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Der verlorene Sohn

Ueber Haferstoppeln weht der Wind. Der Spätherbst naht und mit ihm die Vermählung Friedrichs und Annas. Fast niemals sahen sich Beide im Laufe der Woche; denn vom Morgengrau bis zum Abend erstreckte sich Friedrichs Aufsicht über zahlreiche Arbeiter der ausgedehnten Ländereien. Aber jeden Sonntagnachmittag fuhren sie nach der künftigen Heimstätte, dem Waldhofe, einer Gruppe hübscher Gebäude, mit hochragenden Scheunen und einem stattlichen Wohnhause. Dort hatte sich Anna gleichsam schon eingelebt und manchen praktischen Plan für das kommende Hauswesen gefaßt.

»Wenn nur das Unwetter schon vorbei wäre!« sagte sie öfter. »Du wirst sehen, Fritz, wir kommen diesen Herbst noch nicht zusammen, – es stellt sich ein feindseliges Ding zwischen unser Glück.«

»Wir schieben es bei Seite,« versetzte er lachend. »Kein Ding in der Welt ist stark genug, uns zu trennen.«

»Siehst Du, Morgens schon spüre ich das Gewitter des Nachmittags, – ähnlich bangt meine Seele vor einem kommenden Unglück. Darum hab' ich für neun Freitage mich zur Mutter Gottes auf den Klosterberg gelobt, und Fasten an den neun Freitagen, damit Gottes Barmherzigkeit und die Fürbitte Marias das kommende Unheil an uns schadlos vorübergehen lassen. An sieben Freitagen hab' ich's schon gethan, und Gott wird uns gewiß helfen.«

Annas schlimme Ahnung erfüllte sich.

Herr Ottfried hatte seinen Oberknechten Anweisungen gegeben, und die acht Männer, mit ehrlichen, wetterbraunen Gesichtern, verließen gerade das Zimmer ihres Herrn. Da erschien Beata, eine Zeitung in der Hand und Bestürzung in den Zügen.

»Ach, lieber Vater, unsere arme Mutter hat schreckliche Krämpfe, in Folge der Lektüre dieses unheilvollen Berichtes.«

Er las die bezeichnete Stelle, welche lautete:

»Der Privatdocent, Herr Dr. Heinrich Edel, hielt am Samstag in der Aula der Universität seine öffentliche Habilitationsrede über das Thema: ›Die biblische Schöpfungsgeschichte des Menschen und die Naturwissenschaft.‹ Der junge hoffnungsvolle Gelehrte steht fest und sicher auf der Höhe der Zeit; denn seine Rede proklamirte die Bruderschaft des Menschen mit dem Thiere und zwar mit wissenschaftlich begründetem Protest gegen die Lehre der christlichen Weltanschauung vom Menschen. Nichts anderes sei der Mensch, als eine Thiergattung und nehme als einheitliches Wesen seinen Platz an der Spitze seiner Brüder ein, sohin ergebe sich die Gottebenbildlichkeit und die unsterbliche geistige Persönlichkeit des Menschen als ein vor der Wissenschaft unhaltbarer Wahn.«

Die Arme des Lesenden sanken schlaff herab und in seinen Zügen malten sich Schrecken und Schmerz. Er blickte zum Himmel und sprach nur die zwei Worte: »Heiliger Gott!«

Dann stieg er in das Wohnzimmer seiner Gattin hinab, die auf dem Kanapee saß, eine Beute nervöser Anfälle, während die rathlose Kammerfrau vor ihr kniete und weinte. Jetzt heftete die unglückliche Mutter den kummervollen Blick auf ihren Gatten, der sofort das richtige Mittel zur Beruhigung ergriff.

»Liebe Clara, Du ängstigest Dich ohne allen Grund! Was in der Zeitung steht, ist unwahr und bis zur Entstellung übertrieben. Diese Notiz hat keinen anderen Zweck, als Propaganda zu machen für die abgeschmackte Affentheorie, welche von Heinrich ebenso verabscheut wird, wie von uns selbst. Schändlich ist es, das erste öffentliche Auftreten eines jungen Gelehrten für Parteizwecke zu mißbrauchen.«

Diese Worte und Ottfried's Sicherheit verfehlten ihre heilsame Wirkung nicht. Die Heftigkeit der Krämpfe ließ nach und bald waren sie vollständig verschwunden.

»Lieber Ottfried, überzeuge Dich, – gehe nach der Residenz!« bat sie.

»Zu Deiner vollständigen Beruhigung will ich es thun, mein Clärchen!« sprach er liebevoll. »Ich werde den Nachtzug benutzen und morgen Abend bin ich wieder zurück.«

Zwei Stunden später fuhr der bekümmerte Vater nach der Stadt, bestieg den Eilzug und traf in der Frühe des folgenden Tages in der Residenzstadt ein. Nach einiger Rast und Erfrischung im Gasthofe, fuhr er nach der Wohnung seines Sohnes, der mit freudiger Ueberraschung dem Vater entgegen eilte. Als er jedoch die Schrift des väterlichen Angesichtes las, fand er darin einen Ausdruck, der in tiefster Seele ihn erschütterte.

»Eine ganz unglaubliche Zeitungsnachricht führt mich zu Dir, Heinrich!«, begann Herr Ottfried. »Du hast am verflossenen Samstag Deine Habilitationsrede gehalten?«

»Ja, Vater!« antwortete er, mit einem unwillkührlichen Seitenblick auf eine Broschüre, die in vielen Exemplaren auf seinem Schreibtische lag.

»Ah, – hier ist sie ja gedruckt!« sprach der Vater, die Broschüre in die Hand nehmend. »Stimmt das Gedruckte genau mit Deinem Vortrage?«

»Ja! Die Broschüre wurde gedruckt nach dem Manuscript, und von mir sorgfältig revidirt.«

»Gestatte, daß ich unverweilt thue, wozu mich Angst und Vatersorgen treiben, nämlich Deine Rede lese. Ich setze mich hier in die Ecke, – Du kannst inzwischen weiter arbeiten.«

»Wie es Dir gefällt, Vater!«

Der junge Gelehrte saß vor dem offenen Buche, ohne ein Wort zu lesen; denn er sah voraus, was kommen würde und überlegte sein Verhalten. Maßgebend für ihn war nicht kindliche Liebe, sondern das Gebot der wissenschaftlichen Würde. Professorendünkel hatte sein Empfinden vergiftet und das Rühmen der öffentlichen Blätter seinen Gelehrtenstolz aufgebläht. Die fromme Erziehung des älterlichen Hauses konnte zwar nicht völlig erstorben sein, dazu war er noch zu jung und noch zu anfänglich sein Umgang mit dem zersetzenden Sauerstoff moderner Wissenschaftlichkeit. Dennoch forderte das Selbstbewußtsein des Docenten der Hochschule von ihm, der Wissenschaft nichts zu vergeben gegenüber den bevorstehenden väterlichen Angriffen.

Herr Ottfried war endlich mit der Lektüre zum Schlusse gekommen.

»Ist Alles Deine Ueberzeugung, was hier gedruckt steht?«

»Ja, Vater!«

»Demnach läugnest Du zwischen Mensch und Thier einen wesenhaften Unterschied?«

»Ich muß es.«

»Du läugnest die Unsterblichkeit der menschlichen Seele?«

»Die Wissenschaft zwingt dazu.«

»Die heilige Schrift ist Dir ein Märchenbuch?«

»Dafür wurde sie von der Forschung erkannt.«

»Was gab den Anstoß zur Vernichtung Deiner früheren religiösen Ueberzeugung?«

»Die Vorlesungen an der Universität. Lange widerstand ich, – aber die täglichen Vorträge der Professoren, die starken Beweise, die unumstößlichen Resultate der Forschung, bezwangen endlich mein Widerstreben und gewannen mich für die Wahrheit.«

»Dein Straucheln und Fallen ist sehr begreiflich,« sagte Herr Ottfried. »Wenn die Lüge, als Wahrheit maskirt, den Lehrstuhl besteigt, um die unerfahrene, leicht bewegliche Jugend zu unterrichten, dann werden ihre systematisch geordneten Verführungskünste Erfolg haben. – – Etwas Anderes begreife ich weniger, – nämlich die Kühnheit, augenscheinliche Ketzereien für ein wissenschaftliches System auszugeben. Die Ebenbildlichkeit des Menschen mit Gott, die Unsterblichkeit der Seele, das Jenseits und Anderes, sind von Gott geoffenbarte Wahrheiten, mithin religiöse Glaubenssätze und die Verwerfung derselben nennt man Irrlehren oder Ketzereien. Offenbarungen Gottes sind Sachen des Glaubens und über die Bestätigung des menschlichen Forschens erhaben. Ein Naturforscher, der über die Welt des Unsichtbaren aburtheilt, überschreitet die Grenzen seiner Wissenschaft; denn es fehlt der exakten Naturwissenschaft alles Vermögen, in das Uebersinnliche und Ewige einzudringen. Sohin gebietet der gesunde Menschenverstand, Jenem zu glauben, Der aus der Ewigkeit zu uns gesprochen hat, nämlich Gott.«

»Ja, Vater, es gebietet dies allerdings der gesunde Menschenverstand des Gläubigen. Wer aber nicht glauben kann, hält sich an die Wissenschaft.«

»Sage vielmehr: – wer nicht glauben will; denn der religiöse Glaube ist Sache des Willens, nicht des Verstandes, und gerade darum, weil er Sache des Willens ist, kann er nur ein sittliches Verdienst sein.«

Der Sohn schwieg.

»Nun ja,« fing der Vater wieder an, »wer nicht glaubt, der beuge seinen stolzen Nacken vor dem Herrn und flehe in Demuth um die Glaubensgnade.«

Der Sohn schwieg beharrlich.

»Was soll das hochfahrende Pochen der modernen Naturwissenschaft? Lächerlich ist es, – dazu der Inhalt vielfach abgeschmackt; denn die Verthierung des Menschen ist ein schmachvoller Wahn.«

Dem jungen Manne entging nicht der verhaltene Schmerz des Vaters, er würdigte dessen liebevolles Bemühen, blickte vor sich hin und schwieg.

»Wer zählt die Irrlehren und falschen Systeme der Wissenschaft seit 1800 Jahren?« hob nach einer Weile Herr Ottfried wieder an. »Zerrieben liegen sie im Staube, zermalmt von dem ehernen Gang der Weltgeschichte, und nicht wenige Heroen der Wissenschaft längstvergangener Zeiten sind geradezu der Lächerlichkeit verfallen. Unserer Zeit aber war es vorbehalten, die häßlichste wissenschaftliche Mißgeburt hervorzubringen, – die Affentheorie. Bald wird auch sie der Lächerlichkeit verfallen sein; giebt es ja heute schon Fachmänner und gelehrte Forscher, welche die Abstammung des Menschen vom Affen als wissenschaftlich unhaltbar beweisen. So verhält es sich auf dem Gebiete der Wissenschaft, wo ein steter Wechsel, ein beständiges Kämpfen, Verneinen, Behaupten und Widerlegen herrscht. – – Der Inhalt des Glaubens hingegen ist unveränderlich und ewig wahr; denn er ist Gottes Offenbarung, über jeden Zweifel erhaben, keinem Wechsel der Zeiten unterworfen und gehütet von der Kirche, die eine Säule und Grundfeste der Wahrheit von dem Apostel Paulus genannt wird. Darum bitte ich, mein Sohn, schüttele die Täuschung einer gottlosen Schule ab, entsage den folgenschweren Irrlehren und kehre in die Arme unserer heiligen Mutter, der Kirche, zurück.«

Von Kindheit auf war Heinrich gewöhnt, zur tadellosen und achtunggebietenden Persönlichkeit seines Vaters mit Verehrung empor zu schauen, und jetzt stellte die väterliche Bitte dem jungen Materialisten eine harte Probe. Er wagte es nicht, in das ehrwürdige Angesicht zu blicken und saß vor ihm, wie ein Schuldiger.

»O Vater, mir ist es überaus schmerzlich, Dich kränken zu müssen! Habe Nachsicht, – entschuldige, weil es unmöglich ist, Deinem Wunsche zu willfahren. Das Herz kann ja den Verstand nicht vom Gegentheil dessen überzeugen, was er für wahr hält. Wenn ich Deinem Verlangen, den Einflüsterungen der Kindesliebe gehorchte, so wäre dies strafbare Selbsttäuschung und außerdem ein Zugeständniß an die Schwäche.«

Herr Ottfried erkannte den Starrsinn Heinrichs und väterlicher Unwille regte sich. Dennoch blieb er ruhig und sprach kein hartes Wort.

»Du kennst den Geist unseres Geschlechtes,« hob er wieder an. »Aus der Familien-Chronik weißt Du, wie unsere Ahnen mit Stolz ihrer religiösen Ueberzeugung sich rühmten, und wie viele von ihnen gelitten und gestritten für den katholischen Glauben. Niemals gab es einen Abtrünnigen, – Dich ausgenommen. Soll gerade mich das entsetzliche Loos treffen, einen verlorenen Sohn beweinen zu müssen!«

Seine Stimme zitterte, er hielt inne und Thränen schlichen ihm aus den Augen, begleitet von heftigen Bruststößen.

Niemals hatte Heinrich den Vater weinen gesehen, und jetzt erschütterte ihn der Anblick in solchem Maße, daß er mit einem Schrei aufsprang und zum Fenster trat.

Tiefe Stille herrschte im Zimmer. Edel rang das väterliche Wehe nieder und strafender Ernst trat jetzt in seine Züge.

»Dein Glaubensabfall scheidet Dich von der Familie Edel,« sprach er strenge.

»Ich weiß dies, – beklage es, – kann es aber nicht ändern,« versetzte Heinrich, ohne seine Stellung zu wechseln und dem Vater den Rücken kehrend.

»Du willst es nicht ändern. Heute grolle ich Deiner Mutter, weil sie, von sündigem Ehrgeiz getrieben, mich beredete, für eine unheilvolle Laufbahn Dich zu bestimmen. Ohne diese Verführungsanstalt, Universität genannt, wärest Du heute ein frommer und glücklicher junger Mann, die Freude Deiner Eltern, der Stammhalter unseres Geschlechtes. Nun aber wirst Du zugleich ein Nagel am Sarge Deiner Mutter sein.«

Bei den letzten Worten zuckte durch das Angesicht des Sohnes ein fast wildes Wehe, und es bedurfte aller Anstrengung, kindliche Liebe über den Stolz des Gelehrten nicht triumphiren zu lassen. Wie im Traume vernahm er hinter sich ein Geräusch, und als er sich umwandte, war der Vater verschwunden.

»Oh – oh, meine Mutter, meine arme Mutter!« rief er aus, beide Hände emporhebend und leichenblaß vor Schmerz. »Gott im Himmel – oh, – meine Mutter! – – Ja, – aber, – es giebt ja keinen Gott! – Wissenschaft, Deine Höhe ist eisig kalt, herzlos, unmenschlich!«

Er sank auf einen Stuhl und starrte vor sich hin.

Ottfried Edel war nicht der Mann, ein schweres Unrecht ohne Widerspruch zu ertragen. Die veranlassende Ursache seines väterlichen Unglücks war die Schulpolitik des Cultusministers, und diese wollte er zur Verantwortung ziehen. Er fuhr nach dem Residenzschlosse. Der Fürst war abwesend. Jetzt fuhr er nach dem Ministerialgebäude, wo der Cultusminister, Dr. von Fuchs, den ihm persönlich bekannten »lieben Nachbarn« des Landesherrn überaus freundlich empfing.

Der maßgebende Einfluß des Cultusministers auf die Politik des Kleinstaates war bekannt, ebenso die Ursache dieses Einflusses. Den Landesherrn beherrschte nämlich die merkwürdige Idee, von einer beständigen Jagd der päpstlichen Curie auf seine Kronrechte und fürstliche Souveränität. Das Unglaubliche dieser seltsamen Ansicht mag darin seine Erklärung finden, daß in frühester Jugend schon der protestantische Fürst mit der Milch des Argwohnes gegen die katholische Kirche genährt und später durch seinen Erzieher, einen süßen und geschmeidigen Diener am Wort, überzeugt wurde, von Roms lauernder Tücke und Herrschsucht. Mit seltener Geschicklichkeit benützte Dr. von Fuchs, der Cultusminister, diese fürstliche Schwäche zu Gunsten seiner politischen Anschläge. Da in den tiefgehenden Bewegungen der Gegenwart die religiöse Frage allenthalben den innersten Kern bildet, so wußte er diesen Kern in jede Regierungssubstanz zu mischen und den Landesherrn am Faden der genannten fixen Idee nach Belieben zu lenken. Obwohl Cultusminister und Vertreter religiöser Interessen, besaß Dr. von Fuchs keinen Funken religiösen Glaubens. Er war vielmehr gläubiger Schüler des berüchtigten Philosophen L. Feuerbach, dessen oberstes Dogma bekanntlich lautet: »Der Mensch allein ist der wahre Heiland, der Mensch allein ist unser Gott, unser Richter und Erlöser.« Als ehrlicher Mann, bemühte sich zwar der Cultusminister, seine Schuldigkeit zu thun, – selbstverständlich vom Standpunkte seiner Ueberzeugung, das heißt, nach der Philosophie seines Lehrmeisters, des Gottesläugners L. Feuerbach. Demzufolge waren ihm religiöse Wahrheiten nicht göttliche Offenbarungen, sondern menschliche Erfindungen und christliche Confessionen ganz unberechtigte Existenzen im Staate. Da er jedoch die religiöse Ueberzeugung aus den Herzen der Menschen nicht herausreißen und das Volk nicht auf die Höhe seiner Philosophie emporheben konnte, so bemühte er sich, die Religion zu verstaatlichen. Ohne viel Lärm verdrängte er den Einfluß der Geistlichen aus den Schulen, berief an höhere Lehranstalten ungläubige Professoren und besetzte die höchsten Kirchenämter mit fügsamen Werkzeugen seiner kirchenpolitischen Richtung. Erhob sich im Landtage Opposition, so wußte er dieselbe zu ersticken durch verlockende Beruhigungsmittel, durch Verheißungen von einträglichen Würden und Beförderungen. Obwohl er hiedurch ein feiges, feiles und charakterloses Streberthum in der Landeskammer cultivirte, so beunruhigte ihn diese Giftpflanze seines ministeriellen Treibhauses doch keineswegs; denn ein Schüler Feuerbachs hat keine christlich-sittlichen Bedenken. Im Gegentheil, Dr. von Fuchs bildete sich auf seine Geschicklichkeiten nicht wenig ein, und in vertrauten Kreisen pflegte er zu sagen: »An guten Nasenringen führt man leicht die stärksten Bären.« – So kam es, daß der Cultusminister allgemach und geräuschlos das religiöse Fundament untergrub und hiedurch dem Staate die allerschlimmsten Dienste leistete; denn im christlichen Bewußtsein wurzelt schließlich alle Lebenskraft der gesellschaftlichen Ordnung. Außerdem arbeitete er den wühlenden Umsturzparteien in die Hände und verging sich schwer gegen den gerade nicht weitsehenden Landesherrn.

Da Herr Ottfried allen politischen und religiösen Bewegungen stets fern blieb, so hielt ihn der Minister für einen religiös und politisch Gleichgültigen. Nun aber sollte er, zu seinem größten Erstaunen, eines Anderen belehrt werden:

»Welcher glückliche Umstand verschafft mir die Ehre Ihres werthen Besuches?« sagte Dr. von Fuchs, nachdem er dem Großgrundbesitzer gegenüber Platz genommen.

»Ein trauriger und höchst beklagenswerther Umstand,« antwortete der unglückliche Vater. »Vielleicht ist Ihnen das erste öffentliche Auftreten meines Sohnes nicht unbemerkt geblieben.«

»Gewiß nicht! Ihr Herr Sohn, Dr. Edel, ist ja der Löwe des Tages,« schmeichelte der Minister. »Alle Zeitungen sind des Lobes über ihn voll, und ich möchte dem tüchtigen Gelehrten und Sohne eines verdienstvollen Vaters eine glänzende Zukunft prophezeien.«

»Und ich beklage in ihm einen Abtrünnigen, – einen verlorenen Sohn.«

»Herr Edel, Sie erschrecken mich!«

»In meiner Familie galt immer die religiöse Ueberzeugung als das höchste Gut, auch Heinrich wurde in diesem Geiste erzogen. Fromm und gläubig kam er auf die Universität, und eben bekannte er mir, durch die Vorträge ungläubiger Professoren verloren zu haben, was ich für den höchsten Schatz des Menschen halte, – den christlichen Glauben. Einen Trost gewährt es dem unglücklichen Vater nicht, zu wissen, daß beinahe die meisten jungen Hörer solcher Vorlesungen am Glauben Schiffbruch leiden, als Neuheiden in das älterliche Haus zurückkehren, und als Neuheiden später in öffentliche Aemter treten. Das ist ein folgenschwerer Zustand, ein Unglück für den Staat. Bei dem allergnädigsten Landesherrn wollte ich deßhalb Klage führen, traf jedoch Höchstdenselben nicht und werde meine Klage bei anderer Gelegenheit vorzubringen mir erlauben.«

Der Cultusminister bewahrte zwar seine diplomatische Ruhe, konnte jedoch nicht verhindern, daß einige Sorgenfältlein die Stirne kräuselten.

»Zunächst meine innige Theilnahme für den väterlichen Kummer, Herr Edel!« sprach im Tone warmer Empfindung der Schüler Feuerbach's, der innerlich den Christen mitleidig belächelte. »Indessen glaube ich, aussprechen zu müssen, daß unsere Gelehrten nicht gemessen werden dürfen nach einem Maßstabe, der an ihre religiöse Ueberzeugung gelegt wird, sondern an die wissenschaftliche Tüchtigkeit in ihrem Fache. Und über die Fachtüchtigkeit Dr. Edels herrscht nur eine Stimme der Anerkennung, ja der Bewunderung. Sodann mögen Sie gütigst die Bemerkung gestatten,« schloß er mit einem verbindlichen Lächeln, »daß Ihre Beschwerde vor dem allergnädigsten Landesherrn eigentlich die Spitze gegen den Cultusminister richtet.«

»So verhält es sich in der That!« versetzte aufrichtig Herr Ottfried. »Excellenz haben ja gerade solche Männer auf die Lehrstühle der Universität berufen, deren unchristlicher, religionsfeindlicher Standpunkt das Allerschlimmste erwarten ließ, – das Verderbniß der studierenden Jugend.«

»Sie übersehen, Herr Edel,« sprach innerlich geärgert und äußerlich mit lächelndem Munde der Cultusminister Dr. von Fuchs, »daß nach Artikel zwei unserer Staatsverfassung die Wissenschaft und ihre Lehren frei sind. Wollte ich confessionell indifferente, oder religiös ungläubige Gelehrte von den Lehrstühlen ausschließen, dann beginge ich einen offenbaren Verstoß gegen die Verfassung.«

»Nicht aber gegen die Gesundheit des Volkslebens und auch nicht gegen die Wohlfahrt des Staates,« entgegnete Herr Ottfried. »Ohne Zweifel werden Excellenz die staatsgefährlichen Doctrinen kennen, die von unseren Lehrstühlen der studierenden Jugend, den künftigen Beamten, als höchste Güter wissenschaftlicher Forschung vorgetragen werden.«

»Soweit mein Dienst die Verfolgung dieser jetzt zeitgemäßen Richtung gestattet, habe ich mich wohl unterrichtet, – konnte jedoch staatsgefährliche Elemente nicht entdecken,« sprach der vorsichtige Dr. von Fuchs.

»Und mir dünkt,« erwiederte Edel nicht ohne Lebhaftigkeit, »die unheilvollen Consequenzen einer Wissenschaft, welche die Unsterblichkeit der Seele, das vergeltende Jenseits und Gottes Dasein läugnet, lägen offen am Tage. Ein wissenschaftliches System, welches den Menschen zum Thiere macht, löscht die Religion, den Geist und die geistige Welt, die Ideale, das ewige Leben, die sittliche Weltordnung aus, – sie macht die Natur mit ihren Trieben zur allein berechtigten Norm für das menschliche Handeln, – sie legt Ziel und Inhalt des Menschenlebens in den möglichst großen Sinnengenuß. Unrecht und Sünde ist nur das, wie schon der ungläubige Philosoph Feuerbach behauptete, was den Naturtrieben und ihrem freien Walten widerstrebt. Völlig unberechtigt sind göttliche Gebote. Der Mensch ist sein eigener Gott, sein Richter und Erlöser, – wie abermals Feuerbach sagt. Die Richtschnur für sein Leben trägt der Mensch in sich selber und sein Lebenszweck ist nur ein irdischer. Freiheit besteht in der unbeschränkten Herrschaft der Naturtriebe, der Gelüsten und Begierden des Fleisches, in der Entfesselung aller Leidenschaften. Verbrechen des Hasses und der Rache giebt es nicht mehr; denn Haß und Rache sind erlaubte Naturtriebe, und diese befriedigen, darf jedes Thier, also auch der Mensch, der eben auch nur ein Thier ist. Wird er auch an die Spitze der Thierwelt gestellt, so ist er doch gleichen Wesens mit Affen, Ochsen, Löwen und anderen reißenden, blutlechzenden Ungeheuern. Demuth, Bescheidenheit, Keuschheit, Selbstverläugnung, Aufopferung, hingebende Liebe, duldende Treue, und wie alle geistigen Größen heißen, – sie alle sind vom Gesichtspunkte dieser Weltanschauung weiter nichts, als Thorheit, Unsinn und Wahn. Aber die Geilheit des Affen, die Raubgier des Wolfes, der Blutdurst des Tigers, sind Vorbilder für die Moral ihres menschlichen Bruders. Excellenz, bedenken Sie, dieser furchtbare wissenschaftliche Aberglaube würde von allen Menschen angenommen, Moral und Sitten bildeten sich nach ihm, – was müßte aus der menschlichen Gesellschaft werden? Unheimliches Grauen muß Jeden überkommen vor einer Wissenschaft, die als ihren höchsten Triumph verkündet, entdeckt zu haben, daß der Mensch ein Thier sei. Diese Wissenschaft ist der Umsturz der ganzen Weltordnung, sie ist die radikalste, furchtbarste Revolution. Unsere ganze staatliche, sittliche und sociale Ordnung ist mit ihr absolut unvereinbar. Was hilft alles Bauen in Staat und Gesellschaft, wenn die gräulichsten Revolutionäre, die gefährlichsten Menschen in den Professorentalar sich kleiden, den Umsturz nicht blos der christlichen, sondern auch der menschlichen Weltanschauung predigen, und im Namen der Wissenschaft die Fundamente aller Ordnung umstürzen dürfen? Ist eine solche Wissenschaft die Seele neudeutscher Cultur, dann sind wir auf dem richtigen Wege zur Barbarei und Bestialität.«

Der Minister war aufmerksam und nicht ohne Unruhe der Rede gefolgt.

»Sie beschämen mich fast, Herr Edel!« sprach er jetzt. »In der Nothlage, meine Thätigkeit nach tausend Richtungen zu zersplittern, konnte ich mit Ihrer Gründlichkeit diesem Gegenstande nicht folgen. Und dann, abgesehen hievon, käme ich über den Artikel zwei unserer Staatsverfassung doch nicht hinweg.«

»In diesem Falle wird das Volk, in seinem christlichen Glauben und in seiner Wohlfahrt bedroht, für Beseitigung jenes Artikels sorgen müssen,« sprach Edel, indem er sich erhob. »Bisher blieb ich aller politischen Thätigkeit fern, – und jetzt belehrt mich ein großes Unglück über meinen Fehler. Künftighin werde ich meinen ganzen Einfluß zur Beseitigung einer Richtung einsetzen, welche den Ruin des Staatslebens zur Folge haben müßte, – und der erste Schritt auf dieser Bahn war meine Beschwerde vor dem Herrn Cultusminister.«

Er verbeugte sich kalt und verließ das Zimmer.



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