewesen war. Aber auch ihm ging's nicht anders wie den andern, denn die Entscheidung des Prozesses verzögerte sich immer noch, nur die dreißig Mark Zulage blieben. Weil der Leutnant Schöttling aber von Hause aus ein gescheiter Mensch und obendrein halb und halb ein Sohn der neuen Zeit war, die vom Träumen und Sehnen nicht mehr gar so viel wissen mochte, kam er über den Durchschnitt hinaus, wurde Geschichtslehrer an der Kriegsakademie, erreichte es, daß er in den Stab kam, und schien bestimmt zu sein, eine große oder wenigstens sehr gute Karriere zu machen. Da kam aber bei ihm doch wieder die künstlerische Unbedachtsamkeit zutage, er verlobte sich mit einem blutarmen Mädchen, das geduldig mit ihm wartete, bis er als Hauptmann sie heiraten konnte. Rasch nacheinander kamen vier Kinder, unter ihnen drei Söhne, deren Existenz sich abermals auf den halben Freiplatz im Kadettenkorps und die dreißig Mark Zulage aufbaute. Dann begann die Frau zu kränkeln, Aerzte und Badereisen zu bedürfen, und alles, was sonst an die Hausfrau und Mutter kam, legte sich nun auf die Schultern der jungen Elisabeth. Eine wegen beiderseitiger Armut aussichtslose Neigung zu einem Leutnant im Regiment ihres Vaters warf die ersten tieferen Schatten über ihre Seele und ihr Gesicht, und die Jahre, die nachkamen, hielten mit feinen, mit ganz feinen Linien den Umriß der Schatten fest. Die Mutter starb, für den Vater war es Zeit, in Pension zu gehen, und er siedelte aus der teueren Pfalzgarnison, in der sie zuletzt gestanden hatten, nach München über, weil Elisabeth, die ein hübsches, wenn auch nicht aufsehenerregendes Talent besaß, Malerin werden wollte. Sie studierte fleißig in einer Malschule ganz moderner Richtung, bekam durch ihren guten Namen und mancherlei Beziehungen von früher her auch allerlei Aufträge für Kinderportraits oder Kopien, aber sie fühlte doch bald, daß ihre Begabung nicht ausreichte, um ihrem Leben einen Inhalt zu geben, wenngleich sie natürlich die Einnahmen, die ihr die Bilder brachten, nicht hätte missen mögen. Denn das billige München war unaufhaltsam teurer geworden, die drei Brüder reichten schon lange nicht mehr mit ihrem bescheidenen Wechsel, und der Oberst war froh, daß die Tochter wenigstens nicht von ihm forderte, sondern bescheiden und still das kleine Hauswesen führte und selber verdiente, was sie an Extraausgaben benötigte.

Endlich war dann der Prozeß gewonnen, der die Lage der Familie mit einem Schlage glänzend gestaltete, und als ersten Genuß des Besitzes gönnten sich der Oberst und Elisabeth die italienische Reise, die zunächst bis Neapel führen sollte. In Anbetracht des ungewöhnlichen Ereignisses hatte auch der jüngste Bruder, der in einer kleinen, fränkischen Garnison war, einen vierzehntägigen Urlaub erhalten, und das Kleeblatt reiste in hellem Jubel ab.

Ueber Mailand ging die Fahrt in kleine Nester und Städte, die durch große Offenbarungen der Kunst für alle Zeiten geweiht sind. Der Oberst und Elisabeth schwelgten in primitiven Fresken, in naiven Gobelins, in präraffaelitischen Märtyrern und Allegorien, der Leutnant aber stand ziemlich teilnahmslos umher und schien von allem, was er sah, ziemlich oder gründlich enttäuscht. Denn Otto von Schöttling war ein aus der Art geschlagener Schöttling und Bayer, dem wenig Kunstbegeisterung im Blute lag, der nicht als Aesthet, sondern als Beobachter reiste und obendrein noch das »Uns-kann-keiner-Gefühl« des jungen Neudeutschen mit sich trug und zur rechten Zeit laut werden ließ. Er sah überall Verlotterung, Faulheit, Schmutz und Unredlichkeit, wo Vater und Schwester malerische Wirkung und kindliche Harmlosigkeit erblickten, und erklärte bald, er hätte schon genug vom Bilderrummel, und der Geruch der Kanäle sei so entsetzlich, daß er ihn auf die Länge nicht aushalten könne. Erstaunt, ungläubig hörten der Oberst und Elisabeth, was er sagte, und begriffen ihn nicht, begriffen vor allem nicht, wieso sich gerade hier, in dieser märchenhaften Stadt eine so tiefe Verschiedenheit der Ansichten geltend machen konnte.

Dann bat wohl Elisabeth: »Geh', Papa, erzähl' ein wenig, wie alles war, wie Du zum erstenmal hier warst!«

Und der Oberst, der sich selbst gern der alten Zeiten erinnerte, fing an zu erzählen, wie schlecht damals, so ums Jahr 1875 herum, die Schiffe und wie lang die Fahrt gewesen, wie es in Venedig damals noch keine Wasserleitung und keine Vaporetti gegeben habe, sondern nur Ziehbrunnen und die schwarzen Gondeln, wie das alte Getto noch bestanden habe, starrend vor Schmutz, aber in den Tiefen seiner Trödlerläden seltene Altertümer bergend, wie die Straßen und Plätze kaum je gekehrt wurden und von Bettlern erfüllt waren, und wie er und der andere junge Dachs, mit dem er gereist war, an der Speisenkarte ihrer Trattoria gemächlich von den Preisen herunterhandeln konnten. Elisabeth hörte solche Geschichten vom früheren Venedig zu gern, der Leutnant aber meinte mit gönnerhaftem Lächeln:

»Donnerwetter, Papa, das muß eine schöne Wirtschaft gewesen sein und eine schöne Trattoria!«

Der Oberst entgegnete ruhig:

»Wir waren anspruchsloser als Ihr heutzutage! Ihr habt's besser und wollt's immer noch besser haben!«

Der Leutnant wurde rot und klein. So hatte er's ja nicht gemeint, er wollte den Vater ja nicht kränken und war doch weiß Gott für sich persönlich nicht anspruchsvoll. –

»Laß gut sein, ich weiß schon, wie Du es meinst! Elisabeth und ich, wir sind eben die Rasse von früher, und Ihr die neue. Wir beten noch an, was unsere Vorfahren angebetet haben, Ihr aber seid aus anderm Stoff und wollt selber Vorfahren sein!«

Sie verfolgten das Gespräch nicht weiter.

Der Oberst dachte dann wohl ein wenig darüber nach, wie seltsam verschieden von ihm doch seine Söhne waren, von denen es keinen zur Kunst hinzog, obgleich sie jetzt doch hätten tun und lassen können, wozu die Neigung sie trieb. Der eine wollte nur zur Kavallerie übertreten, der zweite ging mit dem Gedanken um, den bunten Rock auszuziehen, um Elektrotechnik zu studieren, und der Jüngste hier träumte nur von weiten Auslandreisen, von dem Posten eines Militärattachés bei Gesandtschaften in Japan, China oder Amerika.

»Meine nächste Reise aber geht nach England. Ich will den Platz aufsuchen, wo wir nach dem nächsten Krieg dem King den Frieden diktieren!« setzte er lachend, aber doch mit einem Unterton von Ernst hinzu.

»Ja, ja, der Vorfahre!« sagte der Oberst mit leiser Ironie.

Hinwiederum neckte der Leutnant Elisabeth gern, wenn sie bei Fahrten auf dem Canal Grande oder bei Spaziergängen durch die winkelige Stadt immer wieder in Bedauern ausbrach, daß so viele der alten Paläste von einstens zu Registraturen, Gasthöfen, Bilder- und Glaswarenniederlagen degradiert worden waren, vor allem, daß sich heute im Palaste der Catarina Cornaro das Leihhaus befindet. Er sagte dann wohl: »Ich wette, Liesel, die Dogen wären mit dieser Wandlung ganz zufrieden und die Republik Venedig auch. Das waren doch alles nur Krämer und Händler, und ein Leihhaus ist ein Geschäft wie ein anderes auch.«

»Aber findest Du's denn nicht jammervoll, daß diese großen Familien so heruntergekommen sind, daß sie ihre Paläste zu Bureaux oder Kaufläden hergeben müssen?«

»Du lieber Gott, was soll einem das Haus ohne Schnecke und der Palazzo ohne Geld! Ich finde es noch ganz vernünftig, daß sie sich nicht mit altem Krempel plagen, der für sie keinen Wert mehr hat.«

»Ich kann nicht so denken wie Du! So oft ich am Palazzo Manin vorbeikomme, muß ich immer daran denken, wie Papa uns erzählte, daß zu seiner Zeit der letzte Nachkomme der Manins auf dem Markusplatz Streichhölzer verkauft hat!«

Der Leutnant lachte.

»Wenn sie dem guten Papa da nur nicht einen Bären aufgebunden haben! Außerdem war der letzte Manin ein simpler Advokat und die Republik von 1848 etwas so Klägliches, daß sie ihrem Schöpfer danken durfte, als sie beim vereinigten Königreich Italien unterkriechen konnte!«

Es kam bei allen Ironien und Neckereien nie zum Streit, aber alle drei waren froh, als der Leutnant Venedig verließ. Beim Abschied sagte er noch:

»Also, Liesel, bis wir uns wiedersehen, wird Deine Verstiegenheit überhaupt den Pegel erreicht haben, und ich freu' mich schon, Dich allmählich auf mein ordinäres Niveau herunterzubringen, denn so schätzt Ihr beide mich jetzt doch ein, das weiß ich schon!«

Elisabeth lachte und wehrte ab, aber sie freute sich, daß nun niemand mehr sie in ihrer Schwärmerei und ihren Phantasien störte. Immer tiefer versanken die beiden in den romanischen Rausch, schoben die Abreise nach Florenz immer weiter hinaus, weil Venedig sie so fest gefangen hielt. Alles erschien ihnen hier köstlich und zauberhaft, obwohl es ihr Empfinden verletzte, wenn sie immer wieder merkten, daß das alte Venedig der Neuzeit Konzessionen machte, versuchte, sich ihr anzupassen und sie zu sich hereinzulocken. Sie empfanden das als stillos und kleinlich, hätten lieber gehabt, daß es nach königlicher Macht stolz in königlichem Verfall beharrt hätte. Sie merkten gar nicht, wie sie mit diesen Gedanken die Stadt vom Leben abtrennen, ihr die Blutadern abbinden wollten, daß sie nichts sein sollte als eine bleiche, tragische Erscheinung, über der gleich einem Märtyrerschein der Glanz ihrer großen Vergangenheit schwebte.


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