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In eben diesen Tagen, da alle Salons und Müßiggänger von nichts anderem sprachen als von der Flucht der schönen Eleonore Lissignolo, kam der König zur Flottenschau nach Venedig. Da fiel es die Stadt an wie ein Rausch von Geschäftigkeit und Lust, und von der österreichischen wie von der italienischen Küste her kamen immerfort Dampfer angeschwommen, überfrachtet mit Menschen, die das Interesse oder auch nur die Neugier hertrieb zu dem großen, maritimen Schauspiel. Alle Hotels und Pensionen waren überfüllt, von den öffentlichen Gebäuden wehten Flaggen und Wimpel, auf dem Palazzo Reale flatterte die Königsstandarte vergnügt in die klare Septemberluft hinein, als könne sie's vor Jubel kaum fassen, daß sie endlich wieder ihre alten Bekannten, die Lagune, den Dogenpalast und den Löwen von San Marco, schauen durfte. Im Hafen lagen mit Blumen und bunten Lampions geschmückte Schiffe, auf denen nachts musiziert und getanzt werden sollte, und die Aristokratie träumte schon von einem großen Ball in dem sonst vereinsamten Königspalast, weil es zuerst hieß, daß die Königin den König begleiten würde. Hier gab es aber eine kleine Enttäuschung, denn der König kam allein mit dem Herzog von Genua, und der ersehnte Ball schrumpfte zu einem Herrendiner zusammen, das die Vornehmen Venedigs an der königlichen Tafel vereinigte.
Elisabeth verließ in all diesen Tagen kaum ihr Haus. Sie scheute sich, Bekannte zu treffen, die mit Worten oder auch nur mit Blicken indiskrete Fragen tun und immer aufs neue den Familienskandal aufrühren konnten, der eben jetzt um die Priuli wob. Sie hatte sogar Ettore erklärt, daß sie keinesfalls zu dem Ball im Königspalast gehen würde, und war entschlossen gewesen, für etliche Wochen zu verreisen, nur um dem Fest aus dem Wege zu gehen. Als dann der Ball nicht stattfand, saß Ettore heiter an seines Königs Tafel, freute sich über das gute Essen und Trinken, schrie nach jedem Trinkspruch dröhnend mit im Chor » Evviva!«, obwohl ihm ganz gleichgültig war, worauf man gerade anstieß, beantwortete Fragen und Anspielungen lächelnd oder mit einem kleinen Witz und wäre restlos glücklich gewesen, wenn ihn nicht unablässig Geldsorgen bedrückt hätten. Geldsorgen und mit ihnen die Frage, wie er es möglich machen sollte, nicht nur für sich, sondern auch für die Schwester ausgiebig zu sorgen, ohne bei seiner Frau betteln und Abweisungen befürchten zu müssen.
Elisabeth, – sein Blick wurde dunkel vor Zorn, da er ihrer gedachte. Welch eine Verblendung hatte ihn befallen, daß er sich an diese Frau band, die nichts von ihm verstand, ihn mit ihrer deutschen Kleinbürgerlichkeit und Knauserei quälte! O, einmal, ein einziges Mal nur eine große, eine märchenhaft große Geldsumme in Händen haben! Wenn ihm das gelänge, dann würde er ihr schon zeigen, wie wenig sie ihm mehr war, und wie er sich von ihr fort nach der Freiheit seiner früheren Tage sehnte! Mit einer märchenhaften Summe Geldes konnte sich das Schicksal der Priuli noch einmal wenden. Wenn Ettore in der Lage wäre, mit vollen Händen nach allen Seiten Geld auszustreuen, würden sie in Rom seine Ehe und auch die seiner Schwester als ungültig erklären, und beide konnten dann wieder ihrem Herzen folgen. Eleonore mochte mit der verschwenderischen Mitgift, die der Bruder spendete, ihren Leutnant heiraten, Ettore durfte wieder unbemängelt seinen Neigungen leben, bei der mamma sitzen, durch die Tage hinschlendern und schließlich, wer weiß, doch noch einmal einen von den transatlantischen Goldfischen angeln. Das alles und noch mehr Schönes war möglich, sobald es Ettore gelingen würde, die märchenhaft große Summe herzuschaffen ...
In dieser Zeit fiel es ihm ein, daß die Priuli ja noch einen ungehobenen Schatz besaßen, den sie münzen lassen konnten: die ›Dogaressa‹. Er besann sich nicht lange und ließ durch einen Unterhändler die Regierung fragen, ob sie nicht geneigt wäre, das berühmte Bild für ihre Staatssammlungen zu erwerben. Es bereitete ihm Vergnügen, Elisabeth schon jetzt von diesem geplanten Verkauf zu sprechen, weil er wußte, wie weh er ihr damit tat. Er war auf heftige Vorwürfe und leidenschaftliche Vorstellungen gefaßt gewesen und hatte sich schon gefreut, ihr immerfort zu entgegnen: »Es ist mein Bild! Ich kann mit ihm machen, was ich will, geradeso wie Du mit Deinem Gelde!« Aber seltsamerweise war Elisabeth viel ruhiger geblieben, als er gedacht. Sie wußte genau, daß Widerspruch von ihr Ettore in seinem Vorhaben nur bestärken würde, und so weinte sie nur insgeheim, daß nun auch sie zu den Familien gehörten, die köstliches Erbgut verkaufen müssen, weil die Untüchtigkeit der Nachfahren es nicht zu erhalten verstand.
Zu Ettores Schmerz und Elisabeths Freude sollte aber die ›Dogaressa‹ doch noch im Besitz der Priuli bleiben. Die Regierung bot nämlich nur etliche hunderttausend Lire, und Ettore, der schon mit Millionen gerechnet hatte, lehnte das Angebot mit wütendem Lachen ab. Die Regierung ging mit ihrem Angebot nicht in die Höhe, denn sie dachte, daß der Graf Priuli über kurz oder lang doch gezwungen sein würde, ihr das Gemälde zu überlassen, und so waren alle Aengste und alle Träume, die um das Bild gewoben hatten, vergeblich gewesen. – –
Elisabeth fuhr jetzt fast täglich gegen Abend in die Giardini Publici hinüber, obwohl es nicht zum guten Ton gehörte, einen Volksgarten zu besuchen. Sie fragte aber nichts nach dem Achselzucken ihres Mannes oder ihrer Schwiegermutter, denn dieser weite Park sagte ihr mehr, als die beiden verstehen konnten. Mit seinen prächtigen, alten und seltenen Bäumen, seinen weiten Wiesenplänen, seinen schattigen Laubgängen, seinen blühenden Blumenbosketts, in deren Düfte sich der süße Sang der Vögel mischte, erschien er ihr so unvenezianisch, so heimatlich vertraut, daß sie in seiner Einsamkeit ihr wirkliches Leben fast vergessen und träumen konnte, daß sie daheim sei, weit fort von der Lagune mit all ihren Geheimnissen. Denn einsam war man hier immer, weil die Menschen, die aus der Stadt kamen, sich lieber in die Gartencafés drängten, wo die Märsche der Musikkapellen schmetterten und auch sonst allerlei Schaustellungen naive und heitere Besucher anlocken mochten. Elisabeth aber ging dem Lärm und der Menge aus dem Weg, saß auf einer Steinbank und schaute durchs Buchengrün oder über die Rispen blühender Wiesen hinaus in eine Ferne, die sie nicht erreichen konnte. Die wenigen Menschen, die vorübergingen, sahen kaum hin nach der jungen Frau in dem weißen Sommerkleid mit dem großen Blumenhut, und weil sie so außerhalb aller Aufmerksamkeit blieb, achtete auch sie nicht auf die Vorübergehenden, merkte nicht, daß jetzt der Schatten eines Mannes auf dem weißen Weg und über dem Wiesenrand lag, eines Mannes, der mit langsamem Schlenderschritt daherkam und Elisabeth zweifelnd ansah, weil er nicht recht wußte, ob sie's war oder nicht. Als er etwa zwei Schritte von ihr entfernt war, hob sie den Kopf, und nun erkannten sie sich.
»Du hier, Lisa, das ist seltsam!«
Sie gab sich Mühe zu lächeln:
»Warum seltsam, Carlo? Ich könnte ebensogut sagen, es ist seltsam, daß Du hier bist!«
»Ja, das ist wohl wahr, aber – erlaubst Du, daß ich mich ein wenig zu Dir setze?«
»Gerne! Nur bin ich eine ziemlich öde Gesellschaft.«
»Warte erst ab, ob ich amüsanter bin!«
Er hatte obenhin und lachend gesprochen, wie man Scherzreden tauscht, aber da er in ihr Gesicht sah, merkte er, daß sie verstimmt und trübe aussah. Er setzte sich neben sie, nahm den Strohhut vom Kopf, legte die Arme auf die Knie und ließ den Hut zwischen seinen Beinen hin und her pendeln, während er nach einem Wort suchte, das ein Gespräch in Gang bringen konnte, ohne die junge Frau zu ermüden oder zu quälen. Auch sie hatte die Arme auf die Knie gelegt, hielt den Kopf gesenkt und bohrte mit der Spitze ihres grünen Sonnenschirms eigensinnig Streifen und Löcher in den weichen Sand, mit dem die Wege bestreut waren. So saßen sie eine Weile ohne zu sprechen und fast komisch anzusehen in der Gleichartigkeit ihrer Haltung, ihrer Bewegungen und ihres Schweigens. Endlich fragte Carlo:
»Hat Ettore sich gestern beim Königsdiner gut unterhalten?«
Elisabeth entgegnete, ohne den Kopf zu heben:
»Ich glaube wohl, ich habe ihn heut nur flüchtig gesprochen!«
»Es tut Dir wohl leid, daß aus dem Ball nichts geworden ist?«
Und wie vorhin, mit gesenktem Kopf und ohne ihr Spiel mit dem Sonnenschirm zu unterbrechen, antwortete sie:
»Ich wäre nicht zu dem Ball gegangen. Mir ist es jetzt am liebsten, wenn ich keine Menschen sehe. In ein paar Wochen wird ja wohl Gras über die Geschichte gewachsen sein, aber jetzt gerade –«
Carlo verstand nun erst, was sie meinte.
»Ja freilich, das mit Eleonore, das ist eine dumme Geschichte!«
»Ach, wenn sie nur dumm wäre!«
Eine Pause. Dann fragte Carlo wieder:
»Kommst Du oft hierher?«
»Fast jeden Tag. Allmählich sind mir die Giardini Publici das Liebste von ganz Venedig geworden. Hier ist alles so grün und frisch, daß man atmen kann, als wäre man irgendwo, irgendwo ... Hier kann man so gut Venedig vergessen!«
Wieder versuchte Carlo ihre Worte scherzhaft zu wenden.
»Bist Du so unzufrieden mit unserer Stadt, daß Du sie vergessen willst?«
Sie erwiderte ernsthaft, ohne aufzublicken:
»Ich habe mir wohl einmal eingebildet, daß mein Glück hier auf mich wartete, aber heute weiß ich, daß es mein Glück gewesen wäre, wenn ich Venedig nie gesehen hätte –«
Er sah sie von der Seite her an. Der große Hut beschattete zwar den oberen Teil ihres Gesichts, aber er merkte doch, daß ihr Mund schmerzhaft gefaltet lag, wie von vielen Enttäuschungen, daß um Schläfen und Wangen feine Linien liefen, wie verschwiegene Schmerzen und verweinte Nächte sie ziehen. Enttäuscht und blond, wie sie dasaß, war sie nicht mehr nur die Gräfin Elisabeth Priuli, glich vielmehr dem Symbol steter Enttäuschungen, die von alters her alle erfuhren, die vom Norden her, in den Süden verliebt, zu ihm gezogen waren ...
»Du hast Dich sehr verändert! Ich erinnere mich, daß Du früher nicht genug von Venedig schwärmen konntest!«
Sie setzte sich jetzt gerade auf, breitete die Arme über die Lehne der Bank lang aus und sagte bitter:
»Früher, solang ich es nicht kannte! Aber jetzt kenn' ich es, und jetzt mein' ich mitunter, ich müßte an dieser Stadt ersticken. Weißt Du, zu Anfang blendet einen das, berauscht einen, wie Euer ganzes Land! Da stößt man bei Schritt und Tritt auf die große Vergangenheit, und alles scheint noch festgebunden und verwurzelt in Gesetzen, von denen man bei uns daheim schon lange nicht mehr weiß! Und jeder Lazzarone bewegt sich wie ein kleiner Fürst, und alles, was Ihr tut und habt, scheint so von Schönheit erfüllt, daß unsereins sich arm und bäurisch daneben vorkommt. So fangen wir alle hier an, aber nach einiger Zeit kommt der Katzenjammer, und man merkt, daß Venedig nur eine Attrappe ist, eine Renaissanceattrappe mit einer sehr ordinären Füllung. Irgendwer hat Euer Land einmal ›die Idealistenfalle‹ genannt, und, glaube mir, er hat sehr recht gehabt ... Wenn ich bedenke, mit welchen Illusionen ich hierherkam, und wie sich auch nicht eine einzige von allen realisiert hat, dann möchte ich weinen, oder nein, ich möchte lachen, weil ich schon genug geweint habe und eigentlich ja gar nichts anderes wert bin, als daß man mich auslacht.«
Während sie sprach, hatte sich ihr Gesicht erhitzt, und ihre Wimpern schimmerten wie von kleinen Tränen. Sie legte den Kopf hintüber auf die Lehne der Bank, sah geradeaus in den tiefblauen Himmel hinein, als wolle sie vergessen, wo sie war, und zugleich ihr Gesicht den forschenden Blicken Carlos entziehen. Er sah sie flüchtig an, während er fragte:
»Warum hast Du Ettore geheiratet?«
»Du fragst seltsam! Ich habe ihn geheiratet, weil ich mich in ihn verliebte!«
Carlo schüttelte heftig den Kopf, sagte bestimmt:
»Nein, nein, das ist nicht wahr! In ihn hast Du Dich gar nicht verliebt, sondern in das Brimborium, das um ihn her ist. Du hast ihn geheiratet, weil er einen alten, gefeierten Namen trägt, und weil er einen berühmten Palazzo hat, und weil eine seiner Ahnfrauen von Tizian gemalt worden ist, und weil er in einer schönen Pose unter dem Portal seines Palazzo stand oder beim Blumenkorso fuhr! Wäre er nur ein simpler Signore Ferrari oder Domenico gewesen, der irgendeinen bürgerlichen Beruf ausübt, wie tausend andere, nie wär's Dir in den Sinn gekommen, Dich an ihn zu binden! Freilich wäre er ja auch in einem bürgerlichen Beruf nicht zu finden gewesen, weil er dazu ganz untauglich ist!«
»Du urteilst sehr hart!«
Elisabeth suchte in ihrem Innern noch andere, wärmere Worte der Rechtfertigung und der Entschuldigung für sich und Ettore zu finden, aber keines stellte sich ein. Carlo sprach ja nur klar und mitleidlos aus, was sie selbst schon oft dunkel empfunden hatte, und wenn sein Urteil sie auch sehr klein hinstellte, so tat es ihr doch wohl, daß jemand einmal deutlich zu ihr von ihrem Irrtum sprach, statt sie immerfort nur, wie Ettore und die Seinen es taten, als anspruchsvoll und undankbar hinzustellen. Sie bedachte jetzt Carlos Worte genau, setzte ihrer schwachen Rechtfertigung schüchtern hinzu:
»Nein, ganz so war es doch nicht. Ich habe Ettore wirklich sehr lieb gehabt, nicht nur weil er, wie Du sagst, mit allem möglichen Brimborium umgeben war. Ich habe so viel von ihm und für ihn gehofft, und es ist nicht meine Schuld oder wenigstens nicht meine Schuld allein, wenn er mich so sehr enttäuscht hat!«
»Es ist Deine Schuld ganz allein, denn Du hast ihn nie gesehen, wie er war, immer nur, wie Du ihn sehen wolltest!«
»Tut das nicht jeder Mensch, der verliebt ist?«
»Möglich, ich war's nie bis zu dem Grade, daß ich alle Vernunft verloren hätte! Wer sie aber verliert, darf sich nicht wundern, wenn sich die eigenen Torheiten an ihm rächen!«
»Ich wundere mich ja auch nicht, wundere mich schon lange nicht mehr –«
Sie schwiegen wieder eine Weile. Dann fragte Elisabeth:
»Ich wundere mich eigentlich, daß ich Dich hier getroffen habe. Warum bist Du nicht mit den andern im Palazzo Reale?«
Carlo lachte.
»Weil ich nicht eingeladen worden bin!«
Elisabeth sah ihn erstaunt an:
»Das ist merkwürdig! Warum bist Du nicht eingeladen worden?«
Carlo machte eine wegwerfende Gebärde mit der Hand.
»Weil ich zu denen dort nicht passe und nicht populär bei ihnen bin. Die prahlen und schreien und faulenzen und ich bin still und arbeite, – es kann keine reinlichere Scheidung geben.«
Er lachte wieder kurz auf und sagte:
»Die Geschichte ist zu köstlich, ich muß sie Dir erzählen, obwohl ich sie bis jetzt noch niemand erzählt habe, weil ich mich zu Anfang über ihre Ursache zu sehr geärgert habe!«
Er erzählte, daß es ihm in den letzten Monaten nach langem Studium endlich gelungen war, einen neuen Schiffskesseltyp für Handelsschiffe zu konstruieren, der ihren Kohlenverbrauch fast um die Hälfte reduzierte.
»Stelle Dir nur einmal vor, was das bedeutet, – die Hälfte Kohlenverbrauch, das heißt nicht nur weniger Geldausgaben, sondern auch billigere Frachtsätze, größere Unabhängigkeit von Kohlenstationen, erhöhte Fahrgeschwindigkeit ... In jedem vernünftigen Land, etwa bei Euch oder in England, würde man nach solch einer Neuerung alle Hände ausstrecken, aber bei uns – – Hol der Kuckuck die ganze Gesellschaft! Bei uns kümmert sich bis zur Stunde kein Mensch darum. Ich war in Rom, bin von einem Ministerium zum andern gelaufen, um sie für meine Erfindung zu interessieren, aber glaubst Du, daß ich bei ihnen irgendetwas erreicht hätte? Gott bewahre! für solche Kleinigkeiten haben sie keine Ohren und kein Geld. Was nottut, wird ja bei uns immerfort für überflüssig befunden –«
Er fuhr fort in drolligem Zorn zu berichten und nachzuäffen, wie die verschiedenen Ministerien und hohen Beamten ihn ganz von oben herab behandelt hatten, so, als ob sie allesamt die wichtigsten Dinge von der Welt im Kopf gehabt hätten, so daß ihnen gar keine Zeit bleiben konnte, an einen venezianischen Ingenieur und seine Erfindung zu denken. Schließlich war Carlos Geduld gerissen, und er hatte einem der Minister, der noch dazu beim König sehr in Gnade stand, etliche nicht eben schmeichelhafte Redensarten an den Kopf geworfen und sich von ihm mit den Worten empfohlen:
»Wenn ich mit irgendeinem verrückten, abenteuerlichen Projekt zu ihnen gekommen wäre, dann würden Sie sich für mich interessieren, aber für einen Menschen, der vernünftig arbeiten will, haben Sie bekanntlich noch nie Zeit gehabt!«
Das Wort war vom Minister an den König weitergegeben worden, und die Antwort darauf war, daß Carlo Priuli keine Einladung zu dem Festmahl im Palazzo Reale erhielt.
Da Carlo nun einmal begonnen hatte, von seinem Werk zu sprechen, verstummte er nicht mehr, sondern sprach weiter wie jeder, der in seine Arbeit und in sein Ziel verliebt ist.
Es war nicht ganz leicht, ihm zu folgen, denn es handelte sich ja immerfort um technische Probleme und Ausdrücke, aber Elisabeth war es ja von ihrem Vaterhause her gewöhnt, sich rasch in männliche Interessen und Themen hineinzufinden, wenn sie ihr auch fern lagen, daß sie ihn ganz gut verstand und keine überflüssigen oder törichten Fragen tat. Es schien ihr auch köstlich, daß endlich wieder einmal ein Mensch von ernsthaften und nützlichen Dingen zu ihr redete, und sie wäre nicht eine Tochter des allerfleißigsten Volkes gewesen, wenn ihr Carlos Arbeit und sein beharrliches Wollen nicht Respekt und Freude eingeflößt hätten.
Sie hatte, während er sprach, die Arme wieder auf die Knie gestützt, die Schläfen in die Hände gepreßt und sah zu Boden. Leise, unbestimmt dämmerte es in ihr, daß sich in Venedig doch noch etwas barg, was sie bis heute nicht gekannt hatte, daß sie hier vielleicht ein anderes, besseres Glück hätte finden können als Ettore Priuli ...
Die Sonne begann langsam hinabzusteigen, von der Lagune her kam ein sanfter, kühler Hauch. Elisabeth nahm den großen Hut ab, legte ihn neben sich, fühlte wohlig, wie der kleine Wind ihr um die befreiten Schläfen strich. Carlo sah auf das gesenkte, feine Profil mit den schmerzlichen Linien um Mund und Wangen, und er dachte bei sich, daß es süß sein müßte, mit der Hand zärtlich über diese blonden Haare zu gleiten und diese Frau voll Phantasie und Wärme auf den Boden der Wirklichkeit zu stellen, der so schwer an ihr rächte, daß sie ihn in einem törichten Mädchentraum verlassen hatte. So saßen sie lange Zeit schweigend, ohne daß ihnen aus dieser Gemeinsamkeit jähes Glück oder Furcht erwachsen wäre. Nichts empfanden sie als ein süßes Behagen, wie den Wohllaut einer Harmonie oder die Verschmelzung zweier Atmosphären, die sich sympathisch waren. Wie dann die Kühle immer mehr lockte, verließen sie die Bank und begannen auf den Parkwegen hin und her zu schlendern. Sie sprachen nicht gar viel, denn jedes hing seinen Gedanken nach und erwog, wie seltsam es sei, daß sie, die seit Jahren einander kannten und gleichgültig aneinander vorbeigegangen waren, heute ohne Vorrede und Umschweife von Dingen zueinander gesprochen hatten, über die man sonst nicht mit gleichgültigen Menschen spricht. Carlo lenkte jetzt die Schritte, ohne daß er selbst es merkte, immer mehr gegen das Ufer hin, bis sie am Rande der Giardini Publici standen und den großen Ausblick hatten auf das Märchenbild, das vor ihnen lag.
Die Lagune lag still und feierlich in tiefem Blau, über dem ein feiner, silberiger Schimmer glitzerte, der vielleicht der Widerschein der lichtgetränkten Luft war, vielleicht der geheimnisvolle Atem des Meeres. Rosenfarben, gleich einem Blütengürtel schmiegte sich die Stadt um sie her, glich mit ihren strahlenden Kuppeln, ihren weißen Türmen, ihren goldfunkelnden Mosaiken einer Spiegelung des Ostens, die ein Magier hierher gezaubert hatte, um dies blaue Meer mit dem Abglanz ihrer Köstlichkeit zu beglücken. Abendsonne lag auf Palästen und Häusern, spiegelte sich in jeder Fensterscheibe, daß jede aufglühte gleich einem Auge und die Stadt aus tausend Augen hinauszublicken schien auf das Meer, das mit breitem Wellenschlag die Lagune bedrängt und sie an sich reißt mit allem, was zu ihr gehört – –
Und hier, am Strande dieses sanften, silberblauen Meeres, neben dem Manne, der es mit flinkeren Handelsschiffen durchpflügen wollte, war es Elisabeth, als enthüllte ihr die Stadt ein drittes Gesicht, – das Gesicht stiller, beharrlicher Arbeit. In feinen, kaum erkennbaren Umrissen, wie die Urschrift eines Palimpsests blickte es schüchtern über das fürstliche Märtyrerinnenantlitz und die kecke, lärmende Gauklerin hin. Wohl stand für dies Gesicht kein Platz an des Königs Tafel bereitet und die Ettores, die Tassinis, und wie sie alle heißen mochten, lächelten geringschätzig über es hin oder versuchten, es mit pathetischen Gesten zu verdecken. Und doch war dies Gesicht das einzige lebendige Erbe, das von einer großen Vergangenheit geblieben war, und eben weil es ein Erbteil verkörperte, das jeden Tag aufs neue bestätigt werden mußte, besaß es auch größere Kraft als alles Abgeschlossene, Tote, und wenn auch nur wenige es kannten und ehrten, so würde doch die Segensbotschaft seines Mundes noch weithin wirkende Kraft haben, wenn alle » Evviva«, aller Hochmut und aller überjährige Größenwahn im Palazzo Reale längst verklungen waren. – –
Nicht deutlich und nicht lange erblickte Elisabeth dies Gesicht. Es glitt nur wie der glitzernde Flügelschlag einer Möwe an ihr vorüber, aber ein Abglanz von ihm blieb über allem, was sie noch dachte und sagte, so daß sie meinte, kaum je einen schöneren Nachmittag erlebt zu haben als diese wenigen Stunden in den Giardini publici.
Als es zu dunkeln begann, fuhren sie zusammen heim.
Unterwegs sagte Elisabeth, die von diesem Nachmittag wie in einem leisen Rausch war:
»Du solltest Dich wirklich etwas mehr um mich bekümmern, Carlo! Ich habe gar niemand, der so mit mir spricht wie Du heute. Und ich fühle jetzt erst, wie furchtbar allein ich immer bin!«
»Das will ich wohl, vorausgesetzt, daß Dein Mann nicht eifersüchtig ist!«
Elisabeth zuckte die Achseln. Carlo verstand, daß Ettore sich um das Tun und Treiben seiner Frau gar nicht bekümmerte. Er dachte bei sich:
»Wie töricht ist er, und wie unvorsichtig ist sie! Sie bedenkt offenbar gar nicht, daß ich ihre Aufforderung mißverstehen und mißbrauchen könnte. Dieser Bengel Ettore verdiente es wahrhaftig nicht besser, als daß seine Frau ihm ein paar schöne Hörner aufsetzt ...«
Sie sprachen noch dies und jenes, aber nicht mehr gar zu viel, denn die Gegenwart der Gondolieri störte sie, und Venedig war auch schon so nahe, daß ein längeres Gespräch durch die Landung unterbrochen werden mußte.
Elisabeth dachte noch lange über ihr Gespräch mit Carlo nach, besonders über seine Behauptung, daß sie selbst mit verantwortlich sei für ihr Los. Dachte nach und sträubte sich immer noch, ihre Schuld einzugestehen, wenn es auch nur die Schuld eines schwärmerischen Herzens war. – – –